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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.05.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-05-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190105122
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19010512
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19010512
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-05
- Tag1901-05-12
- Monat1901-05
- Jahr1901
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.05.1901
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Auzeigeu'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile SS H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiemwch« richte» (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz «utsprecheud höher. — Gebühren für Nachweisungen u»d Offerteoannahme 35 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesärderung -6 60.—, mit Postbesürderuug ^tl 70.—. Iinaahmeschlnß für JUyeige«: Abend-AuSgab«: vormittags 10 Uhr. Morgeu-LuSgab«: Nachmittags 4 Uhr. Bei de» Filialen und Annahmestelle» je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet vo« früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol- in Leipzig 24V. Sonntag den 12. Mai 1901. 95. Jahrgang. Aus der Woche. ES giebt Leute, die glauben oder sich einreden, mit der «Umbildung-des preußischen Staats Ministeriums sei eine Gewähr für die Einheitlichkeit der Regierung gegeben. „Jetzt erst", sagt ein Berliner Blatt mit einem nicht gerade freundlichen Seitenblick ans Herrn v. Miquel, „giebt eS ein Ministerium Bülow". Diesem Urtheile wie jener Hoffnung liegt eine schiefe Auffassung der Geschichte der letzten zehn Jahre zu Grunde. Es ist nicht so gewesen, daß die Minister den EabinetSchef oder sich gegenseitig aus eigener Jniatiative und aus purem Bergnügcu contrecarrirten. Wo das geschah, geschah eS auf Anregung oder auf Befehl von außen. Hierin würde sich auch gar nichts ändern, wenn der neue Minister des Innern, Frhr. v. Hammerstein, wirklich auf Wunsch des Ministerpräsidenten und nicht aus kaiserlicher Initiative er nannt worden sein sollte. Eine Besserung wäre nur möglich, wenn die Minister Minister würden und nicht- aus führten, was sie nicht billigen. Aber selbst Graf Bülow bat für Handlungen und für Reden, die Handlungen politisch gleichkonimen, nachträglich die Verantwortung über- nommen, obwohl er sie nicht empfohlen — Beispiele stehen zur Verfügung. Wenn eS jetzt wirklich ein „Ministerium Bülow" giebt, so ist eS ein Ministerium Bülow ohne einen Minister Bülow. Daß man als Minister seine Entlassung auch nehmen kann, ist eine Kcnntniß, die in Preußen gänzlich abhanden gekommen ist, und dies ist die Grundursache alles UebelS. So wird Alles beim Alten bleiben, in der inneren, wie in der äußeren Politik. Zum Glücke scheint zwischen der Krone und dem ersten verantwortlichen Beamten in den zwei Hauptfragen der nächsten Zukunft eine — freilich auch nur, wie es in der Natur der gegenwärtigen Dinge liegt, vorläufige — Ueber- einstimmung zu bestehen. Rechtsagrarische Preßorgane deuten an oder behaupten geradezu, beim Grafen Bülow habe sich ein Umschwung der Meinung über die Zollschntz- bedürstigkeil der 8andwirthsch aft vollzogen. Aber eS ist nicht der geringste Anhaltepunct für die Annahme vorhanden, daß der Kanzler jetzt anders denke, als bei der Abgabe jener beiden Erklärungen, die den Beifall der Conservativen und der Mittelparteien gefunden und das Mißfalle» der Freihändler erregt haben. Graf Bülow will Handelsverträge und vermehrten Zollschutz für landwirthschaftlicbe Erzeugnisse und der neu berufene Handelsminister ist bisher außerhalb der Regierung der eifrigste Vertreter dieses Doppelgedankens gewesen. Allerdings, wenn Jemand au« den Worten des Kanzlers die Zusage von