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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.07.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-07-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010702020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901070202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901070202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-07
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Amtsblatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Molizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeige« «Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redactionsstrich («gespalten) 75 H, vor den Familieuuach. richten (6 gespalten) 50 L,. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra - Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. ^nnahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei deu Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an di« Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrach«, geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig. Dienstag den 2. Juli 1901. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. * London, 1. Juli. Dem „Mode" zufolge ist die Nachricht eingetroffen, der Kreuzer , Sappho" vom Geschwader an der Südostküste Amerikas, der zeitweilig nach dem Cap lande beordert worden ist, scr schwer auf Grund ge- rathen. Seine Beschädigungen seien derart, daß das Schiff wahrscheinlich sofort nach England zurückkommen müsse. (Wdrhlt'.l * London, 1. Juli. (Unterhaus.) Auf eine Anfrage bezüglich der Lage in der Capcolonie, wo das Par lament bis zum 27. August vertagt worden ist, ohne die für die Erledigung der Staatsgeschäfte erforderlichen Gelder über den 30. Juni hinaus bewilligt zu haben, erklärt Colonial minister Chamberlain, da das Capparlament ver tagt sei, beabsichtigte die Regierung, dem Gouverneur zu em pfehlen, datz er Gutscheine für die Bedürfnisse des öffentlichen Dienstes ausgebe. Die Minister der Capcolonie seien damit einverstanden: das Capparlament könne aber unter den gegen wärtigen Umständen nicht zusammentrctcn, hoffentlich würde dies Anfang October geschehen. Wenn das Verfahren des Gouverneurs ungesetzlich sei, so vertraue er darauf, vom Cap parlament Indemnität zu erlangen. Er, Chamberlain, sei der Ansicht, daß das Verfahren des Gouverneurs durch die Staatsbedürfnisse gerechtfertigt sei. — In Beantwortung anderer Anfragen erklärt Chamberlain, die Regierung habe be züglich der Zukunft des D y n a m i t m o u o p o l s, sowie dec genauen Höhe der auf den Gewinn aus den Goldminen zu legenden Besteuerung noch keine endgiltige Entscheidung ge troffen. * London, 1. Juli. Wie eine Depesche Lord Kitchencrs besagt, sind seit dem 24. Juni nach Meldungen der britischen Abteilungen 74 Boeren gefallen, 60 verwundet und 160 gefangen genommen worden, 136 haben sich ergeben. Ferner wurden 131 Gewehre, 15 800 Patronen und 304 Wagen erbeutet. . ' '. . ... , Die Wirren in China. * Peking, 1. Juli. („Reuters Bureau ) Die Chi nesen haben heute die Verwaltung eines Thcilcs der britischen Sektion in Peking übernommen. * Peking, 28. Juni. In der gestern abgehaltencn Ver sammlung der Gesandten wurde dem Entwürfe einer Procla- marion der chinesischen Behörden die Zustimmung crthcilt, durch welche dre Bevölkerung über den Abmarsch der fremden Truppen und die Befürchtungen vor der Rück kehr der chinesischen Soldaten beruhigt werden soll. * Pari«, 1. Juli. Dcputrrtenkammer. (Fort setzung.) Bei der Berathung über den Nachtragsetat von 80 Millionen Franc