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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.05.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-05-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010523022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901052302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901052302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-05
- Tag1901-05-23
- Monat1901-05
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Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postanfschlag bet den Postanstaltrn in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch di« Expedition diese» Blatte» möglich. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr,' die Abenv-Au-gabe Wochentag» um 5 Ne-artion und Erve-Mo«: Johannisgaffe 8. Filiale»: Alfred Lahn vorm. O. Klemm'» Sortd». llmversitätsstraße 3 (Paulinum), Loui» Lösche, Katharinenstr, 14, part. u,d König-Platz 7. 26V. Abend-Ausgabe. UcipMcr TagMM Anzeiger. Ämtsölatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Mokizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Donnerstag den 23. Mai 1901. Anzeigen «Preis die 6 gespaltene Petitzeile SS H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (-gespalten) 75 L,, vor den FamUiennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbesürderung 60—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeige«: Äb end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle« je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz i« Leipzig. 93. Jahrgang, Der Krieg in Südafrika. Englische Soldatcnspielerei in Südafrika. Aus Pretoria, Mitte April, schreibt man uns: Wenn man den Annoncentheil größerer südafrikanischer Blätter durchsieht, so kann man sich einer stillen Heiterkeit oft nicht er wehren. England braucht nämlich trotz aller erhebenden Ver sicherungen der Minister im Parlament Leute zum Weiterführen des Krieges, und da die englische Heeresverwaltung bekanntlich auf der Höhe der Civilisation steht (was nicht zu bestreiten ist, da die Engländer es selbst unumwunden zugeben), so sucht sie auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege R e c r u t e n. Die Annoncen sind oft recht interessant. Nach dem Grund satz, daß das Klappern zum Handwerk gehört, wird zunächst meist auf die Waffenthaten hingewiesen, welche das betreffende Corps schon verbrochen hat; es wird ferner meist angegeben, welcher Officier das Corps befehligt, und darauf kommt die Hauptsache, nämlich die Bezahlung der tapferen Krieger. So wurden Recruten aufgerufen für die South African Light Horse, Brabants Horse, Marshalls Horse, Natal Mounted Jnfantry u. s. w. In der letzten Zeit erschienen besonders die folgenden An zeigen: „Recruten gesucht für das Natal Composite Regiment, befehligt von Oberst Evans. Benöthigt werden 200 Mann, da die Stärke des Regiments auf 500 Mann gebracht werden soll u. s. w." Oberst Evans, nebenbei bemerkt, in gewöhnlichen Zeiten ein kleiner Spediteur und Makler in Durban, befehligt also ein,, Regiment "inderStärkevon 300 Mann! Der Werbe-Officier des Eiscnbahn-Pionier-Regimcnts macht bekannt, daß er Leute sucht, welche schießen können; die selben werden zur Bewachung der Bahnlinie bei Johannesburg verwandt. Als specielle Anpreisung dient, daß die Leute „eine prächtige Ausrüstung" erhalten, ferner daß die Comitcs der Johannesburg-Flüchtlinge Jedermann sehr empfehlen, diesem Regiment beizutrcten. Für das „Imperial Hospital Corps" werden auch Leute gesucht, und wird