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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.06.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-06-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010607026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901060702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901060702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-06
- Tag1901-06-07
- Monat1901-06
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Freitag den 7. Juni 1901. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redactionsstrich (-gehalten) 75 H, vor den Familiennach- richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme L5 H (excl. Porto). Ertra - Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung VO—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je »ine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an di« Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 85. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. In der gestrigen Sitzung der in London tagenden Commission zur Prüfung der vntschäSignngSforSerungen der au- Südafrika ausgewiesenen Personen sprach der Vorsitzende die Hoffnung aus, die fremden Vertreter würden darüber unter einander einig werden, daß wenigstens vier Tage in der Woche Sitzungen abgehalten werden sollen. Der Vertreter Oester reich-Ungarns erklärte, er habe Entschädigungsforverungen von 120 Personen zu unterbreiten; von diesen Personen seien jedoch nur drei gewillt, persönlich zu erscheinen; er fügte hinzu, er sei bereit, dem Vertreter des Kriegsamtes, General Ardazh, zur Erleichterung der Erledigung dieser Fälle weitere Auskunft zu geben. Der russische Vertreter bemerkte, er vertrete die Ansprüche von 27 Personen, von denen jedoch der weiten Reise wegen Keiner vor Verlauf von zwei oder drei Wochen persönlich erscheinen könne. Hieraus vertagt« sich die Commission. Verlustliste. * Loudoi«, 6. Juni. In einer heute Abend veröffentlichten Verlustliste wird gemeldet, daß in den Gefechten am 1. und 2. Juni am Pienaars River 7 Mann getödtet und 18 verwundet worden sind und zwar alle von Kitchener's Schützen. Die Verlustliste bezieht sich wahrscheinlich ans dnS letzte Gefecht Wilfon's, denn dieser führte den Befehl über Kitchener's Schützen. PfcrSekänfc. * London, 6. Juni. Das Unterhaus bewilligte mit 159 gegen 60 Stimmen die Forderung von 15 779 000 Pinnd für die Be schaffung von Transportschiffen und Pserdematerial. Im Laufe der Debatte behauptete Blundell Maßle, die vom KriegSamte zum Ankäufe von Pferden nach Oesterreich. Ungarn gesandten Osficiere hätten abgetriebene Pferde zu ungeheuer lichen Preisen gekauft und die Differenz zwischen dem wirklichen Wrrthe der Pferde und dem vom Kriegsamte gezahlten Preise mit den bisherigen Eigenthümern der Pferde getheilt. Der Finanzsekretär des Kriegsamtes Stanley ent- gegnete, es wäre eine Untersuchung im Gange, er glaube aber, sie würde nur dazu führen, die Grundlosigkeit der Beschuldigung darzuthun. Tie Goldminen. * Johannesburg, 6. Juni. Bisher sind sieben Minen wieder in Betrieb gesetzt, jede mit fünfzig Vohrstampfern; andere be- reiten die Wiedereröffnung vor. Einige sind völlig betriebsfertig und warten nur die Ermächtigung der Militärbehörde ab. Die Wirren in China. Tic derzeitige Ohnmacht der chinesischen Rcformpartci. Aus Peking 12. Apr:l, schreibt mau uns' Bei der Er schütterung ihres Ansehens, die sich die chinesische Dynastie.wäh rend der Wirren des letzten