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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.05.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-05-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010509023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901050902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901050902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-05
- Tag1901-05-09
- Monat1901-05
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Brz«s--Vr-r- 1» der Haspterpedttt«» oder den t» Stadt' bezirk und de» Vororte» errichtete» Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in- Hau- 5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland ». Oesterreich: vierteljährl. 6. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bei de» Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentag- um 5 Uhr. Nedaclion und Expedition: Johannisgasse 8. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm'S Sortim. Umversitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinevstr. 14, Part, und König-Platz 7. Abend-Ausgabe. UchWcr TagMM Anzeiger. Ärntsliküt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Mattzei-Amtes der Ltadt Leipzig. Donnerstag den 9. Mai 1901. Anzeigen-Pret- die ögespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem RedactiouSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenaunahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung SO—, mit Postbeförderung ^l 70.—» Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol- i» Leipzig. 95. Jahrgang.' Der Krieg in Südafrika. Die Lage der gefangenen Barren auf Ceylon. In der letzten Sitzung des englischen Unterhauses machte die Regierung in Beantwortung verschiedener Anfragen, betr. die Lag« der Boerengefangenen, recht beachtenswerthe Mittheilungen. Auf wiederholtes Befragen gab der Nezierungsvertreter zu, datz in dem Bezirk Ahmednagar auf Ceylon, wo das große Boeren- gefängniß liegt, in Folge des andau«rnven Regrnmangels Hungersnoth herrsche, und die Bevölkerung regelmäßige Unterstützungen von Nahrungsmitteln erhalte. Gleichwohl aber erklärte der Herr, daß die Regierung noch keine Kenntnis; davon habe, daß in dem Lager auch. Wassermangel herrsche (!). Auf andere Fragen hin räumte der Staatssekretär ein, daß die Ge fangenen nur solche Zeitungen zu lesen erhalten, welche der oarüber wachende Censurbeamte als lesenswerth für die Boeren erachte. Darnach ist es vollkommen sicher, daß die Ge fangenen nicht eine nichtenglische Zeitung zu lesen bekommen. Weiterhin erzählte der Staatssekretär, daß sür die Gefangenen Schulen eingerichtet seien, in denen sie die englische Sprache lernen uns über die staatliche Organisation des britischen Colo nialbesitzes, sowie über die freiheitlichen Gesetze Englands auf geklärt werden sollten. Diejenigen, welche an diesem Unterricht theilnehmen, erhalten dafür verschiedene Vergünstigungen hin sichtlich der Beköstigung und persönlichen Behandlung. * Pretoria, 8. Mai. („Reuter's Bureau".) Eine Colonne, die nach Durchquerung der Distrikte von Russeuekal und Toksburg aus Middelburg in Belfast (an der Dclagoabahn) eingetrosseu ist, hatte auf ihrem Marsche nur ein ernstes Gefecht bei der Gelegenheit, als sie die Boeren aus Verstecken vertrieb, in Lenen sie ihre Familien verborgen halten. — Botha nnd Viljoen haben ihre Commaudos vereinigt und halten Carolina besetzt. (Ter Capstädter Meldung, in Nord- und Ost-Transvaal hätten die Boeren in zahlreichen Gefechten schwere Verluste erlitten, ist keinerlei Bedeutung beizumessen, so lange nicht angegeben wird, wann und wo. D. Red.) Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. Mai. Wenn ein Minister seine Koffer zu packen sich veranlaßt sieht, so wird er in dieser, unter allen Umstanden wehmüthige Erinnerungen weckenden Beschäftigung auf das Angenehmste unterbrochen durch Interviewer oder „diplomatische Rechercheurs", die aus eigener Initiative oder aus Befehl der Redactionen, in deren Dienste sie stehen, erscheinen, um sich nach den Gründen zu erkundigen, die Sc. Excellenz be wogen haben, sich ins Privatleben zurückzuziehen. Das giebt dem Herrn Minister a. D. willkommene Gelegenheit, sein diplomatisches Geschick im Verkehr mit Journalisten noch einmal zu beweisen und den Wißbegierigen mit vielen Worten gerade das nicht zu sagen, waS die Herren gern wissen möchten. So hat es auch Herr vr. t> Miquel gemacht, als er einen Vertreter der Wiener „Neuen Freien Presse" empfing, und so hat er cS machen müssen, denn cS würde nicht nur den preußischen Traditionen, sondern denen aller deutschen Staaten widersprechen, wenn scheidende Minister den Schleier lüfteten, der über die Gründe ihres Scheidens gebreitet zu werden pflegt. Der diplomatische Rechercheur der „N. Fr. Pr." tischt trotzdem — ob gläubig oder nicht, das geht aus seinen Randbemerkungen nicht klar hervor — den Lesern dieses Blattes folgende Erklärung deS früheren Vicepräsidente» deS preußischen Staatsministeriums über jene Gründe auf: „Meine Aufgabe ist vollbracht. Die preußische Steuer reform ist durchgeführt. Jetzt möchte ich an meinen Studiertisch zurückkehren, möchte meine letzten Jahre mit Lectüre und mit schriftstellerischen Arbeiten aus lullen. Es ist immer ein Lieblingsplan von mir gewesen, eine Geschichte der deutschen Einheitsbewegung zu schreiben, die ich zum großen Theile mit erlebt habe. Und dann möchte ich viel Histo risches lesen. Die Geschichte hat stets meine Lieblingsbeschäftigung gebildet." Hätte der Herr Interviewer sich bei Leuten erkundigt, die Herrn v. Miquel unmittelbar nach dem Besuche des Herrn v. Wilmowski — des UeberbringerS der Mittbeilung deS Grasen Bülow, dieser sei gern bereit, ein Abschiedsgesuch des Herrn Finanzministers zu unterstützen — gesehen halten, so würde er gewußt haben, daß Herr v. Miquel unmittelbar vor diesem Besuche am Ende seiner Ausgabe noch nicht zu stehen glaubte. Man würde also den Bericht des Gewährsmannes des WienerBlattes über seineUnterredung mitHerrn v.Miquel voll ständig mit Stillschweigen übergehe» können, wenn der frühere Minister nicht ans die Frage „Und der Eanal, Excellenz", eine Antwort ertheilt hätte, die augenscheinlich die Gedanken der Excellenz über diese Frage nicht verberge» ober auch nur verhüllen soll. Herr v. Miquel sagte nämlich nach dem Berichte der „N. Fr. Pr.": „Der Canal wird gebaut werden, das ist sicher. Es ist ein Gebot der Vernunft, daß er gebaut wird. Tie Deutschen wurden sich dem Vorwurse der Unsinnigkeit aussetzen, wenn sie darauf verzichten wollten, ihre parallel laufenden großen Flüsse durch Wasserstraßen untereinander zu verbinden. Wenn der Canal heute nicht zu Stande kommt, jo wird cs vielleicht in jniif Jahren sein. Aber zu Stande kommen muß er. Heute freilich ist die politische Situation so verwickelt als möglich. Tie Conservativen wollen nicht, und es ist schwer, die Conservativen zu zwingen. Diese Conser- vatiben haben die preußischen Schlachten geschlagen, haben se>t Generationen der preußischen Verwaltung die leitenden Männer geliefert. Das bedeutet eine Macht im Staate; und es ist zu fürchten, daß die Regierung, wenn sie es mit einem Druck versuchen wollte, die Conservativen nur dahin brächte, zu sagen: „Nun gerade nicht". Mit der Auflösung