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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.05.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-05-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010525025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901052502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901052502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-05
- Tag1901-05-25
- Monat1901-05
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Anttsvlatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Notizei-Ämtes der Stadt Leipzig. 28t. Sonnabend den 25. Mai 1901. Anzeigen »Prei- die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reelamen unter dem Redacttonöstrich ^-gespalten) 75 L,, vor den Familieunach» richten («gespalten) 50 L,. Tabellarischer und Ziffernsatz ratsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra - Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ttO—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Ännahmeschluß für Anzeige«: Abend-AuSgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle« je ein« halb« Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbroche» geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Druck uud Verlag von E. Polz in Leipzig. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Die „Eroberung" von Nylstroom und PteterSburg durch die Engländer. Au» Pretoria, Ende April» schreibt man uns: Kürzlich kamen hier die „Schützlinge" an, welche aus Nylstroom, der Hauptstadt des Waterberg-Districts, stammen. Ihre Erzählung ist kurz und bündig. Nach Einnahme der Stadt durch die Engländer (wenn man von Einnahme sprechen kann, wo Gegen wehr nicht einmal versucht wurde) wurden die Bewohner be deutet, sich in einer Stunde mit den notbwendigsten Habselig keiten zur Abreise bereit zu hallen. Die Frist war kaum halb verstrichen, als sich die Soldaten wie eine Horde Wilder in die Hauser stürzten, stahlen und raubten, was leicht zu tranSportiren war, und alles Uebrige kurz und klein schlugen. Darauf wurden die Häuser demolirt, was dem Beil und Stemmeisen Widerstand leistete, mit Dynamit gesprengt, und die freundliche kleine Stadt ist ein Trümmerhaufen! Wie sinnlos vorgegangen wurde, zeigt folgendes Beispiel: Ein Norweger besitzt in Nylstroom eine kleine Mühle, sein einzige» Eigentbum; er wandte sich an einen englischen Officier und bat um Schonung seines Be sitzes, indem er darauf hinwieS, daß durch Wegnabme und Zerstörung der Ventile und event. einiger anderer Theile der Dampfmaschine die ganze Anlage doch für die etwa später kommenden Boeren ganz nutzlos gemacht werden könne. Umsonst waren alle Bitten und Vorstellungen. Der Officier sagte: „Ich habe meine Instructionen auszuführen" und die ganze Anlage wurde in die Luft gesprengt. Von den „Schützlingen" aus Pietersburg wird fast das Gleiche erzählt. Es wurde den Leute» kaum gestattet, das Aller- nöthigste zusammen zu raffen, dann wurden sie wie eine V>ch- beerde zur Bahn getrieben und consequenter Weise auch in Vieh wagen „verfrachtet". In diesen offenen Wagen, ohne Sitz gelegenheit, ohne jede Bequemlichkeit, mußten die armen Leute vier Tage und Nächte zubriugen. Natürlich wurde ihnen freund lichst gestattet, für Bekämpfung von Hunger und Durst so gut oder vielmehr so schlecht zu sorgen, wie es unter den Umständen möglich war. In einem der Wagen befand sich eine deutsche Frau, welche täglich ihrer Entbindunq entgegen steht, und es hatte ein Mitreisender ihr mit Mühe einen Stuhl oesorgt. Ein Augenzeuge berichtet nun, vor Abfahrt des Zuges habe ein englischer Osficier den