Jahres zugezogen hat, lag die An nahme nahe, daß auch in den mittleren und südlichen Provinzen des himmlischem Reiches ernstere Ruhestörungen folgen würoen. Di« Elemente hierzu waren überall vorhanden: im Ncmgtse-Thale der stets zu localen Aufständen geneigte Gr- Heimbund Kolanhui, dessen Mitglieder zumeist beschäftigungs lose entlassene Soldaten sind, in Kuangtung die Triad-Gesell- schaft, ein Sammelpunkt aller lichtscheuen und mit den Gesetzen in Eonflict gerathenen Elemente, und endlich die im Jahre 1898 zersprengte Reformpartei, die Anhänger Kang yu wei's, der im vorigen Sommer im Uangtse-Gebiete «inen neuen Geheimbund, die Tsu li hui, gegründet hat. Dieser Bund fand Anlehnung an di« beiden altern, und es sind im Herbst vorigen Jahres ja auch einige Aufstanvsversuche — in Kuangtung und in Hankau — gemacht worden. Doch können die ruhestörenden Elemente in China ohne Unterstützung der Localbehörven wenig ausrichten. Es wird dadurch erwiesen, daß die Reformpartei bei Weitem nicht den Rückhalt im Volke besitzt, der ihr von vielen Seiten bei gemessen wurde. Kang yu wei, der jetzt in Penang lebt, soll denn auch stark entmuthigt sein und wird einstweilen wohl keinen Versuch wieder machen, Unruhen zu erregen. Der Kaiser Kuanghsü hat ihn anscheinend endgiltig fallen lasten. * Berlin, 6. Juni. (Telegramm.) Gras Waldersee meldet vom 4. Juni aus Tientsin: Ich habe nunmebr meine Functionen als Oberbefehlshaber eingestellt und ver loste auf dem Wege nach Tokio noch heute China. In Tientsin sind strenge Maßregeln getroffen, um Reibungen zwischen den Contingenten zu vermeiden. Ich habe nebst zahl- reichen deutschen Abordnungen an dem Vcgräbniß der französischen Soldaten theilgenommen. In Peking ist in der Nacht vom 4. Juni nach einem schweren Gewitter, Wahlschein- lich in Folge eines Blitzstrahls, Feuer in einem Yamen des westlichen Theiles der verbotenen Stadt ansgebrochen. Ein be- deutender Häusercomplex ist niedergebrannt, die Haupttempel scheinen indessen erhalten zu sein. (Wiederholt.) Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Juni. Die in Berlin anwesenden Mitglieder der Finanzver waltungen der größeren Bundesstaaten baden gestern be kanntlich unter dem Vorsitze des Reichskanzlers in einer mehr stündigen Conferenz über die Finanzlage des Ncichcs und ihre Rückwirkung auf Sic Finanzlage Ser vinzelftaaten beratben. Heute verbreiten sich die osficuösen „Berl. Polik. Rache." über den Zweck dieser Conferenz in einem längeren Artikel, der die Erwartungen, die man vielfach gehegt, berabstimmeii soll. Nachdem in diesem Artikel versickert worden, daß der Reichs kanzler die Gefahren, die neuerdings in Bezug auf die finanzielle Gebahrung im Reiche droben, klar erkannt habe und auch gewillt sei, ihnen bei Zeiten abzuhelfen, heißt es weiter: „Es hat sich sehr zum Schaden des Gedankens der Reichs- finanzreform die Praxis ausgebildet, unter der Reform im Allgemeinen sowohl eine Aenderung des rechtlichen Verhält nisses zwischen den Finanzen des Reichs und denen der Bundes staaten, als auch eine Vermehrung der Reichssleuern zu verstehen, und zwar behandelt man dabei beide Seiten der Sache als ein untrennbares Ganzes. In Wirklichkeit aber ist die staatsrechtliche Neugestaltung des Verhältnisses der NeichSfinanzen zu denjenigen der Bundesstaaten eine Frage, welche mit der, ob und in welchem Betrage eine Vermehrung der eigenen Einnahmen deS Reiches nothwendig ist, keineswegs in festem untrennbarem Zusammenhänge steht. Was jetzt von den Regierungen einer Reihe von Bundesstaaten gewünscht wird, ist allein eine feste Ordnung der finanziellen Beziehungen der Bundes st aaten zum Reiche. Eine solche Ordnung lag in der Klausel Franckenstein. Den Bundesstaaten sielen dadurch zwar die Schwankungen in den Erträgen der Ueberweisungssteuern zur Last; aber sie erhielten dafür einen Ausgleich, indem ihnen der volle Mehrertrag Lieser Steuern über die Matricular- umlagen von Rechtswegen voll zufloß. Da bei Einführung der Klausel Franckeustein die Ueberweisungssteuern so bemessen waren, daß sie regelmäßig eine» Ueberschuß über die Matri- cularumlagrn lieferten, konnten die Bundesstaate» die auS der schwankenden Natur dieser Ueberschüsse sich ergebenden Unbequem lichkeiten unschwer ertrage». Unter dem Drucke der wachsenden Ausgaben des Reiches, insbesondere der starken Zunahme der Reichs schuld, ist in den letzten Jahren aber bekanntlich die Klausel Francken- stein i» wesentliche» Punkten durchbrochen worden. Zunächst wurde der weitaus größere Theil des Ueberschustes der Ueberweisungssteuern über die Matricnlarumlageii zum Zwecke der Schuldentilgung zur Neichscasse eingezogen. So lange es dabei bewendete, blieben die Bundesstaaten nicht nur in der Regel vor durch Ueberweisungen nicht gedeckten Matricularumlagen bewahrt, sondern erhielten auch einen, wenn auch geringen Zuschuß vom Reiche. Neuerdings werden aber unter gewissen Voraussetzungen die etwaigen Mehrerträge aus Ueberweisungsstcucrn gegen den Etatssatz zur Verminderung des Nnleihebcdarss desselben Rechnungsjahres durch den Etat verfügbar gemacht. Infolge dessen sind die Bundesstaaten, auch wenn die Ueberweisungssteuern Mehrerträge liefern, der Gefahr ausgesetzt, die in dem Etat vor- gesehene »Mehrbeträge an Matricularumlagen über den Etatsansatz an Ueberweisungssteuern an das Reich bezah- len zu müssen. In der letzten Tagung des Reichstages ist endlich so- gar der Versuch unternommen worden, den Rcchnungsnbcrschuß der Neichscasse, welcher nach der Verfassung zu den gemeinschaftlichen Aus gaben verwandt werden soll, dieser Zweckbestimmung zu entziehen und ihn zur Schuldentilgung zu verwenden, in welchem Falle den Bundesstaaten eine entsprechende Belastung mit Matricularumlagen in Aussicht stände. Es ist erklärlich, daß unter diesen Umständen bei den Regierungen derjenigen Bundesstaaten, welche nicht wie Preußen kick in der glücklichen Lage befinden, über starke finanzielle Re serven verfügen zu können, das lebhafte Verlangen nach einer ander- weiten und festen Ordnung des Verhältnisses der Reichs- zu Len staatlichen Finanzen besteht. Nachdem der Gedanke, entsprechend dem finanzpolitischen Ziele der Klausel Franckenstein, den Bundesstaaten von Gesetzeswegen einen festen Antheil an den Einnahmen des Reiches zu sichern, längst aufgegebrn ist, kann es bei einer solchen neuen Abgrenzung deS Ver hältnisses zwischen Reichs- und Ctaatsfiuanzen sich nur darum handeln, die Bundesstaaten vor erheblichen, in der Höhe im Voraus nicht einmal übersehbaren, durch Ueberweisungen nicht gedeckten Bei- trägen an das Reich zu bewahren, weil die Heranziehung mit er- heblichcn Beiträgen zur Neichscasse die Finanzen der meisten Bundesstaaten schwer belasten würde und weil in diesen Bundes staaten eine geordnete Finanzwirthschast nicht zu führen ist, wenn sie mit der Möglichkeit rechnen müssen, mit hohen, in ihrem Betrage nicht mit Sicherheit vorauszusehenden Zuschüssen an das Reich herangezogcu zu werden. Wenn jetzt von einer Reichs- sinanzresorm die Rede ist, jo handelt es sich zunächst lediglich um diese anderweit« Abgrenzung der Finanzen des Reiches und der Bundes st aaten. Erst wenn nach dieser Richtung hin ein Einverständniß zwischen den verbündeten Regierungen erzielt ist, wird zu prüfen jein, ob es zur Innehaltung der von ihnen in Aussicht genommenen finanziellen Grenze zwischen Reich und Bundesstaaten einer Vermehrung der Einnahmen deS Reiches und gegebenen Falls, in welcher Höhe, bedarf. Daß eine solche Ent schließung wesentlich auch von der Entwickelung der eigenen Einnahmen des Reiches abhängen würde, liegt auf der Hand. In dieser Hinsicht kommt in Betracht, daß die rückläufige Bewegung in den Zolleinnahmen nach den Abschreibungen für den Monat April wieder einer auf steigenden Be- wegung Platz gemacht hat. Die Daten über die Getreide- einfuhr, welche eine starke Zunahme dieser Einfuhr in der letzten Zeit darthun, lassen in Verbindung mit den leider schlechten Aus sichten für die nächste Getreideernte mit Sicherheit erwarten. Laß Liese steigende Bewegung in den Zolleinnahmen anhält. Es ist daher jedenfalls mindestens verfrüht, wenn jetzt schon in der Presse mit angeblichen neuen Steuerplänen der verbündeten Regierungen gearbeitet wird." Theoretisch ist es ja richtig, daß eine Ordnung der finanziellen Beziehungen der Bundesstaaten zum Reiche auch ohne eine Vermehrung der NeichSsteuern eingefübrt werden kann. Aber in der Praxis bleibt eine solche Ordnung in schleckten Jahren ein todter Buchstabe, wenn nicht entweder die Tilgung der NeickS schuld sislirt oder aber in den Finanzzöllen ein beweglicher Factor eingesührt wird, wie er damals, als das Reich finanziell aus eigne Füße gestellt wurde, von Herrn v. Bennigsen und seinen Freunden befürwortet wurde. An eine Sistirung der Tilgung der Reichssckuld in Jahren hoher Ausgaben und geringer Einnahmen wird aber wohl Niemand denken. Sieht man also jetzt in der Hoffnung aus eine steigende Bewegung in den Zolleinnahmen davon ab, neue Steuerpläne in Aussicht zu nehmen, mit Hilfe deren unter allen Umständen die Ordnung der finan ziellen Beziehungen der Bundesstaaten zum Reiche inne gehalten werden kann, fo sollte man wenigstens daran denken, etwa einen beweglichen, je nach Umständen zu erhöbenden oder herabzusetzenden Theezoll einzuführen. Sieht man, wie es leider nach den Ausführungen der „Berl. Polit. Nachr." den Anschein gewinnt, auch davon ab, so wird mit einer theoretischen Ordnung der finanziellen Beziehungen der Einzelstaaten zum Reiche in schleckten Jahren nichts gebessert sein. Man wird es den politischen Regisseuren des KlerikaliSmus neidlos zugcstehen, daß sie es meisterlich gelernt haben, die katholischen Massen aufzureizen und agitatorische Knalleffecte zu erzielen. Die besten Beweise hierfür liefert die Vorbereitung für die nächste Katholikenversammlung. Daß auf ihr der Protest gegen die angeblich so heftige tirchenfeindliche Bewegung in Deutschland und der Ansturm gegen das Jesuitengesetz die beiden Hauptstücke ausmachen werden, darf heute schon mit Sicherheit angenommen werden. In ersterer Beziehung haben die zahlreichen „Protestversammlungen" jeden Zweifel beseitigt, in letzterer Hinsicht hat ein an anderer Stelle ge schilderter theatralischer Vorgang, der sich am 3. d. M. in Lüdinghausen abspielte, den nöthigen Fingerzeig gegeben. Die Verherrlichung der drei Jesuiten, denen die Behörde, entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen, das Ab halten einer Mission untersagte, war in allen Stücken offenbar so wohl von langer Hand her vorbereitet, daß selbst dem Lüding hausener Berichterstatter der „Germania" das Geständniß ent schlüpft: „Man begreift es kaum, wie in der kurzen Zeit von wenigen Stunden eine solche Ovation zu Stande kommen konnte". — Die von der „Germania" an den Lüdinghausener Vorgang Fenilleton. — 25) Cin Engel der Finsterniß. Roman von Gertrude Warden. Autorisirte deutsche Uebersetzung von A. Brauns. Nachdruck vcrdelcn. XXIII. Jener Brief von Viktor's Mutter, der Francesca völlig kalt gelassen, rührte Betty zu Thränen. Betty war aber auch eine Seele von einem weiblichen Wesen und hatte ein weiches Herz, für sie war das Wort „Mutter" cin theures, heiliges. Und jetzt setzte sich in ihrem Kopfe der Ge danke fest, die kleine Frau Doctor Gilles habe sie auscrwählt, über ihren Sohn zu wachen. In diesem Lichte sich betrachtend, fielen ihr nun auch Symptome in Viktor's Krankheit auf, die sie höchlichst verwirrten und ihr Gcmüth beunruhigten. Als sie am folgenden Nachmittage mit Hercmon und zu ihren Füßen dessen Bernhardiner im Kahn saß, der junge Irländer rudernd und Betty steuernd, sah sie trotz der lebensfrohen und lrbcnsfrischcn Umgebung so ernst und gedankenabwesend aus, daß Hercmon ihr darob Vorwürfe machte. „Wenn Sie mich auch nicht nehmen wollen, Betty, so brauchen Sie doch nicht, wenn Sie mit mir ausfahren, solche Leichenbitter miene herauszustecken! Und wenn's meinen Kopf kostete, so kann ich wirklich nicht sagen, was Sie an dem Dudley Revelsworth so Bewunderungswerthes finden. Er ist ein großer, massiver Bursche, unleugbar; aber nach seinem Aussehen zu schließen, ist sein Temperament gewiß weniger sanft und nachgiebig, als da» meinige, und —" „Ich denke gar nicht an Dudley, Sie einfältiger Heremon, sondern an seinen Bruder!" „Besitzen Sie wirklich so wenig rechten Stolz, an den hohl wangigen Franzosen, der toll verliebt ist in unsere Panther» freundin, einen Gedanken verschwenden zu können?" „Heremon", rief Betty, „wenn ich Sie nicht schon lange kennte und wüßte, wie albern Sie bisweilen sein können, dann würde ich sehr böse auf Sie werden! Nicht einen Gedanken, hundert werde ich an ihn verschwenden, wenn's Ihnen auch nicht paßt, um seiner Mutter willen! Denn wissen Sie, daß ich glaube, er ist dem Tode nahe?" „So schlimm stände es mit ihm? Hoffentlich doch, nicht!" rief der junge Mann tn sichtlicher Betrllbniß. „Heut morgen sah er aus wie eine Leiche", fuhr Betty fort. „Nun hat er auch noch so kurzen Husten und Blutspucken be kommen. Ich kann sein Gesicht aus den Gedanken nicht los wer den! Dudley wollte bei ihm zu Haus bleiben; aber Viktor ist so selbstlos und bestand darauf, daß sein Bruder Francesca zur Regatta rudern sollte, weil sie noch keine gesehen habe — wegen der Trauer um Tante Margaret haben wir uns doch von allen öffentlichen Vergnügungen ferngehalten. Viktor hofft, morgen seine Reise nach Frankreich anzutreten und eine Zeit lang bei seiner Mutter und seinem Stiefvater in deren Landhause zu bleiben. Ich fürchte nur, er ist schon zu schwach zum Reisen." „In Revelsworth House scheint's nicht mehr geheuer zu sein. Erst mußte Briton daran glauben, dann erlag Frau Revelsworth einem jäh eingctretenen Herzleiden, gleich danach wurde Sikes todt im Hofe gefunden, und —" „Das war der Kummer über den Tod seiner Herrin!" fiel ihm Betty ins Wort. „Mag's sein, wie's will — er ging drauf!" erwiderte der Irländer. „Und nun ist's der Franzose, der arme Bursche, der ein ganz netter Kerl sein würde, wenn er nicht in Fräulein Revelsworth so toll verschossen wäre, der eine Art Auszehrung bekommt! Denn das wäre sein Leiden, behauptet Doctor Vernon. Sie thäten besser, sich bei Zeiten aus dem Staube zu machen, ehe das böse Element Sie gleichfalls packt. Sic haben seit dem Gespensterschrecken Ihr früheres Aussehen jetzt noch nicht wiedererlangt." „Ich kann's nicht verwinden", räumte Betty ein. „Wenn Sie sich mir aber wirklich gefällig erweisen wollen, dann rudern Sie mich direct nach Hause. Sie lachen mich vielleicht aus, weil ich nervös werde, aber ick kann nichts dagegen thun, es läßt mir keine Ruhe, ich muß nachsehen, wie es Viktor geht. Zum Feuer werk können Sie mich wieder hinrudern. Viktor wollte den Nachmittag schlummern, da er die ganze vorige Nacht nicht habe schlafen können. Ich bat die Köchin, sich um ihn zu bekümmern, da Suse ihren Ausgehtag hat. Mein Gefühl aber sagt mir, daß er nicht so lange allein gelassen werden darf, ohne daß wenigstens Einer nach ihm fragt." O'Meara sah ein, daß es Betty mit der Heimfahrt wirklich ernst war und willfahrtete daher ihrem Wunsche, wenn auch nicht gern. Um 6 Uhr passirten sie die Wolesey-Schleuse und landeten am Bugsirpfade unterhalb der Palasteinzäunung. An der Thür von Revelsworth House trennten sie sich nach ge troffener Verabredung, daß Betty vor der Rückfahrt zur Regatta über den Anaer gehen und bei Heremon's Mutter eine Tasse Thee trinken sollte. Sich mit ihrem Drücker öffnend, fand Betty das Haus wundervoll ruhig, wirklich sabbathstill. Nichts rührte sich, Nie mand war zu hören und zu sehen. Vielleicht hat die Köchin Suse begleitet, dachte Betty, da die Gesellschaft nicht vor 11 Uhr von der Regatta zurückerwartet wurde. Viktor aber würde sicher etwas bedürfen, und so rannte sie denn leise die beiden Treppen nach oben in sein Zimmer im zweiten Stock. Um zu ihm zu gelangen, mußte sie durch Dudley's Zimmer gehen, und die äußere Thür war ins Schloß gedrückt. Betty klopfte an, aber ihr Klopfen konnte im Hinteren Raume wohl schwerlich gehört werden, deshalb, ergriffen von plötzlicher Angst, bewegte sie den Drücker, blieb aber nach dem Oeffnen der Thür lauschend stehen. Zu ihrer großen Erleichterung schlug eben ein lang gezogener Seufzer an ihr Ohr, denn bei der vorigen Stille fürchtete sie schon, Viktor sei verschieden. Dem ersten tiefen Athemzuge folgte ein zweiter, und danach konnte sie ihn auch unter leisem Stöhnen sich ruhelos auf seinem Lager umdrehen hören. Von nicht zu unterdrückendem Bangen getrieben, huschte sie leise durch das vordere Zimmer, stieß die Zwischenthür ein bischen weiter auf und blickte hinein. Da die Rouleaux herabgelassen waren, vermochte sie anfangs kaum einen Gegenstand zu unterscheiden. Nachdem sie sich all mählich an das Halbdunkel gewöhnt, gewahrte sie, daß Viktor angekleidet, nur seines Rockes hatte er sich entledigt, auf dem altmodischen Himmelbett lag, von Zeit zu Zeit sich ruhelos von einer Seite nach der anderen wälzend. Auf dem Tischchen, das dicht an die verblichenen rothen Ripsbehänge des Himmel bettes gestellt war, stand ein Glaskrug mit der aus amerika nischem Fruchtsaft bereiteten kühlenden Limonade, in welcher kleine Eisstückchen herumschwammen, womit Francesca ihre Vettern und andere Mitglieder des Hauses zu versorgen, stets gefälligst bereit war. Das Fenster stand offen und von dem Luftzuge wurde das Rouleaux hinaus- und hereingeweht, die Atmosphäre deS Gemaches aufs Angenehmste kühlend. Ein großes, ein gerahmtes, von Viktor gemaltes Bild Francesca s in Abend toilette lächelte von der entgegengesetzten Wand auf die fiebernde Gestalt herab, und dicht darunter war, wie eine Opfergabe, ein GlaSbchälter mit einem Strauß frischer Rosen gestellt. Das Zimmer war acurat aufgeräumt und kühl; und da Viktor zu schlafen schien, so stand Betty bereits im Begriff, ihren Kopf aus der geöffneten Thür wieder zurückzuziehen, als ein leises Rauschen, ähnlich dem gespenstischen, daS sie selbst so oft des Nachts auf den Corridoren gehört, ihre Aufmerksamkeit nach jener Seite des Bette- lenkte, wo der Tisch und auf diesem der Krug mit der Eislimonade stand. Nach nur Secunden währender Pause ertönte ein leichtes Krachen. Betty lauschte auf das Gespannteste. Der Raum grenzte an jener Seite an das sogenannte Spukzimmer, in das sie sich während ihres fünfjährigen Aufenthaltes in Revelsworth House nur ein einziges Mal gewagt hatte. Dieser Raum wurde stets verschlossen gehalten, und es schien fast unmöglich, daß von dort ein anderes Geräusch, denn allein von Ratten und Mäusen verursachtes, herübcrdringen könnte. Und dennoch gewann Betty's Ueberzeugung, daß von der anderen Seite des dünnen, tapetenbeklcideten Bretterverschlags, der die beiden Räum trennte, sich Jemand bewege, an Stärke. Sie hielt den Athem an, lauschte wartend, sie wußte selbst nicht, auf was. Und wie sie so harrend, regungslos dastand in dem verdunkelten Zimmer, da überkam sie ein krankmachendes Bangen, eine innere Gewißheit, daß sie zum zweiten Male einen entsetzlichen Anblick, den sie ihr Leben lang nicht wieder ver gessen werde, haben sollte. Mit erschreckender Lebendigkeit zog die Gespenstererscheinung noch einmal an ihrem inneren Auge mit allen Einzelheiten vorüber. Sie hatte es wirklich gesehen, sie wußte es ganz genau; es war kein Product eines kranken Hirns, sondern ein wirklich an wesendes böses Ding, gesandt, wie es schien, aus einer anderen Welt, zur Ankündigung eines bevorstehenden Todesfalles! In eben dieses Zimmer war der Leichnam der ertrunkenen Mistreß Katharina Penfold geschafft worden. Wäre es möglich, legte sich Betty, an allen Gliedern bebend und jeder Nerv bis zum Zerspringen angespannt, die Frage vor, daß der Geist der Er trunkenen wirklich in der Nähe weile und seinen bösen Einfluß übe auf die Insassen des Hauses, in welchem sie selbst geliebt, gesündigt und gelitten vor so vielen Jahren?! Das raschelnde Geräusch wurde von Neuem vernehmbar, und jetzt konnte Betty auch einen flüchtigen, katzenartigen Schritt unterscheiden. Plötzlich schlug ihr das Herz bi« an die Kehle und ihre vor Entsetzen geweiteten Augen hefteten sich auf einen Punct in der Wand hinter Viktor's Bett, direct über dem Tischchen. Aus dem durch die dunklen Bettgardinen bewirkten tiefen Schatten schien sich eine Geisterhand loszulösen, eine kleine, gekrümmte Hand, eine Frauenhand, dem Anscheine nach aus dem hölzernen Verschlage herausgestreckt, und ein paar Secunden regungslos über dem Tische schwebend. Betty konnte das Hämmern de» eigenen Herzens hören, Und große Angstschweißperlen standen auf ihrer Stirn; aber nicht um eines Haares Breite rührte sie sich von ihrem Platze und gab auch keinen Laut von sich. Die Hand an der Wand um» spannte ein Fläschchen, die Finger bogep sich nach vorn und Tropfen um Tropfen seine« Inhalt« fiel mit leisem Plätschern
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