Allen, welche mit diesem Corps liebäugeln sollten, versichert, daß sie die Fähigkeit des Reitens und Schießens nicht zu besitzen brauchen, daß die Arbeit leicht sei, und ferner wird ausdrücklich versichert, daß die Mahlzeiten regelmäßig er folgen! Weiter werden Recruten gesucht für „Steinaeckers Horse", welche von Major Steinaecker befehligt werden. Herr von Steinaecker ist ein Bollblut-Deutscher; da er aber auf englischer Seite ist, zählt er natürlich nicht zu den „deutschen Söldnern", auf welche die englische Presse so weidlich schimpfte, wenn sie für die Boeren kämpften. Die Bezahlung in Steinaecker's Truppe ist etwas besser als in anderen irregulären Corps, da für müssen die Leute aber für drei Jahre zeichnen. Unter den Vortheilen, welche diese glückliche Truppe vor anderen voraus hat, wird auch aufgeführt, daß die Rationen größer sind als anderswo. So hat jede der unzähligen irregulären Truppen ihre eigenen Reize und Lockmittel, und der patriotische junge Mann, welcher sein Leben auf dem Altar des Vaterlandes niederlcgen will, muß sich vorkommen, wie der Esel zwischen zwei bis mehreren Heu bündeln. Es ist unbegreiflich, daß den Engländern diese ganze Sol- datenspiclerei nicht selbst lächerlich vorkommt. So fand z. B. vor Kurzem wieder in Pretoria die Gründung eines neuen Corps statt, das den Namen „Bushveldt Mounted Nifles" er hielt. Die Boeren hatten vor einiger Zeit die noch im District Zoutpansberg wohnenden Engländer ausgewiesen und nach Pretoria gesandt; aus diesen sollte sich das neue Corps recrutiren, doch war die ganze Anzahl der ausgewiesenen nur etwa 60, wovon verschiedene theils nicht dienen wollten, theils nicht taug lich sind. Bis vor Kurzem bestand dieses „Regiment" noch aus einem Oberstleutnant, einem Hauptmann, 3 anderen Officieren und etwa einem Dutzend anderen „Soldaten". Da trotz aller Anstrengungen hier keine weiteren Leute zu bekommen waren, so wurde gestattet, auch in Johannesburg und an der Küste auf die vorbcschriebene Weise Recruten zu angeln. Die Stärke des Corps soll nunmehr schon beinahe 100 Mann betragen und dürfte dies wohl für genügend gehalten werden, um die Truppe ins Feld zu stellen. Die Officierc sind fast ausschließlich Pietersburgcr Kauf leute, welche nicht die geringste militärische Ausbildung haben und für ihren Rang keine weitere Qualifikation besitzen, als ihre sociale Stellung und ihren mehr oder weniger gut gefüllren Beutel. Und dieselbe Nation, welche mit diesen zusammengeschacberien Truppen den Krieg gegen die Boeren führt, trägt große sittliche Entrüstung zur Schau über die deutschen und sonstigen „Söldner", welche auf Seiten der Boeren kämpften.. Daß cs noch andere Beweggründe geben könnte, als die Hoffn mg auf ausgiebige Bezahlung, wollen die Engländer nicht gelten lassen. Es wäre von Interesse, die Frage beantwortet zu sehen, welche Gründe Lord Kitchcner im Jahre 1870 bewogen, in der franzö sischen Armee gegen Deutschland zu dienen und wie er sich pecuniär dabei gestellt hat. * Clipstadt, 22. Mai. Von allen Seiten gehen Nachrichten ein, die bestätigen, daß die Commandos der Aufständischen in der Capcolonie und im Lranse-Freistaate Befehl erhalten haben, sich zu concentriren. Tie Militärbehörden sind zwar darauf vorbereitet, daß De Webmöglicherwcise beabsichtige, daS Commaudo über die concentrirten Truppen zu übernehmen, sie haben aber keine Kcnntniß davon, daß sich De Wet schon auf dem Boden der Capcolonie befinde. * Port Elizabeth, 22. Mai. Hier sind vier Pcst- erkranknngcn vorgckommcn. Die