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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.06.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000614017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900061401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900061401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Zwei Punkte sind eS vor Allem, an denen sich der Wandel der Anschauungen deutlich Der Krieg in Südafrika. 2m Lranjesrriftaat drängen die Ereignisse zur Entscheidung. Es wird un berichtet: * Maseru, 12. Juni. (Ncuter's Bureau.) Die Borren haben in der Colonir Oranjefreistaat eine sehr ausgedehnte Stellung Inne, werden aber durch die über 35000 Mann und 50 Geschütze verfügenden Generale Methuen und Brabant vollständig um zingelt. * London, 13. Juni. (Telegramm.) Ein Telegramm aus Bloemfontein meldet, General Hunter habe, rasch von Nordwesten kominciid, einer starken Boerenabtheilung, die zwei Meilen lang die Eisenbahn im Norden von Kroonstad zerstört habe, »ine empfindliche Niederlage beigebrachz. Die Eisenbahn sei wieder im englischen Besitze und werde rasch aus gebessert werden. Die Drahtverbindung mit Pretoria werde spätestens heute wiederhrrgestellt sein. (Ist noch unbestätigt. D. Red.) zeigte, nämlich da- Berechtigungswesen und die Frage der Reformschule. In der Berechtigungsfrage traten auch die Vertreter der humanistischen Gymnasien einmüthig und bereitwillig aus die Seite Derjenigen, welche die Sonderstellung des Gym nasiums aufbeben wollten. „Humanisten" und „Realisten" — wenn eS gestattet ist, so die beiden Grundrichtungen zu be zeichnen — reichten sich in dieser Frage gleich in der ersten Sitzung die Hände. Freilich gingen sie von verschiedenen Ge sichtspunkten auS. Die grundsätzliche Gleichberechtigung aller 9classigen Schulen war in letzter Linie den Realisten eine Frage der Gerechtigkeit, den Humanisten mehr eine Frage der Zweck mäßigkeit. Sie hatten eingesehen, daß die bisherige bevor rechtete Stellung der Gymnasien diesen selbst nachtheilig sein mußte. Gerade hierdurch wurden die Gymnasien mit einem starken Beisatz von Schülern belastet, der sür die humanistische Ausbildung weder durch die besondere GeistcSrichtung noch durch die angestrebte Berufsrichtung geeignet war. Die weitere Folge mußte sein, daß der so oft betonte Widerspruch zwischen den Anforderungen der praktischen Berufs arten und dem humanistischen Bildungsgang in immer weiteren Kreisen gefühlt wurde und daß dadurch eine leb hafte und keineswegs zu unterschätzende Gegnerschaft gegen die Gymnasien entstand. Gerade die Freunde der humanisti schen Bildung müssen deshalb in den jetzigen Beschlüssen zur Berechtigungssrage den Beginn einer Wandlung zum Besseren erblicken. Werden diese Beschlüsse so ausgeführt, daß wirk lich Licht und Luft für die verschiedenen Richtungen der höheren Schulen gewährt wird, so kann sich das Schüler material viel richtiger auf die einzelnen Schulformen ver- theilen, ein Gewinn von großer Bedeutung. Noch mehr hätte erreicht werden können, wenn eS möglich gewesen wäre, einen bis zur Obertertia reichenden gemein samen Unterbau der höheren Schulen zu schaffen. DaS würde eine Maßregel sein, welche gleichzeitig auch aus wirth- schaftlicken Erwägungen heraus freudig zu begrüßen wäre. Für alle Eltern an allen den Orten, an denen nur eine ivorm der höheren