Zollsätzen, wie sie die nicderbayeriscken Bauern- bündler und Herr Ör. Hahn begehren, herausgehört hätte, so könnte er jetzt von einem Meinungswechsel sprechen, aber Derartiges konnte Niemand den Erklärungen des Grafen Bülow entnehmen, denn jene exorbitanten Forderungen sind mit irgendeiner Handelsvertragspolitik schlechterdings unver einbar und sie sind auch vor Allem aufgestellt, um den Ab schluß von Handelsverträgen zu verhindern. Die zollpolitische Auffassung de- Kanzlers ist zur Zeit die des Monarchen und auch über da- Verhalten in der Canalangelegenheit besteht Uebereinstiinnrung. Der Canal kommt in der nächsten Landtagssession nicht und er bleibt deshalb künftig „unverworren- mit der Sache de« Zolltarifs. Die Verkoppelung kann gar nicht noch einmal vorgenommen werden, denn die Regierungen von wenigstens zwei großen Einzelstaaten haben sich über die früher ohne Frage thatsäcklich beobachtete, wenn auch nicht proclamirte „Verschluckung-" - Tactik geäußert. Ob dies den Entschluß, die Canalverbandlungen durch Landtagsschluß abzubrechen, erleichtert hat, wlfsen wir nicht. Wenn also ein Blatt zur Ernennung des Freiherr» von Hammerstein schreibt: „Die Beamten müßten wissen, baß sie Kandare geritten würden, wenn sie agitatorisch gegen den Willen der Krone austreten sollten", so braucht sich der neue Minister des Innern wenigstens wegen des Canals im nächsten Winter noch nicht danach zu richten. Wir würden den Rath, so sehr uns die geschmackvolle Form, in die er gekleidet ist, gefällt, nicht gegeven haben. Denn erfahrungs gemäß führt solcher Ritt die Gerittenen in höhere Aemter und den Reiter manchmal in Pension. Vergl. zu Letzterem Freiherrn v. d. Recke. Wenn der Canal nicht zur Berathung steht, so regt — auch die- hat die Er fahrung gezeigt — sein zweifelhafte- Schicksal wenig auf. DaS Projekt ist schon recht altbacken und in Berlin ist man heutzutage für frische Semmeln eingenommen. Die zuletzt erwähnte Zeitungsbemerkung ist, wie gesagt, sehr anmuthig und überhaupt hat die Presse der Linken in diesen kritischen Tagen außerordentliche sprachliche Feinheiten anS Licht gebracht. Insbesondere waren sie Herrn v. Miquel gewidmet. „Der alte Fuchs sitzt fest im Eisen", „er endigte als Schweinehüter der ostelbischen Junker schaft", daS sind ein paar Proben demokratischen Stil-. Am vornehmsten zeigte sich, wie immer, Herr Eugen Richter, dieser politsche NichtS-Könner, der e« dem gestürzten Finanz- Minister nicht verzeihen kann, daß er etwa« gekonnt und geleistet hat. Immerhin fährt Herr v. Miquel noch etwas besser, als seiner Zeit Fürst BiSmarck, dem der einstmalige freisinnige Führer — jetzr ist nichts mebr zum Führen da — bescheinigte, er, der erste Kanzler, habe sich durch Morphiumgenuß und übermäßige» Cognactrinken zur Weiterführung seines Amte- unfähig gemacht. Die Erzählung vom Morphinismus — von Aerzten de- Freisinns ausgehend — war, beiläufig bemerkt, vor der Entlassung an eine sehr hohe Stelle gedrungen und dort, wie geschichtlich erwiesen, geglaubt worden. Der gleichen also ist Miquel nicht nachgesagt; im Uebriara wurde leider auch in einem Theile der nicht extremen Presse dem zurücktretenden Minister eine Behandlung zu Tbeil, die Deutschland nicht zur Ehr« gereicht. Miquel's Rus in der fremdländischen Finanzwissenschast ist groß, wir sind seinem Namen als dem eines hervorragenden Resormcameralisten in englischen und französischen wissenschaftlichen Abhandlungen und sogar in Lehrbüchern begegnet. In jedem andern Laude der Welt würde man sich bei dem Sturze eines solchen Mannes in fünf Zeilen mit dem politischen Gegner ab gefunden haben und hierauf zur Würdigung des verdienten und berühmten LandSmauneS, der der Heimath Ehren in der Fremde gemehrt, überAeganaen sein. In Deutschland aber ist eine beschämende