Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.04.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-04-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010430029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901043002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901043002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Ausgabe beschädigt
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-04
- Tag1901-04-30
- Monat1901-04
- Jahr1901
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis Al der Hanptexpeditton oder den 1» Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4 50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus >l 5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. ^l 6. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition diese- Blatte» möglich. Die Morgen-Ausgabe erscheint um >/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Ne-action un- Erpe-itiou: IvhanniSgafse 8. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm'» Sortim. Universitätsstraße 8 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und Königsvlatz 7. Abend-Ausgabe. WpMer TaMaü Anzeiger. ÄNtjsvlktt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes un- Polizei-Amtes -er Lta-1 Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Rrdactionsstrich (-gespalten) 75 H, vor den Familieunach- richten («gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannohme L5 (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbefürderung SO—, mit Postbesörderung ^tl 70.—. Ännahmeschluß für Anzeige«: Abend-Au-gabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei de» Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag-ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend- 7 Uhr. Druck und Berlag von E. Pol- in Leipzig. Dienstag den 30. April 1901. 95. Jahrgang. Die Wirren in China. Neue Siege -er Deutschen an -er trotzen Maner. Wir berichteten schon nach den amtlichen Telegrammen des Grafen Walders« über neue Kämpfe deutscher Truppen, die nöthig wurden, weil die Chinesen unter General Liu — ein wahrer Hohn auf die friedlichen Bersicherungen des HofeS in Singanfu und die Friedrnsverhandlungen! — eine so provokatorische Haltung durch Ueberschreitung der ihnen in der Provinz Schanfi gesteckten Grenzen gezeigt batten, daß der Oberstcommandirende nicht länger mehr ruhig zusrben konnte. Dem „Berl. Loc.-Anz." wird über diese ernsten Zusammenstöße, bei denen auch wieder deutsches Blut geflossen ist, noch berichtet: Hountskin, 27. April. Eine vereinigte deutsch-sr an- zösische Expedition sollte die Paßthore an der Großen Mauer, die von den Chinesen beseht waren, attakiren. Schließlich mußten es die Deutschen aber allein thun. Dies hatte seinen Grund in dem überraschend schnellen Abmarsche der Deutschen. Diese trafen einen Tag früher in dem Gelände der vereinbarten OperationSbasis rin, als an genommen wurde. General Baillond, der später mit seinen Sol daten Kukuan eintraf, erkannte rückhaltlos die vorzüglichen Marsch- leistungen der Deutschen an. Deutscherseits nahm die Colonne Ledebour, ungefähr lOOOMann stark, dieFührung, und obwohl sie den überaus steilen Gebirgspaß förmlich erklettern mußte, verjagte sie die Chinesen am 24. April von der Paßhöhe noch der Provinz Schonsi. Eine kleinere Colonne unter dem Befehl des Obersten Hoff- meister hatte bereits am 28. Vormittags die deutsche Flagge am Eingang des Passes