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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.07.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-07-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010711020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901071102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901071102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-07
- Tag1901-07-11
- Monat1901-07
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Auzeigau« Preis die 6 gespaltene Petitzeile SS Reklamen unter dem Redactionsftrich («gespalten) 7b vor dea Familieanach» richten (v gespalten) 50 Lj. Tabellarischer und Ziffernsah entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen and Osfertenannahinr 25 H (excl. Porto). «rtra-veilagen (gesalzt), nar mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbes-rdernng 80 —, m t t Postbesörderuag 70.—. Ännahmeschlllß für Alyrigen: Abrnd-Au-gabe: vormtttag- 10 Uhr. Morgen-Au-gabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei dea Filialen und Annahmestellen je rin« halbe Stund» früher. Anzeigen find stet« au die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geösfnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig Donnerstag den 11. Juli 1901. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Die voeren in drr Capcolonte. lieber Capstadt kommt eine schon telegraphisch mitgetheilte Meldung, die aufs Neue in schlagendster Weis« darthut, wie voll ständig unfähig die Engländer in der Capcolonie sind, gegen die nun schon über sechs Monate anhaltenide Boerenmvasion irgend etwa- Nachhaltige» auSzurichten oder überhaupt nur die Ope» rationen der verschiedenen CommandoS zu verhindern oder erfolg los zu gestalten. Diese» Mal ist eS wieder Commandant Scheepers, der einen neuen kühnen Handstreich ausführte, indem er mit etwa 1500 Mann einen überraschenden Vorstoß gegen die Stadt Murraysburg östlich von der Eisen bahnlinie Capstadt-De Aar ausführte und dadurch die britische Garnison, welche diesen Ort besetzt hielt, zur schleunigen Aufgabe und eiligem Rückzüge zwang, da dieselbe sonst ohne Weiteres in die Hände drr Boeren gefallen wäre. ScheeperS occupirte sodann unbehelligt die Stadt, bemächtigt« sich aller vorhandenen Vor- räthe an Lebensmitteln, Pferdefutter und Kriegsmaterial, und vernichtete, was er nicht fortführen konnte. Dor allen Dingen gab er jedoch den Engländern eine Probe davon, wie die Dorren kn Zukunft das Niederbrenneu ihrer Farmen und Dörfer zu rächen gedenken, indem er sämmtliche öffentliche Gebäude in Murrays burg in Brand steckt« und dafür sorgte, daß dieselben „unge löscht" bis auf den Grund niedergingen. Magazine und Ba racken gingen ebenfalls rn Flammen auf, und der Boeren- commandant rechtfertigt dieses summarische Vorgehen nach be rühmten Mustern, indem er erklärt, daß durch solche Maß regeln die Operationen des Feindes aufgehalden und unmöglich gemacht wenden sollen. — Was dem Einen recht ist, ist dem Anderen billig, und die jetzt anbrechend: Aera der Re pressalien wird den Engländern ihre schweren Sünden der letzten 1s/2 Jahre vielleicht nachdrücklicher vor Augen und zu Ge- müthe führen, als irgend etwas Anderes dies zu thun im Stand« wäre. Scheepers setzt inzwischen seinen Vormarsch nach Süden fort und scheint es zunächst auf die Stadt Aberdeen an der Eisenbahn nach Port-Elisabeth abgesehen zu haben, die ebenfalls nur eine schwache englisch« Besatzung hat. Das Londoner Amtsblatt enthält folgende