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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.06.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000607012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900060701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900060701
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Der wirkliche und eigentliche Grund des Krieges war, außer den Gelüsten der SpeculationSgesellschaften nach der unbedingten Herrschaft über die Goldminenbezirke, die ja nun seit Roberts' Einzug in Johannesburg zum überwiegend größten Tbeile innerhalb der englischen Machtsphäre liegen, die Expansionssucht, die stets ein Grundzug der englischen Diplomatie war, daS, was man an der Themse den „Im perialismus" nennt; ungefähr das Nämliche, was im „Wil helm Tell" Gcßler mit folgenden Worten sagt: Weitschicht'ge Dinge sind im Werk und Werden; Das Kaiserhaus will wachsen; was der Vater Glorreich begonnen, will der Sohn vollenden. Dies kleine Volk ist uns rin Stein im Weg — So oder so — eS muß sich unterwerfen. Südafrika britisch oder niederländisch, daS ist es, um waS eS sich bei diesem blutigen Ringen am letzten Ende handelt, wie eö denn auch der englische Colonialminister in seiner Ver- theidigungsrede im Unterhaus« am 6. Februar d. I. aus gesprochen hat; „Die Streitfragen zwischen Boeren und Briten, zwischen England und Transvaal sind Streitfragen wesentlicher, nicht technischer Art (wie der Uitlander-Wahl- modus), sie beruhen nicht auf Kleinlichkeiten deS Wortgefechts. Sie sind schon vor 1895, ja schon vor 1881 vorhanden ge wesen. Der Iameson-Zug, die Bloemfontein« Besprechungen und die Wahlrechtsfrage sind nicht die Ursachen, sondern nur Zwischenfälle und die Folgen deS lange vorhandenen Zwie spaltes ... die Streitigkeiten mit Transvaal sind nicht daS Werk einer britischen Regierung, sondern entspringen auS der Natur der Verhältnisse, aus den großen Verschiedenheiten zwischen Charakter, Gesittung und Bildung der Briten und der Boeren .. Man muß zugeben, daß es für England in hohem Grade Wünschenswerth war, nur befreundete Staaten in der Nähe seiner Besitzungen in Südafrika zu haben; aber daS hätte sich auch ohne Krieg erreichen lassen, während der Krieg gerade im Gegentheil diese Aussicht auf jeden Fall vernichtet. Endet er, so führt Universitätsprofessor vr. Carl Hilty in Bern in seinem trefflichen Vortrag „Der Boerenkrieg" (soeben bei W. Vobach <L Co., Berlin-Leipzig als Broschüre erschienen) sehr beredt aus, für England unglücklich — und noch ist ja mit der Räumung Johannesburgs und Pretorias das Ende nicht da, vielmehr beginnt erst die letzte, für England vielleicht verlustreichste Periode desselben —, so geht das ganze Prestige dieses Staates in allen Welttheilen ver loren. Man sieht dann, daß das Landheer zwar wilden Völkern ohne Feuerwaffen gewachsen, in seiner ganzen Ein richtung und Kriegskunst aber sehr rückständig ist und daß die ganze Flotte, in der England seine Stärke sucht, in einem solchen Falle eines Krieges im Innern eines Landes nicht viel auSrichtet, ja nicht einmal die Verproviantirung des feindlichen Heeres im Lande wirksam verhindern kann. Siegt dagegen England, so muß eS eine förmliche Militär herrschaft für ein Menschenalter in Südafrika, und zwar nicht blos für die neueroberten Länder, sondern auch für die dem Boerenstamm verwandte Capcolonie, an Stelle ihrer bisherigen großen Freiheit einrichten, wozu es weder die Macht hat, noch den historischen Beruf, und der Abfall seiner ganzen südafrikanischen Besitzungen würde dann ein um Jahr zehnte beschleunigtes Nachspiel deS Abfalls der Vereinigten Staaten vor 100 Jahren sein. Darüber äußern die englischen Zeitungen selber bereits das Folgende: „Wir wissen sehr wohl, sagt die „Pall Mall Gazette", daß die constitutionelle Regierungsform am Cap noch in Kraft ist, aber wir sind keineswegs sicher, daß