von Heischankuan unter Hurrarufen aus Kaiser Wilhelm gehißt. In demselben Augenblick eröffneten die Chinesen ein heftiges Feuer auf die ersten Compagnien und wälzten auch große Steinblöcke von Len steilen Höhen, die den Paß bilden, auf die heranrückende Colonne. Oberst Hoffmeister ging sofort zum Angriff über, wobei ihm von einem niederrollenden Fels stück der Fuß verletzt wurde. Außerdem wurden zwei Mann verwundet. Nach Erstürmung der Paßhöhe eröffneten die Deutschen ein Artilleriefeuer auf die flüchtenden Chinesen: ungefähr 26 Granatschüsse wurden aus die Fliehenden abgrfeuert, während Lavallrrie sie bi- in die Provinz nach Schansi hinein verfolgte. Weiter südlich stieß die Colonne Mühlenfels auf eine befestigte Stellung, die von 200 chinesischen Scharf schützen hartnäckig vertheidigt wurde. DaS Gefecht dauerte mehrere Stunden. Leutnant Drewello wurde durch drei Schüsse schwer verwundet, Major Mühlenfels, Leutnant Richert erhielten leichte Verwundungen; 2 Mann wurden getödtet, darunter der Fahnenträger, und 16 Mann tbeils leicht, theils schwer ver wundet. Die Chinesen rollten wieder Fel-stücke den Paßwcg herab. Tie Unsrigrn stürmten aber, trotz anbrechender Dunkel heit vorwärts, bis die Chinesen endlich ihre Positionen ausgaben und die Flucht ergriffen. Um 8 Uhr Abends wurde die deutsche Flagge auf der Paßhöhe gehißt. Noch weiter südlich gelang eS einer combinirten Colonne unter dem Befehl des Major Wallmenich und Major Mühlmann den Chinesen, die von Tsinghin angerückt waren, 8 Kanonen neuester Construction abzunehmen, und zwar eroberte di« Colonne Wallmenich 2 und die Colonne Mühlmaan 6 Kanonen. Beide Colonnen marschirten dann vereinigt in der Richtung von Kukuan. Lrutnann Düsterberg wurde leicht verwundet, rin Mann getödtet, drei schwer, neun leicht ver wundet. * Hfinla, 28. April. Die Befestigungen an den Thoren der Großen Mauer wurden zerstört. Auf dem Rück marsch der vier Expeditiouscolonnen wurden die Verwundeten auf Tragbahren von den Bergen nach Hunshin gebracht, wo unter der Leitung des Stabsarztes Herold ein Feldlazareth aus geschlagen war. Die transportfähigen Verwundeten sind bereits nach Paotingfu befördert worden. Auf dem Rückmarsch von den Bergen hatten die Truppen unter enormer Hitze zu leiden. Trotzdem war ihre Haltung vorzüglich, was auch General leutnant von Leffel in einem Spccial-Tagesbesehl ausdrücklich hervorhob. DaS zweite Bataillon des 1. Regiments marschirt nach Peking zurück. Die Franzosen haben ihre Stellungen aufgegeben. Als sie von Kukuan ihren Rückmarsch be gannen, brachen sie auch den Feldtelegraphen ab, der mit unseren Telegraphen zusammen »arbeitet hatte. In« folge dessen entstand im Anfang bei uns eine gewisse Störung und unser Aeldtelegraph mußte die abgebrochenen Linien ergänzen. Dies geschah auch so schnell wie möglich. Ans dem Marsche durch Hunsinjhan sah ich die sechs Kanonen, die von der Colonne Mühlmann erbeutet worden waren. Sie sind ganz neu und erst im Jahre 1898 im chinesischen Arsenal von Hanyang fabricirt worden. Leutnant Drewello ist seinen Wunden erlegen. Tie japanische Presse und Deutschlands Haltung in der Manvschureifrage. Aus Tokio schreibt man uns unterm 25. März: Die Erklärung des Reichskanzlers Grafen von Bülow, das deutsch-englische Abkommen beziehe sich nickt auf die Mandschurei, hat der hiesigen Presse Veranlassung zu ver- sckiedenartigen Betrachtungen gegeben. Während die oppo