Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.06.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000616011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900061601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900061601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-06
- Tag1900-06-16
- Monat1900-06
- Jahr1900
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis kn der Hauptexpedition oder den im Stadt« bezirk und Len Vororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich ^l4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5.50. Durch die Post bezogen sür Lrutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe iü^llchr Kreuzbandiendung ins Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Äedaction und Expedition: Johannisgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochea geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm'» Sorti«. Universitüisstraße 3 (Paulinum), Laut» Lösche, Katharinenstr. 14, Hart, und Königsplatz 7. Morgen-Ausgabe. Kip)Mr TaMatt Anzeiger. ÄmtsUatk des königliche« Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Nolizei-Äintes der Stadt Leipzig. Nnzeigeu-PrciS di; 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4g» spalten) 50 H, vor den Familieanachrichte» j6 gespalten) 40/H. Gröbere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen «Ausgabe, ohne Postbrfördermlg 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeige«: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- »Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richte». Druck und Verlag von <L Polz i» Leipzig 3V1. Somraben- den 16. Juni 1900. A. Jahrgang. Amerika nnd die Philippinen. —p. Durch die New Aorker Meldung, daß General Mr. Arkhur neue Truppensendungen für die Philippinen verlangt habe, und daß in Folge dessen drei Regimenter dorthin abgehen sollen, ist die Aufmerksamleit von Neuem auf das heroische Ringen des fernen Jnselvoltes um feine 'Unabhängigkeit gelenkt worden, zumal dasselbe in mehr als einer Beziehung Parallelen mit dem tragischen Unabhänzigkoitskampfe des BoerenvoKes in Südafrika aufweist. Auch der Umstand, daß Macknesekretär Lang auf das dringende Ersuchen des Admirals Kempff in Taku um Entsendung eines Bataillons Marinemannschaften nach dem Schauplätze des Boxoraufftandes in China nur hundert Mann dahin beorderte, wirft ein eigenthümliches Licht ans den Stand der Dinge bei Manila. Schon sechzehn Monate lang tobt der Kämpf auf den Philippinen, ohne daß die Amerikaner trotz Aufbietung großer Truppenmacht einen entscheidenden Erfolg auf 'dem Felde Härten erringen können. Ebenso wenig vermochten sie auf dem Gebiete der Politik etwas zu erreichen. Durch das Versprechen, der Colonie eine autonome Verfassung zu geben, gelang es ihnen zwar, eine Eingeborenen-Partei, die der sogenannten „Amerika nisten", ins Leben zu rufen; aber diese bildete sich nur in den von den Amerikanern occupirten Städten und hatte keinen Rück halt im Volke, denn sie setzte sich nur aus Eingeborenen zu sammen, die um des lieben Friedens willen allen Gebietern, die in ihrem Heimathsorte die Macht besitzen, dienen würden, und auch faktisch gedient haben, oder die es für patriotisch halten, bis zur definitiven Entscheidung über das Schicksal des Landes die ihnen von den Amerikanern aufgetragenen Aemter zu ver walten, damit diese nicht ganz in die Hände .der Amerikaner oder an jene niedrigen Seelen unter den Eingeborenen fallen, deren Gesinnung mit Gold zu erkaufen ist. 