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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.06.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-06-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010618029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901061802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901061802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-06
- Tag1901-06-18
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Ätntsvkatl des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rattjes «nd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Dienstag den 18. Juni 1901. Anzeigen »Preis die 6 gespaltene Petitzeile LS H. Reklamen unter dem RedactiouSstrich ^-gespalten) 75 L,, vor den Familiennach» richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—, Ännahmeschluß sirr Änzeizeu: . Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. 85. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Keine AriedcnSauSsichtcn. Aus Brüssel, 17. Juni, wird uns geschrieben: Von Boerenseite wird erklärt, daß gar keine Aussichten auf Einleitung ernsthafter Friedensverhandlungen vorhanden seien. Die britische Regierung lehne es noch immer grundsätzlich ab, in directe Verhandlungen mit der Transvaalregierung zu treten, sondern überlaste das Verhandeln dem Lord Kitchener. Dieser aber nimmt dabei die Stellung des „Militärgouverneurs der britischen Oranje- und Transvaalcolonie" ein, wodurch schon formell das Vorhandensein der beiden Boerenstaatcn bestritten wird. Kitchener darf und kann deshalb gar nicht über die Grundfrage, nämlich die Unabhängigkeit der Boeren- staaten, verhandeln. Da nun ferner Präsident Krüger in seinen drahtlichen Unterhandlungen mit Standerton sachlich kaum etwas Neues erfahren konnte, so wird der Präsident voraussichtlich sehr bald auf die ihm gewährte „Vergünstigung" des drahtlichen Ver kehrs mit Transvaal verzichten. So lange also England in der Unabhängigkeitsfrage nicht nachgiebt, ist und bleibt jede Friedens aussicht ausgeschlossen. Inzwischen erleiden die Engländer Schlappe auf Schlappe. So wird uns heute berichtet: * London, 17. Juni. Nach der heute Abend eiagegangenen Verlustliste ist es am Freitag in der Nähe von Houtkop zu einem anscheinend ernsteren Gefecht gekommen, in dem drei Mann getödtet und zwölf verwundet wurden. Gestaltet sich so die Kriegslage weiter günstig für die Boeren, so dürfte auf Nachgiebigkeit von ihrer Seite noch weniger als bisher zu rechnen sein. Appell an das britische Bolk. In der „Rheinisch-Westf. Zig." lesen wir: Die Sensations nachricht von einer deutschen Friedensvermittelung zwischen Briten und Boeren auf Grund einer Einigung der Dreibund mächte mit dem Zweibund und im geheimen Einverftändniß mit KönigEduard ist eine recht kurzlebigeEntegewesen. Dieenglischen Regierungsleiter verschließen sich gewiß nicht der Erkenntniß, daß, je länger dieser unglückselige Krieg in Südafrika dauert, desto größer und schlimmer die mannigfachen Gefahren werden, die für Großbritannien so ziemlich an allen Puncten der Welt daraus erwachsen. Es ist gar nicht denkbar, daß ein so alter, erfahrener, scharfblickender Staatsmann, wie Lord Salisbury, dies nicht bereits längst erkannt und nicht längst zu der»Ueber- zeugung gekommen sein sollte, daß alle Vortheile, die England von einer schließlich vollständigen Niederwerfung der Boeren- staaten davontragen könnte, in gar keinem Vcrhältniß zu den Gefahren, Nachtheilen und Opfern stehen würden, die aus einer Fortdauer, aus einer unabsehbaren Fortdauer des südafrika nischen Krieges erwachsen müßten. Aber Lord Salisbury kommt