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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.04.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-04-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000425024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900042502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900042502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-04
- Tag1900-04-25
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Um mit dem Ende dieser Aufstellung anzufangen: von sieben Initiativ anträgen, also Anträgen, an denen die Parteien unmittel bar interessirt sind und die sich mit den Berufsvereinen, dem Holltarifgesetz, den Heimstätten, den Arbeitskammern, den Handelskammern im AuSlande und ähnlichen Angelegenheiten befassen, sind erst zwei zur ersten Lesung gelangt. Bon den achtundzwanzig Initiativanträgen, die im Wett lauf der Fractionen innerhalb der ersten zehn Tage nach Eröffnung des Reichstags eingegangen waren, geschäftsordnungsmäßig als gleichzeitig eingebracht erachtet werden und jetzt reichlich anderthalb Jahre alt sind, hat ein einziger, und zwar der antisemitische über die Einführung des Schächtverbots eine zweite Lesung erlebt, sechs eine erste Lesung und einundzwanzig führen ihr Dasein bisher al- nutzlose Drucksache dcS ReichStags- Lureaus. Vierundzwanzig Vorlagen zumeist statistischer Art sind noch zur „Kenntniß" zu nehmen. Erfreulicher Weise sind die Ergebnisse längst durch die TageSpresse zur Kenntniß weiterer Kreise gelangt. Von den Berichten der PetitionScommission harren neunund zwanzig der Erledigung; darunter sind zahlreiche, die Petitionsgruppen umfassen; dabei gilt das Petilionsrecht als eine- der vornehmsten der Volksvertretung. Einund zwanzig Wahlprüfungen sinv noch zu erledigen, dar unter drei Fälle, in denen die WablprüfungScommission auf „ungiltig" erkannt hat. Damit kommen wir zu den Reso lutionen, von denen noch sieben zu erledigen sind, die bisher wegen der chronischen Beschlußunfäbigkeit nicht erledigt werden konnten, obwohl die dazu gehörigen Gesetze längst Annahme gefunden haben. Bände spricht die kurze Notiz, daß der Antrag des Prinzen Schönaich-Carolath, zu dem Goethe- Denkmal in einem Nachtrags für 1899 eine Summe von 50 000 als Reichsbeitrag auSzuwerfen, noch immer der Abstimmung harrt, nachdem er vergebens in drei verschiedenen Sitzungen aus der Tagesordnung gestanden. Vorlagen, die noch zu erledigen sind, giebt es nicht weniger als achtzehn. Mitten in der dritten Lesung mußten abgebrochen werden die Abänderung der Gewerbeordnung und die sogenannte lex Heinze, selbstverständlich wegen Beschlußunfähig keit, und auS demselben Grunde harrt noch ein Antrag dec Erledigung, der Monate alt und — es mutbet wie eine bittere Ironie an — als „schleuniger Antrag" eingebracht worden ist; er behandelt die Frage, ob ein ReichStagsabgr- ordneter, nachdem er in ConcurS gerathen, sein Mandat weiter auSüben darf, eine Frage, die von der mit dem An träge betrauten Commission verneint worden ist, obwohl ein in ConcurS befindlicher ReichSangehöriger überhaupt nicht gewählt werden darf. Trotz dieser Fülle von Aufgaben, die das Haus noch zu bewältigen hat, bot das Haus gestern den alten kläglichen Anblick; eS waren im Wesentlichen nnr die selben Mitglieder anwesend, die in den verflossenen Monaten der Session fast ausschließlich die Last der Plenarsitzungen und der CommissiouSberathungen zu tragen hatten. ES fehlten also mehr al- 350! Wie bitter skandalöse Zu- Mittwoch den stand beseitigt werden soll, nachdem die unauS-1 gesetzten Mahnungen in den öffentlichen Organen und I die wiederholten Einwirkungen auS dem Reichstage > selbst vergeblich gewesen, mag untersuchen, wer an Sisyphusarbeit besonderes Gefallen findet. — Neber die gestrige Leistung des Hauses ist wenig zu sagen. Den ersten Gegenstand der Tagesordnung, daö zwischen dem Reiche und Oesterreich-Ungarn zum Schutze der Urheber rechte an Werken der Literatur, Kunst und Photographie abgeschlossene Uebereinkommen, mußten die Anwesenden trotz mancher Bedenken in erster und zweiter Lesung hinunter schlucken, denn da- Uebereinkommen ist eben abgeschlossen und nicht mehr zu verbessern. Ueber den zweiten Gegenstand, den Gesetzentwurf über die Bekämpfung gemein gefährlicher Krankheiten, wurde viel geredet, aber auö der ganzen Debatte ging lediglich hervor, daß die verbündeten Regierungen das baldige Zustandekommen des Gesetzes dringend wünschen, während im Hause die verschiedenartigsten Bedenken gegen die Vorlage herrschen. Diese wird daher wahrscheinlich an eine besondere Commission verwiesen werden, auS der sie so bald nicht wieder herauskommen wird. Den „Hamb. Nachr." wird aus Berlin berichtet, in unter richteten parlamentarischen Kreisen werde angenommen, daß die Berathungen der Budgetcommission über die Klotten Vorlage von heute ab nur noch einige Sitzungen in Anspruch nehmen werde, sobald eine befriedigende Lösung der Deckungsfrage gefunden sei. Nach unserer Ueber- zeuguug ist die „Deckungöfrage", nachdem die verbündeten Negierungen sich bereit erklärt haben, sich für den Nothfall gewisse neue Einnahmequellen eröffnen zu lassen, gar keine Frage mehr und wird als solche nur von den Parteien behandelt, die für ihre Zustimmung zu der mehr oder minder beschnittenen Vorlage Bezahlung fordern. Daß diese Annahme wenigstens in Bezug auf das Centrum zulrifft, ergiebt sich klar daraus, daß die klerikale „Augs burger Postzeitung", anfänglich eine der eifrigsten Gegnerinnen jeder Flottenvermehrung, die Zuschrift eines süddeutschen Domcapitulars veröffentlicht, in der eS heißt: „Schreiber dieser Zeilen steht zum Centrum offen nnd treu, doch darf der Freund zu Freunden sprechen. Auch wir können die über höhen Kosten der Flottenvermehrung um des Volkswohles willen nicht billigen; wenn aber hierin Prüfung und Maß eintritt, bitten wirdas Centrum um Zust im mung aus fünf Gr ünden:1) Die Flotte ist an sich nothwendig für die deutschen Colonien, die nun einmal bestehen. 2) Die Flotte ist nützlich für die katholischen Missionen, deren Schutz der Kaiser sich angelegen sein läßt. 3) Die Flotte ist nützlich, wenn einmal größere Auswanderungen in Zukunft erfolgen. 4) Die Flotte ist nützlich für staatliche Ansiedelungen, die ein Gebot der Gerechtigkeit und Klugheit werden können. 