'Und diese Ameri kanistenpartei ist nicht in der Zunahme begriffen, sondern bröckelt ab, weil das Vertrauen tn die philippinenfreundlichen Absichten der amerikanischen Regierung selbst in diesen Kreisen rasch zu schwinden beginnt. Die Amerikaner dürfen sich «darüber nicht beklagen, denn sie allein tragen die Schuld. Die amerikanische Regierung und deren Vertreter im Archipel haben bis jetzt durch aus noch nichts gethan, um den Filipinos den Glauben zu nehmen, die Amerikaner würden ihre Selbstregierung unangetastet lassen. Die Amerikaner wollen den Archipel als „Colonie" behalten mit einer von „importirten" amerikanischen Beamten (unter Mit wirkung eingeborener Subalternen) geführten Verwaltung. Das aber wäre für die Philippinen schlimmer als die spanische Herr schaft, weil der Charakter der Angelsachsen eine sociale Aechtung der Farbigen dem Lande als erstes Angebinde der neuerlichen Fremdherrschaft brächte, und 'weil die Versprechungen, die Filipinos, wenn sie erst „reis" würden, zur Selbstregierung zuzu lassen, oder 'ihnen gar die Freiheit zu geben, ein« leere Phrase ist. Denn da es von den Amerikanern abhinge, den Einge borenen das Reisezeugniß auszustellen, so ist es bei dem Wesen der Amerikaner undenkbar, daß sie den „Natives", Sen „Cblorcd - Gentleman" jemals die sociale und facdisch-höllische Gleichstellung mit der gottbegnadeten weißen, englisch sprechenden Rasse zuyestchen und die einmal ihnen von den Eingeborenen überlassene Regierung des Landes diesen wieder zurückgeben würden. Die Unterwerfung, die Annexion bedeuten demnach für die Filipinos soviel, als der Verlust ihrer Nationalität, dte sociale Aechtung 'ihres Volkes und ein Helotenthum ohne Aussicht auf «tue im gesetzlichen Wege zu Stanlde kommende Erlösung aus einer erniedrigenden. das Ehr gefühl abstumpfenden Knechtschaft. Sind schon Erwägungen dieser Natur nicht geeignet, die Filipinos mit dem Gedanken einer amerikanischen Annexion zu versöhnen, so werden auch die Bestgläubigen unter ihnen durch die immer intimer sich gestaltenden Beziehungen zwischen den Amerikanern und den Mönchen aus ihren Resignations träumen aufgescheucht. Hierauf macht besonders 'der in direkten Beziehungen zu dem Archipel stehende Leitmeritzer Professor Fer dinand Blnmentritt in seiner, in der „Sammlung gemeinver ständlicher wissenschaftlicher Vorträge" (Hamburg, Verlags anstalt, vormals I. F. Richter) soeben erschienenen, sehr gründ lichen Arbeit „Die Philippinen", der wier hier folgen, auf merksam. Die Mönche, deren Latifundien von der philippinischen Re publik confiscirt worden sind, können den verlorenen Besitz nur durch den Triumvh der Amerikaner wiedergewinnen, weshalb sie mit diesen sich auf den besten Fuß stellen. Die Amerikaner wieder, die ihre Kcnntniß des Landes meist nur aus spanischen Büchern und aus dem Verkehr mit jenen Mönchen schöpfen, die in Manila sie umgeben, und ihnen als Weiße sympathisch sind, und durch welche sie auf den Glauben gebracht wurden, es wäre gut, die Mit hilfe der Orden in Anspruch zu nehmen, hoffen, mittels des Ein flusses der Mönche Fühlung mit den niederen Volksschichten zu gewinnen. Deshalb räumen sie den Mönchen die Kirchen ein, die vor dem Sturze der spanischen Herrschaft von dem Ordens klerus, seither aber von den eingeborenen Weltpriestern verwaltet wurden. So kommt jetzt nach den Philippinen ein« Menge Mönche zurück, die nach dem Siege der Ameri kaner das Inselreich verfassen und in Spanlien und Ostasien inzwischen ein« anderweitige, anscheinend dauernde Unterkunft gefunden hatte. Die Filipinos .sollen demnach alles Geld und Blut geopfert haben, dann an Stelle des persönlich liebenswürdigen Spaniers der vom Rassendllnkel triefende, rücksichtslose Angelsachse Amerikas die Geißel über sie schwingt, und, als ob dies nicht genügte, auch die Mönche sollen mit allen ihren Privilegien wiederkehren. Dagegen sträubt sich AlleS; man braucht nur eines der besten Parteiblätter der Amerikanisten, die „Democracia", zu lesen, um zu sehen, wie deren Hauptsorge ist, die alte