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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.07.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-07-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010727016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901072701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901072701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-07
- Tag1901-07-27
- Monat1901-07
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Sonnabend den 27. Juli 1901. Nnzeigerr-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Reda«io»»strich <4gespaltra) 75 vor deu Familieunach. richten (6 gespalten) SO H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen nr! Offetteaanuahme LL (excl. Porto). Extra-veilagen (gefalzt), nor mit der Morgeu-AuSgab«, ohne PostbrsSrderung 60.—, mit PostbesSrdenuig TO.—. Xunahmeschluß für Anzeige«: Abeud-LuSgabe: Vormittag» IO Uhr. Morgen-LuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bet deu Filialen und Annahmestellen ja etu» halbe Stund« früher. Anzeigen find stet» an die Expedition zu richten. Di« Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig, 95. Jahrgang. Die Nachfolge des Herrn v. Puttkamer. Q Die Meldung, Herr v. Köller, der Oberpräsideni von Schleswig-Holstein, sei als Staatssekretär für Elsaß- Lothringen in Aussicht genommen, kehrt in wohlunter richteten Preßorganen immer wieder und gewinnt an Glaub würdigkeit. Wir verzichten für heute auf die Erörterung des wunden Punctes, daß di« Ersetzung des langjährigen und hoch verdienten bisherigen Inhabers des Amtes, des körperlich und geistig noch vollkommen leistungsfähigen Herrn v. Puttkamer, überhaupt nöthig geworden ist, und wollen in dieser Hinsicht nur auf das Gewicht der Thatsache Hinweisen, daß em so loyales Blatt, wie di« „Augsburger Abendzeitung", di« Entlastung des von allen Parteien der Reichslande, mit Ausnahme der Social- demokrat-ie, als der rechte Mann am rechten Orte geschätzten Beamten und die Umstände seiner Entfernung „ein trauriges Zeichen der Zeit" nennt. Auch über die Nachfolgerschaft des Herrn v. Köller an sich, die anscheinend kaum mehr bezweifelt wird, soll zunächst kein Wort mehr verloren werden — gegen das sio volo, sie jubeo —, könnte höchstens Graf Bülow ankämpfen, und der befindet sich zur Zeit leider in Norderney. Aber die Art wie man officiös die Ernennung des früheren Ministers des Innern der deutschen Welt mundgerecht zu machen sucht, fordert um so mehr Widerspruch heraus, als sie eine geradezu beleidigende Unterschätzung 'ses öffentlichen Urtheils »nthält. Bei der Be rufung, so liest man, kämen politische Gesichtspunkte nicht -in Frag«, sie würde ihren Grund „offenbar in der Thatsache haben, daß Herr v. Köller aus alter Praxis ein guter Kenner der Reichs lande ist und in seinem gegenwärtigen Wirkungs kreise bewiesen hat, daß eran Stätten natio naler Kämpfe «ine sichere und erfolgreiche Hand besitzt". Auf diesem letzterem Grund wird — und zwar in verschiedenen Regierungsorganen — der Schwerpunkt gelegt, und gerade er ist nicht stichhaltig. Herr v. Köller, das erleidet keinen Zweifel, hat sich in Schleswig-Holstein außerordent lich bewährt. Er wußte und weiß der „südjütischcn" Losreißungs- agitation gegenüber Energie zu zeigen, ohne sich in kleinliche Chikanen zu verlieren. Seine Erfolge sind denn auch erstaunlich. Nicht nur die Deutschen sind von seiner Wirksamkeit be friedigt, auch derjenige Theil des dänischen Elements, der zwar nicht im Deutschthum aufgehen will, aber den bestehenden staats rechtlichen Zustand für unabänderlich ansieht, hat sich die Maß nahmen des Herrn v. Köller gern« gefallen lassen; sie verschafften ihm Ruhe vor bis dahin unermüdlichen Terroristen. Allein — Straßburg ist nicht Schleswig, und die Erbherzogthümer sind nicht Elsaß - Lothringen. Herr