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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.06.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-06-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010612013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901061201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901061201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-06
- Tag1901-06-12
- Monat1901-06
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Ämlsvlatt -es Äönigtichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Vottzei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. 29t. Mittwoch den 12. Juni 1901. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redacnon-strich (4 gespalten) 7» vor den Familieunach- richten («gespalten) 50 Lj. Tabellarischer und Zisternsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offerteuannahme 25 H (excl. Porto). Grtra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbesörderuug 60.—, mit Postbesörderuug 70.—. Ännahmeschluß für Äuzeigen: Abend-Au-gabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Au-gabe: Nachmittag- 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestelle» je eine halbe Stunde früher. Anzeigen fiud stet- an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abends 7 Uhr- - Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 95. Jahrgang. Im Zeitalter der Höflichkeit. Nachdem der General Bvnnal Deutschland ver lassen hat, fühlen sich auch die clii minorium gentium berufen, die Trefflichkeit der Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich durch Höflichkeitsbezeigungen zu beweisen. Wie der „Figaro" bervorh-bt, bat der Stationsvorsteher-Stellvertreter von Köln seinem College» von der Nordbahn in Paris seine Aufwartung ge macht und ist mit großer Artigkeit empfangen worden. Die Franzosen ihrerseits haben den Präsidenten de- französischen Feuerwehrverbandes, Herrn GueSnet, zu dem Feuerwehrcongreß nach Berlin entsandt, und dieser un erschrockene Mann hat sogar ein Hoch auf den deutschen Kaiser über sein patriotisches Herz gebracht. Dem Manne von plebejischer Herkunft werden Ende dieses Monat- nahe an 100 sehr aristokratische Herren aus Frankreich folgen, nämlich die französischen Automobilisten, die sich mit ihren deutschen Sportgenossen in Berlin ein Stelldichein geben. Wieder einige Monate später wird sich Baden-Baden eine- noch aristokratischeren Besuch- zu erfreuen haben, der fran zösischen Vollblutpferde, deren Stammbaum jedenfalls «in- wand-freier ist, als der manches französischen Grafen von eigenen Gnaden. Doch Scherz bei Seite. Wenn man in Frankreich den so mannigfachen Austausch von Höflichkeiten mit dem östlichen Nachbar im Großen und Ganzen mit Gelassenheit hinnimmt, so muß dies etwas zu bedeuten baden. Und man gebt viel leicht in ter Annahme nicht fehl, daß die colonialpoli tischen Absichten Frankreichs cS den Staatsmännern an der Seine geralhen erscheinen lassen, mit Deulfchland auf gutem Fuße zu stehen. Seil etwa 1'/, Jahren ist Frankreich offensichtlich darauf los, Marokko seinem nordafrikani- schen Eolvnialgebicte einzuverleiben. Zu diesem Zwecke be mühte eS sich geradezu, Streitvuncte ausfindig zu machen, und vor wenigen Wochen schien eS, als ob nunmehr die Gelegenheit zum Eingreifen gekommen wäre. Unglück licherweise war der Sultan von Marokko so boSbaft, den französischen Reklamationen nachzugeben, und so entfiel der Borwand, mit bewaffneter Macht gegen Marokko vorzuaehen. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und da die französischen Staatsmänner sehr wohl wissen, daß sie für den Fall eines Angriffs auf Marokko von englischer Seite erhebliche Schwierigkeiten zu erwarten haben, so möchten sie sich wenigsten- der wohlwollenden Neutralität Deutschlands versichert halten. In nächster Zeit kommt eine außerordentliche marokkanische Gesandtschaft an die Höfe von London, Berlin, Petersburg und Paris. Diese Gesandtschaft hat, wie versichert wird, keine politischen Aufträge. Vielleicht aber hält man eS in Paris doch für möglich, daß die Gesandtschaft in Berlin zu erfahren suchen werde, wie Deutschland sich für den Fall eines Conflicts zwischen Frankreich und Marokko stellen würde. Und natürlich muß man alsdann in Paris wünsche», daß die Antwort der deutschen Diplomatie im Sinne der Ablehnung jeder Intervention laute. Ganz abgesehen von Marokko aber ist ja unzweifelhaft seit einer Reihe von Jahren die colonialpolitische Thätigkeit Frankreichs wieder im lebhaftesten Gange. Und darum muß den Franzosen eine wohlwollende Neutralität Deutsch lands höchst erwünscht sein. Wenn sich also in Frankreich «ine freundlichere Stimmung gegen Deutschland bemerkbar macht, so erblicken wir den Grund dafür keineswegs darin, daß der Nevanchegedanke eine Abschwächung erfahren habe, als vielmehr darin, daß Deutschland auch in überseeischen Angelegenheiten sich zu einer Macht entwickelt bat, mit der auf gutem Fuße zu stehen für jede andere Macht, die colonialpolitische Ziele verfolgt, sehr wünschenSwerth ist. In diesem Sinne kann man sehr Wohl sagen, daß die Verstär kung der deutschen Flotte und die Jnaugurirung der Welt politik nicht, wie die Gegner der Flotten- und Weltpolitik behaupten, zu Verwickelungen führen, sondern im Gegentheil der Erhaltung des Frieden- dienen. Deutschland ist dadurch begehrter geworden, als wenn eS sich einzig und allein auf seine Landmacht stützen könnte und eine lediglich continentale Politik triebe. Es ist in der überseeischen Politik zu einem Factor geworden, den jede andere Macht natürlich lieber auf ihrer PluSseite als auf der MinuSseite hat. So hat also unserer Meinung nach die französische Höf lichkeit oder, richtiger gesagt, die Erwiderung deutscher Höf lichkeit durch Frankreich ibren sehr nüchternen realpolitischen Hintergrund. Dadurch wird aber ihr Werth nicht etwa berabgcsetzt, sondern im Gegentheil erhöbt. Denn wenn die Höflichkeit lediglich ein Ausdruck der Stimmung wäre, so wäre sie keinen Nickel Werth, denn die Stimmungen der Franzosen wechseln häufiger, al- da- Wetter im April. Wenn aber die französischen Politiker zu der Einsicht gelange» sollten, daß e- ein Unding ist, mit dem einen Auge nach dem östlichen Grenzgebirge und mit dem anderen über die Oceaoe hinwegzu blicken, so wäre diese Erkenntniß von sehr großem Werthe für die Erhaltung drS Friedens. Frankreichs hervorragendster Staats mann in den letzten Jahrzehnten, Jule- Ferry, hat schon in den 80rr Jahren diese Erkenntniß besessen, wurde aber von seinen Land-leuten zu Gunsten de- Revanchr-HauSwurst» Boulanger zurückgesetzt, ia geschmäht. E- wäre erfreulich, wenn die Erkenntniß de- Unrecht-, da- man dem Patrioten Frrry zugefügt hat, eine immer allgemeinere würde u»d wenn man das von ihm begonnene Werk de- Versuch- ehrlicher Verständigung mit Deutschland fortsetzte. Lin Nachspiel zur Gumbinner Kriegsgerichts-Verhandlung. Es ist selbstverständlich, daß Alle- geschehe» muß, um den Mörder de- Rittmeister- von Krosigk zu ermitteln. Andererseit- ist aber ebenso oothwrndig, daß die Vorschriften der Militärqericht-ordnung streng beobachtet werde». In letzterer Beziehung geht der „Nat.