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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.06.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-06-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010611029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901061102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901061102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-06
- Tag1901-06-11
- Monat1901-06
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Dienstag den 11. Juni 1901. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile L5 H. Reklamen unter dem RedactionSslrich (4 gespalten) 7S vor den Familiennach» richten («gespalten) SO H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderung 60—, mit Postbrsörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeige«: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je rin« halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbroche» geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag voa E. Polz in Leipzig. 85. Jahrgang. Die Wirren in China. Graf Waldersee. Bezüglich der Rückreise des Grafen Waldersee, deS bis herigen Obercommandirenden der verbündeten Armeen in China, nach Deutschland, wird der „Post" jetzt bestätigt, daß der Feldmarschall auf der Herreise dieselbe Route innehalten wird, wie auf der Ausreise nach Ostasten. Er wird also nicht, wie eS erst hieß, den Weg über Amerika nehmen oder Deutsch.Ostafrika berühren, vielmehr auf direktem Wege über Schanghai und Aden nach der Heimath zurückkehren. Frau Gräfin Waldersee wird ihrem Gemahl entgegenreisen und zwar beabsichtigt das gräfliche Paar in einem italienischen Hafen, vermuthlich in Messina zur Begrüßung zusammen zutreffen, um alsdann die Wciterfabrt gemeinsam fortzusetzen. Unmittelbar nach seiner Ankunft in Deutschland, welche gegen den 20. August d. I. zu erwarten steht, wird Graf Waldersee, zur Stärkung seiner durch die Strapazen in Ostasien angegriffenen Gesundheit in Homburg v. d. H. einen mehrwöchigen Cur- aufenthalt nehmen, zu welchem Behufe seine Gemahlin im dortigen Grand-Hotel bereits mehrere Zimmer gemiethet hat. Erst nach Beendigung dieser Cur wird der Feldmarschall in Begleitung seiner Gemahlin nach Hannover, seinem ständigen Wohnsitz, zurückkehren und sich unmittelbar hierauf bei dem Kaiser zur Audienz melden. Wie übrigens verlautet, wird der Feldmarschall beim Betreten des deutschen Bodens im Auftrage des Kaisers durch eine besondere Abordnung be grüßt werden. * Aokohaml», 10. Juni. (Reuter's Bureau.) Feldmarschall Graf Waldersee ist heute morgen in Tokio angekommen. * Berlin, 10. Juni. Generalleutnant v. Lessel ist in Tientsin auf der „Palatia" mit der Marineinfanterie am 2. Juni, die „Alsia" mit einer Batterie am 6. Juni in Tientsin in See gegangen. (Wiederholt.) " London, 10. Juni. (Unterhaus.) Auf eine Anfrage wegen deS Vorfalles in der Takustraße in Tientsin erwidert Lord Hamilton, nach den telegraphischen Berichten des Generals Gaselee seien die englischen Polizeisoldaten mit lobenswerther Mäßigung vorgegangen und hätten von der Schußwaffe erst Gebrauch gemacht, als sie zur eignen Vertheidigung dazu genöthigt gewesen seien. Die deutsche Polizei habe die englische unterstützt und siir die Entfernung der am Thatorte anwesenden deutschen Soldaten gesorgt. Auch von den Japanern sei der englischen Polizei thatkrästige Unterstützung geworden. Aus eine weitere Anfrage wegen eines angeblich statt- gehabten zweiten derartigen Vorfalles erwidert Hamilton, er habe an Gaselee telegraphirt und ihn um Auskunft ersucht, ob sich das Gerücht bewahrheite. (Wdrhlt.) * London, 10. Juni. (Unterhaus.) Herbert Roberts fragt, ob der Regierung bekannt sei, daß der General-Directorder Hamb urg- Amerika-Linie erklärt habe, daß diese Linie gemeinsam mit dem Norddeutschen Lloyd die Einrichtung eines Dampfschiff- diensteS auf dem Vangtse-Fluß, soweit dieser schiffbar sei, beabsichtige, und daß erstere Gesellschaft einen regelmäßigen Dienst zwischen Tsingtau, Tschifu und Tientsin eingerichtet habe. Roberts fragt weiter, ob die Regierung alle Maßnahmen treffe, nm die gegenwärtige, vorherrschende Stellung Englands in jenen Gegenden zu sichern. Untcrstaatssekretär deS Aeußeren Eranborne erwidert, was den ersten Theil der Frage betreffe, sei der Regierung nichts zur Kenntniß gekommen. Wegen der Aufrechterhaltung der Handelsstellung Englands in den genannten Gegenden, wie überall sonst, müsse England sich auf die Unternehmungslust und die That- kraft seiner Kaufleute verlassen, die Regierung werde aber Alles, was in ihrer Macht stehe, thun, den Kaufleuten günstige Gelegen heit zu sichern, soweit die allgemeinen Grundsätze der englischen Finanzpolitik es gestatten. Der Krieg in Südafrika. Aron Botha in London. Frau Botha ist in London begreiflicher Weise ein Gegenstand des höchsten Interesses, doch wird der Schleier ihrer Mission nicht gelüftet. So viel dringt aber aus ihrer Umgebung doch in die Oeffentlichkeit, daß ihre Aufgabe nicht darin besteht, Frieden für die Boeren um jeden Preis zu erlangen, obwohl ein Theil der englischen Zeitungen noch immer an diesem Phantom hängt. Dem „Berl. Loc.-Anz." wird noch gemeldet: * London, 10. Juni. Mrs. Botha's Ankunft giebt trotz all ihrer posititven Weigerungen, etwas über ihre angebliche Mis sion zu sagen, den englischen Blättern Anlaß, Spalten mit Ser alten Fiction zu füllen, daß sie im Auftrage Botha's um Frieden bitten wolle. Es heißt, sie wolle erst zu Krüger gehen, um ihn friedlicher zu stimmen; wenn dies nicht gelänge, da Krüger den Botha-Leuten abhold sei, würden diese auf eigene Faust Frieden schließen. Dagegen erklärt man in der Umgebung Mrs. Botha's, daß die Boeren nicht an Frieden denken und bis auf den letzten Mann kämpfen werden, da sich die englische Regierung bei den letzten Friedensverhandlungen zwischen Botha und Kitchener eines Treubruchs schuldig machte! In Middelburg waren gewisse Bedingungen zwischen Botha und Kitchener positiv arrangirt, welche den Boeren annehmbar erschienen, der Frieden galt als abgeschlossen; da kam auf Chamderlain's Eingreifen ein« neue, vollkommen anders und viel härter gefaßte Mittheilung von Kitchener, welche die Boeren zu dem Entschluß trieb, lieber, als sich dem Treübruch zu unterwerfen, bis zum Aeußersten zu kämpfen. Danach denkt Botha nicht daran, abermals um Frieden zu bitten. Frau Botha, eine hohe schlanke Dame von distinguir- ter, anziehender Erscheinung, verweilt seit Sonnabend mit ihrem dreijährigen Söhnchen in einem hiesigen Hotel; sie wird von auf dringlichen Interviewern überlaufen, empfängt aber Niemand, dagegen freute es sie sehr, zahlreiche 'Sympathiebezeugungen von unbekannten englischen Damen zu erhalten. Der die Frau Botha begleitende Herr Fischer, Sohn des früheren Chefs der Freistaaten-Executive, welcher als Kriegs gefangener auf Parole mit Kitchener's Erlaubniß mitreiste, er klärte einem Vertreter des Dubliner „Freemanns Journal" gegenüber: Die Meldungen der Cap-Zeitungen über Frau Botha's Absichten seien sämmtlich falsch. Sie sei seit einiger Zeit in Pretoria sehr 'leidend gewesen und gehe zum Besuch zu Freun den in Europa; auf dem Schiffe verhielt sich Frau Botha streng exclusiv und würdevoll. Sie lehnte cs ab, selbst persönlich Be kannte zu sprechen und saß abseits mit Herrn Fischer, mit dem sie allein sprach. Ihr zarter Gesundheitszustand machte die Vermeidung aller aufregenden Gesprächsthemen nöthig. Fischer erklärte ferner: der Krieg wird fortgehen, so lange die Boeren noch eine Patrone haben, und dies würde der Fall sein, so lange die Engländer Munition haben. Augenblicklich kämpften die Boeren noch im ganzen Freistaat, Transvaal und im Capcolonte- gebiet. Reue FricdenSvcrhandlungen? Der „Standard" berichtet aus Durban, es seien wich tige Verhandlungen Mischen den Boerenführern und Lord Kitchener im Gange. Dem niederländischen Konsul sei es von Lord Kitchener ermöglicht worden, sich mit General Smuts und mik dem Privatseiretär Botha's, De Wet, zu besprechen. Der Telegraph sei ihnen zur Ver fügung gestellt worden, um offen mit Krüger verkehren zu können. Die Boerenführer seien jetzt in Standerton und warteten die Antwort Krüger's ab. Politische Tagesschau. * Leipzig, 11. Juni. Aus den Kreisen des deutschen Ostmarkenvereins wird uns geschrieben: Die klerikale „Köln. Volksztg." hat als Anwalt deS PolenthumS einen gehörigen Schritt vor wärts gemacht: sie spricht den preußischen Staats angehörigen polnischer Zunge dasselbe Recht auf Revolution zu, das die Schleswig-Holsteiner im Jahre 1848 gegenüber Dänemark batten. In An knüpfung nämlicb an Ausführungen deS baltischen Schrift stellers Bergengrün, der die Loyalität der Balten gegen Rußland mik den polnischen Insurrektionen verglichen bat, schreibt das Polcnblatt am Rhein: „Nun wissen wir zwar nicht, ob Bergengrün auch den Anfstand der Schlesweg- Holsteiner von 1848 gegen die Dänen verurtkeilt; jedenfalls liegt in der Enthaltsamkeit der Balten von Revolutionen kein großes Verdienst, denn sie konnten ja einfach nicht." — Den vorstehenden Sätzen ist zunächst zu entnehmen, daß die „Köln. VolkSztg." den oben erwähnten Schritt ziemlich unver blümt thut, ohne zu bedenken, daß sie mit der Anspielung auf die sckleswig-holsteinsche Erhebung von 1848, von der Gegen überstellung als solcher ganz abgesehen, den größten Mißgriff begangen hat. Im Jahre 1848 ist bekanntlich der König von Dänemark durch eine revolutionäre Bewegung in Kopen hagen gezwungen worden, unter einem ungeheuerlichen Recktsbruche die Einverleibung des Herzogtums Schleswig in Dänemark auszusprechen. Deshalb bildete sich in Schleswig-Holstein eine provisorische Landesregierung, deshalb kam eS zu der Losung, daß Schleswig- Holstein von Dänemark getrennt werden müsse, des halb eilten preußische und andere deutsche Bundestrnppen den Herzogtbümern zu Hilfe. Die Erhebung Schleswig- Holsteins unter den Auspicien des Deutschen Bundes war also die Antwort auf einen Nechtsbruch, zu dem der König von Dänemark von revolutionären Geistern sich hatte ver leiten lassen. Wenn die „Kölnische Volkszeitung" jene schleswig-holsteinische Erhebung auf eine Stufe mit den polnischen Jnsurreclionen stellt, dann bleibt ihr für die Förderung der national - polnischen Propaganda kaum noch mehr zu thun übrig, als die Aufforderung an die Polen, daS Beispiel Schleswig-Holsteins von 1848 nachzuabmen. Was die zweite oben erwähnte Auslassung der „Köln. Volksztg." anbetrifft, daß in der Enthaltsamkeit der Balten von