Mittheilung, be treffend das Verfahren, welches die Commission zur Prüfung der Ansprüche der aus Südafrika auSgcwicscncn Personen vom 15. Juli ab einschlagen wirb. Die Commission erklärt sich, da weitere mündliche Zeugenaussagen nicht zu erwarten sind, bereit, nicht auf mündliche Zeugenaussagen gegründete Ansprüche zuprüfen. Die Art der Beweisstellung soll dem Ermessen «ver Vertreter der verschiedenen befreundeten Nationen überlasten bleiben. Beweis führung durch Urkunden könne zur Begründung solcher Ansprüche zugelassen werden; alsdann aber müsse zum Zwecke der Ab lehnung von Ansprüchen die gleiche Beweisführung zulässig sein. Zur Erleichterung der Arbeit wünscht die Commission, die An sprüche nach Nationalitäten zu berochen. Den Vertretern der befreundeten Nationen werde eine entsprechende Mittheilung zu gehen, wenn die von ihren Regierungen erhobenen Ansprüche an die Reihe kämen. Di« verschiedenen Ansprüche würden in folgen der Reihenfolge behandelt werden: die Oesterveich-Ungorns, Hollands, Italiens, der Vereinigten Staaten, Frankreichs, Ruß lands, Deutschlands, Spanien« und zuletzt die Schwedens und Norwegens. * London, 10. Juli. Heute Nachmittag fand kn der Onlld» Hall eine große Versammlung zur Unterstützung der südafri» konischen Politik der Regierung statt, in welcher der Lord- Major den Vorsitz führte. Die Redner, unter denen sich mehrere Parlamentsmitglieder befanden, empfahlen eine Resolution, durch welche dem Vertrauen zur Regierung Ausdruck gegeben und die krv dver-Bewegung vrrurtheilt wird. Die Resolution wurde begeistert angenommen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 11. Juli. Am Montag gaben -wir an dieser Stelle eine Auslassung der „Köln. Ztg." über das Verbältniß de- verstorbenen Fürsten Hohenlohe zur Presse wieder und knüpften daran einige Mittbeilungen über die guten Folgen, die dieses Bcr- hältniß auf das Verständniß der deutschen ZeitungSleser sowohl für die Strömungen in Frankreich während der Pariser Bvtsckasterzeit des Fürsten, als auch für die Lage der Dinge in Elsaß-Lctbringen während seiner Statthalter schaft in Straßburg gehabt bat. Seitdem ist in deutschen und auswärtigen Blättern noch Mancherlei mitgelheilt worden, was das Verständniß des Fürsten für die Bedeutung und den Einfluß der unabhängigen und discreten Presse beweist; in keiner dieser Darstellungen tritt aber das Bestreben der Ver fasser zu Tage, sich selbst auf Kosten deS Fürsten zu verherr lichen und mit großen Rollen zu glänzen, die sie angeblich in Folge des Vertrauens des Fürsten haben spielen können. Ein Einziger machte eine Ausnahme von dieser Regel: der famose Herr Oppert aus Blowitz, der sich der Kürze halber „v. Blowitz" nennt und als Korrespondent der „Times" dieses „Weltblatt" schon ost blamirt hat. Er erzählt, nachdem er vorauSgeschickt, daß er mit dem Fürsten, namentlich während seiner THLtigkeit als deutscher Botschafter in Paris, sehr eng tiirl gewesen sei, u. A. Folgendes: Fürst Hohenlohe hatte seinen Pariser Posten im Jahre 1874 angetreten, al- in der französischen Presse eine aus Madrid datirte Note erschien, tn der behauptet wurde, der neue Botschafter habe den Auftrag, auf eine Verschlechterung der sran» zöstsch.deutschen Beziehungen hinzuarbeiten, um Frankreich zu irgend einer Unbesonnenheit zu treiben, die zu einem neuen kriegerischen Conslicte zwischen beiden Mächten Anlaß geben könnte. Fürst Hohenlohe, der den französischen Conservativen, d. h. den Monarchisten, wenig genehm war, führte diese Note auf die Urheberschaft des Herzogs DecazeS, des damaligen Ministers deS Auswärtigen (eines Freundes der monarchischen ResiauratiouSbestrebungen) zurück. Er beauftragte Herrn v Blowitz, sich nach Versailles (dem damaligen Regierungssitze) zu begeben, um den Herzog ins Gebet zu nehmen und von ihm ent weder eine bestätigende oder ableugnende Antwort zu extrabiren. Er ließ zugleich erklären, daß er, falls sein Verdacht sich bestätigen sollte, sofort seine Pässe verlangen werbe. An demselben Tage begab sich v. Blowitz dreimal nach Versailles, ohne vom Herzog Decazes irgend eine Antwort erlangen zu können; erst bei seinem vierten Besuche daselbst erklärte der Herzog, der inzwischen erfahren batte, daß der Botschafter zur sofortigen Abreise entschlossen sei, Herrn v. Blowitz seine Geneigtheit, den Fürsten zu empfangen. Bei diesem Empfang gab der Herzog kotzende Erklärung ab: „Ich hoffe, Herr Botschafter, daß Ew. Excellenz überzeugt sein werden, daß, wenn wir in Ihnen Len Träger einer auf di« Erregung von Zwietracht abzielendcn Mission erblickt hätten, wir nicht Ihre An wesenheit in Paris obgewartet hätten, um gegen Ihre Ernennung zu protestiren." Damit war der Zwischenfall erledigt. Im Jahre 1875 wurde Herr v. Blowitz vom Botschafter aber- mal» gebeten, den Herzog Decaze« auszusnchen, um denselben wissen zu lassen, daß er, dec Botschafter, vom Fürsten BiSmarck In structionen erhalten habe, die ihn nöthigen würden, gegenüber dem französischen Minister de« Auswärtigen eine sehr lebhafte Sprache zu führen, und um ihn zu bitten, diese Sprache, um deren nachträgliche Abmilderung er sich übrigen« bemühen würde, nicht übel zu vermerken. Drr Herzog Decaze« erklärte sich dazu bereit, und so wurde über die Einzelheiten der Unterredung mit dem Botschafter nichts bekannt. Im Hinblick aus das bekannte Begl ückwün sch ungStele- gramm Kaiser Wilhelm'S II. an den Präsidenten Krüger nach der Vereitelung des Jameson'schen Einbruches in Transvaal schrieb Fürst Hohenlohe Hrn. v. Blowitz eines TageS, daß, wenn der Kaiser gewußt hätte, wir viele Engländer aus vornehmer Familie an der Expedition betheiligt waren, er jein Telegramm niemals abzeiaudt haben würde. Ec sei jedoch der Ansicht gewesen, daß Jamefon eine Flibustirrschaar befehligte, die Räubereien geplant habe. Neber den Zweck dieser „Enthüllungen" braucht man kein Wort zu verlieren; er springt zu sehr in die Augen. Unv Leute, die solche Zwecke verfolgen, pflegen eS mit der Wahr heit nicht eben genau zu nehmen, auch wenn sie nicht Oppert beißen, nicht aus Blowitz stammen unv sich nicht der Kürze halber „v. Blowitz" nennen. Was aber diesen Herrn spcciell betrifft, so mulhet er denen, die seine „Enthüllungen" lesen, denn doch gar zu viel zu, wenn er ihnen einreden will, der Fürst habe sich zu so heiklen Missionen ein.'S Mannes bedient, drr von jeher in dem Ruse stand, aus seinen In formationen sür sich Capital zu schlagen. Uebrigens wissen wir zufällig, wer der „diplomatische Employs" war, Lessen der Fürst um jene Zeil sich zu bedienen pflegt«, wenn er directe Schritte nicht für zweckmäßig hielt; Oppert oder „von Blowitz" hieß dieser Herr nicht uno stand auch mit den „TimeS" in keinerlei Verbindung. Und als Kaiser Wilhelm H. daS vielbesprochene Telegramm an den Präsi denten Krüger richtete, war „Herr v. Blowitz" schon so „be rühmt", baß der voisichtige Fürst sicherlich ihm am aller letzten vertrauliche Miltheikungen gemacht hätte. Von orm Inhalte re« angeblichen Briefes wollen wir ganz absehen. Für uns stehl fest, daß „Herr v. Blowitz" sich gehütet haben würde, mit seiner Selbstverherrlichung bei Lebzeiten des Fürsten hervorzutreten. Und wenn in den Memoiren deS Fürsten der Name» „Oppert gen. v. Blowitz" überhaupt erwähnt wird, so wird er zweifellos in ganz anderem Sinne erwähnt. Dann wird auch die „Times" einsehen, daß sie sich in ihrer Sucht, mit ihren Eorrespondenlen zu renommiren, wieder einmal gründlich blamirt hat. Gleich der socialdemokratischen Parteipresse ist auch die focialdemokratische Gewerkschaftspresse durch die Zustimmung des Bunde srathes zur tKcwerbeorvmmnSuovellc in Verlegenheit gesetzt worden. Denn nicht minder als jene hatte dies« Presse es sich angelegen sein lassen, die Berufung des Abgeordneten Möller zum Handelsministrr als einen gegen die Fort« führung der Socialreform gerichteten Schlag auszugeben. Jetzt, wo die Gewerbeordnungsnovelle vom BundeSrath« an genommen ist, sieht sich auch das Organ der socialdemokratischen Gewerkschaften zu der Meinungsäußerung bewogen, daß den „Scharfmachern" eine empfindliche Niederlage bereitet sei. Um aber die vorangegangene Stellungnahme gegen den neuen Handelsminister zu rechtfertigen, richtet das Gewerkschaftsorgan einen neuen Angriff gegen ihn. Herr Möller wird als der Unterlegene bezeichnet, weil er „bekanntlich" den rheinischen In dustriellen sein Wort verpfändet hätte, seinen Einfluß gegen die Novelle geltend zu Machen. „Das war das erste Mißgeschick der neuen Excellenz", schreibt das Gewerkschaftsorgan wörtlich, „dem sicherlich andere Niederlagen folgen werden. AIS starrer Bartei mann und Jndustriellen-Vertreter müßte eigentlich Herr Möller schon jetzt di- Consequenzen aus seiner verlorenen Schlacht ziehen und das kaum erworbene Portefeuille zuriickerstatten. Wir hoffen aber, daß er kleben bleiben wird, wie andere Kleber vor ihm, uni als Seitenstilck des Grafen Posadowsky die Regierung des kapi talistischen Classenstaates würdig zu repräsentiren." — Herr Möller soll demnach als Kleber verächtlich gemacht werden, nachdem die agitatorische Ausnutzung seiner Berufung in der Richtung socialpolitischer „Scharfmacherei" sich als unmöglich herausgestellt hat. Dabei operirt das Gewerkschaftsorgan ganz nach dem Muster der soocialdemokratischen Presse mit ebenso un verbürgten wie unglaubwürdigen Angaben wie mit der von dem verpfändeten Worte. Daß ein Politiker von der Bedeutung und der Vergangenheit Möller's sich einer Jnteressentengruppe gegen über in der angegebenen Weise selbst sollte gebunden haben, zu mal unmittelbar bei der Uebernahmc des Minister-Portefeuilles, erscheint als ausgeschlossen. Wäre aber Möller auch wirklich ein Gegner einzelner Bestimmungen der Gewerbeordnungsnovelle ge wesen, so wäre er deshalb nicht zum Rücktritt vom Ministerium genöthigt. Denn kein Minister kann in der Praxis des politischen Lebens darauf bestehen, daß in jedem Gesetze jede Einzelheit seinen Wünschen entspreche; wird er von seinen Collegen über stimmt, so braucht er nur bei Fragen von hervorragender, grund sätzlicher Bedeutung an seinen Abschied zu denken. In Bezug auf die Gewerbeordnungsnovelle aber war weder der Widerstand des neuen Handelsministers gegen Einzelheiten groß genug, noch waren diese Einzelheiten so wichtig, um den Rücktritt Möller's zu erfordern. Darum ist es nur aus dem Agitationsbediirfniß der socialistischen Gewerkschaften zu erklären, wenn ihr Organ Herrn Möller als „Kleber" bezeichnet. JmStammlande Oesterreichs vollzieht sich seit einigen Jahren ein Proceß, der zu förmlich paradoxen Verhältnissen führt. Neberall sonst, so wird der „Münch. Allg. Ztg." aus Wien geschrieben, sind die Hauptstädte der Sitz demokratischer Parteien und einer radikalen Gesinnung, während die mittleren Ortschaften und das flache Land gewöhnlich eine konservativere Meinung vertreten. In Niederösterreich ist dies umgekehrt. Nach wie vor zeigen die Wahlen, daß die C h r i st l i ch - S o c i a l e n — eine antisemitische Spielart der Klerikalen — die bürgerlichen Kreise Wiens nahezu vollständig beherrschen, ja daß sie seit den sechs Jahren ihres Sieges über die Liberalen ihre Position in diesem Bevölkerungstheil wesentlich verbessert haben. Die Ver suche der Deutschnationalen, sich in Wien zu organisiren, führten nur zu kümmerlichen Ergebnissen. Die einzigen kräftigen Gegner finden die Klerital-Antiscmiten in den Socialdemokraten, die in Folge der Erweiterung des Wahlrechtes und ihrer besseren Or ganisation allgemach in die verschiedenen Vertretungskörper ein« i dringen. Ganz anders geht es den Klerikalen in den kleineren I Städten und in den Landgemeinden Niederösterreichs. Hier I erlitten sie schon bei den letzten Rcichsrathswahlen ansehnliche Ferrvlletsn. Rechtsanwalt Lohmann. I6i Roman von Rudolf Iura. SiaLtmck »nlklkn. Nach ein«r Stunde jedoch erfaßte ihn Vie Ungeduld von Neuem. Er mußt« unbedingt zugegen sein, wenn sich das Wunder der Wiedererweckung seiner Geliebten vollzog. Auch konnte ihrem Dienstmädchenbewußtsein sein Besuch zu so früher Stunde nicht mehr auffallen. Sic war ja in den letzten Tagen daran gewöhnt worden, ihn und die Frau Staatsanwalt fast immer um sich zu sehen. Doch hielt ihn heut«, wo sich die Kranke wieder in die gesunde Frau Doctor zu verwandeln im Begriffe stand, eine unerklärliche Scheu, eine Art zartes Schamgefühl zurück, so ohne Weiteres in ihre Wohnung einzudringen, und er bat die Frau Staatsanwalt, ihn gewissermaßen als Ehrendame zu begleiten. Die Frau Doctor in Dienstmädchengestalt gab, wie immer, auf die Frage nach d«r gnädigen Frau ihre alte Antwort: „Dir Frau Doctor ist nie vor zehn Uhr zu sprechen." „Da» wissen wir schon", entgegnete der Rechtsanwalt. „Lassen Sie uns nur inzwischen eintreten, 'wie gestern unv überhaupt alle die letzten Tage. Wir warten im Arbeitszimmer, bis di« Frau Doctor sichtbar ist. Lassen Sie sich nicht stören, und setzen Sie nthtg Ihre Arbeit fort." Die Angerrdete gehorcht» diesrt bestimmenden Aufforderung, Und der Rechtsanwalt befand sich mit der Frau «»taatsanwalt im Arbeitszimmer allein. „Mr müssen vor «llrm d«n Schreibtisch wilder in Ordnung bringen", sagte er. „Wir haben heut« Nacht tn ihren Manu- scripten Lbrl gewirthschaftet unv müssen eS doch möglichst ver hüten, daß sie gleich nach ihrer Erweckung verdächtig« und beun ruhigende Eindrücke bekommt." Die ffrau Staatsanwalt war ihm L«i di«s«r Arbeit behilflich, und auch ihr Haff dies« Beschäftigung wohlthätig über dir ab spannend« und unruhevolle Erwartung hinweg, von der die gegen- wärtig« Stund« erfüllt war. Als ver Rechtsanwalt den Bries mit dem letzten Willen der Frau Doctor wieder an seinen Platz legte, sagte er erröthend: „LS wird «irrig« peinliche Scemn für mich geben, w«nn ich Ihrer Frau Schwägerin alle die Indiskretionen gestehen muß, die ich in ihrer Abwesenheit an ihren Papieren verübt habe." „Und durch die Sie in ein zartes Geheimniß ihres Herzens eingedrungen sind", fügte die Frau Staatsanwalt hinzu, indem sie ihm mit dem Finger droht«. Der Rechtsanwalt