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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.07.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-07-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000728020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900072802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900072802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-07
- Tag1900-07-28
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Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Ztffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuug W.—, mit Postbeförderuug 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Srpedttio» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 389. Sonnabend den 28. Juli 1900. 91. Jahrgang. Die Ansprache des Kaisers an die Chinatruppen. Die Ansprache, welche der Kaiser gestern in Bremer haven an die nach China abgehenden Truppen ge richtet hat, wird uns in drei verschiedenenFassungen übermittelt. Eine davon ist unseren Lesern auS dem Depeschen- theil des heutigen Morgenblatteö schon bekannt; sie ist die farbloseste und am gewaltsamsten gekürzte. Eine etwas spätere Meldung des Wolff'schen Bureaus über den Inhalt der Ansprache lautet: In der Ansprache wies der Kaiser zunächst auf die Aufgaben hin, die dem Deutschen Reiche in den letzten Jahrzehnten auf überseeischem Gebiete erwachsen seien und führte dann aus, die Truppen sollten nunmehr vor dem Feinde Probe ablegen, ob die Richtung, in der Deutschland sich in militärischer Beziehung bewegt habe, die rechte sei. Die Kameraden von der Marine hätten bereits gezeigt, daß die Ausbildung und die Grundsätze, nach denen die militärischen Streitkräfte Deutschlands ausgebildet seien, die richtigen seien, Sache der jetzt nach Ostasien gehenden Truppen sei es, es ihnen gleich zu thun. Der Kaiser erwähnte dann, es erfülle alle Deutschen mit Stolz, daß gerade aus dem Munde auswärtiger Führer den deutschen Streitern das höchste Lob zu erkannt sei, und wies auf die Größe der Aufgabe hi», die die Truppen zu lösen hätten. Daß ein Volk, wie es die Chinesen ge- than hätten, im Stande gewesen sei, tausendjährige alte Völker rechte umzuwerfen und der Heiligkeit der Gesandten und der Heiligkeit deS Gastrechtes in so abscheulicher Weise Hohn zu sprechen, sei in der Weltgeschichte noch nicht vor gekommen, noch dazu bei einem Volke, welches stolz sei auf eine vieltausendjährige Cultur. Der Kaiser betonte hierauf, daß jede Cultur, die nicht auf dem Christenthum auf- gebaut sei, zu Grunde gehen müsse und fuhr dann etwa fort: „So sende ich Euch hinaus, daß Ihr bewähren sollt, einmal Eure alte deutsche Tüchtigkeit, zum Zweiten die Hingebung, die Tapferkeit, daS freudige Ertragen jedweden Unge machs und zum Dritten Ehre und Ruhm unserer Waffen und unserer Fahnen. Ihr sollt ein Beispiel abgeben der ManneSzucht und DiSciplin, der Selbstüberwindung und Selbst- beherrschung. Ihr sollt fechten gegen einen gut be waffnete» und gut ausgerüsteten Feind. Aber Ihr sollt auch rächen, nicht nur den Tod deS Gesandten, sondern auch den vieler Deutschen und Euro päer." Der Kaiser sagte dann noch ungefähr Folgendes: „Noch nach tausend Jahren möge der Name Deutschlands in China in solcher Weise bekannt sein, daß niemals wieder ein Chinese wage, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen. Ter