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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.07.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-07-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010710029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901071002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901071002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-07
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Ärnlsvlatt des Lönigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nalizei-Ärntes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile LS H. Reklamen unter dem Redaction»strich (»gespalten) 75 vor den Faniiliennach» richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60—, mit Postbesördrrung 70.—, Ännahmeschlaß für Än)eigen: Sbend-Au-gabe: Vormittag» 10 Uhr. Morg«»-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei de» Filialen »ud Annahmestelle» je ein» halbe Stunde früher. Anzeige» stob stet» a» die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» uuunterbroche» geöffnet vou früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Druck uud Verlag von E. Pol» i» Leipzig 347. Mittwoch den 10. Juli 1901. 85. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. 8ur Lage. Es sind jetzt gerade zwei Monate vergangen, seit auf Grund zuverlässiger Informationen festgestellt werden konnte, daß neue Friedensverhandlungen in Südafrika in die Wege geleitet würden und zwar auf Basis günstigerer Bedingungen, die von englischer Seite den noch im Felde stehenden Boeren offerirt worden waren. Dies fand mehrere Wochen nach dem Zusammenbruche der ersten durch Kitchener eröffneten Verhandlungen statt, und seitdem sind die erwähnten ferneren Meldungen in der in London üblichen Weise erst rundweg abgeleugnet, dann theilweise zugegeben und schließlich vollständig bestätigt worden. Es sickerten allmählich allerhand Nachrichten über Durban durch, welche feststellten, daß das britische Hauptquartier thatsächlich dem Generalcom- mandanten der Boeren, Louis Botha, gestattet habe, über Stan derton die britischen Kabel zu benutzen, um in chiffrirten Tele grammen mit dem Präsidenten Krüger in Verbindung zu treten, und heute wird dies ganz officicll in vollem Umfange zugegeben. Die Zeiten sind also vorbei, wo die englische Regierung sich mit stolzer Ueberhebung auf den Standpunct stellte, daß „Er-Präsi- deni" Krüger nicht mehr in Berechnung zu ziehen und als guau- lils nexlixeatrls zu behandeln sei. Kitchener mußte sich also dem Verlangen Botha's fügen, welcher erklärte, daß er weitere Verhandlungen nicht Pflegen könne, wenn man ihm nicht ge statte, mit dem Oberhaupte des Transvaals in directe Verbin dung zu treten. Wie himmelweit entfernt sind diese Zugeständ nisse von dem früheren brutalen Standpunkte der englischen Re gierung, von welchem aus die berühmte „bedingungslose Ueber- gabe" als einziger Abschluß des Krieges hingestellt wurde. Zum zweiten Male haben nun die Engländer das verdrieß liche und beschämende Resultat zu verzeichnen, daß die von ihnen eingeleitet'en und eifrigst geförderten Friedensverhandlungen von den Boeren als aussichtslos abgebrochen worden sind. Präsident Krüger ist, wie sich jetzt herausgestellt hat, genau derselben An sicht, wie Botha, Dewet und Delarey, d. h. die Boeren sind sich vollständig darüber einig, daß sie, da ihnen von den Engländern die Garantie der Unabhängigkeit vorläufig noch nicht zu gestanden wird, den Krieg fortsetzen werden, bis Großbritannien sich eines Besseren besinnt und zu der Einsicht kommt, daß es die Boeren nun und nimmer in der gewünschten und beabsichtigten Weise „unterkriegen" kann. Für die Transvaaler und