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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.07.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-07-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010704023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901070402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901070402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-07
- Tag1901-07-04
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Anzeigen-Pret- die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 7b H, vor den Familiennach richten (8 gespalten) SO H. Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenanuahme 2b H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung 80—, mit Postbesörderung 70.—. ^nnahmeschluß fir Änzeigeu: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 336. Donnerstag den 4. Juli 1901. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Tie deomanry. Ein vom Kriegsschauplatz zurückgekehrter Jeoman giebt in der „Free Lance" seiner Entrüstung und seinem Entschlüsse, niemals wieder Waffendienste für England zu leisten, Ausdruck, indem er gleichzeitig behauptet, daß er hiermit auch die Ansicht der meisten seiner Kameraden vertritt. Er schreibt: „Es liegt mir fern, über ausgestandene Strapazen räson- niren zu wollen, denn ein Soldat erwartet nichts Anderes, wenn er ins Feld zieht; aber es müßen doch wohl gewichtige. Gründe vorliegen, für den feierlichen Schwur, den wir uns Alle in tiefstem Herzen geleistet haben und dem die meisten meiner Kameraden sogar offen Ausdruck gaben, nämlich, daß dies das erste und letzte Mal gewesen ist, daß wir für England zu den Waffen gegriffen haben. Wir waren alle des Krieges herzlich müde, und wer jetzt nach 18 Monaten noch anders denken wollte, der müßte schon ein ganz blutgieriger Dämon sein. Andererseits würden viele von uns gerne die ganzen ungeheuren Strapazen noch einmal durchmachen, wenn dies unter dem Kommando von Osficieren stattfinden könnte, die für ihre Leute sorgen, die uns unsere Löhnung rechtzeitig verschaffen und die es vorziehen, keine lustigen „Dinner-Parties" im Lager zu veranstalten, wenn die Mannschaften mit einer Hand voll Mehl abgespeist werden, und tatsächlich Hunger leiden. Unsere Qfficiere scheinen sich aber niemals vorzustcllen, wie sehr es in ihrer Macht liegt, ihren Leuten im Kriege den Himmel oder die Hölle auf Erden zu bereiten, und wie viele nutzlose Leiden ganz bequem vermieden werden können, wenn vernünftige Befehle zur richtigen Zeit gegeben werden, sei es auch nur, daß die Feldflaschen bei jeder paffenden Gelegenheit frisch gefüllt werden oder daß die Leute rasten dürfen, wenn es möglich ist. Nutzlose Leiden! — Diese zwei Wörtchen bilden über haupt den Schlüffe! zu der ganzen Situation. Tommy Atkins denkt gar nicht daran, zu murren, wenn die Umstände es erfordern, daß er sich mit etwas Biscuit oder im besten Falle mit etwas Pferdefleischsuppe begnügen muß, aber sein Herz blutet, wenn der Convoy im Feldlager eintrifft und nur schwere Proviantkisten und allerhand comfortable Sachen für die Herren Officiere bringt, während er auch noch nicht eine Unze Tabak oder ein Stückchen Fleisch für den gemeinen Sol daten enthält. Das macht böses Blut und verbittert die Leute bis zum blinden Haß. Ein Beispiel: Eine Schwadron Peomanry, der ich anzugehören die Ehre hatte, machte in bitterster Kälte und endloser Nässe einen Nachtmarsch, um schließlich bei Tagesanbruch für kurze Zeit anzuhalten. Mit viel Schwierigkeit wurde aus weiter Entfernung das nöthige Wasser für