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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.07.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-07-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010703015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901070301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901070301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-07
- Tag1901-07-03
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Ämtsölatt -es Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Aathes nn- Nolizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen «Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 Reclamin unter dem RrdacttonSstrich («gespalten) 75 vor den Familiennach- rtchten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Kiffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertrnannayme 85 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung ^il 70.—. Ilnnahmeschluß för Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stet» an die Expedition zu richt«». Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol- tu Lripziß. 333. Mittwoch den 3. Juli 1901. 95. Jahrgang. Der augenblickliche Rückgang des Klerikalismus in den romanischen Landern. Q In der vergangene« Woche haben sich in den drei großen romanischen und ganz zugleich überwiegend katholischen Ländern Vorgänge abgespielt, die den gegenwärtigen Rück gang deS KlerikaliSmuS in diesen Ländern deutlich illustriren. In Frankreich hat der Senat mit stattlicher Mehrheit das von der Zweiten Kammer bereit- votirte Gesetz über die katholischen Ordensgenossenschaften angenommen, ein Gesetz, durch welche» die für die Existenz der Republik bedroblich gewordene Macht der Congregationen zurückgedämmt wird. Ja, der Senat würde den Entwurf sogar noch verschärft haben, wenn nicht der Ministerpräsident Waldeck-Rousseau sich dem entgegeagestellt hätte. Ist schon dieses Gesetz ein schwerer Schlag gegen den Klerikalismus, so ist e» fraglich, ob eS dabei sein Bewenden haben wird, denn die herr schende radicale Partei hat soeben auf ihrem IahreSconaresse erklärt, daß dieser Kampf auch weiterhin als Hauptaufgabe der Partei betrachtet werden müsse. Daß einstweilen wenigsten- die Aufrollung dieses Kampfes dem Ministerium Waldeck nichts geschadet hat, geht daraus hervor, daß dies Ministerium nunmehr seit vollen zwei Jahren im Amte ist, ein seit dem Bestehen der dritten Republik nahezu uner hörter Vorgang. In Italien hat daS in seiner Gesinnung dem fran zösischen Ministerium verwandte Cabinet Zanardelli-Giolitti sich zu einer Politik bekannt, die indirekt den Klerikalismus lahm legt. Wenn die klerikale Partei in der zweiten Hälfte deS vorigen Jahrzehnts wieder kühner ihr Haupt erhob und sich wieder neu organisiren konnte, so lag das an der wirtschaft lichen Stagnation und an der vollkommenen socialen Un fähigkeit des italienischen Parlamentarismus. Je schlechter die wirtschaftliche Lage wurde und je unfähiger und zugleich unwilliger die parlamentarische Camorra sich zeigte, eine Besserung herbeizusühren, desto trefflicher gedieh die Saat de- SocialiSmus einerseits und der klerikalen Dunkelmänner andrerseits. Konnten die Letzteren doch dem Volke darthun, daß in der gesegneten Zeil de- päpstlichen Regiments und deS Königreiche- beider Sicilien es um die hungrigen Magen besser bestellt gewesen sei. Unter dem neuen Ministerium ist nun einmal die finanzielle Lage des Staate» eine bessere geworden und zweitens bat da- Ministerium gezeigt, daß eS ihm ernsthaft darum zu tbun ist, einen socialen Ausgleich herbeizuführen und die Lasten gerechter zu verteilen. Gelingt es