Mönch-Herrschaft möchte mb dem Sternenbanner wiederkehren und Revanche für Alles nehmen, was die Filipinos gegen die politischen Rechte und den materiellen Besitz der Orden wirklich oder vermuthlich gesündigt haben. Die unglückliche Hand der amerikanischen Politik offen bart sich auch hier; auf eine Kaste sich stützen wollen, die selbst der Stühe bedarf, ist eine sehr verfehlte Spekulation. ES ist demnach keine Aussicht vorhanden, daß daS philip pinische Volk sich freiwillig dem Sternenbanner unterwirft, und ob es den Amerikanern gelingen wird, die Philippinen mit Waffengewalt zu unterjochen, muß erst die Zeit lehren; da» Eine aber ist sicher, daß im Falle des amerikanischen Sieges die Inseln im fernen Osten ein unsicherer Besitz für die Vereinigten Staaten bleiben werd«, denn von einer Versöhnung oder Verbindung der Amerikaner und Filipinos kann ebenso wenig die Rede sein, wie von einem fried lichen Nebeneinander der Engländer und der Boeren in den beiden südafrikanischen Republiken. Der Angelsachse kann seine brutale Herrenmoral den unterworfenen Völkern gegenüber nicht ob legen, da sie kein Wäschestück, sondern ein Bestandtheil seines Nationalcharakters ist. Man fragt sich auch, warum denn die Amerikaner nicht, ihren „Befreier"-Traditionen getreu, wenigstens d«n Ver such machten, die Unabhängigkeit der philippinischen Republik unter dem Protektorat der Vereinigten Staaten zu erklären, um sich von der politischen Reife der Filipinos zu überzeugen. Die Ausflüchte der Amerikaner, diese seien hierzu noch nicht reif, ent sprechen nicht den Thatsachen. Die Filipinos besitzen mehr studirte Leute, als das Königreich Serbien und die Fürsten- thümer Bulgarien und Montenegro zusammen. Sie haben weniger Analphabeten, als die Staaten der Balkanhalbinsel, als Rußland, viele Provinzen Spaniens und Portugals und die lateinischen Republiken Amerikas. Es giebt Provinzen, in denen man wenig Leute trifft, die nicht wenigstens lesen könnten. Ihr eigenes Land zu verwalten, fehlt es den Filipinos nicht an einem geschulten Beamtenstand, da unter der spanischen Herrschaft die amtlichen Geschäfte von den eingeborenen Subalternen besorgt wurden. Die Geschichte der philippinischen Revolution ist nicht mit jener stattlichen Reihe von Grsuelthaten be fleckt, wie die der Revolutionen der großen Cultur- völker Europas. Nur vereinzelte und «überdies be strafte Ausschreitungen erbitterter Rebellen sind vorge- kom'men. Vor dem Ausländer, seinem Eigenthum und Leben hat der Filipino Respect, und seine Tendenz ist der Anschluß an die Europäer. Im Filipinoheere herrscht Pflichttreue und Discivlin wi- in einer europäischen Armee. Niemand kann demnach leugnen, oaß die Philippinen mehr Anrecht darauf haben, einen unabhängigen Staat zu bilden, als manche europäische und viele amerikanische Staaten. Ebenso wird Jeder es zugeben, daß Amerika durch Anerkennung der philippinischen Republik und Uebernahme des Protectorats eine bessere politische Stelle in Ostasien erlangt, als wenn es sein Bonner beständig gegen Aufständische vertheidigen und bei jedem Zusammenprall mit d«m Auslande darauf gefaßt sein muß, daß die Filipinos mit dem Feinde gemeinsame Sache machen. Die große amerikanische Union vergabt sich damit nichts, denn wenn man von den Forderungen des Prestiges sprechen will, dann hat das Prestige Amerikas vor Allem dadurch gelitten, daß man die Filipinos so lange glauben ließ, Amerika habe gegen die Unab hängigkeit der Inseln nichts einzuwenden. Mögen die Würfel so oder so fallen, jedenfalls hat das tapfere philippinische Volk ebenso wie das der Boeren sich di« Sympathien Aller erworben, welche nicht den Grundsatz „Macht geht vor Recht" billigen. Noth und Verbrechen. Aus juristischen Kreisen schreibt man uns: Mit dem der