Pobelhaftigkeit zu Tage getreten. Freilich wurde da- compensirt durch die Spracht grenzen loser Bewunderung, in der manche Blätter die — neuen Minister begrüßten. Eine« machte für einen sogar eine Anleihe bei Goethe'« Gretchen, indem e« — Thatsache! — seine schöne Gestalt und seiner Augen Gewalt besang. Und dabei ist dieser Minister nicht einmal wie Faust, al- er seine Professur gegen andere Beschäftigungen vertauschte, beim Amts antritte behuf« Verjüngung in der Hexenküche gewesen. Gegen den Beschluß, den Reichstag zu vertagen, anstatt zu schließen, wird in der Presse wenig eingewendtt. Man befürchtet nicht, daß die Rückstände, die dadurch in den nächsten Winter hinübergeschafft werden, die Arbeiten für den Zoll tarif beeinträchtigen. Kurz vor seinem Verschwinden bat der Reichstag sich noch einmal eia zweifelhaftes Zrugniß au-gestellt, indem er den Diätenantrag des CentrumS in durchaus unauSgereisiem uud gegen den ursprünglichen Entwurf noch verschlechtertem Zu stande zu Beschluß erhob. Für die Regierung ist unseres Erachtens die Zurückweisung dieses DiätcngesetzcS Pflicht. Wir bedauern den AuSgang, obwohl uns, wie wir wieder holt auSgeführt, unter anderen Befürchtungen auch diejenige nicht fremd ist, daß hohe AnwesenheitSgelder die Verschleppung der Verhandlungen begünstigen könnten. Sagt auch ein mit dem Beschlüsse zufriedenes Münchener Blatt, nachdem «S fest gestellt, daß in Bayern die Diätengewähruna diese üble Wirkung äußert, eS glaube nicht, „daß der Reichstag daS probate Verfahren unserer braven (bayerischen) Volksvertreter sogleich nach Bewilligung von Diäten acceptiren wird", so wird doch vielleicht nach vier Wochen geschehen, waS sogleich nicht zu erwarten ist. Jesuitentaktik. Die „Köln. VoltSztg." schreibt: „Wie die hoch- verrätherische „Los von Rom"-Bewegung in Oesterreich durch die Protestanten des deutschen Reiches gefördert wird, zeigt ein Aufruf ar. die „lieben Glaubens genossen" in dem durch seine Toleranz weltberühmten Herzog- thum Braunschweig. Derselbe ist mit zahlreichen Unter schriften auS Stadt und Land bedeckt. Mit rührender Ein- müthigkeit vereinigen sich Hier, wo es gegen „Rom" geht, die verschiedensten religiösen und politischen Richtungen. Als Macher des Ganzen treten überall die Pastoren hervor, wäh rend die St atsbeamten durchweg sich zurückgehalten haben." Es sei zunächst beiläufig bemerkt, daß die Klerikalen am wenigsten Ursache haben, von „hochverrätherischen" Be strebungen in Verbindung mit dem Verhältnisse Deutschlands zu den alliirten Staaten zu sprechen. Es sei nur daran er innert, daß erst vor wenigen Wochen di« klerikale Presse mit einem oeroächtigen Eifer die Abwendung Italiens vom Dreibünde fest- zustellen suchte; es sei aber auch gerade in Bezug auf das Ver- hältniß zu Oesterreich daran erinnert, daß, als Kaiser Franz Joseph im Jahre 1894 d«n ungarischen Gesehen über die Civil- ehe und über die Religion der Kinder auS Mischehen zustimmte, die deutsche klerikale Presse das greise Oberhaupt deS öster reichisch-ungarischen Staates mit groben Schmähungen über- schütt«te. Wenn also diese Presse sich jetzt als treuen Wächter der Jntactheit der habsburgischen Dynastie aufspielt, so ist dies einigermaßen verdächtig. Es ist nun ein Jesuitenstückchen, di« „Los von Rom"-Bewegunz schlechthin als hochverrätherisch hinzustellen und daraufhin deutsch« Protestanten zu beschuldigen, ein« argen die habsburgische Dynastie gerichtete Bewegung zu unterstützen. Die „Los von Rom"-Bewegung ist entstanden nicht au- einer Abneigung gegen di« habsburgische Dynastie oder Hegen das österreichische Staats wesen, sondern aus dem Zorne über das hochverrätherische Ge bühren des österreichischen KlerikalismuS, der in dem Kampfe, den das Drutschthum um der Selbsterhaltung willen gegen di« Badeni'schen