den sehnlichst erwarteten Kaffee der Mannschaften herbeigeholt, und mit viel Mühe zum Kochen gebracht. Gerade als es so weit war, gab der Herr Rittmeister den Befehl zum Aufsitzen, da er um die Sicherheit seines eigenen, noch nicht ein getroffenen Gepäckwagens besorgt war und die Mannschaften auf Recognoscirung rückwärts senden wollte. Unser Leutnant, ein guter Kerl, meldete ihm, daß die Leute gerade im Begriff seien, den schwer verdienten Kaffee ausgetheilt zu erhalten, worauf der ärgerliche Chef zu unserer grimmigsten Empörung losbrüllte: „Laß die verdammten Kerle eben ohne ihren Kaffee losreiten!" — Und so geschah es, und wir hatten wieder einmal einen Beweis davon, wie wenig wir mit den angeblichen Gentlemen-Qualitäten unseres Herrn" Commandeurs rechnen konnten. Das ist nur ein Fall unter vielen, und diese brutale und rücksichtslose Behandlung der Mannschaften durch total un fähige Vorgesetzte, die ihre Stellung vielleicht nur der That- sache verdanken, daß sie zu Hause große Gesellschaftshelden sind, giebt dann nachher Veranlassung zu den vielen Gerüchten und thatsächlichen Geschichten von gefallenen Offi- cieren, die im Gefecht eine Kugel in den Rücken be kommen, während sie die Front nach dem Feinde haben." * Kapstadt, 3. Juli. (Reuter's Bureau.) Ter Boerencommandant Fauch 6, der tu die Eingeboreucn.Rejervate eingefallen Ivar, befindet sich auf dem Rückzüge in der Richtung aus die Drakensberge. Englische Truppen verfolgen (?) ihn. Ta er verhältnißmäßig offenes Land vor sich hat, ist eine Gefangennahme nicht wahr scheinlich. Oie Wirren in China. Wissenschaftliche Bearbeitung Vcs Chinafeldzuges. Im Großen Gcncralstabe der Armee hält man mit der Rück kehr des Generalfeldmarschalls Grafen Waldersee und der Zu rückberufung des größten Theiles des Expeditionscorps cs an der Zeit, alles nur irgend auf diese Expedition bezügliche Quellen material schon jetzt für eine spätere wissenschaftliche Bearbeitung sicherzustellen. In einem an die Truppen- und Bezirks- commandeure gerichteten Schreiben läßt Graf Schliessen mit- thcilen: „Das amtliche Material (Acten, Gefechtsberichte, Dienst tagebücher) wird voraussichtlich schon einen sehr reichen Stoff für spätere wissenschaftliche, auf die Expedition bezügliche Ar beiten darbieten. Die außergewöhnlichen Verhältnisse aber, unter denen die Expedition zu Stande kam und verlief, die leiden schaftliche Theilnahme der gesammten Nation, in günstigem ebenso wie in absprechendem Sinne, machen es erwünscht, die Sammlung des Qucllcnmaterials nicht auf die Dienstpapsere zu beschränken, vielmehr schon jetzt dafür zu sorgen, daß auch Privatmittheilungcn von Theilnehmern der Expedition aller Grade hinzutreten. Der Werth solcher Mittheilungen ver größert sich, wie hier vielfach gemachte Erfahrungen zeigen, von Hahr zu Jahr, und vermag in mancher Richtung geradezu unschätzbar Zu werden, wenn die Zeit einer neuen, de. Gegc wart fernstehenden Generation gekommen ist." Demgemäß bittet Graf Schliessen die Commandeure um nachdrückliche Unterstützung, indem sie die Empfänger von Briefen, Besitzer von Tagebüchern und Erinnerungen veranlassen, diese Papiere dem Generalstabe abzulassen, welcher dafür sorgt, daß sie in seinem Kricgsarchive eine würdige und dauernde Stätte der Aufbewahrung finden. Das gesammte abzugebende Material soll mit der größten Discretion und als secret behandelt werden, so daß während der nächsten 30 Jahre der Inhalt nur Oficieren des großen Generalstabes, und auch diesen nur zu dienstlichen Zwecken, lediglich mit Genehmigung und unter Controle des