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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.05.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-05-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010501028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901050102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901050102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-05
- Tag1901-05-01
- Monat1901-05
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Anzeigen »PrelS die 6 gespaltene Petitzeile 2S H. Reclamen unter dem RedactionSstrich (-gespalten) 75 vor den Familiennach richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme LL H (excl. Porto). Ertra Beilagen (gefalzt), nnr mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60t—, mit Postbeförderung ^l 70.—, Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipziz. 22«. Mittwoch den 1. Mai 1901. 95. Jahrgang. Die Wirren in Lhina. Ein „Humienbrief". Don den Gefechten unserer Ostasiaten in den letzten Tagen de- Februar giebt foMender Privatbrief ein anschauliche- Bild, der der „Tägl. Rundsch." zur Verfügung gestellt wird. Paotingfu, d. 27. 2. 1901. Znrückgekehrt aus einem größeren Gefecht und durch Gottes Hilfe mit gesunden Knochen, schreibe ich Euch heute meine Erlebnisse. Die Boxer und auch die richtigen Soldaten, welche China hat, haben sich zurückgezogen in da- Gebirge, welches in China sehr wild ist und keinen Weg und Steg hat. Wir von der GebirgS- batterir, welche die kleinen, aber sehr wirksamen Geschütze aus unsere Maulthiere packen können, kommen nur mit vielen Mühen und Anstrengungen vorwärts. Für andere Artillerie mit Pferden ist das Betreten der Gebirge vollständig unmöglich. Die Unterosfictere und Officier« reite» auf Ponie-, welche sehr gut klettern können, gerade wie die Maulthiere. Die Infanterie kommt ebenfalls schwer vor wärts. da Alles bloS Steingeröll und hohe, bis in die Wolken reichende kahle Berge sind. Auf dem ganzen chinesischen Gebirge ist kein Stumpf, viel weniger ein Baum zu sehen. Dann geht es über kolossale, schwierige Gebirgspässe, wo man einen Fuß vor den andern setzen muß, um vorwärts zu kommen. Auf der einen Seite hohe Fel-platten, auf der anderen unendliche Abgründe, wo ein Fehltritt einem da- Leben kostet. Es war bei dem ersten Märsche sehr glatt, so daß viele Thiere rutschten und fielen. Eins von ihnen stürzte bergabwärts, vielleicht vierhundert Meter in die Tiefe, war natürlich in tausend Fetzen. Also unter solchen Schwierigkeiten rückten wir am 20. Februar gegen de» Feind vor, der sich in der Festung Kwangshang für sicher hielt. Unser Detachement betrug vielleicht 600 Mann, 4 Compagnien, unsere GebirgSbatterie, 20 Pioniere und 35 Reiter. Vier Tage waren wir marschirt, als um 1 Uhr Mittag die Meldung kommt, daß die Avantgarde und die Reiter auf den Feind gestoßen sind, welcher vor der Festung eine gedeckte Stellung eingenommen hatte. Es ging nun meistens im Laufschritt vorwärts. Je näber wir kamen, je deutlicher hörten wir das Schießen. Da ließ sich Niemand mehr halten, und Alles stürmte nach vorn. Der Hauptmann war vor« geritten und suchte die Stellung aus. Wir kamen näher. Da die Osficiere mit vorgeritten waren, mußte ich die Batterie »achsühren. Jetzt waren wir schon im feindlichen Kugelbereich. Die Kugeln zischten über unö hinweg und schlugen rechts und links ein, daß eS eine Freude war. Jetzt gings loSI Wir schleppten unter den grüßen Anstrengungen die Geschütze