Stuhl aus dem Wagen werfen lassen und der Frau erklärt, die Frau könne auf dem Boden des Wagens sitzen! In einem anderen Falle kam eS vor, daß der mit AuSgewiesenen, auch Deutschen, besetzte Wagen vor die Locomotive gekoppelt wurde, um auf diese Weise als Pilotwagen zu dienen! Es ist zu hoffen, daß solche Acte bodenloser Rohheit noch zur Untersuchung, und wenn bewiesen, zur Bestrafung kommen werden. Schon bevor die armen Leute fertig zur Abreise waren, begann auch hier die Plünderung und Verwüstung. Ein englischer Officier, dem hierüber Vorstellungen gemacht wurden, gab die würdevolle Antwort: „Wir haben gegenwärtig keine Controle über unsere Leute!" — Die beiden Dampfmühlen, verschiedene Geschästslocale und Privathäuser wurden auch hier in die Luft gesprengt. Vergebens fragt sich der Unbetheiligte, was denn mit all dieser Zerstörung und Verwüstung bezweckt wird. Wenn eS die Art und Weise der Boeren wäre, sich bei ihren Gefechten auf Ort schaften zu stützen, so wäre diese Taktik der Engländer noch verzeihlich, aber Jedermann weiß, daß dies nicht der Fall ist. Die Boeren haben kaum einen einzigen Platz auch nur einigermaßen vertheidigt, können sie sich den Kampfplatz wählen, so suchen sie sich hügeliges, bergiges oder buschiges Land aus, aber sie vermeiden möglichst die flachen Ebenen, wie bei Nylstroom und PieterSburg; in einer Stadt zu kämpfen, wo sie der Gefahr ausgesetzt sind, eingeschlvssen zu werden, ist ganz und gar nicht nach ihrem Geschmack. Englische Tchnhlicfcruugcn au die Boeren. Ein holländischer Schuhwaarenfabrikant sprach kürzlich in Vlissingeu einen englischen Fabrikanten, der ihm miltheilte, daß er vor einigen Monaten vom englischen Kriegsministerium eine Lieferung von 35 000 Paar Schuhen erhalten habe. Vor einigen Tagen wurde er wieder zum Ministerium befohlen und erhielt er nochmals eine solche Bestellung. Beim Ver lassen des Bureaus flüsterte ihm ein Beamter in die Ohren: „D:e ersten 35 000 Hal De Wet erwischt". Die Wirren in China. „Hunncnbricfe". Folgender Privatbrief eines deutschen Chinakämpfers wird uns freundlichst zur Verfügung gestellt: Lieber Freund! Ich habe schon mehrere schändliche Berichte über Unthaten in sächsischen Blättern gelesen, welche von den in China dienenden Soldaten begangen sein sollen. Ich kann Dir jedoch versichern, daß keiner von diesen Be richten auf Wahrheit beruht, indem die Strafen für derartige Sachen ziemlich streng sind, auch kann cs Einer, wenn es wirk lich geschehen ist, nur in der Trunkenheit gethan haben, und wird dafür seine Strafe erhalten; dann giebl es Kameraden, welche derartige Lügen nach Hause schreiben in dem Glauben, sich da mit zu rühmen, ohne sich dabei zu überlegen, daß sie damit die ganzen deutschen Truppen blamiren, aber auch hierfür erhalten dieselben sehr schwere Strafen. Das ganze Ostcorps ist so aufgeregt darüber, daß wir glauben, wir werden >o empfangen, wie dec Präsident Krüger in -r-eutsch- land. Nach meinem Urtheil kann ich auf keinen Fall sagen, daß wir Lustmorde treiben, wie in deutschen Blättern geschrieben wird, sondern nur den echten deutschen Michel markiren. Kommt ein deutsche: Soldat i-z ,'eindliche Hai^d, so wird er noch den größten Greuelthaten verstümmelt, ist es aber umgedreh.',' dann werdsu erst große Verhandlungen oorgcnommen, damit keiner ungerechter Weise dem Tode entgegen geht. Die Schuldigen erhalten dann eine Kugel oder die nach "deutscher Methode eingeführte Ent hauptung, welche durch Chinesen vollzogen wirb. Lieber Freund, nun möchte ich Dich bitten, diesen Brief, welcher nur die reinste Wahrheit enthält, dem „Leipziger Tage blatt" zur Veröffentlichung zu übergeben, damit den Lügen schreibereien endlich einmal Einhalt gethan wird, denn man traut sich gar nicht wieder nach Hause, indem man zuletzt als Lust mörder betrachtet wird. Musketier Sachse, 1. berittene Jnfanterie-Eompagnie, 6. Regiment in China. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. Mai. Eine angenehme Ueberraschuug hat kur; vor dem Pfingst- feste der württembergiscke Finanzminister v. Zeyer allen Denen bereitet, die in einer organischen Rcichsfinanzresori» daS einzige Mittel zur Beseitigung der Finanzcalamitäten erblicken, in Weiche die Einzelstaaten mit fast alleiniger Aus nahme Preußens allmählich gerathen sind und immer mehr zu gerathen droben. Bei der Berathung der Matricular- beiträge im württembergischen Landtage theilte nämlich der genannte Minister, wie der Telegraph bereits gemeldet bat, mit, daß innerhalb der Regierungen die Hindernisse nunmehr beseitigt seien, die bisher einer solchen Reform entgegenstanden. Die Regierungen seien entschlossen, diese mit allen Mitteln zu betreiben, und hofften, daß auch der Reichstag den Reichs finanzen die nothwcndige Ständigkeit und Sicherheit geben werde. Der angenehme Eindruck, den diese Mittheilung macht, wird freilich etwas abgeschmackt durch den Zusatz des Herrn v. Zeyer, von neuen Reichssteucrprojecten wisse er gar nichts. Da ohne neue Reichssteuern den Reichs finanzen die nothwendige Ständigkeit und Sicherheit schwer lich verliehen werden kann, so kann das Einvernehmen der Mächte noch nicht allzuweit gediehen sein, wenn cs sich nicht auch auf neue Neichssteueru erstreckt. Ueberdies meldet heute die „Nationalliberale Correspondenz": „Im Zusammenhang mit den für den 4. Juni bevorstehenden zollpolitijchen Besprechungen, zu denen der Reichskanzler die zuständigen Minister der größeren deutschen Einzelstaaten ein geladen hat, wird, wie man in politischen Kreisen annimmt, auch eine Aussprache darüber stattfinden, was in Sachen der Reichs finanzreform in Len nächsten Jahren am besten in die Wege zu leiten sei. Die Gelegenheit zu einer derartigen Erörterung ist um so günstiger, als zu den zollpolitijchen Besprechungen auch der bayerische Finanzminister v. Riedel hierher kommt, der anerkannter maßen eine der größten Autoritäten auf dem Gebiete des Finanz- wesen-Z ist." Allem Anscheine nach hat also Herr v. Zeyer das Ein vernehmen, das erst hergestellt werden soll, als bereits her- bcigesührt bezeichnet. Da er daö aber sicherlich nicht getban haben würde, wenn er nicht guten Grund zu der festen An nahme bätte, daß die bevorslebeude mündliche Aussprache zu einem günstigen Resultate führen werde, so ist die Mit theilung immerhin von erfreulichem Wertste; besonders deshalb, weil in der letzten Zeit ziemlich allgemein angenommen wurde, Preußen stehe in Folge seiner günstigen Finanzlage dem Gedanken einer Neichssinanzreform, wenn auch nicht gerade ablehnend, so doch sehr kühl gegenüber. Mit einer Eini gung der einz^staatlieLeu -Regierungen ist freilich noch nichts erreicht, wenn der Reichstag versagt und wenn namentlich das ausschlaggebende Eentrum auf der oppositionellen Stellung verharrt, die es zu den früheren Neformprojecten genommen bat. Da aber die klerikalen Wähler in den meisten der Einzelstaaten, auS denen die Centrumsfraction sich haupt sächlich rccrutirt, die peinlichen Folgen dcS Wachsens ter Matricularbciträge am eigenen Leibe verspüren, so ist die Hoffnung wenigstens nicht ausgeschlossen, daß ein „Druck von unten" daS Eentrum diesmal dem Verlangen der verbündeten Regierungen geneigter machen werde. Hat doch überdies