5) Das Centrum muß dem Kaiser gegenüber, der Religion, Sitte und Ordnung will und überall für die christliche Gesellschaftsordnung riutritt, als eine Partei der Autorität und Ordnung sich hüten, der Socialdeaiokratie, mit der es unfreiwillig gegen die Flotte zusammengehen würde, beigesellt zu erscheinen. Gewinnen wir im Gegentheil dem Kaiser für uns durch den Blick auf mögliche Zukünften! Wenn der I gute Wille des Centrums feststeht, dem Kaiser zu geben, was des I Kaisers ist — und dieser Wille steht fest —, so kann es verlangen, ! und seinem Verlangen wird auch Gerechtigkeit widerfahren, daß die 25. April 1S00. Kosten der Flottenvermehrung nicht über die Volkskraft und daS Volkswohl hinausgehen." Da der Verfasser, über den man nicht im Zweifel sein kann, im Reichstage sitzt, wo er seiner Zeit zu den heftigsten Bekämpfern jeder deutschen Colonialpolitik gehörte, so ist es selbstverständlich, daß er nicht nur als Freund zu seinen Freunden, sondern auch in ihrem Sinne spricht. Ebenso selbstverständlich ist die Adresse, an die seine Auslassung sich wendet. Er wird auch dafür gesorgt haben, daß die rechte Mittelsperson an der rechten Stelle dem fünften der Gründe: „Gewinnen wir den Kaiser für uns durch den Blick auf mögliche Zukünften" die rechte Deutung gegeben hat. Und glaubt der süddeutsche Domcapitular mit feinen College«, daß die „Auslagen" des CenlrumS für die Flotte durch entsprechende Concessionen werden gedeckt werden, so wird in der Budgetcommission von der Deckungsfrage nicht mehr viel die Rede sein. Die Verstärkung -er amerikanischen Flotte ist jetzt ge sichert, da, wie berichtet, das Repräsentantenhaus die Flotten vorlage angenommen hat. Im Senate wird sie, wenn über haupt, nur auf schwache Opposition stoßen. Nach Vollendung der in dieser Vorlage vorgesehenen Neubauten wird die amerikanische Kriegsflotte 18 Linienschiffe und acht Panzer kreuzer besitzen. Von den Linienschiffen sind zehn und von den Panzerkreuzern zwei in Dienst, drei Linienschiffe im Bau. Die Inangriffnahme der übrigen ist bisher verzögert worden, weil der Congreß in einer früheren Session der Bewilligung für diese Schiffe die Klausel angehängt hatte, daß für Panzerplatten nicht mehr als 300 Dollars die Tonne gezahlt werden dürfe, daß aber ausschließlich nach Krupp'fchem Verfahren hergestellte Panzerplatten verwendet werden sollten, da sie anerkannt die besten seien. Zu dem Preise aber wollte kein Eisenwerk sie liefern. Der Präsident empfahl daher in seiner letzten Botschaft den Widerruf dieser beschränkenden Klausel, und daS Repräsentantenhaus hat jetzt diesem Wunsche entsprochen. Der Ausschuß für Marine-Angelegenheiten hatte empfohlen, das Marine-Departement zu ermächtigen, bis zu 545 Dollars für die Tonne Panzerplatten zu zahlen, was vom Hause genehmigt worden ist. Da für die im Bau begriffenen und autorisieren Schiffe rund 3l 500 Tonnen Panzerplatten nötbig sind, so entfallen auf diesen Posten allein über 17 Millionen Dollars. Für die drei auf der Werft liegenden und die elf durch Gesetz autorisirten Hochsee- Panzerschiffe sind, ohne die Panzerung und Bestückung, bis jetzt rund 49 500 000 Dollars oder 198 Millionen Mark be willigt worden. Der Krieg in Südafrika. —t> Aus den Kämpfen um den Entsatz WepenerS ent wickelt sich jetzt eine Action der Engländer großen Stils, welche darauf gerichtet ist, die rechte Flanke -er RobertS'schen Armee endlich frei zu bekommen, um dann den Vormarsch gegen Pretoria beginnen zu können. Man berichtet uns heute: * Lon-on, 25. April. (Telegramm.) Feldmarschall Roberts meldet im Drahtwege auS Bloemfontein unter drm24. d. M.: Die Generale Brabant und Hart umgingen gestern die Stellung des Feindes, der ihre Bewegung nach Norden zu hin- 94. Jahrgang. der» suchte, und eröffneten eine