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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.05.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-05-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010509017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901050901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901050901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-05
- Tag1901-05-09
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Äitttsölatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Volizei-Nmtes der Ltadt Leipzig. 234. Donnerstag den 9. Mai 1901. Anzeigen «Preis die Sgespaltene Petitzelle 25 H. Reclamen unter dem Redacttonsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familirnnach- richten lü gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Osfertenannahme 25 H (excl. Porto). Yrtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Postbefördrrung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Holz in Leipzig. 85. Jahrgang. Zur Vorgeschichte des Sturzes Miquel's. * Der Sturz des FinanzministerS vr. v. Miquel erweckt die Erinnerung an jene vielbesprochenen Rede, in der der Centrumsführer vr. Lieber am 24. September 1899 in Mainz eine förmliche Kriegserklärung gegen den damaligen Vicepräsidenten deö preußischen Staatsministeriums erließ, den er beschuldigte, das Centrum aus seiner ausschlaggebenden Stellung verdränge» zu wollen. In dieser Rede hieß es wörtlich: „Ich kann wohl sagen, daß es einen Herrn im preußischen Staalsministerium giebt, der nichts sehnlicher wünscht, als das Centrum auS seiner ausschlaggebenden Stellung zu verdrängen, und der nichts mehr erhofft, als in der bevor- stehenden Tagung des nur vertagten Reichstages gelegentlich der Zuchthaus.Vorlage, der Militär-Vorlage und was sonst noch, an der maßgebendsten Stelle des Reiches den Eindruck zu erwecken: Zwar haben wir Conservativen mit unnachahmlicher Kühnheit Dir Deinen Canal verdorben, aber doch sind wir, wenn es darauf ankommt, die einzig sicheren Stützen von Thron und Altar! Ich denke, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt; der Herr wird mich verstehen, von dem ich rede." Herr vr. Lieber durfte damals wohl hoffen, Herrn vr. Miquel zu Falle zu bringen. Die erste Canalvorlage war durch die Conservativen und einen Theil des Centrums zu Falle gebracht und die canalfeindlichen beamteten Mit glieder des Abgeordnetenhauses waren gemaßregelt worden; nicht nur ein Theil der preußischen nationalliberalen Blätter, denen der Finanzminister nicht canalfanatisch genug war und die einen ibnen genehmeren Mann an Miquel'S Stelle wünschten, sondern auch die Conserva tiven, denen Miquel immer noch zu canalfreundlich war und die ihn für die Maßregelung der canalgegnerischen be amteten Abgeordneten verantwortlich machten, suchten die Stellung Miquel's zu erschüttern. Wir warnten damals die preußischen nationalliberalen Blätter, unter denen die „Köln. Zeitung" sich durch Feindseligkeiten gegen den Finanzminister besonders hervorthat, vor Unterstützung der Lieber'schen Pläne und sagten voraus (Morgenausgabe vom 27. September 1899) ihr Gelingen müßte zur Folge haben, daß die klerikal-kon servative Coalition der inneren deutschen Politik des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts den Stempel aufdrücken würde. Aber die Miquel-Hetze dauerte fort; besonders leb haft wurde sie von der „Kreuzzeitung" und der „Deutschen