Herr I)r. Lieber die Freude gehabt, den Vater der früheren Reichssiaanzreformpläne, Herrn Or. v. Miquel, fallen zu sehen; und fällt doch durch diesen Fall der persönliche Grund hinweg, der den EentrumSfübrer bei seiner Opposition gegen diese Pläne mit beeinflußt haben mag. Die polnische Presse ist in Folge der Wreschiner Vor gänge ganz aus dem Häuschen. Ihr ist kein Mittel zu gewagt, die polnischen Hetzer rein zu waschen und die Schuld auf die Deutschen abzuschieben. Dabei wird zu den wildesten Uebertreibungen gegriffen. So schreibt der „Dziennik" im Anschluß an eine Meldung aus Miloslaw über unbedeutende Bestrafungen von Kindern, die im Religionsunterricht die deutsche Antwort verweigerten: „Gott! WaS für Zeiten! Wider Willen denkt man an die Verfolgung der ersten Christen!" Daß man auf der Posener Dommsel einiges Unbehagen darüber empfindet, wenn in der deutschen Presse auf die Theilnabme der Geistlichen an der polnischen Hetze und den mangelnden Widerstand der kirchlichen Be hörde hingewiesen wird, zeigen die Auslastungen de- dem Erzbischof v. StablewSki nahestehenden „Kuryer". DaS Blatt will das „Märchen" widerlegen, daß besonders die von der Geistlichkeit betriebene Agitation daS Volk m einem beständig gereizten Zustande erhalte: daS Volk sei bei aller Achtung vor der Geistlichkeit in politischer Beziehung absolut selbstständig und übernehme die Verantwortung für sein Verhalten selbst. Zutreffend bemerkt ouzu die freisiauige „Pos- Ztg.": „Letztere Behauptung ist einfach Unsinn. DaS polnische „Volk" sieht in seiner Geistlichkeit, die ihm im Beichtstuhl und ander-wo mancherlei „räth", einfach die Vertreter Gottes. Man sollte, wir wiederholen es gerade jetzt, an Sonn- und Feiertagen alle pol nischen Versammlungen im Interesse der Sonntagsruhe verbiete« da sie nur politisch verhetzende Gegenstände verhandeln. Wir sind sehr liberal, gar nicht „hakatistisch", aber wir kenne« dies« Sorte von polnischen Aufhetzern zu genau und wünschen im Jutereffe unseres Deutschthums, daß die preußische Regierung in diesem Falle vor einer Rotte von antideutschen Aushebern keine Angst zeige!" WaS die geistliche Behörde anlangt, so ist eS mit der Ableugnung des „Märchens" von der hervorragenden Tbeil- nahme der polnischen Geistlichen an der Gesetzarbeit nicht gethan. Es muß erwartet werden, daß der Herr Erzbischof es endlich für angemessen halten werde, seinen ganzen Ein fluß gegen diele Thätigkeit seiner Geistlichen geltend zu machen. Wenn, wie es nach solchen Vorfällen in der Regel geschieht, ein Posener Berichterstatter nächster Tage von irgend einer neuen äußerlichen Loyalitätsbezeugung des Erzbischofs zu melden Weiß, so wollen wir rechtzeitig bemerken, daß ein Ersatz darin keinesfalls zu erblicken ist. WaS man erwarten darf, ist vielmehr ein energisches und unzweideutiges Verbot der Betheiligung von Geistlichen an der polnischen Agitations arbeit und ein entsprechendes Verhalten der abhängigen polnischen Presse. Der Wunsch der „Pos. Ztg.", den polui- ,cheu Hetzers wenigstens insofern die Arbeit zu erschweren, als ihnen an Feiertagen die Abhaltung polnischer Volksver sammlungen verboten wird, ist mit der Rückkehr des Ober präsidenten v. Bitter in Erfüllung gegangen: Alle für den zweiten Pfingstfeiertaz geplanten polnischen Volksversamm lungen sind untersagt. Der Ausstand der Glasarbeiter von Charleroi ist nach zchnmonatigec Dauer nunmehr beendet. Und zwar haben die Arbeiter, die zum weitaus größten Theile sich nur gezwungenermaßen an dem von den „Führern" inscenir- ten Ausstande betheiligt haben, endlich eingesehen, wohin das Vertrauen auf