-Ztg." eine Mittheilung zu, die Befremden erregen muß, die aber dem genannten Vlatt« zuverlässig verbürgt wird. Wir gtben sie desbalb wieder: Wie erinnerlich,' wurde der Angeklagt« Sergeant Hickel von d«r «»klag, de- Morde- »ad der «enterrt frei,,spräche», der Angeklagte Unterofficier Morten, unter Freisprechung von der Anklage drS Morde- im rechtlichen Zusammenhänge mit Meuterei, wegen Fahnenflucht und Freiheitsberaubung zu einem Jahr Ge- sängniß und zur Degradation verurtheilt. Letzterem gegenüber war die Untersuchungshaft auch nach der Freisprechung von dem Morde zulässig, weil er zu einer immerhin nicht unerheblichen Freiheitsstrafe verurtheilt war. Hickel dagegen mußte, da er völlig sreigesprochen war, nach dem Naren Wortlaut des 8 179 der Militärstrasgericht-ordnung unbedingt sofort au- der Unter suchungshaft entlassen werden. Der Gericht-Herr de- Ge richt- der zweiten Division, Generalleutnant von Alten, hätte diese Freilassung sofort von Amt« wegen verfügen müssen, ganz gleich, ob er gegen da- kriegsgerichtliche Urtheil Berufung einlegte oder nicht. Da- ist aber nicht geschehen und zwar auf Betreiben der Gerichts herren erster und zweiter Instanz. Hickel ist in Untersuchungs haft behalten. Zum Verständniß der Vorgänge schicken wir den Wortlaut de» 8 17S der Militäcstrafgerichtsordnung voraus und bemerken noch, daß die Verfügung über vorläufige Festnahme, Verhaftung und Haftentlassung nicht zur Zuständigkeit der Svruchgerichte (Stand gerichte, Kriegsgerichte, OberkriegSgerichtr), sondern zu den Macht- besugnissen de- Gerichtsherrn, in kriegsgerichtlichen Sachen in erster Instanz deS Division-general-, in zweiter Instanz des comman- direnden Generals, gehört. § 179 der Militärstrafgerichtsordnung verordnet nun: „Die Untersuchungshaft ist aufzuheben, wenn rin Grund zur Verhaftung nicht mehr besteht oder wenn der Beschuldigte srei gesprochen oder außer Verfolgung gesetzt wird. Da- Gleiche gilt, wenn die Berurtheilung auf Geldstrafe lautet, oder, sofern be sondere Umstände nicht entgegenstehen, wenn die erkannte Freiheits strafe die Dauer von sechs Wochen nicht übersteigt. Durch Einlegung eine- Rechtsmittel- darf die Frei- lassnng des Angeklagten nicht verzögert werden. Aus Grund neuer VrrdachtSgründe oder Beweismittel kann der höhere Gericht-Herr gegen den Angeklagten einen neuen Haftbefehl erlassen." Am 3. Joni Nacht- 11'/, Uhr wurde in Gumbinnen da- Hickel sreisprechende Urtheil verkündet. Wenige Stunden später, nämlich am Morgen drS 5. Juni, früh 4'/, Uhr telegraphiere der Vcrthei- digcr Hickel'-, Rechtsanwalt Horn vom Bahnhof Insterburg an den auf dem Schießplatz in Arv- weilenden Gerichtsherrn Generalleutnant vßn Alten: er bäte um Entlassung de» Freigesprochenen auS der Untersuchungshaft; ablehnendenfall- möge ihm Drahtnachricht zu- gehen. Nach etwa 16 Stunden, nämlich Abends nach 8 Uhr erhielt der Bertheidiger auS Rastenburg die Drahtuachrickt deS Gerichtsherrn: dieser könne erst nach srioer Rückkehr nach Insterburg Verfügung treffen. Um 9'/« Uhr Abend- richtete deshalb der Bertheidiger ein Tele- gramm an den commandirenden General de- ersten Arineccorp« in Königsberg, in dem wegen dieser Verzögerung der Freilassung Hickel's Beschwerde geführt und sofortige Freilassung Hickel's verlangt wurde. Da- Telegramm war al- Rechtsbeschwerd« bezeichnet. Da- Generalcommando antwortete am nächsten Tage Mittags 12 Uhr 55 Minuten: „Necht-beschwerde in Sachen Hickel aus 8 179 nach 8 373 gesetzlich unzulässig". 