auf einen hohen Berg. 300 Meter vor uns lag Infanterie von uns in heftigem Feuer. Dieselbe war jedoch gut gedeckt hinter der Höhe. Sobald das erste Geschütz oben war, schaffen wir auch schon, daß die Berge zitterten. Niemand achtete der Kugeln mehr, welche einschlugen, denn es hieß, die Chinesen treffen ja nicht. Ich mußte, da wir blos einen Officier mit hatten, weil die anderen krank oder commandirt waren, einen Zug übernehmen, was mir die größte Freude machte. Zuerst schossen wir aus Schützenlinien auf 700 w, dann auf weitere Schützen, zuletzt auf die Dörfer, auf welche der Feind zurück gegangen war. Der erste Schuß fiel um 2'/, Uhr Nachmittags. Nach 2 Stunden war das Gefecht beendet. Wir hatten 170 Schuß verfeuert. Der Feind, 5000 Mann stark, war geschlagen. Bei unserem Abzug aus der Stellung, auf dem Wege nach der Festung, in welcher wir übernachteten, lagen sehr viele tobte Chinesen. Wir hatten etliche Todte und zehn Verwundete. Die Chinesen hatten 4—500 Todte und zwei Ntal so viel Verwundete. Es sind sehr viele Fahnen erbeutet worden. Verfolgung wurde nicht aus- genommen, da der Feind die Provinz, welche er räumen sollte, ver lassen hatte. De» andern Morgen traten wir den Rückmarsch an. Unsere Todten und Verwundeten wurden auf Maullhieren nach Paotingfu befördert, woselbst wir nach 10 Tagen wieder eintrafen. Lieb« Eltern, macht Euch also keine Sorgen, ich bin gesund und munter, und ich glanbe, eS ist die- daS letzte Gefecht gewesen. Es war »rein zweites, vom ersten habe ich nichts geschrieben, weil die Chinesen nach den ersten Schüssen ausrissen, und wir somit nichts zu thun hatten. Der alte Kaiser sagte immer: „Durch Gottes Hilfe einen Sieg errungen". So dachte auch ich nach dem Gefecht, denn der Feind war zehnmal stärker. Unser Oberst-Commandirender ist Herr Oberst Hoffmeister. * London, 1. Mai. (Telegramm.) Dec „Standard" berichtet aus Tientsin unter dem 29. April: Die Lage ist derartig, daß die fremden Truppencontingente gegenwärtig nicht verringert werden dürfen. Chinesische Elitetruppen sollen in beträcht licher Stärke bei Paotingfu stehen. * Wien, 30. April. Der „Wiener Abendpost" zufolge wurde daS österreichisch-ungarische Marine-Detachement in Peking auf 200 und jenes in Tientsin aus 30 Mann reducirt. (Siehe indessen die vorstehende Meldung.) Der Krieg in Südafrika. CntschädtgungScommtffio». Die Commission, die zur Berathung der Ent schädigungsforderungen der aus Südafrika aus gewiesenen Ausländer in London eingesetzt Worten ist, hat gestern ihre erste Sitzung abgebalten. Auf die Frage des Ver treter- der Holländer Or. Bis schop, wie die Commission ihre Thätigkeit zu regeln gedenke, erwiderte der Vorsitzende, es sei beabsichtigt, wenn möglich, an vier Tagen der Woche Sitzungen abzuhalten und Zeugen zu vernebmen. Auf die weitere Frage Bisschop'S, ob es nöthig sein werde, daß die Reclamanten persönlich erscheinen, erklärte der Vorsitzende, die Commission sei der Ansicht, daß alle Aussagen von ihr persönlich zu machen seien, da eS der Commission auf andere Weise nicht möglich sein würde, die Existenz einer Person, deren Glaubwürdigkeit und Forderung sie prüfen soll, und vor Allem die Neutralität der Reclamanten festzustellen Im weiteren Verlauf der Sitzung beschrieb der holländische Bevollmächtigte Bisschop die mannigfachen Arten von An sprüchen, die er vertrete. Es seien darunter Ansprüche von Leuten, die gezwungen gewesen seien, ihr Besitztum ohne Schutz zurückzulassen, oder die