02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.05.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-05-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000504022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900050402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900050402
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaction «nd Expedition: JohanniSgafse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen ««öffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm'» Tortim. Universitätsstraße 3 (Paulinum^ Louis Lösche, KichstnenkL, I«, parr. und König-Platz 7. BezugS'PreiS c der Hauptexpedition oder den im Stadt» ßezirk und den Bororten errichteten Aus- rpbrstellrn abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, vei zweimaliger täglicher Zustellung ins hau- 5.50. Durch die Post bezogen siir Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Krcuzbandiendung in» Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. LaMtr TagMak Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rattjes «nd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. 225. Freitag den 4. Mai 1900. Anzeigen.Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reckam en unter dem Redaction-strich (»ge spalten) 50-H, vor den Familiennachrichten (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzrichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de, Morgen «Ausgabe, ohne Postbeförderung Ä.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Dolz in Leipzig, SL Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. Mai. Die gestrige Sitzung der Budgetcommission des Reichstags, in der die ibr vom Plenum überwiesenen „FlottendeckungS-Anträge" Müller-Fulra nnd Büsser in ann beratben wurden, hat gezeigt, daß cs selbst dann nicht möglich ist, Zoll- und Steuergesetze im Handumdrehen zu fabriciren, wenn das Material ganz oder wenigstens theilweise von amtlicher Seite geliefert worden ist. Die Art, wie der vom Centrum beherrschte Reichstag die FlottcndeckungSfrage „löst", ist überhaupt so seltsam und unbefriedigend, wie die ganze Behandlung der Flottenangelegenbeit. Ein alter Parla mentarier schreibt darüber den „Berl. N. N.": „Wir werden aus einer Ueberraschung in die andere gestürzt. Erst hat man die Flottenvorlage ein Vierteljahr liegen lassen, ohne sie einen Schritt vorwärts zu bringen, und nun soll sie mit Dampf erledigt werden. Wir unsererseits sind gewiß die letzten, die dagegen etwas einzuwenden hätten, wenn es in befriedigender Weise geschähe. Befriedigt aber fühlen wir uns zunächst nicht durch den Umfang, welchen die Be schlüsse erster Lesung in der Eommijsion der Flotten verstärkung gegeben haben. Wir hoffen, es werde im weiteren Verlaufe zum Mindesten noch eine Form gesunden werden, welche außer Zweifel stellt, daß cs sich bei der Ab setzung der Auslandsschifse nicht um eine Ablehnung, sondern um eine vorläufige Vertagung handelt. Sodann aber flößt uns der moclus xroeeäonüi bei der D e ck u n g s f r a g e grund sätzliche Bedenken ein. Die Unausführbarkeit des von dem Abg. Müller-Fulda in der Commission am Dienstag unternommenen Husarenrittes, eine vollständige Novelle zum Stciiipelsteucrgesetz in das Flottengesetz hineinzuarbeiten, ist von dem kühnen Reiter noch bei Zeiten erkannt worden; nichtsdestoweniger verlohnt es sich, den Vor gang in seiner symptomatischen Bedeutung zu kennzeichnen. Wie würde wohl der alte Windthorst gedonnert haben, wenn sich die Nationalliberalen zu der Zeit, da sie im Reichstage eine noch stärkere Machtstellung einnahmen, als heute das Centrum, einen ähnlichen Parforcevorschlag hätten erlauben wollen! Herr