des Abgeordnetenhauses ist nichts gewonnen. Das neue Abgeordnetenhaus wird ebenso eine Mehrheit gegen den Canal enthalten wie das alte. Die Wühler auf dem Lande sind alle auflässig, nicht blos die Gutsbesitzer, sondern auch die Bauern Lenen man eingeredet hat, daß sie mit ihren Steucrgeldern den Canal bauen sollen, um die Industriellen im Westen noch reicher zu machen als sie schon sind. Immerhin, man darf den Canal- gedanken nicht fallen lassen. Er wird schon durchzusetzen sein, wenn man nur konsequent dabei bleibt. Und das ist in der Politik überhaupt das Mittel, alles Große zu vollbringen: die Consequenz." . . . Diese Auslassung stimmt völlig mit dem überein, was Herr v. Miquel, »achtel» die alte Eanalvorlage erweitert worden war, wiederholt geäußert hat. Ob er selbst mit der nöthigen Eonsequenz vorzegangen ist, uni die Eanalopposition unter das „Gebot der Vernunft" zu beugen, kann dahin gestellt bleiben. Die Eanalfreunde inleressirt besonders die Frage, wie die Consequenz des Grafen Bülow, der ja doch nun die Eanalsache selbst in die Hand nimmt, beschaffen sein muß, wenn sie das wasserwirthschaftliche Projekt durchsetzen soll. Jetzt hat er der klerikal-conservativen Eanalopposition einen hervorragenden Ministercollegen geopfert, der zwei andere College» mit sich zog. Er hofft durch dieses Opfer die Aussichten der Vorlage zu verbessern. Wie aber, wenn die Opposition mit diesen, Opfer noch nicht zufrieden ist oder wenn bis zu der jedenfalls noch nicht in der nächsten Landtagssession be vorstehenden Entscheidung einer oder der andere der neue», ja vielleicht einer der alten Männer mißliebig wird bei jener Opposition, die ihrer Macht nun inne geworden ist? Cousequenter Weise müßte dann noch ein neues Opfer ge bracht werden. Ob Herr v. Miquel eme solche Eonsequenz hat empfehlen wollen, hat er dem Interviewer nicht gesagt und dieser hat danach zu fragen vergessen. Und wie Graf Bülow über diese Frage denkt, wird er wohl auch keinem Aushvrcher verrathen. Für den neuen Staatssekretär Kraetke wird es hoffent lich lehrreich sein, daß von dem Kampfe Ser Polen gegen Vic Rcichspost selbst die klerikale „Germania" sagen muß, daß er „immer seltsamere Formen" annehme. Die polnischen Herrschaften haben nämlich angefangen, die Briefe auf beiden Seiten zu adressiren: auf der einen Seite deutsch, auf der anderen polnisch. Auf diese Weise meinen sie, laut der „Germania", die Uebersetzungsstellen überflüssig zu machen und die Bestellung der Briefe zu beschleunigen. In Anbetracht der Quelle, aus der vorstehende Nachricht fließt, ist ein Zweifel an ihrer Richtigkeit ausgeschlossen. Folgerungen aus dem, was sie berichtet, zieht die „Germania" natürlich nicht. Und doch liegen diese Folgerungen auf der flachen Hand. Die Thatsache, daß die Polen auf der einen Seite deutsch adressiren, beweist unwiderleglich, daß der polnische Adressensturm nur aus chica- nöser Absicht heraufbeschworen worden ist. Mit der Beseitigung der Uebersetzungsstellen sollte also bei solchen Proben polnischer Sprachfertigkeit keinen Augenblick länger gezögert werden. Die Anwendung einer zweiten polnischen Adresse auf demselben Briefe ist aber -ein um so größerer Unfug, als die Zweisprachigkeit der Adresse dazu benützt wird, den Postbeamten doppelte Arbeit zu machen; denn an Stelle der Zehnpfennigmarke kleben die Polen je eine Fünfpfennigmarke auf jede Seite des Brief umschlags! Auch die „Germania" erwähnt, vaß hierdurch die Beamten mit dem Stempeln der Briefe mehr zu thun haben. Ist es jedoch unerläßlich und entspricht es der Würde einer Reichs anstalt von der Bedeutung der Post, sich durch einen