zur Deckung der Kosten der China- Expedition legt Sembat (Soc.) Verwahrung dagegen ein, datz der Krieg ohne Zustimmung des Parlaments be gonnen sei, und giebt der Befürchtung Ausdruck, datz es in China zu neuen Verwickelungen kommen werde. Er macht den Missionaren ein provocirendes Verhalten zum Vorwurf und spricht zum Schluß von auf Veranlassung der Missionare begangenen Verletzungen von Leben und Eigenthum und von Acten der Barbarei bei den europäischen Truppen. Der Minister des Auswärtigen ÄelcassS entgegnet, er ergreife gern die Gelegenheit, nochmals dem Expeditionscorps seine Anerkennung aussprechen zu können. (Beifall ) Man werfe der Negierung vor, datz sie den Krieg erklärt have, vergesse dabei aber, datz die chinesische Regierung die Feindseligkeiten eröffnet habe, indem sie die Niedermetzeluugen geschehen lietz. China habe nunmehr die Friedensbedingungen angenommen. Die französischen Truppen würden somit nach Frankreich zu rückberufen werden. In China würden nur so viel Truppen bleiben, als nöthig seien, um die Gesandtschaften zu schützen. Wenngleich er auch noch nicht sagen könne, datz der Friede gesichert sei, so glaube er doch, be haupten zu können, datz Alles geschehen sei, uni ihn zu ver bürgen. — Nach Delcasse nimmt der Marineminister Laness an das Wort. Er erklärt, die Truppen hätten keinerlei Grausamkeiten begangen. Wenn Gewalt- thätigkeiten vorgckommen seien, so handelte cs sich nur um Einzelfälle. Die Soldaten hätten muthig gekämpft, ohne unnütze Grausamkeiten zu begehen. Eine Enquete, welche im ganzen Expeditionscorps angestcllt worden sei, habe ergeben, datz insgesammt nur 20 solche Ausschreitungen vorgckommen seien. Die Thätcr seien sehr streng bestraft worden. Lanessan verliest hierzu den Bericht des französischen Geschwader- coinmandanten in China und einen Brief des Generals Voyron. (Beifall.) Cochin fragt, was Frankreich nun in China zu thun gedenke. Delcasse entgegnet, Frankreich werde, wie die übrigen Mächte, auf der Stratze nach Peking bleiben. Sembat verlangt Anstellung einer Untersuchung über von den Expeditionscorps begangene Gewaltthätigkciten. Millevoye und der Ministerpräsident Waldeck-Rous seau bekämpfen dieses Verlangen. Sembat besteht dem gegenüber auf seiner Forderung. Viviani beantragt einen Abstrich von 1000 Frcs. von dem Nachtragsetat, weil er, wie er erklärt, wünsche, datz Frankreich nicht weiter den Schutz der Missionare ausüben solle. Der Ministerpräsident spricht dagegen, indem er erklärt, die Regierung werde sich eine Aufgabe nicht abschwächen lassen, die ihr eine bevorzugte Position gewähre. Der An trag Viviani wird nunmehr mit 425 gegen 100 Stimmen abgelehnt, ebenso der Antrag Scmbar aus An stellung einer Enquete mit 428 gegen 107 Stimmen und der einzige Artikel der Nachtragsvorlage mit 474 gegen 71 Stimmen bewilligt. Hierauf wird die Sitzung geschlossen. * Berlin, 2. Juli. Der schwcrlcidend von der ostasiatischcn Expedition zurückgekehrte Oberstabsarzt Or. Georg Dedolph, Chefarzt des dritten Feldlazareths des ostasiatischcn Expedi tionskorps, ist am Freitag in Bonn gestorben. Politische Tagesschau. * Leidig, 2. Juli. Gegen den früheren Oberreichsanwalt und jetzigen Ober- landesgerichtSpräsidenten vr. Hami» in Köln hat die „Germania" eine Artikelserie zu veröffentlichen begonnen. In den Augen des Berliner Centrumsorgans ist es nämlich als ein dreifaches Vergehen, um nicht zu sagen Verbrechen, anzusehen, daß Herr vr. Hamm bei der Feier zur Vollendung der Bismarcksäulc in Viersen die Weiherede gehalten hat. Denn einmal ist