Müller- Fulda hatte das Glück, eine sehr nachsichtige Kritik zu finden. Einzig und allein Herr Richter setzte die Ungeheuerlichkeit seines Vorgehens in das rechte Licht, natürlich aber in den concilianten Formen, die sich einem zwar untreu gewordenen, aber doch nicht entbehrlichen Freunde gegenüber geziemen. Ganz richtig hat er hervorgehoben, Laß, wenn die Commission den in dem Anträge Müller bezeichneten Weg betreten wollte, ein Prücedenzfall von unabsehbarer Trag weite für olle Zukunst geschaffen werden würde. Herr Richter faßte allerdings nur die Beeinträchtigung des RcichstagSplenumS ins Auge, die darin liege, daß man cs auf diese Weise um die erste Lesung eines Gesetzesvorschlages bringe, mit dessen Berathung die Commission gar nicht beauftragt war. Aber wir meinen, mindestens eben so sehr, wenn nicht noch niehr, wären die verbündeten Regierungen an der Sache intcressirt. Wenn dieselben zulassen wollen, daß der Reichstag in ihre Vorlagen beliebige andere, den Gegenstand dieser Vorlagen selbst nicht bc« treffende Gesetze bineinarbeitct, so geben sie nicht nur thatsüchlich, sondern man kann fast sagen grundsätzlich die Führung in der Gesetzgebung aus der Hand." Der Verfasser weist dann darauf hin, daß die vom Abg. Müller-Fulda beantragte Novelle zum Stempelgesetz im Wesentlichen ein Gesetzentwurf des Neichsschatzamtes war, der dem Bunvesrathe noch nicht vorgelegen hat und zu dem also die Negierungen der Einzclstaatcn sich noch nicht geäußert haben. Der Verfasser verkennt nicht, das; ein solcher Weg zur Abkürzung des Verfahrens führen und somit ter Verabschiedung des Flottengesetzes förderlich sein kann, aber er betont auch, daß gerade das Centrum, das sich stets als den eigentliche» Hort der föderativen Inter essen auSgcgebcn hat, jeden Schein einer Nichlberück- sichtigung ter cinzelstaatlicken Regierungen hätte ver meiden sollen, und schließt: „Unter allen Umständen muß man sagen, daß dergleichen sich nicht wiederholen vars, wenn nicht ter verfassungsmäßige Einfluß ter Einzelregierungen aus die Reichsgesetzgcbung in bedenklicher Weise präjndicirt werden soll." Wie man das verhüten soll, wird freilich nicht gesagt; eS wird sich auch nicht vermeiden lassen, so lange das Centrum ausschlaggebend im Reichstage ist und sich über alles hinweg setzt, was ihm unbequem ist. So lange aber von oben her das Gegentheil von dem geschieht, was die Herrschaft des Centrnms brechen könnte, wird diese Herrschaft mit allen ihren Folgen eher wachsen, als sich vermindern. Unter der Ueberschrist ,,I.a musoritö du Xroupriur:" widmet der Pariser „TempS" ter bevorstehenden Gvos;- jijhrigkcitScrklinung öcs dcutschcn Kvoiiprinzcn einen längeren Leitartikel. Den Stempel ter Weltausstellungs-Friedfertigkeit tragend, zeigt dieser Artikel natürlich stellenweise den fran zösischen Gegensatz zu Deutschland, ist aber frei von Gehässig keit und von internationalen VerhetzungSversuchcn, so daß er im Ganzen sympathisch berührt. Da er außerdem in be- merkenSwerther Weise auf die F l o t t e n v o r l a g e und auf Kaiser Wilhelm II. zu sprechen kommt, verdienter, seinem wesentlichen Theile nach teulschcn Lesern mitgetheilt zu werden. Nachdem der „Temps" mit einem leisen Anfluge von Neid constatirt bat, daß eine Versammlung von Kaisern, Königen und Fürsten zur Feier der Großjährigkeit des deutschen Kronprinzen in Berlin abgehalteu werden wird, schreibt er n. A. wörtlich: „Wenn er der Kette der Folgen und Wahrscheinlichkeiten nach geht, kann der Kronprinz schon das Deutschland und Las Europa der Zeit antecipiren, da er die gefährliche Stellung eines Hirten des Volkes einnimint. „Unsere Zukunft