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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.07.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-07-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010724010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901072401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901072401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-07
- Tag1901-07-24
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Mittwoch den 24. Juli 1901. Anzeige«-Preis die 6 gespaltene Petitzeile LS Reklamen unter dem Redacrion-striq «gespalten) 7ö vor dea Familirnnach- richtea (6 gespalteu) SO Tabellarischer und Zifferusatz eutsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen u.:S Offertenannahmr LS L, (rxcl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), uur mU der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörd.rung SO.—, mit Postbesürdernug ^tz AuuahMschluß für Akyeige»: Abeud-AuSgabe: vormittag- IO Uhr. Morgen-AaSgabe: Nachmittag» L Uhr. Bet der: Filiale» and Annahmestelle» je «in halb» Stunde früher. Anzeigen find stet» a» di« Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentag- uunnterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» t» Leipzig. 95. Jahrgang, Vie Vernichtung -es radikalen englischen Liberalismus. LS Als vor vierzehn Tagen eine formell« Aussöhnung zwischen Asquith umd Campbell-Bannermann stattfand, so daß der Letztere sich bereit erklärte, die Führung der liberalen Partei auch fernerhin beizubehalten, konnte kein Zweifel daran bestehen, daß es sich hier um einen „faulen Frieden" handelt«. Selbst für Pessimisten überraschend schnell aber wurde von rauher Hand der Kleister, der den Riß nothdürftig verklebte, entfernt. Es war kein Geringerer, als der hoffnungsvollste Schüler und Nachfolger Gladstone's, Lord Roseberry, der mit a-nerkennungswerther Nüchternheit und Offenheit erklärte, nach den Auslastungen der ravicalliberalen Führer Campbell-Bannermann, Harcourt und Morley über den Krieg könne die liberale Partei nicht mehr so weiter bestehen, wie sie bisher bestanden habe. Für ihn und seine Anhänger gäbe es nur «ins: unbedingte Unterstützung der Regierung in dem Bemühen, zu einem raschen und erfolgreichen Abschlüsse des Krieges zu gelangen. Lord Roseberry erklärt also alle Versuche, die radicalliberal« Partei zusammenzuhalten, für aussichtslos. Und er hat Recht, denn es handelt sich hier nicht um «in« Meinungsverschiedenheit in einer zwar sehr wichtigen, aber doch nur einzelnen Frage, sondern um einen vollständigen Gegensatz des poli tischen Glaubensbekenntnisses, um den Gegensatz nämlich zwischen Kosmopolitismus und Nationalismus. Campbell-Bannermann und seine Freunde dürfen sich rühmen, die echten Schüler Gladstone's zu sein, denn dieser war zeitlebens ein Vertreter des Kosmopolitismus, der die Grundsätze der Humanität über die der Realpolitik stellt. Mit diesem Humanitären Empfinden ging bei ihm das religiöse Hand in Hand, und deshalb neigte er beispielsweise mehr zu den Rusten, obwohl diese Englands natürliche Gegner waren und sind, hin, als zu den Türken, für die er das historisch gewordene Schlag wort erfand: „Mio Inspeukadlo ll'uro." Es ist dies jene alte Schule des englischen Liberalismus, deren edelster und vor nehmster Vcrtreter George Canning gewesm ist. Humanität und Freiheit kür die ganze Welt, ohne in erster Lin e danach zu fragen, ob England spcciell einen Vortheil davon habe. Auch di« von Roseberry vertretene Richtung Latirt nicht etwa erst von heute, sondern sie ist mindestens ein halbes Menschenal'.-r alt. Denn wie die Campbell-Bannermann-Gruppe für die Humanität gegenüber den Boeren eintritt, so wollte vor 14/2 Jahrzehnten Gladstone durch die Gewährung von Homerule den Iren gegenüber Gerechtigkeit walten lasten. Und wie heute Roseberry wegen der Boerenfrage sich von der radicalliberalen Partei ablöst, so trennten sich damals Hartington, Chamberlain und deren Genosten von Gladstone. Da Roseberry beiläufig auch längst von Homerule abgekommen ist, so besteht thatsächlich zwischen der von ihm geführten imperialistischen Gruppe und den Unionisten vom Jahr« 1886 kein Unterschied mehr. Seit jener Spaltung vom Jahre 1886 ist es den Liberalen nunmehr gelungen, eine Mehrheit im Parlament« zu gewinnen. Im Jahre 1886 selbst errangen die Konservativen und Unionisten den Sieg, so daß Salisbury ans Ruder kam. Bei den Wahlen von 1892 Verwandelte sich zwar die conservativ-unionistische Mehrheit in ein« Minderheit, aber auch die Liberalen hatten für sich kein« Mehrheit, sondern sie bildeten nur mit den Iren zu sammen die Majorität. Bon da ab ging es immer weiter ab wärts mit ihnen; 1895 erlitten sie eine schwere Niederlage, die sich bei den vor einem halben Jahre stattgehabten Wahlen wieder holte. So ist dir ernst so mächtige Partei schon an sich für voraus sichtlich lange Zeit zur Ohnmacht verurtheilt. Die neuerdings entstandene Spaltung aber macht ihre Lage natürlich noch schlimmer. Und was das'Allerschlimmste ist: es kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß Roseberry und Asquith einen sehr großen Dheil derjenigen Stimmen, die bei den letzten allgemeinen Wahlen noch für du radicalliberal« Partei abgegeben wurden, hinter sich haben. So kann man thatsächlich ohne Uebertreibung von einer Ver nichtung des englischen Liberalismus sprechen, denn man glaube nicht etwa, daß, wenn der südafrikanische Krieg beendet sein wird, die feindlichen Brüder sich wieder zusammenfinden werden. In einem Lande mit so ungeheuer weitverzweigten überseeischen Interessen wird das nun einmal aufgetaucht« Losungswort: „Hie Nationalismus, hie Kosmopolitismus" nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden. Der Krieg in Südafrika. Aus Capstadt, 2. Juli, wird der „Rheinisch-Westfäl. Zeitung" geschrieben: Die frevelhafte Aufhetzung der SwasiS gegen Transvaal hat blutige Früchte gezeitigt, denn die Boeren antworten mit gleicher Münze, indem sie jetzt die Kaffern der Capcolonie zu den Waffen gegen die Engländer aufreizen. Die Nachricht hat geradezu panischen Schrecken in der Capcolonie hcrvorgerufen, da Niemand darauf gefaßt war, am wenigsten die englische Mili tärbehörde, welche sich allen Vorstellungen der Capregierung zum Trotz in geradezu lächerliche Selbsttäuschung eingewiegt hatte. In Friedenszeiten unterhält die Capregierung eine Art Grenz wache längs der Eingeborenendistricte, um diese von der Ver suchung einer Jnsurrection fern zu halten. Diese berittene, 6—700 Mann starke Truppe besteht aus Kernmannschaften und bildete gewissermaßen den militärischen Stolz der Regierung; als nun der Krieg einen für England so ungünstigen Verlauf zu nehmen begann und die englische Recrutirungsmaschine immer mehr versagte, griff Lord Roberts zu dem gewagten Mittel, auch diese Grenzwache ihrem eigentlichen Zwecke zu entziehen, um sie den Boeren entgegen st eklen zu können; es kam damals zwischen ihm und dem damaligen Premierminister der Capcolonie, Herrn S ch r e i n e r, zu ernsten Auseinandersetzungen, welche von der englischen Reptilienpresse benutzt wurden, um dem Minister das Brandmal eines Hoch verräters aufzudrücken. Schließlich entschied das Faustrecht und die Grenzpolizei schwenkte ins Feld ab, die Kaffern sich selbst und dem Wohlwollen der Boeren überlastend. Lange Zeit schien sich dies Wohlwollen auch zu bewähren, denn so hart bedrängt die Boeren überall waren, die Eingeborenendistricte griffen sie nicht an, soviel dort auch an Nahrungsmitteln, Pferden und Hilfs mannschaften für sie zu holen