kleinen fanatischen Theil des Publikums derartig chicaniven zu lassen? Die Antwort kann nicht anders als „Nein" lauten. Wie es nur einer Verfügung des Reichspostamtes bodürfte, um für die inner halb des Reichspostgebietes aufgegebenen Briefe polnisch« Adressen zu verbieten, so hätte es das Reichspostamt auch in der Hand, die der Postverwaltung durch die Verwendung von zwei Fünfpfennigmarken für je eine Seite des Briefumschlages be reitete Mehrarbeit zu untersagen. Und selbst wenn das Reichs postamt Briefe, die auf beiden Seiten mit Marken beklebt sind, nicht von der Beförverung ausschlösse, müßte das chicanirende polnische Publicum wenigstens dafür zahlen, daß es ven Post beamten unnöthige Arbeit macht. Ein Theil der deutschen Cen trumspresse hat beim Ausbruche des polnischen Krieges gegen die deutsche Post die Polen vor unnützen Chicanen gegenüber der Post gewarnt; sogar das Polenblatt am Rheine hat sich in dieser Richtung vernehmen lassen. Man darf deshalb hoffen, daß wenigstens ein Theil unserer klerikalen Presse angesichts der artiger polnischer Chicanen aufhört, die irationalpolmsche Propa ganda auf politischem Gebiete zu unterstützen. Das Cabinct Salisbury hat am Dienstag im Unterhause in der K o h le n z o l l f r a g e einen großen Erfolg davon- getragen. Die Majorität, welche jüngst, allerdings bei einer untergeordneten Angelegenheit, auf 33 gesunken war, hat sich gestern auf 107 Stimmen erhoben, welche die Annahme des Kohlenausfuhrzolles entschieden. Trotzdem wollen die wieder holt aufgetauchten Gerüchte von bevorstehenden „Ueber- raschungen", von Spaltungen im Schooße des Cabinets, von der Amtsmüdigkeit Lord Salisbury'S nicht zur Ruhe kommen. Daß das conservativ-unionistische Ministerium, wenn es sich um eine Frage erster Ordnung handelt, auf seine Majorität immer noch zählen kann, hat die vorgestrige Ab stimmung bewiesen. Die Behauptung des Liberalen Asquith, er halte es nicht für schwer, sich diese Majorität vom Halse zu schaffen (io rick), darf man also vorläufig auf sich beruhen lassen. Gleichwohl ist die Rückkehr Asquith's in die Reihen der streitbaren Opposition ein verzeichnenswerthes Ereigniß im liberalen Lager. Der gewesene Minister Asquith, eines der Talente des liberalen Nachwuchses, hatte sich, wie erinnerlich, vor einiger Zeit in einer vielbemerkten Unterhausrede unter starker Verbeugung vor der südafrikanischen Regierungspolitikzum Imperialismus bekannt. Jetzt hat er auf einem Meeting des liberal-radikalen Vereins im Londoner Bezirk East-Marhlebone eine Rede gehalten, in der er im Gegensätze zu den neulichen Ausführungen Herbert Gladstone's den Glauben an die baldige Wiederkehr der Liberalen an die Spitze der Geschäfte auSspricht. Die von Asquith vorgeschlagene und von der Versammlung an genommene Resolution besagt, „die Versammlung sei der An sicht, daß die gegenwärtige Regierung sich durch ihre Führung der Staatsgeschäfte des Vertrauens des Landes unwürdig gezeigt habe, es deshalb im Interesse der Sparsamkeit und vieler höchst nothwendiger Reformen Wünschenswerth sei, daß die Regierung wieder in die Hände der liberalen Partei gelegt werde". Deutsches Reich. -H- Berlin, 8. Mai. (Arbeiterkinder und BiS - marckfeier.) Das socialdemokratische Centralorgan nimmt Anstoß daran, daß beiderEnthüllungdesBismarck- denkmals am 3. Juni 1000 Gemeindeschulkinder aus 16 Berliner Schulen vor der Rampe des Reichstagsgebäudes aufgestellt werden, um einige Lieder vorzutragen. Es ist nicht etwa der unauslöschliche Haß gegen den Begründer des Reiches, der den „Vorwärts" zu seinem Widerspruche hiergegen an treibt —, bei Leibe nicht! Es sind