Heltographeuverbindung mit dem Obersten Dalgety, der meldete, daß Alle- wohl sei. Die Verluste der Generale Brabant und Hart gestern und am Sonntag betrugen 14 Verwundete. Gestern Nachmittag 1 Uhr standen sie etwa 8 Meilen südlich von Wepener. Die 11. Division unter dem General Pole Carew, und die beiden Cavallerie- Brigaden General French'- erreichten gestern Nachmittag Twrede Geluk ohne ernsten Widerstand und eröffneten eine Heliographen verbindung mit dem General Rund le. Berittene Infanterie unter General Hamilton nahm gestern die Wasser werke bei SannahSpost. Da der Feind einen benachbarten Hügel mit ziemlich beträchtlichen Streitkräften besetzt hielt, wurde die 9. Division zur Unterstützung Hamilton'- abgesandt. Tie Brigade de- General- Maxwell ging gestern in der Richtung nach Osten vor und nahm ohne Verluste die Berge, die die Fahrbrücke über den Modder-Fluß bei Krantzkraal beherrschen, einen wichtigen, während der letzten drei Wochen vielfach von den Boeren benutzten Verbindungsweg. * Masern, 24. April. (Reuter'- Bureau.) Die Barren machten heute früh, gedeckt durch das Feuer von vier Geschützen, einen energischen Angriff auf den nördlichen Theil der Stellung des Obersten Dalgety, der Angriff wurde jedoch zurückgewiesen. Die Dorren breiteten sich daraus über die Niederung hin aus, woher sie rin mehrere Stunden anhaltende» Gewehrfeuer auf eine große Schußweite unterhielten. In der Richtung von Dewets- dorp her wurde wiederum Geschützfeuer gehört, nicht- deutet aber darauf hin, daß die englischen Streitkräfte heute vorwärts gekommen sind. Auf Grund dieser Meldungen ist zunächst zuzugeben, daß die südliche Eutsatzcolonoe unter Brabant und Hart durch geschickte Umgehung der boerischen Stellungen rascher und weiter vorwärtSgekommeu ist, als den Belagerern WepenerS lieb sein kann. Die Streitkräfte der beiden englischen Generäle aber reichen allein nicht auS, um den Boeren die Beute, die sie schon sicher zu haben glauben, zu entreißen. Gefahr droht den Föderirten nur von Westen der, hier aber geht der Vormarsch der englischen Entsatztruppen sehr langsam vor sich. General Rundle war am 24. über DewetSdorp noch nicht hinauSgekommen. Er muß sich hier in arg bedrängter Lage befinden, sonst hätte RodertS ihm nicht so bedeutende Streitkräfte zur Hilfe geschickt. Die Wegnahme eines nur von 25 Mann bedeckten CvnvoiS ist kein Grund, mehrere Divisionen aufzubieten. Wie weit die Generäle Pole Carew und French sich ihm genähert haben, läßt sich nicht genau angeben, da der Ort Tweede Geluk auf den Karten nicht zu finden ist. Helio graphische Verbindung ist ja über sehr weite Strecken hin möglich. Immerhin aber muß man nach diesen neuesten amtlichen Meldungen annebmen, daß der am 22. angetretene Rückzug der Entsatzdivisionen kein endgiltiger war, sondern daß ihm rasch ein neuer, glücklicherer Vor stoß folgte. Parallel mit der Entsatzaction gehen noch zwei Be wegungen der Engländer zu dem Zweck, die Boeren von Kornspruit und von der Straße Bloemfontein-Sannahsposl zu vertreiben. Aus letzterer sind sie anscheinend ungehindert bis zu den Wasserwerken gekommen, diese haben sie besetzt, stoßen aber auf den benachbarten Hügeln auf erheb lichen Widerstand. Hier stehen sie unter dem Com- Ferrrlletsn A Die Herdringen's. Novelle von Hedda v. Schmid. Lialbtruck verboten. „Aber Marie Charlotte, wie komisch Du bist", lachte