8 373 schreibt vor: „Die Recht-beschwerde findet nur statt, soweit si« in diesem Gesetz ausdrücklich zugrlassen ist." Der Bertheidiger trlegraphirte zurück: Die Recht-beschwerde gegen den Haftbefehl sei in 8 175 („Darüber, ob rin Beschuldigter in Untersuchungshaft zu nehmen ist, entscheidet der Gerichtshcrr. Der Haftbefehl ist von ihm allein zu erlassen. Gegen die Ver- fügung der Untersuchung-Haft findet die Recht-beschwerde an den höheren Gericht-Herrn statt") ausdrücklich zugelassen. ES werde Beschwerde gegen de» (früher ergangenen) Haftbefehl (die an keine Frist gebunden ist) abrr erst jetzt eingelegt, weil nach 8 179 bei einem Freigefprocheaeu der gesetzliche Grund zur Verhaftung fort- gefallen sei. Gleichzeitig machte der Bertheidiger dem General- commando die Mittheilung, er werde au» 8 239 de« ReichSstraf- grsetzbuche- «in Verfahren wegen Freiheitsberaubung einleiten lassen, fall- ihm nicht bi« 8 Uhr Abend» die Nachricht von der Freilassung Hickel- zugeheu würde. Um 6 Uhr 7 Min. Abend- gab da» Generalcommando folgende Antwort: „In Recht-beschwerde Hickel trifft 8 175 nicht zu; zu- ständig ist allein Gericht-Herr 2. Division, dessen Entscheidung noch gar nicht vorliegt. Recht-beschwerde auch deshalb unzulässig." Gleichzeitig mit diesem Telegramm erhielt der Bertheidiger di« Nachricht, daß Generallrutnaat von Alten eben (am 5. Juni Abend- 7 Uhr) nach Insterburg zurückgekehrt sei. Al» am 5. Juni dem vertheidiger keinerlei Entscheidung de» Gericht»h«rrn mitgethrilt wurde, «rsucht« er den Generalleutnant von Alten am Morgen de» nächste» Tage» um ein« Unterredung, die ihm am Nachmittage auch bewilligt wird«. Generalleutnant von Alten erklärte zunächst, er könne Hickel unter keinen Umständen freikafsen; da« führ« zu unmöglichen Conse- qutnzea. Hickel wohne mit seiner Frau io der Kasern«; er würde nach seiner Freilassung natürlich mit den Unterofficirrra und Dragoner» znsammenkomme» und dadurch entstände di« Gefahr, daß der Thatbestand verdunkelt werden könnte. Auf den Einwand de» Bertheidiger», t 179 spräche doch so klar au-, daß e» keinem Zweifel »nterläg«, daß Hickel, »achdem er frrigeiprochrn worden, freigelassrn werde» mußte, erwidert« Generalleutnant von Alten: Die MiltrSrstrasgerichtSorduuug sei »la neue- und v«rbess»rung-he. dürftige- Gesetz, wie sich «de» im vorliegenden Fall» zeig«, § 179 fei ia ganz unüberlegter Weise au- der bürgerlichen Strafproceßordaung übernommen. Nach der bürgerlichen Strafprocrßordnung gäbe es gegen di« Urtheil« de, Strafkammern und Schwurgericht« nur das Recht-mittel der Revision, in welchem nur Formalien geprüft würden, währead da» thatsächlich« Material «ia für allemal srstgelegt sei. I» de« milttärgerichtlichen Strafverfahren gäbe es aber eia« voll« Berufungsinstanz mit völlig wiederholter Beweisaufnahme; desbalb könne ein Freigeiprochenrr nicht freigeiassen werden; die ganze Be weisaufnahme zweiter Instanz würde dadurch gefährdet. Dem erneuten Einwand, das Gesetz schreibe aber doch nun einmal unbedingt vor, daß der Freigcsprochene aus der Untersuchungshaft zu entlassen sei, begegnete Generalleutnant von Alten, indem er bemerkte, streng genommen sei Hickel auch gar nicht in Unter suchungshaft, er (von Alten) habe Hickel „kraft seiner disciplinarischen Befugnisse" vorläufig fest nehmen lassen, und dazu sei er jeder zeit und jedenfalls befugt. Uebrigens sei gegen die Entscheidung deS Kriegsgerichtes erster Instanz Berufung eingelegt, und er habe bei dem commandirenden General telegraphisch den Antrag gestellt, einen neuen Haftbefehl gegen Hickel zu erlassen. Der Vertheidiger bemerkte, dieser