die „Uneigennützigkeit" ihrer Vertreter und der naive Glaube an die Versprechungen der Streikapostel sie geführt hat. Diese Sinnesänderung der Arbeiterschaft fand ihren Ausdruck in einer energischen Kundgebung an die Mitglieder des Arbeitersyndicats und hatte eine vollständige Auflösung des Bureaus zur Folge, indem die Mehrzahl der „Führer" an der gemeinsamen Sache „Verrath" übte und die Wiederaufnahme der Arbeit proclamirtc. Damit hat eine Bewegung ihr Ende ge funden, die lediglich den agitatorischen Machenschaften der Führer ihr Entstehen verdankt und während ihrer langen Dauer nicht Feuilleton. uz Cm Engel -er Finsterniß. Roman von Gertrude Warden. Autorisirte deutsche Uebersetzung von A. Brauns. Nachdruck verboten. „Wenn Ihre Gefühle in Bezug auf Francesca derartige sind", rieth Betty, „dann würde ich sie wegschickcn." „Ich darf nicht ungerecht sein." „Wenn Sie aber ihr und ihrer Mutter ein Jahrgehalt aus setzten, dann würde cs nicht ungerecht, nicht halb so ungerecht sein, als solche Gefühle gegen sie zu hegen. Ich halte sie für herrlich, da sie so gut und liebevoll zu ihrer Mutter ist, ihr Hand und Fuß bedient, wie sie es doch thut, und lein Mädchen und keinen Arzt annimmt, einzig nur. um Ihnen die Kosten zu ersparen! Und wissen Sie, theuere Frau Revelsworth, manchmal — ohne eS zu beabsichtigen, bin ich überzeugt, stellen Sie ihr Tempe rament auf eine harte Probe. Selbst ich, von der Sie doch be kanntlich meinen, daß ich kein Temperament habe, wäre unfähig, die Dinge, die Sie ihr sagen, in Ruhe hinzunehmen." „Sie ist mir zu unsympathisch! Aber trotz ihrer scheinbaren Geduld haßt sie mich", betonte die alte Dame. „Durch all' ihr liebenrwürdiges Gethue hindurch kann ich es in ihren Augen lesen. Rede mir nicht dagegen!" rief sie, als Betty die Lippen zum Widersprechen öffnete. „Ich kenne die italienische Natur. Ich lese meine Zeitungen und weiß, wie das Gesindel auf Saffron Hill (das italienische Viertel in London) es treibt. Bei denen heißt es: „Oh, ich vergebe Dir, und es hat nichts zu bedeuten!" und sowie Du den Blick wegwendest, da stoßen sie Dir das Stilet in den Rücken. Das ist italienisch über die ganze Welt. Francesca mag sehr liebenswürdig und langmüthig scheinen, so möchte sie mich trotz alledem aus Haß vergiften, sie ist nur zu schlau, ihre Gesinnung offen an den Tag zu legen." Einige Tage nach Francesca's Bitte um das Billardzimmer für die Jungen und ein „Nestchen" für sich selbst, erschienen eine Anzahl Arbeiter auS Surbiton, um für dies und jenes Maß zu nehmen. Einer derselben sagte, seine Anweisungen lautete», nach Fräulein Francesca Revelsworth zu fragen. Beim Erscheinen der jungen Dame erklärte er, beauftragt zu sein, ihre Befehl, wegen der Tapeten für ein Zimmer, das sie ihm zeigen werde» einzuholen., > . *4 . Jeden Schein von Verwunderung unterdrückend, prüfte Francesca die ihr vorgelegten Tapetcnproben, wies sie aber alle zurück und befahl dem Manne, ihr unverzüglich ein Muster ganz neuer Zeichnung, das sie in London gesehen, zu besorgen. „Wie kann ich auf einer antiken eichenen Fensterbank sitzen, auf der Laute spielen und in einem Stickrahmen sticken bei einer Wandtapete, die wie 1898 aussieht?" wandte sie sich an den Mann, ihre brennenden blauen Augen fest auf ihn richtend. „Es wäre das ein zu lächerlicher Anachronismus. Das Gemach muß so florentinisch und so mittelalterlich ausschcn, wie der bestimmte Preis es nur zuläßt." Unter diesen auf ihn gehefteten Augen würde der Tapezierer in Alles und Jedes gewilligt haben. Da einer der anderen Ar beiter — ein Töpfer — zufällig ungewöhnlich intelligent