ihr Fortbestehen ein unbedingter Vortheil ist ... Die Zeit ist gekommen, wo wir uns fragen müssen, ob wir nicht durch Furcht regieren sollten, da wir nicht durch Liebe regieren können". Und die „Times" schreiben: „Es wird wohl nöthig werden, daß wir zu strengeren Maßregeln greifen, um eine heilsame Furcht vor den Folgen der Illoyalität einzuflößen." Glaubt man überhaupt, fragt Hilty, daß ein so tapferes und standhaftes Volk, wie die holländischen Boeren eS offenbar sind, auf die Dauer gewaltsam unterdrückt werden kann, daß nicht vielmehr in jedem jungen Knaben, dessen Vater und Brüder auf dem Schlachtfelde gefallen sind, ein Rächer auf wächst, und jede Frau und Tochter, deren Gatte oder Bräutigam sein Leben gelassen hat, ihn dazu von Jugend auf kräftig anfeuern wird? Blut vergißt sich nicht so leicht. „Lxoriurs nliquis nostris ex ossidus ultor", das würde auf dem Grabstein der beiden Republiken sieben. Auch hierfür haben wir einen unverdächtigen Gewährs mann. Ein englischer Schriftsteller, Rider Ha ggard, der eine vor 20 Jahren geschriebene, sehr imperialistisch behaltene Broschüre „Iks last Losr vor" (Der letzte Boerenkrieg) beim Beginn des Krieges, am 9. October 1899, neu herauSgab, sagt am Schluffe derselben selbst: „Nach vielen Generationen, wenn die Goldminen erschöpft sein werden, das Pochen der Stampfen nicht mehr gehört, an der Börse von Minenactien nicht mehr die Rede sein wird, dann wird die Boerenfrau noch ihren Kindern von den verfluchten englischen Soldaten erzählen, die den Großvater erschossen und daS Land Weg nahmen. In Südafrika werden neue Irlands entstehen und au« den Drachenzähnen, die wir säen mußten, wird die Ernte deS HaffeS immer und immer wieder reifen." Also eine Drachensaat des Unheils, die England seine Weltstellung und seinen historischen Charakter kosten kann, hat Chamberlain auf jeden Fall gesäet, der in der Ge schichte seines Gleichen nur in dem alten Herostrat, oder noch besser in jenem modernen Minister findet, der auch mit „leichtem Herzen" einen Krieg anfing, welcher sein Vaterland nach Sedan geführt hat. England wird, wie der Staatssekretär des Transvaal Reitz, der frühere Präsident des OranjefreistaatS, einem Ver treter der „Köln. Ztg." in Pretoria gegenüber geäußert hat, seines neuen Besitzes niemals froh werden. Sobald England eS wagen würde, die mindestens 50 000 Mann, welche eS nothwendigrrweise in der Südafrikanischen Republik und im Oranjefreistaat halten muß, wieder wegzunehmen, würde die Bevölkerung wohl Mittel finden, sich wieder mit Waffen zu versehen, und dann wäre eS so gut wie selbstverständlich, daß nicht bloS auf Jahre, sondern aus Jahrhunderte hinaus von Zeit zu Zeik Aufstände und Kriege losbrächen. Für Groß britannien selbst, wenn eS endgiltig siegen sollte, liege in der Zukunft eine twrältus damnos», eine immerwährende Quelle von Aerger, Verdruß und Blutvergießen. DaS aber gilt bloß für die Republiken, im Capland selber wird ein englischer Sieg nicht beruhigend wirken, sondern den GährungSstoff, der dort schon lange gegen daS englische Regime angehäuft ist, nur noch vermehren. Darüber hat der soeben in Graaff-Rinet abgehaltene Congreß der holländischen Be völkerung der Capcolonie keinen Zweifel gelassen. Hinter dem Redner, der ausführte, eS sei unmöglich, den Engländern nach dem Kriege die Hand zu reichen, man könne die englische, die vielleicht mit Bruderblut befleckt sei, nicht ergreifen, stehen Hunderttausende. DaS Holländerthum hat die erdrückende Mehrheit am Cap, das Engländerthum bildet nur einen schwachen Bruchtheil. Kann eS nun sehr leicht kommen, daß England eS bei der nächsten Erhebung nicht blos mit den beiden kleinen annectirten Republiken, sondern mit der ge- sammten Afrikanderbevölkerung Südafrikas zu thun hat, so ergeben sich die Folgen von selbst. Bis jetzt hat keine europäische Macht, auch nicht die große Republik jenseits des