Wirren in China. Ersatzforderungen. Wie der „Kölnischen Zeitung" aus Peking gemeldet wird, wurde in der heutigen Versammlung der Gesandten eine Ermäßigung des China auferlegten Schadeuersatzbetrazcs mit allen Stimmen gegen die des amerikanischen Vertreters Rockhill als nicht wünschenswert!) abgelehnt. Wie wir dem „Ostasiatischen Liopd" entnehme», sind in Tientsin durch den Hilssdelegirten der sreiwilligen Krankenpflege, Herrn W. v. Hannektn, zwei Lese- und Schreibzimmer für deutsche Soldaten eingerichtet worden, die von den Truppen stark besucht werden. Herr v. Hannekeu richtet nun au alle Deutschen die Bitte, auch ihrerseits neuere L-ctüre den Lesezimmern zuzusühren. Die Lagercommandantur in Tientsin dürste gern bereit sein, eine Ver- theilung vorzunchmen. Politische Tagesschau. * Ltipzia, 23. Mai. Seitdem die Herrschast der „gestrengen Herren" vorüber ist, schießen die Gerüchte von bevorstehenden grossen politischen Ereignissen noch üppiger empor als die Spargel. Die „DreSd. N. Nachr." lassen sich von einer Seite, „die wohl in der Lage ist, hierüber genau informirt zu sein", melden, es hätten in letzter Zeit mit einem Mitglieds der Freisinnigen VereinigungBerhandlungen stattgefunden, welche den Eintritt eines Angehörigen dieser Partei in ein „hohes Staats- oder vielmehr Neich Samt" zum Zwecke hätten. Nur die Frage der Erhöhung der Getreidezölle mache noch Schwierigkeiten; „doch würde bei der Nor- mirung eines Tarifsatzes, der nur eine nominelle Erhöhung des gegenwärtigen Zolles bedeuten und dadurch den durch seine öffentlichen Versprechungen gebundenen Reichskanzler nicht dementiren würde, sich dieses Bedenken voraussichtlich unschwer beben lassen". Der Gewährs mann des Dresdener Blattes weiß auch ganz genau, daß die vssicwse Presse den Auftrag habe, die Conservativen der Ver folgung einseitiger Parteiinteressen bei der Bekämpfung der kaiserlichen inneren und äußeren Politik zu beschuldigen und dadurch der Berufung des freisinnigen Staatsmannes das Feld zu bereiten, und daß andererseits Aussicht vorhanden sei, durch diese Berufung die Linke für die auswärtige Politik der Regierung, in Sonderheit für den Anschluß an England, zu gewinkten. Daß man cS bei dieser Ausstreuung nicht mit der bloßen Aufwärmung deS alten Gerüchtes über den Ein tritt des Herrn Siemens in ein hohes preußisches Staats oder ein NeichSamt zu thun hat, crgiebt sich schon daraus, daß ein derartiges Amt nicht frei ist und daß gerade die jenigen Armier, sür die Herr Siemens allein in Frage kommen könnte, mit Männern besetzt sind, von denen der Kaiser sich zu trennen gar keine Ursache hat. Außerdem weist die Be rufung auf eine angeblich osficiöse Preßcampazne gegen die Conservativen deutlich auf den Zweck der Ausstreuung hin: in den conservativen Kreisen besonders Preußens die Sorge vor einer politischen Schwenkung der Negierung zu erregen und diese Kreise zur Enlsallung einer lebhaften Agitation zur Verstäi kuug ihres Anhanges anzufcuern. Dieser Zweck wird denn auch erreicht werden. Aehnlich verhält cs sich mit dem von der „Deutschen Tageszeitung" in die Welt gesetzten Gerüchte, für Milte August sei die Auflösung des preußischen Abgeordnetenhauses beabsichtigt. Diesmal ist der Wunsch nicht der Vater dieses Gedankens, aber dieser ist doch unrichtig. Die „Nationalztg." weist mit Grund darauf hin, daß der August zur Reisezeit gehöre; eia gewichtiger Umstand. Von anderer Seite war schon vorher stark betont worden, daß ohne umfassende Veränderungen im Per sonalbestände der politischen