war. Sie wußten wohl, daß ein Stich in dieses Wespennest ihnen nicht minder gefähr lich werden konnte als den Engländern; das Gespenst eines neuen Basutoaufstandes lebte noch zu frisch in ihrem Gedächtniß, und daß diese gefährlichsten Feinde des Freistaates mit den Eng ländern lieb Kmd spielten, wußten sie nur allzu gut. So lagen die Verhältnisse vor etwa einem Jahre. Sie haben sich seitdem wesentlich geändert. Der Freistaater Boer fürchtet die Basutos heute nicht mehr, denn Alles, was diese ihm hätten zerstören oder vernichten können, war von den Engländern bereits vor ihnen gethan. Der Freistaat existirtso gutwiegarnichtmehr. Die einzelnen Farmen sind nieder gebrannt, die Ortschaften entvölkert — bis auf die wenigen Menschen, welche von den Engländern in die Garnisonen zu sammengeschleppt wurden, die Heerden vernichtet, die Felder verbrannt oder seit Jahr und Tag nicht mehr bestellt, so gleicht das ganze weite Land nur noch einer menschenleeren Wüste voll rauchender Trümmer, ab und zu durchstreift von marodiren- den Haufen einer verwilderten Soldateska, ein Land, das einem Kadaver gliche, wenn nicht die Eisenbahn, von einem Heere eng lischer Soldaten bewacht, sich wie ein dünner Faden organischen Lebens durch diesen einst so blühenden Staatskörper zöge. Wohl denn, da der Boer nichts mehr zu verlieren hat, so hat er auch nichts mehr zu befürchten. Laßt die Basutos kommen zu Legionen, laßt sie einer bluttrunkenen Horde von Teufeln gleich über das Land fegen, sie werden den Boeren nichts mehr anhaben können, denn wo nichts zu holen ist, da hat bekanntlich selbst der Teufel sein Recht verloren. Geradezu be- wundernswerth ist es, daß die Boeren selbst in diesem Zustande der eigenen Immunität nach wie vor an der stillschweigenden Uebereinkunft mit den Engländern festhielten, das schwarze Element in diesem Todesringen fernzuhalten. Es bedurfte erst jener ganzen unbegreiflichen Verblendung und Frevelthat der Engländer in Natal, welche trotz Protest der Nataler Regierung die Swasis gegen den Transvaal entfesselten — ein Versuch, welcher bekanntlich mißlang —, ehe die Boeren zu dem gleichen Mittel der Verzweiflung griffen. Gegen Mitte Juni drangen sie nach längerer Pause wieder einmal in starken Schaaren über den Oranjefluß in den Nordosten der Capcolonie. Die Eng länder, welche ihre Truppen größtentheils in Transvaal hatten, vermochten ihnen nur geringen Widerstand entgegenzustellen, so daß diese mit leichter Mühe Jamcston einnahmen und sich über all reichlich verproviantirten. Wenige Tage später theilten sie ihre Streitkräfte; die eine Abtheilung zog unter Malan auf Richmond zu, gegen Centrum und Westen der Colonie, die andere, etwa 600 Mann stark, wendete sich unter Kommandant Fouche nach mehreren Marschschwenkungen auf die Gebirgskette zu, welche die Eingeborenendistricte des Transkei im Westen be grenzen, überschritt dieselbe auf schwierigen Pässen und drang nun ungehindert in diese bisher von der Kriegsfurie noch gänz lich unberührten Gebiete. Es wäre ein Leichtes gewesen, sie hieran zu verhindern, wenn eben die Grenzpolizei der Colo nie noch zur Hand gewesen wäre, so aber hatten die Engländer den Boerep gleichsam selbst die Thür geöffnet. Ihre Hoffnung beruht nun darauf, daß die Eingeborenen sich selbst vertheidigen werden; in der That haben die Engländer unter diesen eine Art Miliz eingerichtet, die von Weißen be fehligt wird. Diese Miliz soll 2—3000 Mann stark sein, ist aber nach Kaffernart nur nut Speer, Schild, Bogen und Pfeil bewaffnet, und daher in den Augen der Boeren einfach puantitu nvgligoadls. gz handelt sich auch weniger darum, ob die Boeren den Kaffern oder die Kaffern den Boeren überlegen sind, sondern die große Frage ist, ob die Kaffern, wenn sie erst einmal den Kriegspfad beschritten