Revolution kein großes Verdienst liege, weil sie „einfach nicht konnten", so zeugt sie von wenig historischem Sinn. Wie einst der mit der schwedischen Herrschaft un zufriedene Livländer Patkul im Jahre 1699 ein Bündniß zwischen Rußland, Polen und Dänemark vermittelt hat, so würden die Balten unter der russischen Herrschaft öfter Gelegenheit zum Aufruhr gehabt haben. Es sei nur an das Jahr 1806 erinnert, als die russischen Polen im Vertrauen auf Napoleon I. abfielen. Die „Köln. Volksztg." schließt aus dem Ueberwiegen der Esthen und Letten in den baltischen Provinzen, daß die Balten einen Aufruhr nicht ins Werk zu setzen vermöchten. Aber ab gesehen von den Möglichkeiten, auf dir das Beispiel Patkul's einen Ausblick eröffnet, würden die Esthen und Letten ihren baltischen Herren, falls Letztere gegen Rußland sich empört hätten, zweifellos ebenso gehorcht haben, wie sie ihnen in allen anderen Stücken gehorchten. Der Versuch der „Köln. Volksztg.", die Bedeutung der Loyalität der Balten herab- zusetzen, ist mithin nicht weniger verfehlt, als die Verleihung deS Rechts auf Revolution an die Polen durch die „Köln. Volksztg." bezeichnend für unsere klerikalen Polenfreunde ist, die trotzdem nicht nur als festeste Stützen des Reichs und Preußens gelten wollen, sondern auch an maßgebender Stelle wirklich gelten. Die ultramontane „Köln. VolkSztz." hatte bekanntlich unlängst triumphirend berichtet, der preußische Cultus- minister hätte in Folge eines Protestes katholischer Männer in Ems gegen die die Gefühle der katholischen Schülerinnen verletzenden Art des Geschichtsunterrichtes in der dortigen Simultanschule an sämmtliche Regierungen eine Verfügung erlassen, durch welche die Volksschullehrer angewiesen würden, im Geschichtsunterricht nur solche Materien zu behandeln, die den konfessionellen Minderheiten in keiner Weise Anstoß gäben. Die Be sprechung aller geschichtlichen Persönlichkeiten (Päpste, Luther) solle ausschließlich in den Religionsunterricht gelegt werden. Die „Köln. Ztg." ist nun, wie telegraphisch bereits berichtet worden ist, in der Lage, die an die königl. Regierung zu Wiesbaden gerichtete und den übrigen Regierungen zur Kenntniß und Nachachtung mitgetheilte Verfügung im Wortlaute mitzutheilen. Sie lautet: Mit der Beurtheilung und Behandlung des Vorganges in der Schule zu Ems bin ich einverstanden. Auch ich bedaure, daß dort die confessionelle Minderheit über einen Mangel an Schonung ihres religiösen Gefühls zu klagen Anlaß gehabt hat. Legen an und sür sich das Gebot der Duldsamkeit und das staatliche Interesse an einem freundlichen und friedlichen Zusammenleben der Angehörigen der verschiedenen Consessionen jeder Schule die Pflicht auf, im Unterrichte Alles zu vermeiden, was die Gegensätze erweitert, und Alles zu pflegen, was das unbefangene Zusammenleben zu fördern geeignet ist, so muß die Rücksichtnahme auf den Standpunct anderer Glaubensgemein, schäften besonders da sorgsam beachtet werden, wo Kinder ver- jchiedener Confessionen den Unterricht gemeinsam empfangen. Es gilt das nicht nur sür paritätische Schulen, sondern ebenso für Confesfionsschulen, in denen sich eine, wenn auch kleine Minderheit von Kindern anderer Confessionen befindet. Soweit die Behand lung der Unterscheidungslehre« im Unterricht nothwen« dig ist, gehört sie in den Religionsunterricht. Aber auch dieser darf die Rücksichtnahme auf das religiöse Bewußtsein der Anders- gläubigen niemals außer Acht lassen. Darin sind alle Confessionen einig, und die Erziehung in der Schule muß diese Erkenatniß wachhalten und fördern, daß es nicht an weiten Gebieten fehlt, auf denen Len Angehörigen verschiedener Confessionen rin gemeinsames Wirken möglich und Pflicht ist, jowie daß viel Gutes und Schönes unentwickelt bleiben und das Staatswohl gefährdet werden müßte, wenn die Erziehung der Jugend nicht pflegte, was uns eint, sondern vertiefte, was unser Volk auf religiösem Gebiete trennt. Ich vertraue, Laß die königliche Regierung den betheiligten Kreisen, Feuilletsn. 