Beamten Neuwahlen gegen die Conservativen wenig Aussichten böten. Auch dies ist richtig, und die neuen Landrälhe, Regierungspräsidenten und Ober präsidenten würden geraume Zeit brauchen, im Wirkungs kreis so festen Fuß zu fassen, daß sie im Stande wären, der eingewurzelten amtlichen Agitation für die conservative Partei mit Erfolg entgegen zu treten. Bei alledem: die Absicht, mit einer Auflösung des Abgeordnetenhauses vorzugehen, scheint zu bestehen, und sie wird durch geschickt abgefaßle Zeitungsartikel, die wohl alle au ihre Adresse gehen, genährt. Die „Deutsche Tageszeitung" bezweckt mit ihrer „Mitthcilung", die Parteigenossen zur sofortigen Aufnahme der Wahl vorbereitung anzufeuern. AehnlicheS ist soeben von entgegen gesetzter Seite geschehen. Auch die „Kreuzztg." faßt die Möglichkeit einer Auslösung inS Auge. Sie erklärt, sie vom parteitaklischeu Stanbpuncte nicht zu scheuen, aber sie auch nicht zu wünschen, weil nach ihrer „festen Ueberzeugung sie nur der Umsturzpartei zu Gute kommen würde, indem sie zwischen diejenigen Richtungen, ohne deren festes Zusammenstchen der Kampf gegen den Umsturz nicht durchgeführt werden kann, einen mächtigen Keil treibt, der ein spätere» vertrauensvolles Zusammenarbeiten erschwert, vielleicht unmöglich macht". Nun, die „Kreuzzeitung" und die Conservativen haben seit geraumer Zeit nichts gegen ein solches „Keileintreiben" einzuwenden gehabt. Ins besondere paßt da-, was sie jetzt sagt, ausgezeichnet gegen das Zedlitz'sche Schulgesetz und ist auch gegenüber dieser politischen Sprengbombe den Conservativen häufig genug vorgebalten worden. Dennoch betheiligten sie sich, wenn auch nach langem Schwanken, an der zu Gunsten der römischen Klerisei aufgenommenen Action und schlugen damit, wie ihnen vorauSgesagt worden war, dem Cartellgedanken eine schier unheilbare Wunde. Man kann deshalb da» Be denken der „Kreuzztg." nicht sehr ernst nehmen. Wahr scheinlich ist eS allerdings, daß Neuwahlen der Social demokratie zu Gute kämen, indem sie der Um sturzpartei zu den ersten Mandaten sür da» größte deutsche Einzelparlament verhülfen. Der „Vorwärts" schließt sich denn auch beute Denjenigen an, die die Gesinnungsgenossen warnen, „sich nicht überrumpeln" zu lassen. Wir vermögen, wie gesagt, nicht zu glauben, daß eine Auflösung in naher Zukunft zu erwarten sei. Ebe nicht gewisse Oberpräsideolen, die nicht genannt zu werden brauchen, mindestens ein halbes Jahr außer Dienst gewesen sein werden, würde man mit der Auflösung der Canalopposition und der conservativen Parteipolitik einen Triumph bereiten. Diese Annahme schließt aber die Berechtigung des Aufrufs zur alsbaldigen Inangriffnahme von Wahlvorbereitungen in Preußen nicht auS. Man hat dieser Tage auf nationalliberaler Seite da» Wort Bennigsen'S wiederholt, daS liberale Bürgerthum besitze in den Parlamenten noch schwächere Vertretung, als sie seiner wirtbschaftlichcn und culturellen Bedeutung zukomme. Die« ist nur zu richtig, namentlich auch, soweit der preußische Landtag in Betracht kommt, und die Aenderung dieses ungesuudeu Zustandes setzt lange Arbeit voraus, eine Arbeit, die um so schwieriger sein wird, als der preußische Liberalismus, wenn er seine Lage verbessern will, eS ebenso nöthig hat, sich mit dem RadicaliSmuS auseinander zu setzen, wie die Negierung gezwungen ist, zur gründlichen Verbesserung ihrer Lage die politische Beamtenschaft nach der persön lichen Seite erheblich umzugestalten. Will man in Preußen den Conservativen einen beträchtlichen Tdeil ihrer weit über