Tageszeitung" betrieben, bis plötzlich am 29. September ein Umschwung erfolgte. Die „Kreuzztg." batte eingesehen, daß sie dem CentrumSsührer auf den Leim gegangen war, und veröffentlichte daher unter der Uebcrschrift „Ein politisches Jntriguenspiel" einen Artikel, der folgendermaßen anhob: „Die Kreuzzeitung" hat in ihrer Nummer 452 von Ge rüchten Notiz genommen, die dem Vicepräsidenten des Staats- ministeriumS vr. v. Miquel den Vorwurf machten, einerseits zur Zuspitzung des Gegensatzes zwischen den Conser- vativeu und der Staatsregierung beigetragen zu haben, andererseits an der Maßregelung der Beamten stark be theil igt zu fein. Wir gaben unseren Lesern von diesem Gerücht Kenntniß und knüpften unter dem Vorbehalt, „wenn diese Dar- stellung richtig ist", daran unsere Bemerkungen. Schon der Jubel, mit dem die Presse des Centrums und der ganzen Linken daraus sehr voreilig auf einen Bruch zwischen den Conservativen und dem Minister schloß, insbesondere aber die kurz darauf von uns (in Nr. 554) veröffentlichte, von anderer Seite stammende, sehr bestimmt gefaßte Mittheilung machte es uns zweifelhaft, ob die damals von uns wiedergegebenen Anschauungen unsere» Gewährsmannes richtig feien. Wir haben inzwischen die Möglichkeit gehabt, uns nach allen in Betracht kommenden Seiten hin zu orten- tirru, und wollen die gewiß interessanten Ergebnisse unseren Lesern nicht vorenthalten." Diese interessanten Ergebnisse waren die folgenden: „Daß im Augenblick eine von langer Hand angelegte Jntrigue in da» Stadium der KrifiS zu treten im Begriff siebt, ist so Aar zu Tag« getreten, daß darüber eine Täuschung nicht mehr möglich ist. Here vr. Lieber hat durch die große Kundgebung seiner Mainzer Red« nur fortgesetzt, was die „Kölnisch« Zeitung" seit Monaten predigt« und die Demokratie aller Richtungen von jeher erstrebte, nur mit dem eine« wesentlicht» Unterschiede, daß er dem Eentrum und durch daS Eentrom sich selber die Führung in der Campagne zu sichern bemüht ist, durch welche auf die Beseitigung de« Bieepräst- dentru de» StaatSmiatsteriumS hingearbeitet werden soll, vr. Lieber'» Absicht war ohne jeden Zweifel, gehörigen Ort» die Vorstellung zu erwecken, daß der ihm und Anderen unbequeme Staatsmann von den großen politischen Parteien ver lasse« sei «nd daher anch der Regierung nicht länger von Nutzen sei« könne. So orakelt« er denn im Namen des Centrum», obgleich osfr «kundig ist, daß in dieser wie in andere« Fragen bet Weitem nicht di« ganze Partei zu ihm steht. Die Hälfte des Centrum» etwa wünscht keine-weg» die Be tätigung de» Finanzminister«, noch anch ein« Politik, die mit der Linken gegen die Conservativen geht. Denn, darüber darf man sich nicht täuschen, da« wäre di« nothwrndige Folge, die der Sturz de« Minister« durch de« vr. Lieber nach sich ziehen müßte, zumal wen» di« Couservativen veranlaßt werden könnten, unter Ver- keaanag de« eigene» Interesse«, anch ihrerseits in da« Gefolge de« CentrumSsührer» für dies« «ine Hauptaction zu treten. Gtz «tbrigt, «nr, von «»»sexvnttver Seit« «in, Art Decla ration gegen den Minister zu erwirken, um den Schein einer Gemeinsamkeit zu gewinnen und dann, mit der geschlossenen Kette pubiicistischer Kundgebungen be- waffnet, den Mann zu Fall zu bringen." Nachdem dann die „Kreuzztg." der Ueberzeugung Ausdruck gegeben, daß das Gerücht von Absichten des Ministers gegen die Conservativen und von seiner Haltung in der Beamten frage lediglich im