liegt aus dem Meere" — ist die Inschrift, die an der Front eines der hier von der deutschen Industrie errichteten Monumente geschrieben steht und die am besten den Instand deS germanischen Geistes im Augenblicke der Großjährigkeit des Kronprinzen bezeichnen dürfte.... In weniger Zeit, als er brauchte, um groß zu werden, hat sei» Land aufgehört, eine ausschließlich europäische Macht zu sein, und ist zum Rang einer Weltmacht vor geschritten. Wie infolge einer Höflichkeit des Schicksals scheint in dem Augenblicke, da der junge Prinz das Mannesalter erreicht, der große Gedanke seines Vaters nach schweren Mühen der Verwirk lichung nahe zu sein. Deutschland wird, wenn cs diesem Vater folgt, Dank Wilhelm II. einse große und mächtige Kriegsmarine haben. Ten schwerwiegenden Einfluß, den es auf Europa ausübt, wird cs also auch auf die übrige Welt aus üben können, und die Lage der anderen Mächte, die Lurch ihr Ge schick Lazu verurtheilt sind, zugleich See- und Landmacht zu sein, wird dadurch (?) wohl nicht viel glücklicher sein." Der „Temps" berührt alsdann die wirthschaftliche Umwandlung, die der industrielle und commerzielle Fort schritt in dem bisherigen Agrarstaate Deutschland hervor gebracht hat, und leitet aus der Verbesserung der materiellen Lage ein gesteigertes Selbstbewußtsein des Volkes her, mit dem schon Wilhelm II. Compromisse habe eingehen müssen. Endlich stellt der „Temps" einen Wandel in der mora lischen Verfassung Deutschlands fest: „Die Söhne der (nicht reiche») Krieger (zu welchen die philo sophischen Deutschen geworden waren) haben sabricirt, gehandelt, geschachert. Neue Generationen kommen herauf, die üppiger, folglich egoistischer und im Ganzen schwächer sein werden. Uebcrdies werden sie in sich selbst tiefer gespalten sein, Leun während die Herrschaft einer allgemeinen militärischen Armuth den Graben der socialen Gegensätze immer mehr ausgcfüllt, als ausgehöhlt hat, erzeugen Handels- und Jndustcie-Oligarchien in verhängnißvoller Weise Haß und Gegen forderung von unten her. Der Schrei wird schon jetzt laut genug vernommen nnd in Deutschland vielleicht furchtbarer als überall anderswo. Wenn also der Kaiser von Deutschland für seinen Sohn den Herrn der Heerscharen anrust, wird er wissen, Laß er ihm vor Allem die Gabe wünschen muß, sich umzubilden und sich zu accommodircn. Diese Fähigkeit der Anpassung an neue Bedingungen und an neue Bedürfnisse seines Volkes ist es gerade, die Wilhelm II. am wenigsten gefehlt hat." Wie cS im Vorstehenden geschehen, so liebt man es all gemein in Frankreich, die svcialdemokratische Gefahr in Deutschland zu überschätzen. ES wird dabei übersehen, daß die Machtstellung der Socialdcmokratie zum großen Theil auf der Zersplitterung der bürgerlichen Parteien beruht, daß ferner die moralische Position der deutschen Socialdemokratie in demselben Maße schwächer geworden ist, in welchem die „Intellectuellen" unter den deutschen Socialisten von dem theoretischen Lehrgebäude des Marxismus -inen Stein nach dem anderen abtragen. Wenn der „Temps" von einer HandelS- und Industrie-Oligarchie für Deutschland spricht und aus ihr auf eine Steigerung der socialen Gegensätze schließt, so ver gißt er, daß d.esscils der Vogesen keinerlei Oligarchie, sondern vas sociale Königthum herrscht. Die Wirkungen dieses socialen KönigthumS sind in Deutschland um so klarer hervor getreten, je reicher es geworden ist; und daß seine Wirkungen unablässig fortdauern, ist erst vor wenigen Tagen wieder in dem Organe weitgehender Socialreformer anerkannt. Auf den in dieser Beziehung von seinem Vater und seinem Urgroß vater gemäß der Initiative deS Fürsten Bismarck gewiesenen Bahnen wird ganz gewiß auch Kronprinz Wilhelm dermal einst als Herrscher verharren und damit französische Hoff nungen auf eine innere Spaltung zu nichte machen. lieber anglo-indische Liebenswürdigkeiten gegen Deutsch land wird der „Welt-Corresp." auö Kalkutta, 10. April, geschrieben: Auch in Indien fehlt eS nicht an gelegentlichen Beweisen der entschiedenen Abneigung der Engländer gegen Deutschland und alles Deutsche. Ich will ganz davon absehen, daß sich die anglo-indische Presse noch jetzt vielfach in einer Weise über den Kaiser ausspricht, welche die Grenzen deS Erlaubten weit übersteigt und welche in jedem Deutschen, der patriotisch denkt, das Gefühl der Empörung wach rufen muß. Muß aber nicht jeder national empfindende Deutsche in Helle Entrüstung gerathen, wenn er z. B. Gedickten, wie dem folgenden, in angesehenen auglo-indischen Blättern be gegnet? Ich finde im „Pioneer" vom 23. März 1900 folgenden „poetischen" Erguß. Das Machwerk ist zu schlecht, als daß sich der Versuch lohnt, dasselbe in gebundener Sprache wiedcrzugeben, eine wörtliche Uebersetzung genügt voll kommen, um dem Leser einen Begriff der darin aus gesprochenen Gesinnung zu geben. „Die Furcht und der Neid aller." lind sagen sie, mein Eiland sei auch ganz versunken und verkommen In Lebenslust und in Genuß des Goldes? Und sagen sie, mein Reich soll noch zerrissen werden Vor meinen alten Augen, wie einst vor Alters ei» Reich Ward wcggerissen von dem Mutterschooße? Narren ihr! Noch ungeborene Nationen, Länder, die noch nicht benannt, Uud ungezählte Aeonen, sie werden meine Söhne sehen als ihre Herren. Ja sicherlich, der Morgen, er wird kommen, wenn Alle, Ter gierige Slav', der gistig-neid'sche Deutsche und auch der schnatternde Franzose, wenn ihre Throne, ihre Fürsten, wenn ihrer Völker Schaar und ihrer Länder Zahl Soll beuge» sich und brechen vor meiner Kinder Macht. Nur sie allein, sie sollen diese Welt besitzen, Nur ihnen, die allein gerecht vor Allen walten, Nur ihnen soll die Herrschaft sein. Ich habe dem unbekannten DichterSmann eigentlick schon zu viel Ehre erwiesen, daß ich von seinem Erguß überhaupt Notiz genommen habe, allein derselbe ist geradezu charak teristisch für das ganze Denken der Engländer. Es giebt auch nickt einen Briten auf der ganzen Welt, der nicht mit ganzer Seele sein Placet darunter setzen würde, und eS ist bezeichnend, daß derartige Ansichten sich nicht in einem Winkelblättcken,sondern im „Pioneer",der größten indischen Zeitung, finden. — In derselben Nummer deS „Pioneer" findet sich eine andere Nachricht, die, wenn richtig, wiederum einen der gehässigen Schläge gegen Deutschlands Handel und Industrie bedeutet, an die wir ja seit längerer Zeit gewöhnt sind. In allen Contracten, die das Armee- und Marine- BekleidungSamt in Zukunft abschließen wird, muß stets, wv bisher das einfache Wort „Indigo" stand, eS nunmehr heißen „natürlicher Indigo". Dadurch hofft man, dem synthetischen Indigo auf den Leib zu rücken, um den nothleideudeu Indigo pflanzern zu helfen. Also mit kleinlichen Polizei-Kniffen sucht man den Gegner zu schädigen, nicht aber dadurch, daß man den verrotteten und veralteten Schlendrian auf den Indigo plantagen durch verbesserte GewinnungSinethoden zu ersetzen versucht. Der Krieg in Südafrika. —L» Nachdem jetzt die Chronologie der Rückzugskämpfe bei Thabanchn-Houtneck klar ist, stellt sich Folgendes heraus: Am 29. April wurden die Generale Dickson und Hamilton von Houtneck auf Thabanchu zurllckgedrängt, wobei ihr Train in Gefahr schwebte, abgcschnitten zu werden; am 30. April und am 1. Mai machten die Engländer, nachdem sie Verstärkungen