dem Kriegsarchiv vorgesetzten Abtheilungschefs, zugänglich werden darf. Daraus crgiebt sich, daß etwaige scharfe, im augenblicklichen Unmuth oder in einer peinlichen Lage niedergeschriebene Acußerungen und Urtheile kein Hinderniß für die Abtretung bilden können. * Paris, 3. Juli. Das heute ausgegebene Gelbbuch enthält ferner ein Telegramm des Gesandten Pichon vom 23. Februar l901 über die vom euglischen Gesandten aufgeworfene Frage wegen Fest- stellnng der Entschädigungen der Missionen. Pichon erklärte, die Stellung der Missionen sei durch Verträge gesichert. Deshalb sei in Lieser Hinsicht kein »euer Grundsatz auszustellen. Die be- thciligten Gesandtschaften möchten gemäß den bisher von ihnen befolgten Regeln verfahren. Der deutsche Gesandte be- merkte, seine Haltung in dieser Frage entspreche der des fran zösischen. (Wiederholt.) Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. Juli. Die Einwirkung, die Preußen mit der jedenfalls wohl überlegten, wenn auch nach außen hin völlig überraschend wirkenden Berlängcrung der Giltigkeitsdauer der Rückfahrt karten auf 45 Tage auf die anderen selbstständigen deutschen Eisenbahnverwaltungen ausgeübt hat, wird von der „Sachs. Nativnalliberalcn Correspondenz" mit Recht als eines der bemerkenswertbesten Ereignisse in der neueren Entwickelungs geschichte deutscher Eisenbahn- und Berkehrspotitik bezeichnet. „Der hier nach vorwärts gethane Schritt" — so fährt das genannte Organ dann fort — „ist nicht sowohl unter dem Gesichtspunkte der überall dankbar empfundenen Ver- kehrserleichterung zu betrachten, sondern mehr noch in seiner augenblicklichen Wirkung und in seinen möglichen zukünftigen Folgen zu prüfen. Was nach den be gleitenden Worten der ersten Meldung im Wege der Ver handlungen nicht zu erzielen war, hat Preußen a tempo durch Schaffung der einfachen Thatsacben erreicht: die sächsische Staatsbahnverwaltung hat sich sofort mil bemerkenswerther Enlschlußschnelligkeit für die gleiche Maßnahme erklärt, Laden, Bayern, Württemberg sind gefolgt. Ob diese Zustimmung frohen Herzens gegeben wurde, oder ob sie nicht vielmehr an der einen oder anderen Stelle mehr „der Nolh gehorchend" ertheilt worden ist, entzieht sich der allgemeinen Kenntniß. Die Tbatsache bestehl und ist Wohl in Betracht zu ziehen, daß die kleineren einzelstaatlichen Staatsbahnverwaltnngen sich dem „sanften" Drucke des größeren, gewaltigen Eoncurrenten nicht zu ent ziehen vermochten. Man wird im vorliegenden Falle, bei dem es sich um einen ersten Schritt in der Richtung der seit langer Zeit vergebens angestrebten Vereinfachung der Tarife bandelt, kaum etwas dagegen sagen. Allein der Erfolg, den Preußen zu verzeichnen hat, konnte appetitrcizend wirken und weitere „überraschende" Maßnahmen zeitigen, deren Ergebniß sehr viel mehr im preußischen Interesse gelegen sein könnte, als in dem der anderen in Frage kommenden Bundes staaten. Da die unter dem Fürsten Bismarck in sorg fältigster Weise berücksichtigten Interessen der Einzel staaten im letzten Jahrzehnt von Berlin aus nicht immer gleichmäßig gepflegt und geschont worden sind, so ist zum Mindesten Vorsicht und die Erwägung geboten, ob nickt in einem e ng e re n Zu sa in men sch luß B ayerns, Sachsens, Württembergs und Badens die eigenen verkehrspolitischen und wirthschastlichen Interessen besser und nachdrücklicher wabrgenommen werden können, als seither. Je größer und geschlossener die in die Waagschale zu legende Interessengemeinschaft ist, um so höher wird sie in Berlin bcwerthet und berücksichtigt werden." — Es wäre zu wünschen, daß