ihm, diesen großen Aus gaben gerecht zu werden, so wird zugleich wieder der sich von der Unzufriedenheit nährende Klerikalismus zurück gedrängt. In Spanien haben in der letzten Woche wiederum, ähnlich wie im vergangenen Winter, an verschiedenen Orlen Ausschreitungen gegen die Geistlichkeit und die Kirchen statt gefunden, Ausschreitungen, die gewiß lebhaft zu bedauern sind, die aber zeigen, wie tiefe Wurzeln die Abneigung gegen die von der Kirche jahrelang geübte Tyrannei in diesem völlig katholischen Lande gefaßt hat. In einem Orte im Norden des Landes ist eS sogar zu einem Conflicte zwischen der bewaffnete« Macht und der katholischen Geistlichkeit gekommen. Frankreich, Spanien und Italien sind neben Oesterreich die einzigen compact katholischen großen Staaten. Daß auch in Oesterreich in Folge der verrätherischen Haltung der dortigen Klerikalen der deutschen Sacke gegenüber daS An sehen und die Macht der katholischen Kirche einen Stoß er halten hat, ist unbestreitbar. Um so fataler ist natürlich für die Kirch« der gleichzeitige Rückgang in den drei großen romanischen Ländern. Damit aber soll in keiner Weise gesagt werden, daß der Einfluß der katholischen Kirche sür die Dauer zurückgedrängt ist. Wir baben mit Vor bedacht von einem »augenblicklichen" Rückgänge in den romanischen Ländern gesprochen. Denn die Geschichte de» 19. Jahrhundert- zeigt, wie schnell gerade in den romanischen Ländern die katholische Kirche sich auch von den schwersten Schlägen erholt. Im Jahre 1793 herrschte in Frankreich der „CultuS der Vernunft". Jeder Gottesdienst wurde ab geschafft. Gerade ein Menschenalter später wurde von der „ckawbrs lntroupable" unter Karl X. ein Gesetz ange nommen, welches die grausigsten Strafen gegen den Kirchen frevel verhängte und das, wie ein Anhänger der libe ralen Minorität, Royer-Collard, sagte, den Priester zum Könige machte. In Spanien wurde im Jahre 1812 eine ultra-liberale und kirckenfeindliche Verfassung gegeben, aber zwei Jahre später ballte das ganze Land von dem Geschrei wieder: „Tod den Liberalen", daS geistliche Gericht, die In quisition, die Mönchsklöster wurden wieder hergestellt. 9n Italien endlich wurde unter dem Jubel des ganzen Landes im Jahre 1860 dem reactionär-klerikalen neapolitanischen Königthum und zehn Jahre später der weltlichen Herrschaft des Papstthums ein Ende gemacht, aber in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre konnte, wie bereits erwähnt, der Klerikalis mus bereits wieder eine solche Rolle spielen, daß selbst ein Mann wie Crispi eS für gut hielt, sich mit ihm auf einen leidlichen Fuß zu stellen. Wir haben diese historische Parallele durchgeführt, um daran zu zeigen, daß jeder Gegner deS Klerikalismus, sei es in Deutschland, sei es anderwärts, verfehlt bandelte, wenn er sich einem nicht berechtigten Siegesräusche hingeben wollte. Andererseits zeigen diese Schwankungen freilich, daß auch die klerikalen Bäume nicht in den Himmel wachsen. Noch vor wenigen Jahren schlugen gerade in den romanischen Ländern die Klerikalen den Avancirmarsch: in Madrid ein stock klerikales Ministerium, in Paris die Herrschaft deS mit der Kutte verbrüderten Säbels, in Italien ein beängstigend schneller Niedergang des liberal-constilutionellen Königthums. Heute allgemeiner Rückzug des Klerikalismus: „Die Welt ist rund und muß sich drehen". Der Krieg in Südafrika. JohanniSbnrgcr Brief. Aus Johannisburg, 6. Juni, schreibt man uns: Vor acht Tagen feierten die Engländer den ersten Jahrestag ihres Einzuges in Johannisburg. Aber alle Festreden konnten nicht darüber Hinwegtäuschen, daß alle Nichtengländer über die maß lose Bevorzugung deL Engländer immer erbitterter werden. Dieser Krieg wurde begonnen als „Kampf für gleiches Recht für Alle". Es herrscht hier gegenwärtig eine Meistbegünstigung für Briten und britischen Handel, wie sie ansioßerregender nicht ge dacht werden kann. ES ist schon darauf hingewiesen worden, wie durch die Maßnahmen der militärischen Postbehörden der Handel zum Nachtheile des gesammten Auslandes beeinflußt wird da durch, daß der gesammie Drucksachen- und Zeitungsverkehr mit dem Auslande (England und zeitweise Bereinigte Staaten von Amerika ausgenommen) aufgehoben ist. Nichi minder ernstlich verdienen die Maßnahmen ins rechte Licht gestellt zu werden, welche die Erwerbsthätigkeit — die menschliche Arbeit — den Engländern ausschließlich eröffnen sollen. Wie schon erwähnt, ist eine Minenschutztruppe eingerichtet worden, und seit einigen Wochen arbeiten wieder drei — ganze drei — Goldminen. Es kommen nun immer mehr Engländer von Durban und Capstadt zum Ersatz für die Ausländer als Arbeiter an den Minen hierher zurück, auch um die Plätze solcher cinzunehmen, die an solchen Goldminen arbeiteten, an denen nichts weiter als die Pumpen in Betrieb sind. Die Stimmung von Nichtengländern, die um ihrer Nationalität willen keine Ar beit erhalten können oder ihre Stellung verloren haben, läßt sich denken. Nebenher gehen dann noch die Gesuche von Arbeit gebern um „Engländer", „entlaßene Freiwillige" und in ähn licher Weise näher bezeichnete Personen, die ohne Ausnahme di- eine Eigenschaft nicht besitzen dürfen, daß sie nämlich Ausländer sind. Ein welkeres Beispiel für dieselbe Sache, die unglaubliche Bevorzugung der Engländer: Vor acht Tagen wurde in üblicher Weise bekannt gemacht, daß Wein und Spirituosen in drei Hand lungen zu haben seien, aber nur auf ein ärztliches Attest hin. Die drei Handlungen, die näher bezeichnet werden, sind drei englische Firmen, und die ärztlichen Atteste müssen von einem der ebenfalls näher bezeichneten 6 — jetzt 7 — englischen Aerzte ausgestellt sein; es befindet sich offenbar kein ausländischer Arzt in Johannis burg, der nach den Begriffen der Behörde befähigt ist, über die Frage zu urtheilen, in welchen Fällen Wein u. s. w. für die Er haltung oder Förderung der Gesundheit nöthig ist; viele Aus länder würden sich aber eher einem Heilgehilfen als einem eng lischen „Arzt" im Falle einer Krankheit anvertrauen. Unwillkürlich bringt man mit der Jahresfeier den Umstand in Verbindung, daß es den beteiligten Kaufleuten gestattet sein soll, kleine Vorräthe von Winterkleidern und Schuhen zu im- portiren, seit Monaten sind keine Schuhe mehr zu haben und kostet ein Paar gegenwärtig 40—HO cA, das Dreifache des üblichen Preises; man liest nicht ohne Lächeln die Bemerkung, daß em gewißer Procentsatz dieser Maaren sich zum Verkauf an die minder bemittelte Bevölkerung eignen muß. — Länger als ein Jahr läßt sich nun doch die Gefahr nicht vermeiden, den Boeren Gelegenheit zu geben, sich in den Besitz neuer Schuhe und Winterkleider zu setzen, mit banger Sorge und sicherlich guter Bedeckung werden diese Maaren von Natal hierher befördert werden; hatte man doch gehofft, daß die Boeren auö Mangel an Schuhen und Winterkleidung das Kriegführen aufgeben würden. Es muß auffallen, daß fast gar keine Frauen die Erlaubniß zur Rückkehr nach Johannisburg erhalten, obgleich in vielen Fällen die allerdringlichsten Gründe die Gesuche und Eingaben unterstützen; männliche Personen müßen sich zum Militärdienst schriftlich verpflichten; wiederum sind dadurch Ausländer von der Rückkehr ausgeschlossen; es ist System darin. Der Verkehr mit Eßwaaren ist wieder den Kaufleuten in üblicher Weise über laßen, daneben sind