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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.06.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-06-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010610028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901061002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901061002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-06
- Tag1901-06-10
- Monat1901-06
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Die Erwartungen, die man vielfach an die augenblicklich« po litische Haltung des chinesischen Hofes knüpft, und die Hoffnung, daß er nach den letzten bösen Erfahrungen der Reformpartei wiader «in geneigteres Ohr leihen würde, scheinen getäuscht wer den zu sollen. Kaiser Kwangsü hat dem „Berl, Loc.-Anz." zu folge zu Händen der Gesandtschaften an alle im Ausland« 'weilen den Chinesen «in Edict ergehen l ssen, in dem diese eindringlich vor den neuen Irrlehren, den Lehren des Kang-ju-wei, gewarnt werden. Das Edict dürft« binnen Kurzem von der hiesigen Gesandtschaft veröffentlicht werden. Bekanntlich hat der Kaiser einige Zeit unter dem Einfluß dieses „Häretikers" gestanden, mit dessen Hilfe er sein Reich nach dem von Japan gegebenen Beispiele zu reformiren gedachte. Die nach >den Ideen des Westens geplante Umwälzung war bereits in dieWegc geleitet, als das orthodoxe Chinesenthum unter Führung der Kaiserin-Tante den Gegenschlag führte. Nur mit Mühe hatte der Kaiser seinen Freund vor der Rache der altchinesischen Partei zu schützen und ihm auf die Flucht zu helfen vermocht. Kang-ju-wet entkam nach Hongkong. Da aber ein hoher Preis auf seinen Kopf ausgesetzt und sein Leben dort beständig bedroht war, so brachten ihn die Engländer, unter deren Schutz er sich gestellt hatte, nach Singapore. Daselbst sind zu seiner Sicherheit die strengsten Maßregeln ergriffen. So muß sich Jeder, der ihn zu sprechen wünscht, einer Leibesuntersuchung unterwerfen, ob er auch keine Waffe bei sich führe. Zahlreiche Beweise der Sym pathie sind dem Verbannten aus allen Theilen der Welt von seinen aufgeklärten Landsleuten zugegangen und gehen ihm noch zu, so daß er über reiche Geldmittel verfügt. Dies hat die Herr schaften in Singaniu offenbar mit neuer Besorgniß erfüllt, und ein Ausfluß dieser Besorgniß ist wohl jenes Edict. Ist schon der für einen solchen Erlaß «»wählte Zeitpunct, der doch für China zanz besondere Sorgen birgt, seltsam, so wirft das Edict selbst ein grelles Licht auf die allen Schicksalsschlägen zum Trotz am Hofe herrschende Auffassung der Dinge. Denn der gegen den Reformator und einstigen Freund des Kaisers aufs Neue ge richtete Bannstrahl zeigt, daß die Kaiserin-Regentin und Vie starre altchinesischc Partei nach wie vor das Heft in Händen hat. * Vokobama, 9. Juni. (Reuler's Bureau.) Generalfeldmarfchall Graf Walder see ist gestern Nachmittag an Bord der „Hertha" in Kobe ringetroffen und sogleich an Land gegangen. Auf «ine beglückwünschende Ansprache des Bürgermeister- antwortet« Graf Waldersee in herzlicher Weise. Er nahm sodann im deutschen Consulat Wohnung und reiste heute früh über Kisto nach Tokio weiter. * Vokohama, 9. Juni. (Reuter'S Bureau.) Bezüglich der Unruhen auf der Insel Ouelpart gehen einander widersprechende Gerüchte um. Sicherlich haben aber ernste Kämpfe zwischen christlichen und anderen Eingeborenen stattgefunden. * Peking, 9. Juni. (Reuter'S Bureau.) Li-Hung-Tschang hat eine halbamtliche Depesche erhalten, nach welcher der Hof Ende August nach Peking zurückkehren wird. * London, 10. Juni. (Telegramm.) Die „Morning Post" berichtet au» Shanghai unter dem 9. Juni: Die Gurkha- Truppen, die bisher hier gestanden haben, erhielten Befehl, sich nach dem Norden zu begeben, wodurch die hiesige englische Gar- nison auf zwei Bataillone vermindert wird. — Die Franzosen beabsichtigen, hier eine bleibende Garnison zu halten. Der Krieg iu Südafrika. Frau votha. London, 9. Juni. (Prtvattrlegramm.) Frau Botha, welche in London augekommen ist, verweigert jedes Interview. Sekretär Fischer erklärt die englischen Meldungen von einer Friedens- oder gar Uebergabemission derselben für gänzlich unbegründet- * London, 10. Juni. (Telegramm.) „Daily Mail" zufolge verlautet in Brüssel, daß Frau Botha am 12. Juni den Präsidenten Krüger besuchen werde. „Daily Mail" meldet ferner, daß Frau Bolha in Gesprächen aus der Uebersahrl nach Europa sich voller Bewunderung über Kitchener aussprach als einen gerechten, edlen und gütigen Mann, dessen Versprechungen nie gebrochen worden seien. Englische Lügen. London, 9. Jnni. (Privattelegramm.) Kitchener kabelt dem KriegSamt, daß die letzte Reutermeldung von einer großen Niederlage Beyer's bei Warmbath, bei welcher die Boeren 37 Todte und 100 Gefangene, sowie den ganzen Transport verloren hätten, vollständig unwahr sei. Als die englische Niederlage bei Vlakfontrin bekannt wurde, bemühten sich die verschiedenen Kriegscorrespondenten der Lon- vonerZeitunzen,wie gewöhnlich,durch die Meldung von allerhand Heldenthaten der englischen Truppen und von Schanvthalen der Boeren den schiecktenEindruckabzuschwäcken,welchen dieses Gefecht mit seinen schweren Verlusten im Lande hervorgerufen hatte. Ein besonders eifriger Jingo telegraphirte denn auch an sein Blatt die Schauermär von der kaltblütigen Ermordung eines englischen Officiers und eines Wachtmeisters der Artillerie, die von den Boeren gefangen genommen und aufgefordect wur den (d. h. in der Phantasie des Herrn Kriegscorrespondenten), ihre eigenen Geschütze, mit denen die Boeren angeblich nicht umzu gehen verstanden, gegen die englischen Linien zu richten und zu bedienen. Als diese beiden „Helden" sich entrüstet geweigert hätten, diesen „raffinirt grausamen Befehl" auszuführen, seien sie dann von den Boeren kalten Blutes abgemurkst worden. Dieses läche.rliche Märchen gab einem militärischen Mitgliede des Parlaments, dem Obersten Lee, in der letzten Unterhaus- sttzung Veranlassung, den Kriegsminister um Aufklärung darüber zu bitten, worauf, wie schon kurz telegraphisch gemeldet, Mr. Brodrick unter wüthendem Beifall der Radicalen und Ir länder zugestehen mußte, daß die ganze Sache Schwindel sei. Kitchener habe hierüber telegraphirt, daß an der Meldung kein wahres Wort gewesen sei, und daß er dem betreffenden Kriegs correspondenten hab« zur Rechenschaft ziehen lassen. Ver schiedene liberal« und radikale Parlamentarier ließen die Ge legenheit sich natürlich nicht entgehen, der Regierung die That- fache unter die Nase zu reiben, daß durch solche Meldungen, die doch auf jeden Fall die sonst so unerbittliche militärische Preßcensur in Südafrika zu passiren hätten, die britische Sache in den Augen der ganzen Welt nur lächerlich gemacht würde. Dieser unbequeme Hinweis brachte den Kriegsminister derart in den Harnisch, daß er wiithend aufsprang und der Linken zuschrie, es sei ganz außerordentlich wünschenswerth, wenn auch „die andere Seite" davon abstehen wollte, unrichtig« und erfundene Meldungen in die Welt zu setzen, womit er sich als Minister insofern eine kolossale Blöße gab, als bis dahin nur ganz sach lich über Meldungen von Kriegscorrespondenten und deren eventueller Schädlichkeit gesprochen, worden war, während Herr Brodrick im jugendlichen Feuereifer sich nur als Parteimann fühlte und mit seiner unvorsichtigen Aeußerung natürlich nur die Pro-Boeren treffen wollte. Sofort war denn auch der Mephisto des Hauses, Mr. Labouchöre, bei der Hand und stellte mit cynischem Lächeln an den Kriegsminister die Frage: „Was und wen meint denn eigentlich der sehrehrenwerthe Gentleman mit „die andere Seite"?" — ungeheurer Jubel auf den Bänken der Radicalen und der aufgeregten Irländer bewies, daß La- bouchöre einen Kernschuß gethan hatte, und Herr Brodrick mußte bleichen Antlitzes einsehen, welch' grimmigen Fehler er beging, als er sich hinreißen ließ, die Angelegenheit zu einer Parteifrage umzugestalten, was ibm als Minister der Krone ganz gewiß nicht häkle passiren dürfen. Labouchöre bestand auf eine Antwort auf seine letzte Frage, und diese fiel so elendiglich matt aus, daß die Linke noch einmal Gelegenheit fand, unter beträubendem Lärm sich auf Kosten des Kriegsministers zu amüsiren. „Ich meine natürlich die Boeren"; — das war Alles, was Herr Brodrick in verbissener und verdrieß licher Weise antworten konnte. Und die Herren Tories schauten finster drein und ärgerten sich, daß eine goldene Gelegenheit, den Pro-Boeren etwas am Zeuge zu flicken, auf diese Weise verloren gehen mußte. Der Kriegsminister hatte sich auf Befragen noch über eine fernere, sehr peinliche Sache zu äußern und mußte erklären, daß, so weit seine Informationen reichten, 32 englische Soldaten zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe im Felde verurtheilt worden seien, weil sie aus Poste» geschlafen und dadurch zahlreiche „Malheurs" und böse Verluste verursacht hatten. Lord Kitchener habe nur zwei derartige militärische Verbrecher zum Tode verurtheilt, aber auch diese nachher zum Zuchthaus auf Lebenszeit begnadigt. Diese häßliche Frage gab natürlich ebenfalls zu lebhaften Erörterungen Veranlassung, und im Großen und Ganzen war diese Parlamentssitzung eine der un angenehmsten, für den Kriegsminister, die cr bisher auszuhalten gehabt hat." Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. Juni. Wenn der Reichstag im Herbste wieder Zusammentritt, begrüßen die Mitglieder des Centrnuis und die extrem agrarische» Couservative» einander wahrscheinlich weniger freundlich und vertraulich, als vor der Vertagung. Be kanntlich haben bis in die neuere Heil die Leiter dcS Bundes der Landwirthe in der Hoffnung auf Gegendienste dein Centrum manchen LicbeSvienst erwiesen. Da aber dikse Hoffnung nur theilweise erfüllt worden ist und den Bunvesfübrern überdies die Aussicht winkte, Mitglieder deS rheinischen Bauernvereins aus dem CeulrumSlagcr in daS bündlerische zu locken, so zögerten diese Führer nicht mit dem Versuche, den früheren klerikalen „Freunden" Ab bruch zu tbun uns Anhänger abzugewinnen. Der letzte dieser Versuche wurde bekanntlich in Köln in einer vom Bunde veranstalteten Versammlung gemacht. Begreiflicherweise ist die klerikale Presse über diesen Versuch umsomehr erbittert, je weniger sie leugnen kann, daß er nicht ganz erfolglos gewesen ist. Die „Germania" bezeichnet die Kölner Versammlung als eine offene Kriegsansage gegen den rheinischen Bauernverein und die rheinische EentrumSpartei. Wie die Engländer in Süd afrika über die beiden Boerenrepubliken ihre staatliche Ver waltung ausgedehnt hätten, so habe nunmehr der Bund in einem der öffentlichen Versammlung voranaegangenen „ge heimen Kriezsrath" die Occupation der Nheiuprovinz in allen Theilen beschlossen. Der Bunv wolle ein enges Zusammengehen der gesammten katholischen und evan gelischen Landwirthe, das Monopol und die Alleinherr schaft im Rheinland« und schließlich im ganzen Reiche. Alle Erklärungen aber von den Leitern und Agitatoren des Staates über ein enges Zusammengehen der Landwirthe beiver christlichen Consessionen seien eitel Phrasen und pure Heuchelei, besonders da sie mit besonderer Berech nung gerade in überwiegend katholischen Gegenden aus gesprochen würden. Was davon zu halten sei, sei ja deutlich aus jener Generalversammlung des Bundes im Cirkus Busch zu erkennen gewesen, wo man mit Bezug auf die katholische" Kirche von „dogmatischem Formelkram" und „Murmeln von Gebeten" gesprochen und diese damit geradezu verhöhnt habe. Was die besondere Frage ter Getreidezölle angehe, so müsse daran erinnert werden, baß das Organ des Bundes der Landwirthe unmittel bar vor der Eröffnung der neuen Legislaturperiode von 1898 erklärt habe, der Bund verfüge im neuen Reichstage über eine Mehrheit von 220 Mitgliedern deS Reichstages. Wenn der Bund wirklich darüber zu „verfügen" habe, wozu dann noch seine neuerliche Hetzagilalion? Oder sei auch das nur Schwindel vom Bunde der Landwirthe gewesen? Die „Germania" erinnert weiter daran, baß die „Deutsche Tageszeitung" deS Herrn vr. Oertel eS bisher stets ab- gelebnt habe, „benannte Zahlen" für die Erhöhung der Gctreidezölle als Forderung deS Bundes der Landwirthe anzugeben. Nun sei vaS Rheinland dazu berufen, vom Bunde der Landwirthe ein solches „KukukSei" aufzunehmen, das die Centrale in Berlin im eigenen Neste nicht auszu brüten wage. Ein ehrliches Gemüth könne angesichts solchen heuchlerischen und hinterlistigen Gebahrens sich der Entrüstung nicht enthalten. Zuerst habe die „Deutsche Tageszeitung" geleugnet, baß sie ein Organ des Bundes der Landwirthe sei, sie habe auch entschieden in Abrede gestellt, daß der Bund ein poli tischer Verein sei. Nach alledem hat die „Germania" zu dem gesunden und ehrlichen Sinne der Rheinländer katho lischen Bekenntnisses das Vertrauen, daß der Einbruch des Bundes in die Rhcinprovinz trotz schöner Redensarten mit dem den Rheinländern eigenen offenen Blicke, den die Ostelbier vom Bunde wohl nur vorübergehend hätten trüben können, durchschaut und dementsprechend gehandelt werke. Ueber die Kölner Versammlung wird noch eingefügt, Laß die Vertreter der EentrumSpartei, trotz aller verdeckten und versteckten Angriffe auf "die Centrumspartei und den rhei nischen Bauernverein, sich durchaus ruhig verhalten hätten. Als aber der Aba. Biescnbach und der um die rheinische Landwirlhschaft hochverdiente Pfarrer ReilgerS, sowie BezirkScommissär Scul redeten, seien diese Herren von den Neophyten des Bundes der Landwirthe in bru taler Weise niedergeschrieen, Lurch ununterbrochenen Lärm, Trampeln, Schlußrufe u. a. gestört worden, so daß der Bundcsvorsitzende zeitweise völlig die Herrschaft über die Versammlung verloren habe und seine Freunde in ihrem Radau habe gewähren lassen. Die Berichterstattung der „Deutsch. Tageöztg." hierüber nennt die „Germania" „elende Heuchelei und Lüge!" — Die bündlerischen Blätter werden eS an nicht minder heftigen Entgegnungen nicht fehlen lassen. Die conservativen Protectoren des Bundes, die zugleich Freunde des CentrumS sind, werden eS nun freilich an Beschwichtigungs- und VermittelungSversuchen nicht fehlen lassen. Bei der Natur der Bundesführer einerseits und der Eifersucht der Centrumsführer aus ihren Besitzstand am Rhein wird aber das VermittelungSgeschäft kein leichtes sein. Und gerathen Bündler und Klerikale einander noch mehr in ßdie FerriHetsn. 