sitionellen Blätter der Regierung vorwerfen, sic habe sich durch England und Deutschland hineinlegen lasten, eS sei nun klar, daß Deutschland mit den russischen Aspirationen in der Mand schurei einverstanden sei und nur auf den Moment warte, um seinerseits in Shantunz vorzuzehen, bringt die dem japa nischen Auswärtigen Amte nahestehende „Tokio Asahi Schinbun" einen sehr ruhigen und vernünftigen Leitartikel über die An gelegenheit. Sie führt darin aus, sie glaube nicht an ein Ab- gehcii Deutschlands von der Politik der Erhaiiung der Integrität Chinas, fasse vielmehr die Rede des Reichskanzlers nur als einen BeruhigungSact gegenüber Rußland auf, wo man über Deutschlands Haltung gegenüber der mandschuri schen Frage eine gewisse Nervosität zu zeigen begonnen habe. Wenn man in Rußland durch die Bülow'sche Rede zu der Einsicht gekommen sei, daß Japan im Falle eines Zusammen treffens mit Rußland weder auf Deutschlands noch auf Eng lands Hilfe zählen könne, so sei daS kein Schade. Japan müsse eben von seiner Politik der Acngstlichkeit zu einer keckeren Action übergehen." Der Krieg in Südafrika. Aus englischen Sol-alcnbriefen. Recht bezeichnend für die Stimmung im englischen Heer ist folgender Brief, den ein Unterofficier aus Belfast an der Delazoabahn an seine Frau schreibt: „Lord Roberts ließ uns in der Verlegenheit sitzen und ging heim mit der Botschaft: „Ter Krieg ist zu Ende." Seit Kitchener den Befehl hat, giebt es mehr Tode und Verwundete, als in den letzten 6 Monaten. Dem Kncknck macht man weiß, „daß die Boeren schwere Verluste hatten". Ich habe keinen Boeren gesehen und bin fast immer auf dem Marsche, ohne Rast und Ruhe. Auch habe ich keinen ganzen Rock mehr an. Nach ein paar Stunden Ruhe heißt es wieder an die Gewehre. Wenn die Jungen zu Hause wüßten, wie eS bei unS auSsiebt, so käme keiner mehr nach Südafrika." — Ein anderer Unterofficier schreibt u. A.: „Einer von den Boeren kam neulich als Unterhändler ins Lager. Ich versichere Euch, daß ein großer Unterschied zwischen mir in meiner gestickten Uniform und ihm in seiner neuen Reithose, Gamaschen von cna- lisck Leder, Sporn, neuen Stieseln und einen Makintosh auf den Rücken seines Pferdes gebunden, bestand. Er schüttelte mir die Hand und sagte, sie dächten gar nicht daran, sich zu ergeben. Nun, der Krieg ist noch lange nicht auS. Glaubt doch den Regierungsberichten nicht. Ick laS einen Bericht über den Anfall auf Belfast am 7. Januar, worin von den grossen Verlusten gesprochen wird, mit denen die Boeren zurückgeworsen wurden. Dies ist unwahr: sie haben unsere Vorposten überrumpelt. Die Royal Irish litten dabei am meisten; sie hatten 9 Tobte und 32 Ver wundete. Capitän Tasbery wurde getödtet und Capitän Milner, Leutnant Deese und 70 Mann wurden gefangen ge nommen, auch ein Maxim nahmen sie mit." * Pietermaritzburg, 29. April. Der Ort Malalatini in Zululand wurde gestern von 400 Boer«n angegriffen. Der Ort wurde von der Polizei vertheidigt, die fünf Todte und zwei Berwundete hatte. Ter Angriff wurde abgeschlagen und die Boeren zogen sich über die Grenze zurück. * London, 29. April. Die heutige Verlustliste ergiebt: General Rundle hatte auf dem Marsche von Harrysmith nach Brthlehem in der Zeit vom 2l. bi- 24. April 2 Todte und 9 Ber wundete; 2 Mann werden vermißt. k'. London, 30. April. (Privat-Telegramm.) Parlamen tarische Kreise nehmen die Demission Mil ner'S aus Gesundheits gründen als