Freistaatler ist der Krieg also immer noch das geringere von zwei schlimmen Uebeln, und die tapferen Burghers denken gar nicht daran, sich zu übergeben, den Feldzug zu beenden und unter britischem Regiment weiter zu leben, denn es hat doch gar zu wenig Verlockendes für sich, daß sie zunächst einige Jahre lang unter einer militärischen Diktatur stehen sollen, um dann später vielleicht für fähig befunden zu werden, allmählich eine Art von selbstständiger Cownialregierung zu erhalten, welche natürlich für sie selbst unter allen Umständen schon deshalb eine vollständig illusorische Bedeutung haben würde, weil sie bis dahin von dm unzähligen Uitlanders, die jetzt schon darauf warten, die neuen „Colonien" zu überschwemmen, in politischer Hinsicht einfach erstickt werden würden. Mit solchen Ueberzeugungen sehen die Boeren eben gar keinen anderen Aus weg vor sich, als den Kampf bis aufs Messer fortzusetzen und im Uebrigen wie bisher auch ferner „auf Gott und die Mauserflinte zu vertrauen". Nun werden in London neuerdings in eingeweihten Kreisen wieder Gerüchte laut, welche besagen, daß die britische Regierung entschlossen sei, von einem gewissen Zeitpunkte an, der schon sehr nahe liegen soll, die Boeren thatsächlich nicht mehr als eine krieg führende Macht zu behandeln, sondern ihre Streitkräfte zu recht losen Guerillabanden officiell zu stempeln und dann mit ihnen nur noch kurzen Proceß zu machen, d. h. mit ihnen als Banditen zu Verfahren. Das wäre natürlich für die Englänver eine sehr bequeme Auffassung von der Lage auf dem Kriegsschauplätze, und daß es nach internationalem Völkerrecht einfach unmöglich ist. daß die eine kriegführende Partei der andern alle Kriegsrechte nach Belieben entziehen kann, würde in diesem Falle die großen Geister im britischen Gouvernement wenig ober gar nicht geniren. Es bleibt dabei aber immer noch die für die Engländer so heikle Frage offen, wie cs um die unausbleiblichen Repressalien auf Seiten der Boeren bestellt sein wird. Sollte das britische Hauptquartier auf Befehl seiner Regierung thatsächlich zu diesem unerhörten Mittel greife, um die weitere Kriegführung für die Boeren angeblich gefährlicher zu machen, so würden die Letzteren selbstredend einfach Gleiches mit Gleichem vergelten und den vollqualifizirten „Räuberbanden" der Engländer ebenfalls alle Kriegsrechte entziehen und sie verdientermaßen als Banditen be handeln. Deshalb wird man sich in Downing-Street diese Sache wohl noch gründlich überlegen und sich vielleicht doch schließlich hüten, mit solchen Parforccmitteln vn dnuguo zu spielen. Im Uebrigen würde ein solcher Schritt auch durch die ganze Lage auf dem Kriegsschauplätze einfach von vornherein den Stempel der Lächerlichkeit und des Wahnwitzes erhalten, denn ganz abgesehen vom Transvaal und Freistaate, wo die so fürch terlich heruntergekommenen und decimirten britischen Truppen sich thatsächlich nur mühsam behaupten können, hat sich der Feind in der Capcolonie bekanntlich seit sechs Monaten wieder dauernd festgesetzt und ist dort im Herzen des englischen Territoriums nach wie vor Herr und Meister der Situation. Neue Distrikte werden von den Boeren fast in jeder Woche occupirt und machtlos und erfolglos quälen sich die britischen Truppen in der Colonie ab, den Feind zu vertreiben oder zu vernichten. Dies sind, wie selbst in einem Londoner Regierungsblatte gestern zu lesen war, „einfach skandalöse Zustände, unter denen das englische Prestige von Tag zu Tag mehr leidet". Die Boeren erzielen andauernd kleinere und größere Erfolge auf englischem Boden und unterhalten sich und ihre Pferde seit einem halben Jahre vollständig aus englische Kosten. Seit vier Wochen ist General French, einer der