Hinblick auf die Conservativen auSgestreut worden sei, kam das conservative Blatt zu dem Schluffe: „Jetzt, da wir bestimmt wissen, daß dieses Gerücht lancirt wurde, um zum Vortheil des Ccntrums einen unheilbaren Riß zwischen den Conservativen und dem Minister herbeizufijhren, freuen wir uns um so mehr, unsere Schlüsse mit Vorbehalt gezogen zu haben. Mit unrichtigen Prämissen fallen auch die Folgerungen, vr. v. Miquel hat zudem, wie wir jetzt gleichfalls bestimmt zu wissen glauben, alles was an ihm liegt, gethan, um das natürliche Verhält» niß festen Zusammenwirkens zwischen Len Conserva tiven und der Staatsregierung wieder auzubahnen, weil er darin eine politische Nothwendigkeit sür Preußen erblickt. Wir sind derselben Meinung und jedem Ausgleich geneigt, der für die conservative Partei ehrenvoll und billig ist. . . . Die conservative Partei wird selbstver ständlich ein Spiel nicht mitmachen, das in seinen nothwendigen Consequenzrn zur Herrschaft des Centrums und seines demokratisch-liberalen Gefolges in Preußen führen müßte."" Wir faßten (Abendausgabe vom 30. September 1899) den Jnbalt dieser Auslassung folgendermaßen zusammen: Das heißt also mit kurzen Worten: „Wir waren dem Centrums- sührer, obgleich sein Jntriguenspiel sehr durchsichtig war, auf den Leim gegangen, hatten ihm den Gefallen gethan, uns an der Miquelhetze zu betheiligen, ohne uns vorher über den wirklichen Thatbestand zu erkundigen, und sehen uns deshalb jetzt genöthigt, Herrn v. Miquel Ehrenerklärung und Abbitte zu leisten." Herr Miquel war gerettet, Herr vr. Lieber sah ein, daß er die Sache ungeschickt eingefädelt hatte. Aber den Plan, Herrn v. Miquel zu stürzen, gab er nicht auf. Am 28. Ockober 1899 hielt er in Köln abermals eine Rede, in der er zwar bestritt, Herrn v. Miquel persönlich einer Jntrigue gegen das Centrum beschuldigt zu haben, aber die Behauptung von der Existenz einer solchen Jntrigue aufrecht erhielt, den an geblichen Intriganten drohte, in Berlin ihre „ganze schwarze Wäsche" vor dem ganzen deutschen Volke zu waschen, und zum Schluffe „im Namen aller deutschen Katholiken" er klärte, diese würden „dem Kaiser in allen Dingen folgen, die gerecht und billig von ihm verlangt würden", aber auch den Wunsch und die Hoffnung aussprach, der Kaiser möge sich über die Absichten des Centrums nicht wie bisher auS „trüben Quellen" unterrichten. Kein Mensch war im Unklaren darüber, wen der Centiumsführer als die Seele der angeblich gegen ihn und die Seinen angezettelten Jntrigue angesehen wissen, welche „trübe Quelle" er verstopft wissen wollte und welchen Preis er zu zahlen bereit war. Aber auch dieser Versuch, die maßgebende Stelle im Reiche und in Preußen gegen Herrn v. Miquel einzunehmen, blieb erfolglos. Fürst Hohenlohe ging, aber der Vicepräsident des preußischen Staatsministeriums blieb. Nun änderte der CentrumSsührer seine Taktik. Am 6. September 1890 hielt er auf dem Katholikentage in Bonn wieder eine Rede, in der er sich aller Angriffe gegen Herrn vr. v. Miquel enthielt, aber um „recht aus giebiges Vertrauen" für die Centruinsleitung bat und seine Anhänger ersuchte, nicht mit rauhen Füßen (Kürassierstieseln) in die Netze, die er gesponnen, hinein zuspringen. Diese Mahnung hat gefruchtet; still und ohne den Zweck zu verrathen, haben die Centrumsmitglieder in der Caoalcommission des preußischen Abgeordneten hauses die neue wasserwirthschaftliche Vorlage so behandelt, daß sie zum Steine