Isa, „es ist voch stets Sitte bei uns gewesen, Die Fremdenzimmer mit Blumen zu schmücken. Noch vorigen October, als die große Jagd bei uns war, sagtest Du zu Walburga und mir: „Kinder, holt Ebercfchcnbüschel und Tannenzweige, cs macht sich freund lich, wenn man Die Zimmer seiner Gäste schmückt." Und wes halb sollte ich gerade an Bernitz denken? Der dicke Willmann logirt ja mit ihm zusammen im rothen Eckzimmer. Und dann — Marie Charlotte, Du brauchst wirklich nicht um meinen Herzensfrieden zu bangen. Ich verliebe mich ganz gewiß nicht. Und gar noch in Arnold Bernitz . . .! Na, Walburga kratzte mir mindestens die Augen aus, wenn ich's thäte." „Walburga?" versetzte Marie Charlotte erstaunt fragend. Sie stand jetzt wieder am Tisch und fegte mit einer Handbürste Die Kohlblätterabsällc auf der weißen Platte zusammen. „Jawohl, Alte" — Isa pflegte die älteste Schwester schmeichelnd so zu nennen — „Du, die Verständigste von uns Dreien, bist hoch blind für Manches, Du gute, kluge Marie Charlotte. Ich über halbe es längst gemerkt, daß Walburga und Bernitz einander lieben." „Ach was, Du kleiner Grünschnabel", sagte Mari« Charlotte verweisend, aber mit unsicherer Stimm«, „Du bist noch viel zu jung dazu, um Dich um derlei Ding« zu bekümmern." „Ich selbst will mich auch bestimmt nicht verlieben", be- theuert« Isa aufs Neue, „aber wenn andere Leute ihre Herzen verlieren, dann merk« ich es sofort." „So werde ich Dir von nun an mehr Pflichten im Haushalt anweisen, damit Du keine Zeit dazu hast, Dich mit anderer Leute Herzen zu beschäftigen", sprach Marie Charlotte kurz. „Gehe jetzt, Kind", fuhr sie fort, „und sage der Köchin, sie möchte zu den jungen Hühnern frischen Salat geben, und ich käme nachher noch selber in dir Küche, um dort nach dem Rechten zu sehen." Isa flattert« davon. Ihr Gang war leicht und schwebend, die kleinen Füße, welche in zierlichen Kreuzbänderschuhen steckten, schienen kaum den Boden zu berühren. Marie Charlotte Vand sich nachdenklich ihre Wirthschafts« schürze ab — Isa'- Worte hatten si« tief erschreckt, mehr, als wi« sie sich'» eingtstand. Sie schritt gegen ihre Gewohnheit lang sam — denn sie hatte «ine rasche Art — -die Treppe zum oberen Stock, in welchem die Zimmer der Schwestern lagen, empor. Die Thürcn der drei freundlichen Räume mündeten auf einen Hellen Corridor, dessen Wände mit Elenngeweihen geschmückt waren. Jedes der Zimmer hatte seinen besonderen Charakter. In Marie Charlottens Stube standem Möbel aus Großmutters Zeiten, schöne schwere Mahagonitische mit viel Messingbeschlag, «ine alterthümliche Truhe, ein wahres Prachtstück, das einen Alter- thumsschwärmer in Helle Ekstase versetzt hätte; einige gute Stiche hingen an den Wänden, Geranien blühten auf dem breiten Fenstersims. In Walburga's Zimmer trat viel Sportssinn zu Tage. Reitgerten und Stulpenhandschuhc lagen auf einem Tischchen in -malerischem Durcheinander. Walburga war eine passionirte und ausgezeichnete Reiterin. Herr o. Herdringen, der sonst in Allem, was die Erziehung seiner beiden Jüngsten betraf, Marie Charlotten freie Hand ließ, hakt« jedoch, als er Walburga's Neigung für Reiten und Fahren entdeckt, dieser Vorschub geleistet. Marie Charlotte stellte sich in Folge dessen gewissenhaft die Aufgabe, zu verhindern, daß Walburga's Sportsintcressen in Unweiblichkeit oder burschikoses Wesen ausarteten. Sie brauchte