Thatsache an. Sein Nachfolger solle der Vicrkönig von Indien, Lord Curzon, werden. Politische Tagesschau. * Leipzig, 30. April. Der Reichstag hat auch gestern die am Donnerstag wegen Beschlußunfäbigkeit deS HauseS abgebrochene zweite Berathung deö Gesetzentwurfs über die privaten Ver sicherungsunternehmungen uock nicht zu Ende geführt, und hätte der Präsident nicht zu Anfang der Sitzung die Gefahr einer Probe auf die Beschlußfähigkeit umgangen, so würde sich daS Schauspiel vom Donnerstag gestern er neuert und der Schluß der zweiten Berathung noch weiter hinauSgezogen haben. Wenn gerade jetzt die Herren Reichs boten sich zu den Beratbungen nicht drängen, so ist das freilich nicht eben verwunderlich. In allen Parteilagern hat man das Vorgefühl, vor einer wichtigen politischen Ent scheidung zu stehen, die nicht vom Reichstage, sondern im preußische» Landtage pronocirt werden wird. Und immer mehr stellt es sich heraus, daß die conservativen Fraktionen und daS Centrum LeS preußischen Abgeordneten hauses die Canalvorlage zu einer Machtprobe zu machen gedenken. DaS geht besonders deutlich auS der .Post" hervor, die auch heute wieder eine Auslastung über die politische Seite dieser Vorlage bringt. Das freiconservative Organ, daS die Führung der Gegner des Mittellandkanals übernommen hat, kommt in dieser Auslastung auf die frühere Maßregelung der conservativen Abgeordneten zurück, führt au-, daß durch diese Maßregelung die Canalsrage bis zu einem gewissen Grade zur politischen Ehrensache gemacht worden sei, und gelangt zu dem Schluffe: den Con- servativen dürfe kein Umfall oder auch nur der Schein eines Umfalles angesonnen werden. Diese Stellung nahme der „Poft" ist ebenso wie die Einleitung ihres frag lichen Artikeis, die die Canalfrage als zur Zeit bereits ab- gethan behanvelt, kaum weniger als eine sarkastische Ver höhnung der Regierung. Stimmten jetzt die Conservativen der Canalvorlage zu, so könnte von einem Umfall deswegen nicht gesprochen werden, weil die Regierung den conservativen Wünschen entsprochen und in umfassendem Maße „Com- pensationen" für den Mittellandcanal gewährt hat. Wenn also die conservativ-klerikale Mehrheit, wie unter dem Bei fall der „Kreuzzeitung" die „Köln. Volkszeitung" vor schlägt, die Compensationen bewilligte, den Mittelland canal selbst aber ablehnte, so würde es ein Umfall der Regierung sein, falls sie hierzu ihre Einwilligung gäbe. Welchen Schaden die Autorität der Regierung dadurch erlitte —, darüber schweigt sich die „Post" um so beharr licher aus, je eifriger sie die Conservativen als Stützen der Autorität zu rühmen sich angelegen sein läßt. Auf die Autorität der Negierung kommt eS der „Post" und ihrer Ge folgschaft in der Canalfrage aber auch gar nicht an. Die Regierung soll büßen für den mit jener Maßregelung ge machten Fehler und soll erkennen, was sie zu gewärtigen hat, wenn sie eigenen Willen bekundet. Dieser Fehler rächt sich jetzt bitter. Wäre die Maßregelung nicht erfolgt, so könnte die Regierung trotz der von ihr für den Mittellandcanal ge währten umfassenden „Compensationen" bei einer abermaligen Niederlage wenigstens erklären, sie hätte dem wafferwirth- schaftlichen Projekte niemals eine politische Bedeutung bei gelegt und hielte an dieser Auffassung in der Hoffnung fest, daß mit der Zeit die wirthschaftliche Nothwendigkeit dieses Projektes auch seinen Gegnern sich aufdrängen würde. Nach dem man aber