OceanS, eS für opportun gehalten, daS schwere Engagement Englands in Südafrika so auszunutzen, daß eS genöthigt gewesen wäre, gleichzeitig seine Interessen, sei es in Asien oder am Nil oder sonst wo, mit bewaffneter Hand zu vertheidigen, aber man kennt ja die Gründe, welche di« in erster Linie in Betracht kommenden Cabinette in Paris und Petersburg von einer Invention, die den Krieg bedeutet bätte, abhielten. Indessen, auch Rußland wird einmal arcdiprvt sein und mit dem Ende des großenWeltspectaculum an der Seine wird auch bas „Friede auf Erden!" nicht mehr den Refrain französischer Ministerreden bilden. Die Boxerbewegung in China und die Sprache, welcher englische und russtsche Blätter auS diesem Anlaß sich befleißigen, lassen erkennen, daß der große Intereffenconflict im fernen Osten über kurz oder lang zum Ausbruch kommen kann und kommen muß. Dann aber wehe England, wenn eS in gleichem oder, wie zu er warten steht, in noch umfassenderem Maße in Südafrika einen erheblichen Theil seiner Seemacht und seine gesammten Landstreitkräfte binden muß. In England beginnt denn auch schon einsichtigere Politiker bange vor der Zukunft zu werden. Lord Rosebery, der wieder als der kommende Mann gilt, hat sich in einer Zu schrift an eine Zeitung in Plymouth für «ine möglichst liberale und entgegenkommende Methode gegenüber den Boerenrepubliken geäußert, wa- im liberalen wie im conser- vativen Lager guten Anklang gefunden hat, und „Daily Graphic" schrieb dieser Tage: „Wir wollen hinfort an der Heilung der Wunden in Südafrika arbeiten, an der Versöhnung seiner entfremdeten Raffen, an seiner Einigung zu einem mächtigen und freien Staate, der an die anderen söderirten Staaten Groß britanniens durch jenes Band der Liebe geknüpft werden soll, daS uns allein die Gewähr für die dauernde Unantastbarkeit deS Reiches giebt." DaS ist nun freilich daS Ideal Chamberlain's und des Jingoismus, das in England noch auf lange hinaus dominiren wird, nicht. DaS Holländerthum am Cap wrrd nur Ruhe halten, wenn den beiden niedergeworfenen Republiken ihre Selbst ständigkeit erhalten bleibt; daS officielle England und die große Mehrheit der Bevölkerung aber haben die „Annexion und nichts als Annexion" auf ihre Fahne geschrieben, und so wird die Entwickelung der Dinge in der von uns charakterisirten Weise nicht aufzuhalten sein. DaS Unheil ist im Zuge; welchen Laus eS nehmen muß, sieht nur der verblendete, sieges trunkene Imperialismus Englands nicht. Die Ernüchterung wird nicht auSbleibea. Der Krieg in Südafrika. —s- Der Fall Pretorias giebt, wie zu erwarte» war, der Londoner Presse Anlaß zu hochtrabenden Betrachtungen: Die „Times" schreiben, Lord Roberts hißte gestern in der Hauptstadt von Transvaal die Flagge, unter der daS Geschick dieses Landes sich nun mehr abwickeln wird. ES ist ein denkwürdiges Ereigniß und wird als solches im ganzen Reiche verstanden werden. Für die ganze Welt ist die Einnahme von Pretoria daS Zeichen unseres endgiltigen Erfolges. Der „Standard" sagt, der Einmarsch der britischen Armee in Pretoria kennzeichnet eine Epocbe in der Geschichte und bildet daS Ende der holländischen Republik, wie den Beginn der Existenz eines unter britischer Herrschaft vereinigten Südafrikas. Zur Lage wird uns aus London, 4. Juni, noch vor der Uebergabe Pretorias geschrieben: Der „Globe" ist erstaunt, daß die Boeren überall ein wunderbares Wiederaufleben ihres MutheS gezeigt haben, und obwohl sie anscheinend auf die Knie nieder gezwungen sind, jetzt den Kampf mit ganz unerwarteter Energie wieder aufnebmen. Sie sind wieder bis dicht auf Johannesburg südwärts vorgegangen und bedrohen die Engländer, die dort bei Modderfontein die Dynamitfabrik besetzt haben. Die Fabrik liegt drei Wegstunden nördlich von Johannesburg an der linken Seite der nach Pretoria führenden Eisenbahn, mit der sie durch einen besonderen Schienenstrang verbunden ist. Die