Gebühr zahlreichen Mandate abnehmen, so muß man, da die großen und größeren Städte ohnehin fast durchweg schon liberal vertreten sind, sein Augenmerk auf das Land richten. Hier aber ist für Bundesgenossen der Herren Rickert und Pachnicke in Preußen nichts zu holen; Bauern und Kleinstadtbürger werden einer liberalen Fahne nur folgen, wenn sie klar sehen, daß sie damit nicht an die Seite deS Manchesterthums treten. Im Jahre 1898, bei den preußischen Hauptwahlen, hat der in einzelnen LandeS- theilen gemachte Versuch, als „GesammtliberaliSmus" auf zutreten, gründlich Fiasco gemacht. Daß eS heute und in einem halben Jahre nicht ander- sein würde, geht auS der Gesammtlage mit ihren eigenartigen Haupt fragen hervor. Und wenn man im gemäßigten Lager beachtet hat, wie der Führer der Linken jelbst einen Mann wie Möller beim Eintritt in die Regierung anfiel, so wird man hier nicht mit einer Läuterung des Freisinns rechnen wollen. Der Specialberichterstatter der „ K r e u z z e it u n g " in China, Baron Binder, berichtet seinem Blatte über ein vom französischen General Baillond gegebenes Diner, an dem er in Gesellschaft deutscher Officiere theilgenommen i3f Ein Engel der Finsterniß. Roman von Gertrude Warden. Autorisirte deutsche Uebersetzung von A. Brauns. Sr.Ltrua dirdoten. Bon dem oberen Fenster aus gesehen, erschien Frau Harold Revelsworth geradezu hexenartig mit ihrer gelben, runzligen Haut, der Adlernase und den unirdisch glänzenden schwarzen Äugen, wie sie, ein unbehilfliches Bündel, in den Armen ihrer kräftigen Tochter und Welldon's lag und unter ihren buschigen, grauen Augenbrauen hervor hinaufblinzelte zu dem Hause, in das sie hincingetragen wurde. Ein Gefühl instinktiver Ab neigung, das fast an Schauder grenzte, beschlich Frau Revels worth, als sie dem auf sie gerichteten Blicke der Adleraugen be gegnete. In der Erregung hotte sie sich unwillkürlich von ihrem Sitze erhoben, und ihre hohe Gestalt in dem faltenreichen Seiden kleide und der Spitzenhaube war den Außenstehenden deutlich sichtbar. Die Neuangekommene hatte sie gesehen, das war klar. Ein seltsames Beben durchzuckte ihren ganzen Körper, und die natürlich frische Farbe schwand von ihren Wangen, als sie mit zitternden Händen nach ihrem Stuhle suchte und darauf nieder sank. „Ich hab« zu lange allein gelebt", murmelte sie für sich, „und muß mit dem Alter geistig- und nervenschwach werden! Denn mir ist, als habe ich einem Bündel Unglück Thor und Thür meines Hauses geöffnet!" Unten erfuhr Betty einen ähnlichen Schreck. Frau Harold's Aussehen gewann durchaus nicht in der Nähe. Auf dem Wege vom Wagen bis ins Haus hatte sich ihr Hut etwas verschoben und die langen Haarsträhnen von rabenschwarzer und grauer Mischung fielen auf die Stirn und Runzelwangen herab und hoben somit ihre augenfällige Häßlichkeit noch mehr hervor, so daß es Betty Mühe kostete, bei ihrem Anblick einen lauten Aufschrei zu unterdrücken. An den Fenstern des Bibliothrlzimmers an der Frontseite des Hauses standen Dudley und Viktor und sahen Frau Harold Revelsworth anlommen, aber auch auf diese üble der Anblick in gleicher Weise heftiges Erschrecken. Könnte es möglich sein, daß ein Schlaganfall und eine Reihe von Jahren die liebreizend«, schwarzäugige Houri, für deren Bildnitz sie als Knaben in Bewunderung geschwärmt, zu solch abstoßend häßlicher, zusammengeschrumpfter Megäre unheim ¬ lichen Aussehens mit ihrer Habichtsnase und den krallenartigen Händen zu verwandeln im Stande waren? FranceSca aber mußte in der That ein Engel sein, zu einer Mutter wie diese sich so kindlich zu benehmen, dachte Viktor, und Dudley schien gleicher Ansicht. Im Innern jedoch theilte Dudley keineswegs seines Bruders Anschauung über diesen Gegenstand. Die abnorme Bosheit, die er in den listigen Augen und dem grausamen Munde entdeckt zu haben wähnte, hatte einen gewaltigen und höchst unangenehmen Eindruck auf ihn gemacht. Er war zu ehrlicher Natu« und mit zu viel gesundem Menschenverstände begabt, sich vom ersten Ein drucke völlig bestechen zu lassen, aber daß ein derartiges Gesicht wie das der verwittweten Frau Harold nur einer bösartigen Frau angehören konnte, war für ihn eine unbestrittene That- sache. „Hinter der ganzen Geschichte steckt etwas, das mir ein Räthsel ist", gestand er sich, „und ich denke von meiner schönen Cousine keineswegs besser, seit ich ihre Mutter gesehen." Mittlerweile machte Betty die Entdeckung, daß die Empfin dung entsetzter Abneigung, die der erste Anblick der Italienerin ihr eingeflößt, bei näherer Bekanntschaft sich um etwas ab schwächte. Nicht ein Wort war der Leidenden entschlüpft, als sie die flachstufige Treppe hinauf, über den Corrtdor der ersten Etage und durch die mit grünem Filz beschlagene Thür die schmale zweite Treppenflucht nach dem für sie in dem Erkervorbau ein gerichteten Zimmer getragen wurde. Hier war auf Betty's An weisung Feuer angezündet worden, allenthalben im Zimmer stan den in Vasen und GlaSkörbchen Blumen, und an den Kamin war ein bequemer Polsterkrankenstuhl gezogen. In diesen wurde Francesca'S Mutter gesetzt — zusammengeschrumpft, gelb und schweigend lag sie darin; das einzige Anzeichen von Leben in ihr sprach nur aus den scharfen Augen, die ruhelos umher schweiften, jede Einzelheit ihrer Umgebung in sich ausnehmend. Nach einer geraumen Weile öffnete sie den Mund zum Sprechen, und eine dünne, doch nicht unangenehme Stimme sagte mit ausgeprägtem, fremdem Accent: „Ich danke Ihnen, guter Mann; ich danke Dir, meine ge liebte Tochter. Verzeihen Sie, daß ich Sie bemüht habe. Sie sind sehr gut, sehr freundlich gewesen zu einer armen alten, ge- brochenen Frau. Der junge Mann kann nun gehen, nicht wahr?" So grob und cynisch der alte Welldon an sich war, so war er dennoch nicht aller Eitelkeit bar, und die Bezeichnung „junger Mann" hatte ihm nicht mißfallen. Aber doch beeilte er sich, mit fingirter Bescheidenheit Einspruch dagegen zu erheben. „Wenn Sie mich damit meinen, Madame", erwiderte er steif, „so darf ich sagen, daß ich mich gefreut habe, mich nützlich haben machen zu können, aber ein Mann von 47 Jahren ist nicht länger mehr ein junger Mann — leider!" „Sie sind schon so alt?" murmelte Frau Harold; „dann be ruht der Spruch auch auf Wahrheit, daß die Männer und Frauen in England nicht schnell altern. Was aber dann, mein Freund, wenn Sie, Ivie ich, 55 Jahre zählten, und der Himmel es für gut erachtet hätte, Sie für Ihr ganzes Lcbcnsdascin niederzu schmettern. Dann würden Sie wohl in Erfahrung bringen, was cs heißt, sich alt fühlen." „Sie ist keine schlechte Sorte", lautete Welldon's Kritik über Frau Harold Revelsworth, wie diese später von der Collegen- schaft in der Dicnerstube durchgehechelt wurde. „Sie besitzt zwar eine glatte Zunge, mit der führt sie aber einen Mann von meiner Intelligenz doch nicht hinter's Licht." „Meine Mutter ist außer Stande, zum Diner oder sonst einer Mahlzeit nach unten zu kommen", erklärte Francesca der kleinen Betty. „Sic kann ihr Zimmer nur verlassen, wenn ich sie trage." „Sie müssen sehr kräftig sein!" „Oh, sie