von Köller hat schon als Unterstaatssekretär in Straß burg gewirkt, aber unter einem Statthalter wie Fürst Chlodwig Hohenlohe, der als süddeutscher Aristokrat, als gläubiger und liberaler Katholik und, was nicht das Letzte ist, als überaus feiner und bedächtiger Politiker für dies Amt wie geschaffen war. Der unmittelbare Vorgesetzte ist der für seinen Posten nicht minder geeignete, nunmehr ausgeschieden« Herr v. Puttkamer gewesen. Herr v. Köller hat demnach unter günstigen Bedingungen und unter entsprechenden Druckwirkungen auf seine Individualität in Straßburg functivnirt. Trotzdem sehen wir, daß reichsländische Zeitungen und Correspondenien, die ihn freundlich begrüßen und auch Gründe haben, mit jedem künftigen Staatssekretär gute Beziehungen zu pflegen, nicht mit der Feststellung zurückhalten, Herr v. Köller sei m Eksaß- Lothrrngen unbeliebt gewesen. Ein Niedersachse vom Scheitel bis zur Sohle, vermochte er sich eben in das südwestdeutsche Wesen nicht so zu finden, wie in das ihm veriwandte schleswig-hol steinische. Zwar hat Herr v. Köller, ohne Zweifel ein liebens würdiger, verständiger, allem unnöthigen Rureaukrcrtismus ab holder Herr, in dem ursüddeutschen Frankfurt sich geradezu populär zu machen verstanden, aber zwischen einem städtischen Polizeipräsidium und dem höchsten eigentlichen Beamtenposten in Elsaß-Lothringoi ist ein Unterschied. Zudem war Frankfurt durch die Ereignisse von 1870/71 eine pacisicirte preußische Stadt geworden und Elsaß-Lothringen ist noch lange kein durchweg pacificirtes deutsches Land. Der Grund, weshalb es dies noch nicht ist, ist zugleich der Grund, der es beinihe zu ungeheuerlich erscheinen läßt, die Eignung eines Beamten für die Regikrüng der Reichslande aus seinem, in Schleswig-Holstein gezeigten Geschick herzuleiten. In Nordschleswig konnte Herr v.Köller Erfolge erzielen, weil er dort nicht auf den gefährlichsten, zähesten, einflußreichsten und gewandtesten Feind der Befestigung des deutschen Staats gedankens durch Gewinnung widerstrebender Elemente stieß: den Ultramontanismus. In Elsaß-Lothringen ist diese Rich tung mächtiger als anderswo im Reiche, und wer Herrn v. Köller's Art und Verhalten zu beobachten Gelegenheit gehabt hat, muß zu der Ueberzeugung g«langt sein, daß gerade diese schlichte und zugreifende Persönlichkeit nicht die Eigenschaften besitzt, die nöthig sind, wenn man klerikaler Schlangenklugheit gegenüber wenigstens einigermaßen bestehen will. So weit sind wir noch nicht, daß ein Minister in den Reichslanden diesen „Gewalten zum Trotz sich erhalten" könnte, und würde man Herrn v. Köller eine solche Absicht zutrauen, so wäre er sicher nicht als Nachfolger des Herrn v. Puttkamer in Aussicht genommen worden. Es kommt ein weiterer Unterschied hinzu: Schleswig-Holstein ist zu seinem und des dortigen Deutschthums Glück ein „uninteressantes" Land, um das man sich in Berlin nicht mehr kümmert als Pflicht und administratives Herkommen verlangen. Für Elsaß-Lothringen hingegen, daS ja allerdings auch verfassungsmäßig ganz anders steht, beweist man in Berlin seit Jahren ein Interesse, das der Befestigung deS herrschenden Zustandes in dem erst vor einer verhältnißmäßig kurzen Spanne Zeit zurückgenommenen Lande mehr als einmal abträglich gewesen ist. Wird doch nirgends, am allerwenigsten in Elsaß-Lothringen, bezweifelt, daß die plötzliche Entlassung des Herrn v. Puttkamer ausschließlich von Berlin ausgegangen ist. Das ist nun unabänderliche Thatsache. Was aber die Nachfolge anlangt, so ist für den Fall der Ernennung des Herrn v. Köller zweierlei gewiß: Herr v. Puttkamer findet keinen vollen Ersatz und Schleswig-Holstein verliert einen Regierungschef, der für diese Provinz unersetzlich ist. Eine Zeitung hat der Dermuthung Raum gelassen, die Meldung von der bevorstehenden Ernennung des Oberpräsidenten