seufzte tief auf und fragte nach einer kleinen Pause: „Meinen Sie wohl, daß die Frau Doctor in dieser nun fast sechstägigen Zeit hypnotischen Schlafes etwa die ursprünglichen Gesinnung»» ihrer eigentlichen Persönlichkeit geändert bat?" „Wie sollte sie wohl? Sie ist ja in dieser ganzen Zeit über haupt nicht zum Bewußtsein gekommen, hat also auch keine Ge legenheit gehabt, in diesem Bewußtsein irgend welche Verände rungen vorzunrhmen. Nun, und daß sie jetzt nach ihrem Er wachen keine Veränderung«» mehr vornimmt, dafür werden Sie schon selbst sorgen." „Ich habe jetzt keinen Sinn für Scherz«", entgegnete der Rechtsanwalt. „Aber hören Sie? Es scheint, die Frau Doctor ist jetzt im Schlafzimmer. Herr Gott, wenn nur Alles wieder gut geht! Können Sie nicht nachsehen, was sie machl? Aber nein, thun Sie es lieber nicht. Sie könnten sie stören!" „Wieso stören? Ich bin doch jetzt Tag für Tag immer um si« gewesen!" „Gewiß. Doch da war sie ein Dienstmädchen. Jetzt ab«r wird sie — „Jetzt wirv sie wieder meine Schwägerin. Da wird es mir um so mehr erlaubt sein, ihr Schlafzimmer zu betreten. Gewiß begehe ich damit nicht di: mindeste Zudringlichkeit, zumal b«i ihrem leidenden Zustande." „Das behaupte ich auch nicht. Ab«r ich fürchte, es kann sie stören und unfern letzten Versuch, auf den wir all' unsere Hoff nung gesetzt haben, in seinem Gelingen beeinträchtigen." „Gut! Also um Sie zu beruhig«», werd« ich durch dar Schlüsselloch sehen. Dabei störe ich keinesfalls und kann ihr doch betspringen, wenn sich ein unvorhergesehener Zwischenfall ereignen sollte." „Hm. Horchen unv durch das Schlüsselloch sehen sind mir eigentlich äußerst unsympathische Sachen." „Im Allgemeinen, ja! Aber wo e» sich um die Beobachtung einer Kranken handelt, sind eS ganz einwandfreie und anständige Mittel", entschied die Frau Staatsanwalt mit Uebrrzeugung und begab sich sogleich auf ihren Lauscherpost«». Der RechtSanwalt zuckt« die Achseln und murmrlt«: „Meinetwegen! Ich lausche nicht mit." Trotzdem vernahm «r jed« kleine Meldung ver Späherin am Schlüsselloch mit freudiger Theilnahme, und sein Herz schlug der immer näher rückenden Entscheidung mit fieberhafter Ungeduld entgegen. Die Frau Doctor war thatsächlich im Nebenzimmer mit der Erfüllung ihrer jeweilig letzten Dienstmädchenaufgabe beschäftigt. Ihre Aufgabe lautete, den Brief der Frau Doctor, saub«r frisirt rmd gut angekleidet, in dem Lehnstuhl am Fenster zu lesen. Weil sie in den letzten Tagen den Brief nie hatte finden können, hatte sie es meist auch unterlassen, die für die Lectüre des Briefes vor geschriebene Toilette zu machen und war in ihrem Arbeitskittel geblieben. Heut« aber fristete sie sich sorgfältig, kleidete sich um und nahm den Brief zur Hand. Die Frau Staatsanwalt, die Alles daS beobachtete und dem Rechtsanwalt mittheiltc, bebte jetzt vor Erregung, und auch der Rechtsanwalt nicht minder. Die Frau Doctor selbst hingegen schien ganz ruhig zu sein und gar kein Gefühl von der ungeheuren Wichtigkeit ihrer Handlung zu haben. Wichtig waren ihr immer nur die nothgedrungenen Unterlassungen ihres Auftrages vorge kommen, und dieser unfreiwillige Ungehorsam hatte ihr Gewissen ja bis zur Tobsucht gepeinigt. Von diesen Unterlassungen aber wußte sie offenbar nichts mehr. Gleichgiltia ging sie mit dem Brief anS Fenster und setzte sich in den Lehnstuhl, als ob sie das ohn« Unterbrechung alltäglich so gethan hätte. Von dem Ver schwinden des Brieses schien ihr jede Erinnerung abhanden ge kommen zu sein. Denn man