neue Haftbefehl dürfe doch nach 8 179 nur auf Grund neuer Verdachtsgründe und Beweis mittel erlassen werden, worauf Generalleutnant von Alten sagte, diese neuen Verdachtsgründe würden sich schon finden; unter Anderem seien sie darin zu suchen, daß der Verdacht aufqetaucht fei, die Unterosficicre deS Dragoner-Regiments von Wedel hielten zusammen, um ihre Kameraden hcrauszureißen; dafür hätten sich jetzt Anhalts- puncte gefunden. Am 7. Juni erhielt der Bertheidiger die Nachricht, daß der Gerichtsherr der Berufungsinstanz durch Haftbefehl vom 6. d. M. die Untersuchungshaft augeordnet habe, weil Hickel (trotz seiner Freisprechung!) dringend verdächtig sei, sich der Tbeilnahme an dem am 21. Januar 1901 zu Gumbinnen erfolgten Morde de- Ritt meisters von Krosigk schuldig gemacht zu haben, und „weil Hickel der Flucht verdächtig sei und CollnsionSgefahr vorliege, sowie ein Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung bildet." Ein neuer Berdachtsgrund oder rin neue- Beweismittel ist in diesem Haftbefehl nicht angegeben; e- unterliegt also keinem Zweifel, daß dieser Haftbefehl gesetzwidrig ist. Ebenso gesetzwidrig ist die „vorläufige Festnahme" Hickel's, der neuerdings nichts Straf bare- begangen hat. Tie Sache gewinnt aber noch ein ganz anderes Gesicht, wenn man folgende, erst nachträglich zur Kenntniß deS Bertheidiger» gelangte Thatsachen erwägt.. Generalleutnant von Alten trlegraphirte am 4. Juni AbendS 8 Uhr au 1>en Bertheidiger, er könne erst nach seiner Rückkehr nach Insterburg Entscheidung treffen. Am Mittage desselben Tage hat jedoch der Oberleutnant Roether, Regimentsadjutant deS Dragoner- Regiments von Wedel, dem Angeklagten Hickel „im Auftrage der Division" eröffnet, er sei vorläufig festgenommen. Die Entscheidung über die Freilassung (Verfügung der vorläufigen Festnahme) war allo bereits Mittags erfolgt. Es hat sich ferner herau-gcstellt, daß am 4. Juni außer dem Generalleutnant v. Alten auch der commandirende General des 1. Armeccorps Finck von Finckenstein sich auf dem Schießplatz AryS befunden hat. Daß diese beiden Herren über das Urtheil und den HaftcnilassungSantrag sich nicht unterhalten haben sollten, ist nach Lage der Sache ausgeschlossen. Auch von der vorläufigen Fest nahme hat der commandirende General ohne Zweifel Kenntniß gehabt. Trotzdem weist auch er die Beschwerde in dem zweiten Telegramm auS dem Grunde zurück, daß keine Entscheidung deS Gerichtsherrn erster Instanz vorläge, während sie in der Anordnung der vorläufigen Festnahme bereits vorlag. Beide Gerichtsherren, da- muß nochmals betont werden, halten trotz 8 179 Hickel in der Untersuchungshaft. Gegen den Haftbefehl an sich kann nach 8 175 Beschwerde an den höheren Gerichtsherrn gerichtet werden; aber der coipmandirende General hat keinen höheren Gericht-Herrn im Sinne der M. G. O. über sich. Trotz, dem wird durch Vorstellung bei dem Kaiser und Strafanzeige gegen beide Generale wegen Fteiheitsbrraubung Alle- versucht werden, waS versucht werden kann, um der ungesetzlichen Hast ein Ende zu machen. Zum Schluß noch ein Wort über Gericht und Gerichtsherr. Dem Vertheidiger sagte Generalleutnant von Alten, er sei starr über die Entscheidung de- Gumbinner Kriegsgericht» (welches über wiegend aus Ossicieren besteht!). Der commandirende General kritisirt das Kriegsgericht, welche- Hickel und Marten sreigesprochen hat, dadurch, daß eS einen Angeklagten trotzdem für dringend verdächtig deS Morde-hält. Als der Haftbefehl deS commandirenden General» dem Angeklagten von einem Krieg-gericht-rath de- Gericbis der zweiten