haben, überhaupt wieder zur Ruhe gelangen. Die Boeren spielen hierbei nur die Rolle als ^xk-nt provooateur; ist ihnen diese gelungen, so verduften sie wieder dahin, woher sie gekommen, während die Kaffern, so bald sie einmal Blut geleckt, in vollkommener Unkenntniß, ob sie Boeren oder Engländer vor sich haben, einfach auf dem Kriegspfade weiter wandern, d. h., sie dringen in die benachbarten Gebiete der Capcolonie und erklären dieselben in den Zustand des „Lating up und Knwlling out". Auf gut Deutsch bedeutet dies, es wird Alles ausgeräuchert und auf gefressen! Diese Kriegswendung wird selbst von der verbissensten und verbündetsten englischen Seite als eine neue Epoche an gesehen, für welche sie natürlich lediglich die Boeren verantwort lich machen, wobei ihnen aber die Gänsehaut über den Rücken zu laufen beginnt. Deutsches Reich. Berlin, 23. Juli. (Die Socialdemokratie auf dem platten Lande in Ostpreußen.) Man schreibt uns: Ist dec große Erfolg der Socialdemokratrn bei der Haupt wahl in Memel-Heydekrug an sich schon von großem Interesse, so wird er es noch mehr, wenn man unterscheidet zwischen größeren Ortschaften und plattem Lande. Es stellt sich da nämlich heraus, daß der Erfolg auf dem platten Lande verhältnißmäßig noch sehr viel größer ist als in den Städten. Wegen der symptomatischen Bedeutung dieser Thaisache sei dies hier genau ziffernmäßig nachgewiesen. Die Socialdemokraten erhielten in den drei Städten Diemel, Schmelz und Bommelsvitte bei den Wahlen von 1898 im Ganzen 1864 Stimmen, nämlich 1128 in Memel, 429 in Schmelz und 307 in Bommelsvitte. Bei der Reichstagsersatz wahl aber erhielten sie insgesammt 2550 Stimmen in den drei Städten, nämlich 1540 in Memel, 621 in Schmelz und 389 in Bommelsvitte. Demgemäß beträgt in diesen drei größeren Orten die Zunahme der socialdemokratischen Stimmen 686, mithin kaum mehr als ein Drittel der im Jahre 1898 abgegebenen Stimmen. Nun hat der socialbemokratische Bewerber überhaupt diesmal erhalten rund 5000 Stimmen, so daß er auf dem Platten Lande etwa 2450 Stimmen bekommen hat. Bei den vorigen Wahlen wurden in den Orten von weniger als 2000 Einwohnern nur 1089 socialistisch: Stimmen abgegeben. Mithin haben sich die Stimmen der Socialdcmokraten auf dem platten Lande ver doppelt, also in erheblicherer Weise zugenommen, als in den Städten. Der ohnehin nicht große Stimmenverlust der frei sinnigen Volkspartei entfällt der Hauptsache nach auf die Städte; auf dem platten Lande bürsten die Freisinnigen kaum über 100 Stimmen gegenüber den Wahlen von 1898, wo sie dort 1440 Stimmen bekamen, verloren haben. Demgemäß sind die ver einigten konservativen und Lithauer die einzigen Leidtragenden bei den großen Erfolgen der Socialdemokraten gerade in den ganz kleinen Ortschaften. Es wäre verfehlt, dieses Ergrbniß als zufällig zu betrachten, denn der Vorgang bei dieser Wahl entspricht vollkommen der Entwickelung, die sich überhaupt bei den allgemeinen Wahlen von 1898 in einer ganzen Reihe von Wahlkreisen der Provinz Ostpreußen gezeigt hat. Es wiesen damals die Socialdemokraten überraschenbc Stimmcnzunahmen auf in Königsberg-Land (33sH Procent), Rastenburg-Gerdaun (500 Procent), Tilsit-Niederung (120 Procent), Ragnit-Piltalle (1500 Procent). In anderen Wahlkreisen, wie Gumbinnen, Stallupönen, Oletzko-Lyck war die Zunahme procentual ebenfalls sehr hoch, wenn auch freilich absolut nicht sehr bedeutend. Dabei ist noch eins zu beobacbten: Die Provinz Ostpreußen galt be» kanntlick einst als die Wiege des fortgeschrittenen Radikalismus, und noch im Jahre 1881 waren 6 Mandate dieser Provinz in den Händen linksliberaler Abgeordneter. Später ist der Freisinn immer mehr aus dieser Provinz verdrängt worden, so daß gegenwärtig nur noch ein einziger Wahlkreis (Tilsit-Niederung) freisinnig