Oberlandesgerichtspräsident Hamm Katholik; zum zweiten machte er in seiner Weiherede nicht den Fürsten Bismarck und den Liberalismus, sondern den KlerikalismuS für den Culturkampf verantwortlich; und zum Dritten wurde eine derartige Rede eines Katholiken an einem Orte gehalten, in dem die katholische Geistlichkeit die Schürung des BiSmarckhasseS und des Cultur- kampffeuers mit besonderem Eifer sich angelegen sein läßt. Es war im Frühjahr 1899, als in Viersen der katholische Psarrer Richen gegen die damals beschlossene Errichtung einer Bismarcksäule im Volksverein für Las katholische Deutschland eine Hetzrede gröbster Sorte hielt. In dieser Hetzrede, die auf Veranlassung des Viersener Ober pfarrers Stroux als Flugblatt von Haus zu HauS vertheilt wurde, kam folgende charakteristische Stelle vor: „Ob die ersten Christen, die es am täglichen Gebete für ihre Feinde und Verfolger nicht fehlen ließen, einem He rodes . . ., einem Pilatus, einem Diokletian . . ., Denkmäler errichtet haben? Ich habe nirgends in der Geschichte davon gelesen. Und wenn man dagegen einwendet: so hat'S aber BiSmarck doch nicht getrieben, so antworte ich: Die Mittel waren gewiß verschieden, das Ziel war leider dasselbe." Wenn OberlandesgerichtSpräsident vr. Hamm jetzt in seiner Weiherede auf den Culturkampf in anderer Weise als Pfarrer Richen eingegangen ist, so verdient dies gerade im Hinblick auf die vorausgegangene Hetze besonderen Beifall. Es geschieht leider nicht allzu oft, daß deutsche Katholiken in öffentlicher Rede Entstellungen gcgenübertrcten, wie sie im kleri kalen Lager an der Tagesordnung sind. Zumal gegenwärtig, wo, speciell im Westen, von klerikaler Seite maßlose „Protestversamm lungen" gegen die „kirchenfeindliche Bewegung" in Scene gesetzt werden, ist es überaus dankenswertb, daß ein Katholik vor der Oeffentlickkeit der geschichtlichen Wahrheit zu ihrem Rechte verhilft. Wer den früheren Oberreichsanwalt und jetzigen OberlandcSgerichtspräsidenten in Köln etwas näher kennt, der weiß, daß die Angriffe der Centrumspresse bei ihm die beabsichtigte Wirkung vollständig verfehlen. Durch den beim Bundesyathe eingebrachten Antrag, die Vorschriften über die Vorbildung Ser Thierärzte dahin abzuändern, daß die Zulassung zur thierärztlichen Prüfung durch den Nachweis des Reifezeugnisses von einem deutschen humanistischen Gymnasium oder Realgymnasium bedingt wird, giebt die bayerische Regierung einer im vorigen Jahre von der bayerischen Kammer gefaßten Resolution Folge, und letztere wiederum ging Wohl aus dem Eindruck einer Rede des Prinzen Ludwig im bayerischen Landwirthschaftsrathe hervor. Aber schon früher ist durch die nationalliberalen NeichötagSabgeordneten vr. Envemann und vr. Paasche, wie von den freisinnigen Abg. vr. Langerhans und Müller-Sazan immer wieder von Neuem auf die Noth- wendigkeit hingewiesen worden, entsprechend der Entwickelung der Thierarzneikunde auch die Vorbildung der Studirenden für die Veterinärmedicin einer gründlichen Reform zu unter ziehen. Diese Forderung, so berechtigt sie ist, hat bei der Rcichsregierung bis jetzt nur taube Ohren gesunden. Seit dem Jahre 1877, wo zur Berechtigung deS Studiums für Arzneikunde das Neifezeugniß für Prima gefordert wurde, ist nichts mehr zur Vervollkommnung der Schulbildung für die Studirenden der Thierarzneikunde gescheben. Aber vor 1877 beschränkte sich der Unterricht auf der Thierarzneischule ledialicb auf die sogenannten praktischen Fächer, die ohne wissen schaftliche Grundlage gelehrt wurden; damals wurde den Studirenden der thierärztlichen Hochschulen nicht einmal das Mikroskop, das doch eine der vornehmsten Waffen der medi- cinischen Wissenschaft bildet, in die Hand gegeben! Und erst nach dem Jahre 1877 datirt der gewaltige Umschwung, welcher die heutigen Grundlagen der Entwickelung der Thier- medicin kennzeichnet: die Bakteriologie, die Fleischschau, das Thicrseuchengesetz u. s. w. Dadurch ist die Zahl der Unter richtsfächer aus dreißig gestiegen und es hat sich erklär licher Weise ein empfindliches Mißverhältnis zwischen den an die Studirenden herantretendcn Aufgaben und den Fähigkeiten, denselben gerecht zu werden, herauS- gebildet. Die Professoren klagen, daß sie ihre Ansprüche an das Maß der nothwendig nachzuwcisenden Kenntnisse immer mehr herabdrücken müssen, noch mehr aber klagt man im und auf den: Lande: die jungen Thierärzte entsprächen nicht den berechtigten Erwartungen. Die Landwirthschaft namentlich muß bei der gesteigerten Wichtigkeit der land- wirthschaftlichen Thierzucht daS größte Interesse an gut und gründlich ausgebildeten Thierärzten nehmen. Jndeß liegt auch ein allseitiges öffentliches Interesse Angesichts der öffent lichen Aufgaben der Thiermedicin vor, und eine Erhöhung des Bildungsniveaus ist bei den gesteigerten wissenschaftlichen Anforderungen dieses Berufs unerläßlich. Wenn jetzt für das Studium der Thierarzneikunde das Abiturienten examen eines Gymnasiums oder Realgymnasiums gefordert wird, so verbürgt selbstverständlich dieses Examen nicht zugleich auch eine höhere Intelligenz; aber eS wird dann wenigstens dem Studium der Thierarzneikunde dasselbe durch die Schule gut vorgebildete Material zugeführt, wie den übrigen gelehrten Berufsarten. In Schweden, Belgien und der Schweiz ist man schon seit längerer Zeit damit vorgegangen, der Thiermedicin die gleiche Stufe für ihre ausübenden Jünger zuzuweisen, wie der Humanmedicin, und hat damit die besten Erfolge erzielt. Auch bei uns in Deutschland wird der Antrag Bayerns auf fruchtbaren Boden fallen und darf im Reichstage seiner Annahme sicher sein, zumal da diese Angelegenheit keine Finanzfrage berührt, keine erhöhten Kosten verursacht. Die französische Negierung, welcher bekanntlich rin S o c i a l d e m o k r a t in der einflußreichen Stellung eines Handelsministcr angehört, hat neuerdings ihre Entschlossenheit durch den Mund des Colonialministers zu erkennen gegeben, dem „Schutze der nationalen Arbeit", welchen sie schon durch ihre Zollpolitik als leitenden Grundsatz aufgestellt hat, auch nach der Richtung Folg- zu geben, daß sie bei Vergebungen von größeren Aufträgen in den Colonien darauf achten wolle, daß nur französische Offerten berücksichtigt werden. Anlaß zu dieser Aeußerung des Coiomalministers gab eine Interpellation, in welcher Mitglieder der französischen Gesellschaft für Industrie und Landwirthschaft die Thatsache zur Sprache brachten, daß bei der Vergebung der Liefcrungsaufträge für die geplante Dahomey-Eisenbahn die französische Industrie nur zu einem ge ringen Theilc berücksichtigt worden sei. Decrais begründete das Verfahren des Gouverneurs damit, daß die Colonie Dahomey staatliche Zuschüsse nicht erhalte, da ihre eigenen Einnahme quellen zur Bestreitung der erforderlichen Ausgaben genügten, daß daher der Gouverneur absolute Wahlfreiheit der bei dem Eisenbahnunternehmen bethciligten Lieferanten beanspruchen könne und zugestanden erhalten müßte. Demgegenüber machten die Delegirken geltend, daß die erfreulichen wirthschaftlichen Ver hältnisse in der Colonie geschaffen seien durch die finanziellen Aufwendungen und ein großes Maß von kolonisatorischer Ar beit, welche das Mutterland geleistet habe, und daß es daher nur eine Pflicht der Dankbarkeit gewesen wäre, die Aufträge der französischen Industrie zuzuwenden, die übrigens zu mindestens FeorHetoir. Rechtsanwalt Lohmann. 8j Roman von Rudolf Jura. NaLtruS »erbolkii. „Den hat er nicht mehr", antwortete Lohmann. „Ich habe schon Erkundigungen eingezogen und glaube zu wissen, daß er im Besitz 'des Fräulein Kur Müller ist. Aber ich wollte Sie bitten, von einer Verhaftung des Mannes abzusehen. Er er scheint mir jetzt ziemlich unverdächtig und kann mir bei den Er mittelungen im Dienst« Ihrer Frau Schwägerin hilfreich sein." Der Staatsanwalt zog die Achseln Höch. „Ich werde ihn zur Vernehmung bestellen-, murmelte er mit wichtigem Wiegen des Kopfes, „und werde ihn natürlich nur in Haft behalten, wenn er verdächtig ist. Das versteht sich von selbst, ebenso wie es sich von selbst versteht, daß es für mich dabei ganz belanglos sein muß, ob er Ihnen, verehrter feindlicher College, unverdächtig erscheinen sollte oder nicht." Mit diesen würdevollen Abschiedsworten verbeugte sich der Staatsanwalt und ging. Lächelnd blickte ihm der Rechts anwalt nach; die unfreiwillige Komik des auf das Ansehen seiner Stellung so eifersüchtig bedachten Mannes verfehlte niemals ihre Wirkung auf ihn. Er fühlte sich von der etwas herab lassenden Art des Staatsanwalts auch nicht beleidigt, sondern war gewöhnt, sie humoristisch zu nehmen und dem grilligen Kauz gelegentlich mit gleicher Münze heimzuzahlen. In der Wohnung der Frau Doctor Römer fand Lohmann den Hofrath Doctor Welnn vor, der mit der Frau Staats anwalt in eifriger und sehr heiterer Unterhaltung begriffen war, während die Unglückliche, zu deren Rettung oder Heilung er berufen war, immer noch in halber Ohnmacht lag. Die Frau Staatsanwalt hatte dem Arzt alles Nöthige erzählt und hatte es trotz ihres Unglaubens für ihre Pflicht gehalten, ihn auch auf Lohmann's Vermuthung einer vorliegenden Hypnose aufmerksam zu machen, und ihm das noch im offenen Schreibtisch liegende Manuskript der Frau Doctor gezeigt. Der Hofrath hatte mitleidig lächelnd den Kopf geschüttelt und die in dem Manuskript niedergelegten Ansichten und Berichte von Thatsachen einfach als Unsinn bezeichnet. Diese Meinung vertrat er jetzt auch dem Rechtsanwalt gegenüber und schloß mit den Worten: „Die Kranke leidet an hochgradiger Ueberreiztheit des ganzen Nervensystems. Diese (obsnchtartigen Anfälle von fieberhafter Aufregung und Ungeduld, die in gewissen Zwischenräumen ab ¬ wechseln mit vollkommener Theilnahmlosigkeit und Ermattung, sind in solchen Fällen ein durchaus nicht seltenes Krankheitsbild. Das Mädchen ist offenbar hysterisch veranlagt, und ich will die Möglichkeit gar nicht in Abrede stellen, daß sie von der etwas überspannten Frau Doctor vielleicht zu ungeschickten hypnotischen Versuchen mißbraucht worden ist. Ihr verstorbener Gatte hat sich ja bereits, wie ich als College zu meinem Bedauern sagen muß, auf dem Gebiete der hypnotischen Heilweise die gewagtesten und unglaublichsten Dinge geleistet. Die Wittwe scheint, wie aus dem Manuskript hervorgeht, diese Sachen in dttcttantischer Manier nachzuahmen und fortzusetzen. Ich will gern glauben, daß die leider verschwundene Dame selbst von der Wirksamkeit ihrer Zauberkräfte überzeugt ist. Es ist mir auch nicht unwahr scheinlich, daß dieses augenblicklich nicht zurechnungsfähige Ge schöpf stch hier in einem durch hypnotische Reize hervorgcrufenen krankhaften Zustand befindet. Dann ist sie eben das Opfer tbörichter Laienexperimente geworden. Aber daß Sie in diesem Dienstmädchen die Frau Doctor selbst sehen wollen, die sich durch Selbsthypnose auch im physiognomischen Ausdruck so ungeheuer verändert haben sollte, daß sie ein ganz anderes Gesicht bekommen hat, das ist einfach ein Unsinn. Sie müssen schon entschuldigen, Herr Rechtsanwalt, wenn ich darüber mit der Frau Staatsanwalt eben ein wenig gelacht habe. Aber was die verschwundene Frau Doctor da in ihren Aufzeichnungen be richtet und behauptet, das ist einfach eine Unmöglichkeit!" „Ich verstehe nicht", erwiderte der Rechtsanwalt, den diese mit kühler wissenschaftlicher Ueberlegenheit gemachten Aus führungen reizten, „ich verstehe nicht, Herr Hofrath, wie Si- hier überhaupt an die Unterscheidung von Möglichkeit und Un möglichkeit denken können. Diese Begriffe kommen doch nur in Betracht, wenn es sich um etwas Zukünftiges oder sonst Unge wisses, überhaupt um etwas nur Gedachtes handelt. Hier ist nicht der Ausdruck „unmöglich- am Platze, sondern höchstens die Bezeichnung „wunderbar" oder „noch nicht dagewesen". Denn es handelt sich hier um etwas, was thatsächlich geschehen ist, ob gleich es vielen Menschen bisher unmöglich geschienen hat." „Ach was! Solcher Unsinn geschieht nur in englischen Romanen!" „O nein! Solche Thatsachen geschehen, wie Sie sehen kennen, im wirklichen Leben. Erkennen Sie denn nicht die deutliche Uebereinstimmung der Wirklichkeit mit den Auf zeichnungen des Manuskripts? Die Frau Doctor ist ver schwunden, ohne daß das Geringste von ihrer Kleidung fehlt. Dafür ist dieses Mädchen hier anwesend, das sonst Niemand um diese Zeit je gesehen hat! Sie trägt die Leibwäsche der Frau Doctor und darüber einen Arbeitskittel, ist ihr an Gestalt und I Haltung zum Verwechseln ähnlich. Auch die Farbe der Haare und Augen trifft zu, nur der Gesichtsausdruck ist genau so ver ändert, wie es die Beschreibung des Manuskripts angiebt. Ja, sehen Sie denn hier die Wahrheit nicht? Können Sie nicht sehen oder wollen Sie sie nickt sehen, weil diese neue Thatsache ihren angebeteten wissenschaftlichen Grundsätzen sich nicht ein fügen lassen würde?" Der Hofrath wußte hierauf eine längere Rede nicht zu er widern. Er begnügte sich mit einem mitleidigen Lächeln und sagte: „Ich sehe weiter nicht», als ein krankes Frauenzimmer, das sich vielleicht einbildet, die Frau Doctor zu sein . ." „Bitte sehr, Herr Hofrath, das bildet sie sich keineswegs ein! Sie hat ja eben leider gar kein Bewußtsein ihrer eigenen Per sönlichkeit. Sie bildet sich im Gegentheil ein, ein armes Dienst mädchen zu sein, jammert um den Brief, den zu lesen ihre Tienstmädchenpflicht ihr gebietet, und den sie aus Unacht samkeit verloren, und bekennt sich frcimüthig zu einer Reibe von Diebstählen." „Nun also, bester Herr! Dann wird man sie eben so be- handeln, wie sic es nach ihren eigenen Angaben verdient!" „Um Gotteswillen, Herr Hofrath, Sie können es doch als Arzt unmöglich verantworten und zugeben, daß das unglückliche kranke Geschöpf ins Gefängniß geschleppt wird?" „Nein, nein! Beruhigen Sie sich. Dazu ist mir der Fall zu interessant. Ich muß doch zunächst die Frage ihrer Zu rechnungsfähigkeit gründlich erledigen. In ein paar Minuten wird ein Wagen vorfahren, der bringt sic ins Krankenhaus. Dort kommt sic in das Beobachtungszimmer für Geisteskranke, und wenn ich mir erst volle Klarheit über ihren Geisteszustand verschafft habe, dann wird es mir wohl auch gelingen, ihr die fixen Ideen auszutreiben und sie wieder zur Vernunft zu bringen." Lohmann sah ein, daß jeder weitere Einspruch hiergegen vergeblich sein würde und mußte sich außerdem gestehen, datz die Unglückliche in ihrem gegenwärtigen Zustand wohl unter ärzt licher Aussicht am besten aufgehoben war. So sah er es denn ziemlich ruhig mit an, als sie unter der Obhut des Hofraths die Droschke bestieg und ins Krankenhaus fuhr. Nachdenklich begab er sich in seine Kanzlei, um endlich die heute arg vernachlässigte Arbeit aufzunehmen. Doch war es ihm unmöglich, seine Gedanken hierzu ausreichend zu sammeln. Immer schweiften sie von der vorliegenden Arbeit ab und sannen über die Möglichkeit nach, dem Fräulein Kurzmüller mit List oder Gewalt den Zettel abzujagen, und über die Be handlung, die der Frau Doctor wohl im Krankcnhause zu Theil werden würde. Thatsächlich hatte sich das Befinden der Letzteren, nachdem sie noch einige Tobsuchtsanfälle und darauf folgende Ohnmächten überstanden hatte, am Abend etwas gebessert, und um zehn Uhr war sie ganz ruhig eingeschlafen. Ohne nur ein einziges Mal aufzuwachen, hatl: sie die Nacht fieberfrei und im besten Schlaf verbracht. Früh um fünf Uhr stand sie plötzlich au^, brachte geschwind das Zimmer in Ordnung, das man ihr ange« wiesen hatte, und versuchte die Thür zu öffnen, offenbar, um sich draußen weitere Arbeit zu suchen. Die Gitter vor ihren Fenstern schienen ihr nicht aufgefallen zu sein, zum Mindesten hatte sic ihnen keine besondere Beachtung geschenkt. Als sie jedoch die Thür verschlossen fand, versetzte sic das, wie der Wärter durch das Beobachtungsfenster wohl merken konnte, irx lebhafte Unruhe. Sie gerieth wieder in dieselbe Aufregung, wie Tags zuvor, fing an zu schreien und setzte allen Beschwichti gungsversuchen nur das eine Verlangen entgegen, nicht länger von ihrer Arbeit abgehalten zu werden. Auch nach dem Briefe begann sie wieder zu suchen und zu fragen; kurz, sie befand sich bald in demselben Zustand, wie am Nachmittag vorher, und zwei Wärter hatten Mühe, sie' bei ihren Tobsuchtsanfällen zu bändigen, während der Hofrath mit wissenschaftlichem Ernst den Kopf schüttelte. Der Rechtsanwalt hatte sich am Morgen nach ihrem Zu stand erkundigt und war dann in schweren Sorgen in seine Kanzlei gegangen. Seine letzte schwache Hoffnung auf die vielleicht noch rettende Macht der ärztlichen Kunst war nun ge schwunden. Er erkannte die unbedingte Nothwendigkeit, den Kampf mit Fräulein Kurzmüller um den von dieser zurück behaltenen Brief aufzunehmen, und er fand nach reiflichem tteberlegen, daß es zu diesem Zwecke kein besseres und unver dächtigeres Werkzeug geben konnte, als Emil Born, obwohl dieser erst gestern einen so betrübenden Mißerfolg mit seinem Versuch geerntet hatte. Es galt nur, die Sache mit diplomati scher Kunst so zu drehen, daß gerade sein gestriger Mißerfolg jeden weiteren Verdacht gegen ihn beseitigte. Das war schwierig, aber es konnte keine Unmöglichkeit sein. Freilich war es, damit Born keine Ungeschicklichkeit beging, vielleicht nöthig, ihn vollständig in das Geheimnitz de» Brief«» einzuweihen, und es entstand nun für den Rechtsanwalt die Frage, ob es klug war, ihm so unbedingtes Vertrauen zu schenken. Er war zweifellos bisher ein guter Freund von Fräulein Kurzmüller, also auf Seiten des zu überlistenden Feindes gewesen, und seine Vorsätze und Versprechungen eine» ehrsamen Lebens waren noch zu neu, um als unbedingt zuvex- lässig gelten zu können. Andererseits war es aber auch rin alter Satz, datz nichts geeigneter ist, die guten Vorsätze eines Neu bekehrten zu stärken, als wenn man seiner Ehrlichkeit durch rückhaltloses Vertrauen schmeichelt. --
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