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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.06.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000607026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900060702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900060702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Vetlagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, m n Postbeförderuog 70.—. .Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Margen-AuSgabe: Nachmittags 4Uhr. Vei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeige« find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig 285. Donnerstag den 7. Juni 1900. 94. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Juni. Der Reichstag ist gestern zusammengetreten, um sich nach sechs Tagen wieder zu trennen. Er kann dies, denn er will eS. Der grundlegende H t des Flotte» gesetzes ist schon gestern in zweiter Lesung zur Abstimmung gelangt, unerwartet für viele Freunde und für manche Gegner der Marine verstärkung. Hätte man allgemein auf eine Abstimmung gerechnet, so wäre das Haus wohl stärker besetzt gewesen und eS würde sich statt einer Mehrheit von 152 Stimmen eine absolute Mehrheit, ein Mehr über die Hälfte aller Ab geordneten ergeben haben. Die gestrige Minderheit bctrng nur 79 Stimmen, obwohl sie keineswegs rein demokratisch zusammengesetzt war. Außer den Parteien der Herren Singer, Richter und Sonnemann stimmten auch Welfen, Polen, Elsässer und etliche CentrumSmitglieder mit Nein, unter den Letztgenannten Herr DaSbach, der für diese Stellungnahme wohl nicht auf den Schutz seines geistlichen GewandcS gegen fractionSgenössische Freund schaftsbeweise angewiesen sein wird. Wie viele von der freisinnigen und namentlich von der deutschen Volkspartei, dieser eigentlichen Absenten-Partei, gefehlt, wird zuverlässig erst der stenographische Bericht ergeben. Auch auf die Frequenz der Antisemiten darf man gespannt sein; vorläufig erwiesen sie sich als unsichereCantonisten, indem ihr Redner die endgiltige Zu stimmung zum Flottengesetze vonBedinguugen abhängig machte; hierin übrigens dem Tagesorganc der Berliner Leitung dcS Bundes der Landwirthe folgend, das am Tage der Abstim mung sich noch einmal so unfreundlich über die Flotte aus sprach, daß eS nicht zu verwundern wäre, wenn das ablehnende Votum der agrarischen Bauernbündler auf seinen Einfluß zurückgcsührt werden könnte. Alles in Allen» war der Verlauf deS Tages ein befriedigender. Es ist ja kein Gesetz über die Bewilligung von Schiffsbauten, was der Reichstag beschloß, sondern ein Programm, eine in GesetzeS- sorm gekleidete Verheißung, die Schlachtflolte zu verdoppeln. Es werden weder Kosten limitirt, noch wird bestimmt, in welchen Jahren der Barr neuer Kriegsschiffe begonnen, fortgesetzt und beendet werden soll. Dieses Alles bleibt der alljährlichen Festsetzung des Reichstages überlasten der laufende Etat wird von dem neuen Gesetze überhaupt nicht berührt. Aber das Gesetz gewährt dennoch Sicherheit für den Ausbau der Flotte, es bedeutet, wie der Abgeordnete Bassermann sagte, „das Docrrmentiren deS festen Ent schlusses, auch anderen Nationen gegenüber unsere überseeischen Interessen zu schützen und uns diejenige Geltung über See zu verschaffen, die große Nationen verlangen müssen". Diese beiden Forderungen sind im Volke so mächtig, daß künftige Reichstage, mögen sie nun zusammengesetzt sein wie sie wollen, das Versprechen, das jetzt gegeben wird, erfüllen müssen. Diese Stimmung der Nation klang nicht am wenigsten auS der