vertreten ist, während die übrigen fast ausschließlich konservative oder freiconservative Vertreter haben. Was also in dieser Provinz von der Socialdemoiratie an Terrain gewonnen wird, geht den ostelbischen kon servativen verloren, die sich mit Rücksicht auf diese Ent wickelung eigentlich davor in Acht nehmen sollten, andere Par teien als „Vorfrucht der Socialdemokratie" zu bezeichnen, denn hier, in der agrarischsten aller Provinzen, geht die socialistische Saat auf konservativ gedüngtem Boden auf. Berlin, 23. Juli. (Die Kosten der deut schen Streiks) im Jahre 1900 verursachten nach der von den gewerkschaftlichen Centralverbänden ge führten Streikstatisti! einen Kostenaufwand von 2 936 030 Mark. 5 Streiks von Bäckern kosteten 9547 -^(, 1 von Barbiren 430, 25 von Bauarbeitern 77129, 8 von Berg- Feuilleton. ' - s - Äus deutschen Pfaden im Orient. Reisrbrirst von Paul Lindenberg. Nachdruck »rrd»1N»> XIII. Don Eskischehir nach Konia. — Erinnerungen alter Zeit. In Afiun-Karahissar. — Besuch von Akschehir. — Das Grab des türkischen Till Eulenspiegels. — Reste prächtiger Bauten. — In einer Teppichfabrik. — Billige Preise. — Nach Konia. Von Eskischehir nach Konia führt die Bahn durch uraltes Kulturland, und doch ist man hier, von den Halteplätzen und ihren wenigen europäischen Bewohnern abgesehen, fern von jeder Berührung Mit dem Abendland«. Weite, von Bergzügen be- arenzt« einsame Steppen wechseln mit üppig stehenden Weizen feldern, dann wieder leuchten die blauen Flächen von Seen auf mit zahllosem Wassergethier, am Ufer entdeckt man Schaaren von Pelikanen, in den dichten Gebüschen nisten zierliche Webervögel, schmale Fiußläufe winden sich von den Gebirgen her durch die Ebene und zum Theil noch gut erhaltenen römischen Brücken bauten deuten die einstige Heerstraße an, auf der auch die deut schen Kreuzfahrer unter Barbarossa gen Konia gezogen sind. Hirten von prächtigem Aussehen in faltigen Gewändern mit schweren, buntverzrerten Mänteln darüber, beaufsichtigen die Heerden kerniger Büffel, unterstützt darin von starken und kühnen Wolfshunden, di» mit wilden Sähen und Hellem Gekläff dem Zuge nachhasten, dessen mit Büffelfcingrrn versehene Lokomotive mehrfach geltende Pfiffe ertönen laßt, um diesen oder jenen kampfmuthigen Stier von den Gleisen zu vertreiben. Allmäylich schließen sich di« Gebirge enger zusammen, in ihren Ausläufern zur Ebene hin bemerken wir an verschiedenen Stellen dunkle Höhlenöffnungen, es sind die Grabkammern phry- aischer Könige, aber auch sonst fehlt's nicht an Merkzeichen ver schiedener Zeiten: manch' von Menschenhänden aufgeschichteter Hügel ragt läng» unseres EisenwegeS empor, dar Grab eine- Heerführers, eines Großen andeutend, und seltene Funde würden Dem wahrscheinlich beschieden sein, der hier der Erde ihre Ge heimnisse entlockt. Gewaltig, beherrschend tritt mehr und mehr eur linken Seite der Murad Dagh in die Erscheinung, glitzernder Schnee glänzt von seinen dunklen, zerrissenen, keck zu den Wolken hinaufstrebrnden FelShäuptern hernieder, Wölfe, Bären, Leo parden Hausen in seinen zerklüfteten SchluLtrn, Adler ziehen ihre Kreis« hoch oben unter dem blauen Himmelszelt, in dem frischen Frühlingsgrün der Niederungen liegen kleinere und größere Ort. schäften, malerisch sich häufig hmanziehend zu den Berg- vorsprünaen, so Kutahia, in dessen Nähe sich ein köstlicher, aus Hadrianifcher Zeit stammender Marmortempel des Zeus befindet, und Afiun-Karahissar, wo wir kurze Rast nahmen. Hier merkte man bereits, daß unsere Reise einen officiellen Anstrich bekam, war doch der Pascha von Konia von unserem Kommen benachrichtigt worden und hatte nach den einzelnen Plätzen Befehle erlassen, die Fremdlinge mit den „gebührenden Ehren" zu empfangen. Sechs Gendarmen auf scharrenden Rossen, die