eS in großer Hast hätten ver kaufen müssen und dabei nur sehr wenig Geld bekommen hätten, ferner Forderungen von Leuten, die erst Befehl erhalten hätten, das Land zu verlassen, die dann aber andere Ordre erhalten hätten, durch die ihre Abreise verschoben wurde, und die dadurch geuöthigt worden seien, sich unter großen pecuniären Verlusten neu einzurichten. Noch andere Leute verlangten Entschädigung für unrechtmäßige Inhaft nahme oder für Verluste, die ihnen auf der R'ise erwachsen seien, weil die Schiffe zu ihrem Transport nicht zur Stelle waren, wie festgesetzt war, und schließlich würden noch Forde rungen erhoben wegen schlechter Behandlung auf der Reise. Englisch als Schulsprache in -en Voeren-Staate». Von Capstadt kommt die Kabelnachricht, daß letzter Tage ein großes Meeting daselbst stattfand, welchem Cecil Rhodes und der Führer der colonialen Freiwilligen beiwohnten, und in dessen Verlauf die Resolution gefaßt und an Sir Alfred Milner telegraphirt wurde, daß die Regierung dringendst er sucht werden solle, im Transvaal und im Freistaate in den öffentlichen Schulen als Unterrichtssprache nur die eng lische zu gestatten und zwar „in dem besten Interesse der holländisch sprechenden Colonisten". — Milner versicherte in seiner Antwort, daß dieser wichtige Gegenstand seine ernsteste Beachtung fände. Also auch die Sprache der Boeren soll schleunigst auSgerottet werden. * RoSmead, 30. April. (Meldung des „Reuter'scheu Bureaus".) Augenscheinlich ist Rhenosterberg (Norden der Capcolonie) noch das Hauptquartier eines Voerencommandos, da häufig kleine Ab- theilungen beobachtet werden, die sich dorthin begeben oder von dort kommen. — Bon den Zu urbergen her wurden gestern Schüsse gehört. (Wiederholt und berichtigt.) Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. Mai. Trotz der Kriesengerüchte und ihrer Ursachen, die in Preußen liegen, war der Reichstag gestern gut besucht — nicht wegen der letzten.Paragraphen des Gesetzes über die privaten Ver sicherungsunternehmungen, di« in zweiter Lesung noch zu erledigen waren, sondern wegen der noch auf der Tages ordnung stehenden dritten Berathung des Urheberrechts gesetzes, das bei der zweiten Berathung nur eine kleine Zahl Pflichtgetreuer herbeigeführt hatte. Was in zweiter Lesung ver säumt worden war, oder vielmehr den Säumigen als versäumt erschien, sollte nun in dritter nachgeholt werden. Es zeigte sich aber nur, daß selbst innerhalb kleiner Fractionen sehr verschiedene und unüberbrückbare Gegensätze in den Anschauungen über wesentliche Streitfragen bestehen. Die Stimmung kennzeichnete es, daß der Abg. Richter seine Parteifreunde Müller- Meiningen und Träger wegen ihres Eintretens für die Rechte namentlich der musikalischen Autoren an der Seite des Abg. Oertel mit dem Namen „Musikagrarier" belegte, worauf der Abg. Müller dem Parteichef zu dessen großem Aerger mit den Worten „Musikbanause" und „Musikböotier" antwortete. Es waren Anträge "auf Abänderung der Beschlüsse zweiter Lesung zu den 88 27 und 33 «ingebracht, die öffentliche Aufführung von Musikwerken und die Schutzfrist für Bühnenwerke und Werte der Tonkunst betreffend. Zur Abstimmung kam man gestern nur bezüglich des ersteren Punctes, in dem der Beschluß zweiter Lesung aufrecht erhalten wurde. In der Debatte darüber er klärte Herr Richter, er sei nicht Musikböotier, sondern, indem er der Bezahlung von Abgaben an die Componisten der aufge führten Werke entaegentrete, der eigentliche Musikfreund, da