augenscheinlich trotzdem nicht von der Befürchtung los, daß ein Zurück für Großbritannien in diesem Falle den Anfang vom Ende seiner bisherigen Weltstellung bedeuten würde. Mai; wird dck an das alte Wort erinnert, daß Gott die, welche er ver derben will, vorher verblendet. Als ob diese britische Welt stellung durch irgend etwas stärker gefährdet und angegriffen werden könnte, als durch die uferlose Fortsetzung eines Krieges, zu besten schneller Beendigung dem großen Weltreich, wie alle bisherigen Erfahrungen gelehrt haben, die Vorbedingungen fehlen. Diese Wahnvorstellung, daß England nicht zurück könne, daß es seine Weltstellung nur durch eine vollständige Nieder werfung der Boeren erhalten und neu befestigen könne, beherrscht vorläufig noch Lord Salisbury, Chamberlain, Brodrick und alle die anderen Männer, die, gestützt auf eine große Parlaments mehrheit, die englische Politik gegenwärtig noch machen. Aber wenn nicht alle Anzeichen trügen, so beginnt sich innerhalb des englischen Volkes selbst ein Umschwung zu vollziehen. Zunächst tritt er ja noch nicht unverhüllt in die Erscheinung. Die wachsende Krirgsmüdigkeit macht sich vorläufig in dem Ver langen Luft, durch eine verschärfte Grausamkeit gegen die Boeren- lämpfer und deren Angehörige ein schnelles Ende des Krieges zu erzwingen. Auf der andern Seite zeigt sich die große Friedenssehnsucht weiter Kreise des englischen Volkes in der merkwürdigen Hart näckigkeit, mit der von der englischen Presse die Wahnvorstellung aufrecht erhalten wird, daß die im Felde stehenden Boerenführer den Präsidenten Krüger bestürmten, die von der englischen Regie rung angebotenen Bedingungen anzunchmen. Da sich die englischen Machthaber festgerannt haben und aus eigener Entschließung nicht zurückwollen noch können, so kann ein Ende dieses verhängnisvollen Zustandes nur durch einen starken Anstoß von unten, durch einen energischen Um schwung in der öffentlichen Meinung Englands, herbeigeführt werden. Die jüngste Berliner Versammlung der Boerenfreunde hat deshalb das Richtige getroffen, als sie sich mit ihrer Kund gebung zu Gunsten des Friedens nicht an die englische Negierung, sondern an die englische Volksvertretung wandte. Allerdings ist ja daS jetzige Unterhaus unter dem Zeichen des Boerenkrieges gewählt worden und die große Mehrheit hat bisher die imperialistische Regierungspolitik blindlings unterstützt. Aber in England haben die Parlamentsmitglieder stets eine feine Witte rung für die Wiegungen der öffentlichen Meinung, und wenn sie auch nicht so schnell ihren Standpunct ändern mögen, wie die Wähler, so können sie sich doch einer starken Volksströmung auf die Dauer nicht entziehen. Derartige Umwälzungen vollziehen sich naturgemäß nicht von heute auf morgen, und wir sind weit entfernt, der erwähnten Berliner Kundgebung eine solcke Wunderwirkung beizumessen. Aber ganz ohne Eindruck wird sie doch auch vielleicht nicht bleiben, zumal sie an der in weiten Kreisen des englischen Volkes vorhandenen Kriegsmlldigkeit eine starke Stütze findet. Befestigt sich dort erst einmal die Ueber- zeugung, daß Englands Ansehen in der Welt durch die Fort setzung dec südafrikanischen Greuel weit mehr gefährdet wird, als durch eine entschlossene Beendigung des ungerechten Krieges, dann wird die allmächtige öffentliche Meinung einen schnellen Sieg über ihre Regierungsmänner davontragen und den Friedensschluß erzwingen. Die Regierungspartei und ihre Führer wissen, daß sie fallen, sobald der Krieg eingestellt werden muß, darum wollen sie nicht den Frieden. Nur das britische Volk kann noch helfen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 18. Juni. Nach dem officielleu Berichte über die Vnthnllnim des BiSmarck-Tcnkmals in Berlin hat der Feier gar nichts von dem gefehlt, was man von ihr erwartet hatte. Andere Be richte lassen erkennen, daß man vielfach gemeint hat, die Feier werde sich etwas weniger schlickt vollziehen, als sie sich in Wirklichkeit vollzogen. So wird in der „Täzl. Nundsck." geklagt: „Der Schluß der Festlichkeit war etwas unver mittelt, formlos. Es fehlte die Krönung des Festes oder auch nur der volltönende Abschluß. Die Volksfeier schien in eine H offe st lick kei t binüberzugleiten, bei der der Cercle die Hauptsache, das Denkmal die Beigabe sckienen. Auch das Hoch des ReickstagS-Präsidenten Grafen Baklestrem bei der Abfahrt des Kaisers vermochte die Stimmung nicht zu retten, die Begeisterung hatte sich etwas gesenkt." Besonders eingehend wird in den „Berl. N. Nachr." dargelegt, waS vielfach vermißt worden ist: Die in sehr einfachen Formen vollzogene Enthüllungsseier de- Bismarck-Nationaldenkmals nahm im Großen und Ganzen einen durchaus würdigen Verlauf. An äußerem Glanze war mög lichst gespart worden, es handelte sich — dem Buchstaben nach — ja allerdings nicht um eine officielle Haupt- und Staatsaction, Kaiser und Reich waren nur Eingeladene, aber doch immerhin eingeladen nicht nur, um bei der Enthüllungsseier anwesend zu sein, sondern auch um das voll endete Denkmal aus den Händen des Comitss zu über- nehmen, und schon der Umstand, daß der Reichskanzler die Fest rede hielt, gab der Feier einen osficiellen Charakter. Da ist es nun allerdings vielfach ausgefallen, daß für die Denkmalsfeier dieses Mannes, des Schöpfers des Reiches, kleine Uniform, für die Truppen Dienstanzug befohlen war. Bei der Eröff nungsfeier für das Reichstagsgebäude waren die dazu comiuandirten Truppen in Parade-Uniform, ja, so viel wir wissen, ist dies bei jeder Kircheinweihung der Fall. Die Gründe, aus welchen für Bismarck jkleine Uniform befohlen war, entziehen sich unserer Kenntniß, aber die äußere Erscheinung der Ehrencompagnie machte doch nicht den einer solchen Feier würdigen Eindruck. Allerdings, als Bismarck im Jahre 1894 nach Berlin kam, war zu dem damals im Lustgarten abgehaltenen militärischen Empfang auch nur „Dienstanzug" befohlen, nicht Parade-Anzug, und so wird man denn diese Betrachtung mit dem Gedanken abzuschließen haben, daß, was für den Lebenden als ausreichend erachtet worden war, auch für sein Denkmal genügen mochte. Ter Mann da droben hat über Kleider- und Schneiderfragen sein ganzes Leben lang ja sehr gering gedacht. Er selbst hat nicht ein mal Achselstücke angelegt, ja er hat trotz des Helms nicht einmal den Nock ganz zugeknöpft; und er würde bei Lebzeiten die Frage, in welchem Anzüge die officielle Welt zu seiner Tenkmalsseier zu erscheinen habe, wahrscheinlich „mit dem Gefühl gänzlicher Wurschtigkeit", wie ein historischer Ausdruck von ihin lautet, er örtert haben. So zu denken stand ihm zu. Im Publicum war gestern vielfach die Ansicht vertreten, daß der höchste Glanz, den das deutsche Reich zu entfalten vermöge, für Bismarck immer noch bei Weitem unzureickend sei. Angesichts der großen Ver dienste, die Bismarck sich um das Heer erworben, Verdienste, die Kaiser Wilhelm I. bei der Verleihung des Ordens xour Io msrito und Kaiser Friedrich in seinem Gratulationsschreiben vom 25. März 1888 in so ehrenvoller Weise anerkannt haben, wäre es vielleicht würdig gewesen, die Fahnen des Gardecorps als Repräsentanten der Armee an der Feier theilnehmen zu lassen und so den Dank des Heeres zum Ausdruck zu bringen, das nach Kaiser Friedrich's Worten die ihm durch Bismarck zu Theil gewordenen Segnungen niemals ver gessen wird. Mit dem „Generaloberst" wäre das ja militärisch ver- einbar gewesen. Ueberhaupt hätten wir für die Feier einen wärmeren Hauch und einen befriedigenderen Abschluß gewünscht. Es würde ungleich eindrucksvoller gewesen sein, wenn Bundesrath und Reichstag, die Vertretungen der beiden Häuser des Land tags und die sonst noch anwesenden Abordnungen sich dem Um gänge des Hofes um das Denkmal angejchlosscn hätten; hierher gehörten auch die Deputationen der Hochschulen mit ihren Fahnen und Bannern, die auf die obersten Reihen der Tribünen verwiesen waren, dort allerdings dem Gesammtbilde einen stilvollen Abschluß gaben, dafür aber da fehlten, wofür sie eigentlich gekommen waren. Nun wird ja nicht leicht irgend eine Feier begangen werden, an der nicht nachträglich irgend etwas bemängelt werden könnte. Aber auS den Auslassungen der „Berl. N. N." scheint doch hervorzugehen, daß den gerügten Mängeln leicht hätte abgeholsen werden können, wenn nicht von vorn herein das Ganze in Grenzen eingedämmt worden wäre, die nicht überschritten werden sollten und innerhalb deren ja auch die Inschrift auf der Schleife der kaiserlichen Kranz spende sich hält. Ist man nun aber auch versucht, bei dieser Eindämmung an die Art zu denken, in der daS sonst vielfach als Vorbild betrachtete England seine lebenden und tobten „Helden" ehrt, so kommt man doch über den etwas nieder schlagenden Eindruck, den- ein solcher Vergleich hervorruft, leicht hinweg durch das — „Berl. Tagebl.", in dem wir Folgendes lesen; „Keine Orden bei der BiSmarck-Feierl Weder der Schöpfer des Bismarck-Denkmals, Prof. Begas, noch seine zahl reichen Mitarbeiter am Kanzlermonument sind gestern mit irgend welchen Auszeichnungen bedacht worden. Angesichts dieser aus fälligen Thatsache gewinnt eine Meldung an Wahrscheinlichkeit, daß für die Mitarbeiter des Künstlers gewisse Dekorationen „be antragt" waren. Von höchster Stelle sollen diese Anträge jedoch abgelehnt worden sein." Nun wird es Licht, nun erfährt man, warum die „Krönung des Festes" fehlte und so mancherlei vermißt wurde: BegaS trägt die Schuld. Sein Bismarck verdiente keine glänzendere Feier, keine Parade-Uniformen u. dergl. Und deshalb hat er auch keinen Orden bekommen. DaS socialdemokratische Parteisekretariat und die Redaction des „Vorwärts" führen jetzt öffentliche Zwiesprache über die Abhaltung geschloffener Sitzungen auf dem nächsten social demokratischen Parteitage. DaS Parteisekretariat sucht in einer langathmigen Erklärung den neuen Entschluß zu begründen, enthüllt dabei aber nur noch klarer, daß wenigstens nach seiner Auffassung eS bloße Phrase war, wenn die Partei sich bisher mit der Oeffentlich- keit ihrer Verhandlungen brüstete. Es weist nämlich eingehend nach, daß diese Ocffentlichkeit von Anfang an unfreiwillig gewesen und lediglich durch daS Ver bindungsverbot erzwungen gewesen sei. Bis 1876, so sagt daS Sekretariat, waren die Verhandlungen nicht öffentlich; dann wurde aber durch oberste Gerichtsentscheidungen die Abhaltung geschlossener Versammlungen gewählter Vertreter der einzelnen Parteiorganisationen als Verstoß gegen das Verbindungsverbot gekennzeichnet; und als dann nach einer Pause die Parteitage wieder ausgenommen und nun durchweg öffentlich abgehalten wurden, machte man aus der Noth eine Tugend und rühmte sich damit, daß die Partei ihre Angelegenheiten vor der breitesten Oeffentlickkeit führen könne. Der Versuch deS „Vorwärts", die jetzt ermöglichte und sofort auch beschlossene Rückkehr zu geschloffenen Verhandlungen so darzustellen, als ob darin nur über die Preise der rothen Kalender und ähn liche Finanzfragen gesprochen werden sollte, wird vom Partei sekretariat selbst widerlegt: „Diese Sitzungen sollen gerade die Gelegenheit geben, mit den Vertretern der Genossen über alle Dinge sich rückhaltlos auSzu- sprechen und zwar auch über solche, die ihrer ganzen Natur nach sich zu einer Erörterung vor aller Welt und speciell in Gegenwart Feuilleton. rs „Ihr Narr". Novelle von Johannes Proelß. Nachdruck vkrbotkn. Meister Gerhard Ivar, wie es seiner Absicht entsprach, noch in Ver Dämmerung hinaus zu dem Köhler geritten. Lange wartete Frau Margrets auf ihn mit !vem Abendbrod. Als sie schließ lich doch die Lehrbuben zu der gemeinsamen Mahlzeit rief, war der Meister immer noch nicht zurück. Der jüngste der Buben sprach gerade das Tischgebet, — da ertönte Vie Hausglocke. Frau Margreihe lief fölbst in «den Hausflur, wm z>u öffnen. Da brachte man ihr den Mann, mit verbun'oenem Kopf, wie einen Tobten ins Haus. Er war vor dem Thore vom Pferde gestürzt. Wie es zugegangen war, wußten die Fuhrleute nicht genau zu sagen, die ihn aus der Straße liegend gesunden hatten. Er sei scharf aus einer Lichtung des Stadtwatves hervorgeritten gekommen. Beim plötzlichen Anblick des aus den Wolken treten den Mondes mochte sein Pferd wohl gescheut haben. Biel« Wochen hatte Frau Margrethe mit seiner Pfleg« zu thun, bis er sich von der erlittenen Gehirnerschütterung wieder er holte. Inzwischen besorgt« der Altgeselle d«n Druck des fertig gesetzten Bibelbogens und noch so manches Andere. Der Streit, der dem verhängnißvollen Ritte vorangegangen war, schwand über der Sorg« um «des geliebten Mannes Gesundheit und Leben ganz aus dem Gedächtniß von Frau Margrethe. Sie pflegte ihn mit una-blässiger Dienstwilligkert aus freiem Antriebe nach dem Gebote der Liebe. II. Das alt« Testament der Crusius'schem Bibel war ausgedruckt. Neu eingetreten« Gesellen hatten unter Meister Grrhard'S Leitung di« Exemplare in feingegkättetes Pergament gebunven. In dem Haus« des Druckherrn herrschte das geschäftigste Treiben. Von weit her sprachen Buchführrr bei ihm vor, um ihren Bedarf von d«n Werke zu möglichst Vortheilhaften Bedingungen «inzukaufen. Doch mußten sie warten, bis Alle gleichzeitig bedient werden konnten. Trotz dieser Geschäftslage umwölkten Sorgen die Stirn Meister Gerhord's. Anlaß zu ihnen gab jvdvch keineswegs die Ehe. Zwischen ihm und seiner Margrethe bestand das herzlichste Einvernehmen seit jener trüben Zeit vorm Jahr, in der sie ihn gesund gepflegt hatte. Um die Buchdruckern kümmerte sie sich freilich auch jetzt nicht witdex, Aber etwa» Anderes nöthigt« ihr so viel der beglückendsten Thätigkeit auf, daß ihr keine Zeit mehr zu Stunden der Einsamkeit blieb, deren Langeweile sie hätte ver leiten können, mit ihrem Manne laut oder im Stillen wegen Ver nachlässigung zu hadern. Und dieser stellte sich, seit ein liebliches Knäblein der Dritte im Bunde war, oft genug bei ihr ein, um die Geschicklichkeit ihrer zarten, weichen Hände beim Pflegen, Baden unid Kleiden "des kleinen goldigen Burschen mit Gallenstolz zu bewundern. Was den fleißigen Druckherrn mit Sorge erfüllte, war ein feindseliger Geist der Verfolgung und Bevormundung, welcher die frisch aufblühende Buchdruckerkunst in jüngster Zeit auch in den protestantischen Ländern Deutschlands mit Benoten und Fesseln bödrohte. Der Umstand, daß auch die Führer der auf ständischen Bauern in Franken und Schwaben sich auf Bibel stellen beriefen, daß die Gräuel der Widertäufer in Münster von düsen mit Bibelstellen zu rechtfertigen versucht wurden, hatte di« an der Reformation betheiligten Fürsten stutzig gemacht, und