aber noch einige der amtlichen Verkaufs läden geöffnet; besser wie irgend etwas Anderes muß aber der geringe Zuspruch, dessen sich diese Verkaufsstellen, obwohl sie billiger sind, erfreuen, die Behörden darüber belehren, welchen Mißgriff und welchen Anlaß zur Unzufriedenheit die Eröffnung und der Zwang, dorthin zu gehen, für die gesamnrte Bevölkerung gewesen sind und bedeutet haben. Für die Stadt Johannisburg ist eine Stadtordnung erlassen und die Stadträthe sind ernannt; es scheint nun einmal nicht anders möglich zu sein, als immer wieder gerade solche Personen zu Aemtern und Würden aus zusuchen, die vor Ausbruch des Krieges die eifrigsten Hetzer waren, man erreicht doch durch solche Maßnahmen nur das Eine: die Gegensätze werden immer vergrößert. In Verbindung mit den Ereignissen in Südafrika wird na türlich der prachtvolle Komet gebracht, der namentlich in der ersten Woche des Mai an dem um diese Zeit stets wolkenfreien Himmel Morgens und Abends in schönster Klarheit beobachtet werden konnte. Blut, viel Blut soll er bedeuten, nicht Friede. Wie weit die gedankenlose Hirnverbranntheit gewisser Engländer geht, kann daraus ersehen werden, daß allen Ernstes der Vorschlag gemacht und discutirt wurde, dem Kometen den Namen Milnerkomet beizulegen, als wenn der Name dieses Mannes noch eines weiteren Gedcnlzeichens bedürfte, als ihm der Krieg, dessen Ende noch nicht abzusehen ist, für immer gesichert hat. Deutsches Reich- -r- Bcrliu, 2. Juli. (Die Wahl in Memel und die conservaliven Verwaltungsbeamten.) In frei- sinuigen Kreisen erregt es unliebsames Aufsehen, daß der Regierungspräsident in Königsberg, Herr von Walvow, gerade jetzt den Kreis Memel bereist, in dem bekanntlich in drei Wochen eine Reichstagsersatzwahl statt findet. Man wird, auch wenn man ganz objektiv der Memeler Wahl gegenübersteht und kein Interesse daran nimmt, welcher der beiden Candidaten zum Siege gelangen wird, dieses Mißbehagen nachempsinden können. Es mag sein, daß Herr von Waldow durchaus nicht beabsichtigt, durch seine Anwesenheit in dem Wahlkreise einen Einfluß auf die Wahl zu nehmen, aber auch ohne, ja gegen seinen Willen kann cs geschehen, daß seine Reise als Ermuthigung für den conser- vativen Candidaten nicht nur betrachtet wird, sondern auch wirkt. Wir meinen, daß um solcher Miß deutungen willen derartige Besuche in Kreisen, in denen gerade ein heftiger Wahlkampf tobt, nur dann unternommen werden sollten, wenn es sich wirklich um An gelegenheiten dringlicher Art, wie beispielsweise bei einem plötzlichen Nothstande oder bei Unruhen, wie den vor jährigen Konitzer Unruhen, handelt. Wenn aber, wie im Kreise Memel, der Besuch der Besichtigung von Schulen und Wasserbauten gelten soll, so wird Niemand be haupten wollen, daß ein solcher Besuch nicht um einige Wochen oder Monate hinauögesckoben werden könnte. Je mehr die Auffassung, daß die Beamten im Sinne einer bestimmten politischen Richtung ihätig seien oder gar thätig sein sollen, an Boden gewinnt, desto größer muß die Abneigung der Bevölkerung gegen den ausschließlich conservaliven Charakter der höheren Verwal tungsbeamten werden. Deshalb erscheint gerade jetzt eine von der „Kreuzztg." gezogene Parallele zwischen dem politischen Charakter dcrWablvonCommunalbeamtcnund dem jenigen der Ernennung von Verwaltungsbeamten als verfehlt. Die „Kreuzztg." meint,daß die Absicht der Berliner Stadtverordneten dem volksparteilichen ReichStagSabzeordneten Eickhoff die frei gewordene SchulrathSstelle zu übertragen, tief blicken lasse. Dieser Plan zeige, daß die Vorwürfe wegen eines Monopols der conservativen Partei auf die hohen Verwaltungsstellen unverdient seien und verdientermaßen und in viel schärferer Weise gegen die Freisinnigen gerichtet werden könnten. Wir wollen eS nicht loben, wenn, wie eS gewiß vorkommt, gelegentlich freisinnige Mehrheiten in Stadtvertretungen sich von der politischen Gesinnung eines Bewerbers um ein städtisches Amt mehr als billig beeinflussen lassen. Aber was will eS denn sagen, wenn in einem oder, wenn es hoch kommt, in zwei Dutzend von größeren Städten die Stelle eines Stadtschulraths oder sogar des Bürgermeisters unter Berücksichtigung der politischen Stellung deS Bewerbers besetzt wird, gegenüber der Thatsache, daß heute in dem 34 Millionen Einwohner zählenden preußischen Staate eine Stelle im höheren Verwaltungsdienste nur demjenigen sicher ist, der in dem Gerüche fester konservativer Gesinnung steht. Die „Kreuzztg." nenne doch einmal unter dem Dutzend Oberpräsidenten, unter den mehreren Dutzend Regierungspräsidenten und unter den mehreren Hunderten von Landrätben in Preußen auch nur einen, der auch nur nationalliberal, geschweige denn gar freisinnig wäre. Wohl aber giebt es unter ihnen viele, die nicht nur conservativ gesinnt, sondern ausgesprochene Parteimänner sind, ja, wie beispielsweise Herr von Jaaow in Marienwerder, hervorragende Partei führer gewesen sind. Von einer ähnlichen Einseitigkeit im liberalen Sinne ist bei der Besetzung communaler Verwaltungs stellen nicht die Rede. Diese ganz einseitige Bevorzugung einer Partei, einerlei, ob es eine conservative oder eine ltberale Partei ist, bei der Besetzung der StaatSdienststellen kann auf die Dauer dem Staate nicht zum Segen gereichen, weil ein solckeS System das Streberthum, die Verknöcherung, den Mangel an Gerechtigkeit und andere schwere Uebel nothwendig mit sich bringt. S. Vertin, 2. Juli. (P o l e n u n d R u s s e n.) Der Ver lauf des allslawischen Turnfestes in Prag hat unserer klerikalen Presse, vorab ihrem Hauptorgane, der „Köln. Volksztg.", ein« geradezu vernichtende Blamage «ingebracht. Man weiß, daß die „Köln. Volksztg." bei jeder Gelegenheit es voller Begeisterung als höchste politische Weisheit verkündet, daß die Polenpolitit der Regierung und der nationalen Parteien der gröbste Fehler wäre, weil dadurch die Polen den Russen in die Arme getrieben würden. Einen schlagenden Beweis für diese Doctrin glaubte nun das rheinische Polenblatt erbracht zu haben, als etwa 14 Tage vor dem allslawischen Turnfeste die „Nowoje Wremja" alle Slawen, also auch die Polen, auffovdrrt«, fick in Massen an dem Feste zu betheiligen. Damals schrieb die „Köln. Volksztg." pathetisch: „Die Tage Murawieffs, des „Henkers von Wilna", sind vorüber — „gegen die Njemez" lautet die Parole. Wir Deutsche aber schließen die Augen und treiben cine Politik, als ob es außer den- Polen keine Slawen auf der Weltgäbe, völlig die Gefahr verkennend, die in dieser großen Bewegung der slawischen Völker für uns ruht." Das rheinische Blatt vergaß in seiner Freude darüber, die „Hakatisten" einer verkehrten Politik an klagen zu können, daß eine Einladung zur Verbrüderung so lange einseitig und deshalb bedeutungslos ist, als die Antwort des anderen Theiles noch nicht vorliegt. Diese Antwort haben jetzt die Polen gegeben. Von dem Feste wird gemeldet, daß, so oft ein Russe sprach oder die russische Nationalhymne gespielt wurde, die Polenden Saal verließen. Demonstrativer und beleidigender konnte die von der „Nowoje Wremja" dargebotene Hand nicht zurück gewiesen werden, und damit ist auch die von der „Köln. Volks zeitung" gezogene Schlußfolgerung in das Gegcntheil verkehrt. * Berlin, 2. Juli. Gegen den bekanntlich als Gesandter an den japanischen Hof versetzten Der Eisbär. Der römische Dichter Horaz nennt Afrika die „sandige Amme der gelben Löwin". Mit mehr Recht noch kann man die Nordpolaraegenden „die schneereiche Amme deS weißen Eisbären" nennen, Löwen und Löwinnen sind nicht blos in Afrika vor handen, auch dal westliche Indien beherbergt sie, und sie sind nicht blos Bewohner der sandigen Wüste, sondern weit mehr des offenen GraSlande». Der Eisbär ist weit inniger mit Eis und Schnee verwachsen. Wer den Eisbär nach den Individuen, die man in zoolo gischen Gärten und Menagerien zu sehen bekommt, beurtheilen wollte, dürfte leicht in einen großen Jrrthum verfallen. Ich habe mit den meisten gefangen gehaltenen Thieren Mitleid, aber am innigsten mit einem gefangenen Eisbären. Ruhelos läuft er stunden- und tagelang in seinem engen Behälter, den Kops schwingend, von einer Ecke in die andere und macht auf mich dabei immer den Eindruck, als ob die trostlose Einzelhaft seinen Geist umnachtet habe. Und an einem heißen Sommertage erst! WaS mag da so ein unglücklicher Bursche, der Niemandem seine Noth klagen kann, ausstehen! Geradezu rührend für mich ist eine Geschichte, die Payer erzählt: „Die Eisfelder seiner Hrimath find dem Bären ein lieb- licher Anblick, von dem er fick ungern trennt. Die hohe Bord wand de» Walfisckflinger» „Bienenkorb", den wir 1869 besuchten, verschloß einem solchen in einem auf Deck aufgestellten Käfig befindlichen Thier« di« Aussicht auf die da» Schiff umgebenden PaarUmasiin. L«r Bär ertrug dir Haft leicht. . und wenn ihm stärkere Bewegungen des Schiffes gestatteten, über die Bord wand das Eis zu erblicken, begann er grimmig zu brummen. Ja, der Anblick von Treibeis regte das Thier so gewaltig auf, daß man genöthigt war, einen Schleier von Segeltuch vor dem Käfig anzubringen." Armer Kerl! Der „alte Herr im weißen Pelze", wie die Eskimos den Eisbären respektvoll nennen, ist schon lange in Mitteleuropa be kannt, merkwürdiger Weise aber von Island, und nicht von Norwegen und Nordrußland. Ein norwegischer König erhielt 880 einen von jener Insel zum Geschenk und gab als Gegen geschenk rin Fahrzeug mit Bauholz. Ein anderer, dänischer Fürst war 1064 noch nobler und revanchirte sich mit einem völlig ausgerüsteten Handelsschiff, einer Summe Geldes und einer Anzahl Goldringe. König Heinrich III. von England hielt einen Eisbären im Tower, den man ab und zu , an ein lange«, starkes Tau gebunden, in die Themse ließ, womit man ihm gewiß ein großes Vergnügen bereitete, wenn es auch un wahrscheinlich ist, daß er dabei dem Fischfang oblag, wie man glaubte. Der erste Eisbär, der nach Deutschland kam, mag jener gewesen sein, den 1670 Walfischfängrr nach Lübeck brachten. Der Eisbär ist ein gewaltiges Thier, unter Umständen bis gegen 3 Meter lang und bis 800 Kilogramm schwer. Sein weißer Pelz hat einen gelblichen Anflug, wodurch das Thier auf dem Schnee doch recht sichtbar sein soll. Nase, Lippen, Sohlen und Krallen sind schwarz. Vom braunen Bären unterscheidet er sich, aba,sehen von der Farbe, namentlich dadurch, daß er im Verhältnis zu seiner Länge niedriger auf den Beinen ist, einen längeren Hals, gestreckteren und mehr abgeflachten Kopf, ein stärker gebogene» Profil und kürzere Ohren hat. Urber seine Gefährlichkeit lauten die Nachrichten sehr wider sprechend. Nach Payer und Copeland steht er in dieser Hinsicht d«m Löwen und Tiger nicht nach, aber der Engländer Brown, drr längere Zeit an der Westküst« Grönland» beob achtete und jagte, ist der Meinung, daß die Erzählungen von der Fürchterlichkeit des Eisbären zum größten Theil stark über trieben seien, er habe wenigstens ganz andere Erfahrungen ge macht. Sei das Thier gereizt oder gar verwundet, so werve es schließlich gefährlich, aber das sei bei Hausthieren doch auch der Fall. Er hat Eisbären auf den Eisfeldern von Ponds Bay gejagt und sah, daß sie blos darauf bedacht waren, ihren Ver folgern zu entgehen. Ich denke mir, der Grad der Gefährlichkeit dieses Thieres wird sehr wesentlich von dem Füllungsgrad seines Magens ab hängen, — bekanntlich ist ein satter Mensch auch wohlwollender als ein hungriger. Es ist bekannt, daß sich der Eisbär, an gegriffen, tapfer zur Wehr setzt, wobei er sich nach Bärenart auf recht auf die Hinterpranken erhebt. /Er hat dieselbe Fertigkeit, gegen ihn gerichtete Lanzenstöße mit den Vordertatzen zu pariren, wie sein brauner Vetter, aber nicht die unangenehme Gewohnheit, seinen Gegner zu umarmen, an sich zu pressen und zu erdrücken, — er verläßt sich auf sein, allerdings höchst achtungswerthes, Gebiß. Es sind aber doch Menschen genug schon von Eisbären weggeschleppt worden, und sie machen keinen Unterschied, ob sie es mit einem simpeln Thranmatrosen, oder einem promovirten Menschenkind zu thun haben, vr. Börgen von der Germania-Expedition kann ein Lied davon singen: er wurde auch von einem solchen Unhold weggeschnappt und am Kopf übel zugerichtet, aber gleichwohl gerettet. ES ist bekannt, daß die Eisbären den in ihr Revier ein dringenden Menschen «ine sehr unerwünschte Aufmerksamkeit schenken und den Besuchern ihrer Hrimath schon an der Küste die Honneur« zu machen pflegen. Al« die „Germania" an der Ostkuste Grönlands überwinterte, wurde sie von einem Eitbären- corp« gewissermaßen belagert, und die Thier« waren keck genug, Nacht» bis auf daS Verdeck zu kommen. Alle«, was den Menschen betrifft, hat für sie Interesse, wahrscheinlich, weil sie voraussetzen, daß es auf das Abfallen von für sie Genießbarem hinauslaufen werde. Sie verschlingen vom menschlichen Eigen- thum, wessen sie habhaft werden können: alte Flanelllappen, Gummiflaschen, Papier, Konservenbüchsen, nautische Jnstru mente, Stearinlichter, Tabak, mit ganz besonderer Vorliebe ge mahlenen Kaffee und Segeltuch u. s. w. Durch den Geruch brenzlichen, geschmolzenen Fettes kann man sie weit herlocken. Sie sind aber auch schon Nordpolfahrern von größtem Nutzen gewesen, so Wrangel und besonders Hedenström, oie ihnen die Möglichkeit, über die Eisdecke des sibirischen Eismeeres vorzudringen, geradezu allein verdankten. Freilich muhten die guten Bären ihr Verdienst mit dem Leben bezahlen, oder besser, es war ihr Verdienst, ihr Leben zu lassen, denn mit ihrem Fleische — Hedenström erlegte allein 18 Stück — wurden die Schlittenhunde gefüttert. Bei den Neusibirischen Inseln rechnen die Leute, die das fossile Elfenbein, die Stoßzähne der Mamuths, suchen, sicher auf die Gegenwart der Eisbären, da deren Fleisch das einzige Mittel ist, ihre Zughunde vor dem Verhungern zu bewahren. Sein Fleisch soll auch für den Menschen recht wohl genießbar sein, nur darf es natürlich nicht von cinem gar zu alten „Alten Herrn in weißem Pelze" ab- tammen, oder von einem, der sich kurz zuvor den Leib mit aulem Seehundsfleische vollgeschlagen hat. DaS Wildpret der ungen Thier« wird als weiß und feist gerühmt und soll Im Geschmack zwischen Schweine- und Rindfleisch stehen. Merk- würdiger Weise soll die Leber giftig sein und ihr Genuß »e- jährliche Krankheitserscheinungen Hervorrufen. Da ich diese An gabe in den Berichten mehrerer Reisender finde, die gewiß nicht» von einander wußten, scheint sie mir glaubhaft, so sonderbar di« Sach« auch immer bleibt. Di« wesentliche Kost de- Eisbären besteht au» Seehund««, die er mit vielem Geschick und großer Geduld auf dem Ei» und
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