Resignation, die die Herren Bebel und Richter verriethen, heraus. Sie schalten zwar auf das Gesetz, aber man merkte: sie wußten, daß eS richtig ist, was ihnen der Abgeordnete Graf Arn im zurief, daß näm lich ihren Reden der Resonanzboden im Volke fehle. Der feste Wille der Nation, zur See etwas zu werde», läßt eS auch er träglich erscheinen, daß die AuSlaudsschiffe gestrichen worden sind. Wir beklagen mit Herrn Abg. Bassermann die Verkürzung, bezweifeln aber nicht, daß der Admiral Tirpitz, der Namens der Regierung die Ablehnung nur als eine Ver tagung acceptirte, von der Zukunft nicht Lügen gestraft werden wird. Wie man das Gesetz nennen mag, ob Willenskund gebung oder — diesen Ausdruck wählte Herr Richter — „Marsch route" : was eS enthält, ist eine Realität, und cs enthält mehr, als cs besagt; die abgelehnten AuSlaudsschiffe stocken in den Docu- menten des festen Entschlusses tharsächlich mit drin. Auch dies fühlten dieHerren, namentlich derAbg. Bebel, der,nachdem er über den angeblich vollzogenen „Umfall" des Centrumö den Zorn der Acheron heraufbcschworcn, weitere», „Umfall" vorauSsagte. Eö war dem EentrumSredner ein Leichtes, den Vorwurf des Meinungswechsels zwischen erster und zweiter Lesung zurück zuweisen. Hatte doch Herr Sckädler in erster Berathung nicht mehr gesagt, als daß die Regierungsvorlage in der Forin und in dem Umfange bei ihrer Partei unannehmbar sei. Nun ist die gesetzliche Bindung deS Reichstags auS dem Gesetz entfernt und sind die Auslandsschiffe gestrichen. Daß trotzdem das Centrum sich der lhatsächlichen Bewilligung des jetzt Zugesagten und der künftigen Gewährung des z. Z. Ver weigerten nicht entziehen kann, hat Herr Grö b e r allerdings anerkannt, indem er erklärte: „Angesichts der Kriege, die in den letzten Jahren aus wirthschaftlichen Gründen geführt worden sind, dürfen wir nickt daS Risico auf uns nehmen, ungerüstet zu bleiben." Dies Zugcständniß fesselt, denn die Wirkungen jener Kriege beginnen eben erst, sich bemerkbar zu machen, und die Eroberung von Transvaal und dem Oranje - Staate durch England lassen AuSlands- schiffe heute wabrlich nicht überflüssiger erscheinen, als vor einem Halden Jahre. Tie Weltlage ist derart, Laß die Einwendungen der Herren Bebel und Richter den Eindruck philisterhafter Armseligkeiten machten, und dies uur so mehr, als der Abgeordnete Bassermann sich Las grausame Vergnügen nicht versagte, die Nolhwendig- keit der Flottenvcrstärkung an der Hand von Abstimmungen französischer Socialdemokraten und von Citatcn auS deutschen socialdemokratiscken Parteiorganen darzuthun. Wenn die beiden Herren die Torpedo-Rheinfabrt nicht gehabt hätten, so kätten sie rein gar nichts gehabt, der Abg. Richter höchstens auch noch ein Argument für die Vorlage. Da sich tie englischen Rüstungen zur See nicht ableugnen ließen, meinte er, dort herrsche im Marinefache eben die „Zahlen- wuth", die einst Graf Caprivi im Landheerwesen gegeißelt. Aber derselbe Graf Caprivi ist ein Jahr nach viejer „Geißelung" nut einer gewaltigen HcereSverstärkungS- Vorlage an den Reichstag getreten und Herr Richter würde sich ganz gewiß der Abstimmung fern hallen, wenn etwa ein Ministerium Singer durch ein Gesetz die Recrutcnvermehruiig von 1893 rückgängig machen wollte. Heute wird das Flottengesetz, obwohl hauptsächlich entschieden, Wohl kaum zu Ende beralhen werben. Denn zu tz 6, dem Deckungs paragraphen, ist eine allgemeine Erörterung in Aussicht ge nommen, die, so sehr der Reichstag nach Hause drängt, ge raume Zeit beanspruchen dürfte, da über die Einzelheiten der beiden