dies nicht zu fürchten. Walburga war ein frisches, keckes, aber echt mädchenhaftes Geschöpf mit blitzenden, dunklen Augen. Etwas zur Körperfülle neigend, hatte sic trotz dem eine biegsame Taille und behauptete sich gewandt im Sattel. Sie sah reizend aus, wenn sie auf ihrer tänzelnden Fuchsstute „Libelle" dahintrabt«. „An der ist «in Junge verloren", pflegte Jürgen Herdringen in gerechtem Vaterstolz oft zu murmeln, wenn er der graziösen Reiterin nachschaut«, öder mit ihr zusammen durch Feld und Wald ritt. „Edi", sein «inziger Sohn, war seiner Meinung nach etwas zu weich ang«legt, das hinderte ihn jedoch nicht, den Stamm halter seines Geschlechts grenzenlos zu verwöhnen. Vielleicht war der junge Mensch gerade d«shalb so und nicht anders gc- rathcn, weil sich sein Vater feine Erziehung ausschließlich Vor behalten und — „da wird dem Beugel denn Alles durchgelassen", meinte fein Onkel Gotthold, nach dessen Auffassung es entschieden besser gewesen wäre, wenn Marie Charlottens energische Hände — sie war zehn Jahre älter als der Bruder — diesem dann und wann einen Ruthrnbund geschnitten hätten. Birken gab es ja genug auf Herdringen. Allein Onkel Gotthold, ein Gelehrter, der, seit er stetig kränkelte, ganz in der Familie seine- Bruders lebte, mischte sich grundsätzlich nicht in die von einander so abweichenden Er ziehungstheorien seines Bruders und seiner Nicht«. Er gab seinen Rath nur dann, wenn man ihn um denselben anging, und lebte fast ausschließlich seinen Neigungen — der Musik und der Philo sophie. Marie Charlotte liebt« ihren Bruder 'Edi zärtlich, jedoch die beiden Schwestern standen ihrem Herzen näher; Alles, «was die selben betraf, war ihr wichtig. Und nun sagte ihr Isa so recht aus dem Stegreif, „Walburga und Bernitz, der hübsche Officier, lieben einander." Ohne daß sie sich dessen voll bewußt wurde, empfand -sie «in Gefühl -der Kränkung, der Zurücksetzung. «Das mütterliche Empfinden für ihre beiden jungen Schwestern war so stark in ihr entwickelt, daß Eifersucht sie beherrscht« bei dem Gedanken, daß Walburga ihr Herz verschenkt, ohne daß sie, Marie Charlotte, daru'm gewußt. Wo hatte sie nur ihre Augen gehabt? Und bisher hatte sie geglaubt, in Alles, was in der Schwestern — der Kinder, «wie sie dieselben nannte — Leben eingriff, «in- geweiht zu sein. Sinnend, zerstreut, -was eine große Seltenheit bei ihr war, verfehlte sic droben in dem Corridor ihre Zimmer- thür und betrat Jsa's Helles, sonniges Stübchen, das mit seinen -wcißlackirten Möbeln, den vielen Blumen und dem Dompfaff im Bauer den richtigen Rahmen für die reizende Erscheinung seiner Bewohnerin bildete. Manie Charlotte schritt zum geöffneten Fenster, dessen gestickte Tüllgardincn leise vom abendlichen Luftzug« bewegt wurden. Ihr Auge 'schweifte über die Wipfel der Obstbäume, über die Dächer der Wirtschaftsgebäude zum Tannenwald hinüber. Dort auf dem stillen Kirchhof schlief, vom «WaldeSfrieden um geben, die zu früh Heimgegangene Mutter den letzten traumlosen Schlaf. Man hatte sie, ihrem letzten -Willen gemäß, nicht in die düstere Familiencapelle gebettet, ihr Hügel wölbte sich unter Gottes freiem Himmel. Marie Charlotte war eben Sechzehn geworden, als die theure Kranke, die längere Zeit an ihr Schmerzenslager gefesselt ge wesen, ihr Ende herannahen gefühlt. Da hatte sie ihre Aelteste an ihr Bett beschützen. „Ich sterbe, mein