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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.06.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-06-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010608028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901060802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901060802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-06
- Tag1901-06-08
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Amtsblatt -es Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Malizei-Ämles der Ltadt Leipzig. Anzeigen »Preis die 6 gespaltene Petitzeile 2S H. Reklamen unter dem RedacttonSstrich (-gespalten) 75 H, vor den Familiennach» richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Osfertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 80.—, mit Postbesörderung 70.—, Änuahmrschlaß fir Anzeigen: Abend-Au-gabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Ab«nds 7 Uhr. Druck uud Verlag voll E. Polz M Leipgtz. 288. Sonnabend den 8. Juni 1901. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Eine interessante Photographie. Einem Briefe des „Pester Lloyd" aus Pretoria, 2. Mai, entnehmen wir Folgende«: Nach der Entrevue Kitchener's und Botha's in Middelburg gegen Ende Februar hat eine photographische Aufnahme der beiden Feldherren mit ihren Suiten statt gefunden. Obgleich die Platte vernichtet werden mußte, nachdem eine beschränkte Anzahl Bilder angefertigl worben war, ist doch ein Exemplar in unberufene Hände gekommen, wodurch es mir heute gelang, ein solches Bild zu sehen. Dasselbe zeigt eine Gruppe von 10 Personen: 5 Engländer, 5Boeren, in zwei Reihen, die ersteren sitzend, die anderen stehend, im Mittelpunkte Lord Kitchener, diesem zur Rechten Botha, links der englische Generalstabschef; die übrigen Personen, Engländer und Boeren, abwechselnd gruppirt. Wenn man die GesichtsauS- drücke studirt, kann man nicht nur den Erfolg der Verhand lung, sondern auch die Chancen des Krieges herauslesen. Man findet darin jene Jmponderabilia, welche sich nicht beschreiben, nicht erklären — nur fühlen lassen und die Quintessenz einer Situation ausmachen. Lord Kitchener zeigt deutlich, daß er nur einer Artig keit folgt, die ihm die Klugheit dictirt, daß ihm aber der Act, die Gesellschaft gar kein Vergnügen macht. Er ist nur mit dem Körper bei der Sache, ohne für den Scherz die Stimmung zu besitzen; seine Gedanken aber sind weit, weit — vielleicht bei Chamberlain, der ihn in eine so unerquickliche Situation gebracht hat. Wir sehen einen Mann, ter in stolzem Selbst bewußtsein glaubte, durch persönlichen Einfluß dem einfachen Boerensührer zu imponiren, der sich herabließ, als Com- mandant einer Viertelmillion Soldaten den Häuptling von ein paar tausend Bauern auszusuchen, und nun in seinen Voraussetzungen getäuscht ist, seinen Nimbus schwinden fühlt vor dem festen Willen, der Unbeugsamkeit des schlichten Gegners. Und wie man einen Menschen, der nnS ein An liegen abgeschlagen, mit innerer Verstimmung die Hand reicht, in der Hoffnung, daß er vor dem Oeffnen der Thür seinen Entschluß noch ändert, so gebt Lord Kitchener in einem Gefühlsaemisch von Aerger, Beschämung, sich bäumendem Stolze, Notbwendigkeit, Hoffnung auf den letzten Trumpf — mit seinem Gegner die Mesalliance ein und figurirt mit ihm auf einem Bilde. Botha macht einen anderen Eindruck. Er sieht aus wie daS Leben und sitzt — mit überschlagenen Beinen, gekreuzten Armen, erhobenen Hauptes — nach rückwärts gelehnt da. Seine Miene verräth Ruhe, Sicherheit in der Situation, Zufriedenheit mit dem Erfolge. Sein Auge sagt mit etwas verschmitztem Blicke: „Bemüht euch, wie ihr wollt, im Bilde könnt ihr mich haben, lebend nie!" Wer über das Bild nicht orientirt ist, müßte sagen: Botha ist die Hauptperson, alle übrigen bilden seine ergebene Begleitung. — Am unbefangensten in der englischen Suite sieht der Generalstabschef aus. Er scheint zu denken: „Was liegt mir daran? Ich habe eS nicht zu verantworten!" Unter den Boeren befinden sich ein De Wett und De Jager; die beiden anderen sind mir nicht bekannt. Man sollte glauben, daß diese einfachen Menschen in der hohen englischen Gesellschaft einen linkischen Eindruck machen; im Gegentheil, aus dem Blicke jedes Einzelnen kann man Selbstvertrauen lesen, was in den englischen Physiognomien nicht überall zu finden ist. * London, 7. Juni. Unterhaus. Der Staatssekretär des Kriegsrathes Brodrick erklärt auf eine Anfrage, Kitchener habe keine Weisungen erhalten, die ihn daran hindern könnten, Vor schläge der Boeren entgegenzunehmen, er sei aber verpflichtet, alle Vorschläge sofort der britischen Regierung zu übermitteln. Kitchener und die Regierung lehnten es ab, die Frage der Un- abhänigkeit zur Berathung zu stellen. Labouchäre fragt an, ob die Negierung den Boeren dieselbe Art von Unabhängigkeit zu gestehen werde, wie sie sie Canada und Australien ringeräumt habe. Chamberlain erwidert: Sicherlich nicht im gegenwärtigen Augen blick. Brodrick theilt sodann noch mit, daß Lord Kitchener in einem Telegramm daS Gerücht, wonach die Boeren in Vlakfontein zwei Gefangene getödtet Hütten, sür unbegründet erklärt. (Wdhlt.) * Kapstadt, 8. Juni. (Reuter.) Oberst Scobell griff gestern Abend ein Boerenlager nordwestlich von Barkly-East an und machte dabei 20 Gefangene. Er erbeutete außerdem 166 Pferde, sowieVorräthe an Munition und Lebensmitteln. OberstW y n dh a m hat eine Boerenabtheilung in der Nähe vonSteynsburg angegriffen und 22 Gefangene gemacht. * Kapstadt, 8. Juni. (Reuter's Bureau.) Ein Pestsall ist auf dem Kriegsschiffe „Monarch" in Simonslow», ein anderer in Maitland vorgekommen. Die Wirren in China. Heimreise Waldersee'S. AuS Hannover wird den „Berl. N. N." geschrieben: „Nach hier eingegangenen Privatnachrichten wird General-Feld- marschall Gras Waldersee auf seiner Rückreise aus Ostasien den Weg nicht über Amerika nehmen, auch Deutsch-Ostafrika nicht berühren. Graf Waldersee beabsichtigt vielmehr, über Shanghai und Aden ohne weiteren Aufenthalt nach der Heimath zurückzukehren, so daß seinem Eintreffen in Deutsch land jedenfalls vor Mitte August entgegengesehen werden kann." * Berlin, 8. Juni. (Telegramm.) Generalleutnant v. Lessel meldet aus Tientsin: Es ist sestgestellt worden, daß bei den Straßenunruhen hier am letzten Sonntage deutsche Sol daten actio, durch Waffengebrauch, nicht betheiligt gewesen sind. Das Befinden der drei dabei durch Schußwunden Verletzten ist be friedigend. Der durch Blitzschlag entstandene Brand in der Verbotenen Stadt zu Peking hat drei Häuser der kaiserlichen Bibliothek zerstört. * Berlin, 8. Juni. (Telegramm.) Ter ostasiatischen Besatzungsbrigade gehören außer dem Commandeur General major v. Rohrscheidt, bisher Oberst und Führer des 3. ost asiatischen Infanterie-Regiments, als Negimentscommandeure die Obersten Graf Schlippenbach, Freiherr v. Ledebur und Grüber an. Bvm Brand dcS