er die Musik popularisier. Gegen die in der Bildung begriffene Ge nossenschaft deutscher Componisten erging er sich in heftigen An griffen, wobei er sich für die besonders uns Leipzigern inter essante Behauptung, die bezüglichen Angaben des Staatssekretärs seien unrichtig gewesen, auf Materialien bezog, die ihm von dem Hauptinhaber der Firma Breitkopf L Härtel, vr. v. H a s e, zur Verfügung gestellt seien. Zur Beleuchtung dieses letzteren Um standes machte der Statssekretär vr. Nieberding über die Vorgeschichte der vom Vorredner angegriffenen Genossenschafts gründung Mittheilungen, aus denen hervorging, daß Herr Ör. v. Hase ursprünglich selbst eine Tantiömeanstalt geplant hatte, aber ausschließlich m den Händen der Verleger, und daß er sich zir rst ckzog, als die Componisten den Plan ihrerseits, und zwar unter Mitwirkung der Mehrzahl der Verlagsfirmen, in die Hand nahmen. Das Unternehmen, das Unterstützung verdiene, werde di« Wirkung haben, die vom Abg. Richter in ihrer Wirksamkeit zum Theil mit Recht bemängelte französische Genossenschaft von Deutschland fern zu halten. Herrn Richter soll es übrigens gestern begegnet sein, daß er angebliche Statutenparagraphen der Componistengenossenschaft, die in Wahrheit einem Exposs deS Herrn vr. v. Hase für seine Tantiöme-Anstalt entnommen waren, verlesen und zur Grundlage seiner Angriffe gemacht hat. Nach der Abstimmung über den Paragraphen wurde die weitere Berathung auf heute vertagt. Die Canalfrage ist in der Canalcommission des preußischen Abgeordnetenhauses gestern trotz einer Vormittags- und einer Nachmittagssitzung ihrer Lösung nicht um einen Schritt näher gekommen. Die Abstimmung über den Mittellandcanal wurde verschoben und nur die Generaldebatte zu Ende geführt. Bemerkenswerth war in dieser Debatte nur, daß der nationalliberale Abg. Schmieding die besonders vom Centrum sorgsam gepflegte Legende, vor zwei Jahren hätten die Nationalliberalen die Ablehnung der damaligen Canalvorlage verschuldet, zer störte, daß der Abg. Wal brecht dem Centrum, respective 17 CeutrumSstimmen, die Schuld an dieser Ablehnung nach wies und daß Finanzminister vr. von Miquel die Un möglichkeit der Annahme des Zedlitz'schen Antrages betonte und in letzter Stunde nochmals eindringlich für den Mittel landcanal eintrat. Aus dieser Erklärung des Ministers ist nun freilich noch nicht mit absoluter Sicherheit zu entnehmen, daß die preußische Regierung nicht am Ende doch mit dem Ausbau der Verbindung des Dortmund-EmS-CanalS mit d«m Rheine durch Canalisirung der Lippe und mit Meliorationen im Osten sich begnügen und den Mittelland-Canal „bis auf eineu günstigeren Zeitpunkt" verschieben lassen werde; aber wahr scheinlicher ist ein so jämmerlicher, die Autorität der Regierung noch mehr erschütternder Ausgang durch daS gestrige Auf treten Miquel's jedenfalls nicht geworden. Die Krisen ge rüchte treten daher heute noch entschiedener auf, als in den letzten Tagen. Selbst ein Gewährsmann des „Hamb. Corr.", der sich im Uebrigen ziemlich skeptisch gegenüber der Mehrzahl der schwirrenden Gerüchte verhält, meldet dem ge nannten Blatte telegraphisch: „Die parlamentarische Lage in Preußen und im Reiche er scheint durch die zahlreichen Krisengerüchte complicirter, als sie in Wirklichkeit ist. All jene Meldungen einschließlich de- bö-artigen Scherzes, daß der Reichskanzler Gras Bülow in dem Bot- schafter Marschall von Bieberstein seinen Nachfolger erhalten solle, sind entweder Produkte der