Kind", hatte sie mit schwacher, tonloser Stimme geflüstert, „Dir vertrau« ich Deine Schwestern an; Edi wird es leichter haben, ohne Mutter auf» zuwachsen, er ist «in Junge, aber Walburga und Isa, über die beiden süßen Kleinen -wache Du, mein gutes, mein verständiges Kind." Wie Marie Charlotte jetzt in der Abendstille an Jfa's Fenster sieht, meint sie die Worte der sterbenden Mutter noch einmal deutlich zu vernehmen. Eine heiße namenlos« Sehnsucht nach der Verklärten übermannt sie und «in jäheS Schmerzgefühl schnürt ihr die Brust zusammen. Dir jungen Böglein werden flügge — eine- nach dem anderen wird hinausflattern in die Welt, in den bunten Lebensstrudel untertauchen, und sie, Marie Charlotte, wird Zurückbleiben, wirs nach wie vor mit fester Hand die 'Zügel der Wirtschaft auf Hervringen leiten, wird den späten Lebensabend ihres Vaters durch töchterliche Pflege verschönen. Nie wird sie einem Manne folgen, sie weiß es — ihr Herz hat nimmer gesprochen Marie Charlotte, obgleich erst am Ausgang der Zwanziger stehend, kommt sich plötzlich so alt vor, so -müde. Sie hat nie einen Liebesfrühling gekannt, keine süße Erinnerung kann sich in ihre Seele schmeicheln und sie mit ihren trüben Gedanken ver söhnen, sie Verständniß finden lassen für Walburga's knospendes Liebesglück. „Und Isa hat «s «her «rrathcn, weiß früher darum als ich", murmelte Marie Charlotte, während sie die Treppe wieder hinuntersteigt uns durch die -Hausthiir ins Freie tritt. Es ist Sonnabend und mit dem späten Nachmittag beginnt ein« wohlthuende Stille sich über dem Wirthschaftshof zu lagern. -Man ahnt bereits den nahen Ruhe- und Feiertag. Der alte Gärtner harkt noch den Weg um den Rasenplatz vor -dem Hause und von den Stallungen her ertönen das Geläut der heim kehrenden Heerde und die Stimmen der Knechte, welche mit den leeren Düngwagen vom -Felde kommen. Marie Charlotte durchquert den Hof und schlägt den Wiesen weg zum nahen Walde ein. Bald befindet sie sich im Schatten der hochragenden Tannen; würziger Harzduft umfängt sie, an ihr Ohr schlägt aus nicht weiter Fern« das Rauschen der Wellen — dort hinter den Dünen blaut die Ostsee. Nach kurzer Wanderung steht Marie Charlotte am Grabe ihrer Mutter. Es ist sorgsam gehegt und bepflanzt, nur gedeihen hier im Schatten wenig Wumen, das Immergrün breitet seine dunkelgrünen Ranken über den Hügek und ein Dielytrastrauch zu Häupten deS letzteren hat seine Bl-üthen entfaltet. Isa hat düsen Strauch eigenhändig hierher verpflanzt und sorgt für sein Fortkommen. Marie Charlotte kniet niöder und betet. Sie hat den Kopf tief geneigt, bi« rosa Blumen streifen ihre Stirn — lauter ge* brochene Herzen sind'S, di« an schlankem Stiel über Sem Grabe schweben. „Gebrochene Herzen", spricht Marie Charlotte unwill kürlich leis« vor sich hin, als sie sich auS ihrer knienden Stellung erhebt und ihr Bück auf den Dielytrastrauch fällt. Eine seltsame Jdeenverbindung durchzuckt si« plötzlich — eine schrecklich« Angst beklemmt ihr die Seele .... Sie sinkt auf- Neue in die Knie und -fleht inbrünstig zu Gott, „er möge seinen Segen, sein« Gnade über di« beiden ihrem Schuhe an-vertrauten, ihr über Alles theuren Wesen ausschütien — er möge ihr selber daS Glück karg zumessen, aber dasselbe ihren Schwestern un geschmälert spenden". Im -Lebet beruhigt sich ihr erregte» Ge-
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