Deckungsgesetze, deren Berathung morgen beginnen dürfte, unter den positiv gerichteten Parteien stärkere Meinungsverschiedenheiten, als bisher angenommen werden mußte, obzuwalten scheinen. Plötzlich, wie er gekommen, geht Herr v. Vuchka auS dem Colonialamt. Noch vor wenigen Wochen hatte die „Kreuz zeitung" der Erörterung der Möglichkeit eines nahen Rück trittes des ehemaligen Fractionsgenossen alsbald die Ver sicherung folgen lassen, die Stellung des DirectorS der Colo- nialabtheilung sei so fest wie je. Nun scheidet er doch, un beweint wie der erste Colonialvirector, vr. Kayser, und nach kürzerer Wirksamkeit als dieser. ES ist ein undankbares Amt, das er verläßt und taS unser sächsischerLanbsmann vr. St übel nun mehr antritt. Unserer Colonialpolitik fehlt der innere Halt, ein System, Consequenz. Charakteristisch für sie ist und bleibt, bis etwas Glcichwerthiges in die Erscheinung tritt, daS Glück und Ende des Ur. Esser, worüber Näheres zu reden sich aus nabe liegenden Gründen nicht empfiehlt. Herr v. Buchka fällt selbstverständlich über die in jüngster Zeit viel besprochenen, im Reichstage, in der Colonialgesellschaft, wie in der Presse bart vcrurtheilten südwestafrikanischen Landconcessionen an Cecil Rhodes und Nhodesianer. Ob sein Nachfolger längere Zeit in der Lage bleibt, sich der Zustimmung zu ähnlichen Mißgriffen zu cntschlagen, sei dahingestellt. Jedenfalls dürfen wir in ihm einen Mann begrüßen, der sich, theilweise in wichtigen Stellungen, überseeisch tüchtig umgethan hat. Er ist seit l879 in» auswärtigen Dienste außerhalb deS Reiches thätig, sein Vorgänger war bis zum Eintritt ins Colonialamt OberlandeSgerichtsratb, hatte niemals eine Colonie mit eigenen Augen erblickt. Ur. Stübel ist im Jahre 1816 in Dresden geboren. Er studirte eine Zeit lang Mathematik, später die Rechte. Im Jahre 1873 war er vorübergehend zur Dienstleistung bei dem König Johann als Privalsckretär commandirt. J»n Jahre 1875 trat er als Hilfsarbeiter in bas königl. sächs. Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten ein und wurde im folgenden Jahre Regierungsassessor. In» Januar 1879 erfolgte seine Ucbcrnahme in den auswärtigen Dienst deS Reichs. Jin Jahre 1880 zum LegationSrath ernannt, verwaltete Ur. Stübel 1881 und 1882 die kaiserlichen Consulate in St. Louis und Cincinnati. Im September 1882 wurde er zur Vertretung des GeneralconsulS Zembsch nach Apia gesandt. Tort erhielt er im Jahre 1884 LaS Patent als Generalconsul, im Jahre 1885 erfolgte seine Bestellung zum etatsmäßigen Consul für Len Amts- und Jnrisdictionsbezirk Apia. Im Jahre 1887 ging Ur. Stübel als Consul nach Kopenhagen. Im Jahre 1890 wurde er zum Generalconsul in Shanghai ernannt und ver waltete dieses Amt bis zu seiner im vorigen Jahre erfolgien Ernennung zum Gesandten i» Santiago. Die von Franzosen und Franzosensreunden bestrittenen Meldungen von einem Zusammenstoß deutscher und frauzösischcr Pilger in der PeterSkirche zu Rom werden jetzt von einer Seite bestätigt, deren Glaubwürdigkeit in diesem Falle über jedem Zweifel erhaben ist. Die klerikale „Köln. VolkSztg." veröffentlicht nicht weniger als drei römische Berichte über den Zwischenfall, den alle drei als solchen unumwunden einräumen und der in dem kürzesten, aber wichtigsten wie folgt geschildert wird: „Wie ich Ihnen aus ganz authentischer erster Quelle berichten kann, sind bis jetzt folgende vier Puncte protokollarisch fest gestellt und von Zeugen beschworen: 1) Ein junger fraozö- sischer Priester hat einen weißhaarigen deutschen Priester in St. Peter ohne beleidigende Ursache