Kaiser erwähnte weiter, daß die Truppen mit einer Ue vermacht zu kämpfen haben würden. Das seien die deutschen Truppen aber gewöhnt, wie die deutsche Kriegsgeschichte beweise. Die Rede schloß etwa folgendermaßen: „Der Segen deS Herrn sei mit Euch, die Gebete eines ganzen Volkes begleiten Euch auf allen Euren Wegen. Meine besten Wünsche für Euch, für das Glück Euerer Waffen werden Euch folgen. Gebt, wo es auch sei, Beweise Eueres Muthes. Möge sich der Segen Gottes an Eure Fahnen heften und er Euch geben, Laß Las Christenthum in jenem Lande seinen Eingang findet. D..für steht Ihr mir mit Eurem Fahneneid ein. Und nun glückliche Reise. Adieu Kameraden! Zum Theil noch weit schärfer aber lautet die von dem selben Telegraphenbureau verbreitete dritte Fassung der Kaiserrede, welche folgenden Text als die eigenen Worte deS Kaisers mittheilt: „Große überseeische Aufgaben sind es, die dem neu ent standenen deutschen Reiche zugesallen sind, Ausgaben weit größer, als viele Meiner Landsleute es erwartet haben. Tas deutsche Reich hat seinem Charakter nach die Verpflichtung, seinen Bürgern, wofern diese im Ausland bedrängt werden, beizustehen. Die Auf gaben, welche das alte Römische Reich deutscher Nation nicht hat lösen können, ist das neue Deutsche Reich in der Lage zu lösen. Das Mittel, das ihm dies ermög licht, ist unser Heer. In dreißigjähriger treuer Friedensarbeit ist es herangebildet worden nach den Grundsätzen Meines verewigten Großvaters. Auch Ihr habt Euere Ausbildung nach diesen Grundsätzen erhalten und sollt nun vor dem Feinde die Probe ablegen, ob sie sich bei Euch bewährt haben. Eure Ka meraden von der Marine haben diese Probe bereits bestanden, sie haben Euch gezeigt, daß die Grundsätze unserer Aus bildung gute sind, und Ich bin stolz auf das Lob auch aus dem Munde auswärtiger Führer, das Euere Kameraden draußen sich erworben haben. An Euch ist es, ihnen gleich zu thun. Eine große Aufgabe harrt Euerer: Ihr sollt daS schwere Unrecht, das geschehen ist, sühnen. Tie Chinesen haben das Völkerrecht umgcworfen, sie haben in einer in der Weltgeschichte nicht erhörten Weise der Heiligkeit des Ge sandten, den Pflichten des Gastrechts Hohn gesprochen. Es ist das um so empörender, als dies Verbrechen begangen worden ist von einer Nation, die auf ihre uralte Cultur stolz ist. Bewahrt die alte preußische Tüchtigkeit, zeigt Euch als Christen im freudigen Ertragen von Leiden, möge Ehre und Ruhm Euern Fahnen und Waffen folgen, gebt an Manneszucht und Disciplin aller Welt ein Beispiel. Ihr wißt eS wohl, Ihr sollt fechten gegen einen verschlagenen, tapferen, gut bewaffneten, grausamen Feind. Kommt Ihr an ihn, so wißt, Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gewacht, führt Euere Waffen so, daß auf tausend Jahre hinaus kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen. Wahrt Manneszucht, der Segen Gottes sei mit Euch, die Gebete eines ganzen Volkes, Meine Wünsche begleiten Euch, jeden Einzelnen. Oeffnet der Cultur den Weg ein für alle Mal! Nun könnt Ihr reisen! Adieu, Kameraden!" Bei der Besichtigung war der Kaiser von der Kaiserin, den Prinzen Eitel Friedrich und Adalbert, dem Reichs kanzler Fürsten Hohenlohe, dem Staatssekretär Grafen v. Bülow, dem KriegSminisler v. Goßler und dem General leutnant v.Le ssel begleitet. Nach derAnsprache deSKaisers dankte