Socialdemokrati« eigenen Hochmuthe hält die „Sächsische Arbeiterzeitung" den Juristen eine Vorlesung über d«n Zusammenhang von Noth und Verbrechen. Sie schreibt: „Daß diese beiden Factoren miteinander in engster Beziehung stehen, haben die Socialdemokraten schon läng st nach gewiesen. In Richterkreisen schien man aber, wie verschiedene Urtheile und noch mehr aber deren Begründung zeigten, von dieser Erkenntniß im Allgemeinen noch ziemlich ent fernt zu sein." Es wird dann erzählt, der Schwurgerichtsvor sitzende in Plauen, der dafür mit der Bezeichnung als „w eißer Rabe" geehrt wird, habe darauf hingewiesen, daß im sächsischen Jndustriebezirke in Folge guten Geschäftsganges die Verbrechen gegen das Eigenthum stark zurllckqegangen seien. Das social demokratische Blatt schließt: „Wichtig ist, daß auch ein alter erfahrener Richter die von Socialdemokraten schon längst hervor gehobene Thatsache des engen Zusammenhanges Mischen Ver brechen und Noth bestätigt. Es wäre nur zu wünschen, daß diese Erkenntniß mehr und mehr unter den Richtern platzgreift und auch bei der Urtheilsfällung Berücksichtigung findet. Bisher ist davon nur noch wenig zu bemerken." Dieser überhebende Ton und diese Schulmeisterei des Richterstandes und der Justiz sind um so weniger an gebracht, als sie im Widerspruche mit den Thatsachen stehen. Die Justiz hat nicht erst durch die Socialdemo kraten darauf aufmerksam gemacht zu werden brauchen, daß zwischen der materiellen Nothlage und gewissen Vergehungen ein Zusammenhang besteht. Das Reichsstrafgesetzbuch, das seit einem vollen Menschenalter in Kraft ist, kennt neben dem mit Gefängnißstrofe zu ahndenden Diebstahl den sogen. Mund raub. 8 370 Nr. 6 bestimmt, daß mit Geldstrafe oder Haft bestraft werde, wer Nahrungs- oder Genußmrttel von unbedeuten dem Werthe oder in geringer Meng« zum alsbaldigen Verbrauch entwendet. Die natürlichste Aeußerung der Noth ist der Hung«r, und Derjenige, der sich in Noth befindet und aus einem Bäcker laden ein« Semmel oder aus dem Fleischerladen eine Wurst ent wendet, um den Hunger zu stillen, wird nicht als Dieb nach 8 242 bestraft, sondern nach den sehr viel milderen Bestim mungen des hier angeführten Paragraphen. Aber auch der Diebstahl, ja selbst der qualificirt« Diebstahl des 8 243 und d«r Rückfallsdiebstahl des ß 244 lassen eine mild« Bestrafung zu. 8 242 gestattet dem Richter, bis zu einem Tage Gefängniß her unterzugehen, und nach den §8 243 und 244 braucht selbst beim schweren Diebstahl und beim Rückfallsdiebstahl nur auf 3 Monate Gefängniß erkannt zu werden, vorausgesetzt, daß mildernde Umstände vorliegen. Selbstverständlich wird der Richter, wmn der Angeklagte eine Nothlage nachweisen kann, diese als straf mildernd in Betracht ziehen; er wird es höchstens dann nicht thun, wenn dieser strafmildernde Grund durch andere straf schärfende Gründ« überwogen wird. Die „Sachs. Arbeiterztg." übersieht aber noch etwa? sehr Wesentliches: daß die Delikte gegen daS Eigenthum doch nur einen Theil der Verbrechen überhaupt darstellen und daß eS Misscthaten giebt, bei denen ein Zusammenhang zwischen Noth und Verbrechen nicht construivt werden kann, vor Allem die große Masse von Verbrechen gegen die Person, die eb«nso zahlreich sind, wie die Eigenthumsdelicte. Wenn hier ein Zusammenhang zwischen Noth und Verbrechen bestünde, so müßte, da der Wohl stand in ganz Deutschland zugenommen hat, die Zahl auch dieser Delicte sich verringern oder mindestens stabil bleiben. Statt dessen ist eine erschreckende Zunahme der kurzweg als Rohheits delikte zu bezeichnenden Vergehungen festzustellen. Da nun diese Zunahme weder auf eine Nothlage, noch auch auf ein Herab gehen des Bildungsniveaus zurückzuführen ist, so thut man vielleicht nicht ganz unrecht, wennmansieinZusammen- hang