einem Projekt von geringerem Umfang durch die Maßregelung einen politischen Charakter ausgeprägt hat, würde man sich schwer compromittiren und vollständig vor der konservativ-klerikalen Mehrheit deS Abgeordnetenhauses capituliren,wenn man mit einfachem Achselzucken eine abermalige Niederlage binnehmen wollte. DaS erkennt zweifellos auch Herr v. Miquel, der bekanntlich von der Maßregelung ab- gerathen hat. In gewisser Hinsicht erlebt er zetzt einen Triumph; er kann seine Collegen, die die Maßregelung durch setzten, darauf Hinweisen, daß ihr Sieg eine peinliche Zwangs lage für die Regierung geschaffen hat. Er sieht sich aber auch gleichzeitig durch seine Nachgiebigkeit in dieselbe Zwangs lage versetzt, wie jene Collegen; denn er kann, nachdem er in die Maßregelung gewilligt, jetzt nicht zu ruhigem Sichfügen rathen. Wie es scheint, sucht er noch durch Verhandlungen eine neue Niederlage abzuwenden; wir erhalten nämlich soeben die folgende Meldung: §8 Berlin, 30. April. (Driattelegramm.) Der Ab geordnete Gamp, neben den Freiherrn v. Zedlitz der haupt sächlichste Führer der Opposition in der Canalcommisfion, gab am Sonntag rin Frühstück, zu dem auch Finanzminister vr. v. Miquel geladen und erschienen war. In parlamentarischen Kreisen wird Fenilleton. 2^ Der Oger. Roman von Hermann Birkenfeld. Nachdruck derNten. „Eine verlockende Einladung!" spottet Ulrich. „Er mag ja dann einen netten Begriff von mir haben. Aber, wenn mir das auch ganz gleich wäre, ich — ich sollte meine Füße mit Frida von Oertcl unter einen Tisch stecken?, Denk' an die sechste Bitte, mein Junge!" „Irgendwo mußt Du speisen, und Josef Lippert dürfte Dir schwerlich etwas Genießbares vorsetzen können." „Wüßte nicht, was mir das Fasten schaden sollte!" brummt Ulrich mit einem langen Blick an seiner vollen Figur hinab. „Plötzliche Aenderung der Lebensweise schadet stets", ver sucht Rudolf zu scherzen. „Und Du gefällst mir heute ohnehin nicht." „Habe ich Dir früher bester gefallen?" Rudolf lacht. Sie stehen jetzt vor der Hausthür. „Lasten wir das früher, und gehen wir hinein." Widerstrebend — und doch nicht ungern — läßt Ulrich sich in den Flur schieben. Der Doctor macht beim Eintritt der Beiden ein ver wundertes Gesicht. Aber viel Fragen ist nicht seine Weise. Frida holt ein viertes Gedeck, benutzt diese Gelegenheit, draußen ihre große Wirthschaftsschürze mit einem schleifen besetzten gehäkelten Ding zu vertauschen, und Doctor Gerhard rntkapselt eine Flasche Mosel. DaS ist der ganze Umstand, den der Gast verursacht. Dem braven Ulrich schmeckte es lange nicht so gut. Kein Wund«: er hat gestern Abend reinweg gefastet. Und nun Frida'- Küche! Wenn er sich den guten Menschen hier nur dankbar erweisen konnte. „Du hast doch zu thun?" fragt er nach Tisch den-Oger. Dieser lächelt. „Willst Du Korn abladen?" „Don Herzen gern." „Unsinn!" „Nein, nein!" Ein« halbe Stunde später steht der dicke Ulrich auf einem Getreidewagen und schwingt dir Heugabel. Al» Frida in di« Scheune kommt, die Herren zum Kaffee zu bitten, lacht sie hell auf. „Wie thut das, Herr Fetthenne?" „Sie glauben's nicht, gnädiges Fräulein — wunderbar!" ruft er, und schwingt sich mit schwerem Plumps zu ihr herab. Die Hände brennen ihm aber doch. Nach sechsjähriger Abwesenheit wieder in der Heimath. Wirklich daherm? Wo ist nun seine Heimath? Hier am kiefernumsäumien Peeneufer, oder dort im Waldwinkel des Solling? Oder gar auf der