fähigsten englischen Truppenführer in Südafrika im Oberkommando über sämmtliche britische Truppen in der Colonie, aber bis heute sind auch noch nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß es seinem Feldherrntalent wirklich gelingen wird, mit den eingedrungenen Boeren besser fertig zu werden, als dies bisher möglich war. * London, 9. Juli. Dos Amtsblatt veröffentlicht einen langen Bericht Lord Kitchener's vom 8. Mai über die seit Monat März in Südafrika ousgcführten Operationen. In dem Berichte heißt es: Außer anderem erhielten die in der Capcolonie eininarschirten Boeren ohne Zweifel Nckrutenersatz aus den Reihen der Colonialboeren. Ein beträchtlicher Theil der ländlichen Bc- vvlkerunq sicherte ihnen jederzeit nicht nur reichlichen Ersatz von Lebens mitteln, sondern gab ihnen auch zur Zeit Nachrichten über die Be wegungen unserer VersolgungSabiheilungen, zwei Punkte, die ihnen sehr zu Gute kommen. Einige Unruhe zeigte sich kürzlich im äußersten Nordwesten der Capcolonie, wo Abteilungen des Feindes zeitweise versuchten, unsere Posten zu beunruhigen. Bisher waren jedoch die dort stationirten Truppen vollständig in der Lage, ihre Stellungen zu behaupten und die Vorstöße deS Feindes nach dem Innern der Capcolonie zu vereiteln. Die Wirren in China. Nene Acnttcrbesctznngcu. Ein kaiserlicher Erlaß vom 4. April aus Singaufu, der in Peking durch die amtlich chinesische Pekinger Zeitung bekannt wurde, bestimmt in einigen wichtigen Provinzämtern neu« Be setzungen, die auch für das Ausland von Interesse sind. Der bisherige Gouverneur von Hupe, AüYinlin, wird danach in gleicher Eigenschaft nach der für europäische Interessen weniger wichtigen Provinz Kwangsi versetzt, nachdem <ver neue britische Gesandte Sir Ernest Satow gegen seine weitere Amtsführung in Hupe Einspruch erhoben hat. Myinlin hatte in seiner Pro vinz, die, am mittleren Uangtse gelegen, eines der reichsten und wichtigsten Gebiete ganz Chinas ist, und mit den großen Städten Wutschang, Hankou, Hanyang und Kintschou mit ihren Fremden niederlassungen der Mittelpunkt der sogenannten englischen Inter essensphäre ist, sich nicht genügend von dem Verdachte der Frem denfeindlichkeit reinigen können. Zu seinem Nachfolger wurde der bisherige Statthalter von Schansi Hsiliang ernannt, ein Mandschu, der bei uns dadurch in schlechtem Andenken steht, daß er zur Zeit der Ermordung der beiden deutschen Missionare Nieß und Henle Taotai in SUd-Schantung war. Es ist nun die Frage aufgeworfen worden, ob die deutsche Regierung nicht gegen die Einsetzung dieses Beamten in einer so wichtigen Pro vinz hätte Einspruch erheben sollen. Allerdings, so wird der „Köln. Ztg.", 21. Mai, geschrieben, hat damals im Frühjahr 1898 das deutsche Reich auf die Entfernung Hsiliang's aus Schantung gedrungen und sich gegen seine Wiederanstellung und die einiger seiner Amtsgenossen in der Provinz verwahrt. In dessen erscheint es in solchen Fällen nicht immer rathsam, die Entfernung eines Beamten, der nicht geradezu unmöglich ist, zu fordern, da sehr häufig der dann bestimmte Nachfolger ein noch viel weniger wünschenswerther Mann gewesen ist, der vielleicht nur -den Vorzug hatte, in seiner amtlichen Laufbahn noch nicht ernstlich mit den Fremden zusammengerath-n zu sein. Schon sechs Wochen später aber wurde wiederum ein Wechsel in dem höchsten Amte Hupes angeordnet, indem durch kaiserlichen Erlaß vom 14. Mai als Gouverneur berufen wird Twanfang, bis heriger Schatzmeister (Fantai) von Honan und vorher stellver tretender Statthalter von Schensi. Das ist derselbe seltene Mann, der während der Borerunruhen des vorigen Jahres und bis zur Uebersiedelung des Hofes nach Singanfu, der Hauptstadt Schensis, so