bringt mit dem Wachsthum der Social demokratie. Denn diese Partei, die die Gefühle des Hasses und der Verbitterung zu steigern und die Gefühle des individuellen Respectes zu ersticken bestrebt ist, trägt dadurch allerdings zu der Verrohung breiter Volksmassen bei. Man kann ja diese Roh heitsdelikte bei jedem Ausstande beobachten. Die Socialdemo- kratie thäte also gut, gerade auf dem Gebiete der Criminalität keinen zu hohen Ton anzuschlagen. Der Krieg in Südafrika. -p. Im Laufe des gestrigen TageS ist keine Nachricht vom Kriegsschauplatz eingetroffen, ein Zeichen, daß entweder nichts von Bedeutung vorgefallen, oder aber, daß die Verbindung zwischen Pretoria und Capstadt wieder unterbrochen ist. Aus Pretoria. — Ein Protest gegen den Krieg. * London, 14. Juni. Der Correspondent des „Daily Chronicle" telegraphirt vom 6. Juni aus Pretoria, daß er vor Johannesburg von den Boeren ge fangen genommen wurde, also dem britischen Ein marsch in Pretoria von den Boerenlinien auS zuschauen koi.r.t: Die Verwirrung unter den Boeren sei nnbescbreib- lich gcweien, die Commandanten hätten die fliebenven Leuce aus den Eisenbahnzügen holen müssen. Der Correspondent wurde in Pretoria mit den gefangenen britischen Officieren zusammen untergebracbt, aber dann auf Ehrenwort frei gelassen. Präsident Krüger hätte 3>/ü Millionen in Gold mit sich nach Middelburg genommen. Eine ganze Woche sei in Pretoria geplündert worden, da die Polizei zurück gezogen war. Die provisorische Regierung sei machtlos gewesen, es zu verhindern, obgleich verschiedene der Plünderer erschossen wurden. Als dann der Einmarsch von Lord Roberts sich verzögerte, sei die Meldung, die Briten seien geschlagen worden, geglaubt worden, und man hatte beschlossen, die Stadt zu vertheidigen. Ein KriegSratb stellte sich auf Botha's Seite und sprach sich für Kampf aus. Als dann aber die Briten herannahten, triumphirte die Partei, die für Uebergabe war. Die erbeuteten Kanonen wurden von Len Boeren vor ihrer Abreise zerstört. 800 Gefangene wurden von den Boeren weggebracht; die Absicht, alle Ge fangenen einzuschiffen, wurde durch die den Zug treffenden britischen Geschosse vereitelt. 150 Officiere und über 3000 Mann wurden, wie ja bereits bekannt, von Lord Roberts befreit. Eine Massenversammlung von Frauen wurde gestern Abend in der Queens Hall abgehalten, um den Krieg zu verurtheilen. Die Vorsitzende Mrs. Courtney theilte mit, daß die Veranstalter der Versammlung viele Sympathiekund gebungen von Friedensgesellschaften m Berlin, Paris und Amsterdam erhallen hätten. Folgende Resolution wurde gegen wenige Stimmen angenommen: „Diese Versammlung von Frauen aus allen Theilen des Vereinigten Königreichs verurtheilt den jetzt in Südafrika wüthenden unglücklichen Krieg, der hauptsächlich ein Resultat der schlechten Politik der Regierung ist, einer Politik, die bereits an Tobten, Verwundeten und Vermißten über 20 000 unserer tapfersten Soldaten und Millionen Geldes von den Ersparnissen und dem Schweiß des britischen Volkes gekostet hat, während cs den zwei kleinen Staaten, mit denen wir Krieg führen, völligen Ruin bringt." Weitere Resolutionen protestirten gegen die Unterdrückung der Redefreiheit und gegen die Annectirung der zwei Republiken. (Mgdeb. Ztg.) Aus Pretoria melden die Kriegsberichterstatter englischer Blätter einstimmig von Aeußerungen der Entrüstung der Be völkerung (wohl nur der englischen) gegen Krüger und Botha; das bei Abführung des Goldvorratbeö auögegebene Papiergeld ist auf den dritten Theil des Nennwerthes ge sunken. Die britischen Kriegsgefangenen waren schließlich so schlecht verpflegt worden (?), daß sie auSbrachen, weidende Ochsen einfingen und vor den Augen der Wacht- mannschasten schlachteten. Darauf wurden kriegsgefangene Officiere