Schulen besteht — und da- ist die über wiegende Mehrzahl der Orte —, würde daö bedeuten, daß sie ihre Kinder unter allen Umständen bis zur Absolvirung der Obertertia bei sich behalten können, mögen sie sich später für die humanistische oder für die realistische Richtung ent scheiden. Wer die inneren und äußeren Opfer kennt, die bisher vielen Familien auserlegt wurden, wenn ihre Söhne schon im zarten Alter nach ankeren Orten abgegeben werden mußten, wird den großen Werth einer solchen Umgestaltung anerkennen müssen. Die Begründung eines gemeinsamen Unterbaues wäre auf zwei Wegen denkbar, einmal durch Verlegung des griechischen Unterrichts an den bestehenden Schulen auf die Sekunden und Primen, und weiterhin durch Verallgemeine rung der Reformschulen nach dem Frankfurter System. Keins von beiden drang durch. Nach Anerkennung der Gleichberechtigung der 9classigen Schulen wollten die Huma nisten nun auch daS Gymnasium in seiner Eigenart erhalten und glaubten das bei einer Hinausschiebung des Griechischen in die vier oberen Classen nicht ermöglichen zu können. Waö die Reformschulen betrifft, so muß ein unbefangener Beurtheiler zugeben, daß die vorliegenden Erfahrungen, so günstig sie sind, sich doch noch auf zu kurze Zeit erstrecken, als daß letzt schon dieses System allgemein ein geführt werden könnte. Auch die, welche in der Reform- schule die Schule der Zukunft erblicken, gaben daS zu. Die Conferenz hat sich denn auch dahin erklärt, daß eS „zur Zeit" nicht rathsam sei, die Reformschule allgemein einzufübren. Ein Versuch, auS dem Beschlußantraz die Worte „zur Zeit" zu streichen und dadurch eine unbedingte Verurtheilung des neuen Systems auszusprechen, wurde abgewehrt. Die Con ferenz hat weiter erklärt, daß eine „Wetterführung" der Ver suche mit den Reformschulen zu gestalten und zu fordern sei. Diese „Wetterführung" schließt — das wurde in der Conferenz ausdrücklich festgestelll — auch die Zulassung weiterer derartiger Anstalten in sich, und so ist die Möglichkeit geschaffen, aus breilerer Grundlage das Frankfurter System zu erproben. Darin liegt ein Zugeständniß an die neue Auffassung der Dinge, daS eine große praktische Bedeutung gewinnen kann, und daS viel weiter geht, als die Freunde der Reformschule selbst im Beginn der Berathungen erhofft hatten. Wichtig sind auch die Besprechungen über die Behand lung des Englischen an den Gymnasien. Eine freie Wahl zwischen Englisch und Griechisch an den Gymnasien wurde von keiner Seite befürwortet. Sie würde eine Spaltung deS Lehrplans der oberen Gymnasialclassen bedeutet baden, die aus schultechnischcn Gründen — wegen des verschiedenen Zeitbedarfs sür die beiden Sprachen — kaum durchführbar erscheint und in der Praxis außerdem vielfach an finanziellen Schwierigkeiten scheitern würde. Aber das Englisch soll neben dem Griechischen auch an den Gymnasien al» wahl freies Fach bestehen und möglichst gefördert werden. Gerade daS Letztere ist wichtig; es zeigt, daß nach der Ansicht der Conferenz auch die humanistischen Gymnasien dem Englischen wegen seiner Bedeutung für das praktische Leben die erfor derliche Beachtung sichern sollen. DaS moderne Leben ver langt eben überall seine Rechte. Für die Unterrichtöbehandlung wichtiger Fächer wurden Anforderungen entwickelt, die, wenn sie durchgesührt werden, eine bedeutsame geistige Vertiefung des Unterrichts darstellen