Sprachenverordnungen und gegen den Ansturm des Tschechenthums führen mußte, sich an die Seite der Feinde des DeutschthumS stellte, ja sogar in gewisser Weise die , Führung übernahm, indem «in deutsch-klerikaler Abgeordneter sich von den Feinden der deutschen Sache zum Präsidenten -wählen ließ und all« Mittel an-wandte, um di« Deutschen im parlamentarischen Kampfe mundtod zu machen. Nur der Ekel über diese Ge sinnungslosigkeit und über die auch hier wieder in der cynischsten Weise bekundete Jnternationalität des Klerika- liSmuS entfachte die „Los von Rom"-Dewegunz. Die Tau sende von Bauern in den österreichischen GebirgSländern, die sich dieser Bewegung angeschloffen haben, sind in ihrem Herzen sicher lich bessere Oesterreicher als die Jesuiten, die in Wien Triumph umzüge veranstalten, und als die mit den Jesuiten verbündete Feudalaristokratie. Es mag sein, daß ein kleiner Bruchtheil der in Oesterreich zum Protestantismus Uebergetretenen damit auch politische Con sequenzen verknüpft sehen möchte. Zur Entschuldigung dieser Männer sei an das Wort Wallenstein's erinnert: „Und kann'S der Sohn vergessen, daß der Vater mit Hunden in dte Messe ward gehetzt?" Können es die Nachkommen der Geschlechter, die aus dem österreichischen Ländergewirr erst «inen Staat gemacht haben und denen jeder kulturelle Fortschritt dieses Landes zu verdanken ist, so leicht vergessen, wie groß das Verdienst ihrer Väter war? Und müssen sie nicht erbittert werden, wenn fk damit di« Be strebungen zur Unterdrückung der deutschen Rechte vergleichen? Ist eS da nicht naheliegend, daß sie an der Möglichkeit, noch je mals in Oesterreich zu ihrem Rechte zu gelangen, verzweifeln und nach dem Land« Hinblicken, das den Mittelpunkt d«S Deutsch- thums bildet? Wir wiederholen aber, daß dies nur ein Bruchtheil ist und daß die große Mehrheit auch der evangelischen Deutsch-Oester- reicher an dcm Vaterland« festhält, so sauer eS ihr auch ge macht werden mag. Die reichsdeutschen Protestanten aber vollends denken bei der Unterstützung^r Bewegung lediglich an die religiöse Serie der Sacke und an dk Forderung deutscher StammeSainossen. Die „Köln. Dolksztg." hebt ja selbst hervor, daß .al« Macher de» Ganzen" überall di« Pastoren hervorträten. Gerade die» kennzeichnet doch die religiöse Seit« der Bewegung, und die „Köln. Bolksztz." würde sich sicherlich auch nicht wundern, wenn an die Spitz« von Bestrebungen zur Unter, stützung bei der katholistrenden Bewegung Capläne und Bischöfe träten. Auch der Umstand, daß gerade im Herzogthum Braun schweig bi« Bewegung lebhaft unterstützt wird, spricht für unsere Auffassung. In Braunschweig spielt, wie die letzten Wahlen gezeigt haben, das Welfenthum noch eine recht erhebliche Rolle. Nun sind die Welfen aber immer besondere Freunde oer hadsburgischen Dynastie gewesen. Wenn also di« „Köln. -Volks zeitung" selbst constatirt, daß „die verschiedensten politischen Rich tungen" in Braunschweig die „Los von Rom"-Bewegung unier- stützen, so geht auch daraus hervor, daß die -Braunschweiger In dieser Bewegung nur religiöse, aber keine aus die Losreitzung von Oesterreich gerichteten Ziele erblicken. Vielleicht erblickt aber das klerikale Blatt das „Hochverrätherische" schon darin, wenn überhaupt irgendwo p r o t c st a n ti s i r e n de Propaganda getrieben wird. Dann thäte das Blatt gut, dies deutlich zum Ausdrucke zu bringen. Der Krieg in Südafrika. Johannesburger Leben. Aus Johannesburg, Anfang April, schreibt man unS: Das bedeutsamste Ereigniß der letzten Zeit war die Ankunft S i r Alfred Milner's. Taz und Stunde der Ankunft war bis zum letzten Augenblick möglichst geheim gehalten; sein Em pfang war «in rein militärischer; die cioile Bevölkerung Johannesburgs murre sogar in respektvoller Entfernung ge halten; die Straßen waren auf