thatkräftig und erfolgreich für den Schutz der frem den und einheimisckM Christen eingetreten war. So wird denn also dieser bemerkrnswerthe und kühne Beamte an der Seite Tschangtschitung's, des musterhaftesten aller chinesischen Staats beamten, in Wutschang residtren, und wird ihm als Statthalter von Hupe beigeordnet. Hsiliang ist einstivcilen zu späterer Ver wendung bei Seite gestellt worden, während Schensi jetzt dem ebenfalls wohlbeleumundeteu Schöngyün unterstellt wird. * Petersburg, 9. Juli. Bei Tschemnlpo auf der Insel Kauhna machen die Japaner photographische Ausnahmen; es geht Las Gerücht, die Japaner wollten die Insel besetzen und die Koreaner von dort vertreiben. Der oberste Beamte dec Insel berichtete an die koreanische Regierung und erbat Weisungen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. Juli. Wir haben uns dreifachen Irrens zu bezichtigen. Kürz lich glaubten wir cS als Regel aufstellen zu dürfen, daß wichtige innerpolitische Entscheidungen niemals vor den Beginn der Nordlandsfahrt deS Kaisers fallen, sodann gaben wir der Uederzeugunz Ausdruck, die baualvorlagc werde nicht vor der übernächsten Session in den Landtag zurückkehren und somit auch nicht mehr von Herrn v. Thielen, vertreten werden, da dieser das Ende seiner Ministerschaft herbeisebne. Alle» dies stellt sich als irrig heraus. Herr v. Thielen bleibt, die Canalvorlage komnit in der nächsten Tagung, und daß dies soeben in Coblen; durck den Mund deS preußischen VerkehrSministerS amtlich ungekiindigt wurde, ist ein eminent wichtiges inner- politischeS Ereiguiß. Und leider kein rein preußisches Er- eigniß. Es ist unvermeidlich, den Tarifgesetzentwurf im nächsten Winter an den Reichstag gelangen zu lassen, und nicht möglich, ihn dort so rasch zu er ledigen, daß die Canalvorlage, wenn sie schon in derselben parlamentarischen Campagne erscheinen muß, erst nach der Verabschiedung deS Zollgesetzes eingebracht werden könnte. So ist die tbatsächliche Verkoppelung der im Vordergründe der Politik stehenden Reichsangelegenheit mit einem preußischen und mindestens von einer sehr starken Minderheit der preußischen Bevölkerung nicht gutgeheißenen Projekte wiederum beschlossene Sache. Es ist auch — denn gegen diese Ueberzeugung werden nunmehr die schönsten Redensarten nichts weiter verfangen — gänzlich ausgeschlossen, daß die Verkoppelung nicht gewollt sei. Während die gesetzliche Gestaltung eines Zolltarifs al» der Grundlage für Handelsvertragsverhandlungen, die mit Ende 190.1 abgeschlossen sein müssen, nicht verzögert werden kann, kommt es bei dem Mittellandcanalprojecte, daS die Negierung nach seinem Scheitern vor zwei Jabren ein ganzes Jahr hatte ruhen lassen, aus weitere fünf Wochen wahrlich nicht an. Wenn es der Regierung aus sachlichen Gründen so sehr pressirte, so hätte sie in diesem Frühjahre nicht den Landtag schließen dürfen, ohne daß im Abgeordneten bause eine Abstimmung über die „Wasserwirthschaftliche Vorlage" stattgefunden hatte, oder sie hätte Neuwahlen aus schreiben müssen. Jener Schritt war nur verständlich, wenn er von der Absicht eingegeben war, die Verquickung mit den Schutzzollfragen im Sinne einer äo ut cke8-Politik anszuhcben oder auch nur den Schein eines solchen EinS-inS- Andere-RecknenS zu vermeiden. Und dies war auch in der That die Meinung. Wir können mit unserer Dermuthung zurückhalten, daß der Reichskanzler und Ministerpräsident den ernstlichen Wunsch hegte, daß die Leiden Angelegenheiten „unverworien" blieben oder „gemacht" würden; eS genügt, daran zu erinnern, daß einflußreiche Bundesregierungen in Berlin jeden Zweifel daran beseitigten, daß die weite Ver breitung des Glaubens, eS werde dort die An erkennung eines