auf Ehrenwort ihnen beigegeben, um Ordnung zu halten. Die auS 500 Mann bestehende Wache desertirte größtentheils. Ein Rest von etwa 90 Mann blieb zurück, um sich gutwillig zu ergeben. Deutsches Reich. v. Leipzig, 15. Juni. Laut Auöhang am schwarzen Brett des Reichsgerichts kommt am 25. Juni vor dem ver einigten 2. und 3. Strafsenate der schon wiederholt erwähnte HochverrathSproceß zur Verhandlung. Angeklagt sind: 0 der Redakteur Witold Leit geb er aus Ostrowo, 2) der Schneidermeister Johann Ko len da au-Dortmund, 3) der Buchdrucker SiegiSmund Malerowicz auS Dortmund. Beschuldigt werden sie deS Verbrechen- nach 8 86 Str.-G.-B. in Verbindung mit Z 81, 3 Str.-G.-B. Danach handelt eS sich um eine Handlung, welche bestimmt war, ein bockwerrätherischeS Unternehmen, nämlich die Lo«- reißung eine« TheileS des Bundesgebiete- vom Ganzen, vor- rubereiten. Al- Strafe droht tz 86 an Zuchthaus oder Festung di« ru 3 Jahren und beim Vorhandensein mildernder Umstände Festungshaft von 6 Monaten bi- zu 3 Jahren. — Al« Ofsicialvertheidiger werden auftreten sür Leitgeber Herr Iustizratb Scheele, für Kolenda Herr Rechtsanwalt vr. Bürck und für Malerowicz Herr Recht-anwalt vr. Iunck. ^:Verltn, 15. Juni. (Die deutsch-ostafrikanische Een t'ra lbah n.) Zu den unerfreulichen Erinnerungen an die letzte Reichstagssession gehört der Beschluß, den der Reichstag auS Scheu vor dem Bau einer deutsch-ostasrika- nischen Centralbahn gefaßt bat: die Ablehnung deS Be trages von 120 000 zu Vorarbeiten sür eine Eisen bahn von Dar-eS-Salaam nach Mrogoro, die zugleich mit der Anlage eines Telegraphen zwischen diesen beiden Punkten auszeführt werden sollte, wofür von der genannten Summe 20 000 bestimmt waren. Die Wortführer der siegreichen Opposition waren dabei der in Trier und anderswo geschätzte CentrumSabgeordnete Dasback, der seine Opposition in die Devise von Krähwinkel zu sammenfaßte: „Wir könnten nicht Alles auf der Welt machen", und endlose finanzielle Verwirrungen prophezeite. Ihm secundirte der Abgeordnete Richter, unter Hinweis auf die englische Uganda-Bahn, die im Norden der deutschen Colonie von Mombassa nach den Binnenseen geführt wird. Er kam natürlich mit „Zahlen" und hob hervor, die Kosten dieser Bahn, die 1050 Kilometer lang sein werde, seien auf vierzig Millionen veranschlagt worden und schon jetzt, obgleich erst die Hälfte gebaut sei, seien sechzig Millionen verschlungen; solche Beträge ließen sich doch nur recht fertigen, wenn mit dieser Bahn politische Zwecke verfolgt würden. Von welchem Werthe diese Staatsweisheit, die den Reichstag geleitet, in Wirklichkeit war, das geht au- den , jüngsten Auskünften der britischen Regierung über die Uganda-Bahn hervor. Danach sind von der Uganda-Bahn, deren Gesammtlänge auf 583 englische Meilen berechnet ist, jetzt etwas mehr als die Hälfte, 362 Meilen, dem öffent lichen Verkehr übergeben. Die erforderlichen Locomotiven sind bereits vollzählig vorhanden, ebenso vier Fünftel deS Wagen materials; rüstig schreiten die Baulichkeiten fort. Obwohl nur die Hälfte der Strecke in Betrieb ist, — so lauten die dem englischen Parlamente gemachten Mittheilungen —, betragen die Bruttoeinnahmen schon jetzt mehr als vier Pfund Sterling i für die Meile und nehmen stetig zu, sobald weitere Streckens eröffnet wern-»« D ? so sagen die Engländer selbst, wilv Utlhl alv scark sein, als man 1893 an ¬ nahm, da man die Einnahme der ganzen Linien nach Fertig stellung bis zum Victoria-See auf 61 000 Pfund Sterling oder nur auf ein Pfund und fünfzehn Schilling sür die' Meile und Woche schätzte. Wenn die ganze Bahn bis zum Victoria-See fertiggestellt ist und auf diesem die ge hörige Zahl von Dampfern verkehrt, ist eine noch viel be deutendere Steigerung des Verkehrs mit Bestimmtheit zu er