geschlagen; 2) der deutsche Gesang: „Großer Gott, »vir loben dich!" u. A. sind von den Fran zosen niedergebrüllt und -gepfiffen worden; 3) franzö sische Priester haben sich auf die Bänke gestellt, um das all gemeine Zeichen zu diesen Demonstrationen zu geben; 4) eine deutsche Dame aus Donsten wurde durch Franzosen von ihrem günstigen Platze gedrängt, indem man sie mit Nadeln stach." Also geschehen in der St. PeterSkirche zu Rom, fast unter den Augen des Papstes! Wäre dergleichen auf deutschem Boden vorgefallen, so würden die Uebelthäter nach Z 166 des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich als Individuen, die in einer Kirche beschimpfenden Unfug verübt, mit Ge- fänzniß bis zu drei Jahren bestraft werden. Wir wissen nicht, ob eine päpstliche oder eine deutsche Instanz den welt liche»: Richter zur Sühne eines Frevels anrufen wird, der, in Frankreich begangen, von ungleich größerer internationaler Beveutunz wäre als jetzt. Aber auf die weltliche Sühne kann, so sehr auch daS protestantische Deutschland mit seinen beleidigten katholischen Landsleuten empfindet, in diesem Falle nicht der Nachdruck gelegt werden. Weit richtiger sind die politischen Lehren des Vorkommnisses und sie müssen in Deutschland sehr beherzigt werden. Wenn eS möglich war, daß sozusagen unter de» Augen deS Papstes französische Priester ihre Volksgenossen gegen Deutsche hetzten, ja, wenn sogar ein junger französischer Geistlicher einen weißhaarigen deutschen Priester ohne beleidi gende Ursache schlug —, dann wissen wir, wessen Drutsch land von dein französischen KlerikaliSmuS sich zu ver sehen hat. Ter gallische Haß gegen Deutsche hat sich wieder einmal in der ihm eigenen Wildheit Luft gemacht. Hätte der Gedanke an die Pariser Weltausstellung den fran zösischen Gemüthern nicht einen Rest von Besinnung ver schafft, so wäre eS vermuthlich zum Blutvergießen gekommen. Und diesem französischen KlerikaliSmuS, der über die Weihe deS OrteS schamlos sich hinwegsrtzt, diesem französischen KlerikaliSmuS zu Liebe hintertreibt die jesuitisch-französische Clique im Vatican die Errichtung einer katholischen Facultat an der Straßburger Universität I Zum Capitel der Deutschfeindliche« Treibereien im Vatican kommt noch ein interessanter Beitrag aus Brüssel. Freiherr von Hertling und seine Freunde machen kein Ge- heimniß daraus, daß sein« Bemühungen in Sachen der Straßburger Facultät hauptsächlich an der Gegnerschaft des Cardinals Gotti gescheitert sind, der unter den gegen wärtige» papabili eine besonders mächtige Stellung einnimmt. Gotti ist ehemaliger Karmelitermönch und augenblicklich unter stehen seiner obersten Leitung alle OrdeaSangelegenheiten. AuS diesem Grunde hatte er in Sachen der deutschen katholischen Colonie von Brüssel neulich ein entscheideodeSWort zu reden und dieses Wort ist so gefallen, daß darob die größte Erbitterung unter allen Brüsseler Deutschen herrscht. An der Spitze des dortigen deutschen Gesellenvereins, der zu den wichtigsten Elementen des Verbandes der deutschen Vereine in Brüssel zählt, steht seit mehreren Jahren ein aus der KölnerGegend stammender Karmeliterpat er. Dieser ist zu gleich Religionslehrer an der deutschen Schule und Rector der deutschen katholischen Gemeinde. Durch seine persönlichen Eigen schaften und seine patriotischen Anschauungen hatte sich Pater CyrillttS die ungetbeiltea Sympathien der gestimmten deutschen Colonie ohne Unterschied der Confession erworben und war ebenso angesehen bei der Gesandtschaft und den vornehmen deutschen Kreisen von Brüssel wie beliebt bei den kleinen Leuten. Der Wunsch, er möge seine Klosterlaufbabn aufgeben und als Weltgeistlicher sich ausschließlich in den Dienst der Colonie stellen, war daher allgemein. Er selbst war dazu bereit, indessen willigten seine Klosteroberen nicht lein. Um deren Einwilligung zu erlangen, wurden nun I seit fast Jahresfrist die mächtigsten Einflüsse aufgeboten. Der I Erzbischof von Mecheln, Cardinal Goossenk als Landesbischof, Fenilleton. Aus -em Leben einer Russin. 