unruhigen Erregung, die an gesichts großer Entscheidungen stets rintritt, oder dazu bestimmt, diese Erregung im Interesse gewisser Nebenbestrebungen zu vergrößern. Uebereinstimmung herrscht nur darüber, daß Miquel auf jeden Fall am Ende seiner Laufbahn steht. Auch die Meldung, daß die Regierung den Landtag vor Pfingsten einfach schließen und ave unerledigten Vorlagen einschließlich der Canalvorlage liegen lassen wolle, hat nur den Werth einer Combination. Daß der Plan erwogen wird, mag richtig sei», aber er stellt nur einen von den verschiedenen Wegen dar, über die sich jetzt die Leiter der Regierung zu entscheiden haben." Ueber den rechten Weg, auf dem die Regierung sich auS der Sackgasse retten könnte, in die sie sich begeben, weiß aber auch er keine Andeutung zu machen. UeberdieS wird er Wohl selbst einsehen, daß mit dem schweren Opfer, daS die Krone durch die Preisgebung des Vicepräsidenten des preußischen StaatS- ministeriums bringen würde, so gut wir nichts gewonnen wäre, wenn nicht an feine Stelle ein Mann käme, der bei dem Centrum und den Conservativen etwas durchzusetzen ver möchte, was Herr v. Miquel nickt vermocht. Und wo wäre ein solcher Mann zu finden? Nun taucht allerdings, wenn Ferrilletsir. 2^ Der Oger. . Roman von Hermann Birkenfeld. Nachdruck vkrbotm. Während er solchen 'unbehaglichen Gedanken nachhängt, er eignet sich mit der, brr sie gelten, etwas Auffallendes. Still, in beängstigendem Schweigen, hat sie mit seiner Schwester den W«g fortgesetzt, ohne daß die Freundin merkte, wie Thräne um Throne ihre Wange hinabrollt, bis aus dem Tropfenfall ein Strom wird — herzbrechendes Schluchzen. „Erna!" „Wenn Du ahntest, was man von mir verlangt! O, Du — in all' Deiner Trauer — ich beneide Dich. Du bist wenigstens frei, haft keine Mutter, die —" „Still, Erna, liebste, beste Freundin!" ruft Gabriele. „Ich ahne vielleicht mehr, als Du denkst. Du sollst — sie wollen Dich zwingen Ulrich —" Erna schüttelt den Kopf. „Wenn es der wär«! Er würde sich nie dazu hrrgeben, ein fach dem Willen unserer Eltern zu folgen, ohne meine Zu stimmung. Das hat er mir ehrlich gesagt — vor Wochen schon. Sonst wäre ja gar kein Verkehr zwischen ihm und mir denkbar gewesen." „Nun, und wer denn —?" „Der Andere — er hat ja schon im Frühjahr um mich an gehalten —" ^Der Rechtsanwalt? Erna, nein! Nein, das kann Dein Papa nicht wollen. Er giebt «s ja nie im Leben zu, nie —" Erna Hansen versucht ein trostloses Lächeln. „Mama vermag mehr als er, weißt Du. Und nun —* Wieder Thränen. Rudolf's Gegenwart scheint di« Unglückliche ganz vergessen zu haben. Ihn aber durchrieselt es wie ein elektrischer Strom. — Und für einen Moment weicht alles Blut aus seinem Antlitz, als er, einem unwiderstehlichen Triebe folgend, spricht: „Es ist nicht lange her, daß ich wünschte, Ihnen ein« häßliche Stunde, deren Anlach ich war, vergelten zu können, Fräulein Erna. Wollen Sie mich als Ihren Beschützer annehmen? Mir vertrauen? Sie, außer meiner Schwester die Einzige hier, die niemals den guten Glauben an mich ganz verloren hat? Mir ein Recht geben, für Sie einzutreten? Nicht umsonst. Viel, sehr viel wurde ich ass Gegenleistung für mein« Treue verlangen: den Versuch, aus Ihrem Vertrauen «in klein wenig Lieb« empor wachsen zu lassen. Er weiß selbst nicht, wie sich ihm die Wort« so rasch an einanderreihen, sich überstürzend. Aber diese Art entspricht seiner Gemitthsverfassung; denn in ihm stürmt es wie in den Tagen seines erloschenen Ogerthums. Erna