Zusammenhanges zwischen dem preußischen Canal und den deutschen Zöllen nicht gänzlich von der Hand gewiesen, ihnen, jenen Bundesregierungen, unbequem sei. Davon stand freilich nichts in der officiösen Presse, cs ist aber dennoch wahr und würde auch wahr bleiben, wenn es nachträglich als „auS der Luft gegriffen" bezeichnet werden sollte. Die bunvespolitischen Rücksichten, die, wie angedeutet, Graf Bülow in diesem Falle auchj aus sachlichen Gründen besonders genau genommen haben mag, sind cS denn auch gewesen, die zur Schließung deS Landtags führten. Es zeigte sich kein anderer Ausweg, um der Verkoppelung oder — was von jenem Zeitpunkte vielleicht noch gelten darf — dem Scheine der Verkoppelung den GarauS zu macken. Die Voraussetzung der vollen Beruhigungswirkung der Entlassung deS Landtags war aber natürlich der Entschluß der Regierung, das Canalgesetz nicht vor der Erledigung der Zollvorlage, also nickt in der nächsten Tagung zurückzubringen. Die Coblenzer Ankündigung hebt jene gute Wirkung nicht nur aus, sie verwandelt sie sogar in ihr verstärktes Gegentheil. Die Fragen, die sie aufwirft, lauten: Haben die Bundesregierungen, die im Frühjahr gewisse, aus einem zeitlichen Nebeneinander von Canal- und Zollkämpfen auch außerhalb Preußens sich Feuvlleton. Rechtsanwalt Lohmann. Ibj Roman von Rudolf Jura. d!a»truck vkrboltu. Die Frau Staatsanwalt suchte ihn zu beschwichtigen. „Rege Dich doch nicht unnütz auf", sagte sic. „Es werden ein paar betrunkene Nachtschwärmer sein, die sich den geistreichen Scherz gestatten, an allen Hausthüren zu klingeln. Du machst Dich durch Dein Schimpfen vor ihnen nur lächerlich und reizest sie durch Deinen wilden Aerger zu noch lauterem Lärm. — Mach' das Fenster zu und lege Dich wieder nieder." Der Staatsanwalt hatte inzwischen am Gartenthor zwei Männcrgestalten erkannt, die auf sein Schimpfen hin das Klingeln einstellten. „Beruhigen Sie sich doch, Herr Staatsanwalt", klang es über den schmalen Vorgarten hinüber, „und lassen Sie öffnen. Die Sache ist sehr eilig und wichtig." „Wer sind Sie denn?" „Rechtsanwalt Lohmann", rief der eine der beiden nächt lichen Gäste. „Ja, zum Teufel, was für eine Angelegenheit führt Sie denn in der Nacht um drei Uhr zu mir?" „Die Sorge für das Leben Ihrer Frau Schwägerin. Lassen Sie doch um Gotteswillen öffnen." Der Staatsanwalt murrte unwillig über diese nächtliche Störung. „Das hätte doch auch bis morgen früh Zeit", bemerkte er zu seiner Frau. Diese erwiderte ihm jedoch, daß der Rechtsanwalt vielleicht eine neue wichtige Entdeckung gemacht habe, und forderte ihn auf, dem Mädchen zu klingeln, damit es die Thür öffne. „Nein, liebe Frau, so unvorsichtig bin ich nicht. Wenn ich die Lina in dieses Hundewetter hinaus jage, zieht sie sich aller hand schwere körperliche Leiden zu. Dafür bin ich dann ver antwortlich und für die Kosten haftbar. Da gehe ich lieber selbst und öffne. Dann ist die Sache billiger." „Du willst Dich also durchaus selbst erkälten?" „Ach Unsinn! Ich bin nicht so leichtsinnig, wie so ein thörichtes junges Ding. Ich ziehe mich natürlich warm an." „Nun, wie Du willst", entgegnete die Frau Staatsanwalt. »Ich zieht mich auch an. Denn ich will natürlich bei den wich tigen Entdeckungen, die uns det Rechtsanwalt zu machen haben Wird, ebenfalls zugegen sein." > Mach fünf Minuten schon war sie in ihrem Morgenkleide und setzte Wasser auf den Gaskocher, um den Ankömmlingen nach ihrem Marsch durch die regnerische Nacht ein warmes Getränk anbieten zu können. Ihr Gatte hingegen bedurfte zu seiner Be kleidung eines weitaus längeren Zeitraumes. Er wählte seine wärmste wollene Unterwäsche und umhüllte sich dann noch mit einem dicken Wintcranzug und derben rindsledernen Schaft stiefeln, die zu seinem Bedauern zu groß waren, um noch in seinen Gummischuhen Platz zu finden. Dann wickelte er ein wollenes Tuch um den Hals, warf den Regenmantel über und schritt nun, in der linken Hand den Regenschirm, in der rechten den Hausschlüssel, muthig in die Nacht hinaus. Am Thore standen zähneklappernd mit durchnäßten Kleidern und kothigen Stiefeln der Rechtsanwalt und Born. Trotz ihres Verlangens, das ersehnte Rettungswerk endlich einmal erfolgreich beginnen zu können, war doch ihr lebhaftestes Gefühl jetzt das des Dankes und der Freude, unter Dach und Fach zu kommen. Der Staatsanwalt empfing sie nicht auf das Liebens würdigste. „Müssen Sie mich denn gerade jetzt mit Ihrem ehrenvollen Besuche belästigen?" knurrte er, indem er sie ins Zimmer geleitete. „Jawohl", antwortete der Rechtsanwalt. „Wir wollen die Frau Doctor Römer wecken." „Nein, nein, meine Herren, lassen Sie die jetzt ruhig schlafen! Die Nacht ist die einzige Zeit, in der sich ihr Fieber beruhigt." „Wir wollen sie ja auch nicht jetzt wecken, sondern ihre morgige endgiltige Erweckung vorbereiten." „Und dazu konnten Sie keine gelegenere Zeit finden, als drei Uhr Nachts?" „Nein. Denn wir haben den Entschluß, einen glücklichen Gedanken sofort auszuführen, nicht eher fassen können, als uns dieser Gedanke überhaupt gekommen war. Seit gestern Abend haben wir zusammen gesessen und überlegt, gegrübelt, geprüft und verworfen, gehofft und wieder gezweifelt. Da haben wir vor einer Stunde den einzigen noch möglichen Weg gefunden, den wir jetzt eiligst beschreiten wollen. Also bitte, schließen Sie uns das Arbeitszimmer der Frau Doctor auf und übergeben Sie uns Alles, was Sie etwa an Handschriftlichem von Ihrer Schwägerin haben, zur Benutzung. Ich hoffe jedoch, schon ihr Schreibtisch wird uns hinreichend Ausbeute bringen." Der Staatsanwalt führte sie nun hinauf. Die Frau Staats anwalt folgte mit der Kaffeekanne, und der RechtSanwall mußte kurz seinen Plan, der ihn mit so siegesgewifler Hoffnung erfüllte, erzählen. „Sie kennen alle unsere schon fehlgeschlagenen Versuche", be gann er. „Sie wissen, daß eS darauf ankommt, den Wortlaut de» ErweckungSbriefeS in der Frau Doctor eigenen Handschrift zu bekommen. Auch unser letztes Unternehmen heute Nach mittag, den echten Brief selbst zu erobern, ist uns nicht ganz geglückt. Wir hatten ein zerrissenes Stück davon in Händen, das wir wieder zusammengesetzt haben. Aber der Schluß fehlt uns. Auch sah die Flickarbeit mit ihren unendlich vielen kleinen Rissen einem natürlichen Briefe nicht mehr sehr ähnlich, und doch hat uns diese mißglückte Flickarbeit auf einen glücklichen Ge danken gebracht. Wenn es angeht, den Brief aus den einzelnen Buchstaben und Silben des echten Briefes zusammenzusehen, so muß sich doch der Schluß auch aus anderen einzelnen Buchstaben, Silben oder Worten ergänzen lassen, die wirklich von der Frau Doctor geschrieben sind, wenn sie auch nicht dem echten Brief angehört haben. Ich besitze eine Anzahl Geschäftsbriefe meiner Klientin und begann eben, sie durchzusehen, um die geeigneten Worte herauszuschneiven, da machte mich Born darauf aufmerk sam, daß es dann doch am praktischsten wäre und sicher der beste Weg, einen sauberen und überzeugenden Brief herzustellen, wenn wir auch auf das schon fertiggestellte Buchstaben-Stück- und Flickwerk des Anfangs verzichteten und es lieber ebenfalls aus ganzen Satztheilen oder doch Worten zusammensehten. Für die Imperative „Wache auf", „vergiß", „sei" fehlt es jedoch in meinen Briefen an Material. Denn die Frau Doctor nennt mich nicht „Du". In den Roman-Manuscripten ihres Schreibtisches aber hoffe ich sicher das Nöthige zu finden und so im Stande zu sein, den