der ganzen Strecke durch Mit glieder der Rand Rifles besetzt und für den sonstigen Verkehr gesperrt. Die Bewillkommnung Sir Alfred's, wie man den hohen Beamten hier gewöhnlich nennt, durch die Civil- bevölkerung sollte die Form einer Adresse annehmen; für Dies« wurden auf für Johannesburg nicht mehr ungewöhnlichem Wege Unterschriften gesammelt^ in den verschiedensten Banken und größeren Geschäften, sowie auf der Straße wurde dem Publi cum reichliche Gelegenheit zum Unterzeichnen der Listen gegeben. Allzu -großer Andrang machte sich durchweg nicht bemerkbar und über die stattgefundene Ueberreichung dieser Adresse hat bisher nichts verlautet. Eine Petition um Abstellung oder Erleichterung der Beschränkungen, unter denen seit zehn Monaten -die gesammte Bevölkerung Johannesburgs le-bt, würde Tausende von Unter schriften in kürzester Frist finden. Das Straßenlebcn nimmt von Tag zu Tag zu, ein Geschäft nach dem anderen wird dem Geschäftsverkehr wieder eröffnet; in manchen Fällen erfahren aber di« Eigenthümcr, daß sie mehr verdienen würden, wenn sie ehre Geschäfte geschloffen gehalten hätten, da dann wenigstens die Unkosten gespart würden; tatsächlich haben große Wein- und Spirituosenhandlungen ihre Verkaufsläden geschlossen, da Alles, was auf Lager war, ausverkauft ist und ne u< Zufuhr nicht stattfinden kann. Die Verluste, -welche den Großkauf- leuten dadurch entstehen, daß sie ihre an der -Küste liegenden Maaren nicht hierher bringen können, müssen ganz enorm sein. Die Versorgung mit Lebensmitteln gestaltet sich angenehmer; seitvem noch einige Verkaufsstellen eingerichtet sind, hat man nicht mehr nöthig, lange zu warten oder sich zu drängen und im Ge dränge stoßen zu lassen. Schon seit längerer Zeit geht das Gerücht, daß hier unter den englischen Soldaten Pest fälle vorgekommen seien; amtlich bekannt gemacht ist bisher -nichts; allerdings sin-d schon mehrfach Verhaltungsmaßregeln veröffentlicht worden, welche zur Ver hütung der Verbreitung der Pest beim etwaigen Auftreten in An wendung gebracht werden sollen; bestärkt werden auch die Ge rüchte dadurch, daß am heutigen Tage ein öffentlicher Anschlag in drei (!) Sprachen, englisch, holländisch und deutsch statt gefunden hat, in welchem für die Ablieferung jeder tobten Ratte ein« Belohnung von 20 Pence in Aussicht gestellt wird. Es ist -dies -der erste Fall, daß eine Bekanntmachung auch in deutscher Sprache gemacht wird. Sollte di« Pest hier auftreten und Ver breitung finden, so -würde ihre Bekämpfung durch den fast völligen Mangel an Desinfektionsmitteln sehr erschwert werden. Der Postverkehr läßt immer noch sehr viel zu wünschen übrig, alle Correspondenzen werden durch den Censor geöffnet und Zeitungen kommen, mit Ausnahme der eng lischen, überhaupt nicht zur Ablieferung: am 5. November vorigen Jahres sind die letzten Zutungen zur Ablieferung gelangt. Alle Ausländer erwarten denm-auch mit größter Spannung den Tag, wo Alles zur Ablieferung gelangt, und man einmal erfährt,, was Alles in -der Zeit geschehen ist. Es braucht nicht ausdrück lich erwähnt zu werden, daß die Maßnahme nicht dazu dient, die Zufriedenheit mit dem englischen Regime zu steigern; rm Gegentheil. Die gesammte Bevölkerung ist gegenwärtig über haupt in z-wei große Lager getherlt, hier England, hier Boer und Ausländer. Dara-n, daß dieses Verhältniß sich ändert und jenes gemüthlichc Durcheinander im Zusammenleben wieder zu Stande kommt, wie es trotz aller Strömungen vor dem Krieg? bestanden -hat, -haben die Engländer das größte Interesse. Die Gelegenheit, di« Ausländer zum größten Theile zu Freunden zu machen, hat sich die englische Militärbehörde entgehen lassen. Als die englischen Truppen ins Land «inzogen und Johannesburg und Pretoria «besetzten, war der Moment ein äußerst günstiger. Anstatt durch