sie waren mit Eifer daran, das Werk der Reformation vor solchen Auswüchsen zu behüten. Auch in Herzog Luvwig's Hauptstadt war eine Censurbehörd« eingesetzt worden, der alle Bücher oorgelegt werden mußten, die sich auf Gottes Wort bezogen. Wohl konnte sich Meister Ger hard trösten, daß diese Ucberwachung seinem Bibelunternehmen kaum etwas anhaben könne, aber sein übriger Verlag hatte unter den Einsprüchen der Censur erheblich gelitten. Was die im Haus« vorsprechertven wandernden Buchführer aus Sachsen, dem stolzen Heimathlande von Luther's Reformwerk, berichteten, ließ noch Schlimmeres für die Zukunft befürchten! In den alber- timschen Erbkändern hatte Herzog Georg der Bärtkge Luther's sämmtlich« Schriften verboten. Ein Buchdrucker Leipzigs war in den Kerker gekommen wegen eines Druckfehlers, dem die Censur ketzerische Absichtlichkeit unterlegte. Der Buchführrr Herrgott aus Nürnberg war gar auf dem Marktplätze zu Leipzig enthauptet worden, weil er «in« Schrift unter- Bolk gebracht hatte, die mit Berufung auf die Bibel aufrührerische Ansichten lehne. Von diesen beunruhigenden Vorgängen hatte jedoch Frau Margrethe in der Idylle ihres Mutterglückes bisher nichts er fahren. Meister lsserhard behielt seine Sorgen für sich, damit die glücklich genesene Frau in froher Stimmung ihren Mutter pflichten obliege. Durch die Laubkronen der blühenden Bäume im Crusius- schen Garten vorm Thore funkelte die hochstehende Maien sonne und warf spielende Lichter auf di« Blumenbeete urld frischgrünen Wiesen, Mischen denen Frau Margrethe auf den gelben Kies Pfaden einen Kinderwagen vor sich herschob. Sie sang dabei leise em Wiegenlied. Ab und zu stand sie still und zerthrilte mit sanftem Griff den über dem kleinen Schläfer geschlossenen blauen Vorhang, um nachzusehen, ob sein Schlaf auch wirklich ein fester sei. Als sie sich davon überzeugt hatte, ließ sie den Wagen im Schatten eines großen Apfelbaumes stehen, an dessen Stamm eine Bank zum Sitzen einlud, ergriff bann eine Gießkanne, füllte sie am nahen Ziehbrunnen unv begann, die friscygewaschenen Wäsche stücke, die auf dem Rasen zum Bleichen ausgebreitet waren, mit kräftigem Arm zu begießen. Die tausend kleinen Tropfen, in denen die feinen Wasserstrahlen auf das weiße Linnen nieder- perltm, schimmerten gar lustig in der Sonne. Ein Geräusch im Nachbargarten zu ihrer Rechten wandte ihre Aufmerksamkeit für einen Augenblick diesem zu. Dort hatte ein vornehm gekleideter Mann von hagerem Aus sehen sich vor Kurzem erst eingefunden. Zunächst w»r er prüfend die Obstspaliere entlang gegangen, an denen die einstlnen Bäume zu einem Wachsthum genöihigt wurden, das ihrem natürlichen Wüchse zuwider war. Die Bäume standen nur zum Theil in schöner Blüthe; sie hatten nicht dieselbe Widerstandskraft gegen die Unbill des Winters gehabt, wie die Aepfelbäume nebenan, die auf großem, starken Stamm ihr« Laubkron« frei gen Himmel wölbten. Mit Neid wandte der Geheime Ober-Justitiarius Karstropp sein Auge diesen zu, und mit Neid blieb sein Blick auf dem jungen Weibe haften, dessen schöner Wuchs bei der Thätigkeit, die sic «brn entfaltete, reizvoll hervortrat. Behutsam näherte er sich dem etwas verwitterten Stacket, welches seinen Garten von dem des Magisters Crusius trennte, und weidete sich an 'dem Bild, während böse Gedanken sein Hirn durchkreuzten. Ein heftiges Begehren durchzitterte ihn, ein wilder Haß gegen den Mann, dem dieses Weib angehövie, trieb ihm das Blut zu Herzen. Einsj haite er hier Margrethe als Mädchen herarMühen sehen und im Göist schon die Äine genannt, — 'da war dieser hergelaufen« Tchönbart 'tuzwischen gekommen und hatte ihm das zu holder Reife erblühte Nachbarskind geraubt! Aber nickt nur den siegreichen Rivalen haßt« der Ober-Justi- tiarius Karstropp in Gerhard Crusius. Mit argwöhnischem Widerstreben stand er dem Geiste der Reformation gegenüber, wenn er sich auch in seinem öffentlichen Verhalten klüglich nach dem Wind richtete, der „von oben" weht«. Die Buchdruckerdunst war ihm nichi nur wegen der Druckerschwärze «ine „schwarze" Kunst. Dem Volke da auf einmal Gelegenheit geben, sich -in den Beruf der Gelehrten zu mischen, sich durch Lectüre über alles Mögliche, ja über Thum und Lassen von Kirche und Obrigkeit ein eigenes Urtheil zu bilden, konnte nach seiner Meinung doch nur zu Aufruhr und Unbotmäßigkrit führen! Und nun gar die Bibel zu übersetzen: welch' ein Unfug! Eiferten doch schon dir Geistlichen untereinander genug über die richtig« Auslegung! Di« ungebildete Menge hatte zu glauben, was ihr der Pfarrer, zu thun, was ihr die'Obrigkeit gebot! Als Herzog Ludwig aus innerster Begeisterung sich der Re formation angeschloffen hatte, war Karstropp davon abgekommen, dem Herrn seine Meinung aufzudrängen. Als aber «inzutreten schien, was er prophezeit, als die Kunde von den Greueln der aufständischen Bauern und Widertäufer ins Land kam, da hatte er mit wachsendem Eifer begonnen, den Herzog für Be schränkungen der dem Volke gewährten Glaubensfreiheit zu ge winnen. Unter Karstropp's Führung war das Ccmsur-Colle- gium zu Stande gekommen, dem all« Schriften über GlaubenS- sachen oorgelegt werden mußten, ehe sie im Lande Verbreitung fanden, und jeirt hatte er in demselben den Vorsitz. Niemand seiner Beisitzer in dem Collegium ahnte, welcher persönliche Rachedurst an dem Eifer bet heiligt war, mit weichte m er sie zu dem schärfsten Vorgehen, "besonders gegen Crusius, amfpornte. Als sich jetzt sein« Augen an "dem Anblick dec schönem Arme Frau Margvethe's weideten, welche die Gießkanne auf- und niederschwangen, und an denen die Aermöl aufgestveift waren, brückt« er so heftig gegen den Holzzaun, daß ein Geräusch ent stand, welches die junge Frau aufschaurn ließ. Ein Blick ärger lichen Mißmuthes streifte ihn; dann fuhr sie in ihrer Arbeit fort, ohne dem Zuschauer scheinbar irgend weitere Beachtung zu schenken. Nur etwas eiliger als vorher führte sie die Arbeit zu Ende. Margrethe hatle von klein auf den finster blickenden, un schönen Mann, der viel älter als sie war und allgemein für hart herzig und hochmüthig galt, nie recht leiden mögen. Durch seine lauernde Art und di« Zudringlichkeit, mit der er ihr später den Hof machte, war er ihr unheimlich geworden. Ms sie dämm der- heirathet -war, und er dennoch nicht aufhörte, sie mit begehrliche« Blicken zu verfolgen, ja mit ungebührlicher Anrede ihr in den Weg zu treten, hatte der Widerwille gegen sein« Nähe ihr sogar den Aufenthalt in 'dem alten lieben Familiemqarton verleidet. Nun aber "der neu« Frühling sie als Mutter eines nach frischer Luft verlangenden Knäbleins vorzefu-nden hatte, wair ihr der häufig« Besuch dcs Gartens als eine Pflicht erfchtenen, gegen dk alle Vedemken zurückstehen mußten. Auch glaubte sie. vaß ihre neue Würde als Mutter und die Anwesenheit' ihres Kindes dem Justitiarius, der beim Herrn des Landes so viel Ansehen unid Vertrauen genoß, veranlassen werde, sie fernerhin nicht mehr zu behelligen. Um so empörter war sic über ihn, als er sich auch jetzt wkder nur allzu oft am Gartenzaun ein sand und jetve Gelegenheit er« griff, sie in «in Gespräch mit ihm zu verwickeln. Auch heute machte er den Versuch. Ai» si« beim Weg stellen der Gießkanne in sein« Näh«
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