87i Ein Engel -er Finsterniß. Roman von Gertrude Warden. Autorisiere deutsche Uebersetzung von A. BraunS. Nachdruck verbat«. „Nein —- nein!" rief sie, im Nachen aufspringend, fast ebenso erregt, wie er. „Es ist unmöglich! Dort führt kein Fußweg entlang — eS ist Privateigenthum. WaS thust Du denn?" Der Entsetzensschrei noch nachtönend in seinem Ohr, mühte Dudley sich schon mit Riesenanstrengung ab, die Stelle zu er reichen, von wo der Schrei gekommen schien. Doch die nur unklar gesehene Gestalt war fort und, obgleich er mit dem Nachen dicht am Ufer entlang fuhr, den Namen seines Bruders wiederholt rufend, kam dennoch keine Antwort zurück. „O Dudley", schluchzte Francesca, indem sie mit erbleichtem und schreckverzogenem Angesicht sich zu ihm beugte, „um deS Himmels Willen, bringe mich nach Hause! Ich kann es nicht ertragen — die Erschütterung jenes fürchterlichen Schreie», den Wir zu hören wähnten —" „Zu hören wähnten!?" „Ja — eS war nichts Wirkliche»! Er kam von jenem gräß lichen, rauschenden Dinge, daS in unserem Hause umgeht. Hier war e» — wo sie gefunden wurde — erinnerst Du Dich? — schwimmend im Strome an einem Wintermorgen, kalt und todt. Oh! 2llon visu, wa» ist da»?" „Ich sehe nichts." „Nicht»!? Aber ich sehe e»!" kreischte sie mit jäh aul brechendem hysterischen Lachen. „Da — da — dicht an unserem Boote — daS schwimmende weiße Gesicht! O Ihr Heiligen, beschützt mich! Dudley — Dudley, rette mich! Erbarmt Euch meiner, Ihr Heiligen!" FranceSca war im Boote aufgesprungen und dann in halber Ohnmacht wieder zu seinen Füßen niedergestürzt; ihr Vetter aber hatte in diesem Augenblick weder Auge noch Ohr für sie. Eisiger Schreck hemmte den Pulischlag seines Herzen» und schien seine Hände zu lähmen. Denn sein Blick war dem ihrigen ge folgt, und dort, wo er ihn nicht erreichen konnte, trieb auf dem Flusse mit bleichem Antlitz und angsterfüllten Zügen und in die Nacht emporstarrenden, nichtssehenden Augen der Leichnam seines Bruder». XXV. „Betrübender Unglücksfall bei Molesey", hieß es in den Zeitungen, und „ertrunken gefunden", lautete das Verdict bei der Untersuchung, die nothgedrungen über Viktor Revelsworth's Leiche gehalten werden mußte. Aus Rücksicht auf die Familie war das Verfahren gekürzt und nur pro Lorrna gehalten. Doctor Vernon'S Zeugenaus sage bewies hinlänglich den schwachen Gesundheitszustand und die Nervenschwäche seines entseelten Patienten. Niemand hatte ihn das Haus verlassen sehen, und so wurde angenommen, daß er im Fieberzustande an das Ufer der Themse gewandert, hinein geglitten und, zu schwach, sich selbst zu retten, ertrunken sei. Francesca's Schmerz grenzte in seinen ersten Kundgebungen an Wahnsinn. Ali sie und Dudley Viktor'» schwimmende Leiche erblickt, hatte sie selbst mit Hand angelegt, sie in den Nachen zu heben, und nachdem sie vergeblich versucht, seine erkalteten Hände durch Reiben zu erwärmen, im Uebermaß ihres Wehes sich über seinen leblosen Körper geworfen, und dabei hatte sie es fertig gebracht, während Dudley in thränenloser Verzweiflung auf sie herabblickte, mit seltener Kunstfertigkeit aus der Brusttasche von Viktor's Ueberzieher den ganzen Inhalt herauszunehmen, mit Einschluß eine» zusammengefalteten Briefchens und einer win zigen, juwelenbesetzten Bonbonniere. Diese Gegenstände behielt sie, wahrscheinlich zum ehrenden Andenken an den Tobten, in ihrem Besitz. Betty dagegen legte trotz ihre» weichen Herzens, als sie bei ihrer Heimkehr den schrecklichen Unglücksfall erfuhr, nichts von dem übermäßigen Schmerz an den Tag, wie er Francesca charakterisirte, sie zog nur mechanisch und stumm den fehlenden Schlüssel zu den Zimmern der jungen Herren aus ihrer Kleider tasche. Keine Thräne rollte aus ihren Augen, als eine halbe Stunde später Suse, laut schluchzend, sie in das dunkelbehangene Zimmer führte, in welchem Viktor'» Leiche in dem großen Himmelbette lag, da» bislang seine Echlummerstätte gewesen. Francesca war schon dort, am Bette auf den Knien liegend, eine tragische und würdevolle Erscheinung mit ihrem gesenkten, goldenen Haupt« und drr h«rabwallend«n schwarzen Gewandung. Bei Betty'S Eintreten erhob sie sich und kam ihr mit thränrn- feuchten Augen entgegen. Betty b«bt« jedoch zurück und streckte abwehrend die Hände au», um sie von sich fern zu halten. „Bitte, sprich nicht zu mir und rühre mich nicht an", hauchte sie tonlos, „ich kann'» jetzt nicht ertragen!" E» war nur natürlich, selbstverständlich, daß diese rasch auf einander folgenden Schicksalsschläge ein Mädchen von Betty'» empfindsamer und liebevoller Natur mürbe gemacht hatten; Francesca aber warf ihr, ehe sie ihre malerische knieende Stellung Wieder einnahm, einen durchbohrenden Blick zu. Dudley war in seinem Kummer kaum zugänglicher, als Betty. Seine Liebe zu seinem Stiefbruder war eine fast väterliche gewesen, obgleich nur ein paar Jahre Altersunterschied zwischen ihnen lagen, und fort und fort erinnerte er sich der sonnigen und selbstlosen Sanftmuth von Viktor's Gemüthsart, seiner Offenheit und fröhlichen Laune und seiner zärtlichen Hingebung zu seiner Mutter und zu ihm selbst. Da er seinem inneren Auge nur erschien, wie er früher gewesen, so empfand Dudley in diesem Momente wirklichen Haß gegen Francesca, weil sie zwischen Viktor und ihn getreten und in Viktor's H-rzen solch' unheilvolle Liebe und leidenschaftliches Verlangen entfacht hatte. „Wäre ihm jenes Weib nicht in den Weg gekommen, dann würde er jetzt noch unter den Lebenden weilen", sagte er sich immer und immer wieder. „Doctor Vernon behauptet, er müsse schon mit dem Tode gerungen haben, als er in den Fluß gestürzt, denn sonst würde er sich, da er ein vorzüglicher Schwimmer war, sicher gerettet haben. Mit dem Tode gerungen! Und ich war fern von ihm, ließ mir von der Frau, die er liebte, eine Liebeserklärung machen! Weder mir, noch ihr werde ich es je vergeben können!" Nach der Beisetzung, an einem trüben, feuchten Augustnach mittag, mit HerbsteSnahen schon in der Luft, an dem das RevelSworth'sche Grabgewölbe wieder geöffnet worden, damit Viktor's sterbliche Ueberreste neben denen seiner Tante Margaret ihre Ruhestätte fänden, kehrte Dudley mit tief auf die Brust ge senktem Haupte, gebeugten Schultern und der Empfindung in daS schwarz decorirte Haus zurück, mit seinem Bruder auch seine eigene Jugend begraben zu haben. Die Silberfäden in seinem braunen Lockenhaare hatten sich vervielfältigt während der letztverflossenen Tage fürchterlicher