28) Ein Engel -er Finfterniß. Roman von Gertrude Warden. Autorisirte deutsche Uebersetzung von A. BraunS. Nachdruck verdctm. iXXVI. „Ich werde nicht nach Frankreich reisen; bemühe Dich nicht, mich zu überreden. Ich kann Dich nicht unbeschützt hier zurück lassen. Vor allen Dingen bitte ich Dich, gieb Dir den Anschein, gegen Jedermann freundlich gesinnt zu sein." Dies war die räthselhafte Botschaft, die, mit Bleistift auf einen Papierstreifen gekritzelt, vor dem Diner unter Betty s Zimmerthür hineingeschoben worden. Dudley erschien wieder bei Tisch, und Francesca erschrak heftig über sein verändertes Aussehen. Er sah aus wie ein Mann von 38 Jahren oder noch älter, und in seinen Augen lag ein Ausdruck, wie wenn er sich im Wesen großen Zwang auferlege. Sein Benehmen zu Francesca war zart und freundlich, fast zärtlich, während er Betty kaum zu bemerken schien, so daß Letztere gar nicht umhin konnte, sich ein bischen verletzt zu fühlen, bis sie sich seiner vor Kurzem gethanen Aeußerungen erinnerte: Du darfst nicht fragen, Dich nicht einmal wundern, welchen Weg im Benehmen Du mich auch wirst einschlagen sehen. — So mild schien der junge Mann inmitten seines eigenen Schmerzes gegen Andere gesinnt, daß er sogar bei Frau Harold anfragen ließ, ob sie ihn empfangen wolle, und sich nach empfangener Zusage von Francesca in das schwüle, knoblauch- durchdustete Gemach, in welchem sie ihre Tage und Nächte zubrachte, hinaufgeleiten ließ. Die alte Jtanenerin war überschwenglich in ihren Beileids äußerungen. „Es wundert mich gar nicht, daß Sie mich aufsuchen, mein lieber Dudley!" hauchte sie, sich in ihrem Krankenstuhle nach vorn beugend und ihre schwarzen Augen fest auf sein Angesicht heftend. „In Leid und Kummer erkennen wir — die innere Stimme sagt es uns — wo Jene sind, die gleichfalls gelitten haben und die mit uni fühlen. Vor elf Jahren, als mein geliebter Gattte mir entrissen ward, da fühlte ich in derselben Weise, wie Sie jetzt. Ich vergötterte ihn, und der Himmel strafte mich für meine Abgötterei. Aber ich glaube — hoffe es, daß die langen Jahre meine» in Ergebung getragenen Wehes und hilflosen Leidens vermittelnd für mich eingetreten sind, und daß meine Sünde mir vergeben ist." „Das will ich gleichfalls hoffen", erwiderte Dudley. „Und es ist Ihnen ein großer Segen geschenkt in Ihrer Tochter." Francesca war eben mit dem Ordnen von Blumen in eine Vase auf dem Kaminsims beschäftigt, dreht sich aber bei seiner Aeußerung rasch um und sah ihn scharf an. Er saß Frau Harold gegenüber, sie unverwandt anblickend, wenn auch mit be trübter, so doch nicht unfreundlicher Miene. „Sie ist Alles, wofür ich noch lebe", sagte die alte Frau einfach. „Was soll aber werden, wenn Sie sie verlieren? Sie ist so schön und anziehend und echt weiblich, daß Sie unmöglich von ihr wünschen können. Ihnen ihr ganzes Lebendasein zu opfern?" Die schwarzen Augen irrten ruhelos im Zimmer umher, und die knochigen, krallenartigen Finger zuckten nervös. „Meine