8j Von CH. v. Fabrice. Nachdruck «rrdoini. Mit bewegten Worten bat sie ihn, sich nicht durch eine frevel hafte Leidenschaft und blinde Rachsucht einer Frau gegenüber zu 'iner Handlungsweise fernerhin verleiten zu lassen, durch die er sich selbst am meisten entehren und mit unauslöschlichem Schimpf bedecken würde. Sie versprach ihm, wenn er nur in diesem einen Falle als Ehrenmann handeln wolle, Alles zu vergessen, was man wohl Böses über ihn sage, und stets in aufrichtiger Freund schaft zu ihm zu stehen. Bei diesem ihrem inständigen, zuletzt von Thränen fast er sticktem Flehen lachte Paul von KraSzinski laut und frech auf. „Bist Du endlich dahin gekommen, meine schöne Ungetreue", — höhnte er in rohem Tone —, „daß Du Deinen Dünkel ver gessen kannst und Dich aufs Bitten verlegst? — Recht so? Das ist sehr vernünftig von Dir gehandelt, und wenn Du so gern Deine Briefe zurückhaben möchtest, so besuche mich doch in meiner Junggesellenklause und hole sie Dir persönlich bei mir ab." Anna Feodorowna erbleichte unter dem Schimpf dieses Bor schlages, zu dem er noch die Frechheit fügte, sie wie ehedem mit „Du" anzureden. Er jedoch kümmerte sich anscheinend gar nicht nm ihre Empörung, sondern fuhr fort: „Gern werde ich Dir in meiner Wohnung die Briefe zurück geben. Hab' ich sie doch so oft gelesen, daß ich sie aus dem Ge- dächtniß, Wort für Wort, wiederholen könnte. Immer und immer wieder habe ich mich im Entzücken versetzen lassen durch Deine so liebegliihenden, leidenschaftlichen Briefchen! Bei manchen könnte man beinahe glauben, daß sie nicht von einem unerfahrenen, kaum der Pension entwachsenen jungen Mädchen, sondern eher von einer in allen Künsten der Liebe wohlbewander ten, heihempfindenden Frau geschrieben worden sind. Das Ge sicht Deines lieben Mannes möchte ich sehen, wenn er diese zu lesen bekäme! Gewiß würden sie ihn recht interessiren und ihn wohl zu dem Glauben bringen, daß er dasselbe Schicksal, wie so viele andere Ehemänner " „Schweigen Sie, Elender, und verlassen Sie sofort und für immer mein Haus", rief Anna Feodorowna, ihn unterbrechend, und mit blitzenden Augen von ihrem Sitze aufspringend. „Nur Ruhe, meine Theuerste", lachte KraSzinSki. „Ich ge horche für jetzt Deinem so höflich ausgedrücktem Wunsche. Aber was würde Dein guter Mann sagen, wenn ich, sein bester Freund in Paris, plötzlich meine Besuche in seinem gastfreien Hause ein stellte? Du begreifst wohl selbst, daß ich Dir damit einen recht schlechten Dienst erweisen würde! Wenn Du Deine Briefe wiederhaben willst, so überlege Dir meinen Vorschlag. Soll ich Dir erst sagen, wie schön Du bist? Du weißt, wie glühend leidenschaftlich ich Dich geliebt habe. Kannst Du es mir da wirklich ernstlich verübeln, wenn es mir schwer fällt, ganz von Dir zu lassen, so daß ich die Gelegenheit benützen will, die mich zum Herrn Deines Schicksals machte? Du solltest es wissen, daß ich frei von jeder Furcht und ohne Skrupel bin, und mich nicht um die Satzungen einer heuchlerischen, schwachherzigen Welt zu kümmern Pflege, wenn es gilt, zu einem begehrenswerthen Ziele zu gelangen! Erspare mir also