sah ihr nicht die mindest« Wiever- sehenSfreude an. „Jetzt sitzt sie im Stuhl. Jetzt liest sie", flüstert« di« Frau Staatsanwalt. Der Rechtsanwalt athmete hörbar und lief aufgeregt im Zimmer umh«r. „Wenn sic jetzt aufmacht und hereinkommt", sagt« «r, „so sprechen Si« sic ja mit der größten Vorsicht an. Sie darf nicht sogleich durch die Nachricht erschreckt werden, daß sie fast ein« Woch« lang ihr Selbst verloren hat. Bei ihrem geschwächten Nervensystem wäre sonst, zumal, wenn sie unser künstliche» Ver fahren, sie zu erwecken, «fährt, vielleicht «in Rückfall zu be fürchten. Sir darf nur ganz allmählich und schon«nv die Wahr heit erfahren." Die Frau Staatsanwalt nickte. „Ich will gar nichts erzähl«»", antwortete sie, während sie tapfer in ihrer anstrengenden Haltung am Schlüsselloch auShielt. „Ich bin zufrieden, wenn diesmal unser Versuch endlich gelingt, und wenn ich si« wird« frisch und gesund, dem Leben und sich selbst zurückgegeben, in die Arme schließen kann. Die nöthigen Erklärungen überlasse ich dann gern Ihnen." Inzwischen hatte die Frau Doctor die paar Zeilen deS Briefes mit gewohnter Aufmerksamkeit gelesen, und der Brief verfehlte seine gewohnte Wirkung nicht. Schwer sank ihr der Kopf für einig« Augenblicke hintenüber, dann schlug sie die Augen auf, erhob sich, blickte mit klarem Ge» sichtsauSdruck ein paar Mal im Zimmer umher, um sich von der vollkommenen Ordnung darin zu überzeugen, und schritt dann auf die Thür nach dem Arbeitszimmer zu. Die Frau Staatsanwalt hatte kaum Zeit, sich vom Schlüssel loch zurückzuziehen und ihre Nase in Sicherheit zu bringen. Fast wäre sie von der lebhaft geöffneten Thür« umgeworfen worden und sie eilte, sich an des Rechtsanwalts Seite zu begeben. Denn ihre Freude, di« Genesene wiederzusehen, war mit einem «igen- thümlich«» Gefühl banger Scheu gemischt, w-e man es vor fremd artigen Wesen aus einer Zauberwelt empfinden mag. Diese Scheu schwand sofort beim Anblick der wohlbekannten und wenn auch s«hr abgrzehrten, so doch im Ausdruck unverän derten Züge. Die junge, lridensblasse Frau, die da, unsicheren Schrittrs freilich und in müder Körperhaltung, aber mit hochauf- genchtetem Kopfe ihr entgegenschritt, das war krin unwiflenoeS, krankes Dienstmädchen mehr, das war auch keine Geistererschei nung, sondern in Fleisch und Blut und voller Körperlichkeit ihre schöne Schwägerin Maria. Die beglückende Gewißheit ihrer Wiederherstellung nach all' der Angst um ihr Leben verstärkten die Gefühle ihres Herzen- sür dir geliebte Schwägerin, und mit «inem Aufschrei jubelnder Freude umarmte sie die Genesene und preßte sie mit thränendem Gisicht an sich. „Nun, nun, was ist Dir denn, Liebste?" fragte mit staunendem Lächeln die Frau Doctor. „Nichts, gar nichts", antwortete die Frau Staatsanwalt. Sie war sich wohl bewußt, ihre Worte wahrscheinlich ebrnso tv«nig im Zaume halten zu können, wie «ben ihre Gefühle, und lies, ohne ihre stürmischen Freudenbezeigungen irgendwie zu erklären, eiligst aus dem Zimmer, um ihrem Gatten die Wi«d«rauffinvung odrr Gen«sung seiner Schwägerin mitzutheilen. Dieser nahm die fröhliche Botschaft mit Würde und ruhiarr Befriedigung auf. „Na, dann ist doch di« Störung heute Nacht nicht nutzlos gewesen. Da» freut mich. Wir müssen daS Wiedersehen mit Maria natürlich festlich begehen. Thue also, bitte, in drr Küche ein Nebliger. Ich werd«, wenn ich wiederkomm«, selbst das Nothige au» dem Weinkeller hol«n. Ist der Rechtsanwalt noch
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