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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 20.05.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-189805208
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-18980520
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-18980520
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-20
- Monat1898-05
- Jahr1898
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 20.05.1898
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— 78 — Wenn Sie der Sache ans den Grund gehen, so werden Sie ein ganz entschuldbares Motiv, vielleicht sogar einen edel- müthlgen, wenn auch raschen Impuls zum Handeln bei ihr vorfinden. Ich kenne die Leute schon so lange, als ich in der Kreisstadt wohne. Früher kränkelte die Frau viel, und ich habe sie manches Jahr behandelt. Und nun hat ihr präch tiger, gesunder Mann, — ein Kernmensch durch und durch, Frau Schwester, — doch noch vor ihr hingehen müssen! Ich sage Ihnen, diesen Matthias Schwaiger mußte man lieb haben. Eine finnige Natur und dazu bieder und rechtschaffen, wie Gold! Wie er auf seinem Hofe hauste und gerecht wal tete über Gesinde und Anwesen, da habe ich oft gedacht, wer so leben könnte, unabhängig und frei und vielmögend wie ein König! Sie wissen nicht, Frau Schwester, was für ein wahrer König so ein Wirth auf seinem reichen Hofe ist! Alle kleinen Leute im Dorfe nähren sich von Ihm, wenn er eine milde Hand hat, so darf er nur mit den Augen winken, und Hunderte stehen zu seinem Dienst bereit. Und dieser Ellon- brucher hatte eine milde Hand! Es ist mir nahe gegangen, wie ich rS nicht beschreiben kann, als der Mann sterben mußte und ich ihm nicht helfen konnte, — ich ging hinter seinem Sarge her mit einem Herzen voll Trauer, als sei es ein lieber Verwandter gewesen!" „Und die Frau?" „Nun, die können und müssen Sie selbst noch kennen lernen," entgegnete der Doktor. „Das ist eine von den Frauen, die dem Geistlichen in die Hände arbeiten. Sie hat Verständniß für jedes menschliche Elend und für jede mensch liche Schwäche. Und deshalb ist sie mild in ihrem Urtheil und greift zu ohne Besinnen, wo rS etwas zu helfen giebt. Ich habe nie gehört, daß sie jemals irgend wen oder irgend etwa» strenge verdammt hätte. Sie entschuldigt, was irgend zu entschuldigen ist, und wo sie daS nicht kann, da zieht sie deshalb doch noch die Hand nicht von dem Sünder ab. Sie ist nicht daS, waS man so eine gebildete Frau nennt. Aber sie hat etwas Besseres in sich, als das unS bekannte schön geistige Flickwerk. Sie hat eine reiche Menschenkenntniß und ein grundgüttgeS Herz!" „Doktor, wenn die Frau nicht schon eine erwachsene Tochter hätte, so würde ich meinen, Ihr Herz hätte Ihnen einen Streich gespielt!" „Weshalb müßte eS denn just ein Streich sein, — weil ich rin „Studirter" und sie eine Bäuerin ist? — Kennen Sie die Tochter dieser Frau?" „Ich habe von ihr gehört und sie gesehen, so aus der Ferne!" Dann wissen Sie nicht- von ihr! In der Nähe muß sie betrachtet werden, wie rin schöner Brillant L jour. Als ich sie kennen lernte, war sie erst ein halbwüchsiiges Ding von vierzehn oder fünfzehn Jahren. Schon damals hat sie mir gefallen. Sie war nicht blöde und verschüchtert, wie sonst wohl Dorfkinder sind. Groß und offen sah Sie mir in die Augen und antwortete frank und frei auf meine Fragen. Schon damals fielen mir ihre schönen braunen Augen auf, und wenn ich Sie in spätem Jahren wiedergesehen habe, mußte ich immer denken: WaS ist das Mädchen schön ge worden! So ein Mädchen könnte gerade ein Arzt brauchen, der sich sein lebenlang mit Elend und Krankheit herumzn- schlagen hat! Das wäre ein Weib für ihn: voll Kraft und Gesundheit durch und durch! So eine Frau würde sein Haus instand halten, wenn er tagelang auf der Fahrstraße herum- kuischirt, und eS ihm behaglich machen, wenn er daheim ist!" „Doktor, Doktor! Ist denn die Sache wlrktch so ernst?" „Ganz ernst, Frau Schwester! Sehen Sie, da kommt daS Mädchen, von dem wir sprechen! Die im schwarzen Kleide ist's, mit den glänzenden Flechten unter dem einfachen Hütchen. Sehen Sie den Geschmack dieses Dorskindes! Ein fester, ruhiger, gleichmäßiger Schritt, nicht das Getrippel und Getänzel, wie es die Mode der zusammengeschnürten Füße heutzutage hervorbringt! Kein Tanzmeister hat ihr gesagt, wie sie den Kopf halten und die Füße setzen soll. Da ist nichts zurechtzuschrauben und zurechtzurücken! Mutter Natur hat sie zu ihrem Liebling erkoren, und ihr die beste Mitgift gegeben, die sie gewähren kann: Gesundheit, Ebenmaß und Kraft!" Die junge Frau lächelte und meinte, wenn das Mädchen so ist, wie es dem Doktor erscheint, — aber sie fürchtete, der Doktor sei kein unparteiischer Richter, — so möchte sie sich freuen, ihn seinem Junggesellenleben abtrünnig werden zu sehen. „Aber ich weiß nicht, wie ich Ihr erscheine!" sagte der Doktor bedenklich, „das ist der Grund, der mich von dieser Königin des Dorfes immer wieder zurückgeschreckt hat. Ich weiß, daß sie mich „gern hat," — wie der Ausdruck der Leute ist. Wie weit aber dieses Gernhaben reicht, ist schwer zu beurtheilen, denn die Symptome treten bei diesem Dorfkinde anders auf, als bei ihren Altersgenossinnen in den Kreisen meiner städti schen Bekanmschaft. Da giebt es kein Rothwerden, keinen Niederschlag der Augen, keine Verwirrung! Alles klar, fest, bestimmt! Und jetzt, Frau Schwester, nehme ich vor ¬ läufig Abschied von Ihnen. Ich habe noch einige Kranken besuche im Dorfe zu machen. Und nach der Kirche, wenn Bernhard amtsfrei ist, komme ich wieder und esse die Suppe mit Ihnen Beiden!" „Das betrachte ich als selbstverständlich," meinte die junge Frau. „Und," fuhr sie dann fort, „hoffentlich schenken Sie uns auch den Nachmittag! Wie wird Bernhard sich freuen, ein paar ruhige Stunden mit seinem lieben Studiengenossen zu verplaudern!" „Ueber unfern Nachmittag habe ich bereits einen Plan gemacht! Wir gehen zusammen auf den Hof zu Frau Schwai ger! Sie sind Ihren Nachbarinnen jedenfalls einen Besuch schuldig, Frau Schwester," sagte der Loktor entschieden, — „von Bernhard ganz zu schweigen! — Nein, so geht es nicht! Ein kurzes Ansprechen auf einem abendlichen Spaziergange würde Ihnen in dem Hause nicht für einen Besuch gerechnet werden. „Sie nehmen uns die Hausruhe mit," würden die Leute sagen, wenn Sie nicht ein paar Stunden bei ihnen säßen und sich etwas vorsetzen ließen. Zum Nachmittagskaffee gehen wir hin! Sie nehmen Ihr Strickzeug, und wir unsere Ci garren mit, — und auf diese Weise werden Sie Fräulein Sophie auch als Wirthin sehen!" „Und Sie auch, was jedenfalls noch wünschenswerther ist!" schob die junge Frau lächelnd ein. „Und Ich auch!" bestätigte der Doktor. „Und jetzt werde Ich im Vorübergehen im Hose ansprechen und uns an sagen! — Gott befohlen also aus Wiedersehen!" Er nahm seinen Hut und schritt rasch dem Dorfe zu, und die „Frau Schwester" sah ihm lächelnd und kopfschüttelnd nach. IV. Mittlerweile hatte die Mutter daheim ihre Andacht be endigt und saß still vor sich hersinnend, die Hände über der Bibel gefaltet. Es waren gerade nicht tiefe philosophysche Probleme, über welche sie nachdachte. Die unauflöslichen Lebensräthsel machten ihr keine Sorgen, — wohl aber beschäf tigte die Erdennoth und die Armuth und das Elend, das sie so vielfach um sich her sah, ihre Seele. Durch das Laub der Bäume vor deni Fenster fielen vereinzelte Sonnenstrahlen in das Zimmer und spielten auf dem silbergrauen Haar und — 7S — dem seinen, milden Gesichte der alten Frau ein näckischeS Spiel. Der tiefe Frieden des Sonntags that ihr unsäglich wohl, und sie genoß ihn auf ihre Art. Was im Hasten und Drängen des Werktags nicht Zeit gehabt hatte, aus der Seele empor zutauchen, daß gestaltete sich jetzt zu Ueberlegungen und reifte zu Entschlüssen. Da ist die Birnbacherin, das arme Weib, der in nächster Zeit Schweres bevorsteht. Gleich morgen will sie an die Leinenschränke gehen, es sind ja weiß Gott wieviel Hemden und Betttücher da, die zwar schon hin und wieder einen kleinen Schaden haben, aber für den Zweck gerade gut sind. Und der armen Frisin, die letzten Winter ihren Mann verloren hat, gehen die Kartoffeln auf die Neige, und sie hat doch ein Häuschen Kinder, das satt gemacht werden soll! Hun derterlei Nothstände sind da zu schlichten, — aber Gott sei Dank, sie kann es; in einem so großen Hof giebt es auch bundert Mittel dafür. — Sie klappt die Bibel zu und legt sie neben sich aufs Fensterbrett, und mit dem Blick, den sie darüber hinaus in den Hof thut, ist auch ihre Sonntagsruhe zu Ende. Da liegt das arme Thier, der Wolf, in der glüh enden Sonnenhitze an der Kette. Er hat sich vor seine Hütte gestreckt und schnappt keuchend nach Lust. Die Mutter steht auf und geht in den Hof hinaus. „Du armes Thier, hast allein keinen Sonntag! Alles Andere verkriecht sich bei der Sonnenhitze in den Schatten — an Dich denkt Keiner! Wart, ich will Dich losmachen! Still da! So halt Dich doch ruhig, Du dummes Ding! — Na, so ein Tolpatsch! — willst wohl ruhig sein!" Das große Thier zerrt an der Kette und giebt in tollen Sprüngen seine Freude zu erkennen. Vergebens versucht die Frau, sich seiner zu erwehren. Aber so oft sie es auch halb lachend, halb unwillig abwehrt und nach dem Halsbande greift, um es zu lösen, immer wieder muß sie es fahren lassen und zurückweichen. „Ich muß wirklich die Urte holen, — das Thier ist heut ja ganz toll!" sagte sie endlich außer Äthern von der vergeb lichen Anstrengung. Aber ehe sie noch zurücktreten kann, schiebt sich ein Männerarm zwischen sie und den Hund und sängt den Sprung ab, der die Frau zum Wanken gebracht hätte. Und eine Zweite hält das Thier nieder und löst die Kette. „So, nun ist er los und kann unter dem Vordach Sonn tag halten. Und guten Morgen auch, Frau Wirthin!" Die Frau hält die Hand über die Augen und schaut zu dem Fremden empor. Die Stimme kommt ihr bekannt vor, aber den großen, schönen Mann vor sich kennt sie nicht. Der Wolf aber scheint ihn zu kennen. Mit lautem, freudigem Ge bell umkreist er die Beiden, duckt sich zur Erde und springt in ausgelassener Lust wieder auf. Er ist sonst so bös zu jedem Fremden, aber Diesen umwedelt er, vor Freude winselnd. Er läßt sich den Kopf von ihm grauen, und jetzt springt er auf und legt ihm die mächtigen Tatzen auf die Brust. „Der Wolf hat ein gutes Gedächtniß!" sagt der Fremde. Er nimmt seinen Hut ab und zeigt über dem braunen Gesicht mit dem dunkeln Barte eine weiße Stirn, auf die dunkelbraunes, lockiges Haar fällt. „Der Georg ist's! An deinem Krauskopf erkenn ich Dich! Sei willkommen, sei tausendmal willkommen! Komm mit mir herein in die Stube! Und so bald bist wiederge kommen!" „Ich bin beinahe vier Jahre fortgewesen!" — Und wie der Mann das sagt, klingt ein leiser Ton von Bitterkeit und Wehmuth in seiner Stimme. „So mein' ich's nicht, — so nicht!" sagt die Wirthin rasch und herzlich. „Meinetwegen hätt'st gar nicht zu gehen brauchen, mein Sohn! — Ich mein' nur, gestern erst sagt mir der Höfer: der Georg wird jetzt wohl auch von r den Soldaten loskommen, — und heul' bist schon da? Nein, die Ueberraschung, — was doch die Sophie sagen wird!" Sie waren unterdessen ins HauS und in die Hinterstube getreten. Die Mutter rückte einen Stuhl anS Fenster neben ihren Lehnstuhl. Und jetzt setz' Dich und erzähl'! Bist weit in der Wett herum gewesen, — bis nach Frankreich hinein, sagen die Leut'!" „Nur bis ins Elsaß, mit Remonten!" „Und auf der Reitschule haben sie Dich auch komman» dirt?" „Ja, nach Kassel und Hannover!" „Hätten es nicht nöthig gehabt, Du hast immer geritten, als ob Du verwachsen bist mit dem Pferd!" „Ich denke doch, daß ich noch mancherlei gelernt habe!" „Hast recht, — aber wart'! Ich will der Urte sagen, daß sie Dir ein Frühstück bringt. — Nicht? Meinst, der Ellernbrucher Hof anders geworden, daß ich meinem Gast nichts vorsetze? — Ach, Jörge, der Hos ist noch derselbe, aber Einer fehlt darin, — der beste von Allen, den wir be graben!" „Ich habe davon gehört," sagt der Mann und senkt den Kopf. Und dann sitzen sie eine Weile still neben einander und gedenken des Verstorbenen. „Ich weiß, daß Du ihn lieb gehabt und ihn geehrt hast, wie er es verdiente," sagt die Wirthin endlich mit einer Stimme, die unsicher und leise klingt und sich erst nach und nach festigt. „Und er hat immer große Stücke auf Dich ge halten. Wie Du noch ein so kleines Ding warft," und sie hält ihre Hand kniehoch von der Erde, — „hat er ost zu mir gesagt: so einen Jungen könnten wir brauchen, Mutter!" „Aber als ich vor vier Jahren fort ging vom Hof da hat er Mir lange Zeit gezürnt und Mir schwer vergeben können, — nicht, Mutter?" „Vergeben hat er Dir bald, aber gewundert hat eS ihn, daß Du, den wir im Haus gehalten hatten wie unser eigene- Kind, fortgehen konntest, gerad', als Du so weit warst, daß Tu uns hätt'st helfen können!" „Ja, das mag sehr undankbar ausgesehen haben aber Mutter, undankbar bin ich nie gewesen! Bis auf den heu tigen Tag gedenk' ich jeder Wohlthat, die Ihr mir erwiesen, und werd' nie —" „Laß gut sein, mein Sohn, laß gut sein!" unterbrach sie ihn. „Was wir an Dir und Deiner Schwester, der Btru» bacherin, gethan haben, haben wir gern gethan. Ich denk. Du weißt, daß der Großvater, der Vater von meinem Manne, an Euch gut zu machen hatte, was er in Elfer und Hitz' an Eurem Vater gethan, — Das war eine Schuld, die aus dem Hose haftete, und die wir haben abzahlen müssen, als Du und die Birnbacherin in späterer Zeit als Waisen zurückbliebt. Du weißt, wie gern Dich der Verstorbene immer gehabt hat, und noch kurz vor seinem Tode hat er zu mir gesagt: in dem Jörg steckt ein tüchtiger Landwirth. Und wenn Du ihm mal mit etwas helfen kannst, so thu's. Was Du dem giebst, ist nicht weggeworfen! — Siehst Du, so hat er noch bis zuletzt an Dich gedacht!" „Ich danke ihm, und ich danke Ihnen, Mutter! Aber ich brauche, Gott sei Dank, nichts! Ich denke, ich werde schon allein durch die Welt kommen!" „Wie Du willst — und recht hast Du! Ein Mensch wie Du konimt schon durch die Welt. Es hat unS immer rechtschaffen gefreut, daß wir immer Gutes von Dir gehört haben. Und wenn Du nichts anders vor hast, so kannst Du jede Stund' wieder auf den H»f kommen! Du weißt, über
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