Winterpalastes. Ein Augenzeuge schreibt in einem dem „Schwäbischen Mercur" mitgetheilten Privatbrief über den Brand des Winterpalastes in Peking vom 14. April: Unser Quartier befindet sich ungefähr 200 m von dem des Armee- obercommandoS. Vorgestern Nacht uni 10^4 Uhr wurden wir durch Alarmblasen aus dem Schlafe geweckt. Die Um gebung war bell erleuchtet; ein großartiges, schauerlich schönes Bild bot sich unserem Blicke. Die Gebäude des Obercommandos standen schon in lichten Flammen. Wir eilten sofort mit Spritzen, Eimern und Beilpickcln zum Löschen herbei, aber an letzteres war nicht mehr zu denken, man konnte nur ein Weiterumsichgreifen der Flammen verhindern. Es hieß sofort, General Schwarzboff werde vermißt, er sei nochmals in seine Wohnung gegangen, aber man habe ihn nicht wieder herausgehen sehen. Der Feldmarschall wurde aus dem Fenster seiner Wohnung, dem Asbesthause, geholt und dadurch vielleicht auch vom Feuertod gerettet. Üeber dem Asbesthause befand sich ein großes Strohmatten dach zum Schutze gegen die Sonne, das viel zu der schnellen Verbreitung teö Feuers beitrug. General Scbwarz- hoff machte Abends noch einen Spaziergang im Palast, wobei er 9^ Ubr in unser Quartier kam und den Bäckern unserer Compagnie sagte, sie sollen die Gluth vom Backofen, die sie in den Hof geschüttet hatten, löschen, da dadurch leicht ein Brand entstehen könne. Dann kam er nachher noch an der Hauptwache vorbei und ging dann nach Hause. Der Eingang in sein Zimmer lag dem zum Asbest bause gegenüber uud in nächster Nähe. Man glaubte zuerst, General Schwarzboff sei vielleicht beim Hinausgehen einen andern Weg gegangen, was sich aber leider nicht bestätigte. Er wurde am andern Morgen auf dem Gesichte liegend unter den Trümmern gefunden. Man legte ibn in einen Chinesen sarg und ich half ihn auck wegtragen und nagelte selbst ein Fahnentuch über den einfachen Sarg, der dann nach dem Feld- lazareth 2 übergesührtwurde,von wo er heute Abend wieder hier eintraf. An den übriggebliebenen Kleidungsstücken, die der General auf dem Leibe trug, fand ich oben am Kragen der Litevka noch einen gut erhaltenen Orden, den ich mit meinem Taschenmesser losmachte und an einen Officier abgab. Es war der Rothe Adlerorden mit dem Datum 18. October. Für mich schnitt ich einen Knopf von den kleinen Ueberresten der Hose und Litevka weg zum Andenken. Ferner habe ich ein Stück von dem Griff eines Bambusstockes, den der General immer bei sich fübrte nnd zuletzt in den Händen batte, und noch drei kleine Götzchen aus seinem Zimmer. Sämmtliche Sachen der hohen Osficiere sind verbrannt. Der Feldmarschall rettete noch seinen Feldmarschallstab, aber sonst ist Alles gänzlich verbrannt. Von dem Asbesthausc blieb nur noch eine weiße, schieferartige Asche zurück. Die Franzosen haben sehr fleißig beim Loschen mitgearbeitet unter Leitung ihrer Osficiere. Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. Juni. Der socialdemokratische Abgeordnete von Vollmar hat kürzlich die Behauptung aufgestellt, der preußische Kriegs minister sei nicht Vorgesetzter der ostasiatischen Truppentheile und könne deshalb wegen der „Httnnenbrtrfe" nicht klagbar werden. Auf die Motive, die ven „Genossen" von Vollmar zur Aeußerung dieser Ansicht bestimmten, läßt ein Artikel der „Sächs. Arbeiterztg." über das Thema „Die chinesischen Lorbeern" einiges Licht fallen: In dem angezogenen Artikel des sächsischen SocialistenblatteS heißt es nämlich: „Wir hoffen, daß bald eine sorgfältige und populäre Agitations schrift die Einzelheiten des China-Abenteuers den ent legensten Dörfern bekannt mache. Es ist weder er forderlich, noch erwünscht, die Hunnenthaten, die ja bekannt genug sind, in den Vordergrund zu stellen." — Wenn die socialdemokratische Presse in solcher Art daS „tiefgefühlte" Bedürfniß nach einer Agitations schrift äußerst, so weiß sie bereits, daß die betreffende Flugschrift in der Ausarbeitung begriffen ist. Und wenn in Bezug auf den Inhalt der Flugschrift derartige Direktiven ertheilt werven, so weiß die socialdemokratische Presse, daß der Verfasser der Flugschrift den Direktiven entsprechend sich verhält. Selbstverständlich ist die Angabe, daß die „Hunnenthaten" deswegen nicht in den Vordergrund gerückr werden dürften, weil sie bekannt genug seien, nur vor gespiegelt und bestimmt, den wahren Grund für die nachträgliche Zurückbaltung betreffs der „Hunuenbriefe" zu verschleiern. Der wahre Grund aber ist die Erkenutniß, daß die Verbreitung der „Hunnenbriese" der Socialdemokratie bereits erheblich geschadet hat und noch viel mehr schaden wird, sobald die „Hunnen" auS China nach Deutsch land zurückgekehrt sind. Hören unsere Soldateu hier, welcher Schandthaten sie in den „Hunnenbriefeu* be zichtigt sind, so werden sie es an den nothwendigen Be richtigungen nicht fehlen lassen. Und diese Berichtigungen werden, da unsere Chinakrieger zum großen Theil der Arbeiter bevölkerung angehören, der Socialdemokratie sicherlich nicht Sympathien und Anhänger eintragen. Die gleiche Wirkung wird in ungleich größeren Kreisen die Berurtheilung eine« socialdemokratischen Blattes wegen der ,Hunnenbriefe" haben. Daher ist das Bedürfniß des „Genossen" von Vollmar, Gerichtsverhandlungen wegen der „Hunnen briefe" verhindert zu sehen, sehr begreiflich! — Bei dieser Gelegenheit sei noch mit einem Worte auf die Behauptung radikaler Blätter eingegangen, daß in der Bevölkerung insofern eine große „Cbinamüdigkeit" sich bemerkbar mache, als die Meldung Freiwilliger für die abzulösenden Mann schaften nicht ausreichten. Da neuerdings auf eine Anfrage allein aus dem Beurlaubtenstande 3000 Mann sich zur Ver fügung gestellt haben, kann eS mit der „Chinamüdigkeit." nicht so schlimm bestellt sein. Als die preußischen Minister v. Miquel, v. Hammer stein-Loxten und Brefeld aus ihren Aemtern geschieden waren, verkündeten die Ofsiciösen mit seltener Einmüthigkeit, daß nunmehr die Ursachen ver Zwiespältigkeit im Gesammt- miuisterium beseitigt seien unv daß künftig die Einheitlich keit des „Ministeriums Bülow" glänzend in die Erscheinung treten werde. Ist diese Einheitlichkeit nicht bloS ein Wunsch des Grafen und ziehen jetzt wirklich alle Mitglieder seines Ministeriums an einem Strange, so werden die preußischen Klerikalen bald nichts mehr zu wünschen haben. Keine Woche ist seit der „Umbildung" des preußischen Ministeriums vergangen, ohne daß von einem neuen Entgegenkommen deS CultusministerS Studt gegen klerikale Ansprüche zu be richten gewesen wäre. Von einem abermaligen weiß die „Köln. Volksztg." in ihrer Nr. 497 Folgendes zu melden: „Am 17. März d. I. fand in Bad Ems eine Versammlung von katholischen Männern statt, in welcher Protest ein gelegt wurde gegen die in verschiedenen Zeitungen be sprochene Art und Weise, in welcher zwei protestantische Lehrer in dem deutschen und dem Geschichtsunterricht in der oberen Classe die Gefühle der katholischen Schülerinnen der Emser Simultanschule aufs Tiefste verletzt haben. Auf Grund dieses Vorfalles hat der Herr Cultus- minister eine Verfügung an sämmtliche Regierungen erlassen, wodurch die Volksschullehrer angewiesen werden, im Geschichtsunterrichte nur solche Materien zu behandeln, welche den konfessionellen Minderheiten in keiner Weise Anstoß geben. Die Besprechung aller geschichtlichen Persönlichkeiten (Papst, Luther rc.) soll ausschließlich in den Religions unterricht verlegt werden." „Ohne Zweifel", bemerkt da- Blatt, „wird die Befolgung einer solchen Verfügung zur For»illoton. sei Ein Engel der Finfterniß. Roman von Gertrude Warden. Autorisirte deutsche Uebersetzung von A. BraunS. Nachdruck vrrdcl'«. „Und NUN wollen wir, Du und ich, ein Boot nehmen und ab fahren, Francesca zu suchen. Ich muß bei ihr sein — ich kann nicht länger fern von ihr bleiben. Dies ist mein letzter Abend in England, und ich muß sie sehen und ihr Bild, wie Du sie beschrieben, gleich Kleopatra auf seidenen Polstern im Nachen liegend, mit den Rosen im Gürtel, in der Seele mitnehmen!" „Aber lieber Viktor, es wird fast Nacht sein, ehe wir nach Walton kommen, und in dem Gedränge der Böte werden wir Dudley's Nachen sicher verfehlen. Und obendrein bist Du nicht kräftig genug." „Francesca zu finden bin ich kräftig genug!" rief er un geduldig; und Betty glaubte auf seinen Wangen Fiebergluth und in seinem Auge Fieberdrlirium leuchten zu sehen. „Allons, Betty — willst Du denn nicht mir gehen? Und auf welche Weis: bist Du denn eigentlich von der Regatta zurückgekommen?" „Ich habe mich von Herrn O'Meara zurückrudern lassen. O — und ich habe es vergessen! Ich habe nämlich versprochen, so bald ich gesehen, wie es Dir ginge, hinüber kommen und bei feiner Mutter eine Tasse Ther nehmen zu wollen, «he wir wieder abfahnen." „Wann geh nur gleich und frage den guten O'Meara auch, vb Du mich mitbringen darfst. Liebe Betty, ich besteh« auf mein«m Willrn! Ich muß Francesca sehen, und wenn ich den ganzen Weg schwimmen soll! Und ich bin ein Meisterschwimmer, mußt Du wissen. Ich habe auf der Seine Schwimmprämien ge wonnen und, parolc- ck'dooncrnr, wenn Du mich nicht direkt zu ihr fährst, dann werde ich sie schon auf irgend «ine Weise selbst zu finden wissen!" Auf diese Weise beschworen, willigte Betty, widerstrebend zwar, «in, srtzte ihren Hut auf und eilte üb«r den Anger in der Richtung nach Frau O'Meara's Hause. Kaum hatte die Thür sich hinter ihr geschlofl«n, als Frau Harold s Schelle — ein au ihrem Krankenstuhle angebrachter Schellcnzug — laut ertönte und Josef Welldon, der ihr stets aufwartete, unverzüglich nach oben berief, von wo er nach nur wenigen Augenblicken mit «inem kleinen in Kapier genuckelten .Päckchen und einem Briefchen mjj der Adresse: „An Arrn Viktor Revelsworth" in Francesca's Handschrift zurückkehrte. Der Knabe war fast so bleich wie Viktor selbst, als er beides in die Hände des Letzteren legte, und sein Wesen war ungewöhn lich befangen beim Ausrichten des von Frau Harold ihm ertheil- ten Auftrages. „Frau Harold sagte, Fräulein Revelsworth habe den Brief und das Päckchen für Sie dagelassen mit dem Bemerken, Sie sollten es am Nachmittage zu Ihrer Aufheiterung erhalten, gnädiger Herr!" „Hat sie das gesagt? Wie freundlich, wie gut von ihr! Danke Ihnen, mein lieber Josef! Sehen Sie, hier ist eine funkelnagel neue Krone, hellglänzendes Silber, die sollen Sie haben für die gute Nachricht, die Sie mir gebracht — die soll Ihnen auch Glück bringen!" Der Bursche wurde dunkelroth, als er das Geldstück in Empfang nahm, und blieb einen Moment zögernd in der Thür stehen, als ob er noch etwas sagen möchte, aber sich nicht ge traute. Viktor dagegen, da er mit seinem kostbaren Briefe allein zu sein wünschte, schob ihn lachend hinaus. Josef schlich sich still nach seinem Kämmerchen, und hier schleuderte er Viktor's Geldstück in eine Ecke, wie wenn er sich scheue, es anzu rühren. Dann schlug er die Thür hinter sich zu und warf sich aufs Bett, Kopf und Gesicht tief in die Kissen vergrabend. „Meine Schuld ist es nicht — meine Schuld ist es nicht!" jammerte er in einem fort, wie in Beantwortung einer an klagenden inneren Stimme. „Und ich weiß ja auch nichts für gewiß, ich errathe es ja blos! Ich werde mich einfchlicßen und hier bleiben, daß man mich vergißt, wenn etwas passirt. Aber sie ist keine Frau — sie ist eine Teufelin!" XXIV. Als Betty in Heremon's Begleitung nach Revelsworth House zurückkehrte, Viktor abzuholen, war dieser nirgends zu finden. Ihn suchend, rannte Betty treppauf, treppab, klopfte sogar an Frau Revelsworth's Thür und fragte durchs Schlüsselloch, ob Viktor bei ihr gewesen fei, erhielt aber von der Italienerin eine verminende Antwort. Gedankenvoll begab sich Betty nun wieder nach unten. Seit Betty den Brief von Frau Revelsworth's Korrespon denten io Rom gelesen, hatte sie die Kranke zu besuchen ver mieden, wenn sie nicht aus Höflichkeitsrücksichten absolut dazu gezwungen war, und dann hatte sie ihre Besuche so kurz wie nur möglich eingerichtet. Mit der erlangten Kenntniß, daß dieser Weib, wrx e» auch war, nur FranceSca'S Mutter spielte, hatte sich in Betty's Gemüth ein starkes Mißtrauen gegen das kriechende Wesen und Schmeicheln festgesetzt, und jedesmal, wenn Frau Harold, wie sie genannt wurde, eine Bemerkung an sie richtete oder den stechenden Blick ihrer schwarzen Augen auf sie heftete, überkam sie ein Gefühl von Abscheu. Daher unterließ sie auch jetzt jeden Versuch, in Frau Harold's Zimmer einzutreten, und ging, in verworrenes Sinnen versunken, langsam wieder nach unten. „Hoffentlich — o hoffentlich ist Viktor nicht dort bei dem gräßlichen alten Weibe!" murmelte sie für sich. „Ich kann aber keinem Worte, das sie oder Francesca sagt, mehr Glauben schenken." Weit wahrscheinlicher schien es, daß Viktor, in seinem gegen wärtigen Zustande fieberhafter Ungeduld, auf Betty zu warten, die ein paar Minuten länger von O'Meara aufgehalten worden, müde geworden, sich allein nach Malton aufgemacht hatte. Nachfragen am Themse-Ufer und am Hamptoner Boot hause förderten nur die Thatsache ans Licht, daß jedes Boot requerirt worden, einige >"ch vor ganz kurzer Zeit. Da aber Viktor's Persönlichkeit nicht recht bekannt war, und Betty ihn aus der Beschreibung der verschiedenen Herrren, die während der letzten Stunde Böte gemiethet hatten, nicht zu identificiren ver mochte, so mußte sie schließlich das Suchen nach ihrem Cousin in Verzweiflung aufgeben und Heremon gcstattten, sie nach Malton hinzurudern, wo sie mit Dudley, ehe er Revelsworth House wieder betrat, ein paar Worte zu wechseln wie auch seinen Bruder einzuholen hoffte. Betty sollte jedoch nach jeder Richtung hin Enttäuschungen erfahren. Obschon sie mit größter Schärfe die Insassen jedes vorüberfahrenden Bootes musterte, so konnte sie doch Keinen finden, der die geringste Aehnlichkeit mit Viktor hatte, und ebenso wenig konnte sie im Gedränge der Vergnügungsböte, die sich zum Ansehen der Feuerwerke angesammelt, den flachen Kahn mit Dudley und Francesca herausfinden. Francesca hatte den Tag gründlich genossen. Unter einem Himmel wolkenlosen Sonnenscheins, behaglich auf seidenen Polstern zu liegen, die Blicke von Dutzenden hübscher, junger Engländer in Flanellcostümcn bewundernd auf ihr holdes An gesicht und ihre graziöse Gestalt gerichtet, die durch ihre an- muthige, halb liegende Stellung zu voller Geltung gelangte, hernach zu landen und in einem Hotel am Themseufer üppig zu speisen, die bunte, heiter belebte Scenerie um sich herum, die! leuchtenden Farben der Roben und Schattenspender der be teiligten jungen Mädchen und der Schutzdächer und Kissen, mit denen manche Fahrzeuge geschmückt waren, hier und da den malerischen Effect von schneeweißen, röthlichbraunen und hoch, rothen Segeln gegen das glitzernde Wasser uud die mit Blätter grün eingefaßten Ufer zu beobachten, dem Plätschern der Ruder, dem Schwatzen und Lachen und dem Klingen der Banjos zu lauschen, all Vas war Francesca angenehm, aber am allermeisten trug zu ihrer fröhlichen Stimmung Dudley's Gegenwart bei. Unter ihren halbgeschlossenen Augenlidern hervor beobachtete sie jede rasche, kraftvolle Bewegung seiner athletischen Gestalt beim Handhaben der Kahnstange. Wie schön er ist, dachte sie, wie männlich und kräftig seine Erscheinung, wie völlig unähnlich jenen beiden anderen Männern, die ich zu verschiedenen Zeiten zu lieben wähnt«! Wie hatte sie nur je einen Mann lieben können, der nicht größer war als sie selbst, oder der nicht braunes Lockenhaar hatte und dunkel blaue Augen mit schwarzen Wimpern und breite Kinnladen mit dem Zuge harter Energie!? Jene beiden anderen Gesichter — der italienische Sänger mit den schläfrigen Augen und der olivenfarbigen Haut und der blonde, verweichlichte englische Aristokrat — kamen ihr wieder ins Gedächtniß, nur, um bei dem Vergleich mit dem Mann« vor ihr sofort wieder mit Verachtung fortgewiesen zu werden. Und sie hatten sich so leicht fangen lassen, während dieser Eine gegen sie Stand hielt, die Leidenschaft, die zu schüren sie ihr Möglichstes that, niederkämpfend, seinen Willen drm ihrigen entgegensetzend, und bis jetzt den seinigen behauptet hatte, wenn gleich nicht ohne Mühe. „Er muß aber mein werden!" sprach sie innerlich und blickte mit ihren leuchtenden Augen unter dem buntfarbigen japanischen Schirm hervor zu ihm auf. „Er muß mein werden! Ich lieb« ihn wirtlich! Es wird mir ganz schwach vor Schmachten, meine Arme um seinen schönen, festen Nacken zu schlingen und mich an seine breite Brust zu schmiegen. Und wenn jener kranke, ekelhafte Viktor erst aus dem Wege geräumt ist, wird mein« Aufgabe auch kaum noch Schwierigkeiten bieten!" Dudley dahin zu bringen, sie anders denn nur flüchtig anzu sehen, wenn sie allein waren, war nicht leicht. Er schien viel mehr vorzuziehen, über die Wirkung ihrer Schönheit auf Ander« sich auszusprechcn, als seine eigenen Augen daran zu weiden. Und wie der Tag zur Neige ging, und ihr fortgesetztes Anschauen schließlich sein Auge anzog, hatte er beim Herabblicken auf fir nur ein satirisches Lächeln. „Weshalb lächelst Du?" fragte sie. „An was denkst Du?" „Ich dachte an eine Strophe bei Swinburne, die ganz genau auf Dich paßt. Da sie aber gar nicht schmeichelhaft ist, so thäte ich wohl besser, sie nicht zu citiren." „Von Dir, Dudley, erwarte ich keine Complimcnte. Bitt«, sage mix hie Atrophe!"
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