Seelenpein und bildeten einen seltsamen Gegensatz zu seiner jugendfrischen Gesichtsfarbe. Wie ein Alp lag auf ihm der Gedanke, daß daS Schreckliche nun auch noch der kleinen Mutter mitgetheilt werden mußte. Wie aber die schwere Aufgabe lösen? Er hatte ihr bereit» telegraphirt, daß Unwohlsein die Reise seine» Bruder» verzögere. Wie ihr aber die Wahrheit bekennen? Bei ihrem gegenwärtigen, sehr angegriffenen Befinden würde die Mittheilung ihr doppelt gefährlich werden können — denn daß von solch' einem Schlage, wie da» jähe, tragische Ende ihres erst geborenen Sohnes, ihr das Herz brechen würde, fühlte er nur zu sicher. Aber, so viel in seiner Macht stand, wollte er thun, wollte schleunigst selbst nach Frankreich reisen, und mit dem Gatten seiner Stiefmutter berathschlagen, wie ihr die Ent setzenskunde am schonendsten beizubringen sein würde. Sobald er den Fuß in Revelsworths House gesetzt, lenkte er die Schritte sogleich hinauf nach seinem Zimmer. Die Thür aufschließend, trat er in den Raum und suchte nun in ruhelosem Auf- und Abschreiten Erleichterung für seine Empfindungen. Plötzlich wurde er durch ein leises Geräusch aus seinem Grübeln aufgeschreckt, und gewahrte zu seinem Erstaunen, wie eben ein zusammcngefaltetes Briefchen unter der Stubenthür hereingc- schoben wurde. Natürlich ist es eine Zuschrift von Francesca, dachte er mit einem sofort aufsteigenden Gefühl von Gereiztheit, wie cs jetzt stets der Fall war, wenn er an seine Cousine dachte, die er aber seit dem Tode seines Bruders selbst kaum gesehen und ge sprochen hatte. Absichtlich hatte er sie gemieden, hatte seine nur seltenen Mahlzeiten im Hause des Doctors Vernon eingenommen, der den stummen Seelenschmerz des jungen Mannes erkannte und mitfühlte. Und da er jetzt allein zu Hause war, seine Frau eben im Seebade weilte, hatte er darauf bestanden, daß Herr Dudley Rcvelsworth bei ihm logirte. Nun aber war Dudley nach Rcvelsworth House zurückgekehrt und muhte auch nach seiner Rückkehr von Frankreich die alte Lebensweise in Hampton Court wieder aufnehmen — mußte der Frau gegenübertreten, die im Gemüthe seinesBruders solche Zerrüttung angerichtct, deren Schönheit dessen Vernichtung ge worden; mußte sich bestreben, die kleine treue Betty zu trösten, die sich stark gemacht, den Verblichenen noch mit zart ehrenden Händen mit Blumen zu schmücken, und deren Lippen auch die letzten gewesen, die den bedauernden Abschiedskuß auf Viktor s eisige Stirn gepreßt. In seinem gegenwärtigen Zustande nervöser Niedergeschlagen heit wünschte er nichts lebhafter, als Betty mitnehmen zu können nach Frankreich, Viktor's Mutter das Schwere mitzu- theilen. Betty war so taktvoll und so herzensgut. Sie wußte stets, was sagen und was ungesagt lassen. Sie war der patitei möro so ähnlich, und die Beiden würden solch' gute Freundinnen werden. In diese Vorstellungen vertieft, bückte er sich, wie halb unbewußt das Briefchen ausnehmend und war, es öffnend, nicht wenig überrascht, daß es von Betty, mit der seine Seele sich eben beschäftigt, selbst kam. Sie schrieb: „Lieber Dudley! Ich bin überzeugt, daß Du baldigst nach Frankreich reisen wirst, seiner Mutter die Trauernachricht mündlich kund zu thun, denn schriftlich würde sie schroffer, härter klingen. Vor Deiner Abreise muß ich Dich jedoch unter vier Augen sprechen und „nicht in diesem Hause" — die Worte waren dick unterstrichen — „ich habe Dir sehr viel zu sagen,
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