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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.07.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-07-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000713016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900071301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900071301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-07
- Tag1900-07-13
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«tleu. »v. »v. 0. w.Op.Si o.w.LvSo kkot^N: »0. «.v. »«.o. tp 131,503 Ottt I». io»v» 1 t«r.L7 — «ttvn r r. » ; z. r. r r. r i. r. Bezugs-Preis Ki der Hauptexpedition oder den Im Stadt» tezirk und den Vororten errichteten Nu«» xabestellen ab geholt: vierteljährlich ^14.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Haus ö.50. Durch die Post bezogen für irulschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tätlich: Kreuzbandienvung in« Ausland: monatlich ^ill 7.50. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. NeLaction un- Lrpe-ition: JohanntSgaffe 8. Tie Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. v. Klemm'» Sortim. Universitätsstraße 3 (Paulinum), Lo»t» Lösche, Latharinrnstr. 14, Hart, und König«platz 7. Moegen-Ansgave. KipMer TaMatt Anzeiger. ÄintMatk des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Prers die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen nnter demRedaction-strich (4ao- spalten) 50/ij, vor den Familiennachrtchre» (6 gespalten) 40 >4. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zifferniap »ach höherem Tarif. Extra-veilaaen (gefalzt), nur mit d«r Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Innahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: vormittag« 10 Uhr. Morg»«»Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle« je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig Freitag den 13. Juli 1900. 94. Jahrgang. Der chinesische Confucianismus. <?. Die Verherrlichung des Chinesenthums, an der unsere socialdemokratische Presse seit dem Beginn des chinesischen Aufstandes sich labt, tritt auch in dem Eifer zahl- rcicher socialdemokratischer Zeitungen zu Tage, die religiösen und sittlichen Anschauungen der Chinesen gegenüber den christ lichen als die überlegeneren auszugeben. Es geschieht das unter einer mehr oder weniger eingehenden Berufung auf die Lehren des ConfuciuS. Dabei wird vollständig übersehen, daß dieser erhabene Geist seit 2s/2 Jahrhunderten todt ist, und daß heut zutage China unter der Herrschaft des Confucianismus fleht. Deshalb kann auf einen Vergleich des Chrisienthums mit den Lehren des ConfuciuS füglich verzichtet werden; die Frage aber, in welcher Gestalt uns der Confucianismus im heutigen China entgegentritt, ist kurz vor Beginn des jetzigen Aufstandes von sachkundiger Seite beantwortet worden. Es hat sich hierüber nämlich im letzten Aprilheft der „Deutschen Rundschau" in einem Artikel „Der Confucianismus und das l'hristenthum" Wilhelm Grube geäußert. Von seinen Ausführungen seien der Beachtung der socialdemokratischen Presse besonders die nachstehenden empfohlen, aus denen hervor- aeht, in welchem Grade der Confucianismus auf religi ösem und sittlichem Gebiete hemmend gewirkt hat. Grube schreibt u. A.: „Zwangsvorstellungen von dem be ständigen Zugegensein und Einwirken guter und böser Geister haben allmählich einen geradezu hypnotisirenden Einfluß auf die ganze Nation ausgeübt, und vielleicht läßt sich nirgends die Pathologie der Volksseele besser studiren, als in China, wo das ganze öffentliche und private Leben von Wahnvorstellungen be herrscht ist.. Wahrsagtkunst nach den mannigfachsten Methoden, ^llchsiognomik, Nekromatie, Geometrie. Astrologie und Alchvmie, kurz, alle jene Geheimwissenschaften und schwarzen Künste, die wir unter dem Namen Occultismus zusammenfassen, stehen hier in üppigster Blüthe. Kein Chinese, und wäre er der aufgeklärteste Jünger des ConfuciuS, wird ein Haus bauen oder miethen, ohne vorher einen Geomaten zu Rathe zu ziehen, der genau auskunden muß, welcher Art die Geister sind, die dessen Lage beeinflussen. . . . Was vom Orte gilt, ghlt auch von der Zeit. Jeder Tag, jede Stunde wird von einem besonderen Gestirn beherrscht, dessen Einwirkung entweder als förderlich oder als nachtheilbringend gilt, und es ist der Hauptzweck des Kalenders, der alljährlich von der staatlichen Kalenderbehörde herausgegeben wird, über diese wichtigen Lebensfragen Auf schluß zu geben. Aus seinem Staatskalender erfährt der wiß begierige Leser, an welchem Tage er sich rasiren lassen, rin Bad w.hmen (das darf bei Leibe nicht alle Tage geschehen!), Kleider "uschnecden, den Grundstein zu einem Hause legten, heirathen kann u. s. w.. . . Es liegt auf der Hand, daß eine Anschauungs weise, nach der das Wirken der Geister oder Götter durch mensch liche Mittel gefördert, gehemmt, ja sogar paralysirt werden kann, dm Gottesbegriff seines Inhaltes berauben und das religiöse Bewußtsein tödten muß. Den Göttern einen Schabernack zu spielen, ihnen ein L für ein U. zu machen, gilt denn auch für durchaus nicht unerlaubt. . . . Da das ethische Gebiet aufs engste mit dem religiösen verbunden ist, so darf es nicht Wunder nehmen, wenn auch hier das Resultat kein gerade erfreuliches ist. Das moralische Be wußtsein wird durch eine streng geregelte Disciplin, die schließ lich in einen starren, verknöcherten Nitualismus auSgeartet ist, in seiner Entwickelung gehemmt. Obwohl ConfuciuS selbst be reits das rituelle Moment bei jeder Gelegenheit in den Vorder grund rückt, so galt ihm dennoch eine peinliche Beobachtung der Riten, wenn sie nicht durch eine entsprechende innere Gesinnung geadelt war, für null und nichtig. . . . Nicht so der Consucianis« wus. Dieser sieht einzig und allein auf die stricte Befolgung der durch ihr Alter geheiligten rituellen Vorschriften; alles Andere ist ihm gleichgültig. . . . Selbst der Ahnencult, der doch in seiner ethischen Bedeutung im Sinne des ConfuciuS der I höchste Ausdruck der kindlichen Pietät sein sollte und wohl auch I war, mußte den gemeinsamen Einwirkungen des Nitualismus I und des Aberglaubens unterliegen. Sind doch auch die abge- I schiedenen Seelen der Verstorbenen nichts Anderes als unsicht- I bare Mächte, die den Lebenden, je nachdem, wie diese sie be- I handeln, nützen oder schaden können. Daher läßt man sich's I angelegen sein, durch die Wahl einer geeigneten Ruhestätte, durö I ein möglichst prunkvolles Leichenbegängnis,, durch regelmäßige I Opfcrgaben und dergleichen mehr die Gunst seiner verstorbenen Vorfahren zu gewinnen, damit diese ihren noch lebenden Nach kommen zu langem Leben, Reichthum und Kindersegen verhelfen. Nicht mehr die Pietät ist also hier die Triebfeder der Ahnen verehrung, sondern — wenigstens dürfte das für die über wiegende Mehrzahl der Fälle zutreffen — lediglich die Sorge um das eigene Wohl und Wehe." Grube geht nun auf den verderblichen Einfluß ein, den der Confucianismus auch in intellektueller Beziehung aus geübt hat, und schreibt alsdann: „So lange China in seiner Jsolirtheit zu verharren vermochte, konnte der Confucianismus allenfalls genügen; bei dauerndem Contacte mit dem Auslande muß seine Kraft versagen. Gegenwärtig steht China vor einem Wendepunkte, und eine nicht mehr ferne Zukunft wird zeigen, ob das Chinesenthum noch regenerations- ähig ist oder nicht. Es steht vor der Alternative, entweder der Cultur des Abendlandes gutwillig Zutritt zu gewähren und ihr umgestaltendes Wirken über sich ergehen zu lassen, oder zu unterliegen. Kämen nur technische Fragen in Betracht, so dürfte die Opposition verhältnißmäßig leicht zu überwinden sein. . . . Um so erschreckender wirken jedoch die ausländischen Ein flüsse auf religiösem und politischem Gebiete." — In Bezug auf Ersteres empfiehlt Grube den christlichen Missionen, dem Confucianismus Zugeständnisse zu machen, in Bezug -auf Letzteres erblickt er im Handel den besten Culturvermittler. Den Chinesen schon jetzt den Untergang ihrer staatlichen Existenz zu prophezeien, hält Grube für verfrüht; aus dem südlichen China sieht er auf Grund eigener Wahrnehmungen in Canton Re formatoren hervorgehen, die geeignet sein sollen, dem Chinesen thum eine Wiedergeburt zu bescheeren. Die Wirren in China. * UederditZüsau.measetznng de« ne'uen deutschen Expeditionskorps nach China wird der „Sckles. Ztg." in Ergänzung der bisherigen Mittbeilungen geschrieben: Von der Infanterie werden vier Regimenter zu je zwei Bataillonen aufgestellt. Jedes Bataillon wird vier Com pagnien zu je 203 Mann umfassen, so daß die Infanterie d-r Brigade etwa 6500 Mann stark sein wird. Die Bataillone werten am 17. v. M. auf den größeren TruppenübungS- bezw. Schießplätzen zusammengezogen werden und dort einige Zeit exerciren; über den Zeitpunkt ihrer Ausreise nach China ist eine Verfügung noch nicht ergangen. An Cavallerie wird dem deutschen Expeditionskorps ein Regiment zugetheilt werden, das voraussichtlich die Bezeichnung „Ostasiatische« schwere« Reiterregiment" erhalten wird. Dieses Regiment wird am 17. Juli in Potsdam formirt und bereits am 21. Juli mit einem Lloyddampfer nach Ost- asien abgehen. Daß dieses Reiterregiment eher als die Infanterie nach China gesendet wird, hat seinen Grund darin, daß sich der jetzt bestehende Mangel an Cavallerie auf dem Kampfgebiet am Peiho fortwährend in der empfind lichsten Weise bemerkbar macht, indem keinerlei Erkundungs dienst auSgesührt werden kann. Mit Artillerie, Pionieren und Train wird das Expeditionscorps 9000 Mann stark sein. Eine Anzahl Telegramme aus China hatte gestern nur in einem Theile der Abendnummer Ausnahme finden können. Wir wiederholen für unsere auswärtigen Leser diese Depeschen neben den neu eingelaufenen. * Petersburg, 10. Juli. (Franks. Ztg.) Aus Odessa wird aus zuverlässiger Quelle gemeldet, daß der Kriegsminister Befehl gab, die vierte Linien-Brigade im Bestände von vier Regi mentern nach Ostasien einzuschiffen. * Loudon, 12. Juli. Dem „Daily Telegraph" wird aus Canton vom 10. d. Mts. gemeldet, am Morgen des 10. d. M. habe ein Zusammenstoß zwischen deutschen Truppen undBoxern bei Kiautschau stattgefnnden, bei welchem zahlreiche Boxers gc- tödtet worden seien. (Mdhlt.) * Petersburg» 12. Juli. (Meldung der „Russischen Telegraphen- Agentur") Die amtlichen Blätter veröffentlichen folgendes Telc« gramm aus Nikolskoje im Ussuri-Gebiet vom 5. d. M.: Es ver lautet gerüchtweise, daß in Mukden der französische Bischo ermordet, ein hoher chinesischer Beamter vergiftet und die MissiouSgebäude verbranat seien. Ueber da« Erscheinen von Boxerbaude« in Tie-liug und von Agitatoren in Arbin sind viele übertriebene Gerüchte im Umlauf. Ein hoher chinesischer Beamter in Lie-ling übersandte dem Thef de« EisenbahndistrictS eine Bekanntmachung, in welcher er der Bevölkerung mittheilt, daß die Boxer und ihre Anhänger die Todesstrafe verwirkt hätten. Thatsächlich werden aber, wie es scheint, keine Maßregeln gegen dieselben ergriffen. Anfrübrerbanden zwangen Engländer, welche in russischen, auf chinesischem Gebiet liegenden Kohlengruben arbeiteten, die Gruben zu verlassen. In Kirin herrscht allgemeine Bestürzung, man befürchtet dort einen Ausstand. Der Eisenbahn telegraph im Süden, welcher beschädigt war, arbeitet jetzt ohne Störung. (Wiederholt.) * London, 12. Juli. Tas „Reuter'jche Bureau" meldet auS Tschifu vom 8. Juli: Das Artilleriegesecht dauert in Tientsin noch immer an. Die chinesischen Geschütze sind so gut maSkirt, daß die Verbündeten große Schwierigkeiten haben, ihren Standort sestzustellen. * Hongkong, 11. Juli. Eine Compagnie wallischer Füsiliere hat Befehl erhalten, sobald als möglich nach Taku abzugehen. * London, 12. Juli. Dem „Reuter'schen Bureau" wird aus Tientsin vom 4. Juli gemeldet: Der frühere Polizeidirector von Port Arthur ist in Tientsin angekommen. Er theilt mit, daß die Chinesen Niutschwang geplündert und in Brand gesteckt haben. Die Chinesen zerstören auch die mandschurische Eisenbahn und brandschatzten die unbeschützte Umgegend von Port Arthur. (Wiederholt.) Ci» Brief aus der deutschen Gesandtschaft i» Peking. Wir erwähnten gestern, daß es auffällig sei, daß von dem zur deutschen Gesandtschaft in Peking commandirten Leutnant st la Luito des Dragoner-Regiments Nr. 8 W.Loesch seit dem 7. Mai kein Brief bei seinen Angehörigen eingetroffen sei. Nunmehr ist von diesem Osficier ein vom 28. bis 29. Mai 1900 d'atirte« Schreiben an seine Verwandten in Ober-Stephansdorf gelangt. Wir entnehmen diesem der „Schles. Ztg." zur Verfügung gestellten Briefe folgende Mit theilungen über die Lage in Peking gegen Ende Mai: Den 28. Mai. „... Ganz harmlos schrieb ich gestern die ersten Seiten dieses Briefes, dann kam Below (erster Sekretär) und holte mich ab zu einem Besuch bei einem Schweizer Jenn Renaud, der Teppiche macken läßt. Nach dem Lunch lag ich auf dem Bett und scklief. Zu meiner Verwunderung hörte ich mehrmals in meinen Träumen vom Garten die Stimme unseres Gesandten. Um 5 Uhr ging ich zum Tennis. Im Thorwege stand ein deutscher Maschineningenieur der Bahn nach Pantingfu. Ich hörte, wie er sagte: „Es ist kein Zug angekommen." Da merkte ich, daß die Boxer sich wieder rührten. Die Boxer sind eine geheime Gesellschaft, die ihre Spitze sowohl gegen die gegenwärtige Mandscku-Dynastie wie gegen die Christen und die Fremden überhaupt richtet. Unterstützt wird sie da durch, daß im Lande zur Zeit große Unzufrieden heit herrscht, vornehmlich wegen der Mißernte, die das Ausbleiben des Regens voriges Jahr be wirkte, dann auch wegen deS Staatsstreiches, der Absetzung des Kaisers, letzteres vornehmlich im Süden des Landes. Als wir zum ersten Male von Tientsin nach Peking fuhren, wurde gerade ein Cavallerie- regiment verladen, das gegen die Boxer ziehen sollte. Die Boxer wurden auck zerstreut, und Alles war fünf Wochen ruhig. Dock wurden fortwährend aufreizende Flugblätter vertbeilt. Die Gesandten beschwerten sich beim Tsuug li Hamen (der Behörde, mit der die fremden Mächte verkehren, eine Art Ministerrath), daß man Placate an den Straßen ecken duldete, in denen zur Ermordung der Fremden auf gefordert wurde. In anderen Placaten wurden die Chinesen gewarnt, nicht mehr mit der Bahn zu fahren, da nächstens ein Unglück geschehen würde. Die Regierung versprach, alle solche Placate entfernen zu lassen. Es wird jetzt an der Babn gebaut, die die Belgier von Peking nach Hankau am Hangtse bauen. Sie trifft die Bahn Peking-Tientsin bei der ersten Station, etwa 20 Kilometer von Peking, und ist bis Pantinfu, der Hauptstadt der Provinz Tschili, in der Peking liegt, fertig. Zwischen Pantinfu und Peking sitzen die Boxer hauptsächlich. Vor etwa vierzehn Tagen wurde ein Christendorf, 25 Kilometer südwestlich von Peking, von den Boxern überfallen und über siebzig Christen ermordet, die meisten in der Kircke verbrannt, ich glaube, auch ein eingeborener Geistlicher. Dies geschah, wahrend wir zu den Rennen in Tientsin waren. Als wir zurückkamen, fanden wir hier eine eigenthümliche Spaltung vor. Die Franzosen und Russen tbaten, jedenfalls aus politischen Gründen, furchtbar erschrocken — die Russen gingen nur noch mit Gewehren über die Straße — während die Engländer wieder tbaten, als wäre nichts passirt. Jedenfalls wurde eine energische Note ans Tsnng li Hamen gerichtet. Merkwürdig ist, daß gerade alte Chinakenner sehr besorgt sind. Monseigneur Favier, apostolischer Vicar und Bischof von Peking, hat erklärt, daß in den 35 Jahren, wo er hier ist, die Lage noch nie so ernst gewesen wäre, auch nicht vor dem Blutbade von Tientsin 1870. Er sagte zu dem belgischen Gesandten, er wisse, erst wollten die Boxer die Christengemeinden außerhalb der Stadt zer stören, dann den Petang (die katholische Niederlassung in Peking) und zwei Tage darauf die Gesandtschaften. „Nun wohl", sagte Monsieur Joostens, „dann werden wir ja ganz genau wissen, wann wir zu stieben haben". Der Vicekönig von Tientsin schickte Truppen aus, sie sielen in einen Hinter halt, und es wurden siebzig und der Oberst getödtet. Es wurde damals erwogen, ob man, wie schon ein mal, Truppen zum Schutz der Gesandtschaft landen sollte. Ketteler war sehr dagegen, und die Franzosen, die es gern gethan hätten (Monsieur Pichon, der französische Gesandte, weinte in der Gesandtencouferrnz), fügten sich. Dabei spielte mit, daß das diplomatische Corps gern in die Sommer frische und ins Seebad möchte, und daß wir dann jedenfalls nickt weg könnten. Wir ließen unS durch die Gerüchte so wenig stören, daß wir Sonntag früh zu vier Mann mit dem zweiten Dolmetscher, vr. Merklinghaus, in die Stadt fuhren. Wir gingen dann stundenlang durch die engsten Straßen und da» dickste Menschengewühl, ohne einem unfreundlicken Blick zu begegnen. Die Chinesen sind eigentlich rin freundliche« Volk, und wenn mau nur irgendwie mit ihnen sich be schäftigt, lachen sie. Montag früh haben die Boxer einen Angriff auf die belgische Bahn ge macht. DaS europäische Personal floh nack Peking, ein Ingenieur ist schwer verwundet worden. Dann be setzten sie den Knotenpunkt der Dahnen. Da« Per sonal floh auf einer Maschine nach Tientsin. Es ist gestern kein Zug angekoninien. Tie Boxer sollen auch eine Brücke zerstört haben. Diese Nachrichten wurden bier Nachmittags bekannt. Als ich im Halbschlummer die Stimme unseres Gesandten hörte, gab er eben Befehl, die sechs Winchester- gewebre, die wir zu unserem Schutze haben, herauszunebmen. Wir spielten Tennis wie gewöhnlich mit der Marckesa-Sal- vago, doch war der Platz sonst verlassen. Im Club war die Aufregung groß. Ich bin überzeugt, daß zwei Drittel der Europäer gestoben wären, wenn nickt die Bahn in den Händen der Aufständischen gewesen wäre. Gegen Abend war Gesandtenconferenz. Es wurde beschlossen, daß die acht Staaten, die Kriegsschiffe bier haben, Detachements von mindestens fünfzig Mann zum Schutze kommen lassen sollen. Um acht Uhr sing cS an zu regnen und die Luft war herrlich kübl. Als ick zum Essen ging, saß Bergen (der zweite Gesandtschaftssekretär) noch im Tennisanzuge und chissrirte eine Depesche nack Tsintau. Auck nach Berlin an den Geschwaderchef rc. gingen endlose Depeschen ab. Nach Tisch gingen wir zum Ge sandten. Er erzählte uns, daß eben die Nach richt von der Ermordung Hunglü'S ge kommen sei. Dunglü war ein Neffe der Kaiserin- Regentin , zur Zeit des Staatsstreichs Vicekönig von Tientsin und seither Generalissimus der Armee und sehr sremdenfeindlich. Der Hof residirt zur Zeit nicht in Peking, sondern aus den Somni erpa kästen im Norden der Stadt. Wir gingen noch ins Hotel, um ein GlaS Bier zu trinken. Auck bier war Alles zur Vertheidignng ein gerichtet. Vor jeder Gesandtschaft war eine Abteilung Cavallerie mit langen Lanzen abgesessen. Die Aufregung in Tientsin mag schön gewesen sein, wo man ohne Nachrichten von hier ist. Hoffentlich telegraphirt man keine zu wilden Sachen nach Europa. Die Nacht verlief ruhig und war prachtvoll kühl. Bi« jetzt hat man keine neuen Nachrichten. Ich wollte beute früh nach Machiaffu (dem Bahnhof von Peking) hinauSreiten, der Gesandte verbot eS mir aber." tvk I.NS- rlsrte .0. -KZ 8^ Ferrilletsn. Chinesische Eisenbahnen. Bon W. Berdrow (Coswig). Nachdruck vrrbclen. Cs ist bekannt, wie lange und hartnäckig sich die Chinesen gegen die Einführung der Eisenbahn gesträubt haben, und daß vor Zwanzig Jahren die erste Eisenbahn des Landes nach kurzem Be stehen auf Befehl des Kaisers abgebrochen und vernichtet werden mußte, um einem allgemeinen Sturm des Unwillens und der Em pörung vorzubeugen, kein Wunder also, daß man es bei den gegenwärtigen Wirren besonders eilig hat, den verhaßten „Feuer drachen" und seine eiserne Straße wieder loS zu werden. Im Interesse der gebildeten Chinesen und der Handeltreibenden unter ihnen liegt daS freilich nicht, denn diese haben sich, wenigstens in den Küstenstädten, doch allmählich davon über zeugen müssen, daß man mit der Bahn billiger und schneller al« zu Fuß oder in der Sänfte fortkommt. Thatsächlich wurden die in den letzten Jahren in den Küstenstrichen von China vollendeten Eisenbahnen von chinesischen Passagieren nicht nur benutzt, sondern geradezu überlaufen. Freilich zwischen dem Verhalten civilisirter europäischer Eisenbahnpassagiere und der Stellung, die der Chinese dem noch immer mit Kopfschütteln betrachteten „Feuerdrachen" gegenüber auch heute noch rinnimmt, ist doch ein gewaltiger Unterschied. Schon die maßlose, auch in Japan von allen Reisenden beobachtete Neugier der Eingeborenen gegenüber allen ihnen unbekannten Erscheinungen verursacht neben vielen Ergöhlichkeiten manchmal auch recht unangenehme und unbequeme Scenen. Die Eisen bahn zwischen Wusung und Shanghai wurde während des Baues von neugierigen VolkSmassen so umlagert, daß man sich ihrer bei der Arbeit kaum erwehren konnte. Sobald die ersten Arbeits züge zu verkehren begannen, wurden sie von den Neugierigen mit der dem Chinesen eigenthümlichen Unverschämtheit einfach er klettert und man hatte die Wahl, die zwischen Schienen und KieS auf den Wagen hockenden Zopfträger entweder mit Gewalt hin- unterzuwerfen, oder aber sie ohne Entgelt ein Stück mitzu nehmen, was man häufig vorzog, um Streitigkeiten und Scenen auS dem Wege zu gehen. Endlich aber wurde es un möglich, allen denen, die eine Freifahrt verlangten, zu will fahren, und man beschloß, ihnen einmal eine wirksame Lection zu ertheilen. Als ein ArbeitSzug, der mit Schienen und anderem Material nach Shanghai gekommen war, nach Wusung zurück kehren sollte, kletterten etwa 600 Chinesen hinauf und sagten, sie möchten gern einmal eine freie Eisenbahnfahrt haben. Zureden half natürlich nicht«. So mußte man sie mitnehmen. Die Mehr zahl verließ den Zug bald wieder auf einer Zwischenstation, aber etwa 200 gefiel die Sache so gut, daß sie die ganze Strecke von 16—17 Kilometer bi« nach Wusung mitfuhren. Dort stiegen sie au« und besahen sich den neuen Bahnhof gründlich. Sehr be friedigt kehrten sie dann zum Bahnsteig zurück, um auf dieselbe Weis« hrimzukehren, wie sie gekommen waren. Zu ihrem größten Schrecken mußten sie dort aber hören, daß di« Güterwagen nicht nach Shanghai zurückfuhren, sondern nur die Locomotive. Als sich diese langsam in Bewegung setzte, waren die auf ihr befind lichen Europäer Zeugen einer eigenartigen Scene: mehrere Hun dert wild umherlaufende, bestürzte Chinesen rangen verzweifelt die Hände und schrieen, sie hätten weder ein Obdach in Wusung, noch Geld, sich auf andere Weise zurückbefördern zu lassen. Sie werden Wohl also haben zu Fuß gehen müssen, und weil das fast allen Chinesen, soweit sie keine Kulis sind, höchst unangenehm ist, so werden diese Leute sicher keine freie Fahrt wieder verlangt haben. Aber noch eine ganze Reihe anderer Nationaluntugenden de« Chinesen machen dem an europäische Sitten und Cultur ge wöhnten Eisenbahnbeamten das Leben sauer. Zunächst kann der Chinese niemals billig genug fahren, obwohl von vornherein die Fahrpreise, den Sitten des Landes angemessen, unverhältniß- mäßig niedrig gestellt werden. Aber daS genügt unserem bezopf ten Pantoffelträger noch lange nicht. Am Schalter wird er ver suchen, mit den Beamten zu feilschen und ihm für die Fahrkarte die Hälfte oder ein Viertel dessen zu bieten, was sie eigentlich kostet. Natürlich mißlingt dieser Versuch, und es wird nun scheltend und murrend der ohnehin schon lächerliche Fahrpreis erlegt, nicht selten soll eS aber auch vorkommen, daß ein oder der andere Chinese, wenn e« ihm nicht gelingt, vom Tarif etwas ab zuhandeln, dem nach seiner Ansicht beschränkten Beamten kopf schüttelnd den Rücken kehrt und seinen Weg zu Fuß oder in der Sänfte, dem althergebrachten Verkehrsmittel des Landes, an tritt. Steigt er aber wirklich ein, so beansprucht er mindesten« viermal so viel Platz, al« auf »in Billet entfällt, und umgiebt sich mit einem ganzen Wall von Gepäck- und Kleidungsstücken oder Maaren, die er um keinen Preis einem Beamten zur Auf bewahrung im Gepäckraum anvertrauen würde. Kein Ver sprechen und kein Gepäckschein wird ihn davon überzeugen, daß er seine sieben Sachen, wenn er sich einmal davon getrennt hat, jemals wieder zu sehen bekommt. Man hat auf der jetzt zerstörten Linie Tientsin—Peking schließlich offene Güterwagen als Per sonenwagen einrichten müssen, um dieser Anhänglichkeit des Chinesen an sein Gepäck entgegenzukommen. Die unteren Volks schichten sollen überhaupt auf allen chinesischen Bahnen die offenen Gepäckwagen allen anderen Plätzen vorziehen, um es sich hier zwischen einem Berge von Gepäckstücken bequem zu machen und Wind und Wetter zu verachten. Chinesen mit großer Familie oder solche, die in Gesellschaft reisen, schwärmen auch für di« gemeinsame Benutzung gedeckter Güterwagen, in denen sie ganz unter sich sind und während der Fahrt vergnügt zu den offenen Thüren hinauSschauen. Die besser situirten Landeskinder benutzen natürlich die eigentlichen Personenwagen, aber auch mit ihnen hat di« Eisen bahnverwaltung ihre schwere Noth. Es ist kaum angängig, die von Chinesen benutzten Wagen nach europäischen Begriffen sauber und geschmackvoll einzurichten. Die Unsauberkeit und Rück sichtslosigkeit deS Chinesen macht eS unmöglich, irgend eine Spur von Polsterung, Tuch oder Lederausstattung in den Wagenab- theilen anzubringen, man muß die Wagen außen wie innen* au- schmucklosem, unverziertem Holze Herstellen, um sich vor Be schädigungen und Diebstählen wenigsten» nach Möglichkeit zu schützen. Jeder Messingknopf oder Haken, jeder mit menschltcher
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