wurde, über den Herr v. Miquel fiel, und die Anhänger derselben „Kreuzztg.", die am 29. Sep tember 1899 wegen ihres Eingehens auf das klerikale Jn triguenspiel Herrn v. Miquel Ehrenerklärung und Abbitte leistete, standen Schulter an Schulter mit den Mannen des CentruniSsührerS gegen denselben Staatsmann, der den Con servativen so viel zu Liebe tbat, daß seine früheren Partei genoffen ihn deshalb deS Bruche» mit seiner ganzen Ver gangenheit beschuldigten. Sie standen Schulter an Schulter mit dem Centrum gegen diesen Mann, dem die „Kreuz zeitung" gestern nochmals da« Zeugniß au«gestellt hat, daß er schuldlo« gewesen sei an der Maßregelung der beamteten Canalgegner. So gelang dem Centrum im wunderschönen Monat Mai de« Jahre« 1901 unter dem Ministerpräsidium de« Grafen Bülow und mit Hilfe der Conservativen da«, wa« au« Mangel an solcher Hilfe unter dem Ministerpräsidinm de« Fürsten Hohenlohe nicht gelang und „gehörigen Orte«" wurde die Vorstellung erweckt, daß vr. Johanne« v. Miquel „von den großen politischen Parteien verlassen sei und daher auch der Regierung nicht länger von Nutzen se in könne". Die russische presse und Deutschland. 22 Es hat fast etwas Humoristisches, wie sich im politischen Leben immer wieder dieselben Situationen wiederholen. Als Fürst Bismarck auf dem Berliner Congreffe von 1878 Rußland gegenüber eine Haltung eingenommen hatte, die, wie er sich später selbst drastisch ausdrückte, ungefähr so war, als ob er der vierte russische Bevollmächtigte gewesen wäre, wurde er un mittelbar darauf von der russischen Presse auf das Leiven- schaftlichste angegriffen. Als er etwa 10 Jahre später energisch Front gegen die aus Anlaß der Verjagung des Fürsten Alexan der von Bulgarien stark russenfeindliche Stimmung der deutschen öffentlichen Meinung Front machte und im Reichstage rund heraus erklärte (11. Januar 1887): „Unsere Freundschaft mit Rußland ist auch heute über jeden Zweifel erhaben", und dann weiter: „Bulgarien ist uns Hecuba", engagirte sich bald darauf bei den damals einander rasch folgenden deutsch-französischen Grenz zwischenfällen die russische Presse lebhaft für Frankreich, und es wurde in demselben Jahre (1887) jene Jntrigue mit den ge fälschten Actenzetteln angezettelt, durch die Dem damali-xn russischen Kaiser die falsche Vorstellung beigebracht werden sollte, Bismarck spielte in der bulgarischen Frage ein doppeltes Spiel. Aehnlick wie damals Bismarck über Bulgarien, so hat sich im März Graf Bülow über die Mandschurei ausgesprochen, aber siehe da: statt dankbar zu sein, ergeht sich die russische Presse in leidenschaftlichen Angriffen gegen Deutschland und die Politik des leitenden deutschen Staatsmannes. Obgleich doch Rußland die Occupation der Mandschurei ganz auf eigene Faust durch geführt hat, obgleich es durch den Bau der sibirischen Eisenbahn vargethan hat, welchen großen wirthschaftlichen und strategischen Werth es seinen nord und ostasiatischen Besitzungen beimißt, ob gleich es seit der Beendigung des chinesisch-japanischen Krieges fast ununterbrochen Truppenverstärkungen nach Ostasien und Centralasien geschickt und dadurch documentirt hat, daß es gegen alle Eventualitäten in Asien gerüstet sein wolle, und daß es be stimmt mit solchen Eventualitäten rechne, obgleich es endlich im letzten Jahrzehnt der asiatischen Politik eine Derartig« Aufmerk samkeit geschenkt hat, daß es darüber den europäischen Orient vergleichsweise vernachlässigt