und reiche Früchte tragen können. DaS setzt freilich voraus, daß Schüler und Lehrer sich ungestört ihren Auf gaben widmen können. Die Conferenz hat daraus auch sofort die Consequenzen gezogen. Sie will zunächst den Schülern daS „Abschlußexamen" (zwischen Unter- und Obersecunda) a b n e b m e n. Einhellig wurde der ungünstige Einfluß dieses Examens hervorgehoben, das sich in den ÄuSbilvungsgang störend rindrängt und die Kraft anspannung der Schüler in falsche Bahnen treibt. Eltern, Lehrer und Schüler werden ihm keine Thränen nachweinen. Die Conferenz hat aber auch mit einer wuchtigen Ueberein- stimmung ausgesprochen, daß die Schulfrage vor Allem auch eine Lehrerfrage ist, und daß die hochgesteckten Ziele nicht erreicht werden können, so lange nicht die schöne Kraft, die der Lebrerstand jetzt zur Agitation für Ver besserung seiner materiellen und socialen Stellung verwendet und verwenden muß, wieder seiner eigentlichen Aufgabe zugeführt werden kann. Man darf hoffen, daß auch die Finanzverwaltung sich dem Druck dieser Stellungnahme nicht entziehen wird; sind es doch nicht nur Lehrer, sondern auch viele unabhängige Männer auS ganz anderen Berufs kreisen, die sich ohne Rücksicht auf ihre verschiedene Auf fassung in vielen sonstigen Fragen in dieser Forderung zu sammengefunden haben. Confercnzbcscklüsse, auch wenn sie noch so bedeutsam sind, sind noch keine VerwaltungSmaßnahmen! Grundsätzlich be deuten die Abschlüsse der Schulconferenz zwar nicht den Be schluß der Entwickelung — dazu kann und dazu darf es ja nie kommen —, aber doch in wichtigen Beziehungen einen sehr beachtenswerthcn und sehr erfreulichen Fortschritt. Was sie praktisch bedeuten werden, wird sich nur allmählich zeigen und davon abhängen, welche Maßnahmen die Unterrichts verwaltung und — last uot lenst — die Finanzverwaltung darauf ausbauen wird. Die Unterricktöverwaltung hat — daS ist wohl allen Mitgliedern der Conferenz deutlich zum Bewußtsein gekommen — ein volles Verständniß für die An forderungen unserer Zeit bewiesen. Die Finanzverwaltung aber — das glauben wir hoffen zu dürfen — wird sich immer vor Augen halten, daß für die Nation kein Capital sich so gut verzinst, wie das, welches für die Ausbildung der Jugend aufgewendet ist. Der Schluß des Reichstages. K Wir stehen am Ende eines „Parlaments". Die am Dienstag geschlossene Tagung begann im December 1898; im Sommer vorigen Jahre- trat statt deS Schlusses Ver tagung ein. Sieht man von dem Zwillingscharakter der Session ab und betrachtet den zweiten TagungSabschnitt als Periode für sich, so überschaut man noch immer eine geraume Arbeitszeit. Die zweite Hälfte der Session begann am 14. November 1899. Die siebenmonatige Periode ist eine außergewöhnlich inhaltsvolle gewesen. ES wurde trotz vor herrschender Beschlußunfähigkeit Vieles und Bedeutungsvolle» geschaffen und eS wurde an die Abwehr von nicht Wenigem Mühe und Talent gewendet. Um mit den Leichen zu beginnen, so ist vor Allem an da» Arbeitswilligengesetz zu erinnern, das ohne vorher gegangene Commissionsberathung in zweiter Lesung zu Boden fiel. Der Gesetzentwurf enthielt einen richtigen Gedanken, den wir unter veränderten Regierungsverhältnissen wieder aus genommen zu sehen wünschen möchte». Die Gestalt, in der die Vorlage erschien, spiegelte aber sammt der Begründung die Eigenlhümlichkeiten des herrschenden Regiments in