vielmehr — pädagogische Bedenken, die den „Vorwärts" zur Aeußerung seines Einwandes bestimmt haben. Der „Vorwärts" sieht nämlich ahnenden Ge- müths den „moralischen Zwang" voraus, in den die Väter der bctheiligten Gemeindeschüler verseht werden. Und zwar besteht dieser moralische Zwang in der schmerzlichen Nothwendigkeit, den Kindern zu sagen, „wer Bismarck war". Wer war nun Bismarck? Der „Vowärts" antwortet hierauf — selbst verständlich aus der Seele der betroffenen Väter heraus — Fol gendes: „Der Vater des Socialistengesetzes, der brutale Unter drücker jeder selbstständigen Regung im Proletariat, der ver götterte Heros des industriellen und agrarischen Ausbcuterthums, kurz, der geschworene Feind der classenbewußten Arbeiterschaft, der -nur e i n Verdienst hat, daß er die Arbeiter . . . kampf gestählt und start gemacht hat." — Nachdem solchermaßen die socialdemokratischen Väter die Anweisung darüber erhalten haben, was sie ihren Kindern von Bismarck sagen sollen, fragt Feirilletsn. 2, Ein Engel der Finfterniß. Roman von Gertrude Warden. Autorisirte deutsche Uebersetzung von A. Brauns. Nachdruck vcrbolm. Auf diese erschreckende Kunde folgte Todtenstille. Wieder sahen die Brüder sich an, Viktor's Angesicht von jähem Groll über schattet, Dudley's Züge drückten Staunen und Bedauern aus. „Jst's ihr Ernst oder nur Scherz?" flüsterte der Jüngere. „Es ist ihr Ernst", hauchte Dudley zurück. „Und eigentlich ist'S nicht zum Verwundern — sie ist noch so jung und niedlich! Wir dürfen nicht selbstsüchtig sein und uns unzufrieden zeigen, da sie doch so sehr gut mit uns gewesen." Keiner von den beiden jungen Männern hatte sich je vor die Seele geführt, wie ihr Leben ohne ihre heitere, gutherzige, fleißige, kleine Freundin und Trösterin sein würde, und der Gedanke, daß sie nun für sie verloren und im Begriff stehe, ihre Zukunft einem verhältnißmäßig Fremdezr anzuvertrauen, traf sie, wie ein wuchtiger, schmerzvoller Schlag. Dudley, der Selbstbeherrschtere und weniger leicht Erregbare von ihnen, erlangte seinen Gleichmuth zuerst wieder. „Laß uns auf Dein Glück anstoßen!" rief er heiter. „Warum aber ist Doctor Gilles nicht auch anwesend beim Hochzeits frühstück?" „Ich dachte, Ihr würdet mich zum letzten Male lieber allein für Euch haben", erwiderte die Stiefmutter, ihren Kopf auf richtend und die Thränen trocknend. „Und dann mußte ich Euch das Geständniß doch erst ablegen und konnte doch nicht wissen, wie Ihr es aufnehmen würdet! Ich habe gezittert, kann ich Euch versichern, und wagte nicht, Euch zuvor davon in Kenntniß zu setzen, damit Ihr mich nicht, weil ich von Euch ginge, für herzlos halten möchtet. Zugleich mußte ich aber auch die andere Seite in Betracht ziehen. Doctor Gilles ist erst fünf- undvierzig Jahre, groß und schön, gütig und reich, ein höchst intelligenter und liebenswürdiger Mann, und unser Haus wird auch das Eurige sein. Und daß mir noch ein Hrirathsantrag gemacht werde, ist doch kaum wahrscheinlich. Doctor Gilles glaubt, ich wäre erst siebenunddreißig Jahre und Viktor zwanzig; es thut ja aber nichts, wenn er das denkt! Ich habe Thränen vergossen, daß ich Euch verlassen muß — Ihr wißt nicht, wie sehr ich geweint habe! Die gütige Vorsehung aber betrachtet erficht lichermaßen meine Perheirathung nicht als ein ^Unrecht, da sie auf andere Weise für Euch sorgt — durch Zuwendung eines Theils des Revelsworth'schen Vermögens. Und nun, meine lieben, guten Jungen, wollt Ihr mir, nachdem ich Euch Alles gebeichtet, verzeihen, auch nicht übel nehmen, wenn ich mich jetzt zurückziehe, um mein Reisecostüm anzulegen?" „Schon, petita mere? Um welche Zeit kommt denn