war für einen englischen Handwerker, so verstand er ihre Angaben und baute unter ihren Anweisungen einen höchst cffectvollcn Kamin mit einem durchbrochenen Aufsatze, über dem ein Rahmen ein gesetzt wurde zu einer ihrer eigenen Stickereien — einer Repro- duction von einem Zeitungsholzschnitt von Burne Jones' „Circe", die Zauberin in dem Acte darstellend, wie sie den Wein der unglücklichen Seeleute vergiftet, deren Schiffe man im Hintergründe über das wogende Meer heransegeln sieht. Die zwar nur! oberflächliche Kunstschulung, die sie als Kind durch ihren Vater in den Museen und Bildergalerien Italiens erhalten, kam ihr dennoch sehr zu statten; dabei besaß sie künst lerischen Geschmack und auch hinreichendes Talent, ihre Ideen malerisch zu gestalten. Nach Verlauf von noch nicht vollen zwei Wochen gab sie in ihrem „Nestchen" ein „^t Iromv", zu dem Frau Revelsworth, Betty, die beiden Brüder wie auch Heremon O'Meara eingeladen waren. In dem „Nestchen" war ungefähr so viel Raum, daß sie alle Sechs bequem sitzen konnten. Francesca hatte Wunoer ge schaffen. Das Fenster, das die Aussicht, wie das in Betiy's Bude, nach dem Wirthschaftshofe hatte, war mit bunten Butzen scheiben in achteckiger Bleieinfassung ausgefüllt, das wohl Licht herein ließ, aber die Aussicht verschleierte. Der Fenstersitz war verbreitert und mit stumpfem, schwerem Goldbrokat überzogenen Polstern bedeckt. Der weiße Firnißanstrich, der den Umfassungs rand und Fries entstellte, war mit dunkler Eichenfarbe über strichen, und der Zuschauerraum mit Tapete ausgefüllt worden, die der so ähnlich sah, daß man sie anfassen mußte, wollte man sich von dem Material überzeugen. Ein Spiegel in einem langen, schmalen, geschnitzten Eichenrahmen hing schräg an der Wand; Behänge von stumpfem Goldbrocat schützten daS Fenster und die Thür; em massiver Schaukelstuhl, rin Sessel, ein hoher Stickrahmen, zwei merkwürdig geformte altmodische Schemel, dem Anscheine nach aus altem Eichenholz gearbeitet, und zwei kleine Tischchen von demselben Material bildeten das Möblement; die Ausstattung des Raumes vervollständigten ein Leopardfell auf den dunkel polirten Dielen, und von der Decke, die gleichfalls mit Mattgoldtapetc tapezirt war, hing eine Hängelampe von oxydirtem Silber und rothem Glas. Schüsseln von getriebenem Kupfer, zum Ueberquellen mit rothen Rosen gefüllt, und ein altem Derby-Porzellan täuschend ähnlich sehendes Theeservice gaben der Einrichtung noch ihre letzte künstlerische Vollendung. Und im vollen Einklänge mit der mittelalterlichen Ausstattung stand die Erscheinung der Gast geberin selbst. Francesca trug eine Theerobe von ihrem venetiani- schen Licblingsroth, die ihrer herrlichen Gestalt zum Entzücken paßte; das lose Spitzenjabot war in der Taille von einer emaillir- ten Schnalle festgehalten. Mit vollendeter Grazie machte sie die Honneurs. Die alte Herrin des Hauses befand sich in ungewöhnlich ge drückter Stimmung. Zwar konnte sie nicht unterlassen, ein paar Bemerkungen zu machen und über die Narrheit, an die Decke Tapeten zu kleben und zu Fensterscheiben Scherben von zer brochenen Glasflaschen zu verwenden; auch wollte sie wissen, warum ihre Nichte am Hellen Tage in Maskencostüm umhergehe — doch prallten alle Bemerkungen an der gelassenen Anmuth ihrer Nichte ab. Und das Benehmen der schönen Francesca legen die drei Herren war wirklich eine Meisterleistung. Ohne egliche Mühe hatte sie sich zur Dame ihrer Huldigungen und zu hrer Königin gemacht — eine Stellung, die zu behaupten für ie leicht genug, da Viktor bereits bis Uber die Ohren und Dudley zum Theil in sic verliebt war, und