erhöhte Wachsamkeit denjenigen Dingen vorzu beugen, welche den Militärbehörden Schaden und Nachtheil ver ursachen können und di« einzelnen Personen zu fangen zu suchen, geht man gegen di- ganze Bevölkerung mit drastischen Maß regeln vor und verbittet Alles, den ganzen Verkehr hemmend. Man spricht gegenwärtig auch davon, an «inigen Gold minen die Arbeit, wenn auch in beschränktem Maße, wieder aufzunehmen (ist mittlerweile geschehen. D. Red.); eS sollen dazu di« mehr vor Angriffen seitens der Boeren geschützt liegenden Minenanlagen in Aussicht genommen sein. Man -würde aber falsch gehen, -wenn man hieraus aus ge ordnete Zustände schließen würde. Es wird aber sicherlich die Nachricht nicht verfehlen, drüben i-n England von günstigem Ein fluß in -der Beurtheiluna der Fortschritt« in den militärischen Operationen zu sein, daß „die Minen im Transvaal den Be- trieb wieder ausgenommen haben". Die Wirren in Lhina. Reformen in China nnd die «rotzmächte. Sir Robert Hart bespricht in einem neuen hochinteressanten Artikel in der „Fortnightly Review" noch einmal die Lage in China mit Bezug auf die erforderlichen Reformen und das Verhältniß der verbündeten Mächte zu dr»s:lb«n. Er führt unter Anderem aus: Dem Kaiser werden fortwährend Memoranda von seinen höheren Beamten unterbreit«!, in denen alle möglichen Vorschläge bezüglich der Wohlfahrt des Volkes enthalten sind. Nun giebt es aber in China zwei GeisteLschulen. Die «in« — und sie ist unbedingt in der Majorität — ist strfcte konservativ, und ihre Anhänger sehen stets rückwärts in di« Vergangenheit, greifen zurück auf die Weisheiten und sind fest davon überzeugt, daß jeide Abweichung vom Althergebrachten Schaden iuü> Ver derben mit sich bringen muß. Die andere Schule ist bedeutend in der Minderzahl, aber fie wächst und dehnt sich aus. Sie acceptirt Thatsachen, erkannt den Wechsel aller Dinge an, hält di« Augen offen und sieht das Leben anderer Völker, fragt, WaS vom Ausland« nach China zum Lortheile desselben eingeführt -wevden kann, und hat längst auf gehört, neue Sachen zu verdammen, nur weil sie neu oder fremd sind. Diese zweit« Schule ist zweifellos diejenige der Zukunft, und sie hat wieder zwei Unterabtheilungen, von denen die ein« sich überlegt, was China vom Ausland« adoptiven muß, um stark genug zu werden, die Fremden mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Die andere wünscht internationalen Verkehr und möchte aus dem Unvermeidlichen den besten Bortheil ziehen. Zu der letzteren Classe gehört wahrscheinlich auch der Kaiser Kwang-Hsü; aber unglücklicher Weise war er -nicht in der Lage, zu verhindern, daß die unerträglichste konservative Ge sinnung der reaktionären Partei an seinem Hofe die Oberhand über den reformatorischen Fortschritt gewann und diese bi- heute behielt. In China herrscht absolut kein Mangel an ausreichenden Ge setzen, die für ein Volk geschrieben sind, welches nicht zu den Wilden zählt, und für «in Land, in welchem jeder Allbreit Boden seinen Eigenthümer hat und nutzbar gemacht ist. Außer dem sind di« chinesischen Minister längst zu der Einsicht ge kommen, daß der Handelsverkehr mit dem Auslände viele neue Punkte für eine ergänzende Gesetzgebung Larbi-etet, und es wär« gut, wenn die Großmächte di« chinesische Regierung ermuthigen wollten, daß sie, ebenso wie in Japan, specielle Gesetze schüfe, legale Specialisten erzöge, neu« Verfahren einführte und sich d«ir der-« stände, chinesische Richter zusammen mit den fremden Confokn irr entsprechenden Fällen zu Gericht sitzen zu lassen. Ein solches Vorgehen würde den guten Willen auf allen Seiten fördern und die betreffenden Chinesen erziehen unld aufklärrn. Die Groß mächte können ebenfalls ihren Einfluß mit Bezug auf die all gemeinen Erziehungsmethoden im chinesischen Reich« ausübm und