ganzen Brief vielleicht aus vier oder fünf Fragmenten zu sammenzusetzen, so daß sie Morgens beim Erwachen bereits den täuschend echten Brief auf ihrem Nachttisch liegen haben kann." Herr und Frau Staatsanwalt konnten der Klugheit dieses Planes ihre Anerkennung nicht versagen. Sie forderten ihn selbst auf, unverzüglich ans Werk zu gehen, und waren von zu lebhafter Antheilnahme dafür erfüllt, um wieder schlafen zu gehen. Die Frau Staatsanwalt bereitete mehrere Auflagen Kaffee und alle Vier theilten sich in die Arbeit, passende Stellen aus den reichlich vorhandenen Manuskripten der Frau Doctor heraus zusuchen. Nach einer halben Stunde bereits waren folgende Stellen gefunden, die genügten, um den ganzen Brief herzustellen: -Jetzt" - „wache auf!" „Vergiß" — „all das Niedrige, was Du soeben gethan hast, und " — „sei wieder wie früher" — „die feine, vornehme" — „Frau Doctor Maria Römer." Herrn Born fiel die Aufgabe zu, diese Stellen mit einem feinen Messer haarscharf herauSzuschneiden und sie nebst zwei leeren Stücken Briefpapier auf dünnes Papier so aufzukleben, daß das Ganze einen einheitlichen Eindruck machte. Da Frau Doctor Römer für ihre schriftstellerische Thätigkeit dasselbe, nur im Format verschiedene Papier benutzte, wie für ihre Briefe, und sich auch ihre großen, regelmäßigen Schriftzüge überall fast unverändert gleich blieben, so war es nicht allzu schwer, die einzelnen Stücke passend zusammenzufügen. Kunstfertigkeit erforderte nur das scharfe Herausschneiden und Dichtaneinanderklebcn der einzelnen Zettelchen. Aber gerade in solchen Sachen war Emil Born von einer geradezu meister haften Geschicklichkeit, und kurz nach vier Uhr lag der Brief, wenn auch noch feucht vom Klebstoff, fertig vor. Die Frau Staatsanwalt holte ihr mit Gasheizung versehene» Bügeleisen herbei. Der nasse Brief wurde zwischen zwei dicke Löschbläcter gelegt und mit dem heißen Eisen geplättet, so daß er Schlag ein halb fünf Uhr auf den Nachttisch neben das Bett der Frau Doctor gelegt werden konnte. Diese kleine Arbeit be sorgte noch die Frau Staatsanwalt. Dann verließ die kleine Ge sellschaft der ehrlichen Brieffälscher den ersten Stock und begab sich ins Erdgeschoß, um den Erfolg ihres Werkes abzuwarten. Der Staatsanwalt selbst versuchte noch einmal zu schlafen; doch gelang es ihm nicht, und er murrte nun wieder über die ver lorenen Nachtstunden. XII. Es schlug fünf Uhr. Das war die Stunde, in der die Frau Doctor zu erwachen und ihre Dienstmädchenarbeit zu beginnen pflegte. Heute klangen den vier Menschen, die in des Staatsanwalt» Wohnung versammelt waren, die Schläge der Glocke besonder» bedeutungsvoll in die Ohren. Denn mit der Stunde, die die metallenen Töne verkündeten, brach der entscheidende Morgen an, der die Erlösung für die Kranke oben bringen sollte. Alle Vier versetzten sich im Geist in ihr Zimmer und vergegen wärtigten sich all ihr Thun bis zu dem Augenblick, wo sie den Brief finden, ihn lesen und dadurck ihrem eigentlichen Leben zurückgegeben werden würde. Es war schon zwanzig Minuten vor sechs. Sie mußte also bereits in der Küche thätig sein, und es war merkwürdig, daß sich trotz der Stille des Morgens nicht» von dem gewohnten Arbeitsgeräusch im oberen Stockwerk ver nehmen ließ. Die vier Wartenden im Erdgeschoß wunderten sich zunächst, wurden aber bald unruhig und geriethen schließlich über da» Ausbleiben jedes Lebenszeichens in bedenkliche Sorge. Der Staatsanwalt sah die Sache am schwärzesten an. „Die ganze hypnotische Verwandlung meiner Schwägerin ist eben nur eine willkürliche Annahme gewesen. Wer weiß, wo sie sich jetzt aufhält, und ob sie nicht von irgend Jemand zur Er-
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