diese Anregung aus guten Boden fiele. Allzngroßen Er wartungen darf man sich freilich nicht hingeben, denn die süddeutschen Staaten sind trotz wiederholter Mahnungen zu gemeinsamer Wahrung ihrer verkehrspvlitischen Interessen Uber ergebnißlose Versuche nicht hinausgekommen. Freilich hat eS an einem so kräftigen und alle einzelnen so gleich mäßig berührenden Anstöße, wie der jetzt erfolgte ist, bisher gefehlt. Noch stärker als die süddeutschen Staaten wird zweifellos Sachsen berührt, daS gerade jetzt, wo die Folgen der Bankbrüche auf die Steuerkraft des Landes in die Er scheinung treten, Einnahmeausfälle am wenigsten verschmerzen kann. Sachsen hatte also wohl Anlaß dazu, den süddeutschen Staaten als energischer Mahner zu dienen. Die am Montag an dieser Stelle mitgetheilte Forderung der „Praca", die Polen sollten im Wahlkreise Duisburg- Mülbeim durch Aufstellung eines eigenen Candidaten „dem Ccntrum das Messer auf die Brust setzen", hat im Centrum naturgemäß einige Verstimmung hervorgerufen. Unwirsch spricht die „Köln. Volksztg." von Rathschlägen, wie nur völlige Verblendung sie ertheilen könne, und verweist das radicale Polenblatt mit seinen Wünschen nach polnischen Predigten im rheinisch-westfälischen Industriegebiete auf die kirchlichen Behörden. Um aber den Polen nur ja nicht zu nahe zu treten, fügt das rheinische Centrumsblatt die Betheuerung hinzu, daß eS auch durch polnische Tollheiten in seiner Bekämpfung des „Hakatismus" sich nicht irre machen lasse. Der frag liche Artikel der „Praca" beweise aufs Neue, in welcher Weise in Folge der Politik des „HakatismuS" der NadicalismuS in den polnischen Landestheilen ins Kraut schieße und das Nativnalitätsgesühl auch auf polnischer Seite überreizt sei. Diese Auffassung der „Köln. VolkSztg." setzt sich über offenkundige Thatsacben der jüngsten Vergangenheit einfach hinweg. Wie zur Zeit der Caprivi'schen „Ver- söhnungsaera" jede polenfreundliche Maßnahme der preußischen Regierung mit einer Steigerung der national polnischen Ansprüche beantwortet wurde, so hat schon damals auch das Centrum die Früchte des polnischen Radicalismus kennen gelernt — bevor der Ostmarkenverein begründet wurde und damit der sogenannte Hakatismus sich geltend machte. Damals blieb es auf Seiten der Polen nicht bei dem bloßen Verlangen nach einer gegen daS Centrum gerichteten polnischen Sondercandidatur, sondern es wurde wirklich im schlesischen Reichstagswahlkreise Neustadt gegen über dem CentrumScandidaten der Pole Strzoda als Reichstagscandidat aufgestellt. Und als Herr Strzoda am 28. Januar 1894 den klerikalen Bewerber geschlagen hatte, feierte der „Orendownik" dieses Wahlergebniß als einen „großen Sieg des polnischen Volkswillens, ein großes Ereigniß in der Geschichte der Volksbewegung."— Der damalige Vorgang widerlegt auf das Schlagendste die klerikale Ansicht, die For derungen nach polnischen Sondercandidaturen selbst gegenüber Centrumscandidaten als das Ergebniß der hakalistischen Politik, ausziebt. So unbequem dem Klerikalismus die Thatsache ist, daß gerade seine Willfährigkeit und Unterwürfigkeit gegen über dem Polenthum die maßlose Steigerung polnischer An sprüche gezeitigt haben — eine maßlose Steigerung, die in dem Verlangen nach polnischen Sondercandidaturen gegen Centrumscandidaten einen besonders crassen Ausdruck findet —, so nachdrücklich muß der wirkliche Sachverhalt angesichts der klerikalen Umkehrungskiinste festgestellt werden. Hoffentlich wird auch Graf Bülow sich nicht darüber täuschen, daß keine andere Partei die Ansprüche der Polen so gesteigert hat, wie daS Centrum, und daß nur dann Aussichten auf eine erfolgreiche Abwehr der von der polnischen Propaganda drohenden Gefabr sich eröffnen, wenn der Einfluß des Centrums im Reiche sowohl wie in Preußen erheblich ein gedämmt wird. Wie bereits mitgctheilt, ist in Folge der Weigerung der Leitung der Amerikanische» Stahlblech-Gesellschaft und der Amerikanischen Stahlreifen-Gesellschaft (welche FrnLlietsn. Rechtsanwalt Lohmann. 10j Roman von Rudolf Jura. Nacktruck rnbonn. Emil Born wartete keine Antwort des Fräuleins ab, son dern empfahl sich eiligst, um die Wirkung seiner Worte nicht ab zuschwächen, und ging in sehr vergnügter Stimmung davon. Die Umstände waren ihm sehr glücklich zu Hilfe gekommen, und angesichts der Nothlage, in der sich Fräulein Kurzmüller befand, zweifelte er keinen Augenblick, daß sie um ihrer Rettung willen sein Anerbieten annehmcn würde. In der That halte er sie kaum eine Viertelstunde verlassen, als sie nach nochmaliger reiflicher Ueberlegung den Brief aus dem Gesangbuch herausnahm, ihn sorgfältig verpackte, wie es seiner Kostbarkeit zukam, und ihn für morgen früh zum Mitnehmen bereit legte. Nun hatte sie den Entschluß, ihn zu verkaufen, besiegelt. Frei athmete sie auf und gab sich mit gewohnter, liebevoller Aufmerk samkeit der Lectür« des „Tageblattes" hin, nachdem sie noch Thee- wasser aufgesetzt und ein Fläschen Cognak zur Verstärkung des warmen Getränks herbcigeholt hatte. Zunächst studirte sic, wie es di« Art so vieler Damen ist, die Familien-Anzeigcn uns die standesamtlichen Nachrichten der Zeitung, um ihre Neugierde zu befriedigen und ihrem immer regen Gesprächsbedürfniß neue Stoffe zuzuführen. Von fast all' den Namen, die hier in dem Blatte verzeichnet standen, wußte sie irgend ein niedliches, pikantes Geschichtchen zu'erzählen, das nicht immer streng der Wahrheit entsprach, aber doch mit manchem Ausspruch der bedeutendsten Klatschbasen der Stadt wie mit be weiskräftigen Urkunden belegt werden konnte. Gerade der Um stand, daß über ihre Feindin, die Frau Doctor Römer, bisher gar kein Klatsch weder aufzufinden noch zu erfinden gewesen war, hatte ja ihren Haß gegen diese unnahbar: Dame immer grim miger geschürt. Um so freudiger zuckte sie zusammen, als sic jetzt nach Er ledigung der Familiennachrichten ven Namen der Verhaßten plötzlich unter den „Vermischten Nachrichten" entdeckte. Sie blickt« genauer hin und las nun zu ihrem Erstaunen Folgendes: „Das Stadtkrankenhaus beherbergt seit gestern in dem Beobachtungszimmer für Geisteskranke ein junges Mädchen, daS durch seinen sonderbaren KrankheitSzustand die ge spannteste Aufmerksamkeit unserer Aerzte, wie Juristen auf sich lenkt. Sie leidet an häufig wiederholten Tobsuchtsan- fällcn, in denen sie nach einem angeblich von der bekannten Frau Doctor Römer an sie gerichteten Brief sucht. Da zu gleicher Zeit di« Frau Doctor Römer auf der Polizei als ver schwunden gemeldet worden ist und noch ander« eigcnthümliche Umstände vorliegen, so wird von einer Seite aus angenommen und sogar behauptet, die geisteskranke Frauensperson sei in Wahrheit Niemand anders, als die Frau Doctor Römer selbst. Sie befinde sich in einem Zustand hypnotischer Geistesum nachtung und der Brief, nach Dem sie in ihren Anfällen schreie, enthalte die Worte, die nöthig seren, sie aus ibrem Bann zu be freien. Andere wieder, und unter ihnen auch Hofrath Doctor Weltin,behaupten, diePcrson sei weder hypnotisirt, noch geistes krank, sondern einfach eine schlau« Diebin, die ins Gefängniß gehöre. Die Krank: giebt nämlich selbst zu, " Nun folgte eine genaue Beschreibung dessen, was die unglück liche Frau Tags zuvor oem Staatsanwalt gegenüber ausgesagt und wie si« sich dabei betragen hatte. Gerüchte über die sonderbar« Geschichte waren zwar bereits überall in der Stadt im Umlauf; aber Fräulein Kurzmüller war zu sehr mit der Sorge um ihre Bücher beschäftigt gewesen, um etwas davon zu vernehm«::, und so harte Emil Born ganz richtig gerechnet, als er annahm, sie werde bis morgen früh noch nichts von dem Zusammenhang der gehermnißvollen Briefangelcgenheit vernommen haben und daher ahnungslos bereit sein, den Brief zu verkaufen. An di« Möglich keit einer raschen Veröffentlichung des Falles hatte er freilich nicht gedacht. Nur einige Augenblicke blieb Fräulein Kurzmüllcr diesem Zeitungsberichte gegenüber fassungs- und verständnißlos. Beim zweiten Durchstsen kam ihr plötzlich die Erleuchtung über all das, was sie bisher nicht gewußt hatte. Jetzt war es ihr klar, warum der Rechtsanwalt durch den so geschickt vorgeschobenen, schlauen Herrn Born so eifrig auf Herausgabe des Briefes bestand. Sie zweifelte keinen Augen blick mebr daran, daß der Brief thatsächlich der Talisman zur Entzauberung ihrer verhaßten Feindin war, und mit grausamer Wollust fühlte sie sich von dem stolzen Bewußtsein durchdrungen, das Schicksal ihrer Gegnerin nun vollständig in der Hand zu haben. Sic war beinahe Herrin über Leben und Tod. Wenig stens hatte sie die Macht, die Frau Doctor gesellschaftlich zu ver nichten und verschwinden zu machen. Wenn sie diesen Brief da Uber der Spiritusflamme des Theckessels entzündete-und ihr« bisherige Lüge durch wirkliches Verbrennen zur Wahrheit mochte, dann erwachte ihre Feindin überhaupt nicht wieder aus ihrer Verzauberung und kam entweder ins Irrenhaus oder ins Ge- fängniß! Hastig griff sie nach dem kleinen Packet und riß es auf, um seinen Inhalt zu vernichten. Aber mitten im Werk hielten ihre Finger erschrocken inne. Wenn sie das kostbare Stück Papier statt zu verkaufen, verbrannte, dann erhielt sie auch die versprochenen fünfhundert Mark nicht und war dem Vorstand des Frauen vereins gegenüber wieder in der schlimmsten Verlegenheit. Aber nein! Wenn die Frau Doctor verschwunden blieb und nicht wieder auftauchte, so gab es ja keine Anklägerin, also auch keine Gefahr einer Revision mehr für sie. Denn von der Frau Superintendent hatte sie nichts zu fürchten, scbald sie nicht auf gehetzt wurde. Also ins Feuer mit oem Brief! Mit behaglicher Sorgfalt drehte sie das Stück Papier zu einem Fidibus zusammen und kostete mit innigem Genuß den Ge danken aus, daß sie jetzt im Begriff war, das Leben ihrer Gegnerin für immer zu vernichten. Schon streckte sie die Hand mit dem zusammengefalteten Zettel nach der Spiritusflamme aus, schon bräunte sich die Spitze des Papiers am Feuer. Da zog sie, wie von einem plötzlichen Gedanken durchzuckt, die Hand wieder zurück, und ihre Augen blickten nachdenklich auf das ver- hängnißvollc Schriftstück nieder. Die Vernichtung des Briefes erschien ihr jetzt mit einem Male überflüssig und unsinnig. Sie erreichte ja ganz dieselbe Wirkung, wenn sie ihn zurückbehielt und gut versteckte. So lange sie ihn nicht wieder in die Hände der Frau Doctor gelangen ließ, blieb sie unbeschränkte Herrin über deren Schicksal und konnte diese Macht täglich und stündlich von Neuem auskosten. Dieses Be wußtsein bedeutet« einen immer wiederk-hrenden und einen viel höheren Genuß, als wenn sie jetzt in einem Augenblick den nicht wieder gut zu machenden tödtlichen Streich ausführte, um dann allem Weiteren gegenüber machtlos zu sein! Wenn der Rechtsanwalt erfuhr, daß sie den Brief wirklich vernichtet hatte, dann war sie für ihn nur noch ein Gegenstand des Hasses und der Verfolgyng, und er hatte keine Ursache, sie zu fürchten oder zu schonen. Wußte er aber den Brief unversehrt in ihrem Besitz, dann blieb sie kür ihn die gefürchtete und mäch tige Gegnerin, die zum Acußersten zu reizen cr sich auf Das Vor sichtigste hüten mußte. Dann hatte sie vielleicht sogar Gelegen heit, noch einige Male baaren, klingenden Nutzen aus dem Besitze des geschriebenen Talismans zu schlagen. Somit war ihr Entschluß endgiltig gefaßt. Sie wollte den Brief gut aufbewahren und so fortgesetzt die Herrin über das Leben ihrer Feindin bleiben. Vorsichtig faltete sie das Papier wieder auseinander und legte es vor sich auf Den Tisch. Dann hielt sie den silbernen Thee- löffel in die Spiritusflamme und plättet« mit dem erhihb-n Metall die Kniffe auS dem arg zerdrückten Brief. Nun schickte sie sich an, ihn wieder in das Gesangbuch zu legen. Ab«r dieser Versteck erschien ihr jetzt für ein so wichtiges Stück nicht mehr sicher genug. Sie war sich vollkommen klar darüber, daß sie kein Recht auf den Brief hatte, daß es fremdes Eigenthum war, 'was si« in ihrem Schranke verbarg, und daß sie sogar vielleicht einer gericht lichen Durchsuchung gewärtig sein mußt«. Deshalb galt es, den Brief so zu verstecken, daß er jedem Uneingeweihten unauf findbar blieb, ihr selbst aber doch nötigenfalls immer zur Hand war. Ein Platz, den sie nicht beständig unter dm Augen hatte, schien ihr aus diesem Grunde ganz ungeeignet zum Versteck, und Keller und Bodenraum waren in Folge dessen von vornherein ausgeschlossen. Auch die Küche hielt sie nicht für zweckmäßig, weil dort die Dienstboten in allen Winkcln und Ecken zu viel herumkramten. Es blieben also nur ihre Wohnräum« übrig. Denn die Eßzimmer der Speiseanstalt waren zu kahl und leer, um günstig« Gelegen heit zu einem Versteck zu bietm. Spähend ging sie nun in ihrem Wohnzimmer umher, musterte das Schlafzimmer und kam wieder ins Wohnzimmer, um aus ihrer Lectüre von Räuber- und Criminalgeschichten all« möglichen Erinnerungen an geheime Fächer und dergleichen zusammenzu suchen. Aber alle di« Möglichkeiten eines Versteckes, die in ihrem Geiste auftauchten, genügten ihr nicht. Die Dielen aufzureißen oder den Brief in die Wand einzumauern, wäre natürlich ein zu umständliches und auffälliges Unterfangen gewesen. Sie dachte daran, den Zettel hinter dem Spiegel oder im Rahm«n eines Bildes zu verbergen, sie zog die Verstecke v«r Bettmatratze in Betracht, sowie die Möglichkeit, ihn von unten an den Waschtisch oder den Boden eines Schrankes festzunageln. Noch viele andere Gedanken kamen ihr und wurden verworfen; denn keiner erschien ihr neu und sicher genug, um sich dem Spürsinn des Rechtsan walts und der Polizei gegenüber mit aller Ruhe darauf verlassen zu können. Nachdenklich fetzte sie sich wieder an den Tisch und bereitete sich eine Tasse Thee mit viel Cognac. Es war anzunehmen, daß die klfahrene Polizei mit allen bereits von anderen Leuten g« brauchten Verstecken wohl vertraut war. In Folge dessen mußte sie Darauf sinnen, ein ganz neues, noch nie dagewescnes Versteck zu erfinden, und mit dem Versuche «iner solch«» Erfindung be schäftigte sie sich nun eifrig und ließ die Augen suchend im ganzen Zimmer umhergehen. Als sie etwa zum fünften oder sechst«» Male ihr altes Spind gemustert batte, blieb ihr forschender Blick an dem «inen klotzigen vorderen Fuß deS Möbels hängen, der sich rin wenig verschöbe«
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