Heremon, obschon seiner Betty treu, dennoch von den Reizen ihrer „Pantherfreundin" sich blenden ließ. Betty bereitete den Thec; und selbst sie war nicht die Betty des sonstigen Alltagslebens, sondern eine allerliebste zierliche Erscheinung in einem hellfarbig seidenen Rocke und dazu passen der Musselinblouse. Francesca Revelsworth war viel zu könig lich gesinnt, zu dulden, daß ein allzu augenfälliger Abstand sichtbar sei zwischen ihren eigenen kostbaren Roben und den Kleiderchen aus ganz billigen, gewöhnlichen Stoffen, wie die kleine Betty sie meist trug. So hatte sie denn bei Frau Revelsworth die Erlaubniß ausgewirkt, für Betty ein paar hübsche Sächelchen kaufen zu dürfen; ob nun gern oder ungern, so hatte doch die alte Dame die Genehmigung erthrilt. Das erhitzte Gesichtchen um rahmt von einer crömefarbigen Musselin- und gleichfarbiger Spitzenkrause, rothe Rosen im Gürtel der schlanken Taille, schwarzseibene Strümpfe und die niedlichsten Schnallenschuh« an den zierlichen Füßen, stellte die hold« Beith ein allerliebste« Meißner Porzellanfigürchen dar. Und von FranceSca war e« eine diplomatisch« That, denn Betty war überschwänglich in dankbarem Lobpreisen, und die drei jungen Herren waren voller Bewunderung für Francesca's Güte und Großmuth zu ihrer Freundin. Ihr Korne" war ein großer Erfolg; nur Frau Revels worth amüsirte sich nicht. Nach dem Thee gab es noch auf Eis gekühlten Kaffee, Süßigkeiten, Eis und Crsme. Das ganze Zeug schmeckte der alten Dame aber nach Babylon; sie laS gern von Babylon und war stets empört von den in dem alten kultur historischen Staat herrschenden Sitten. Aber gar nichts mache sie sich daraus, äußerte sse hinterher, daß ihr hochrothe Damen und verschwenderische ausländische Moden inS Haus gebracht würden. Francesca hatte sich auf den Polstern in der Fensternische niedergelassen, nahm ihre Laute auf die Knie und schlug eben ein paar Accorde an. Sofort stimmte Betty hinter dem Thce- tische mit ihrer silberhellen Stimme ein Liedchen an; und wieder war jeder der Anwesenden — außer Frau Revelsworth — hin gerissen von Entzücken. „Du behauptetest doch, nicht spiclen zu können", wandte sich die Tante mit Strenge an ihre Nichte. „Clavier spiele ich nicht", erwiderte Francesca. „Da ich nur sehr wenig Talent für Musik besitze, so wählte ich mir zum Erlernen das Instrument, welches für meine Persönlichkeit am besten paßt." „Es mag das sehr schlau sein und wahrscheinlich auch hoch modern", bemerkte die Tante beißend, „was es aber eigentlich bedeutet, davon habe ich keine Vorstellung." „Es bedeutet", mischte sich Dudley ein, der jetzt wirklich de« Kopf über seine Cousine zu verlieren schien, „daß sich Francesca mit gutem Recht als ein wieder aufgelebter herrlicher Typus einer römischen Ahnfrau aus dem Mittelalter betrachtet. — Nichts an ihr gehört dem neunzehnten Jahrhundert an; wrShakb sollte sic daher auf dem häßlichen Instrument, dem Clavier, Herumtrommeln und dem Auditorium den Rücken zukehren?" „Das Clavier ist für mich gut genug und sollte es auch für jede englische Dame sein. Und was das „dem Auditorium den Rücken zukehren" anbelangt, so hab' ich gelesen, daß es heut- zutage Mode geworden, die Pianinos in die Mitte deS Zimmer« z» zerren, Behänge und Borden an der Rückseite zu befestigen und obendrauf Blumentöpfe zu stellen. Ich selbst hob« solchen Un- sinn noch nicht gesehen, Euch jungen Leuten wird's aber wahr scheinlich nicht unbekannt sein." „Hier würde kaum Platz sein für ein große« Pianino", ließ sich die diplomatische kleine Betty vernehmen.
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