in Schleswig könne dem Wunsche entspringen, „Herrn v. Köller seinem jetzigen segensreichen Wirken entzogen zu sehen." Durchaus nicht un möglich, da die Größen der „Versöhnungs"-Aera, auch die laue Polenpolitik legt dafür Zeugnih ab, noch immer Einfluß besitzen. Aber fo gut wie jene Meldung könnte auch eine thatsächliche Er nennung des Herrn v. Köller auf diese Einflüsse zurück zuführen sein. Im Anschluß an vorstehende Betrachtung möchten wir noch eine kleine Uebersicht über Preßstimmen zur Ent lastung de» Staatssekretärs von Elsaß-Lothringen und über damit im Zusammenhang siebende Ereignisse geben. Die „Berl. N. Nachr." weisen auf eine Neide von Widersprüchen hin, die in den bisherigen Berichten über den Rücktritt des Staatssekretärs von Puttkamer hervorgetreten sind: „Bisher ist in diesen Erörterungen die folgende Thatsache über sehen worden: Am 25. Juni Abends berichtete die „Nordd. Allgem. Zeitung": „Der Reichskanzler Graf v. Bülow empfing heute Morgen den Statthalter in Elsaß-Lothringen, Fürsten zu Hohen- lohe-Langenburg, und begab sich Mittags zum Vortrag bei Se. Majestät dem Kaiser nach Kiel." Dieser Empfang hat mithin drei Wochen vor dem Abschiedsgesuch des Staatssekretärs v. Puttkamer stattgefuuden, und wenngleich die Metzer Bischofssrage und andere Dinge dem Reichskanzler und dem Statthalter hinlänglichen Stoff zum Gedankenaustausch boten, so liegt doch die Vermuthung nahe, daß in dieser Unterredung auch die Stellung des Staatssekretärs berührt worden sei. Ob der Statthalter dann nach Straßburg zurückgekebrt ist oder sich auf seine Güter nach Württem berg begeben hat, wo er gegenwärtig noch weilt, vermögen wir nicht sestzustellen, ist auch zur Sache gleichgiltig. Süd deutsche Blätter haben in den letzten Tagen berichtet, Herr v. Puttkamer sei in der vorigen Woche nü auäienäum verbum nach Berlin citirt worden. Man darf fragen: Zu wem? Weder der Kaiser noch der Reichskanzler ist in Berlin anwesend, es hätte sich also nur um den Vertreter des Reichskanzlers, den Grafen Poja- dowsky, handeln können. Ohne die officiös« Mittheilung des Wolff'schen Bureaus von der Rückkehr deS Staatssekretärs v. Putt kamer nach Straßburg würde dessen Anwesenheit in Berlin von der Presse gar nicht bemerkt worden sein. Herr v. Puttkamer liebte cS nicht, seincPerson in dcnVordergrnndzu stellen, nndhatteeSniegern, wenn von ihm besonderes Ausheben gemacht wurde. Ueberdics mar jene Meldung unrichtig, denn die Wiener Blätter stellten gleichzeitig seine Anwesenheit im dortigen Hotel Imperial fest. Ob auch die Stellung deS Statthalters selbst in Frage kommt, muß abgewartet werden. In der Presse finden sich Andeutungen, daß Graf Waldersee — was Manches für sich hätte — zum Statthalter auserfehen sei; andere Blätter nennen den Fürsten Eulenburg, was uns weniger glaubhaft dünkt. Doch haben an sich glaubwürdige Persönlichkeiten schon im Winter versichert, die einen, daß dem Jeldmarschall, die anderen, daß dem Botschastrr Fürsten Eulenburg die Statthalter- stelle zugesagt sei. Als Beitrag zu Lieser TageSirage sei bei dieser Gelegenheit auch das registrirt. Frühere Gerüchte, die von einer Statthalterschaft des Prinzen zu Schaumburg-Lippe, des ehe- maligen Regenten von Detmold, sprechen, sind noch nicht wieder aufgetaucht. Bisher hat übrigen» amtlich von der reichsländischen Ministerkrisis nicht daS Mindeste verlautet. Man glaubt daher da und dort, daß das letzte Wort in dieser An gelegenheit noch nicht gesprochen ist und die entgiltige Entscheidung erst nach der Rückkunft deS Kaisers von der NordlandSreise erfolgen werde. In der Zwischenzeit sollen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um die maßgebenden Kreise umzustimmen. Zn der „Straßb. Ztg." wurde der Vorschlag gemacht, der Statthalter möge die „aller höchste Stelle" über die thatsächliche Stimmung im Lande anfklären, um Elsaß-Lothringen vor einer Periode der Verwirrungen und Verstimmungen zu bewahren. Dieser Vorschlag hat kaum irgendwelche Aussicht auf Verwirklichung. Der Statthalter Fürst Hohenlohe-Langenburg dürste wenig Neigung verspüren, sich an maßgebender Stelle einen Korb zu holen. Zn mehreren Straßburger Zeitungen wurde gleich zeitig angeregt, die elsaß-lothringischen Reichstags- und LandeSausschuß-Abgeordneten möchten eine Abordnung nach Berlin entsenden, um beim Reichskanzler gegen die Absicht der Ernennung deö Herrn von Köller zum reichs ländischen Staatssekretär vorstellig zu werden. Ob dieser Anregung Folge gegeben wird, steht dahin; nach der „Tagl. Ndsch." ist die Absicht schon wieder fallen gelassen worden. Zn den Kreisen der elsaß-lothringischen Reichstags abgeordneten finden Versammlungen statt, um ein gemeinsames Vorgehen in der Köller-Frage in die Wege zu leiten. Beabsichtigt ist u. A., auf nächsten Sonnabend eine Versammlung sämmtlicher elsaß-lothringischen Reichstags abgeordneten nach Straßburg einzuberufcn, auf der gegen die beabsichtigte Ernennung des Oberpräsieenten v. Köller zum reichsländischen Staatssekretär Stellung genommen werden soll. Ferner verzeichnet daS „Journal de Colmar", das Organ des Reichstags- und Landesausschuß-Abgeordneten Wetterle, daS Gerücht, daß außer Herrn v. Puttkamer noch mehrere andere höhere reichsländische Beamte beabsichtigen, ihre Demission zu geben. Der Krieg in Südafrika. Die Beileidstelegramme. Eine Brüsseler Depesche des „Standard" sagt, es sei eine Thatsache, daß der Kaiser von Rußland und der Präsident der französischen Republik dem Präsidenten Krüger anläßlich des Todes seiner Frau ihr Beileid ausgesprochen hätten. Es werde das in Boerenkreisen als ein Beweis betrachtet, daß die von Lord Roberts verkündigte Annexion beider Boerenstaaten von den Großmächten nicht anerkannt worden sei und daß die europäischen Regierungen fortführen, Krüger als das Haupt des Transvaal staates zu betrachten. Aber das ist doch selbstverständlich, da die Annexion den Mächten noch gar nicht notificirt ist. Wie eilig es Fama hat, kann man daraus ersehen, daß aus dem Beileidstelegramm Bülow's sofort auf eine — freundschaftliche Intervention ge schlossen wird. * Haag, 26. Juli. (Telegramm.) Präsident Krüger ist nach Scheveningen abgereist, wo er bei Wolmarans ab steigt und eine Woche zu bleiben gedenkt. Feuilleton. Hinter Gefangnißmauern. Nachdruck verbotra. II. Oeffn«t der Gefängnißgeistliche zum ersten Besuch di« Zelle, so tritt ihm, der Hausordnung entsprechend, unter Nennung seines Namens der Insasse in unbeweglicher Haltung entgegen. Der Geistliche, der den Sträfling in das Innere des Gemachs zurücktreten läßt und ihm folgt, wird mit sch«uem oder fragendem Blick empfangen, da Jener alsbald merkt, daß es sich doch um einen Besuch anderer Art handelt, als wenn sonst die Zellenthür sich öffnet, und in knappem, dienstlichem Tone das Aufsichts personal seine Anweisungen giebt. Der Geistliche nennt seinen Stand und beginnt, immer darauf achtend, daß der Gefangene ein« ruhige und gefitzte Körperhaltung einnimmt, das Gespräch. Mitunter kommen da auch drollige Scenen, vor. So, um nur Einiges zu erwähnen, wenn beim Eintritt deS Geistlichen der Gefangene, anstatt vorschriftsmäßig blos kurz seinen Namen zu nennen, ihn mit der gesellschaftlichen Vorstellungsphrase be grüßt: „Mein Name ist N. N.", oder, nachdem der Geist liche seinen Stand und den Zweck seines Kommens genannt, in die weitere banale Phrase ausbricht: „Sehr angenehm", oder dann wohl gar im Besuchstone dem Geistlichen den Idreibeinigen Zellenschemel zum Niedersetzen anbietet und Aehckliches mehr. Der Geistlich« wird gut daran thun, bei derartigen ^uick pro «zuo, natürlich nicht in verletzender Weife, es dem Gefangenen merken zu lassen, daß eS sich innerchakb der