Tochter hat mir erzählt, Sie hätten ihre traurige Geschichte gehört und erfahren, daß sie Wittwe ist, sagte sie hastig. „Ihre Ehe war sehr unglücklich — nach einer zweiten derartigen Erfahrung trägt sie kein Verlangen!" „In der Thal nicht!" stimmte er in herzlichem Tone bei. „Sie ist jetzt aber älter und wird gewiß eine weisere Wahl treffen. Und sie hat, so ich mich nicht sehr irre, bereits gewählt." Urplötzlich legte sich eine Hand auf seine Lippen. Francesca war hinter seinen Stuhl geschlichen und hinderte ihn am Weiter sprechen. „Mutter ist heute Abend nicht ganz wohl", sagte sie, „und sie darf durch Sprechen nicht noch mehr aufgeregt werden. Und auch für Dich, Dudley, ist eS ein schwerer Tag gewesen, der Dich sehr mitgenommen hat. Bei Tische hast Du fast gar nichts ge nossen und Du bist gar nicht Drin sonstiges Selbst. Komm' mit nach unten!" Sie sagte es in herrischem Tone und legte ihr« Hand fest auf seinen Arm. Ihm kaum so viel Zeit lassend, ihrer Mutter gute Nacht zu wünschen, führte sie ihn schleunig au» dem Gemache. Draußen auf dem Corridor blieb sie stehen unv blickte ihm, beide Hände auf sein« Schultern gelegt, fest ins Angesicht. „Dudley, mein Liebling", flüsterte sie, „wenn Du mich liebst wie ich Dich lieb«, dann äußere in Gegenwart meiner Mutter nichts über unsere Herzensangelegenheit! Sie betet mich an und ist eifersüchtig — ganz natürlich!" „Aber wenn Du mein Weib wirst", erwiderte Dudley und umspannte ihre Hände so fest, daß «» ihr Schmerz verursachte, „dann muß sie es doch erfahren!" Ein liebliches Roth breitete sich über ihr Antlitz und den schneeigen Hals, doch tadelnd schüttelt« sie mit dem Kopfe. „Ist es jetzt eine Zeit, in der man von Freien und Gefreit werden spricht?" fragte sie. „Heut erst ist unser armer theurer Viktor beerdigt worden!" „Er ist aber todt!" rief Dudley. „Und die Todten plaudern nichts aus, weißt-Du doch! roi est mort, vivo le roi!" Francesca sah zu ihm auf, beunruhigt durch den barschen Klang seiner Stimme. Es lag in seinem Gesicht ein Ausdruck, den sie nie zuvor darauf gesehen und der ihr völlig unverständlich war. Aber die sich steigernde Härte seiner Züge zog sie an, statt sie abzustoßen, und mit Zärtlichkeit schmiegte sie sich an ihn, ihr Antlitz zu dem seinigen erhebend, in der Hoffnung, er werde sie küssen. Er küßte sie aber nicht, hielt sie vielmehr «in Stückchen von sich ab und schaute ihr unverwandt in die Augen. „Hoffentlich wird Dir das Glück in dem Maße zu theil wer den, wie Du es verdienst!" sprach er, unv mit diesem Abschietzs worte ließ er sie stehen und schloß sich in sein Zimmer ein. Lange nachher jedoch, als schon alle übrigen Hausgenossen sich zur Ruhe begeben, stahl er sich, noch völlig angekleidet, aus seinem Zimmer und huschte hinunter in daS Billardzimmer. Hier zündete er die Hängelampe an und verweilte mehrere Stun den in dem Raume, vertieft in das Studium einiger Folianten, die er von den staubigen Bücherbrettern herabgenommen. Daß er in der Nacht nach seines Bruders Begräbniß nicht im Stande war, zu schlafen, war nur natürlich. Aber die Wahl seiner Lektüre mußte allerdings als eine recht seltsame erscheinen. Denn die vier Bücher, mit welchen er sich bis zum Tagesanbruch beschäftigte, waren eine Encyklopädie, ein französischer Band be rühmter Rechtsfälle, ein Londoner Adreßkalender und ein Adels register der vereinigten Königreiche. Eh« der Monat August zu Ende war, wurde es Allen im Hause klar, daß bei der Theilung zu Johanni des nächsten JahreS das