Deine hochmoralischen Redens arten und besuche mich recht bald in meiner bescheidenen Woh nung, damit wir uns dort als gute Freunde über Alles ver ständigen können. Ich denke ja nicht daran, Dir zu schaden, mein Täubchen, wenn Du vernünftig und gefügig bist." Mit wachsendem Erstaunen hatte Anna Feodorowna seine Rede angehört. Nie hätte sie in ihrer Seelenreinheit und Frauen würde geglaubt, daß ein Mann eS wagen würde, ihr solches zu sagen! — Es bedurfte einiger Minuten, ehe sie nur den ihr zuge- mutheten Kaufpreis ganz zu begreifen vermochte. Ihre Lippen und Wangen wurden mit einem Male völlig farblos, und ihr schneeweißes Antlitz nahm einen furchtbaren Ausdruck an. Schaudernd wich sie bis zu dem Fenster zurück, sich mit dem Rücken an dasselbe lehnend, regungslos, gleich einem vom Jäger aufs Aeußerste bedrängten Wild. Keines Wortes mächtig, starrte sie mit weitgeöffneten Augen auf ihren Besucher, der sich, kalt und höhnisch lächelnd, an ihrem Entsetzen und ihrer Entrüstung zu weiden schien. Schweigend ergriff er dann seinen Hut und entfernte sich mit höflicher Verneigung. Anna Feodorowna wandte das nun in Scham aufflammende Gesicht hinweg und brach in Thränen aus. Schmerz und Zorn tobten in ihr. Aber all' ihr Sinnen ließ ihr keinen Rettungsweg aus ihrer furchtbaren Lage entdecken. Sie sah sich in völliger Wehrlosigkeit diesem Ehrlosen gegenüber. Eine unendlich« Ver zagtheit stieg in ihr auf, die sich gleich einer starren Leichendecke über sie breitete, all' ihre Energie, ihr ganzes Denken und Wollen vernichtend. * * * Länger als ein Jahr mußte Anna Feodorowna in dieser unerträglichen Lage aushalten und ein schreckliches Martyrium erdulden. Unaufhörlich verfolgte sie Kraszinski mit seinen schimpflichen Anträgen und rohen Bedrohungen. Von er barmungsloser Rachsucht getrieben, erfreute er sich sichtlich an der Angst und den Qualen, die sein unglückliches Opfer, das er als eine sichere Beute betrachtete, durch ihn erduldete. Und dabei durfte die schier verzweifelnde Frau nicht einmal wagen, dem ruchlosen Schurken in der Weise entgcgenzutreten, wie sie cs ge wünscht hätte. Nur so lange sie ihm nicht alle und jede Hoff nung nahm, dennoch zuletzt an sein Ziel zu gelangen und sie endlich zur Ergebung und Nachgiebigkeit unter seinen Willen zu zwingen, durfte sie erwarten, daß er nicht zu dem angedrohten letzten Anschläge gegen sie, der auf die Vernichtung ihres Familienglückes und der staatlichen Laufbahn ihres Gemahls hinauslaufen mußte, schreiten werde. Herrn von Kranskoy konnte auf die Dauer dieser trostlose Seelenzustand seiner jungen Frau und die innere Aufregung, die sie verzehrte, nicht entgehen. Die für ihn völlig unerklärliche Ver änderung in ihrem früher stets heiteren und lebenslustigen Wesen verursachte ihm um so größeren Kummer, als er keinerlei Ur sache hierfür entdecken konnte. Wiederholt drang er mit Bitten in sie, ihm ihr Herz zu öffnen und ihm den Grund ihrer seelischen Leiden und sichtlichen Beängstigungen rückhaltlos anzuvrrtrauen. Als er jedoch auf solche herzliche Bitten immer nur ausweichende Antworten von ihr erhielt, wurde er wieder ganz von seinem früheren eifersüchtigen Zweifeln und tiefem Mißtrauen ergriffen, die alle Gründe der Vernunft nicht in ihm zu verbannen ver mochten. Seine Leidenschaft flammte heftiger auf, als je zuvor, und steigerte noch die Leiden der unglücklichen Frau. Merk würdiger Weise richtete sich das leicht erregbare Mißtrauen Dimitri Jwanowitsch's niemals gegen den geschmeidigen Polen, mit dem er im intimsten Verkehr blieb, so daß Anna Feodorowna