einer für das Gesetzgebunzswerk todbringenden Weise wieder. Hatte doch dem Ncichsjustizamt und hatte sogar, wie leider binzugefügt werden muß, der Mehrzahl der Bundes regierungen der Muth gefehlt, auf die Aufnahme juristisch ungeheuerlicher Bestimmungen zu verzichten, die der Gesetz vorlage einen unauslöschlichen Ekelnamen eintrugen und daS Brauchbare in ihr unfehlbar zu Boden ziehen mußten. Hat die Negierung in dieser Angelegenheit eine schwere Niederlage erlitten, so ist sie nicht unbetheiligt geblieben an dem argen Mißerfolge, den die klerikale und die konservative Partei im Kampfe um die lox Heinze eingewirlhschaftet haben. Was Gesetz wurde, sind in der Hauptsache eine dem allgemeinen Wunsche nach Minderung gewisser sittlicher Miß stände entgegenkommende Verschärfung und Erweiterung des Strafgesetzbuches. Waö nach dem Willen deS CentrumS, der in einem Punkte auch der Wille der Mehrheit des BundcSrathS gewesen war, Gesetz werden sollte, stellte sich bei näherer Betrachtung als ein System von Fallen Kunst und Literarlur, als ein Vehikel für Kunstfeindlichkeit und Heuchelei heraus. Das Alles fiel; was man, um den Abgang deS CentrumS von der Bühne nicht allzu kläglich sich gestalten zu lassen, daran bestehen ließ, ist ein Lichlen- bergiiches Messer, ein Messer ohne Klinge, dem das Heft fehlt, das zwar nicht ohne formelle, aber doch ohne erhebliche praktische Bedenken in die Tasche gesteckt werden konnte. Die parlamentarischen und außerparlamentarischen Kämpfe wider die ultramontan-muckerische Velleiiät auf dem Gebiete der Kunst sind noch in frischer Erinnerung. Sie brachte dem Reichstage das vorher niemals gesehene Schauspiel der Ob struktion, die beklagens- und tadelnswerth bleibt und für die als Entschuldigung nur die Thatsache gelten kann, daß die herausgerechnete Mehrheit sür die lex Heinze in der klerikalen Fassung niemals körperlich im Reichstage vorhanden gewesen war. Und daö kam daher, daß auch Conservative schließlich Bedenken trugen, zur Schaffung eines kautschukartigen KunstkncbelungsgesetzeS — „je dehnbarer, desto besser", meinte der bayerische Minister von Landmann — die Hand zu bieten. Das Centrum unterlag. Es hat den Mißerfolg reichlich wettgemacht, indem eS die Hand zur Perslärkung der Flottje bot, die, zur Parole von Reichstägswahlen gemacht, der ausschlazebcnden Stellung der Partei verhängnißroll hätte werden müssen. Das Ceutrum machte den demo kratischen Elementen in seinem Wählerbestande das Zugeständniß, die zugleich mit Schlachtschiffen geforderten AuSlandschiffe zu streichen und die Deckung eines großen Theiles der Kosten durchEinsührungneuernndErhöhung bestehender Stempelsteuern zu bewirken. Die Nationalliberalen betraten denselben Weg, indem sie eine Reihe von Luxus steuern oder die Erhöhung von LuxuSsteuern vorschlugen und durchsetzten, ein Verfahren, gegen da» sich höchstens vom theoretischen Standpunkt etwa« einwcnden läßt, das aber von einem Akademiker, wie des Straßburger Docenlen v. Mayr, lebhaft gebilligt wird. Die Kosten der Flotte sind in der Thal auf die „leistungsfähigen Schultern" gelegt. Ist das zu begrüßen, so braucht der Abstrich der Ausland-schiffe nicht sehr lebhaft beklagt zu werden. Die Inangriffnahme deö Baues derselben war ohnehin erst für die Zeit vom Jahre 1905 an in Aussicht genommen; bis dahin wird dre 'Nach bewilligung der von einer großen Mehrheit des deutschen Volkes als unentbehrlich anerkannten KriegSsahrzeuge um so gewisser erfolgen, als die Verwickelungen in China denselben nachhaltigen Eindruck machen müssen, wie der Samoastreit und der Boerenkrieg. Die Genehmigung der Flottenverstärkung drückt, so sehr ihre Geschichte durch daS anfängliche Sträuben und die Ver zögerungstaktik deS Centrums und den oppositionellen Lärm seiner Presse, sowie durch die zweideutige Haltung der extremen Agrarier verunziert ist, der abgeschlossenen Tagung vor Allem den Stempel einer glücklichen auf. Wir haben abermals einen guten Schritt vorwärts gethan. Ein weiterer Fortschritt ist e», daß ein Dampfersub ventionsgesetz, sehr zum Unterschiede von vielen seiner Vorgänger, ohne jeden beachtenswerthen Widerspruch die Zustimmung des Reichstags fand. Hier wie in der Marine- Frage trat die Jsolirung der alten radikalen Parteiführer in willkommenster Weise hervor. Kaum minder bedeutungsvoll und erfreulich ist die Reform der Unfallgesetzgebung zu nennen, die in sechs Gesetzen die Fürsorge sür die Opfer der Arbeit in so bedeutendem Maße verbessert und erweitert, daß selbst die Socialdemokratie nicht wagen durfte, das von dem socialen Geiste und der social-politischen Kraft deS bestehenden Staates ein glänzendes Zeugniß ablegende Werk zu verwerfen. Die abgeschlossene große Reform folgte der der Invalidenversicherung und geht der der Krankenversicherung, voraussichtlich einer Auf gabe der nächsten Session, voraus. Socialpolitisch bethätigt bat sich der Reichstag ferner durch eine Novelle zur Gewerbe ordnung, die sehr verschiedene Dinge regelt und von deren einschneidendster Neuerung, dem 9 Uhr-Ladenschluß, wir hoffen wollen, daß er nicht allzu starke Unzukömmlichkeiten nach sich ziehen möge. Dem socialen Gebiete gehört auch die SremannSordnung an, die zu spät zuging, um noch erledigt zu >erd-» n»d in gewissem Sinne noch in letzter Stunde zur Verabredung gelangte Rrichsseuchengese Wir verzeichnen ferner ein Münzgesetz behufs all mählicher Beseitigung der Thalerstücke und eine Novelle zum Post gesetzt, die u. A. die Aufhebung der Privatpost anstalten und eine Herabsetzung der Postgebühren mit sich brachte. Politisch von einiger Bedeutung ist die end liche Beseitigung des Verbote- der Verbindung poli tischer Vereine untereinander, daS eigentlich nur noch in Preußen einem unhaltbar gewordenen Zustande ein Ende zu machen hatte. Von Bedeutung dürfte früher oder später auch der zum ersten Male vom Reichstag gefaßte Beschluß werben, die Gewährung von AnwesenheitS- gjeldern (statt der bisher stets verlangten Diäten) zu fordern. Die Debatten über die Verlängerung deS Handels vertrags mit England und da- Fleischbeschau gesetz gehören zu den Schatten, die die Hauptaufgabe der nächsten Tagung, die Jnaugriffnahme der Neugestaltung der HandelsvertragSpolitik, vorauSwerfen. Der Vertrag mit England wurde auf 1 Jahr und nicht, wie die Ne gierung wollte, auf unbestimmte Zeit erneuert; beim Fleischbeschaugesetze kam eS zu einem Compromiß, unter dem — durch die Freilassung der Hausschlachtungen — der hyzieinische Zweck der Vorlage leidet, daS aber auf der anderen Seite nicht so gerieth, daß die extremen Agrarier die „Kraftprobe auf die künftige Handels- vertrazSpolitik", die sie mit dem Gesetze anstellten, al- ge lungen betrachten dürsten. Wollen wir hoffen, daß Einsicht und Mäßigung der Wirth- schaftSparteien nach Schluß der nächsten Tagung es gestatten, ihr wie der abgelaufenen daS Zeugniß einer fruchtbaren auszustellen. Feirillston. Zur Centenarfeier der Erstaufführung von Schiller'- „Maria Stuart" in Weimar. (14. Juni 1800.) Bon Wilh. A-mus. Nachdruck v.rtok«. Es ist ein eigenthümliches Zusammentreffen, daß Mit der in Rede stehenden, die gesammte Schillergemeinde fraglos inter- essirenden Feier ein gewisser Abschluß in der geschichtlichen Forschung über die Persönlichkeit und den Charakter der un glücklichen Schotkn-Königin erfolgt ist, welche durch die drama tische Verlebendigung Schiller's die Sympathie d«S deutschen Volkes in noch weit höherem Grade erweckt hat, wie die histori schen Gestalten eine- Don Carlos und einer Jungfrau von Orleans. Ganz ähnlich so, wie daS Charakterbild deS Wallen stein in der Geschichte bis in die jüngste Zeit hinein in allen Forschungen geschwankt hat, war auch da» Stuart-Problem Gegenstand der eingehendsten gelehrten Untersuchungen bi» heut«. Obschon, wie gesagt, eigentlich nunmehr da» letzte Wort in dieser Frage jetzt gesprochen zu sein scheint, ist e» freilich nicht ausgeschlossen, daß von Zeit zu Zeit dieser dreihundertjährige Streit sich erneuern werde. Der Grund dafür liegt in dem con- feffionellen Gegensatz zwischen KatholiciSmu» und Protestant!»- muS; nach jedem Siege de» letzteren, der immer als Ankläger erschien, wind au» dem Heerlager de» ersteren jeweilig «in neuer Vertheidiger für Maria Siuart in die Schranken treten. Ob sich dieselben jedoch auch fernerhin auf streng historische Beweis führungen werden stützen, dürfte angesichts der neuesten Forschungsergebnisse mehr al» zweifelhaft erscheinen, und die dramatische Apologie Schiller's wird fortan schwerlich von der ernsteren Geschichtsforschung nicht mehr fundamentirt werden können! Und dies um so weniger, als kaum Aussicht vorhanden sein dürfte, jetzt noch «in neues unanfechtbare» und unbedingt beweiskräftiges Quellenmaterial für die Unschuld und Cha rakterreinheit der schottischen Maria aufzubringen. Bis vor dreißig Jahren, um das bei diesem Anlaß in Kürz« zu re- capituliren. schien der Streit zu Gunsten Maria'» entschieden zu sein! Man war fest überzeugt, daß die Hosack'sche Ehren rettung (Mary Queen of Scots; Edinburg 1870) alle An kläger entwaffnet hätte. In der That haben auch die Beweis führungen jenes gelehrten Juristen zu Gunsten seiner gekrönten Landsmännin, nicht blos in Großbritannien, sondern auch in Deutschland als durchaus autoritativ gegolten, fast zwanzig Jahre hindurch. Mit feinster juridischer Dialektik hatte es Hosack verstanden: die Hauptanklage-Documente, d. h. di« be rüchtigten „Casettenbriefe" (Maria'» Liebesbriefe an Bothwell) mit Ausnahme von dreien, al» Fälschung hinzustellen, und daraufhin dann ein geschichtliches Bild friner Llientin zu con- struiren. da» im Großen und Ganzen di« Schiller'sche Charakte ristik deckte. Seltsamer Weis« wurden gegen diese Hosack'sche Werk in Folge «IneS anderen die Ankläger wiederum wach gerüttelt, da» eigentlich jrnrm zu Hilf« kommen wollt«. Der Jesuitenpater Stevenson trat nämlich im Jahre 1883 mit einem Manuskripte deS Britischen Museum» an die Oeffent- lichkeit, welches derselben allerlei Aufzeichnungen des Sekretär- Claude Nau übermittelte, der bekanntlich in dem Dienste der schottischen Fürstin stand, just