hat, wird jetzt schlang- weg behauptet, die deutsche Politik verfolge die Absicht, „auf einen langen Zeitraum die militärischen und finanziellen Kräfte Rußlands nach dem ferneren Osten abzulenken". Kann man angesichts der vorstehend angeführten und unwiderlegbaren Thatsachen die Wahrheit ärger auf den Kopf stellen? Die russische Presse begnügt sich aber nicht damit, leicht fertige Verdächtigungen gegen die deutsche Politik auszusprechen, sondern sie rasselt mit dem Säbel. Die „Nowoje Wremja" schreibt wörtlich: „Die Gesellschaft ist durch den andauernden Zu- stand der Ruhe übermüdet, sie braucht einen Wechsel der Eindrücke, und dürstet daher vor Allem nach dem Neuen, sie giebt sich Erwartungen hin." Mit einer Frivolität, der man selbst in französischen chauvinistischen Blättern nicht häufig begegnet, wird hier also ein frischer, fröhlicher Krieg gewissermaßen als Nervenkitzel für die blasicte „Gesellschaft" anempfohlen. Die internationale Socialdemokratie konnte die Friedensideen Des russischen Kaisers nicht rücksichts loser verspotten, als es hier ein conservativ-russisches, in Peters burg erscheinendes Blatt thut. Diese ungeheuerliche Frivolität rechtfertigt noch nachträglich die Verächtlichkeit, mit der Fürst Bismarck in seiner berühmten Rede vom 6. Februar 1888 speciell von der russischen Presse sprach. Er wies in dieser Rede auch darauf hin, das derartige drohende Zeitungsartikel der russischen Presse nicht viel zu be sagen hätten, Denn gerade in Rußland wiege die Autorität eines Zeitungsmannes und des Protektors, den das Blatt zu haben pflege, federleicht gegen die Autorität „Sr. Majestät des Kaisers von Rußland". Was nun den russischen Kaiser anbelangt, so dürfte er, ganz abgesehen von seiner allgemeinen Abneigung gegen den Krieg, sich sicherlich darüber klar sein, daß speciell ein Krieg mit Deutschland unter allen Umständen «in Unglück für Ruß land wäre. Denn selbst im Falle eines Sieges hätte Rußland auf eine ausgedehnte Grenze einen Staat neben sich, der jede Blöße, die sich Rußland gäbe, benutzen würde, um Rache für die Niederlage zu nehmen. Rußland mag zwar ohne viel Müh« Kirgisen und Mongolen russificiren, aber 50 Millionen eines auf seine Nationalität stolzen und culturell doch wohl im Durchschnitt- dem russischen Volke überlegenen Volkes zu unter werfen, würde ihm nie gelingen. Die gesammte russisch« Politik, mag sie nun nach dem europäischen Orient oder nach Indien oder noch Ostasien tendrren, würde also für alle Zeiten lahm gelegt sein. Nur ganz beiläufig sei noch zum Schluff« bemerkt, daß di« gegenwärtigen inneren Zustände in Rußland einen furchtbaren, auf Tod und Leben zu führenden Krieg kaum angerathen er scheinen lassen. Napoleon III. konnte freilich, als er sich aus den inneren Wirrnissen nicht mehr herausfinden konnte, den Ver such machen, durch die Ablenkung nach außen seinen Thron zu retten: er war es aus seiner Äbenteuerlaufbahn her gewöhnt, va banqnc- zu spielen, und er war schließlich nach 1870 nicht weniger, als was er noch nicht ein Dierteljahrhundert vorher ge wesen war. Wer aber einem uralten Herrschergeschlechte ent stammt, und wer sozusagen die Kron« in der Wiege vorge funden hat, vflegt weniger leichtfertig mit Scepter und Kron« zu spielen. Daß aber bei einem für Rußland unglücklichen, sein Ansehen mit einem Schlag« unendlich herabdrückendrn, dir Armee decimirenden, die wirthschaftlichen Verhältnisse auf Jahre hinaus