warten. Zu diesem Verkehr wird der Handel der deutschen Colonie, der bisher auf den schwierigen Karawanenweg an gewiesen ist, einen erheblichen Bruchtheil beitragen; allmäh lich wird sich der Haupttheil des Binnenhandels, so weit Fracht- und Zeitersparniß den Anschluß an die Eisenbahn lohnend machen, nach dem englischen Gebiete hinschieben und Deutschland, wenn es seinen Schaden besieht, mit seiner Central bahn nachbinken, obwohl seit 1892 die Leitung der deutschen Colonialpolitik auf die Anlage der Centralbahn hingedrängt und unausgesetzt alle Kenner der colonialen Verhältnisse, voran die Leitung der deutschen Colonialgesellschaft und der Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, General Liebert, so ein dringlich die Bahn befürwortet haben. Wir besorgen, daß der Reichstag eine schwere Verantwortung auf sich ge laden hat. 6. H. Berlin, 15. Juns. (Bergarbeiterbewegung.) Die leitenden Kreise der socialdemokratischen Bergarbeiter halten die Zeit für gekommen, eine neue große Be wegung hervorzurufen. Die Ersatzwahl zum Knappschafts vorstande im Nuhrgebiete, die am 23. Juni statl- finden soll, giebt ihnen hierzu die Veranlassung. Eine allgemeine Aeltesten-Vcrsammlung der Opposition ist am 17. Juni nach Bochum eingeladen und die Herren Möller und Genossen hoffen, daß ihre Liste am 23. Juni durchgehen werde. In dieser Hoffnung finden sie sich bestärkt dadurch, daß bei den Knappschafts wahlen in Oberbayern ihre Leute gesiegt haben. Um nurt auch größeren Einfluß aus die mitteldeutschen Braunkohlen gebiete zu gewinnen, hat der socialdemokratische Verband der Bergleute ein Zwcigbnreau in Zwickau eröffnet, das am 1. Juli seine Thätizkeit beginnen wird. Drei bezahlte Agitatoren sind an die Spitze dieses ZweigbureauS gestellt und die Genossen Henker, Sachse und Pokorny werden demnächst in Mitteldeutschland eine großeAnzabl Versammlungen veranstalten. Auch an die Frauen glauben die socialdemokratischen PerbandSleiter in Bochum sich jetzt mit mehr Erfolg al« bisher wenden zu dürfen. Die Frauen der Bergarbeiter werden daher in einem an sie gerichteten Aufrufe ermähnt, ihre Männer für den Verband zu erwärmen. „Jede Frau," so heißt eS in dem Aufrufe, „die ihren Mann vom Verbände fernhält, ladet eine schwere Verantwortung auf sicb! Liebe Frau, statt zu weinen und zu klagen, wenn Dein Gatte, Bruder, Vater oder Sobn verunglückt ist, ist eS Deine Heilig- Pflicht, mit zu agitiren sür die Organisation, denn sie allein kann den schrecklichen, vielen Unglücken im Bergbau eia End« machen!" * Berlin, 15. Juni. Zum Personenwechsel in der Colonialabtheilung wird der „Schles. Ztg." geschrieben: „Am Sonnabend, 9. d. M., ist der bisherige Colonial director vr. von Buchka auS seiner Stellung ausgeschieden und hat die AmtSräume nicht mehr betreten. BemerkenS- werth an diesem Personalwechsel ist der Umstand, daß man zugleich mit der Enthebung de« Colonialdirector« von seinem Posten auch die Ernennung seine« Nach folgers ankündigen konnte. Als Ende 1897 der Colonial director Freiherr von Richthofen zum Unterstaatssekretär de» Auswärtigen Amtes ernannt wurde, verginge» vier Monate, ebe man einen Nachfolger gefunden batte. Gegenwärtig erfolgen die Veränderungen in den höheren Stellen dieser Verwaltung rasch. Kaum ist der Tod deS Oberführers der ostafrikanischen Schutztruppe, Major« von Natzmer, bekannt geworden, so wurde auch schon al« Ersatz für ihn der Major von Estorfs nach Ostafrika commandirt. Ja der schnellen Erledigung dieser Personal fragen liegt ein großer Fortschritt, der gute Folgen zeitigen wird. Wa« den Gesandten vr. Stüdel anlangt, so batte man amtlicherseitS natürlich vorher die Frage telegraphisch an ibn gerichtet, ob er die Stell« al» Eolonial-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite