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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.07.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-07-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000712014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900071201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900071201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Bei der Zusammensetzung desselben ist mit großer Umsicht und unter sorgfältiger Berücksichtigung der besonderen mili tärischen Bedürfnisse, wie sie die eigenartigen Verhältnisse in Ost-Asien erheischen, die Zutheilung der einzelnen Waffen gattungen erfolgt. Die Hauptmasse des Expeditionskorps wird naturgemäß aus Infanterie bestehen. Es ist ins Auge gefaßt, Rcgiments-Berbände zu organisiren, und zwar in der Weise, daß zwei Bataillone eines Infanterie-Regiments zur Ausreise bestimmt werden, während das dritte als Ersatz-Bataillon in der Heimath verbleibt. Die Kopfstärke der einzelnen Bataillone soll 800 Köpfe nicht überschreiten, also hinter der etatsmäßigen Kriegsstärke um 200 Mann Zurückbleiben. An Kavallerie wer den gegen 1000 Pferde vorgesehen. Es hat sich gegenüber der zahlreichen Reiterei der Chinesen, welche nicht nur im Kriege gegen Japan, sondern ganz besonders in dem französisch-engli schen Feldzug von 1860 gegen China eine bedeutende Rolle spielte, das Bedürfniß ergeben, auch eine stärkere Kavallerie zur Hand zu haben. Im Kriege 1860 traten englischerseits zwei und ein halbes Kavallerieregiment auf, welche ausgezeichnete Dienste sowohl im Erkundigungswesen, wie auf dem Schlacht felde geleistet haben. An Feldartillerie werden 3 Feldbatterien und 1 Mörser batterie gestellt werden. Da sich bereits 3 Feldbatterien in Kiautschau bez. in Ausreise mit den beiden Seebataillonen be finden, so würden im Ganzen 36 Feldgeschütze zur Verfügung stehen. Besondere Berücksichtigung erfährt das Bedürfniß nach technischen Truppen. Bei den schwierigen Geländeverhält nissen, der Unwegbarkeit der meisten Landstraßen und der Ge wohnheit der Chinesen, möglichst ausgiebigen Gebrauch von Ver schanzungen zu machen, sind verhältnißmäßig starke Entsen dungen von Pionieren nöthig geworden. Da es ferner wichtig ist. die theilweise von den Chinesen zerstörten Eisenbahnlinien möglichst rasch militärisch nutzbar zu machen, so begleiten auch Abtheilungen der Eisenbahn-Regimenter und der Verkehrs truppen überhaupt das Expeditionscorps. Endlich ist auf eine sachgemäße Organisation des Sanitätswesens Rücksicht ge nommen worden, während das Transportwesen in der Haupt sache erst an Ort und Stelle geregelt werden kann. Der euro päische Zuschnitt des Transportwesens versagt eben in Ostasien, allein schon wegen der miserablen Beschaffenheit der Straßen. Man wird deshalb bestrebt sein, die Wasserwege möglichst für alle Zwecke des Transportes und des Nachschubes nutzbar zu machen, wobei die überaus zahlreichen Canäle und die großen Flußläufe ausgezeichnete Dienste zu leisten im Stande sind. Ferner ist bei der Organisation des Expeditionscorps darauf Rücksicht genommen, daß es nicht nur auf kurze Zeit, sondern unter Umständen auf längere Dauer an Ort und Stelle allen Anforderungen zu entsprechen vermag, welche der Gang der Ereignisse an dasselbe stellen könnte. Rechnet man dir 3300 Mann Landtruppen hinzu, welche die drei Seebataillone zählen, so würden in absehbarer Zeit etwas über 15 000 Mann vortrefflich ausgebildeter zu kriegerischen Leistungen ersten Ranges befähigter Landtruppen aller Waffen gattungen in Ostasien zur Stelle sein, um die deutschen Inter essen zu vertreten und zu vertheidigen. Andererseits schließt die Bemessung der Stärke des Expeditionscorps aus, daß Deutsch land irgendwie gesonnen sein, in Ostasien aggressive Politik zu treiben — denn zu einer solchen Politik würden ganz andere mi litärische Machtmittel gehören — und dieses Maßhalten ist aus allgemein politischen Gründen geboten. Es entspricht im Uebri- gen vollkommen den Zielen, welche die überseeische Politik Deutschlands im Auge hat. Welche ungeahnt rasche Wandlungen aber die politische Weltlage erfahren kann, lehren die Vorgänge in Ostasien mit überzeugender Deutlichkeit. Es ist angesichts derselben wohl auch dem friedfertigsten unserer deutschen Landsleute, die sowieso schon mehr als wünschenswerth „die Vorsicht als den besseren^ Theil der Tapferkeit" ansehen, in Sachen Deutschlands als auf strebender Weltmacht, zum Bewußtsein gekommen, daß das deutsche Reich unter allen Umständen und überall wirksam seine Rechte und vor Allem den Schutz seiner Angehörigen zu vertreten in der Lage sein muß. Nur dann hat es Anspruch darauf, den Platz behaupten zu können, den die Vorsehung und die ganze geschichtlich« Entwickelung ihm zugewiesen haben. Zu einer solchen wirksamen Vertretung gehören aber unter Umständen nicht nur achtunggebietende Kriegsschiffe, sondern auch die Gewehre, Säbel und Geschütze von Landtruppen. Wer noch beispielsweise vor 5 Jahren in Deutschland von der N ot h- wendigkeit gesprochen hätte, ein Expeditionscorps von 15 000 Mann Landtruppen nach einem fernen Welttheil zu ent senden, würde vielfach ungläubigem Kopfschütteln begegnet sein. Jetzt nimmt die große Mehrheit der Nation diese Entsendung mit patriotischer Befriedigung auf. Die waffenfreudigen Elemente unseres Heeres drängen sich mit Begeisterung zu den Truppen, welch« im fernen Ausland« deutsche Ehre und deutsches Ansehen wahren sollen. Die Stärke des Expeditionskorps könnte allein aus Freiwilligen auf jede beliebige Höhe gebracht werden. Nicht allein aus den Reihen des activen Dienststandes, sondern auch aus den Reihen der Mannschaften des Beurlaubtenstandes. Es sind mit einem Worte nicht nur rein militärische Regungen, welche dabei eine Rolle spielen, sondern es ist das mächtig er wachte nationale Empfinden unserer besten Volkskreise, welches hier zu einem sichtbaren und hocherfreulichen Ausdruck kommt! Die Wirren in China. DaS nach Ostasien bestimmte Geschwader unterdem Com- manvo des Contreadmirals Geißler batbeiberrlichstemWetter gestern Mittwoch Vormittag seine Fahrt von Wilhelmshaven angetreten. Auf den Deichen und Molen hatten sich Tausende von Menschen eingefunden, welche unter Hurrabrufen den Scheidenden AbschiedSgrüße zuwinkten, bis die Schiffe am Horizont verschwanden. Wir wünschen unser» lieben Lands leuten eine glückliche Ueberfahrt und einen siegreichen verlust losen Kamps um Deutschlands Ehre. Aus China liegen neuere entscheidende Nachrichten nicht vor. Bemerkt mag sein, daß Amerika Hetzt auch größere Truppensendungen nach China macht. Die Berichte, welche Uber die Kämpfe um Tientsin einliefen, erzählen von großer Tapferkeit der fremden Truppen, auch unsere deutschen haben wieder wacker gekämpft, aber leider auch viel Verluste gehabt. Englische Zeitungen enthalten darüber Meldungen, die weiter unten folgen. Auch ein Telegramm auS Shanghai liegt wieder vor, nach denen die Europäer in Peking noch leben sollen. Schade nur, daß man diesen hoffnungsfreudigen Meldungen keinen Glauben beimessen kann. Alle diese Nach richten stammen auS einer, chinesischen, Quelle und diese hat Grund, die Mächte möglichst im Unklaren zu lassen. Die Depeschen lauten: * Berlin, 11. Juli. Nach hier Zugelaufenen telegraphischen Meldungen deS deutschen Consuls in Tientsin wurden die dortigen Fremdenniederlassungen in der Zeit vom 5. bis 8. Juli von den Chinesen wiederholt bombardirt. Am 6. Juli wurden 2000 Boxer, welche die französische Niederlassung angriffen, vo» den Russen zurückgejchlagen. Am 7. Juli bombar- dirten die Engländer und Japaner die chinesischen Batterien. Abends schlugen chinesische Granaten in das Dach des deutschen Consulats und zündeten, das Feuer wurde aber sofort gelöscht und es ist nur unerheblicher Schaden entstanden. Der Dampfer „Peiping" ging am 6. Juli mit einem deutschen Verwundetentransport nach Taku ab. Die Wasserstraße Tientsin-Taku ist nach Besetzung eines auf halbem Wege gelegenen Forts sicher, auch die Eisenbahn nach Tongku ist bis auf drei englische Meilen vor Tientsin wieder hergestellt. Fast alle Familien der hier ansässigen Fremden sind schon am 4. Juli nach Taku abgereist. * Berlin, 11. Juli. Wie der deutsche Consul in Tschifu tele- graphirt, hat der Gouverneur von Schantung an die fremden Consuln in Tschifu eine amtliche Depesche gerichtet, wonach laut Nachrichten vom 4. Juli die Gesandten in Peking außer Gefahr und die Rebellion im Abnehmen sein soll. Alle katholischen uud evangelischen Missionen in Schantung sind nach Tschifu oder Tsingtau gebracht. * London, II. Juli. „Daily Mail" berichtet aus Shanghai: Dort ist ein Exemplar eines Edict« de- Prinzen Tuan eingetroffen, worin dieser sich selbst als Kaiser bezeichnet. — „Daily Expreß" berichtet aus Tschifu unter dem 10. Juli: Die Russen senden 30000 Mann von Arbin südwestlich von Kirin nach der Eisenbahnlinie zwischen Kirin und Tsitsihar. Südlich dieses Ortes verbrannten die Chinesen fast alle Brücken und führten eine Schreckensherrschaft in der ganzen südlichen Mandschurei ein. — Die Chinesen griffen am 4. Juli mit 75000 Mann und mehr als 100 Geschützen Tientsin an, das von 14 000 Mann der vereinigten Truppen veriheidigt wird. Die Russen und die Japaner hatten die stärksten Verluste. Von einer russischen Jnfanterie-Compagnie in Stärke von 125 Mann wurde mit Ausnahme von 5 Mann Alles getödtet und verwundet. Große Verluste hatte auch das deutsche Contingent. Die Ver luste der Engländer betrugen 30 Mann. Die Deutschen sandten 250 Kranke und Verwundete, meist von Admiral Seymour's Colonne, in großen Flußbooten nach Taku; sie wurden auf dem ganzen Wege dorthin von den Chinesen unauf hörlich belästigt. Die Chinesen erneuerten den Angriff auf Tientsin am 6. Juli mit zwei vierzölligen Batterien. ES gelang der Artillerie der vereinigten Truppen, die feindlichen Batterien nach einem achtstündigen Gefechte zum Schweigen zu bringen. — „Times" berichten aus Simla: Eine schwere Cholera epidemie herrscht in Kohot, woher ein Sikh-Regiment kürzlich nach China abgegangen ist. Vergangene Woche sind 207 Fälle, darunter 77 mit tödtlichem Ausgange, unter der eingeborenen Garnison und dem Lagertrosse vorgekommen. (Wiederholt.) * Paris, 11. Juli. Der hiesige chinesische Gesandte theilte dem Minister Les Aeußeren Delcasss mit, daß Li-Hung-Tschang ihm aus Canton vom 10. d. M. telegraphirt hat, daß dieser ein Tele- gramm auS Peking erhalten habe, das besage, daß sich die Sol- daten und Rebellen, die die Gesandtschaften umzingelt hätten, allmählich zerstreuten. * Paris, 11. Juli. Im letzten Augenblick entschloß sich die Regierung statt des Generals Dodds General Boyron an die Spitze der französischen Division in China zu stellen ausschlaggebend war die Erwägung, daß der französische Befehls- Haber berufen sein könnte, den Oberbefehl über die Truppen ver schiedener Mächte zu übernehmen und daß gewisse Osficiercorps dann an DoddS' Hautfarbe Anstoß nehmen würden. (Voss. Ztg.) * Paris, 11. Juli. Nach dem „Figaro" umfaßt die fran zösische Colonie in Peking mit Ausschluß von 10 Frauen und 6 Kindern 171 Personen, nämlich 17 von der Gesandtschaft, 75 von der Schutzwache, 17 Beamte und Kaufleute, 49 von der Mission, darunter Bischof Favier, sowie 13 von dem Bau der Hankau-Bahn wahrscheinlich nach Peking geflüchtete Techniker. (Wiederholt.) * Rom, 11. Juli. Nach einem bei der Cardinal-- Congre« gation zur Verbreitung des Glauben- Zugelaufenen Telegramm sind der apostolische Vicar Gutllon in Mulden, zwei Pariser Missionare und zwei barmherzige Schwester» ge tödtet worden. * Washington, 10. Juli. An amerikanischen Verstär kungen werden vorläufig bis zu 6000 Mann von den Philippinen nach China gehen. In Cuba werden drei amerikanische Regimenter sreigemacht, die entweder nach den Philippinen oder im Bedarfs fälle auch nach China gehen sollen. * Toeul, 8. Juli. (Wolss'S Telegr.-Burean.) Die Tele- graphenlinie zwischen hier und Port Arthur ist unter brochen. Von Chemulpo besteht die gelegentliche Verbindung mit Taku oder Tschifu. Deutsches Reich- 8. Leipzig, 11. Juli. Da die Socialdemokratie von Gefühlen gewöhnlicher menschlicher Art, wie der Patrio tismus eins ist, nicht angekränkelt wird, so kann sie denn alle Ereignisse der Weltgeschichte von ihrer hoben Warte reiner Wissenschaftlichkeit betrachten, und das thut sie auch. Ein schönes Beispiel solcher Anschauungsweise bietet die heutige „Leipziger Volkszeitung" in einem besonderen Artikel „Der Spaziergang nach Peking". Was hier an versteckter Böswilligkeit, undeutschem Benehmen und, glücklicherweise völlig verfehlter, Schadenfreude zusammen geflossen ist, hätte auch Herrn Thersites hämischen An gedenkens alle Ehre gemacht, so daß der Artikel als eine Musterleistung in seiner Art bezeichnet werden kann. Eine Probe wird zur Charakterisirung genügen: „Ahnt ihr waS? Begreift ihr die ganze göttliche Bosheit, die schneidend» Ironie, die ätzende Satire (der Welt geschichte)? Niemand kann e« behaupten, wohl aber kann e« kl eine herzbeklemmende Möglichkeit ausgesprochen werden, daß der deutsche Branddirector mit der großen Feuerspritze, Herr v. Höpfner, angerückt kommen wird, wenn sich längst der letzte Gassenjunge verlaufen hat. Wer weiß, ob nicht Deutschlands nach rückende Heere, eine wicdererstandene Krähwinkel»! Land wehr, in zwei Monaten mit Vivat und warmen Würstchen in Peking empfangen werden. Vielleicht läßt sich dann auch rin von europäischer Cultur beleckter Thorhüter für eine Flasche Brandy soweit erweichen, um die Fahne der einkehrenden Truppen auf den Mauern Pekings flattern zu lassen." Das ist starker Tabak für eine in Deutschland in deutscher Sprache erscheinende Zeitung, und es gehört die Un- empsindlichkeit eines socialdemokratischen Parteimannes in nationalen Angelegenheiten dazu, um das mit Ruhe lesen zu können. Eine deutsche Truppe wird als „Krähwinkeler Landwehr" verhöhnt, weil sie, wie von Herzen zu wünschen ist, aber noch kaum gehofft werden darf, vielleicht zum Eingreifen in blutige Wirren zu spät auf dem Platze erscheinen wird. Wo ist da der Witz? Wo ist da- lertium comparationis? Ist den Leitern der „Leipziger VolkSztg." die Mobilisirung nicht schnell genug gegangen? Für die Tbatsache, daß China von Deutschland durch einige Tausend Meilen^getrennt ist, kann doch Niemand verantwort lich gemacht werden. Oder vielleicht höhnt die „Volkszeitung", weil wir nicht in Ostasien schon in genügender Stark« ver treten waren, als die Wirren begannen? DaS bedauern auch wir, glücklicherweise mit ruhigerem Gewissen. Aber Feuilleton. Deutsche in Paris. Humoreske von B. W. Zell. Nachdruck »rrbolen. So Viel stand fest bei Herrn Lünecke — in diesem Jahre ging cS nach Paris! Schon längst war es sein Wunsch gewesen, das vielberufene Seinebabel kennen zu lernen, aber da er mit dem Französisch auf etwas gespanntem Fuße stand, hatte er die Reise von Jahr zu Jahr vrschoben. Jetzt aber lockte die Weltaus-c stellung doch mächtig, und schließlich mußte ein Mann von der Stellung und dem Vermögen Herrn Lünecke'S doch einmal in Paris gewesen sein. Französisch freilich würde er nicht mehr lernen, das tag ihm nun mal nicht, und schon auf der Schule waren ihm die alten Sprachen lieber gewesen als die modernen. Aber wozu war denn seine junge, schöne Frau da, die als Mädchen das übliche Pen sionsjahr in Lausanne absolvirt hatte und sich nun schon den ganzen Winter hindurch mit dem großen und dem kleinen Meyer auf Paris vorbereitete. Ja, die würde schon für sie Beide sprechen wie sich Frau Anna überhaupt nicht die Butter vom Brod nehmen ließ. Und nun war man wirklich glücklich in Paris angelangt. Frau Lünecke hatte zu des Gatten Befriedigung ganz kleines Gepäck, nur Zn Kleid an und ein» im Koffer. Man mußte doch die Gelegenheit benutzen, sich einmal von Grund auf für schwere» Geld nach Pariser Art einzukleiden, denn Louvre und BonmarchS wollten schließlich auch wissen, daß Weltausstellung sei und Ver dienen groß schreiben. Mit der Sprache war es bisher unterwegs und in den ersten Stunden ganz gut gegangen. An der Grenze in Jlumont waren die französischen Steuerbeamten so höflich, auch deutsch zu sprechen, im Hotel gab es gleichfalls deutsche Bedienung. Frau Anna hatte daher kaum Gelegenheit, ihr Französisch an den Mann zu bringen, wa» ihr eigentlich ganz lieb war, denn ihr erster Versuch, e» bei einem Blumenrmkauf auf dem Boulevard deS Italiens zu üben, war recht kläglich ausgefallen. Nur gut, daß Herr Lünecke inzwischen im Hotel ein Schläfchen gehalten hatte — sein Glaube an die Sprachkenntnisse seiner Anna wäre doch sehr erschüttert worden. Am Nachmittage des ersten Tages machte sich das Ehepaar auf den Weg nach der Ausstellung. Droschken standen in der Nähe, aber als Frau Lünecke in ihrem klarsten Französisch das Ziel der Fahrt angab, fragte der Rosselenker ruhig auf deutsch: „Welchen Eingang wünschen die Herrschaft«» zu benutzen?" Herr Lünecke empfand eine ganz unbändige Freude bei den deutschen Lauten. „Männeken, Sie sprechen deutsch? Das Is ja famos! Sie sollen unser Leibkutscher sein, so lange wir in Paris sint>" „Bin Elsässer, Herr. . ." „Na, dann geben Sie mir di« Hand, Landsmann", rief Herr Lünecke und schüttelte in seiner Herzensfreude derb des Kutschers Hand. „Aber, Gustav!" mahnte die Gattin, ganz verdutzt über diese ungewohnte Cordialität. „Ach, laß doch, Kind — ich fühle hier erst Boden unker den Füßen, wenn ich hier Jemand finde, mit dem man ein vernünftig Wort Deutsch reden kann. Dein Französch in Ehren, Schah — aber woran erkannte denn der Mann sofort, daß wir Ueber- rheiner sind?" Diese Frage wurde nun auch an den Kutscher gerichtet. Der unterdrückte ein Lächeln. „O, man erkennt das immer an der Aussprache — sofort. Auch wenn es ein tadellose» Französisch ist, das die Deutsche« sprechen." „Mich verwundert dagegen Ihr tadellose» Deutsch, guter Mann — sind wohl auch nicht gerade al» Kutscher zur Welt ge kommen, was?" „Sprechen wir nicht davon. Herr. — Sie wünschten doch, den Haupteingana zu benutzen?" Als der Wagen dort vorfuhr, sprang Herr Lünecke aus dem Gefährt, legt« dem viel zu hohen Fahrpreis, den der Kutscher forderte, noch ein reichliches Trinkgeld zu und tauchte dann in der Wunderwelt der Ausstellung unter. Gott sei Dank, hier kam man nicht in Verlegenheit, denn rin so babylonisches Sprachengewirr sie auch umtönte — man hatte einen deutschen Führer, den „kleinen Lindenberg", erstanden, und der war absolut zuverlässig. Und Herr und Frau Lünecke waren noch oft in der Aus stellung, fuhren jedesmal mit demselben Kutscher, der sich nicht schlecht dabei stand, und genossen auch sonst nach Kräften das Tag- und Nachtleben in Paris. Den „Kleinen Meyer" trug man übrigens immer in der Tasche, ja, Herr Lünecke lernte sogar jeden Morgen ein paar Redensarten aus diesem praktischen Sprachführer. In die Magazine begleitete er die theure Gattin nie, die Sache schien ihm zu gefährlich. Wenn Madame im Louvre kaufte, saß er stundenlang im Okckü cio tu paix, trank einen „Bock" nach dem anderen und beobachtete das fluthende Leben und Treiben der Boulevards. Ein paar Mal ging er auch zur Börse und konnte sich nie genug darüber wundern, daß hier das Hauptgeschäft auf der großen Freitreppe, sozusagen auf offener Straße, abgewickelt wurde. Auch der betäubende Lärm, das laute Sprechen und Schreien, die lebhaften Gestikulationen machten ihm Spaß. Wie würdevoll betrug man sich im Vergleich dazu doch auf der Berliner Börse, obschon auch da Lärm und Getöse genug vorhanden waren. Frau Lünecke kam indessen mit ihren Einkäufen recht gut zu Stande. Jeder Gegenstand in den großen Magazinen trug eine deutlich geschriebene Preismarke, da konnte man nach Belieben wählen und brauchte nicht viel zu fragen und zu sprechen. Mit dem französischen Geld« hatte sie leicht um gehen und noch leichter eS ausgeben gelernt, fand Alles fabel haft billig, was ihr daheim ungebührlich theuer erschienen wäre, und stapelte in ihrem Hotelzimmer schließlich ein ganze« Lager von Kartons auf, die sämmtlich mit Pariser Damenconfection gefüllt waren. Gespeist hatte man bisher im Hotel. DaS Essen dort wgr vorzüglich und nicht theuer. Herr Lünecke konnte das be« ukthrilen, denn er hatte eine feine Zunge und galt sogar in Freundeskreisen als Gourmet. Diesem Rufe mußte aber doch auch Ehre gemacht werden; man mußte daheim erzählen können: wir haben in den berühmtesten Restaurants gespeist und alle Feinheiten französischer Kochkunst gewürdigt. Schließlich war es nicht einmal nur der Renommagr wegen; Herrn Lünecke ver langte es tatsächlich nach einem ganz besonders guten Diner, und so war's denn endlich beschlossen, am nächsten Abend zu Durand zu gehen und dort zu speisen. Bei der Frühstücks tafel rühmte aber ein Kölner Herr, der oft in Pari» war und also Bescheid wissen mußte, so sehr die Güte der Noel-Peters- schen Küche, daß Beide sich für dieses Restaurant entschieden und am anderen Abend um 8 Uhr dort hinfuhren. Man hatte nicht nöthig erachtet, besondere Toilette für diesen ja nicht weiter feierlichen Act anzulegen. Herr Lünecke trug seinen dunklen, aber bequemen Straßenanzug, und auch Frau Anna hatte ihr einfach elegantes Promenadenkleid anbehalten. Doch schon beim Eintritt in die zwar nicht weitgedehnten, dafür aber um so luxuriöser ausgestatteten Räume überfiel Beide eine recht fatale Verlegenheit. Was war denn das — wer konnte denn so etwas ahnen! Weder im Großen noch im Kleinen Meyer stand doch etwas, daß man hier in srnncko paruro zu erscheinen habe! Und da saßen nun die Herren im Frack und die Damen in aus geschnittenen Kleidern, allerdings mit dem Hut auf dem Kopf, aber was für Hüte! Ein ballmäßiger Haarschmuck war gar nichts gegen diese Blumenkörbe und Federgebirge, von Brillant agraffen gehalten, die man auf dem hochtoupirten Haupte trug. Frau Lünecke war ganz fassungslos, denn in der Toilette stand sie nicht gern zurück, besonders, da ja im Hotel die schönste und eleganteste Garderobe lagerte und sie es diesen Pariserinnen durchaus bätte gleich thun können. Die Schaar der Kellner aber, die sofort auf die Fremden zustürzte, schien diese nicht geringer zu schätzen ob de» einfachen Anzuges — im Gegen- theil: daS dienerte und scharwenzelte und parlirte, daß Herrn Lünecke schon während de« Ablegen» der Garderobe himmelangst wurde, sintemalen er hier auch nicht ein Wort verstand. Seiner besseren Hälfte erging es indeß ebenso, und beklommen tastete sie nach der Tasche, ob der letzte Rettungsanker, der Kleine Meyer, auch noch vorhanden war. Als sie diese Beruhigung erhalten, legte sie, äußerlich ganz Franck« ckame, ihren Arm in den de» Gatten und zog ihn so nach der nächsten, rothbeleuchteten Nische, allwo ein vornehm gedeckter Tisch sie lockte. Diensteifrig legte ein Kellner die Speisekarte vor, die auf einer Seite das vollständige Diner-Menu, auf der andern»
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