vor allen Dingen zwei Reformen befürworten: I) daß die Re gierung bei den Prüfungen ihrer Beamten u. s. w. auch di« westlich« Wissenschaft in ihren sämmtlichen Zweigen einführe, und 2) daß sie für die erfolgreichen Studirendcn officiell« uud pro fessionelle Stellungen schaffe, indem sie die betreffenden Gpecia- listen in den verschiedenen Departements der Staatsverwaltung u. s. w. unterbringe, natürlich nach vorherge^angenen Prü fungen. Der Kaiser Kwang-Hsü hat schon früher in dieser Richtung Neigungen entwickelt und wird hoffentlich damit noch einmal durchdringen. Bezüglich der Verträge mit Ausländern Wissen nur wem-ge Chinesen wirklich etwas Genaues über ihren eigentlichen Sinn und Werth, und wenn auch in der Bevölkerung zähllose Men schen durch den Verkehr mit den Fremden in mancher Hinsicht profitirt haben, so ist doch wieder für ungezählte Andere mancher Schaden erwachsen, und speciell durch die Verträge sind alte chinesische Handelsrechte u. s w schwer geschädigt worden. Die Mächte sollten eine Reform fördern, welche Mißbräuche thun- lichst ausschlicßt und die Recht« der Eingeborenen weitestgehend schützt. * Verkitt, 11. Mai. Laut telegraphischer Mittheilnng ist S. M. S. „Brandenburg", Commaudant Kapitän zur See Rosendahl, am 10. Mai in Tschifu augekommen und am 11. Mai nach Tsingtau in See gegangen. S. M. S. „Geier", Lomman- dant Corvettru-Capitän Bauer, ist am 11. Mai i» Hongkong an- gekommen. * Peking, 9. Mak. (Reuier's Bureau.) Der Gefamwk- betrag der Entschädigungsansprüche i» Höhe vo» 450 Millionen ToölS ist heute Abend den Chinesen milgetheilt wordeu. Die meisten chiuesische» Beamten scheinen die vo» de» Nichte» garautirtr 4proeentigr, in 50 Jahn» rückzahlbare Anleihe zu be fürworten, während andere, darunter Tschang-tschi-tung, glauben, daß der Betrag, ohne eine Anleihe auizonehmeu, i» fünf Jahren vollständig gezahlt werden kann. Der Hof berieth über die Mittel und Wege zur Ausbringung weiterer 20 Millionen jährlich; jedoch haben di« chinesischen Bevollmächtigten Instruction, möglichst eine Ermäßigung d«S geforderte» Indemnitäts beträge- zu erlangen. Die Indemnität ist »ur zur Deckung der Kosten der verschiedenen Regierungen bis End« Juni berechnet. — In einer heute Bormittag voa den Gesandten abgehaltene» Ver sammlung wurde beschlossen, den Lhineseu klar zu machen, daß der geforderte Betrag nicht rin bloßer Anspruch für Schadenersatz ist, sondern die Gesammtsumm« der wirklich erwachsenen Lost« dar stellt, darunter auch die von privater Seite erhobenen Lutschädignngs ausprüche. * Petersburg, 11. Mai. Der „Russisch« Invalide" verSffrnt. licht ein Telegramm des General- Wolkow vo« 80. April, in de« berichtet wird, daß die ganze Truppenabtheilnug des General« Zerpitzky am 28. April nach Mulde» zurückgekrhrt ist. Ja Siugtfintin ließ der General eia« aus drei vaffrugattangea Ibe stehend« Garnison zurück nnd statlouirte in der Stadt Japan aaf halbem Wege «ine besondere Trnpveaabtheilung. Di, verwundete» sind rbeafalls nach Mukden übergeführt worden. Deutsches Reich. /?. Verltn, II. Mai. (Die evangelischen Ar* deitervrreine und di« Gewerkschaften.) Auf der Delegirtenversammlung deS Gesammtoerbande» der evange lischen Arbeitervereine, die vom 28. bis 30. Mai dieser Jahre« in Speyer stcritfindet, wird di« Gewerk- schaft» frage den wichtigsten Gegenstand der Berat-Hungen bilden. Seit dem DreSvner Drlegirtentage ist -in dieser Be ziehung rin« gewisse Klärung einqetreten. Die «mzelnan ver bände haben fast alle in Resolutionen zur GewerkschaftSfrage er klärt, daß sie die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiter für nothwendig halten. Gewerkschaften auf evangelischer Grundlage zu bilden und deren Gründung den evangelischen Arbeitervereuuv
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