zu der Zeit, in welcher die tragische Schuld Maria's verwirkt wurde (1579—1586). Alle diese Argumente erwiesen sich, als die wissenschaftliche Prüfung ihnen näher trat, als hinfällig, und wurden dadurch nicht so wohl neue Beweise für die Unschuld, als vielmehr nachtheilige Dokumente für das Gegenthcil! Stevenson'S Publikationen riefen drei der gelehrtesten Forscher auf den Kampfplatz: Car- dauns, Philippson und Breßlau, von denen der letzgenannt« unbedingt der scharfsinnigste in diesem gelehrten Triumvirat war. Er eruirte durch seine Untersuchungen über den Brief wechsel zwischen Maria Stuart und Babington (dem Anstifter der großen Verschwörung zu Gunsten der Schotten-Königin und gegen — Elisabeth von England). Diese Jntrigue, deren Mit wissenschaft Maria bekanntlich mit bewundernswerther So- phtstik bi» an ihr Ende abgeleugnet hat. Zwar versuchte Bern hard Sepp, die Beweisführungen Breßlau'» als unlogisch und unhaltbar hinzustellen, doch vermochte er in seinen drei ack Koo edirten Kampfschriften nicht im mindesten die Autorität seine» geistvollen Gegners abzuschwäcken oder in Frage zu stellen! Bis heute ist das Forschungsrefultat de- Letzteren (insbesondere seine trefflichen Auseinandersetzungen in Maurenbrecher'» Histo rischem Taschenbuch!) al» Abschluß d«» Stuart-Problem» an erkannt worden, und nur vielleicht in eipem Punkte ist er her nach durch Arnold Gädeke widerlegt oder richtiger ergänzt wor den. Unter den oben erwähnten, für Maria Stuart so un gemein compromittirenden Cassettenbriefen war nämlich der verfänglichste und schlimmste der sogenannte GlaSgowbrief. Diesen gab Breßlau als Fälschung Preis; Gädeke hält auch diesen für echt, und ihm stimmen die Forschungsresultate eines Heederson und H. Forst bei, die 1889 aus ihren mit gewissen haftester Gründlichkeit vorgenommenen Untersuchungen die un anfechtbare Echtheit der Cassettenbriefe feststellten! Gegen die selben traten zwar neue Vertheidiger Maria's auf den Plan, von denen Scelton und wiederum B. Sepp die namhaftesten waren; allein im Großen und Ganzen ist das Ende des Streites durch Gädeke, Breßlau, Heederson und Forst unbedingt erzielt worden. Das häßliche Profil der Ehebrecherin, der Gatten mörderin, der Jntriguantin und Egoistin konnten ein Ranke und ein Migart nicht in scbärsercn Conturen auszeichnen, al» e» — zum weitaus größten Theil gegen Schiller» Auffassung! — durch jene vier Forscher nunmehr vor aller Welt enthüllt wor den ist. Ein einziger nennenswerther Vertheidiger ist hernach noch in dem norwegischen Professor Gustav Storm der Maria Stuart erstanden, dessen Werk „nach der neuesten Quellen forschung" von >I)r. PiuS Wittmann überseht wurde (Zweite Auflage, 1896; München). Dasselbe hat zwar als ein fesselnd geschriebenes Buch allgemeine Anerkennung gefunden, aber in Bezug auf da» nunmehr fest umriffene historische Bild der durch Schiller'» Tragödie so poetisch glortficirten Schotten-Königin keine Einwirkung auigeübt. Der Werth der Dichtung, deren Centenarfeier wir am 14. Juni, als an dessen theatralischem Tauftag begehen, wird natürlich weder durch die obigen Auleinandersetzungen noch durch die folgenden ReminiScenzen im Mindesten berührt, welche wir jetzt an eben jenen Erinnerungstag. d. h. im Anschluß an d« Erstaufführung im Hoftheater zu Weimar knüpfen wollen
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