Doctor Gilles?" „Mit dem Zweieinhalb-Uhr-Zuge reisen wir nach Doctor Gilles' Schlößchen ab. Nun gebt mir rasch noch einen Kuß, meine lieben, guten Jungen! Und, nicht wahr, Ihr wollt mir nicht zürnen und mich für egoistisch und herzlos halten, weil ich Euch verlasse?" wiederholte sie flehend. „Ich habe eine treff liche, ältere Person engagirt, die für Euch lochen und nach dem Rechten sehen soll und —" „Nun lauf aber und zieh' Dich rasch an, Liebe, sonst wird's zu spät!" mahnte Dudley. Durch Thränen lächelnd, verschwand sie auf diese Mahnung hin denn auch. Viktor war völlig niedergeschmettert, unfähig zu Allem und Jedem. Dudley überließ ihn seinem schwermüthigen Sinnen und eilte fort, schleunigst Einkäufe zu besorgen. Bald kehrte er wieder zurück, beladen mit einem reizenden Strauß, einer Düte feinsten Confects und einem Dutzend Glacehand schuhen, Nr. 5^/2, in einem fein gemalten Seiden-Etui. Sechzig Franken seines sauer verdienten Geldes hatte er für diese Kleinig keiten geopfert, erachtete es aber für Pflicht, der petita wäre ein hübsches Andenken mitzugeben, wußte er ja doch, daß der artige Aufmerksamkeiten ihr Freude bereiteten. Und hocherfreut war sie auch, als sie ein paar Minuten später in einem chicen Reisecostüm von grauem Plüsch mit Pelzver brämung erschien, fort und fort ihrem „großen Jungen" gegen über sich entschuldigend und beim Anblick von Viktor's Betrübniß wiederum in Thränen ausbrechend und gerührt, und über die Maßen entzückt von Dudley's niedlichen Geschenken. „Sie müßten recht bedacht sein auf ihre Gesundheit und ihr jeden Tag schreiben, ihr auch Alles über die Revelsworth'sche Angelegenheit und ihre englischen Verwandten berichten und vor allen Dingen sie — ihre petita möra — nicht für garstig halten." Eben fuhr ein Coup« an der Hausthür vor, dem ein großer, kräftiger, gutlaunig aussehender Belgier mit grauem Backenbarte und in einem pelzgefütterten Ueberzieher entstieg. Es war Doctor Gilles, der nun mit strahlendem Lächeln ins vierte Stock herauf- kam, seine Neuvermählte abzuholen. Mit seinen Stiefsöhnen war er freundlich und fand Viktors Kummer beim Abschiede von seiner Mutter ganz natürlich. Er hatte aber auf Viktor's Bitten seine Abreise schon um einige Stunden hinauSgeschoben und sah während des sehr in die Länge gezogenen Abschiednehmens der ?atita verschiedene Male mit bedenklicher Miene nach seiner Uhr. „Allons, uavli anso", rief er schließlich, „der Zug wartet nicht." Und nun begleitete la kotita die vier schmalen Treppen hinab ihren neuen Herrn und Gebieter, über seine breiten Schultern gedankenvolle Blicke zurückwerfend auf den schönen Engländer und den schlichten jungen Franzosen, die sie hatte hcranwachsen sehen und mit denen sie zehn Jahre hindurch ein friedvolles Leben geführt in dem dürftigen, billigen Logis oben. Ein paar Minuten später winkte sie ihnen aus dem Coupa mit der Hand einen Abschiedsgruß zu, und die beiden jungen Männer blieben in dem scharfen Ostwinde barhäuptig auf dem Pflaster stehen, bis sie ihren Blicken entschwunden. „Sie ist fort", seufzte Dudley. „Beim Jupiter, wie werden wir sie vermissen! Nun, Viktor, alter Bursche, raffe Dich auf! Für den französischen Theil an Dir hast Du genug ge weint! Bedenke, daß Du halb englisch bist, und stecke nun die andere Seite heraus! Hier weiter zu leben ohne sic, würde un erträglich sein. Der alte Gilles scheint ein guter Kerl zu sein; sollte er sich aber einfallcn lassen, die Kleine nicht gut» zu be handeln, dann schlagen wir ihm ein Loch in den Kopf. Ich halte es für angezeigt, daß sogleich an jene Rechtsanwälte geschrieben wird; und wenn uns nur die leiseste