braunen Haide, wo eine hochgesinnte Jungfrau um die Erhaltung ihres Familienbesitzthums ringt und dabei noch Zeit findet, in ihren Briefen mit ihm zu überlegen, ihm zu rathen, sein Glück, seinen Schmerz nachzuempfinden? "Seinen Schmerz? Ja, es war wirklich einer, als die Schwester von seiner Mutter besorgnißerregendem Zustand schrieb; und dieser Schmerz wuchs mit der Angst, die Frau, die ihm das Leben gegeben, vielleicht nie mehr wiedrrzusehen. Sechs Jahre lang hatte er sie nicht entbehrt — nun es für immer gelten sollte, würde sie ihm doch fehlen. Das fühlt« er. Die Stimme des Blutes! Daß Onkel Gerhard erschrocken zurückwich, als er ihm seine Absicht, an das Krankenlager der Mutter zu eilen, mittheilte, daß er mit einem hingemurmelten: „So waS! Ich konnte es voraussehen!" in seinen breiten Sessel fiel und eine ganze Weile, den Kopf in die Hand gestützt, wie geistesabwesend auf das ab- aescheuerte Tuch seines Schreibtisches starrte, schien dem Oger schier zu viel des Mitgefühls. Dann hat der große goaubärtige Mann ihm einen Blick zu geworfen, in dem eine Welt voll Schmerz lag, ihm gewinkt und mit belegter Stimm« gesprochen: „Geh hin! Du mußt ja wohl. Meinst, Du müßtest e»; denn Du gehörst ja ihr Deiner Mutter." Und plötzlich aufspringend und mit hallendem Tritt durch das Zimmer stapfend, die Hände auf dem Rücken, hat er ge stöhnt: „Es war ja nichts als jämmerlich« Feigheit von mir. Dir nicht gleich klaren Wein einzuschenken — dies ölend« Berstecken spielen, das einem Kinde ziemte! Jammervoll! — Warum sollte sie sterben? Warum? Sie ist sechs Jahre jünger al» ich, und mit mir — Gott verzeih' mir die Sünde: fast hätte ich gesagt leider — mit mir wird'S wohl noch 'ne Weil« dauern. — Leb' wohl, mein Junge! — LoS! Zu ihr!" Rudolf ist, alS der Doctor ihn so mit der Hand von sich schob, die Thräne in seinem Auge nicht entgangen. Da» war mehr al» bloß« Theilnahm« Gr hat seine Mutt«r ge ¬ kannt. — — „Onkel Gerhard! Ich bitte Dich um ein Wort der Auf klärung. —" Wieder traf ihn da der schmerzverlorene Blick. „Geh! Gewinn' Dir die Mutter wieder — um Deinen Vater zu verlieren!" Da ist der Oger jäh zurückgeprallt. Der Alte aber hat, tiefe Trauer in dem guten Gesicht, ihm still in die Augen gesehen und nach seiner Hand gegriffen. „Es ist so. Armer, armer Junge! Und doch nicht ärmer als Dein Vater." Und dann hat er dem Sohne aus vergangenen Tagen er zählt; wie einst, in den ersten Jahren seiner Ehe, di« Lebhaftig keit Hortensens, die später Frida von Oertel's Mutter wurde, ihn ungezogen, wie seine Gattin ihn mit thörichtem Mißtrauen gequält habe, wie die Eifersucht sich bei ihr schließlich in eine Art Wuth auswuchs, die um o heftiger ausbrach, je fester sie sich zuvor gewöhnt hatte, seelische Erregungen unter der glättenden Decke verstandesnüchterner Erwägung jeglichem Einblick, selbst dem des Gatten, zu verhüllen. Anfangs hatte er sie zu beruhigen gesucht, dann aber, von der Fruchtlosigkeit solcher Bemühungen überzeugt, entrüstet über sich ergehen lassen, was unvermeidlich schien, um keines Menschen Meinung fragend, sich mit dem kal ten Panzer des dem Bewußtsein seiner Schuldlosigkeit entwachse nen gekränkten Stolzes umgeben. „Und das eben war meine Schuld", hatte Ruoolf's Vater hierbei geseufzt. „Denn Stolz ist etwas Schönes, aber Klarheit ist Bester«», und deshalb verlangt« ich solch« neulich in Bremen auch in Deiner Sache. Wenn sie — Deine Mutter — nun