herangezogen, einen neuen Vorstoß auf Houtneck, der ihnen glückte. Nach Lord Robert»' Telegramm vertrieben sie, wie gemeldet, die Boeren, die 12 Todte, 40 Ver wundet und 26 Gefangene verloren haben sollen aus einer festen Stellung bei Houtneck und besetzten Jacobsrüst, um hier nach siebentägigem Kampfe auszuruhen. Nach einer Meldung deS „Reuter'schen Bureaus" mußte am 1. Mai das englische Lager, da eS von den auf den Bergen stehenden Feuilleton. Unter egyptischer Sonne. Roman aus der Gegenwart von Katharina Zitelmann. Nachdruck verböte». Am Vordersteven des Dampfers der Hamburger Packetfahrt- Linie, der soeben auf der Rhede von Alexandria die Anker aus wirft, drängen sich die Passagiere, Ferngläser in den Händen und vor den Augen haltend, neugierig den schmalen, blendend weißen Strich musternd, der aus dem dunkelblauen Wasser aufsteigt. Ein paar schlanke Thiirme zeigen sich. Die afrikanische Küste ist es, die dort im grellen Sonnenlichte des Januarmittags leuchtet. Die Schiffspfeife läßt ihren langgezogenen, markerschütternden Ruf erschallen, und die Hände der erschreckten Reisenden fahren an die Ohren, während ein schmerzhaftes Lachen ringsumher er tönt. Vom fernen Ufer aber lösen sich blitzschnell die Barken; auf dem Wasser wird's lebendig; ein wahrer Wettlauf von Booten, Barken, Kähnen, die zu Hunderten in wilder Hast heran stürmen, beginnt. Doch sie haben eine gute Strecke zurückzulegen, ehe sie den deutschen Dampfer erreichen, und einer der Reisenden nach dem anderen verschwindet, um sein Handgepäck bereit zu stellen. Harald von Sperber trat soeben reisefertig aus der Cajüte und blickte über den Bug des Schiffes hinaus auf die heraneilen den Boote. Dann wandte xr sich um, den Rücken gegen das Ge länder lehnend, und schaute, die Arme verschränkt, auf die Gesellschaft, die ihn umgab. In die eben noch so ruhige Masse der Passagiere war Leben gekommen. Es wogte wie in einem Bienenkörbe hin und her. Die Aufregung des Ankommens, die Freude, nun endlich am Ziel der Reise angelangt zu sein, hatte Alle ergriffen. Mit etwas spöttischer Miene ließ der junge Mann die Blicke über die Menge gleiten, um sie auf der Gestalt einer jungen Dame haften zu lassen, die gerade in Begleitung einer anderen Dame daherkam und unweit von ihm stehen blieb. Ihre Augen begegneten den seinen und wendeten sich ab; aber nach einigen Augenblicken wiederholte sich das Spiel, und die junge Dame verließ den Platz in seiner Nähe nicht. Er glaubte zu be merken, daß sie leicht erröthete, und ein fast unmerkliches Lackeln ging über seine Züge. Den Schnurrbart, der seinem vornelnn geschnittenen jungen Gesicht etwas Männliches gab, streichend, reckte er seine Hünengestalt mit unverkennbarem Selbstgefühl noch höher auf. Er freute sich offenbar mehr an dem Eindruck, den er auf die junge Engländerin machte, als daß er sich dem Eindruck ihrer Schönheit hingegeben hätte. Doch konnte er nicht umhin, diese herzlich zu bewundern. Er hatte die Miß, für eine solche hielt er sie, schon während der Reise von Neapel her be merkt, aber nicht Gelegenheit gefunden, sie näher zu betrachten, da sie ihm, umringt von ihren Landsleuten, unter den vier hundert Passagieren immer wieder aus den Augen gekommen war. Auch hätte er sich gescheut, sich ihr zu nähern, oder gar sie anzureden; einmal, weil das Englisch, über das er verfügte, vieles zu wünschen übrig ließ, dann weil er durchaus keine Vor liebe für die stammverwandte Nation besaß, deren perfide Politik er haßte, und deren kleinlicher Handelsgeist und riesengroßer Egoismus ihm höchst zuwider waren. Dazu hatte er während seiner Fahrt durch Italien Gelegenheit gehabt, die