ihn fast täglich als Gast in ihrem Hause und an ihrem Tisch« sehen mußte. O, wie oft war sie auf dem Puncte, ihrem hochherzigen und nur durch seine Liebe zu ihr zu dieser für sie so quälenden Eifersucht verleiteten Gemahl die ganze Vergangenheit und das sie grausam bedrückende Geheimniß zu enthüllen, dessen Dasein er ja längst ahnte, ohne eS doch selbst aufklären zu können. Dann wieder gedachte sie sich an ihren alten Vater zu wenden, der ja stets mit größter Liebe für sie gesorgt und über sie gewacht hatte. Sie wollte ihn herbcirufen, um sie ein zweites Mal aus der Ge walt dieses elenden Schurken zu erretten! Aber wenn sie kaum einen solchen Entschluß gefaßt hatte, ließ sie der Gedanke an den dann fast unvermeidlichen Zweikampf zwischen ihrem Vater oder Gatten und diesem gewohnheitsmäßigen Raufbold, der, wie man sich erzählte, seine gefährliche Fechtergeschicklichkeit bereits durch die Tödtung mehrerer Gegner bewiesen hatte, stets von Neuem davor zurückschrecken, sich an diese ihre beiden natürlichen Be schützer zu wenden. Sollte sie selbst ihren bejahrten Vater oder ihren Gatten einer solchen Gefahr aussetzen? Würde sie nicht wie die Mörderin sein, »venn Einer von diesen in einem solchen Kampfe mit Kraszinski getödtet würde? Schwer zwar bedrückte sie das Elend ihrer Lage. Sie mußte und wollte jedoch ihr schweres Kreuz allein weitertragen! Denn Alles lieber erdulden, lieber weiter schweigend die täglichen Verfolgungen und schimpf lichen Anträge ihres grausamen Feindes hinnehmen, als jemals die Möglichkeit ins Auge fasten, selbst die Veranlassung hcrbei- zuführen zu einem solchen Tode der Ihrigen. Völlig unerwartet trat endlich, als sie sich bereits am Ende ihrer Kraft angelangt fühlte und ernstlich fürchtete, daß ihre Geisteskräfte den Qualen dieser Lage erliegen würden, eine Ver änderung ein, die ihr eine wenigstens theilweise Beruhigung und Erleichterung brachte. Bei seiner Heimkehr aus dem Club erzählte ihr Dimitri Iwanowitsch eines Abends, daß sein Freund Kraszinski dringen der Geschäfte halber plötzlich Paris für längere Zeit habe ver lassen müssen. Die Abreise erfolgte so schnell, daß er nur durch ein kurzes Billet sich verabschiedet habe, in dem er ihn bat, auch Frau von Kranskoy den erneuten Ausdruck seiner tiefen Ver ehrung zu Füßen legen zu dürfen, und die Hoffnung aussprach, die beiden ihm so lieb und Werth gewordenen Gatten baldigst wiedrrzusehen. ' < Lebhaft bedauerte Herr von KranSkoy für ihren Kreis den unerwarteten Verlust eines so angenehmen Gesellschafters, wie sie ihn in KraSzinSki, seiner Meinung nach, besessen hatten. Nicht müde wurde er, die ausgezeichneten Geistesanlagen und Eigen schaften dieser in jeder Hinsicht vollendet« Weltmannes hervorzu heben, der ihm persönlich der sympathischste aller seiner Pariser Bekannten gewesen sei. Rühmend erwähnte er dabei vor Allem, wie in dieser politisch tief bewegten Zeit, wo daS ganze ehemalige Königreich Polen abermals in heftiger Gährung begriffen sei und zahlreiche geheime Verbände dort an der Aufwiegelung der niederen VolkSclassen arbeiteten, eS ihn doppelt gefreut habe, in Herrn von Kraszinski einen so durchaus loyalen Polen kennen gelernt zu haben. Zwar hab« drrsrlbe nie seine Trauer über den Untergang der politischen Selbstständigkeit seines Vaterlandes verleugnet; immer aber auch der Unabänderlichkeit dieser That- sache Rechnung getragen und sich als einen getreuen und gehor samen Unterthanen ihres aüergnädigsten Herrn, des Zaren, des Oefteren offen bekannt.
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