ruinirenden Kriege mit Deutschland, die russische Dynastie auf das Aeußerste gefährdet wär«, darüber darf man sich mit Rück ficht auf die in Rußland nicht seltenen revolutionären Unter strömungen nicht im Unklaren sein. Die Wirren in China. Gin englischer Trick Aus Shanghai, 30. März, schreibt man uns: Nach d«m Abkommen Chinas mit dem Seezollamt soll dessen Leitung stets in der Hand eines Vertreters der Macht liegen, die brn größten Antbeil am Handel hat. Zweifellos ist dhi zur Zeit, wo der Vertrag abgeschlossen wurde, Großbritannien gewesen, und ebenso zweifellos ist daS auch heut« noch Groß- oritannicn. Allein es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß sich Dieses Verhältniß eines Tages ändert. Großbritanniens Handels und Schifffahrtsinteressen nehmen in China durchaus nicht in demselben Maße zu, wie die anderer Mächte, und wenn nach den amtlichen Berichten des Seezollamkes der Vorsprung, den Eng land hat, auch heute noch ungeheuer ist, so darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die Statistik dieser Behörde ein vollständig falsches Bild von den thatsächlichen Verhältnissen giebt. Das von einem Engländer geleitete Seizollamt läßt nämlich nicht die Maaren nach ihrem Ursprungsland erscheinen, sondern nach der Nationalität Der Flagge, unter welcher sie eingeführt werden. Nun kommt von Deutschlands Erzeugnissen ein sehr wesentlicher Theil über England auf britischen Schiffen nach China. Auch die Thatsache, daß ein erheblicher Theil Der Maaren, die in China eingeführt werden, zuerst nach der britischen Colonie Hongkong geht und von dort mit britischen, chinesischen u. s. w. Schiffen weiterbeföndert wird, trägt wesentlich dazu bei, das richtige Bild des Antheiles der einzelnen Nationen am chinesischen Handel zu verschieben. Die Unzufriedenheit mit diesem System nimmt neuer dings in China sehr zu, und ganz besonders sind es jetzt die Amerikaner, die den Wunsch hegen, mit ihm auszuräumen. Wie Ihr Correspondent erfährt, wird der Vertreter der Ver einigten Staaten bei der Revision der Handelsverträge auf Die Beseitigung des jetzigen Systems drängen. Daß es nur im Interesse Deutschlands liegen kann, daß dieses Bestreben erfolgreich ist, braucht nach dem oben Mitgerheilten kaum noch betont zu werden. Wenn nun auch heute das im britischen Interesse arbeitende Seczollamt dafür Sorge trägt, daß nach seinen Berichten bei den Chinesen der Glaube erweckt wird, daß der eigentliche Außen handel und der größte Theil des Küstenhandels kn englischen Händen liegt, so können doch auch di« Zahlen jenes Berichtes nicht mehr über die Thatsache hinnxgtäuschen, daß der britische Hande! uno die britische Schifffahrt nicht in demselben Maß« zunehmen, wie Die anderer Mächte. Während die Schifffahrt in den chinesischen Häfen seit 1890, was die Ein- und Ausclarirurrzen anlangt, um 122 Procent und, was die Tonnenzahl betrifft, um 64 Procrnt gestiegen ist, haben sich die Zahlen für den englischen Antheil nur um 35 resp. 43 Procent vermehrt, während die Clarirungen deutscher Schiffe um 65 'Procrnt und die des Tonnengehaltes deutscher Schiffe um 200 Procent gestiegen sind. Der An theil Großbritanniens betrug, nach dem Tonnengehalt berechnet, 1890 65 Procent der Gesammtschifffahrt, «r ist im Jahre 1900 auf 56 Procent heruntergegangen, gleichzeitig ist der Antheil Deutschlanvs von 5s/z auf 10 Procent gestiegen. Thatsächlich ist natürlich das Verhältniß noch viel ungünstiger