Unhöflichkeit der reisenden Engländer kennen zu lernen, und da er als früherer Corpsstudent, preußischer Reserveofficier, Regierungsassessor und Erbe eines Rittergutes durchaus nicht gewillt war, sich Jemanden zu nahe kommen zu lassen, sondern die Ehre des Dcutschthums zu vertreten entschlossen war, so hatte er Unverschämtheiten, wie er das nannte, gebührend zurückgewiesen und verschiedene Con- flicte glorreich ausgefochten. Auf dem Dampfer, der fast ganz von Engländern und Amerikanern — er konnte diese nicht unter scheiden — besetzt war, hatte er sich möglichst zurückgehalten, da er weder nach der Gesellschaft der einen noch der andern Ver langen trug, dabei aber seine Studien gemacht und Beob achtungen angestellt, die ihm wenigstens die weibliche Hälfte der mitfabrenden Angelsachsen in besserem Lichte erscheinen ließen und seine Abneigung bedeutend milderten. Während sich die Männer ungenirt in den Schaukelstühlen rekelten und ihre Füße den auf Deck Promenirenden zwischen die Beine streckten, ließen die Damen niemals ihre ladylike Haltung vermissen, und es gab vornehme und schöne Erscheinungen in Menge unter ihnen, das war nicht zu leugnen. Hier aber stand entschieden das schönste Exemplar der Rasse vor ihm, eine der weiblichen Gestalten, die nur das Leben in Reichthum und Luxus, vereint mit der außer ordentlichen körperlichen Ausbildung, die das Jnselreich auch seinen Töchtern der höheren Stände angedeihen läßt, hervorzu bringen vermag. Unwillkürlich stellte er sich die junge Dame im Sattel vor, auf einem edlen Rassepferd dahinfliegend. Sie war eben beschäftigt, die gelben Lederhandschuhe anzuziehen, und das lenkte seine Aufmerksamkeit auf die feinen, schlanken und doch festen, weißen Hände, an denen er ein paar kostbare Ringe blitzen sah. Mit steigendem Wohlgefallen musterte er die junge Dame. Die Jugend und Kraft der ganzen Erscheinung entzückten ihn, und er fragte sich, ob dieser blüthenweiße Teint, das fast un wahrscheinlich golden schimmernde Haar, das ihr in schwerem Knoten in den Nacken hing, echt sein könne, als sie abermals die Augen zu ihm aufschlug, blaue Augen, die ihn so freundlich an strahlten, so freundlich daß nun ihm das Blut in die Wangen stieg. Und in diesem Moment wußte er, daß Alles an diesem Mädchen echt sei. Die Augen waren so ehrlich, so treu herzig ehrlich — nicht sehr intelligent, aber lieb und gut. Nicht einmal Koketterie lag in ihrem Blick, nur unbefangene Freude an der eigenen Schönheit. Huldigungen und Bewunderung waren ihr etwas so Selbstverständliches, daß sie sich ruhig an gaffen ließ wie ein Kunstwerk, daß sie auch sein dreistes An starren nicht übel nahm, — ganz im Gegentheil; es bewies ihr ja nur, daß er ihre Schönheit zu schätzen wußte, und ihr Blick dankte ihm dafür, weiter nichts. Weiter nichts? Wie schade, daß er die Gelegenheit zu einem kleinen Abenteuer verpaßt hatte — ihr Blick war doch sehr aufmunternd gewesen. An diesem erfreulichen Bewußtsein mußte er sich für jetzt genügen lasten, denn ein paar an Bord lehnende Lands männinnen riefen eben die junge Dame und ihre Begleiterin zu sich heran, offenbar, damit auch sie sich des Schauspieles freuen sollten, das sie selbst lachend betrachteten, und das bereits einen großen Theil der Passagiere an Backbord versammelt hatte. Nun erst ward Harald des ohrenzerreißenden LärmeS inne, der vom Wasser heraufschallte. Er wandte sich um und schaute hinab, und der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihn augenblicklich die Schöne vergessen. Da waren sie ja Alle leibhaftig, die Ge stalten, die er bisher nur aus Bilderbüchern kannte! Dom Gelb bis zum Schwarz sind alle