da hinten so darüber wegstürbe, mit der Idee, ich hätte wirklich schlecht an ihr gehandelt, wie ich es seiner Zeit das Gericht an nehmen ließ, nur um eine Fessel loszuwrrden, die mich unerträg- stq deuchte! Wenn —" Noch etwas, für Rudolf Unverständliches — hatte sein Vater gemurmelt, und dann war bei dem starken Mann« wieder die quälende Angst hervorgebrochen: „Und wenn sie nicht stirbt, wenn sie genest fo wird sie Dich mir nicht gönnen, wird Dich zwingen. Dich zu ihr zu halten, der das Gericht Dich zugesprochen hat." „Mein Vater!" hat Rudolf mit zitternder Stimme gerufen. „Vater! Vater!" Er fand für jenen Augenblick kein anderes Wort. Erst später, nachdem der erste Sturm in seinem Innern ausgetobt hat, ist es ihm gekommen. „Was wäre au» mir ge worden, ohne Dich? Ich gehöre Dir und zu Dir." Und dennoch hat er gefühlt, daß auch die Mutter Ansprüche auf ihn habe. Viel Zeit nahm die Erfüllung derselben freilich nicht in Anspruch; denn kaum, daß «r in Karnm früh genug «intraf, einer Gerbenden das Ende leicht zu machen, indem er ihr sagte, sein Vater gedenke ihrer ohne Groll. „Und ich verzeihe ihm und Dir", war die matte Antwort. „Uno Du — Rudolf? Du mir auch? Deiner Mutter? — Rudolf, ich habe Dich doch lieb gehabt, und Du hättest mir sehr gefehlt, wenn ich gegangen wäre, ohne Dich noch einmal zu sehen. Sag' es, Rudolf, daß Du mir oergiebst! Ich ich brauch's. Sag' es! Rudolf!" Nur hingehaucht waren die Worte. Und doch der Verzweif- lungsschrei eines gequälten Herzens. „Liebe Mutter!" hat er geflüstert, „liebe Mutter!" Und dann geweint wie seit seiner Kindheit nicht, den Kopf im Kisten ihres Lagers. Die Hand auf diesem Kopf, ist Frau Lammert entschlafen. Er meint, er fühle sie da noch, jetzt, da er mit Gabriele vom Friedhof heimkehrt. In dem kleinen Wohnzimmer sind «in paar Stühle ver schoben, auf dem Teppich liegt hier und da ein loses Blatt au» einem Kranze — Spuren des Begräbnisses. Sonst hat sich gegen früher nichts geändert: Dieselbe Tapete, dieselben altersdunklen Mahagoniemöbel, an der Sofawand dieselben alten Stich« und Photographien. Nur daß er jetzt das Original eines wegen seiner schillernden Verschwommenheit früher oft heimlich bestaunten Daauerrotyps kennt, das dazwischen hängt. Und daß vor dem Nähtisch nicht mehr eine hagere Frau ihn mit leidgehärtetem Blick so streng ansieht. Das ist Alles. Martha Urckritz bringt den Geschwistern «n Kaffee. Auch sie hat sich wenig verändert. Nur verwaschene Augen und ein schwarzes Merinokleid. Rudolf sieht durch die Fensterscheiben. Ein paar der meist einstöckigen Häuser am Hafen haben einen andersfarbigen Anstrich als früher, sonst auch da daS alte Bild. „Willst Du nicht eine Taste Kaffee trinken?" Hat Gabriele ihn das gefragt? ES ist hier so drückend still — und so schwül! Langsam dreht er sich um, geht zu ihr hin und legt den Arm um ihre Taille. Noch einmal — zum wievielten Mal«! — weint sie sich an seiner Brust aus. „Oh Rudolf! Wenn ich denke, wi« wohl so Manche» anders gekommen wäre, wenn nicht böse Zungen zwischen Dich und Mutter ihr Gerede geschoben hätten! Und §aß Johannes der Urheber der häßlichen Verleumdungen sein mußte und Mutter ihm so leichthin glaubt« —" „Still!" flüstert Rudolf. „Still, Schwefterherz!" Er gedenkt des Versprechens, da» er -der Verstorbenen gegeben. „Die» und Jene» wär» vi«ll«icht ander» — «» ist »» nicht; und
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite