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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.07.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-07-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000707027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900070702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900070702
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- LDP: Zeitungen
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- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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»sie der VteekSaig von Nanking alle Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ruhe greifen würde». Sc stehe für die Sicherheit ein, er bitte nur dir Mächte, k,i»e Streitlüste am Pangtsr-Kiang vorzuschieben. (I) Die Erregung wächst, obwohl vorläufig noch olle» ruhig ist. Ein englische- Kanonenboot liegt hier. * Petersburg, 6. Juli. (Meldung der „Russischen Telegraphen- Agentur".) Der Marinestab erhielt folgende- Telegramm au« Port Arthur vom 18. Juni: Bei den Elliot.Inseln wurden 6 Pirateaschisf« gekapert; di« Schisse wurden nach Pitsewo gebracht. * Shanghai, b. Juli. (Meldung des „Reuter'schen Bureaus" ) Der britische Consul macht Personen, die etwa nach Wei-hai-wei reisen wollen, in einer in einem hiesigen Blatte erschienenen Mit- thetluug darauf ausmerksa«, daß Wei-hai-wei unter Kriegs recht steht «ad Niemand dort landen darf. Freiherr ». D. Goltz über die Lage. Der „L. Loc.-Anz." berichtet: Ja der ReichShauptstadt weilt seit gestern der erste Dol metscher unserer Gesandtschaft in Peking, Frecher o. d. Goltz. Wenn auf irgend Jemand daS zur Einführung von Gewährs männern jetzt fo oft gebrauchte Wort „ein gründlicher Kenner Cbioa's" angewandt werden darf, dann auf diesen Diplomaten. Besagt schon seine Stellung, daß er zu den wenigen Euro päern gehört, die de- Chinesischen mächtig sind, so tritt bei Herrn v. d. Goltz »och hinzu, daß er jahrelang diesen Posten bekleidet hat. Die Ausführungen eines solchen Mannes dürfen daher im gegenwärtigen Augenblick vollstes Interesse beanspruchen. Unser Mitarbeiter hatte mit Freiherrn v. d. Goly gestern eine Unterredung, von der er uns folgendes Bild entwirft: „Eie wuudera sich, daß dat diplomatisch« LorpS in Peking von den Ereignissen sich so habe überraschen lassen?" begann der Baron auf meine bezügliche Frage. „Es trifft dies doch gar nicht zu. Seit dir Bewegung sich bemerkbar machte, liehen die Vertreter der Mächte nicht ab, die chinesische Regierung aus die Gefahr zu ver- weise» und Gegeomaßregeln zu fordern. Und je stärker die Be- weguna sich zeigte, um so dringlicher und energischer wurden unsere Vorstellungen." „Und was machte die Regierung?" „Ja! Wenn eS nur eine solche gegeben haitel Jetzt heißt eS, die Boxer hätten auch die Träger der RegierungSgewalt einen Kopf kürzer gemacht. Als ob «S in der ganzen Regierung überhaupt einen Kopf gegeben bättel Li-Hung-Tilbang war der einzigste. Seit seinem Weggang existirte im Tsung li Namen kein Kopf mehr." „AlS Sir, Herr Baron, im April Peking verließe», war da die Bewegung schon im Gange?" „Damals wiesen wohl einig« Spuren auf Derartiges bin, aber im Ganzen erschien die Sache nicht belangreich. Welches die eigent- liche Ursache der Revolte ist, fragen Sie? Meines Dafürhaltens der Hunger! Durch daS AuStreten deS Hoangdo durch Dürre und schlechte Ernten war über weite Distcicte große Roth hereingebrochen. Die Hungernde» schaarten sich zunächst zusammen, nicht die politisch Unzufriedenen." „Aber Sie finden ia einem Tbeile unserer Presse die Auffassung verbreitet, daß die Unzufriedenheit über die Besetzung Kioutschaus durch Deutschland den Stein mit inS Rollen gebracht habe." „Das ist eben riue ganz falsche Auffassung. Wir beurtheilcn da die Chinesen nach unserem deutschen Empfinden und stellen uns vor, wie es unS zu Muth« sein würde, sollte ähnliche- Deutschland begegnen. Derartige Gefühle keunt der Chinese gar nicht. Er denkt gar nicht politisch und befaßt sich gar nicht mit Politik Tas StaatSwohl ist ihm völlig gleichgiltig, da er schon dem Staats begriff ganz fremd und kalt gegenüber steht." „Aber die Gebildeten, jo glaubt man, seien erregt worden durch daS Borgehen der Mächte und haben diese Erregung weiter- getragen." „Es giebt solche Männer, welche die Literatur deS Auslandes und die europäische Presse verfolgen. Aber eS sind doch verschwin- dend wenige, und auch diese über daS ungeheuere Reich vertheilte Wenigen beschäftigen sich kaum mit der Politik". „Und haben die Boxer mit dem Hofe Fühlung gehabt?" ,,DaS steht wohl bei der vom Prinzen Tua» jetzt gespielten Rolle außer Zweifel. Ich kenne Len Prinzen von den Audienzen beim Kaiser her. Ein kleiner, untersetzter Mann mit groben, bäuerischen Zügen." „Und die Kaiserin-Regentin?" „DaS ist ein« ganz ochtungswerthe, brave, alte Dame, die den Forderungen der Zeit gor nicht so blind gegenübersleht, wie man vier annimmt. Aber sie ist ein Werkzeug in der Hand Tuan'S. Nicht die Kaiserin, sondern er und feine Clique haben 1898 den Staatsstreich gemacht, der zur Absetzung de- Kaisers führt«. Ti« alte Dame war dabei nur die Marionette. — Sie fragen nach Kan-sin, der mit Tuan die Regierung au sich gerissen haben soll. Da- ist allerdings «in ganz orthodoxer, verknöcherter Mandschuh, der Alles verabscheut, was di« Fremden bringen." „Halten Sie die letzten furchtbaren Meldungen über di« MassacreS in Peking für zutreffend?" „Ich möchte doch Vorsicht anempfehlen, besonders den aus Shanghai kommenden Nachrichten gegenüber. Sicheres iveiß Nieinaud. Sicher ist leider nur daS Eine, daß mein hochverehrter Chef Herr v. Ketteln ein Opfer der Fanatiker geworden ist." „ES giebt Stimmen, di« in ihm ein Opfer unseres Verhaltens Lhin» gegenüber sehen wollen." „Eine ganz thörichte Annahme. Nur wer sich persönlich miß- liebig macht, vermag einen persönlichen Haß aus sich zu laden. Davon aber war Niemand weiter entfernt als unser Gesandter. Er war im Gegeutheil beliebt, und was er etwa als Beamter zu ver treten und zu verhandeln hatte, ist ihm bei der schon erwähnten unpolitische» Veranlagung der Lhineseu niemals zur Last gelegt vordeu." Erde fiel. Der Eigenthümer desselben sprang, eine heftige Ver wünschung ausstoßend, empor, worauf Vipont in ein herzliches Gelächter auSbrach. „Nun, nun, gehen Sie doch nicht gleich auS dem Häuschen! Es war ja nicht böse gemeint — nur ein kleiner Scherz von mir." „Ach was, behalten Sie Ihre dummen Scherze für sich!" er widerte ärgerlich der Andere, indem er seinen Hut nahm und ihn wieder fest auf seinen Kopf stülpte. „Der Hut ist ja freilich nicht viel Werth", fügte er, sich mäßigend, hinzu, als Keziah, welche dal Lheegeschirr auS einem Korbe nahm, zu ihm hinüberblickte, „aber immerhin ist er der beste, den ich habe, und ich bin nicht in der Lage, mir vorläufig einen anderen zu kaufen. Die Zeiten sind schlecht." Der Detectiv schlug, mit dem Kessel in der Hand, den Weg nach dem Flusse ein. Ein nachdenklicher Ausdruck lag auf seinem Gesichte. Der eine volle Blick auf da» Antlitz deS Mannes war wie eine Offenbarung für ihn gewesen, oder vielmehr eine Be stätigung dessen, was er vorher nur vermuthet hatte. Es war ein raubvoaelartiges Gesicht mit festem, entschlossenem Aus druck«; ein kurzer, struppiger, erst im Entstehen begriffener Bart umrahmte dasselbe, und kurzgeschorenr» Haar bedeckte den Kopf. Mr. vipont mußte, um zu dem Wasser zu gelangen, an der Seit« der vorher erwähnten Klippe hinabsteigen; ehe er dies jedoch that, wendete er sich noch einmal um und winkte den beiden Zurückgebliebenen mit der Hand zu. Tie beobachteten ihn Beide, und Keiner von ihnen hatte auch nur im Geringsten seine vorherige Stellung, verändert. Bipont stieg die rauhen, in Stein gehauenen Stufen hinab, doch, noch «he er das Ende derselben erreicht hatte, machte er Halt, setzte den Kessel nieder und, seinen Hut neben denselben legend, kchrtr er wieder auf die Spitze der Klippe zurück, doch zu einer Stelle, die ein wenig von derjenigen, an welcher er hinab- gestiegen, entfernt war. Vorsichtig verbarg er sich, während er weiter schlich, hinter den Bäumen, bis er ein dichtes Gebüsch erreichte, von wo aus er im Stande war, ohne bemerkt zu werden, Keziah und ihren Gefährten zu beobachten. Er befand sich in einer zu großen Entfernung, um verstehen zu können, was gesprochen wurde, aber er konnte genau wahr nehmen, daß die Beiden in lebhaftem Gespräche mit einander waren. Keziah ließ ihre Augen aufmerksam rings umher schweifen, als ob sie fürchtete, gesehen zu werden, dann schien sie dem Manne ihr gegenüber ein Zeichen zu geben; sie deutete mit der Hand nach der Seite deS Waldes, von wo aus er gekommen war, und Bride standen gleich dgrauf auf und waren bald hinter den Bäumen verschwunden. „Und wohin werden dir Dinge sichren?" „Das weiß im Augenblick lein Mensch. Aber da» weiß ich, daß die Sach« lang« nicht so schlimm sich gestalte» wird, als sie hier befürchten. Ter Charakter der Chinesen läßt mich nicht an groß«, nationale Bewegung glauben. Was durch dies» Bewegung bisher auf di« Bein, gebracht worden ist, sind zusammengelausene Horden. Und wie sie sich zusammrngeschaart haben, so müssen sie auch wieder auseinander lausen. Denn woher sollen sie zu essen be- kommen, woher den weiteren Schießbedarf nehme», wenn die letzige Munitiou verknallt ist? Ich glaube daher an ein baldiges End« de» Ausstandes." Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Juli. Zur Nettung der in Peking eingeschloffenen Fremden jeder Nationalität bat der deutsche Kaiser einen Schritt getban, der den wärmsten Dank nicht nur dieser, einem qual vollen Tode entgegcnschenden und Loch vielleicht noch zu rettenden Fremden und ihrer Angehörigen, sondern auch aller fühlenden Mensche» ohne Unterschied der Nation und der Confesston, sofern sie nicht mit dem „Vorwärts" die Unglück lichen als todeswürdige Verbrecher am Chinesentbume an- seben, verdient und finden wird. DaS Telegramm, das Kaiser Wilhelm an den Chef deSK reu zergesch waderS, denGo uver - neur von Kiautsckau in Tsingtau, den General gouverneur von Sbantung, den Vicekönig von Nanking und deu Bwekönig von Wutschang gerichtet hat, lautet wörtlich: „Ich verpflichte Mich auf Mein Kaiserliches Wort, für jeden der zur Zeit in Peking eingeschlossenen Fremden jeder Nationalität, welcher lebend einer Kaiserlich Deutschen oder sonstigen fremden Behörde übergebe» wird, demjenigen, der die Auslieferung herbrisührt, 1000 TaelS au-zuzahlen. Auch über nehme Ich alle Kosten, welche jedwede Uebermitte- lung Meiner Zusage nach Peking verursacht. gez.: Wilhelm." Wenn eS möglich ist, daß dieses Kaiserwort, eines der schönsten und großherzigsten, die je gegeben worden find, nach Peking dringt, so wird das der sorgfältigen Auswahl der Personen zu danken lein, an die es gerichtet ist; und erweist sich auch nur einer der cingeschlagenen Wege als gangbar, so wird bei der Habsucht der Ebinesen den vielleicht noch lebenden Unglücklichen die Stunde der Erlösung schlagen. Aber auch wenn Alle, die mit dem deutschen Gesandten in Peking ein geschlossen waren, dessen Schicksal bereits gctheilt haben sollten, so wird dock die ganze civilisirte Welt dem Oberhaupte des deutschen Reiches nachrübmen müssen, daß eS in diesem unseligen Kriege allein eineu Schritt unternahm, der weiteren Un- lhatcn der Chinesen vorzubeugen und dadurch auch die zu fordernd: Sükne zu mildern geeignet erscheinen konnte. Tie ganze civilisirte Welt muß anerkennen, daß dem deutschen Kaiser durch sein hochherziges Wort moralisch die Führung der civilisirte» Mächte zugefallen ist, die er politisch zu übernehmen Weder in der Lage, »och gewillt ist. Und diese Anerkennung ist um so werlbvoller, je eifriger eigensüchtige Treiber wieder am Werke sind, das ohnehin nicht allzuseste Einvernehmen der Mächte zu erschüttern und namentlich Deutschland zu verdächtigen. Kaum ist nämlich der Oesfcntlichkcit bekannt geworden, daß Deutschland aus woblbegrnndeter Rücksicht auf Rußland, entgegen dem englischen Wunsche, keinen Druck ans das Zarenreich auSgeübt hat, um dessen Zustimmung dafür zu erhalten, daß Japan mit der Herstellung der Ordnung in China beauftragt werde, da nimmt die englische Presse sofort ihre feindselige Haltung gegen Deutschland wieder ans. Den Ton geben hierbei wie gewöhnlich die „Times" an: sie haben es gar nicht glauben wollen, „daß die Macht, deren eigener Gesandter ermordet wurde und die mit Recht bean sprucht, eine große Rolle in ter Wellpolitik zu spielen, ein solches Verfahren auf die mutbmaßliche Empfindlichkeit eines mächtigen Nachbars schweigend unterstützen würde." Mit solcher Spekulation auf die deutsche Eitelkeit werden die „Times" keinen Erfolg haben; und was den Hinweis darauf betrifft, daß Deutschlands eigener Gesandter ermordet wurde, so liegt hierin gerade ein Moment, das Deutschland abhalten könnte, bei der Pacisicirung Chinas zu Gunsten einer ein zigen Macht vollständig in Len Hintergrund zu treten. Wie wenig Deutschland nach dem Stande der diplomatischen Ver bandlungen mit der Uebertragung eines Mandats an Japan sich befreunden konnte, darüber ist die unbefangene öffentliche Meinung Englands durch die „Daily Mail" einigermaßen zutreffend unterrichtet. Letzteres Blatt nämlich bat er fahren, daß Japan jenes Mandat habe annehmen wollen, aber ohne anzugebcn, welche Entschädigung es dafür bean spruche. Unter solchen Umstände» — und daß Japan in der That über die Bedingungen seines Ein schreitens in China gar nichts verlauten ließ, wird unS von unterrichteter Seite bestätigt — ist es der deutschen Negierung wahrlich nicht zu verdenken, wenn sie die Beeinflussung Rußlands im englischen Sinne ablehnte. Im Aerger über das Scheitern der englischen Wünsche läßt sich der „Daily Ex preß" zur AuSsprengung von SeasationSnachrichten ver Jeht ging Vipont nach dem Flusse hinunter, füllte dort seinen Kessel mit dem aus dem Felsen hervordringenden Quell wasser und kehrte zu dem Lagerplatz zurück. Er beeilte sich weder, noch schlug er einen besonders langsamen Schritt ein, sondern ging in seiner gewöhnlichen, gemächlichen Weise vor wärts; und als er jetzt den Platz erreicht hatte, erschien Keziah unter den Bäumen, etwas dürres Reisig in ihrer Schürze tragend. Sie war allein. „Ich denke, das wird gut brennen, es ist ganz trocken", sagte sie, die Reiser auf die Erde schüttend. „Vielleicht zünden Sie das Feuer an, Mr. Vipont, ich verstehe mich nicht besonders darauf." „DaS will ich schon thun, kaffen Sie uns nur noch ein Weil chen warten, wir haben noch Zeit genug. Ich möchte zuvor gern noch einmal nach dem Fluß hinunter gehen. Da ist so rin allerliebste» Zigeunermädchen, welches mir gern wahrsagen wollte aber unglücklicher Weise hatte ich gar kein kleines Geld bei mir und herausgeben konnte mir die Kleine nicht. Vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, mir mit einer halben Krone aus- zuhelfen?" Keziah griff in ihre Tasche, um seinem Wunsche zu will fahren, doch, als ob sie sich plötzlich an etwas erinnere, zog sie die Hand wieder zurück. „Es thut mir sehr leid, Ihnen nicht dienen zu können, aber ich habe keinen Pfennig Geld bei mir. Ich würde Ihnen sonst gern gefällig sein." „Ö, es schadet nichts!" entgegnete Vipont, doch gab er sich den Anschein, als ob er dennoch sehr enttäuscht sei. Plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen, und er blickte sich ringsum. „Wo haben Sie denn unseren kahlköpfigen Freund gelassen?" „Sie fragen noch? Fortgeschickt habe ich ihn!" entgegnete Keziah zornig. „Ich begreife überhaupt nicht, wie Sir sich mit solch einem hergelaufenen Landstreicher einlassen konnten! Es ist immer eine gefährliche Sache, und ich muh gestehen, daß es mir durchaus nicht angenehm war, mit ihm allein gelassen zu werden." „Ich hakte ihn für einen richtigen Galgenvogel", sagte Di- pont, seine Uhr hervorziehend und einen Blick darauf werfend. ES war noch nicht halb vier und daher nicht anzunehmen, daß Mr. Beanchamp mit seinen Damen vor Ablauf der nächsten Stunde zurllckkehrte. „Soll ich Ihnen meine Meinung über ihn sagen?' Keeiah schien der Lthrm still zu stehen. Sie war damit beschäftigt, die Holzstückchrn, di« sie aus dem Wald« mitgebracht leiten, die bestimmt find, Rußland gegen Deutschland aufzubringen. Das genannte englische Sensationsblatt fabelt von einem durch deutsche Officiere auSgearbeiteten FeldzugSplane, der im vorigen Jahre ausgearbeitet sei, als Cbina einen Krieg mit Rußland für möglich hielt, und eS fabelt ferner von einer angeblich damals geplanten Einfuhr „riesiger Vorräthe" an deutschen Kanvuen und Gewehren. — Mit dieser Methode, dir der während de» spauisch-ainerika- nischen Kriege- angewandten verzweifelt ähnlich sieht, wird die englische Presse gerade jetzt weniger Erfolge haben al» je. Unter der Ueberschrift „Unsere Freiwilligen für China" weist eine von ter „Köln. Ztg." veröffentlichte Znfchrift darauf bin, daß durch die tbeilS sckon erfolgte, theilS noch bevorstehende Entsendung deutscher Ceestreitkräste und Land truppen dem Reiche Pflichten erwachsen, auf deren Er füllung gedrungen werben muß. Wir schließen uns dieser Mahnung in jeder Hinsicht und in der Hoffnung an, daß der Reichstag nicht zögern werde, seinen Antheil zur Erfüllung beizutragcn. Die Mahnung lautet: „Wir wollen nicht vergessen, daß unser« tapferen jungen Männer einem nicht leichten Feldzüge entgegengehe», denn wenn die europäischen Truppen, die in einigen Wochen dort in genügender Zahl versammelt sein werden, auch mit den ungezählten Schaaren der Chinesen wohl fertig werden, so müssen wir doch bedenken, daß unsere jungen Leute noch mit zwei anderen Feinden zu kämpfen haben werde», nämlich mit dem Klima und mit dem Heimweh, welche beide einer Truppe ost mehr Verluste verursachen, al» dir Wasse» deS Feind,S. DaS Klima von Tientsin und vom Norden von China ist meist trocken, harte Winde wehen im Frühjahr und im Winter; im Sommer herrscht von Mitte Juni bis Mitte Erp- temp.'r eine glühende Hitze, in weicher der Thermometer auf durch- jchnitttich 40° CelsiuS steigt und die von heftigen Regengüssen unter brochen wird. Im Herbste, von Mitte September bi- Milte November sinkt die Temperatur auf -s- 18—22 Grad, während der Winter wieder ungemein streng ist und durchschnittlich 15—22 Grad Kälte hat, wobei die Flüsse in der Regel von December bis Ende Februar fest zugesroren sind. Wenn auch das Klima von Tientsin im Allgemeinen für den Europäer nicht ungesund ist, so herrscht Loch das ganze Jahr hindurch Malaria, und so wird eS Haupt- ausgabe der Heeresverwaltung sein, den Truppen jetzt schon in binreichender Zahl Mittel gegen Malaria und sonstige Fieberkrank heiten, sowie eine doppelte und dreifache Anzahl von Aerzten init- zugcben, um gegen diesen schlimmen Feind gerüstet zu sein. Diese Fürsorge ist doppelt nöthig, weil nun die Truppen gerade in der heißesten Zeit ankommen. Es wird sich auch empfehlen, die Truppe» mit einem vom Manne zu tragenden Filtrirapparate auszu rüsten, wie sie sich im österreichischen Heere bewährt haben. Daß den Truppen ganz besonders warme Winterkleidung mitgegeben wird, dürste selbstverständlich sein. Ter andere Feind aller in weit entserntcn Gegenden stehende» Truppen ober ist das Heimweh, das mit der Zeit jeden Soldaten befällt, und diesem können wir nur dadurch Vorbeugen, daß wir unsere Seepost so vortrefflich als möglich cinrichtcii. Nachdem wir aber nunmehr unversehens in »inen Krieg verwickelt worden sind, dessen Folgen und Opfer an Menschenleben und menschlicher Gesundheit wir »och gar nicht ab- schen können, tritt an daS deutsche Reich auch gebieterisch die Forderung Hera», nun für die tapfere Krieger zu sorgen, die muthig hinausziehen, um die dem Reiche angethane Schmach zu rächen und für das schmählich vergossene Blut Sühn« zu fordern. Jetzt ist es Sache LeS Reiches, endlich unsere schlechten Militärpensions- gejetze zu ändern und dafür zu sorgen, daß die Männer, die in fernen Ländern ihr Leben und ihre Gesundheit dem Reiche zum Opfer bringen, auch anständig versorgt werden, wenn sie au der Gesundheit schwer geschädigt oder durch Wunden erwerbsunfähig geworden sind. Die Eltern dieser tapferen Krieger, die Frauen der Verheirotheten, die die Söhne oder die Männer mit bangem Herzen hinauszichen lassen, sie sollen nicht wie die Angehörigen der im Jahre 1870/71 Gefallenen 30 Jahre lang darben und entbehren, sie sollen heute schon die Beruhigung haben, daß sie nicht wie die anderen mit Nahrungssorgen zu kämpfen haben zum Dauke dafür, daß sie ihr TheuersteS dem deutschen Reiche geopfert haben. Wenn wir aber endlich Len Feind nicdergerungen haben, dann wird es auch an der Zeit sein, dem Ueberrifer unserer Missionare beider Consejjionrn zu steuern, denn wie im Jahr« 1860 der Krieg zwischen Frankreich, England und China wegen der Niedermetzelung einiger Missionare und der christliche» Chinesen auSbrach, so kann eS jetzt schon keinem Zweifel mehr unterliegen, daß der Eifer unserer Missionare ein gut Theil Schuld an dem blutigen Auf stande trägt. Schon im Jahre 1860 haben französische Gelehrte der BekehrungSsucht der Missionare und der Jesuiten die Schuld am Kriege gegeben und die Frage gestellt, wie eS unS Europäern gefallen würde, neun die Chinesen Leute senden wollten, um uns zur Lehre deS ConfuciuS zu bekehren. Für China mit seiner viel tausendjährigen Religion ist heute die Frage dieselbe; sie haben im Verkehr mit den Europäern bei der Plünderung des Sommer- Palastes im Jahre 1860 uud bei viele» andern Anlässe» nicht gerade hatte, ordnungsgemäß zusammenzulegen, und obgleich sie mit dem Kopfe nickte, blickte sie nicht von ihrer Beschäftigung auf. „Ich habe den Eindruck empfangen", sagte Vipont, indem er sehr langsam und deutlich sprach und seinen Blick auch nicht für einen Augenblick von Keziah'S Gesicht abwendete, „daß er ein entsprungener Verbrecher auS Dortmoor ist, und zwar derselbe, von dein die Zeitungen augenblicklich so viel Aufhebens machen. Er war zu zehn Jahren Zuchthaus veruriheilt wegen gewaltsamen Einbruchs, und sein Name — ist James Kennedy!" Keziah zuckte zusammen. Sie versuchte sich aber zu be herrschen und fuhr in ihrer Beschäftigung fort. Ihre Hände zitterten indeß derartig, daß sie endlich davon abstchen mußte. Jetzt ergrisf sie der Muth der Verzweiflung. Sie sprang auf und blickte Vipont ins Gesicht, Todesbläfle lag noch immer auf ihrem Antlitz, aber ihre Augen leuchteten unheimlich. „Und wenn dies der Fall wäre", rief sie — «was geht das mich an? Was habe ich damit zu thun?" „Hm — ich dachte nur, daß doch eine lange Trennung die Herzen gewöhnlich fester an einander kettet. Und es sind drei lange Jahre her, seit Sie in Old Bailey von ihm Abschied nahmen. Die Gesetze nehmen keine Rücksicht auf die Ehebande. Nichts kann die Trennung selbst der zärtlichsten Ehegatten hindern, wenn es einem von ihnen gelüstet, die Hände nach fremdem Gnt auSzustrecken. Doch nach dem Ausdruck zu ur- theilen, mit welchem Sie ihn begrüßt haben, waren Ihre Ge fühlt nicht gerade freudiger Natur, alt Sie in dem „hergelaufenen Landstreicher", der mit uns gefrühstückt hat, Ihren gesetzmäßig angetrauten Gatten — James Kennedy — erkannten." XXII- Wenn Leugnen etwa» genützt haben würde, so würde Keziah geleugnet und sich gegen die Anklage Dipont'S bis auf» Aeußerste gewehrt hoben, aber in der ruhigen Ueberrrgenbeit des Drteetiv» lag etwa», da» ihr sagte, wie vollkommen zwecklos es sein würde, auch nur ein Wort zu entgegnen. Und so saß sie ihm denn schweigend gegenüber, doch lag in dem Blick, mit dem sie Mr. vipont ansah, etwas von dem wilden Thier, das unter den Augen seine» Bändigers zittert — etwas Teuflisches, und doch zu gleicher Zeit Hilfloses. „Sie haben Ihrem Gatten Geld gegeben, um sich seiner zu entledigen", fuhr vipont fort, „und für später, wo Sie sicher sind, daß dies ohne Zeugen geschehen kann, eine Zusammenkunft mit ihm verabredet. Ich fürchte. Eie werden einen schweren Stand mit ihm haben, er wird sicherlich et» -rotzer Hemmschuh viel Schönes vom Christenthum gesehen, sie sehen täglich di« Ku- einigkeit der christliche» NeligionSgelellschasten, und wir können es ihnen nicht verdenken, doß iie sich für die Missionar» bedanke». Ob aber rin paar hunderttausend arme Kulis au» ErwerbSrücksichten zweifelhafl» Christen «erden, kann un» in Europa ganz gleichgiltig sei», dir» ist daS iheure Blut von Tausenden von Europäer», die »un geopfert werden, nicht werih." Wieder ist in Frankretch eine starke Stütze des Kleri- kaliSmuS in der Armee gestürzt. Denn daS war der Gene ralissimus Jamont so gut wie der GeneralstabSchef Delanne, dessen sich die Negierung uun auch entledigt hat. Jamont war ein Man» nach veiu Herzen der Klerikalen. Er hat den Predigten des Dominikanermönches Pater Didon beiaewobnt und mit einem gewissen Wohlgefallen die Beschimpfungen dieses Mönches gegen die Arme» bin- genommen. Er war es, der in NenneS dem General Mercier, mit dem er befreundet ist, die angeblichen Aeußerungen Freycinet'S über das Millionensyndicat des Auslandes mitgethcilt hat, wodurch Frrycinet gezwungen wurde, seinen Sommeraufenthalt in Ragaz zu unterbrechen und in NenneS seine Zeugenaussagen abzulegen. Die Demissionsgesuche Jamont's und Delanne'S standen in ur sächlichem Zusammenhang: die Regierung sollte durch die selben vor dem Lande dloßgestellt werden. Jamont's Ent lassungsgesuch war schon vor längerer Zeit geschrieben. Es sollte sogleich nach de», gleichbedeutende» Gesuch Delanne'S eingereicht werden. Wider Erwarten aber erhielt Delaune Besebl, auf seinem Posten zu bleiben. Da Jamont, wenn er jetzt demissionirt hätte, weit weniger Effect gemacht hätte, so suchte er sich auf andere Weise unangenehm bemerkbar zu machen. Man ließ indirect den Präsivcnten der Republik von dem bevorstehenden Rücktritte des Generalissimus in Kenntniß setzen, und Herr Loubet ließ, nachdem er mit dem ConseilSpräsidenten darüber conferirt, den General Jamont zu sich bitten. Die Unterredung fand am Montag statt. Wenn deren Zweck war, den Präsidenten der Republik in eine Situation zu bringen, die dem Ministerium peinlich oder gefährlich werden mußte, so war sie wirkungslos. Die Regierung griff sofort energisch ein. Schon am Mittwoch Vormittag waren die Decrete unterzeichnet, die Jamont und Delanne ihrer Posten als Vicepräsideat deS Ober- kriegSratbS bezw. als interimistischer Cbes deS General- stabS enthoben, den ersteren zur Disposition stellten und den General Brugöre, Militärgouverneur von Paris, sowie dessen GeneralstabSchef, General Pendezec, an deren Stelle ernannten. In den Wandelgängen deö Palais Bourbon sprach man am Mittwoch nur von dem Gerüchte von dem Rücktritte deS Generals Jamont, die erst nach 5 Ubr eine bestimmte Form «»nahmen. Sofort richtete der Abg. Jourde eine Frage an den KriegSminister, um die Bestätigung dieser Nachricht und Aufklärungen darüber zu erhalten, welche Maß regeln er getroffen habe. General AndrS erwiderte: „Ich werde vorerst die Vorfälle i» Erinnerung bringen, die die Handlung veranlaßten, über die ich befragt werde. Ich habe einen SecüonSches und zwei Bureouchess in ihre Regimenter zurück- geschickt, was ohnedies in kurzer Zeit geschehen sollte. Ich habe die Ursachen meiner Entscheidung der Kammer mitgetheilt, und die Kammer bat sie gebilligt. Unter diesen Umstände» sandte mir auch General Jamont ein Entlassungsschreibeu, das, wie folgt, lautet: „Herr Minister! Die Unbeständigkeit deS GeaeralstadSchesS der Armee ist unvereinbar mit der Bildung und der Führung der Armeen im Feldzüge. (Beifall rechts.) Im Beginn eine« Krieges bedarf der Befehlshaber einer Gruppe von Armeen eines Mitarbeiters, der fei» volles Vertrauen genießt, der über den Feind unterrichtet ist und der die Mobilmachung kennt, da er deren Einzelheiten vorbereitet bat. (Neuer Beifall rechts.) Da Len, in Zukunft nicht mehr so sein wird, so werden die bereits so großen und jo schweren Schwierigkeiten, dene» ich gerecht zu werden habe, in einem Verhältnisse anwachseu, das ich für unmäßig erachte. Ich bitte Sie also, Herr Minister, mich meiner Functionen enthebe» und zur Disposition stellen zu lassen. Jamont." In diesen Ausdrücken verfaßt ist jene Demission ein Protest gegen die Handlungen der Regierung. (Lauter Beifall links.) Deshalb ist General Jamont seiner Functionen enthoben und zur Disposition gestellt worden. (Neuer Beisall links.) General Jamont ist durch den General BrugLre ersetzt worden." (Ironische Rufe rechts, Bei fall links.) Die Sitzung, über deren weiteren Verlauf wir bereit» be richteten, endete mit einem neuen Sieg deS Ministeriums. Deutsches Reich. -8- Leipzig, 7. Juli. Gestern verstarb der kaiserliche NeichSgerichlSrath Herr Albert Georg Wandersleben. Der Verewigte, der sich um die CivilrechtSpflege mannigfache Verdienste erworben hat, wurde am 5. October 1837 zu Königsberg i. Pr. geboren. Seine Nichterlaufbahn begann er mit der am 11. Mai 1859 beim königlich ostpreußischen Tribunal in Königsberg erfolgten eidlichen Verpflichtung; im Jahre 186 l wurde er Tribunalsreferendar, 1864 Gerichtsassessor, 1868 KreiSrichter in Schippenbeil. Im Jahre 1870 wurde der Verewigte nach BraunSberg, im Jahre 1876 nach Königsberg unter Ernennung zum Kreis- gerichtSrath versetzt; hier erfolgte im Jahre 1879 auch seine für Sie sein, Sie in Ihrem Fortkommen hindern und Sie wo möglich zu sich herabzuziehen versuchen. Ich kenne die Art Menschen, zu denen er gehört, zu gut, um mich über ihn oder seine Zukunft täuschen zu können. Wenn Sie meinem Rath folgen wollen, so nehmen Sie gleich von Anfang an Stellung gegen ihn, ehe es ihm gelungen ist, Sie zur Theilnehmerin seiner Verbrechen zu machen, jetzt können Sie e» noch, nachher ist eS zu spät." „Behalten Sie Ihre guten Rathschläge für sich", sagte sie mürrisch, „ich kann dieselben nicht gebrauchen, ich weiß selbst, was ich zu thun oder zu lassen habe." Als sie sich erkannt sah, hatte sie ihre gewohnte ruhige, selbst bewußte Art und Weise verlassen, sie wurde unhöflich und hielt es nicht mehr für nöthig, den Anschein der Bescheidenheit und Sanfimuth aufrecht zu erhalten. „Sie befinden sich in einem großen Jrrthum. Keiner von un» ist so alt oder so klug, daß er nicht dankbar für einen guten Rath sein sollte, wenn er in freundschaftlicher Absicht ge boten wird." „Freundschaftlich!" sagte Keziah, einen bitteren Nachdruck auf das Wort legend. „Ja, gewiß. Natürlicher Weise könnte ich, wenn ich wollt«, James Kennedy verrathen und die Belohnung beanspruchen, welche man für seine Ergreifung ausgesetzt hat; aber ich habe durchaus nicht die Absicht, die» zu thun — da» heißt", setzte er vorsichtig hinzm „wenn Sie Vernunft annehmen wollen." „Mas heißen soll — daß ich irgend Etwas für Sie thun soll?" „Ganz richtig, Sie sparen mir die Mühe, es zu sagen. Es steht in Ihrer Macht, mir gewisse Mittheilungen zu machen, an denen mir sehr gelegen ist, und wenn Sie offen gegen mich sind, so mag Ihr Gatte den Oeean kreuzen, wenn es ihm beliebt, ich werde ihn nicht daran hindern." Sie blickte hastig zu ihm hinüber und athmete erleichtert auf. „Und Sie würden mich in Lrowhurst nicht verrathen — würden schweigen über —" „Jedenfalls sollen Sk schadlos auigehen. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß es nöthig für Sie sein wird, Lro», hurst zu verlassen, und zwar sogleich — aber davon wollen wir später sprechen. Für den Augenblick lassen Sir uns bei der einen Sache bleiben," (Fortsetzung folgt.)
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