für England, und selbst wenn das alte, irreführende System der Statistik bei behalten werden sollte, wird das für 1901, nachdem ein erheb- licher Theil der englischen Küsten fahrt in deutsche Hände üoergegangrn ist und eine ganze Reihe neuer deutscher Dampfer, namentlich für die Uangtsefahrt, eingestellt wurde, sich ausweisen. * London, 8. Mai. (Telegramm.) „Reuter'» Bureau" be richtet aus Peking unter dem 7. Mai: Die Antwort Chinas auf die Collectivnote, betreffs der Entschädigung-frage, wird Ende dieser Woche erwartet. Sie enthält wahrscheinlich den Vorschlag, die Entschädigung durch eine Zollerhöhung aufzubringcn. Es wird für wahrscheinlich erachtet, daß die Mächte in gewissem Maße einer solchen Maßregel zustimmen als Entgelt» für die Concessionen Chinas, wie die gänzliche Abschaffung der Likinabgabe, die Regrluug der Einfuhrzölle auf dem Goldsuße, die wirklich freie Schiff fahrt auf den Binnengewässern und die Beseitigung der SchissfahrtShindernisse zwischen Taku und Wusung., Die Gesandten sind nicht in der Lage, zuzugrben, daß eS Wünschens werth sei, ganz China für den Handel und für Niederlassungen zu eröffnen. Einige Gesandte sind der Ansicht, daß das bedeuten würde, von China zu verlangen, daß es eine zu große Verantwortlichkeit übernimmt, und daß eS bei dem jetzigen Regierungssysteme unmöglich sei, für die Sicherheit der zahlreichen Fremde» zu bürgen, di« inS Innere deS Reiches strömen, wenn es ganz geöffnet werde. * Paris, 8. Mai. (Telegramm.) Die hiesige Ausgabe der „Newyork Herold" berichtet aus Peking: Bei einem Feste, da» der englische General Goselee zu Ehren der amerikanischen Officiere gab, hielt der amerikanische General Chaffee eine Rede, in der er unter Anderem sagte: „Mögen die Könige, Minister und Politiker sagen, waS sie wollen, ich kanu mich dafür verbürgen, daß die Amerikaner und die Eng länder niemals auf dem Schlachtfelde einander gegen- überstehen werden. Die internationale Politik mag da- Be- streben haben, internationale Verwickelungen zu vermelden, aber wenn die Umstände uns zwingen, zu wählen und Partei zu er- greifen, dann würden wir gewiß aus Seiten der Engländer steheu." Dies« Rede wird in englischen Sreiseu lebhaft besprochen. Der Lrieg in Südafrika. Die englischen Verluste Man schreibt uns aus London unter -em 7. Mai: Die meisten Londoner Morginblätter haben heute nur bittere Bemerkungin und Betrachtungen, indem sie die gestern Abenv vom Kriegsamte veröffentlichte Total - Verlustliste der britischen Feldarmee in Südafrika per Ende April wiedrrpebrn und besprechen. Dieselbe ist allerdings auch mehr wie geeignet, die kriegsmüden Genriither in England, die Tausende von Fa milien, welch« durch diese Verlustliste betroffrn worden find, noch mehr zu verbittern und gegen den Krieg aufznbringen. Bi» zum 30. April d. I. betrugen die englischen Verluste an Tobten 714 Officiere und 14 264 Unteroffici«« und Mannschaften, wovon allein 232 Officiere und 8949 Mann an Krankheiten gestorben find. An Vermißten und Gefangenen werden 7 Officiere und 744 Mann aufgeführt., während 1977 Officiere und 45 762 Unter- officiert und Mannschaften al« Invaliden nach Hause gesanvt wurden, von denen natürlich ebenfalls ein« größere AnzaHl später noch starben. Die Gesammtziffer der Abgänge betragt also 63 498 oder mehr als ein Viertel der ganzen rie sigen Armee, welche in den verfloffenen 19 KriegSmonatea
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