Desitzthum an ein Ehepaar und nicht an einen einzelnen Herrn und eine einzelne Frau übergehen werde. Dudley's Art zu werben war eine mehr als sonderbare. Nur sehr wenig Zeit verbrachte er in Francesca's Gesellschaft, da er sich fast immer von Hampton-Eourt fern hielt und entweder mit dem letzen Abend- oder dem ersten Morgenzuge nach dort zurück- kehrte; nie jedoch kam er mit leeren Händen heim. Blumen, Bücher, Schmucksachen, Schärpen und Umhänge, werthvolles Porzellan und reizend« Kuriositäten — solch- und ähnliche Ge schenke waren «I, womit er Francesca überschüttete. An Liebkosungen ließ er e» dagegen gänzlich fehl«». „Ich kann Dich nicht küssen, meine theuere FranceSca, bis ich zu vergessen vermag, wie sehr mein Bruder Dich liebte", lautete seine Ausrede, wenn sie ihm Vorwürfe machte über sein: Kälte. „Ich kann mir selbst nicht trauen, wenn ich mich von meinen Gefühlen meistern lasse. Wir werven ja aber sehr balv oerheirathet sein, natürlich dann —" „Oh, das gräßliche Wort „oerheirathet"!" rief Francesca, und wich einen Schritt von ihm zurück. „Dir Heiralh — Ehe — muß für mein Gemüth stets das Grab der Liebe werden! Und warum, Duvley, Geliebter, warum sprichst Du, trotz meiner wiederholten Warnungen, vor meiner Mutter und auch vor den Dienstleuten von unserer bevorstehenden Lrrheirathung? Erst gestern noch, vor dem Burschen Josef —" „Was schadet «s denn, wenn man es hört", fragte er mit Schärfe, „da es doch bald eine vollendete Thatsache sein wird?" „Nur, wenn Du in meine Bedingungen willigst!" erklärte sie mit gedämpfter Stimme und unter jähem Erbleichen. „Wir müssen mit verschiedenen Zügen abfahren, unS erst in London treffen und durch Speciallicenz in jener kleinen, völlig abgelege nen alten Citykirche, von der ich Dir gesagt, trauen lassen. Dann reisen wir sogleich hinunter nach Southampton, wo wir unser: Jacht finden —" „Wegen deren Ankauf ich jüngst so viele Zeit im London ver bracht habe", fiel er ihr mit ruhigem Lächeln ins Wort. „Und dann — dann endlich", jubelte sie leidenschaftlich, schlang ihre weißen Arme um seinen Nacken unv hob ihr lieb reizendes Gesicht zu dem seinigen, „werden wir allein beisammen sein und ich werd« ganz Dir gehören, da Du unsere Vereinigung in keiner anderen Weise von mir arrangirt haben willst!" „Ja", gab Dudley bedächtig zurück, während «in eigenthüm- sicher Strahl in seinem Auge aufzuckte — „Du wirst gaoz mir gehören!" In den ersten Tagen des September gab Dudley seine Ab sicht bekannt, seiner Stiefmutter den lange aufgeschobenen Besuch abzustatten. Di« Nachricht von dem Tode feines BrudrrS hat» er Doctor Gillers brieflich mitgetheilt und dieser hatte sie seiner Frau auf das Schonenvste kundgegeben. „Das Schreckliche hat sie sehr ergriffen «ad mitgenommen", erzählte Duvley Betty, als sic zusammen beim Frühstück saßen, da Francesca gerade bei dieser besonderen Gelegenheit d« Zeik verschlafen hatte, „und ich muß sie sprechen. Uebrrvie» habe ich in Frankreich noch andere Geschäfte abzuthun." „Hoffentlich wird die Veränderung gut auf Dich wirken!" meinte Betty. „Du siehst aufgerieben und müde au». Glaubst Du, daß da« späte Schlafengehen, wie Du e» in jüngster Zeil gehalten, Dir zuträglich ist?" Sie sagte es schüchtern und wagte auch kaum, de, Blick zu ihm zu erheben. Es war das erste Mal, daß sie sich in den 18 Tagen, die feit Viktor'« Begräbniß verflossen, allein befanden Es waren für Betty bittere Prüfungstaz« gewesen. Falschs
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