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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.06.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-06-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010613022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901061302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901061302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-06
- Tag1901-06-13
- Monat1901-06
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Ärntsvkrtt des Lönigttchen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Mottzei-Amtes der Ltadt Leipzig. 297. Donnerstag den 13. Juni 1901. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redactionsstrich gespalten) 75 H, vor den Familien nach richten (Ü gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenaunahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nnr mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60—, mit Postbrsörderung 7V.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag vou E. Pol» in Leipzig 83. Jahrgang. Die Wirren in China. Die Verluste des Expeditionskorps. Nachdem der Kaiser die Verminderung des ostasiatischen Expeditionskorps auf die Stärke einer Besatzungs-Brigade unter gleichzeitiger Auflösung des Armee-Obercommandos in Ost- asien verfügt hat und die Bildung der neuen Stäbe nach einer Meldung des Generalleutnants v. Lessel vom 10. Juni bereits erfolgt ist, lassen sich jetzt die eingetretenen Abgänge bei dem Expeditionskorps, einschließlich des Armee-Obercommandos, fest stellen, wie sic in vierzehn amtlichen Verlustlisten bekannt gegeben wurden, deren letzte auch noch das Gefecht bei Nan>-kuan-to am 19. Mai dieses Jahres enthält. Bei den cingetretenen Verlusten sind die in Gefechten, bei Explosionen u. s. w. erlittenen zu unterscheiden von den an Krankheiten oder infolge von Verunglückung Gestorbenen, und von den Vermißten, deren es im Ganzen nur sieben gab, fünf bei der Infanterie und zwei bei der Feldartillerie. Die Ver - lüft« in Gefechten belaufen sich als gefallen (todt) bei der Infanterie auf 1 Officier, 1 Untcrofficier, 15 Mann — 17 Köpfe; Cavallerie 7 Mann; Fußartillerie 5 Mann; Pio niere 3 Mann; Train 1 Mann; im Ganzen 1 Officier, 1 Unter- officier, 31 Mann — 33 Köpfe. Als sch wer verwundet werden in den Listen aufgrführt: bei der Infanterie 3 Offi- ciere, 2 Unterofficiere, 14 Mann — 19 Köpfe; Cavallerie 1 Officier, 2 Unterofficiere, 2 Mann — 5 Köpfe; Feldartillerie 1 Mann; Pioniere 1 Unterofficier, 2 Mann — 3 Köpfe; Ver kehrstruppen 1 Untcrofficier; im Ganzen 4 Officiere, 6 Unter officiere, 19 Mann — 29 Köpfe. Als lei cht verwundet sind zu vermerken: bei der Infanterie 6 Officiere, 11 Unter officiere, 51 Mann — 68 Köpfe; Cavallerie 1 Untcrofficier, 1 Mann — 2 Köpfe; Feldartillerie 1 Officier, 4 Mann — 5 Köpfe; Fußartillcrie 6 Mann; Pioniere 1 Officier, 1 Unter- officier, 10 Mann — 12 Köpfe; im Ganzen 8 Officiere, 13 Unterofficiere, 72 Mann — 93 Köpfe. Der Verlust be rechnet sich nach Waffengattungen im Ganzen wie folgt: Infanterie 10 Officiere, 14 Unterofficiere, 80 Mann — 104 Köpfe; Cavallerie 1 Officier, 3 Unterofficiere, 10 Mann — 14 Köpfe; Feldartillerie 1 Officier, 5 Mann --7 6 Köpfe; Fußartillerie 11 Mann; Pioniere 1 Officier, 2 Unterofficiere, 15 Mann — 18 Köpfe; Verkehrstruppen 1 Untcrofficier; Train 1 Mann, mithin Gcfechtsverlust« im Ganzen: 13 Officiere, 20 Unterofficiere, 122 Mann, zusammen 155 Köpfe. Hierzu kommen noch die an Krankheiten oder infolge von Verunglückung Gestorbenen. Diese betragen bei den höheren Stäben, wo fast ausschließlich Verunglückung durch Er sticken oder Verbrennen u. s. w. vorliegt: 4 Officiere, 1 Unter- officier, 1 Mann — 6 Köpfe; bei der Infanterie 8 Unterofficiere, 80 Mann — 88 Köpfe; Cavallerie 4 Mann; Feldartillerie 1 Untcrofficier, 17 Mann — 18 Köpfe; Fuhartilleric 6 Mann; Pioniere 1 Officier, 1 Untervfficier, 6 Mann 8 Köpfe; Ver kehrstruppen 3 Mann; Train 1 Unterofficier, 4 Mann — 5 Köpfe, mithin im Ganzen 5 Officiere, 12 Unterofficiere, 121 Mann — 138 Köpfe. Unter Hinzurechnung der oben an gegebenen 7 Vermißten (nur Mannschaften) beläuft sich der Ge- sammtabgang, von der Ausreise an gerechnet, auf 18 Officiere, 32 Unterofficiere, 250 Mann, zusammen auf 300 Köpfe, was bei einer Stärke des Expeditionscorps von 22 000 Mann ein Verhältniß von rund 1,4 Procent ergiebt. Graf Walders». * Tokio, 13. Juni. (Telegramm.) Der deutsche Gesandte Graf Arco-Balley gab zu Ehren deS Grafen Waldersee ein Frühstück, an dem die kaiserlichen Prinzen, die Mitglieder des Cabinets und verschiedene Staatsmänner theilnahmen. Der deutsche Gesandte brachte einen Trinkspruch auf den Kaiser von Japan aus, den Prinz Fushimi mit einem solchen auf den deutschen Kaiser erwiderte. Graf Waldersee brachte ein Hoch auf die japanische Armee aus, über die er sich in höchst anerkennender Weise aussprach. * Berlin, 12. Juni. Nach der „Post" hat der Zar in seiner Depesche über die Mission des Feldmarschalls Graf Waldersee, die der Kaiser in seinem Trinkspruche am 29. Mai erwähnte, die Aufgabe Waldersee's nicht als undankbar bezeichne». Der Ausdruck „undankbar" komme in der Depesche überhaupt nicht vor. Tie vom Kaiser nur ihrem Inhalte nach mitgetheilte Depesche trage durchweg das Gepräge besonderer Herzlichkeit. * Wie», 13. Juni. (Telegramm.) Das „Fremdenblatt" widmet dem Telegramm des Kaisers Franz Joses an den Grasen Walde'rsee einen besonderen warm gehaltenen Leitartikel, in welchem es unter Anderem sagt: „Graf Waldersee steht bei unserem Kaiser seit Langem in Ansehen, und die ehrende Depesche ist ein neuer, vor aller Welt abgegebener Beweis, wie hoch unser Monarch ihn schätzt. Graf Waldersee ging mit so viel Umsicht vor, daß nirgends, auch nur vorübergehend, eine Gefährdung oder Stockung einlrat. VorAllcm aber entfaltete er Klugheit und Takt, die seine Berufung zu der in ihrer Art einzigen Stellung aufs Glänzendste rechtfertigte. Die Aner kennung, die unser Kaiser ihm spendet, ist also nicht nur ein höchst auszeichnendes Compliment sür den verdienten Generalseldmarschall, sondern zugleich ein neues Zeichen der freundschaftlichen Gefühle für Kaiser Wilhelm und das deutsche Reich. Waldersee war der Träger einer internationalen und national-bedeutungsvollen Mission; er entledigte sich ihrer so, wie es von diesem hervorragenden General zu erwarten stand." Von unterrichteter Seite wird uns geschrieben: Der Antrag Amerikas, die Entschädigungsfrage dem Haager Schiedszerichtsbofe zn unterbreiten, dürste nur die Bedeutung eines Actes der Höflichkeit gegen über Rußland haben, das bekanntlich auf die Friedens konferenz und ihre Ergebnfff; großes Gewicht legt. Nachdem nun die Union den russischen Antrag, die Entschädigungs summe durch die Gesammtheit der Mächte garantiren zu lassen, aus Gründen der Bundesverfassung abgelebnt und dadurch den Ausschlag für die Verwerfung des russischen Vorschlages gegeben hat, ist es begreiflich, wenn die Ver einigten Staaten im weiteren Verlauf der Entschädigungs frage gegenüber Rußland Entgegenkommen zeigen wollen. Praktische Ergebnisse wird der amerikanische Vorschlag schwerlich haben. Der Krieg in Südafrika. Fran Botha ist, wie unS aus Brüssel berichtet wird, gestern Abend dort eingetroffen und von vr. LeydS und Gemahlin auf dem Bahn hofe empfangen worden. Er wird sie in einigen Tagen zu Präsident Krüger nach Holland begleiten. Inzwischen ergeben sich die englischen Blätter in Ermangelung sicherer In formationen noch immer in allerhand Combinationen, von denen die eine die andere aufhebt. Dem Berliner „Loc.-Anz." wird darüber gemeldet: * London, 12. Juni. Nach einem „Daily Mail"-Telegramm aus Ostend traf Frau Botha dort gestern Nachmittag auf dem Dampfer „Marie Henriette" ein, begleitet von Fischer, und ging sofort mit dem Nord-Expreß weiter. Hier blühen die Gerüchte über ihre Mission ungestört fort: Jetzt soll sie auch Mittheilungen von kitchener an Krüger überbringen, Kitchener soll Präsident Krüger durch sie Vorschlägen lassen, unter sicherem Geleit nach Transvaal zurückzukehren; Frau Botha habe die Depeschen sür Krüger an den Delegirten Fischer übergeben, der von Amsterdam nach Southampton herüberkam, um sie zn begrüßen. Dagegen wird von Seiten der Boeren-Regierung aus dem Haag telegraphirt Frau Botha's Besuch sei rein persönlicher Natur, sie habe Trans vaal wegen Mangels an Geldmitteln verlassen müssen und sich deshalb an Krüger gewendet. Nach Erledigung des Besuchs werde sie bei Frau Leyds in Brüssel wohnen. Die Reise der Gattin deS Oberstcommandirenden nach Europa giebt begreiflicher Weise in Südafrika dem Miß trauen derjenigen neue Nahrung, die schon in den Friedens verhandlungen Botha's mit Kitchener einen halben Verrath an der Boerensache saben. Gerüchte des Inhalts, daß auch Botha beabsichtige, Afrika zu verlassen, werden, wie wir schon früher festslellten, englischerseits geflissentlich verbreitet, und es scheint, als ob auch in den Reihen der kämpfendes Boeren solche Verdächtigungen Glauben finden. Jedenfalls soll von den Extremen unter ihnen nicht mehr Botha, sondern Dclarey als Hort der Boerensache betrachtet werden und den meisten Zulaus an Kämpfern haben. Wie weit bei allen jenen Nachrichten der Wunsch der Vater des Gedankens ge wesen ist, läßt sich noch nicht übersehen, sie sind nach Allem, was man Positives von Botba weiß, durchaus unglaubwürdig, klingen aber natürlich wie Musik in englischen Ohren. Ein Theil der englischen Presse ist denn auch von einem beneidens- werthen Optimismus beseelt. So meldet „Daily Mail" aus Capstadt: Die Unter werfung Botha's und seiner Anhänger wird jeden Augenblick erwartet. Man ist allgemein der Ansicht, daß diese Unter werfung das Ende deS Krieges bedeute. In der Capcolonie liegt kein Anlaß zu Besorgnissen vor. Die Eiscnbahnzüge verkehren Tag und Nacht. — Demselben Blatt wird aus Pietermaritzburg berichtet, gerüchtweise verlaute, daß die Boeren sich bereits vor dem 15. d. M. unterwerfen würden. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. Juni. Unsere sächsischen Klerikalen, die in Zwickau einen „Katholikentag" abhielte«, konnten die wahre Natur ihrer konfessionellen Friedensliebe nicht besser offenbaren, als dadurch, daß sie einen der fanatischsten klerikalen Heiß sporne, Herrn Nikola Rack« aus Mainz, zum Haupt redner bestellten. Dieser wandernde Protestler gegen die „kirchenfeinvliche Bewegung" hat, wie wir aus einem Berichte ersehen, der unfern gestern mitgetheillen Bericht an Aus führlichkeit Weit übertrifft und aller Wahrscheinlichkeit nach den genauen Wortlaut der Rede wiedergiebt, in Zwickau Proben einer bemerkenswerthen Gelehrigkeit ab gelegt. Während er nämlich in Köln die berufene „kirchen feindliche Bewegung" auf eine Verschwörung der internationalen Freimaurerei rurücksübrte, sagte er hiervon in Zwickau nichts und zeigte sich damit als gelehrigen Schüler der „Köln. Volksztz.", die vor einiger Zeit geschrieben hat, daß „selbst der Einfältigste" einsehen müsse, die Freimaurerei habe mit der „kirchenfeindlichen Bewegung" nichts zu thun. Weniger erfreulich als dieses Anzeichen von Belehrbarkeit ist es, wenn Herr Nack« in Zwickau sich auch als gelehriger Schüler des Polentbums einsührtc. Er legte nämlich nach dem Bericht der „Germania" der Versammlung „anS Herz, alle Die jenigen, welche gegen die katholische Kirche Schritte unternehmen, zu meiden, in deren Geschäften Einkäufe nicht zu besorgen und so weiter." — Also ganz wie die Polen in der Ostmark ver hängt Herr Nacks unter „kaum endenwollendem Applaus" des „Katholikentages" den Boykott über die sächsischen Pro testanten, die nicht nach der Pfeife des UltramontaniSmuS tanzen! Vor Allem der neu zu gründenden katholischen Tageszeitung soll dieser Boykott zu Gute kommen. Denn in der vom sächsischen „Katholikentage" angenommenen Reso lution heißt es: „Daö ist heutzutage kein echt katholisches Haus, in welchem eine kirchenfeindliche Zeitung aufliegt, noch weniger ist das ein echt katholisches HauS, in welchem nicht eine katholische Zeitung gehalten wird . . . Deshalb findet der Plan, auch in unserem sächsischen Vaterlande eine katholische Tageszeitung zu gründen, unserevolleZustimmung und thatkräftige Unterstützung." — Mit welcher Gründlichkeit die Tbcilnehmer des sächsischen „Katholikentages" die öffentlichen Angelegenheiten verfolgen, geht auS einer weiteren, dem Dresdner Cultusministerium eingereichten Resolution hervor, die die sächsische Staatsregierung ausfordert, die sächsischen Be vollmächtigten beim Bundesratbe anzuweisen, „für daS vom Reichstage votirte sogenannte Toleranzgesetz ein zutreten". — Widerspruchslos stimmte der Zwickauer „Katholikentag" dieser Resolution bei. Kein einziger der An wesenden also hat gewußt, daß das Toleranzgrsetz vom Reichstage nicht votirt, sondern erst in einer Commission berathen ist, und auch hier nur zur Hälfte! Herr Joachim Graf von Schönburg-Glauchau als Ehrenvorsitzender, Herr Hofrath Roß als Vorsitzender deS „Katholikentages" und Herr Pfarrer Manfroni als Urheber der fraglichen Resolution sollten doch ihre politische Blöße vor dem Ministerium und vor der Oeffentlichkeit etwas besser zu ver hüllen suchen! Man schreibt unS: Das „Leipziger Tageblatt" brandmarkt die politische Gesinnungslosigkeit, die es einem Leiter des Bundes der Landwirthc erlaubte, auf der wiederholt erwähnten Kölner Versammlung in Bezug auf die Wahl in Neunkirchen- Ottweiler und die dortige ultramontane Candidatur eine Er klärung abzugebe», die darauf hinauSläuft: „Wer mir am meisten bietet, dem verkaufe ich mich." Solch demoralisirendrS Verhalten kann in der Thal nickt scharf genug verurtheilt werden. Aber um gerecht zu sem: Die Führer deS Bundes der Landwirthe sind eS noch lange nicht, die den Gipfel der Tugend lukrativer politischer Feilheit er klommen haben. Wenn man Herrn vr. Rösicke'S Aus spruch immerhin noch übersetzen muß, um ihn al- ein An gebot an den Meistbietenden erkennen zu lassen, die freisinnge Volkspartei sagt eS frank heraus, daß sie für den Wenigstnehmenden zu haben sei. Die Gegenleistung besteht bei Beiden natürlich in der Leistung von Zollsätzen für Getreide. Herr Rösicke will so viel als möglich und die freisinnige Volkspartei stellt im Wahlkreise Duisburg einen Candidaten in der unser- Fruittrton. 30j Ein Engel -er Finftermß. Roman von Gertrude Warden. Autorisirte deutsche Uebersetzung von A. Brauns. Nachdruck »erboten. „Sie Wird mich todt machen, wenn sie erfährt, daß ich umge schwenkt habe", winselte Joe. „Ich traue mich nicht nach Hause, denn sie sieht es mir gleich auf den ersten Blick an. Ich drohte ihr, es thun zu wollen, wenn sie sich mit Ihnen verheiratete, und da antwortete sie, ich möchte dann erst mein Testament machen und mein letztes Gebet sprechen. Sie lachte zwar dabei, ich weiß aber, daß sie eS doch so meinte, und ich traue mich nicht nach Hause." Mit Hohn sich von dem Burschen abwendend, ging Dudley an den Billetschalter und kaufte eine einfache Fahrkarte nach Lon don. Dann kritzelte er in Eile ein paar Worte auf eine seiner Visitenkarten und händigte beide dem zitternden Joe ein. „Die- da ist die Adresse von Herrn Simpson's Privathaus in Bayswater", erklärte er. „Uebergieb dem Herrn diese Karte. Ich habe ihn darauf ersucht, Dich bei sich zu behalten, bis ich Dich kommen lasse. Es kann der Fall eintreten, daß ich Dich als Zeugen brauche." „Als Zeugen! Doch nicht gegen sie?" stammelte der Junge in höchster Angst, ober Dudley hinderte ihn am Weiterreden, indem er ihn den Bahnsteig entlang drängte und in ein Coups des sich langsam in Bewegung setzenden Zuges schob. Diel, sehr viel blieb noch zu thun; aber doch hatte er durch das dem Jungen abgerungene Bekenntniß eine Menge erfahren; seine Pläne bedurften aber auf Grund dessen einer nochmaligen Revision. Seit 48 Stunden hatte er sich die Nachtruhe versagt und fast auch die Nahrung. Seine Augen brannten, und der Kopf schmerzte infolge der langen Anspannung und des unaus gesetzten ReisenS; aber er wurde aufrecht erhalten von der leidenschaftlichen Erregung und wilden Entschlossenheit, die Nichtswürdigkeit, die den Tod seines Bruders geplant und zur Ausführung gebracht, zu entlarven und zu bestrafen, so daß er die Ermüdung kaum empfand. Eh« die Uhr zum Sieben-Uhr-Schlage aushob, stand er in Kingston auf dem Marktplatz«. RevelSworth House konnte in einer Viertelstunde erreicht werden, aber da würde er gerade zum Diner eintreffrn, und mit FrancrSca auch nur zum Schein da» Brod brechen, würde ihm eine Unmöglichkeit sein, sagte ihm sein Gefühl. So ging er denn in ein Hotel und aß mechanisch ein paar Bissen von dem, was ihm vorgesetzt wurde. Um 8 Uhr forderte er seine Rechnung und bestellte einen Wagen, der ihn dann rasch nach dem alten Hause auf dem Anger brachte. Ein ganzes Heer von Erinnerungen stürmte auf ihn ein, als die epheuumrankten Mauern des Familiensihes in Sicht kamen. Vor sechs Monaten waren er und sein Bruder in leichtherziger Stimmung dorthin gereist und, auf der Brücke in der Nähe des Hauses stehend, hatte Viktor darüber gescherzt, welcher von ihnen die „schöne Cousine Francesca" gewinnen werde. „Und bei unserer Rückkehr", murmelte er zu sich, „begegneten wir ihr auf der Thürschwelle — dem Dämon, der ihm das Leben raubte!" Jähe Furcht vor sich selbst überkam ihn. Wenn Francesca ihm, mit diesem Gedanken in seiner Seele, jetzt begegnete, wenn sie ihm die Thür öffnen und ihn mit ihrem Lächeln auf den Lllgenlippen begrüßen würde, konnte ihn da nicht die Versuchung packen, den Revolver aus der Tasche zu nehmen, und sie todt zu seinen Füßen nicderzuftrecken? Er wagte kaum aufzusehen, als die Thür geöffnet wurde. Doch welche Gefühlserleichterung, als Betty's Stimme an sein Ohr schlug. „Dudley! Schon zurück? Wir haben Dich nicht erwartet! Hast Du schon Dein Diner gehabt? Ich bin so froh, daß ich daheim geblieben und Herrn O'Meara Francesca an meiner Statt zu einer Kahnpartie mitnehmen ließ." „Sie ist also nicht zu Hause? Dem Himmel sei Dank!" „Nein, sie ist nicht daheim; und wir können Joe nirgend» finden, und — Dudley, was ist denn nur pafsirt?" „Nichts ist pafsirt, Liebe!" erwiderte er, ihren Arm durch den seinigen ziehend. „Aber es wird sehr viel passtren!" erklärte er, und führte sie mit sich inS Bibliothekzimmer. „Mein Diner habe ich gehabt", fuhr er fort, „und bedarf nichts von dergleichen Doch nun, ehe Francesca zurückkommt, mußt Du mich hinauf zu Frau Harold begleiten und darfst Dir über nichts, was ich dort sage, Verwunderung anmerken lassen. Verstehst Du, Liebe?" „Ja." „Zwei Nächte schon habe ich kein Auge zum Schlafen ge schlossen, und werde daher zeitig zu Bett gehen. Wenn Du Dich niederlegst, dann verschließe, bitte, Deine Thür wie gewöhnlich und öffn« sie nicht, was Du auch hören magst, bi» ich Dich selbst rufe." „Ich werde Deinen Wünschen in Allem nachkommen, aber —" „Nun?" „Deine Miene erschreckt mich, Dudley! Du hast etwas ent deckt — etwas Schreckliches, ich kann es in Deinen Zügen lesen! O, Dudley, bedenke — sie ist eine Frau und sie — sie liebt Dich!" „Ich werde dessen eingedenk sein", entgegnete er, „und ihr gleiches Erbarmen, wie sie erwiesen hat, zu Theil werden lassen." xxvm. „In drei Tagen hoffe ich vermittels Speciallicenz Ihre Tochter Francesca zu meiner Gattin zu machen." Das war's, um das es Dudley so sehr zu thun gewesen, daß Frau Harold es erfahre, ehe Francesca zurückkehrte. Betty betrachtete das häßliche Possenspiel, das sie und Dudley aufführten, mit Widerwillen, Furcht und Bangen. Daß sie Beide — Dudley und Betty — sich stellten, als hielten sie dieses Weib für Francesca's verstorbene Mutter und glaubten ihren Darstellungen, so daß Jene sich wirklich einbildete, sie ließen sich von ihr täuschen und sich Lügen auf Lügen auföinden durch ihre Rhapsodien über ihren seligen Gatten, das Alles war für das biedere, offene englische Mädchen tiefbetrübend, und es schmerzte sie unendlich, mit anzusehen, wie gut, wie viel zu gut Dudley seine Rolle in der gräßlichen Komödie spielte. „Es übersteigt mein Vermögen, von Francesca zu sprechen", versicherte er, „nur bestreben kann ich mich, ihrer würdig zu werden." „Sie sind schon bewunderungswürdig, bezaubernd in jeder Weise", schnurrte die alte Italienerin; „aber ein« Hochzeit so kurz nach dem Tode unseres geliebten Viktor, davon kann doch nicht die Rede sein! Es würde seine Mutter empören und mich gleichfalls —" „Sie soll ja ganz in der Stille stattfinden", fiel ihr Dudley ins Wort. „Francesca und ich sind mit einander einig, daher dürfen Sie uns auch nicht entgegen fein. Wir sehnen uns Beide nach anderer Umgebung und wollen sie uns zusammen gönnen. Heute Abend", fuhr er, beim Sprechen aufstehend, fort, „werde ich zu meinem Bebauern meine holde Braut nicht mehr sehen. Ich sehe ja aus wie eine Vogelscheuche nach den anhaltenden Reisen und fühle mich nach zwei schlaflosen Nächten so todtmiide, daß ich die Augen kaum offen zu halten vermag. Ich muß mich sogleich schlafen legen." „Armer Mensch — Sie müssen in der That müde sein!" mur melte Frau Harold, ihr giftiges Auge auf sein bleiches, verstörte» Antlitz heftend. „Und durstig", stimmt« Dudley mit freundlichem Lächeln bei und fuhr, sich Betty zukehrend, fort: „und recht herzlich möchte ich Dich bitten, Betty, mir einen Krug von jenem Eiswasser nach amerikanischer Manier, auf das Doctor Vernon so schimpft, an mein Bett setzen zu lassen. Ich möchte das Meer austrinken!" Nicht eine Muskel zuckte in Frau Harold'S Gesicht. Aber doch glaubten ihre beiden Besuchsgäste ein jähes Aufblitzen der eingesunkenen Augen zu bemerken. In herzlicher Weise nahm sie von Dudley Abschied. „In drei Tagen also kann ich Sie meinen Sohn nennen!" sagte sie, ihm ihre feuchtkalte Krallenhand reichend!" „In drei Tagen!" bestätigte er mit einer ritterlichen Ver beugung. «O, Dudley, es war entsetzlich!" lispelte Betty, sobald sie sich draußen auf dem Corridor befanden. „Das ist nur der erste Act gab er spöttelnd zurück. „Es wird noch ganz anders kommen — schlimmer! Doch jetzt gehe hin unter, Liebe, und besorge mir ein paar Tassen des allerstärksten Kaffees — richtige Kaffee-Essenz, die selbst die Siebenschläfer wach erhalten würde!" „Aber ich dachte —" „Das darfst Du eben nicht thun! Gute Nacht, Betty!" Doch so müde zu sein er auch vorgegeben hatte, so machte Dudley, als er in sein Zimmer eingetreten, trotzdem keine An stalten, sich zu Bett zu legen. Statt dessen wanderte er in Haus schuhen den ersten Theil des Abends von seinem Zimmer in das früher von seinem Bruder bewohnte ruhelo» hin und wieder zurück. Das Geheimniß der von Betty geschauten Geisterhand war ihm jetzt zum Theil gelöst, denn eine genaue Besichtigung des hölzernen Verschlages zwischen dem Kopfende des Himmelbettes und dem Spukzimmer hatte ihm die Thatsache enthüllt, daß «in Theil der Täfelung lose und vor Kurzem zierlich ausgeschnitter und daß die Ränder des herausgeschnittenen Theil» nachher mit schmalen Streifen Tapete überklebt worden waren, so daß die Wand wieder ein einheitliches Aussehen zeigte. „Ich will Keinem die Mühe verursachen, ein Loch in die Wand zu machen, um mich zu vergiften", hauchte er mit düsterem Lächeln, wie er um elf Uhr seine Kerze au-löschte und sich völlig angekleivet in's Bett legte. Dicht an sein Bett hatte er ein Tischchen geschoben, auf dem so recht augenfällig der Krug mit dem Eiswaffer, um da» er ge beten, ein Glas, eine Kerze auf einem Leuchter und eine Schachtel Streichhölzer standen, während unter seinem Kopfkissen der ge ladene Revolver lag. Das Gemach war ganz dunkel — obgleich draußen der Voll mond hell leuchtete — aber di« grünen Rouleaux und dir schweren
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