Karabiner auf die Schenkel gestützt, harrten unserer und sprengten unseren Gefährten voran, vorsintfluthlichen Rumpelkästen, bei denen man im Zweifel war, ob man sich nicht lieber legen statt setzen sollte. Mächtige spitze Basaltfelsen ragen unvermittelt vor der Stadt auf, die beschirmt wird von einem gleichen Kegel, auf welchem man in schwindelnder Höhe noch alte Festungswerke bemerkt, aus jener Zeit stammend, wo die Seld- schuken-Fürsten in Konia herrschten, etwa dem zwölften Jahrhundert. Die Stadt selbst, mit etwa 30 000 Einwohnern, dehnt sich weit aus, überall stößt man auf volkreiches, arbeitsames Leben, besonders in dem Bazar, in dessen holzüberdeckten Gängen eine Äerkstätte neben der anderen liegt und man den mühseligen Arbeiten der Silberschmiede zusehen kann, die kunstvolle Filigran« Schmucksachen, sowie silbereingelegte Tischchen, Spazierstöcke, Koranständer u. s. w. Herstellen. Sehr bedeutend ist die Ausfuhr von Weizen und Gerste, neben Opium, denn ausgedehnte Felder glühen blutigroth vom Mohn, dessen vergessenheitbringenden, schlummerspendenden Saft die vom Felsgestein abprallend» grell« Sonne kocht. Im Fluge gehtS weiter, bis das Dampfroß von Neuem seinen schnellen Lauf hemmt, seitlich des gewaltigen Sultan Dagh, von dessen kühnem Haupte gleichfalls junger Schnee herniedergrüßt. Wir sind in Akschehir anaelangt, der „weißen Stadt", und weiß leuchten am Fuße des Gebirges die Kuppeln und MinarehS ihrer Moscheen au» lauschigem Grün heraus. Auch hier wieder Gen darmen, die unS erwarten, und auch hier wieder furchtbar« Karräthen, in Lenen man schlimm herumgeschüttelt wird, aber bei den kleinasiat'schen Landstraßen trifft- besonders zu von dem: „Besser schlecht fahren, al» stolz laufen", zumal es die Maisonne sehr gut meint und es eine tüchtige Strecke von der Station bis zur Stadt hin ist. Unterwegs halten wir an einem von niedriger Mauer umzogenen türkischen Friedhöfe, den Eingang deuten zwei übereinander gelegte Felssteine an, auf die man hinauf- und dann über die Mauer hinwegturnt, so gut e» Jeder kann, zwischen den verfallenen Gräbern streben wir einem türkischen Hriliathume zu, do» sich dort in Form einer nach Moscheenstil erbauten kleinen Kapelle erhebt, die das Grab des türkischen Till Eulenspiegels, Nasr-eddin-Chodjas, umschließt, eines Ubermüthigen Ränke schmieds und Spaßmachers, der hier Anfang des vierzehnten Jahrhunderts starb, dessen oft sehr gewagte Schwänke aber noch heute Arm und Reich, Groß und Klein der osmanischen Welt er heitern. Innerhalb des Steinbaues sieht man unter einer schon recht zermürbten hölzernen Rotunde den massigen, zum Theil mit grünen Tüchern verhängten Granitsarkophag, an welchem zur Erquickung der müden Pilger Krüge mit Wasser stehen, während die frommen Beter den Sarg wie sein Holzgitter mit zahllosen, von ihren Kleidungen herrührenden Tuchfetzen um wunden haben: der biedere Eulenspiegel soll sie von ihren Ge brechen befreien, ihm, der ein so lustiges Dasein geführt, kanns ja im Tode nicht auf einige Tausend Krankheiten mehr oder weniger ankommen! Akschehir,,heute 20 000 Bewohner bergend, eine Stadt mit elenden Gassen und kleinen Häuschen, muß früher wohlhabend und mächtig gewesen sein, wobei man nicht erst auf die römisch griechische Zeit, von der noch manch' marmorne Zeugen erhalten sind, zurückzugehrn braucht. Doch unter den Seldschuken- Herrschern, deren ikonische Dynastie vom Ende des elften bis zum Beginn des vierzehnten Jahrhunderts regierte, muß sich die Stadt großer Blllthe erfreut haben, davon erzählen uns die Reste prächtiger Moscheen-, Schul- und Grabbauten mit leider wenig erhalten gebliebenen, schimmernden Fayencen und kunstvollen Stalaktiten-Verzierungen, gelegentlich mit Verwendung antiker Marmorsäulen und Reliefs, die am besten den Wechsel