Hansen hat die erschrockene Gabriele losgelassen — ab wehrend die Hände gegen ihn ausstreckend, steht sie ein paar Se kunden regungslos. Dann sinken ihre Arme langsam an dem schlanken Körper herab, und vor Entrüstung bebend ant wortet sie: „Ich weiß recht gut, wie der nicht gerade scharfsinnige Ulrich mein« Reise nach Weißenhaus beurtheilt hat, Herr Lammert. Er ließ es ja mir gegenüber an thörichten Andeutungen nicht fehlen, so wird er es auch wohl im Gespräch mit Ihnen für un faßbar gehalten haben, daß ich bei der Wahl des von Mama für nöthig erachteten Erholungsortes keine anderen Zwecke verfolgen sollt« als den, Sie mit den Ihren auszusöhnen. Wenn somit das biscken Selbstlosigkeit, in der ich mich versuchte, auch über Ihr Verständniß ging —" hier zuckt es um die blassen Lippen der Sprecherin — „so haben Sie deshalb doch kein Recht, zu ver gisst», welch' zarte Bande Sie an ein« andere Dame knüpfen und hier — aus Mitleid oder Frivolität, jedenfalls aber mit einer beträchtlichen Dosts Selbstüberschätzung — eine Scene L la Bieter aufzuführen. — Adieu, Gabriele!" „Fräulein Hansen! Ein Wort!" ruft Rudolf hinter der Ent fliehenden her. Von all' dem Verletzenden, das sie sagte, hat er nur den «inen Satz begriffen: „weich' zart« Bande Sie an eine andere Dame knüpfen, und blitzschnell ist ihm klar geworden, wen sie meint. „Ich habe gegen Fräulein von Rheinern —" Sie bleibt stehen. „Der Name ist ganz unwesentlich." „Zugegeben! Ich weiß aber, daß sie gemeint ist. Die Dame, deren Ruf die Gehässigkeit eines Ehrlosen in den Zeitungsklatsck hinabziehen wollte. And ich schwöre Ihnen, daß ich zu ihr in keinen anderen Beziehungen stehe als denen, die unbegrenzte Hochachtung und festgegründr^e Dankbarkeit zuweilen zwischen anständigen Menschen entstehen lassen." Zweifelnd hebt Erna den Blick. In diesem Blick aber liegt ein leises Etwas, das ihm die Kühnheit verleiht, fortzufahren: „Und nun, Fräulein Erna — wenn das der einzige Vorwurf ist, den Sie gegen mich erheben —" Weiter reden hieße die Luft, die Bäume am Wege an sprechen. Denn Erna ist davongeeilt. Einen Moment steht Rudolf unschlüssig. Am nächsten ist er ihr nach. „Erna! Liebe Erna! Sag' das eine Wort —" Nein, sie sagt es nicht. Sie kann nicht. Denn er hat sie ge fangen, fest, gerade im rechten Augenblick. Im nächsten wäre sie umgesunken. Gefangen für immer! „Wie ich von Martha höre, wirst Du uns heute doch nicht ver lassen?" fragt Johannes anderen Tages seinen Bruder, indem er sich zu ihm und Gabriele an den Tisch setzt. Um Rudolf's Mund zuckt es wie ein bitteres Lächeln. „Nein", antwortet er trocken. Johannes hakt sich die Serviette um und fährt fort: „Ich finde das ganz natürlich von Mr, und besonders Gabriele wird Dir ob solchen Entschlusses Dank wissen. Auch hast Du, wie ich annehme, manche Jugenderinnerungen wieder aufgefrischt, einen Spaziergang durch die Stadt gemacht auch das er ¬ fuhr ich von Martha, und ich beneide Dich, der Du in Tagen, in denen mancher Andere, fo zum Beispiel ich, das Bedürfniß haben würde, im stillen Kämmerlein sich seinem Schmerze hinzugeben. Mine Trauer hinaustragen kannst, sie gleichsam auslüften lässest, im Winde verwehen — Jeder kann das eben nicht. Ich selbst, wie gesagt, würd« mich schwerlich zu solchem Heroismus auf schwingen können — gelten doch dem Andenken mein«r lieben Mutter alle meine Gedanken — so weit sie von dem ernsten Werke der Nothwendigkeit, meinen Prüfungsarbeiten, abschwcifen dürfen." Bei diesen Worten