Division — da- auch in Gumbinnen geurtheilt hat — eröffnet wurde, sagte Hickel: „Wie ist meiue Derhaftung möglich, ich bin doch sreigesprochen!" Darauf erwiderte der betreffende Krieg-gericht-rath wörtlich: „Nun, da- Kriegsgericht kann ja auch Dummheiten gemacht haben." Der Krieg in Südafrika. Die engltschen Pftrtzeeinkäufe i» Ungarn vnp Argentinien. * Lantzan, 8. Juni. In der gestrigen Sitzung des Unter ¬ hauses, in welcher die Betrügereien beim Ankauf der für Süd afrika bestimmten Pferde in'Argentinien und Ungarn nochmals zur Sprach« kamen, haben die Regierungsvertreter Brodrick und Lord Stanley keineswegs mehr die Thatsache der Betrügereien geleugnet, sondern nur erklärt, daß britische Officiere an dem schmutzigen Handel nicht betheiligt gewesen seien. Der Ankauf habe sehr schnell'vor sich gehen müssen, und deshalb hätten die britischen Consularbeamten. di« Vermittelung der Händler annehmen müssen, welche dann allerdings vielfach un redlich grhandrlt hätten. Später sci«n die Ankäufe unter der Aufsicht englischer Officiere vorqenommen worden, und seien dann nur gute und preiSwerth« Pferde geliefert worden. — Diese Erklärungen sind jedoch wenig geeignet, die allgemeine Ent rüstung über dos schlechte für Südafrika evworbrn« Pferde material zu beseitigen. - * London, 11. Juni. (Telegramm.) Ein Brüsseler Draht- bericht der „Daily Mail" besagt, daß ei» großer BoereiikriegSrath ia Pietreties (OsttronSvaal) abgehalten und di« energische Fort» setzaag he» Kriege» beschlossen wurde. Line Drahtmrldung der „Daily Mail" aus Pretoria meldet, Botho hab« eine ver- schanzte Stellung bei Blaauwbank unweit Ermelo inne. Delarey sei auf dem Marsche, um sich Botha anzuschließen. De Wet soll mit 1000 Mann eine Stellung auf den Gaterand - Hügeln südlich von der Eisenbahn KrügerSdorp — PotchefSstroom bezogen haben. (Voss. Ztg.) * London, II. Juni. (Telegramm.) Lord Kttchener telegraphirt auS Pretoria unter dein 11. Juni: Der Commandant RenSburg habe sich mit seinem Commando in PieterSburg er geben. 100 Bewaffnete seien schon in die Stadt gekomme», andere würden folgen. Die Wirren in China. Gros Waldcrfee. Der Kaiser von Oesterreich richtete, wie die „Nord deutsche Allgcm. Ztg." berichtet, am 31. Mai von Wien nach stehendes Telegramm an den Feldmarschall Graf Walder- fee: »War ich von Ihrer Ernenung zum Oberbefehlshaber der verbündeten Truppen in Ostasien auf da- Aufrichtigste befriedigt, so gereicht eS Mir nunmehr, da Sie an dem ge deihlichen Abschlüsse der Ihnen übertragenen Aufgabe» stehen und nach Europa beimkehren werden, zur vollsten Freude, Sie, lieber Feldmarschall, hierzu auf da» Wärmste beglückwünschen zu können. Das Vertrauen, welches Ihr erhabener Kaiser in seinen vielbewährten Heerführer gesetzt hat. haben Sie unter den eigenartigsten Verhältnissen auf da- Gediegenste gerechtfertigt. Gerne wußte Ich die am Lande verwendeten Detachements Meiner Eskadre in Ostasien unter Ihrem Be fehle. Herzlichst danke Ich Ihnen für alle Fürsorge und die echte Waffenbrüderschaft, welche Sie da stet» walte» ließen. Möge Sie, lieber Feldmarschall, auch fernerhin Gotte» Schutz begleiten im Dienste der guten Sache und damit Ihre» Allerhöchsten Kriegsherrn." Deutsche Besetzung t« Shanghai. Zu der Berliner Meldung, daß 800 Mann deutscher Truppen und eine Batterie Shanghai besetzt halten sollen, schreiben die „TimeS": Diese Nachricht wirb, wie wir glauben, große Uederraschung in England verursachen. ES ist uns stet« gesagt worden, daß das Aangtsethal in der britischen Sphäre liege. Shanghai ist thatsächlich eine britische Stadt, geschaffen durch britische« Capital und britischen Unternehmungsgeist, eine Stadt, in der anderen nur gestattet worden ist, gewisse Rechte zu erwerben. Wir habeu dort gegenwärtig eine beträchtliche Anzahl Truppen stationirt, die völlig hiureicht, etwaige Ruhestörungen, die ge fährlich für Leben und Eigenthum der Europäer werden könnten, zu unterdrücken, wenigstens bis sie verstärkt werden können. Der Fluß ist schiffbar für große Kreuzer bis nach Nanking, 240 Meilen von seiner Mündung. Wir können nicht verstehen, warum am Eingänge der britischen Sphäre eine deutsche Besatzung, sei eS nur zeitweilig, stationirt werden soll, wenn sie nicht der Einleitung zur Geltend machung politischer Ansprüche ganz unzulässiger Art dienen soll. Schantung-Eisenbahn. Die Eröffnung der Eisenbahn iu Schantung hat Veranlassung zu einer Reihe von Zusatzbestimmungen zu den Zollvorschriften dcS Schutzgebietes von Kiautschau ge geben. Danach unterliegen alle mit der Bahn im deutschen Gebiete verladenen Maaren der Controle deS chinesisch«» Zollamtes und dürfen nicht ohne Declaration und Zollschein verladen werden. Der vertragsmäßige Zoll von allen zoll pflichtigen Maaren, einerlei ob als Eil- oder Frachtgut auf gegeben oder als Passagier- oder Handgepäck mitgeführt, ist vor der Verladung resp. Abfahrt zahlbar. Opium darf nur als Eilgut auf Frachtbrief verladen werden. * New Park, 11. Juni. (Telegramm.) Wie der „New Aork Herold" aus Washington berichtet, hat sich infolge der Be fürchtung, daß in Korea neue Unruhen ausbrechen, der Kreuzer „New Orleans" von Tschifu nach Chemulpo begeben, um die amerikanischen Interessen zu schützen. * London, 11. Juni. (Telegramm.) „Daily Telegraph" berichtet aus Washington: Amerika werde, wen» die anderen Nationen keine weiteren Zugeständnisse betreffs des Schutzes der Missionare in China verlangen, sich mit den gegenwärtigen Vertragsbestimmungen begnügen. Nach Ansicht de» Staatsdepar tement- sei e» nur »öthig, daß die bestehenden Verträge beobachtet werden. Hierauf werde gedrungen werden. Deutsches Reich. p. Berlin, 11. Juni. (Politische Gesinnungs losigkeit.) Wer un politischen Leben thätig ist, hat fast jeden Tag Gelegenheit, zu beobachten, in welch bedauerlichem Maße im deutschen Bürgerthum die politisch« Gesinnungslosig keit zunimmt. Die ErziehungSresultate, di« in dieser Richtung die farblose Presse erzielt hat, sind ganz außerordentlich groß. Aber noch schlimmer al- die sogenannten unparteiischen Hei lungen arbeitet auf den Ruin aller politischen Principirntveue der Bund der Landwirthe hin. InKol n hat dieser Tag« der Bundesvorsitzenlvr I)r. Rösicke die politische Grundsatz losigkeit förmlich zum Princip erhoben. „Wenn im Wahlkreise Ottweiler" — so sagt« er — .Herr Auch» (ultromontan) beim Bunde der LanSwirthe zurrst angefragt hätte, dann wäre eS durchaus möglich g«wesen, daß uns«« Mitglieder sich für ihn und nicht für den Nationalliberalen ausgesprochen hätten." JnS gute Deutsch übertragen heißt daS: wer mir am meisten bietet, dem verkaufe ich mich, ob er schwarz, blau oder sonst etwa» ist. Mr sind nicht Pessimisten genug unid haben auch zu dem gesunden Sinn« unseres Bau«rnstand«s rin viel zu große» Bertoauen, um zu glauben, daß eine solche Gesinnungslosigkeit dauernd im deutschen Bolte Boden fassen konnte, aber was leider recht weiten Kreisen des Bürgerthums durch dieses widerwärtige Treiben ver loren geht, ist die politische ArbeitSfreudigteit, und wo die fehlt, schießt natürlich das Unkraut in die Höhe.
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