der Jahr hunderte überstanden haben. Der einzige Kunstzweig, der heute hier noch gepflegt' wird, ist die Herstellung von Teppichen, jenen farbenfreudigen Gebilden, die in unsere nordischen Wohnungen einen Abglanz bringen von der mannigfaltigen Pracht de» Orients. Nur darf man diese Pracht nicht dort suchen, wo jene Teppiche entstehen, wie wir uns in Akschehir überzeugen konnten: rin aus weißen Lrhmziegeln er bautes Haus mit nur einem Erdgeschoß und scheunenartigen Räumen darin, auf langen, schmalen Holzbänken sitzen je fünf Mädchen im Alter von sechs bis acht Jahren und stricken nach einem eingerahmten, vor ihnen Hangenden Musterblatt den Teppich, der oben und unten über Rollen geht und^sich daher leicht auf- und abwickeln läßt! Dreißig Pfennig pro Tag bekommen die emsigen kleinen Arbeiterinnen, die uns neugierig anstarren während die Händchen die von einem Gestell hermrderbaumelnden Wollknäuel hurtig abwickeln. Und das ist noch gar nicht schlecht bezahlt, die Leute hier, wie ja überhaupt im gejammten Osten, leben unendlich mäßig und bescheiden, wobei die Preise wirklich „fabelhaft" billig sind, wir unser« HauSfraum bestätigen werden: ein Huhn kostet 2 Piaster (der Piaster zu 17 H), ein Rebhun 1, ein Hase 3, zwei stattliche Fische 1, drei Pfund Rindfleisch 2, zwölf Eier 1, drei Pfund Hammelfleisch 2, drei Pfund Butter 8, und Gemüse für sechs Personen, auf eine Woche reichend, 8 Piaster. Was, meine liebe Leserin, da ließe sich mit dem ge wohnten Wirtschaftsgelde ein schöner Schmugroschen machen? Die Umgebung Akschehirs ist sehr fruchtbar; rauschende Bäche ergießen sich von den Bergen herab in die Ebene und durch fließen sogar die Stadt, richtige Wasserstraßen bildend, die zu beiden Seiten nur schmale Pfade mit entsetzlichem Pflaster für die Fußgänger lassen, während die Lenker der Wagen, die Reiter, die Heerden den feuchten Weg vorziehen und munter durch die Fluthen patschen. Hinter Akschehir führt die Bahn wieder durch endlose Ebenen, nur von Hirten mit ihren Heerden belebt, unberührt vom Pfluge, der hier für die Saat ergiebigsten Boden aufwerfen würde. Selten, daß man kleinere Dorfschaften erblickt mit niedrigen Lehmhäuschen, zum Theil umrahmt von sattem Grün, als Zeichen, daß es nicht an lebenspendendem Wasser fehlt. Aber auch heiße Quellen dringen an vielen Stellen hervor, wie .in Jlghün, dessen Thermen schon zur Zeit Justinian'S berühmt und vielbesucht waren. Denn nirgends fehlt» an Anklängen ans Alterthum, Gräber, Reste von Bädern und Tempeln, von Städten und Kastellen sieht man von der Bahn aus, die ja meist längs der einstigen Heer- und Karawanenstraße geht und sich aus der Tiefe hinaüfwindet zu einem 1300 Meter Uber dem Meere (etwa in der Brennerhöhe) liegenden Felsplateau, um von dort in die fruchtbare Ebene von Konia hinabzuleiten. „Meine Herren, wir sind bald in Konia", so mahnte unser liebenswürdiger, geheimräthlicher Reisechef. Wir verstanden den Wink, Jeder verfugte sich in seine Wagrnabtheilung, um, je nach den mitgenommenen Sachen, sich möglichst gut herauszustaffiren, sei's auch nur, um die Cravatte zu wechseln und die Handschuhe hervorzukramen; die dunkelblaue türkische Marschall-Uniform mit den goldenen Adjutantenschnllren legte unser militärischer, seinen die Leibesfülle nur knavv umschließenden schwarzen Bratenrock unser präsidentlicher Begleiter an, sich zugleich damit in „eine Würde, eine Höhe" hüllend, die das Mädchen au» der Fremde neidisch gemacht hätte, und die, wie bei Letzterer, jede Vertraulichkeit ausschloß, in erster Linie bei den französisch sprechenden Türken Wie sagt dar alte Berliner Lied: „So'n bischen Französisch ist doch ganz wunderschön", selbst kn Kleinasien, und zumal, wenn man EisenbahnprLfident istl
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