sieht Johannes erst vorwurfsvoll den Bruder, dann die nur mühsam ihr« Thränen zurückhaltende Gabriele an, um «ndlich mit der Miene innerer Befriedigung seinen Suppenteller in Angriff zu nehmen. Rudolf starrt nur finster vor sich hin. „Willst Du nicht wenigstens einen Löffel Supp« nehmen?" fragt ihn Gabriele nach einer Weile. Nun hebt er mit einem Ruck den Kopf. „Ich? Nein, ich danke Dir." „Darin thust Du Unrecht, lieber Bruder", sagt Johanne-. „Ich halte im Gegenthcil dafür, daß man den Leib stärken soll, um ihn desto geschickter zu machen, des Lebens Widerwärtigkeiten und Anfechtungen zu ertragen." „Du genießest ja felbst nichts", sagt Rudolf, auch jetzt wieder ohne «ine Entgegnung auf des Bruders Worte, zu Gabriele. „Ich folge Deinem Beispiel", erwidert sie mit einem An flug von Trotz, der ihm ein Lächeln abnöthigt. Seine Hand fährt leicht über ihr weiches Haar „Sei nicht böse, Schwesterchen!" Und sich zum Essen zwingend, nöthigt er fie, «S ihm nach- zuthun. Am Spätnachmittag macht er Toilette. Als er das HauS verlassen will, folgt Gabriel« ihm an die Thür. „Nicht verzagen, Liebster, wie es auch ablaufen mag! Sie bl«ibt Dir doch Du warst ja all' .die Jahr« hindurch unser steter Gedanke, ihrer und meiner." Das „es", dessen Mißerfolg sie fürchtet, ist die Wiederholung eines schweren Ganges. Die ganze Nacht über ist er mit sich zu Rathe gegangen, wie es nun mit ihm und Erna werden soll. Und immer wieder hat er keinen anderen Weg zum Glück entdecken können, als den ge dachten, in das Haus ihres Vaters. Das Städtchen, in dem er seine Jugend verlebt hat, ist ihm fremd geworden, trotz des alten Gewandes, in dem er es wieder- sah. Zum Mindesten nicht vertraut, nicht lieber als vor Jahren. Deshalb hegt er nicht den Wunsch, nach einmal erfolgter Abreffe bald nach Karnin zurückzukehren, um so inniger aber den andern, sich vor seinem Scheiden die Geliebte zu sichern. Schon um sie weiteren Bewerbungen Bleier's, über den Gabriele nicht viel Günstiges zu berichten wußte, zu entziehen, glaubt er ihr daS schuldig zu sein. Eine briefliche Werbung aber — aus der Ferne — dünkt ihm, nachdem er mit Erna einig, ihrer und seiner un würdig. Und diesmal 'will er nicht feige sein, wie bei der Klärung der Affäre Demmler in Bremen. „Der Herr Senator sind nicht zu sprechen", hat ihm heute Morgen das Dienstmädchen im Hause Hansen gesagt, da er ihr seinen Namen nannte, und mit sehr gemischten Empfindungen ist er heimgekehrt. Das war der Weg in die Stadt, den Bruder Johannes ihm über Tisch vorgehalten und den er nun zum zweiten Male unter nimmt. Er hat sich diesmal, der Noth gehorchend, ein« Art Opera* tionsplan entworfen. Er geht nicht, wie heute Morgen, die Treppe hinauf, wo er das Empfangszimmer der Familie weiß, sondern tritt entschlossen in das gleich rechts neben der Hausthür liegende kleine Comptoir, in dem nur zwei junge Leut« von ihr«« Arbeit aufsehen, als er Herrn Hansen zu sprechen wünscht. „Der Herr Senator ist in seinem Cabinet", bescheidet man ihn. „Ihr wrrther Name?" „Weber." Ein kaum merkliches Lächeln spielt um seinen Mund, als der Buchhalter nebenan verschwindet, um gleich darauf mit der respectvollen Einladung wiederzukehren: „Herr Senator läßt bitten. Nur durch das Cabinet hindurch, wenn's beliebt. Mr Herr Senator ist eben im Wohnzimmer." Rudolf kennt die klein« Hinterstub«, in die sowohl von der Flurseite, wie au- dem Arbeitsgonach des Herrn Hansen eka<
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