Generalleutnant v. Les sei für die den Truppen gewidmeten Worte. Die Truppen seien stolz darauf, als Werkzeug des Willens Sr. Majestät zu dienen und Jeder werde an seinem Platze seine Aufgabe mit vollster Hingebung zu lösen suchen. Generalleutnant v. Lcssel schloß mit einem mit Begeisterung aufgenommenen Hurrah auf den Kaiser. Hoffentlich wird uns der „Reichsanzeiger" noch eine zuverlässige wörtliche Wiedergabe der Kaiser worte bringen, damit alle Zweifel über den Willen LeS Kaisers, wie der Krieg in China geführt werden soll, gehoben werden. Wir verhehlen uns nicht, daß übel wollende Interpreten an dieser von hochgradiger, gerechter Entrüstung erfüllten kaiserlichen Rede ihre Kunst versuchen werden, und daß ihnen diese Arbeit durch die schwankenden Meldungen erleichtert wird. Der „Vorwärts" macht bereits den Anfang und Andere werden folgen. Wir wollen uns dadurch aber nicht die hohe Genug- thuung darüber vergällen lassen, daß hier der Welt einmal gesagt worden ist, wie Deutschland seine Ehre zu wahren weiß. Und das Beste ist, daß Der, welcher es ausgesprochen hat, auch die Macht besitzt, sein Wort zu halten. Dafür ist es der deutsche Kaiser. Vie Wirren in China. Las Schicksal der Gesandten. -L>. Wenn man chinesischen Quellen ohne Weiteres glauben könnte wären nicht nur die Gesandten am Leben und so gut, wie in Sicherheit, sondern auch die Kraft des Boxer- aufstandeS gebrochen, sein Führer ein tvdter Mann und die legitime Negierung in Peking ergriffe mit Freuden die Hand zur Versöhnung mit den Mächten, mit denen sie selbst eigentlich nie im Krieg gelegen. So berichtet „Reuter's Bureau" aus Shanghai vom 27. d. M.: Der Gouverneur Auanschikai telegraphirt:DiefremdenGesandten waren am 24. d. M. wohlbehalten und mit Lebensmitteln versorgt, und „Daily Expreß" erfährt sogar aus Shanghai vom 26. d.M.: Li-Hung-Tschang erklärte, die fremden Gesandten seien schon auf dem Wege nach Tientsin, wo sie am Sonntag eintreffen sollen. Nun, lange kann ja die Wahrheit nicht mehr verborgen bleiben. Vorläufig aber weiß weder eine amtliche, noch eine nichtamtliche Stelle, sei cs in Berlin, Peters burg, London, Paris oder Rom, etwas Positives. Im Laufe der gestrigen Debatte im englischen Unter baust erklärte Pritchard Morgan, er habe auü glaubwürdigster Quelle die Nachricht, daß der englische und die übrigen fremden Gesandten in Peking am 24. d. M. noch am Leben waren. Er fragte die Regierung, ob sie hiervon Kenntniß habe. Bei Abgang des Parlamentsberichts hatte die Regierung noch keine Antwort ertheilt. Wie sie ausfallen wird, kann man auS der der Anfrage voraufgegangenen all gemeinen Erklärung des Staatssekretärs des Auswärtigen Brodrick schließen: „Die Regierung hat keine neuen Nach richten aus China". Dem „Daily Expreß" wird weiter aus Shanghai vom 27. d. M. gemeldet: Li-Hung-Tschang empfing die Nachricht, daß Prinz Tuan getödtet worden sei. Die Boxer waren in letzter Zeit in zwei Parteien getbeilt; die eine wollte die Mandschus nicderwerfen und die Ming-Dynastie wieder aufrichten, die andere trat für Tuan ein. In einem verzweifelten Kampfe außerhalb der östlichen Thore der Stadt wurde die Partei Tuan's geschlagen, wobei Tuan fiel. Was bindert also jetzt noch die Auslieferung der Gesandten oder die Uebermittelung authentischer, von diesen selbst ge schriebener Nachrichten an die Cabinette? Die letztere könnte auf telegraphischem Wege erfolgen, und ehe zwei Tage herum wären, wäre alle Welt auS der peinigenden Ungewißheit gerissen, die auf allen Gemüthern, selbst da, wo man nicht birect an den chinesischen Wirren betheiligt ist, nun schon seit Wochen lastet. Wird der Vorhang nicht heute oder morgen über dem Geschehenen gehoben, so muß man auch die obigen so ermuthigend klingenden Nachrichten zu dem übrigen Lügenkehricht werfen, daS der amtliche chinesische Telegraph schon zum Berge angehäuft hat. * Washington, 28. Juli. (Telegramm.) Der amerikanische Consul in Shanghai telegraphirt: DaS Zollamt meldet neue Ruhestörungen, die gestern in Nünnan vorgekommen sind. * London, 28. Juli. (Telegramm.) „Standard" berichtet aus Tschisu unter dem 25. d. M.: Nach amtlichen chinesischen Berichten aus der Provinz Petschili sind dort 18 Missionare niedergemetzelt worden.— Die „Times" erfahren aus Shanghai unterm 26. d. M.: Ein Mitglied der englischen Paptistenmission tele graphirt ausS in anfu: „Die Christen vonSchensi sind nieder gemetzelt worden; fünf Ausländer wurden getödtet. Hilfe ist dringend nöjhig". — Die „Times" melden aus Shanghai vom 26. d. M.: General Gaseler hat sich nach Taku begeben. * Hongkong, 27. Juli. („Reuter's Bureau".) Der Führer eines chinesischen Transportdampfers, der in Canton Kohlen einnimmt, erklärt, er fahre unverzüglich nach Shanghai, um Li-Hung-Tschang zurückzuholen. In Canton sind überall Placate befestigt, in denen die Bevölkerung auf gefordert wird, sich zu erheben, die chinesischen Beamten und die Fremden zu tödten, den Stadttheil Schamien zu plündern und niederzubrennen. Im Uebrigen herrscht in Canton Ruhe. Der amerikanische Kreuzer „Buffalo" und der britische Kreuzer „Mohawk", ersterer aus Colombo, letzterer aus Auckland, sind hier eingetroffen. * Paris, 27. Juli. Die französischen Consuln in Shanghai und Hankau melden telegraphisch unter dem 25. d., zwei christ liche Niederlassungen in Sz'tschwan seien geplündert und die Niederlassungen der Lazaristen in Kiang-si in Brand gesteckt worden. Der Vicekönig habe Maßregeln zur Wiederherstellung der Ordnung getroffen. * Berlin, 27. Juli. Telegraphischer Meldung aus Shanghai zufolge befinden sich auf dem Dampfer „Stuttgart" folgende Verwundete auf der Heimreise: Von S. M. S. „Iltis": Casmir, Ledhcrz, Sontowski, Schoppengert, Kranks; von S. M. S. „Hertha": Vorpahl, Brehme, Klingberg, Boos, Holzknimper, Leißner, Lindner, Röhrs, Reinstrom, Hartwig, Pesmüller, Dallmeyer, Weber, Tümoler, Ohrt, Meyer, Grunou, Reinicke, Annacker, Grammel, Bedorf, Wohnsen, Glomb, Fricke, Webers, köhring; von S. M. S. „Hansa": Friedrichsen, Walter, Schwan, Schulz, Siebert, Müssig, Link, Röniger, Trost, Grundt, Hamann, Fillner, Fischer, Zauder; von S. M. S. „Kaiserin Augusta": Bebensee, Klein, Kesseböhmer, Lauterbach, Blankenburg, Elberg; von S. M. S. „Irene": Noak, Hanke; von S. M. S. „Jaguar": Kleist, Krauß, Wünnemann; von S. M. S. „Gefion": Dethleff. Vom Gouvernement Tsintau: Zahlmeister Hagemeister, Feuerwerker Barb, Artillerist Struckmcyer, Orthen, Kolberg, Seesoldat Teubner, FrrrrHeton. ?! Graf Cgon's neue Nachbarin. Novelle von G. von StokmanS (GermaniS). Nachdruck verboten. Sie schwieg über die Niederlage ihres Bruders und protegirte die junge Frau nach wie vor, fand es aber doch angezeigt, in der ganzen Gegend, deren Abneigung gegen eine Wiederverheirathung zu verkünden und die Nutzlosigkeit jeder Annäherung zu be tonen. Sei es nun aber, daß man es ihr nicht glaubte, oder die Festigkeit solcher Entschlüsse im Allgemeinen bezweifelte — der Erfolg ihrer Bemühungen war gering, und in den Augen der Herren gewann die Baronin Scram durch den Schein der Uneinnehmbarkeit nur noch einen höheren Reiz. Der Landrath des benachbarten Kreises und ein junger Gutsbesitzer bewarben sich gleichzeitig um ihre Gunst, und als, nachdem sie wiederum zwei Körbe ausgetheilt hatte, auch noch eine Anfrage von Pro fessor Sietze kam, welcher seinen Besuch in Schollen von ihrer Erlaubniß abhängig machte und dadurch den eigentlichen Zweck desselben verrieth, war die arme Frau ganz verzweifelt und be klagte sich bitter über die Ruhestörer. Die Hartnäckigkeit, mit der man ihre deutlich ausgesprochenen Ansichten ignorirte, ärgerte und verletzte sie, und wenn sie ihre persönlichen Vorzüge auch nicht allzu gering anschlug, so wußte sie doch, daß der goldene Rahmen, der dieselben umgab, Vielen noch begehrenswerther erschien, als sie selbst. Wo sie auch prüfend Hinblicken mochte, überall sah sie Wünsche und Hoffnungen, die sie weder erfüllen konnte, noch wollte, und mitten unter ihren heimlichen Verehrern und unbequemen Freiern überkam sie die Sehnsucht nach einem wahren, uneigennützigen Freunde. Graf Egon erschien ihr wie geschaffen dazu. Er war der Einzige, der ihr nie geschmeichelt und gehuldigt hatte, und den Ehestand ebenso sehr fürchtete, wie sie selbst. Seine einstige grimmige Abneigung gegen ihr Eindringen und Alles, was daraus folgte, hatte sie ihm längst verziehen. Er war wenigstens immer ein ehrlicher Feind gewesen und hatte sich trotz aller Un- liebenswürtdigkeit und Opposition nicht einer einzigen Takt losigkeit schuldig gemacht. Nun zeigte er sich stets gefällig und hilfsbereit, wenn auch in einer wenig verbindlichen Form, und seine Umsicht und Zuverlässigkeit flößte ihr Vertrauen 6n. Bei ihm glaubte sie vor jedem Mißverstehen ihres Verhaltens, jeder gefährlichen Wandlung der Gefühle sicher zu sein, und da auch die Tante neuerdings eine Vorliebe für ihn gefaßt hatte und sich aufrichtig freute, wenn er kam, so beschloß sie, ihn immer mehr heranzuziehen und sich um seine Freundschaft ernst lich zu bemühen. Der Verkehr mit ihm war doch eigentlich der vor Allem gegebene, und wenn es ihr gelang, den Bären zu zähmen, konnte das nachbarliche Nebeneinanderleben noch recht erfreulich und gemüthlich werden. Aeußere Umstände traten hinzu, um die Ausführung dieses Entschlusses zu fördern. Graf Max ging Anfang Januar mit seiner Frau und den ältesten Kindern auf mehrere Monate nach der Riviera, und sein Bruder, der ihn nach allen Seiten hin vertreten mußte, blieb sehr viel mehr zu Haus, als sonst. Alle Jagdeinladungen von entfernten Freunden wurden abgelehnt — er jagte nur noch in der Nähe —, und die gewohnte Winterreise nach Berlin fiel in diesem Jahre gänzlich aus. Da ergab es sich denn ganz von selbst, daß der Verkehr mit der Baronin ein immer regerer und intimerer wurde und er fast täglich mit ihr zusammen war. Bald fand er diesen, bald jenen Vorwand, um zu ihr hinüberzugehen, und nun, da er unbeobachtet war und Gräfin Gabriele's hämische Bemerkungen nicht mehr zu fürchten hatte, gab er sich, wie er wirklich war — liebenswürdig, unbefangen und angeregt. Er schien mit jedem Tage jünger und lebhafter zu werden, und die Baronin, die von seinen wahren Gefühlen keine Ahnung hatte, war nicht wenig stolz auf den segensreichen Einfluß, den sie neuerdings auf ihn auszuüben vermeinte. Sie gewöhnte sich an sein tägliches Kommen bald so, daß sie jede Verhinderung seinerseits schmerzlich empfand, und wenn sie bei irgend einer Gelegenheit allein nicht fertig werden konnte, nahm sie seinen Rath und seine Hilfe wie etwa- Selbstverständ liches in Anspruch. Daß bei so häufigem Beisammensein auch der Vergangenheit zuwöilen Erwähnung geschah, war wohl natürlich. Nun, da bereits drei volle Jahre seit ihrer Scheidung und dem tragischen Ende ihres Bruders verflossen waren, begannen die Wunden zu heilen, welche das Schicksal ihr geschlagen hatte; sie konnte wieder sprechen über das, was geschehen war, und Graf Egon's zarte, verständnißvolle Theilnahme that ihr wohl. Er begriff ihre Trauer um den Verstorbenen und beklagte mit ihr die Ursache seines Todes, aber er bekämpfte auch ihre Selbstvorwllrfe, die übertriebenen Anschauungen von ihrer Schuld und führte die- elben in ruhigere, gesundere Bahnen zurück. Auch zu den Nachbarn fuhr sie besonders gern, wenn sie wußte, daß er an demselben Ort ftin würde. Er kümmerte sich zwar vor Anderen herzlich wenig um sie und sprach, wenn er nicht zufällig ihr Tischherr war, kaum ein Wort mit ihr, aber das Bewußtsein seiner schützenden Nähe hatte etwas heimlich Beruhigendes für sie, und es war ihr ein angenehmer und lieber Gedanft, daß sie, wenn auch getrennt, immer wieder zurück kehrten unter dasselbe Dach. Daß diese Veränderung in ihrem Benehmen ihn unbeschreib lich beglückte, versteht sich von selbst, aber sie stellte auch die größten Anforderungen an seine Selbstbeherrschung und mora lische Kraft. Wie sehr die Baronin ihm auch entgegenkommen mochte, er durfte sich dadurch zu keiner Ueberschähung, keiner Unvorsichtigkeit hinreißen lassen, mußte der pedantische Freund, der unverbesserliche Junggeselle bleiben, der unempfänglich schien für den Zauber ihrer Persönlichkeit, und durch kein Wort, keinen Blick ihre glückliche Unbefangenheit stören. In dieser allein lag sein Heil und die Möglichkeit, ihr mit der Zeit unentbehrlich zu werden. Die Baronin mußte nicht über seine Gefühle, sondern auch über ihre eigenen im Unklaren bleiben, durfte aus Ihrer trügerischen Sicherheit nicht aufgeschreckt werden und mußte glauben, daß Alles in bester Ordnung sei. Mitunter wurde sein Gleichmuth auf»besonders harte Proben gestellt, und er war oft nahe daran, sich zu verrathen, aber die Ueberzeugung, daß dann Alles aus sein würde, hielt ihn immer wieder zurück, und so blieb er Herr der Situation, auch in den schwierigsten und gefährlichsten Lagen. Eines Abends waren Beide in einer Gesellschaft, und zwar bei einer Familie, die von dem alten Schloß fast drei Meilen entfernt lebte. DaS Fest dauerte ungewöhnlich lange, und die Nacht war stürmisch, regnerisch und unheimlich dunkel. Auf dem Heimwege verlöschte ein Windstoß die Wagenlaternen der Baronin, — dem Kutscher gelang es nicht, sie wiäder anzuzünden, und in der Finsterniß fuhr er mit aller Macht gegen einen mit Baumstämmen beladenen Wagen an, der seitwärts, schräg am Wege stand und am anderen Morgen erst wieder bespannt wer den sollte. — DaS eine Vorderrad ihres Coupes wurde zer trümmert, die Deichsel zerbrochen und das Handpferd an der Brust leicht verletzt. Die arme Frau erschrak nicht wenig bei dem heftigen Anprall, denn der Wagen fiel halb auf die Seite, und sie sah keine Möglichkeit, weiterzukommen. Wenn sie den Kutscher die Pferde abschirren und nach Hause reiten ließ, um einen anderen Wagen zu holen, mußte sie mehrere Stunden in Nacht und Sturm allein auf der Landstraße bleiben, und wenn sie auch keine ängstliche Natur war, so bot diese Aussicht doch wenig Tröstliches und Verlockendes dar. Da sah sie als Retter in der Noth Graf Egon nahen. Er hatte die Gewohnheit, später aufzubrechen, als sie, fuhr dann aber sö schnell hinter ihr her, daß er sie immer sehr bald einholte, und erst wenn ihr Wagen in Sicht war, folgte er langsamer auf eine Entfernung von Sin paar Hundert Schritt. Sie wußte das nicht, aber ihm war es ein Bedürfniß, die einsame Frau auf der meist recht weiten Rückfahrt schützend zu überwachen, und da ihr Kutcher nicht besonders zuverlässig war, hatte ihn die große Dunkelheit schon mit einer unbestimmten Besorgniß erfüllt. Zuerst sah er nur sine undeutliche Masse, welche vor ihm den Weg versperrte, dann, als er vorsichtig näher kam, erkannte er die Equipage der Baronin, und ahnte sogleich, was geschehen war. — Er sprang aus dem Wagen, schob das Wrack mit Hilfe des Kutschers so weit bei Seite, daß der Weg wieder passirbar war, und bat dann die Baronin, mit ihm nach Hause zu fahren. — Sie that es nur zu gern, denn sie war todtmüde, und was ihr bei Anderen vielleicht peinlich gewesen wäre, erschien ihr, dem guten Freunde gegenüber, nicht nur berechtigt, sondern einfach ge boten und ganz natürlich. Er packte sie auch sorgsam in Decken ein, daß sie trotz des halb offenen Wagens keine Kälte spürte, und als man nun weiter fuhr, fühlte sie sich so behaglich uns geborgen an seiner Seite, daß sie über den fatalen Unfall lachen konnte und behauptete, noch nie so gut befördert worden zu sein. Eine Weile plauderte sie noch mit ihm, wie man mit einem nahen Verwandten plaudert, dann fielen ihr wieder die Augen zu, und da sie gewohnt war, in solchen Fällen einen festen Stützpunkt an den Polstern ihres Coupes zu finden, lehnte sie schlafend ihr müdes Haupt an Graf Egon's kräftige, von einem großen Mantel umschlossene Gestalt. Ihre weiche Wange ruhte fest und sicher an seiner Schulter, — ihr duftiger Athem streifte ab und zu sein Gesicht, und da er sich Nicht regte, sondern so still saß, wie die Unebenheit des WegeS eS irgend gestattete, schlief sic ruhig weiter, wie in Abraham'S Schooß. Als sie dann erwachte, war sie allerdings betroffen, aber nur, weil sie ihm unbewußt eine große Unbequemlichkeit auferlegt hatte, und sie bat ihn auch tausend Mal um Entschuldigung des halb, ohne zu ahnen, wie ihre Nähe ihn beseligtzLatte, und die lange Fahrt ihm viel zu kurz erschienen war. Ein anderes Mal besprach sie ihre eigenen Angelegenheiten in offenster, unbefangenster Weise mit ihm und setzte ihn durch allerlei Gewisscnsfragen in die größte Verlegenheit. Gräfin Gabriele schrieb nämlich zuweilen an die Baronin und konnte es sich dabei nicht versagen, immer wieder des Obersten Erwähnung zu thun. Zwischen den Zeilen war leicht der Vorwurf herauSzulesen, daß sie den armen Mann unglücklich
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