ist ja nicht schwer, und ich bin daran gewöhnt." Wie sie dies sagte, stand FranceSca hinter dem Sessel ihrer Mutter, die Hände auf das Rückenkissen gelegt, und Betty sah Frau Harold in jähem Impuls ihr Haupt seitwärts biegen und ihre Lippen auf die Hand der Tochter pressen. Und da er schien ihr hexenartiges Gesicht wie verwandelt. Ein weiches Licht strahlte auf in ihren sonst stechenden, schwarzen Augen, und die zärtliche Leidenschaft, die sich über ihre Züge breitete, machte sie auf ein paar Momente fast anziehend. „Meine Tochter — meine geliebte Tochter!" hauchte sie. Der kleinen Betty quoll etwas in der Kehle herauf, und gerührt wandte sie sich ab. Die Erinnerung an ihre Mutter, die sie schon in ihrer frühesten Kindheit verloren, wurde lebendig in ihrer Seele. Auf Francesca dagegen schien der Zärtlichkeits ausbruch kaum Eindruck zu machen, denn als bald danach Betty's Auge sie wieder suchte, befand sich jene an der entgegen gesetzten Seite des Gemaches und nahm in voller Gelassenheit vor einem Spiegel ihren Hut ab. „Nein, danke bestens; ich bin von der Reise gar nicht er müdet", erklärte Frau Harold auf Betty's Erkundigungen. „Die frohe Aussicht, die Verwandten meines theuren Gatten, meine Schwägerin Margaret und meine beiden Neffen und dieses niedliche, liebe Fräulein Betty, von der meine Tochter mir so viel erzählt hat, kennen zu lernen, hat mich aufrecht erhalten. ES wird für meine Francesca ein Vergnügen werden, solch' eine liebenswürdige Gefährtin zu haben." „Und mir wird es gleichfalls Freude bereiten, zur Annehm lichkeit ihres hiesigen Aufenthaltes etwas beitragen zu können", versicherte Betty, „Frau Revelsworth hat am Fenster auf Ihr Kommen gewartet, Francesca. Sie wird froh sein, Sie wieder hier zu haben." „Werde ich sie vor dem Diner sehen? Und die lieben Jungen ebenfalls?" fragte die Gelähmte lebhaft. „Frau Revelsworth ist nahe an die Achtzig", erklärte Betty, „und leidet, wenn sie sonst auch sehr rüstig, an Rheumatismus in den Knien, und kann in Folge dessen nicht gut Treppen steigen. Aber Herr Dudley und Herr Viktor werden mit Entzücken Ihrem Wunsche nachkommen, wenn Sie selbst nicht zu abgespannt sind." „Will mein liebes Fräulein Betty sie in meinem Namen bitten?" Betty hörte den falschen, listigen Klang aus der Stimme der alten Frau heraus und war davon betroffen. Sie wie» jedoch diesen Argwohn als unwürdig von sich und eilte hinweg, der Bitte der Leidenden Folge zu geben. Jetzt allein im Gemache, tauschten Mutter und Tochter einen langen Blick miteinander aus. Aus den Augen der Mutter sprach eine Frage, welche die Tochter mit den Worten beant wortete: „Es ist der Jüngere." Die Worte wurden langsam und kaum hörbar gesprochen. Die Kranke nickte verständnißvoll. Plötzlich aber fuhr sie zusammen und hielt den Kopf lauschend nach der Seite. Fran cesca errieth sofort die Bedeutung und folgte gespannten Ohres der Richtung ihres BlickeS. Zwei japanische Schirme trennten den zum Schlafzimmer bestimmten Theil von der als Wohnzimmer mehr ausgeschmückten Seite ab. Durch eine rasche, springende Bewegung schob Fran cesca einen derselben von seinem Platze, und siehe da, zwischen den Schirmen und dem Bettende kauerte Josef Welldon, XII. Ein wilder, zorniger Blick sprühte aus Francesca'« Augen, als sie auf den zitternden Knaben fielen, jedoch nur auf einen Moment, dann meisterte sie ihre Empfindungen und redete ihn, äußerlich vollkommen ruhig, hohnvoll an: Steh auf! Da« machst Du bier?"
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