Meldungen Uber diese Action sind so kunterbunt, wie man sie nur wünschen kann; nach der einen haben die Engländer jetzt die Fabrik, die doch nach ihrer Besetzung von Johannesburg und nachdem sie zwei Divi sionen darüber hinaus vorgeschoben haben, eigentlich in ihrem Besitz gedacht werden müßte, „eingeschloffeu", waS also die Vermuthung nahe legt, daß die Dynamitwerke von Boeren gehalten werden. Eine zweite Meldung sagt, daß die Boeren die Werke „eingeschlossen haben", und die „Morninz Post" endlich will heute Morgen wissen, daß die umzingelnden Eng länder ihrerseits wieder von den Boeren umzingelt sind. Wo die Generäle French und Iqn Hamilton, die nördlich von Johannesburg operiren, sich zu der Zeit befanden, wird nicht gesagt. Die Thatsache, daß 5000 Boeren Standerton ver lassen haben, um in den Freistaat zu ziehen, list von Wichtigkeit, sie zeigt, daß an einem Tage, der noch näher fcstzustellen wäre, der Feind, der Rundle und Brabant jetzt schon alle Hände voll zu thun giebt, große Verstärkungen erhalten hat. Der Plan der Boeren ist offenbar, die Ver- theidigungSpositionen der CommnnicationSliuie der englischen Armee zu durchbrechen und so Lord Roberts wenigstenSfür einigeZeit lahm zu legen. ES wäre von Bedeutung, zu erfahren, woher diese 5000 Boeren känMi. Von Pretoria oder Johannesburg oder von Präsident Krüger'S Leibgarde können sie kaum sein; wenn sie aber von VolkSrust oder Laings Nek kommen, würde man füglich erstaunt sein, was Sir RedverS Buller in der ganzen Zeit getban hat, denn es wird doch angenommen, daß er Laings Nck mit einer Division bewacht, während seine andern beiden Divisionen, die sich vor einer Woche in Utrecht und Vryheid befanden, Zeit genug hatten, um in Pietretif oder Feuilleton. Die Wanderdünen. Von Carl Witte. Nachdruck verboten. Die Wanderdünen, von den Holländern „stuivkMlio üuillöll" genannt, können überall dort entstehen, wo sehr feiner Sand in Massen angehäuft ist. Erst in unserer Zeit sind sie, besonders durch die Untersuchungen von Bezzenberger und Keilhack, ihrem Wesen nach richtig erkannt. Sehr fesselnde und lehrreiche Seiten seines verdienstvollen großen Werkes über die deutschen Meere und ihre Bewohner — Leipzig, Verlag von A. Twietmeyer — hat auch Professor William Marshall den Wanderdünen ge widmet. Keilhack kennzeichnet die Wanderdünen als vegetationslose Sandmassen von mehreren Hundert Metern Länge und Breite und von einer Höhe zwischen 10 und 60 Meter, die sich in einer ganz bestimmten Richtung weiterbewegen. Der Wind treibt diese Sandmassen in Bewegung, aber da sie kahl und vegetationslos sind, so bietet ihre Oberfläche, wie der obengenannte Forscher in seinem Lehrbuche der praktischen Geologie schreibt, keinerlei Merk zeichen dar, an welchem man sich über die Geschwindigkeit ihres Vorrückens orientiren könnte. Man muß sich also zu diesem Zwecke an feste Gegenstände halten, die sich außerhalb der Düne befinden. Für die am schnellsten wandernden Dünen nimmt Keilhack ein Borrücken von 30 Meter im Jahre an, für die jenigen, deren Höhe über 10 Meter beträgt, ein solches von 10 Meter. Selbst bei diesem langsamen Borrücken können sie im Laufe von Jahrhunderten und auch schon Jahrzehnten die schlimmsten Verwüstungen anrichten. Marshall weist darauf hin, daß sie, von Westen vordringrnd, in Egypten große Strecken uralten Kulturlandes erobert und begraben haben, daß in der Gironde unter dem wandernden Tande der berüchtigten Dünen der „Landes" die Burgen LtSban und Lalo» spurlos verschwan- den. In Holland, wo man die Wanderdünen durch weise Vor kehrungen jetzt gezähmt zu haben scheint, fanden bi« gegen die Mitte unsere« Jahrhundert» die umfangreichsten Derstäubungen an den Dünen bei velzen statt. Am Nordrand« drr Insel Schiermontkovy haben Wanderdünen einen ansehnlichen Theil fruchtbaren Lande« versandet und die Bewohner gezwungen, ihre Heimstätten ,u verlegen. Die Insel