Ermuthigung von ihnen zu geht, daß wir dann unseren Ankerplatz hier verlassen, um die Segel zu lichten nach England, unserem künftigen Heim — kurz, hin nach den Revelsworth'schen Fleischtöpfen und den imaginären schönen Cousinen!" II. Vierzehn Tage später sehen wir Dudley und Viktor Revels- worth im Bureau der Rechtsanwälte Simpson und Watt, den unendlichen Mittheilungen des älteren Partners der Firma auf merksam lauschend. Der kleine, bleiche, magere, weißhaarige Herr von gerader Haltung und gewandtem, artig zuvorkommen dem Wesen, mit dem sie seither in Briefwechsel gestanden, brachte gewisse Thatsachen, die ihnen noch unbekannt gewesen, zu ihrer Kenntniß. Ehe es jedoch bis dahin gekommen, hatten sich die beiden Brüder einem zwar in den höflichsten Fragen gestellten^ doch gründlichen Kreuzverhör unterwerfen müssen. Auf Herrn Simp- son's Wunsch waren sie nach London gereist, versehen mit nicht zu bezweifelnden Beweisen ihrer Identität, wie auch über ihre- Vater», Dudley RevelSworth sau., Bewegungen seit seinem Weg gange von England vor 43 Jahren, seine erste Ehe mit Fräulein Graham im Jahre 1856, die Geburt seines Sohnes Dudley juu. im Jahre 1863 über das zwei Jahre später erfolgte Ableben seiner Frau, von seiner folgenden zweiten Verheirathung mit Mademoiselle Viktoire Meunier, der Geburt ihres einzigen Kindes Viktor im Jahre 1867, und schließlich vom Tode Dudley Revelsworth's gen. zu Paris 1880, im Alter von 56 Jahren. In einem Puncte nur waren die Antworten der jungen Männer für den Rechtsanwalt ein Räthsel: dem Manne des Gesetzes war es geradezu unfaßbar, daß die Urenkel des be rühmten Baumwollenspinners Isaak Revelsworth über die Ver- mögensverhältnisse ihrer Verwandten in England so wenig wußten und sich so wenig darum kümmerten. „Sie sagen", bemerkte Herr Simpson, beim Sprechen den älteren der Brüder scharf durch seine Brille fixircnd, „daß Sie Beide mehrere Jahre in England auf der Schule waren?" „Fünf Jahre." „Ihre Ferien verlebten Sie in Paris bei Ihrem Vater, der sich, soviel ich verstanden, daselbst als Aquarellmaler nieder gelassen hatte? Aber während Ihres Aufenthaltes in England müssen Sie doch sicher etwas über Ihre Familie gehört haben? Die Familie Revelsworth ist so bekannt im Norden des —" „Wir waren auf einem Gymnasium in Brigthon — kleine Jungen von sieben und elf Jahren, als wir nach dort kamen —, und auf unseres Vaters speciellen Wunsch haben wir ihn nie über seine Familie befragt." „Er muß Ihnen aber doch erklärt haben, wie es gekommen, daß er seines Vaters Haus verlassen?!" „Bevcnkcn Sie doch, Herr Simpson, daß ich ein Bursch« von 17 Jahren und mein Bruder ein Kind von 13 Jahren war, als mein Vater starb. Er war ein in sich gekehrter, verschlossener Mann und spielte kaum je, soviel mir erinnerlich, auf sein früheres Leben in England an. Und dann geschah eS auch nur, um mir aufs Schärfste einzuprägen, mich im Leben selbst durch zuarbeiten, aber nie und nimmer mich an «inen des Namens Revelsworth um Unterstützung zu wenden; sonst vermied er ge- flissenlich das Thema von seinen Verwandten, und ich stehe unter dem Eindrücke, daß er die Behandlung, die ihm und seinem Bruder Harolv von seinem Later zu Theil geworden, sein Leben lang nicht hat verwinden können." „Ihr Vater, muß ich annehmen, war «in Mann von Ver mögen? Wahrscheinlich hatte die erste oder die zweite Frau Revelsworth Gelv und—" „Die erste Frau meines Vaters war ein« englische Erzieherin und di« zweite Re Tochter eines Zeichenlehrers. Kein« von Betdrn hatte Vermögen; und ich werde stet» der Ansicht blechen",
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