Hautfarben vertreten; der halbnackte Ruderer, dessen braune Haut wie Bronze glänzt, der wohl gekleidete Agent in türkischem Fez und europäischem Rock, der Dragoman mit wallendem Kaftan und hohem Turban, das Heer der Bediensteten in langen blauen, weißen oder gelben Hemden, dazwischen die dunkelrothe Uniform der Tool- und die blaue der Gazeleute, das Alles von der egyptischen Sonne beleuchtet, schreiend, gesticulirend, sich wie unsinnig geberdend — war das nicht wie ein großes Maskenfest? Harald lachte mit den klebrigen und freute sich an dem unendlich bunten, farben prächtigen Bilde, an der leidenschaftlich bewegten Scene, die sich da unten abspielte. Wie eine Meute von Hunden stürzt sich die Menge auf die Schiffstreppe; die Insassen der Hinteren Boote klettern über die vorderen hinweg; der Augenblick, der die An kunft in Alexandria, wie man auch ihm erzählt, zu einem Wag- niß, macht, ist da! Aber die Zucht und Ordnung des deutsche» Schiffes bewähren sich. Oben am Ausgang der Treppe steht ein Officicr, der mit eiserner Strenge den Zutritt zum Schiff verwehrt. Von unten schiebt und stößt und drängt man hinauf; kaum vermag der Officicr den Posten gegen die Uebermacht zu behaupten. Da giebt er ein Commando — und plötzlich strömt aus einem Gummischlauch eine Wasserfluth auf die die Treppe belagernden Afrikaner. Der Schreck! Wie sie prusten und sich ducken und wie nasse Katzen sich schütteln und zurücktaumeln — um sofort von Neuem zum Angriff überzugehen. WaS schadet unter dem Himmel Afrikas ein kaltes Bad, wcnn's auch Januar ist! Noch zweimal muß sich der Wasserstrahl auf die Hart näckigen ergießen, ehe sie die Treppe räumen — dann erst ziehen sie sich in ihre Boote zurück, und nun kann die Ausschiffung in Ruhe beginnen. Auf Deck herrschte laute Heiterkeit über das ergötzliche Schau spiel, und der Officicr erntete Lob und Dank von den Passa gieren, die nun, von der Schiffsmannschaft an die Boote ge leitet, weder das Verschwinden ihrer Habseligkeiten, noch .die Prellereien der Packträger zu fürchten hatten. In einem Nachen der Cookgesellschaft sah Harald unter den Ersten die schöne Miß verschwinden; er selbst folgte eine Viertelstunde später in einer eleganten Barke des Hotels Abbas, in dem er Wohnung bestellt hatte. Von sechs Ruderern geführt, glitt das Boot wie ein Pfeil dahin und landete eine halbe Stunde später vor dem Zoll amt von Alexandria. Nachdem Harald sich im Hotel sein Zimmer gesichert und eine flüchtige Musterung der luftigen offenen Halle vorgenommen hatte, in den er schon viele seiner Reisegenossen bemerkte, die, zwischen Palmengebüschen sitzend, türkischen Kaffee aus winzigen Täßchen tranken, beschloß er, die Zeit bis zum Diner zu einem Spaziergang zu benutzen, und trat auf den schönen Platz hinaus, an dem die Hauptgebäude Alexandrias liegen. Mit Mühe nur erwehrte er sich der Dragomen und herumlungernden Burschen, die ihm in einem aus vier europäischen Sprachen gemischten Kauderwelsch ihre Dienste anboten und thaten, als sei sein Lebe» ohne ihre Hilfe gefährdet. Er wußte, daß ein kräftiger deutscher Fluch oder ein Heben des Stockes ihn schnell befreit haben würde, aber für s Erste dünkte ihm die braune und gelbe Gesellschaft in ihrer unheimlichen Lebhaftigkeit so possirlich, daß er es zum Ernst nicht zu bringen vermochte nnd lachend die Bande hinter sich her ziehen ließ. Durch eiu paar Straßen schlendernd, ae- langte er dorthin, wobin es ihn gezogen hatte, in «in Viertel von Gassen, in denen da» Volt wohnte und wo jetzt gerade ein ärm kicher Jahrmarkt stattfand. Allerlei sonderbare und fremdartige
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