Rottum besteht zum Lh«ll au» wanderndem Tand«, auf Sylt sollen unter Wander dünen Dörfer begraben liegen. Die Kurische Nehrung hat sicher lich so gut ihre versunkenen Ortschaften, wie die Gegend am Vesuv: was hier vulkanische Aschen und Laven des feuerspeienden Berges thaten, vollbrachten hier, wie man in dem Buche Mar- shall's liest, der wandernde Sand der Dünen. Innerhalb einiger fünfzig Jahre ging Alt-Stegele zu Grunde, und das an seiner Stelle an einem anderen Orte aufgebaute Neu-Stegele versandete von 1836 an und war im Jahre 1846 schon völlig verschwunden. Von dem Dorfe Lattenwalde ist nur der Name übrig geblieben, heute steht an seiner Stelle ein 108 Fuß hoher Dünenrücken. Die Versandung von Karweiten war im Jahre 1797 vollendet. Als di« Bewohner von Pillkoppen eine Wanderdüne gegen ihre Ortschaften vorrücken sahen, räumten sie freiwillg das Feld und gründeten Neu-Pillkoppen. Da ändert« die Düne ihre Marsch richtung und überschüttete das neue Dorf, verschonte aber das alte, in welchem die Leute heute noch wohnen. Auch die Geschichte der Frischen Nehrung weiß von solchen Versandungen zu er zählen. Im Jahre 1824 verschwand hier ein sehr reiches Dorf. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden auf Sylt viele Dörfer durch Wanderdünen vernichtet. Im Jahre 1744 zählte das auf der südlichen schmalen Landzunge drr Insel liegend« Dorf Rantum noch 40 Häuser, im Jahre 1807 nur noch 15, und im Jahre 1821 wurde das letzte abgebrochen — Rantum war vom Erd boden verschwunden. Wie deutlich oft die unmittelbaren Folgen der Dünenwande« rungen zu Tage treten, schildert anschaulich Bezzenberger in seiner Schrift „Die kurische Nehrung und ihre Bewohner" — 3. Band der Forschungen zur deutschen Landeskunde. Er schreibt u. A.: „Mit der fortschreitenden Zerstörung de« alten Walder schwanden mehr und mehr die Hindernisse, welche dem Sandfluge im Wege standen, und indem dieser nun aus weite Strecken nicht mehr von drr Bahn abgelenkt, nicht mehr auf der Bahn gehemmt wurde, welche der Wind ihm wie», indem letzterer nunmehr ganze Berg- breittn gleichmäßig bestrich, begann der großartige Vorgang, welchen man da« Wandern der Dünen nennt. . . . Geht man über eine im Wandern begriffene Düne — nicht» Leichte», denn man muß sich dabei gegen die volle Gewalt de« Sturme« halten, und der fliegende Sand trifft Gesicht und Hände de» ihm Zu gewandten wie mit tausend Nadelstiche» — so sieht man die Bodenoberfläche unter sich in deutlicher Bewegung: der feine Sand schwirrt, der grobe rollt gleichsam bergaufwärt«, und die trägere Bewegung de« letzteren erfolgt in langgestreckten Wellen linien, weil die feineren Mengen au» ihm herau»geweht sind. Kauert man sich dann, um etwa» zu Athen» zu kommen, hinter eine Kuppe, so merkt man bald, daß man versandet, und ist über rascht von der Schnelligkeit und Vollständigkeit, womit dies vor sich geht." Die unmittelbaren verderblichen Folgen einer Dünen wanderung sind so oft und so wuchtig hcrvorgctreten, daß man nach Bezzenberger's Ansicht wohl der Schätzung Sören Biörn's glauben darf, nach welcher im Anfang unseres Jahrhunderts allein von der schwedisch-pommerschen bis zur kurischen Grenze ein Gebiet von 140 000 Morgen unter Versandung gelegen habe, und jährlich wenigstens der 100. Theil des zunächst angrenzenden inneren guten und cultivirten Bodens (also 1400 Morgen) vom Sandflug überschüttet sei. Wenn man dem Dünenwandern auf der kurischen Nehrung keine Hemmnisse in den Weg gelegt hätte, wäre die Vernichtung fast aller dort liegenden Dörfer unvermeidlich gewesen. Durch weise Vorbeugungsmaßregeln ist diese Gefahr dort jetzt zum größten Theil beseitigt, indem besonders diejenigen hohen Dünen, von welchen für größere Niederlassungen unmittelbare Gefahr drohte, angebaut, aufgeforstet und thatsächlich zum Stehen ge bracht wurden. Zur Baumbepflanzung der hohen Dünen ver wendet man vorzugsweise die Kiefer und die auS Dänemark ein geführte Krüppelkiefer. Außerdem bedient man sich zur Be pflanzung der Wanderdüne in Nordeuropa besonders des Sand halme« oder Sandschilfes und de« Sandrohrgrases, dessen Wurzelwerk ein reich und weitverzweigtes Netzwerk bildet. In Südsrankreich dagegen verwendet man zu demselben Zweck den Weinstock, den Tamarindenstrauch und die Pinie. Als billiges und rasch wirkendes Mittel zur Dünenfestlegung ist das Be gießen derselben mit in Salzwasser aufgelöstem Lehm empfohlen, der die Sandkörner verbinden und so gleichsam einen Panzer darstellen sollte. Als die Russen die kaspi-turkmenische Bahn bauten und lockeren Sand festzumachen hatten, verfuhren sie auf solch« Weise, denn zu Bepflanzungen war selbstverständlich die Zeit viel zu kurz. Niemand hat packender die trostlose Oede einer von Wander dünen bedrohten Gegend geschildert, al« Vr. Kurt Floericke in seinem kürzlich veröffentlichten, ebenso lehrreichen wie anziehen den Buch« „Naturgeschichte der brutschen Sumps- und Strand- Vögel" — Magdeburg, Lreutz'sche Derlaglbuchhandlung. Er schreibt: .Da» Fischerdörfchen Pillkoppen auf der Kurischen Nehrung ist seiner Lage nach gewiß «in» der ödesten im deutschen Reiche. Erst vor wenigen Jahren ist e« der forstlichen An- pflanzunglkunst gelungen, die gewaltige Düne, w«lch« sich wie ein dräuende« Ungethum hinter den letzten Hausern de« Dorfe« aufbäumt« und all' di« schlichten, schornsteinlosrn Hütten binn«n kurzer Frist zu begraben drohte unter dem feinkörnigen, rieseln den Flugsand, in ihrem Verderben bringenden Laufe aufzuhalten und vorläufig festzulegen. Aber die krüppelhaften jungen Berg kiefern, die sich, hinter quadratförmig gesteckten Reisigwällen ver schanzt, erfolgreich den alles Leben vernichtenden Sandfluthen entgegenstemmen, sind auch das einzige düstere Grün weit und breit. Sonst nichts als Himmel, Wasser und Sand, so weit das Auge reicht: kahler, nackter, blendend beleuchteter Sand in unglaublichen Farbenabstufungen, und mit den sonderbarsten Beleuchtungseffecten. Das Schaurigste in dieser trostlosen Ein öde aber ist der 3 Kilometer vom Dorfe auf der Haffseite ge legene und in seiner Art gewiß einzig dastehende Kirchhof, welcher jetzt in seiner Trostlosigkeit und überwältigenden Oede der staunenden Mitwelt durch den Pinsel Müller-Kämpff's nahe gerückt worden ist. Er liegt auf einem kleinen, spärlich be grünten Hügel zwischen der Wanderdüne und dem Haff. In unaufhaltsamem Vorwärtsdringen hat die gewaltige nackte Düne das grüne Hügelchen erreicht, wie mit Gespensterarmen um klammert und schüttet nun ihre Sandmassen unaufhaltsam und erbarmungslos herunter auf die von liebender Hand so lange als möglich gepflegten, so lange als möglich gegen den Sand ver- theidigten Grabhügel. Einer derselben nach dem anderen ver schwindet unter der gelben Fluth, sobald der Mensch verzweifelnd den aussichtslosen Kampf aufgegeben hat. Morsche Kreuze ragen schräg und schief aus dem steilen Hange des Sandberges heraus. Auch sie werden bald brechen und verschwinden, und der Tod wird, auch das Todte umhüllend, sein schreckliche» Szepter immer unbehinderter an dieser Stätte de» Grauens schwingen. Ein eigentümliches, unbeschreibbar wehe» Gefühl überkommt uns, wenn wir oben auf dem Kirchhof stehen und un« gleichsam erdrückt fühlen von der Wucht der un« von allen Seiten be drängenden Sandmassen." Nur durch die Vernichtung de« Pflanzenwuchse« auf den pommerschen und preußischen Dünen wurden diese zum Wandern gebracht. Auch die Kurische Nehrung war früher zum größten 2h«il bewaldet, und nicht etwa blo« mit Kiefern, sondern auch mit Birken und stattlichen Eichen, die auf dem Dünenboden vor trefflich gediehen. Sachkundige stimmen auch darin überein, daß die gegenwärtig auf der Kurischen Nehrung herrschenden Zustände eine Folge der Entwaldung sind.
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