Gefängnißmauern nicht um gesellschaftliche Besuche «handelt, sondern ein« wesent lich andere Stellung von Person zu Person Platz gegriffen hat. Eine bunte Reihe der verschiedenartigsten Gefühlsäußerungen zieht da an ldem Gefängnißsaelsorger vorüber. Auf der «inen Seite der große Procentsatz der gewöhnlich'» mit großer Zungen- firtigkeit ihre Schuld Leugnenden: die also entweder mit theatra lischer Erbitterung gegen ihr widrige» Geschick und gegen di« falschen Zeugen toben, di« sie in'» Unglück gestürzt und wohl gar den Geistlichen mit vorwurfsvollen Blicken und Worten nicht verschonen, wenn er nicht alsbald die mit Füßen getretene Un schuld bedauern und tröstend wieder aufrichten will, oder aber die Anderen, di« den entgegengesetzten Weg des schmerzlich ent sagenden Duldens im Gefühl der eigenen Unschuld und ihrer Ver kenming durch böse, übelwollende Menschen, unter der sehr häufigen Beifügung einschlagen: „Bloß durch mein Gutheit bin ich hineingekommen." Nach beiden Seiten hin gilt für den G«fängnißgcistlichen natürlich di« Mahnung: Laß Tnch nicht verblüffen und pari« mit ernster Ruhe und Bestimmtheit all« auf Deine Leichtgläubigkeit und pastorale Gutmüthigkeit ge richteten Angriffe, Auf der anderen Seite stehen dann alle Uebrigen, welche den Thatbestand ihres Vergehens nicht in Abrede stellen. Man darf aber nicht glauben, daß diese geringere Mühe verursachten, denn unter diesen befinden sich ja auch alle jene abgestumpften, rohen und gleichmllthig-frechcn Gemüther, die ihr Vergehen nicht mehr als Versündigung fühlen, sondern mehr oder weniger als ihr gutes Recht zur Befriedigung der persönlichen Lust und des eigenen Vortheils oder im Kampfe gegen die umgebende über mächtige Welt. Verhältnißmäßig selten werden dagegen die Fälle sein, daß dem Geistlichen bei seinen ersten Besuchen sofort eine gemachte salbungsvolle Selbstanklage und ein gutgespieltes Jammern um die Gnade Gottes entgegentritt, daß also die Heuchelei sich in den Bußmantel hüllt, natürlich um damit das Wohlwollen des Herrn Pfarrers behufs späterer geneigter Befürwortung des unvermeidlichen Gnadengesuches und dergleichen zu erzielen. Daß es auch an den Fällen nicht fehlt, in denen der Besuch und die Zusprach« des Geistlichen innerlich ungern gesehen, ja, dies ihm ab und zu deutlich zu verstehen gegeben wird, läßt sich bei den mancherlei Geistern, mit denen er es zu thun bekommt, wohl begreifen; jedoch wird direkte oder gar feindselige Ab weisung der dargebotenen seelsorgerischen Zusprache zu den größten Seltenheiten gehören, weil selbst da, wo etwa Glaubens haß und völlige Abwendung von der Kirche vorliegen, es doch bei der Eintönigkeit der Jsolirzelle, des ersten Aufenthaltsortes der Gefangenen, in der Regel als eine wirkliche Wohlthat em pfunden wird, einem Dritten gegenüber sich einmal auszusprechen. Im Gegentheil hat Stade die Erfahrung gemacht, daß nicht selten der Socialdemokratie angehörige und sonstige antikirchliche Personen mit einer sichtlichen Freude die Gelegenheit ergreifen, um einmal mit dem Geistlichen in ein tiefergehendes Gespräch sich zu versenken. Wa» die verschiedene Stellung der beiden Geschlechter zum ersten seelsorgerischen Besuche de» Geistlichen anlangt, so kommen auch hier die psychologischen Geschlechtsunterschiede zu einer ge wissen Geltung. Das lebhaftere Empfindungslebrn des WeibeS kommt in einer rascher erfolgenden Emotion und — wohl häufig genug — in reichlichen Thränenströmen zum Ausdruck. Das Ge fühl der augenblicklichen Verlassenheit und Hilflosigkeit, sowie das sehnsüchtige Gedenken an die Heimath macht sich lebhafter geltend, als beim Manne, der in der Regel seine Fassung Keffer bewahrt. Nur zu oft aber macht die Weiche, reuige Stimmung der ersten Stunden, und zwar selbst bei solchen, an deren an fänglicher innerer Ergriffenheit nicht zu zweifeln war, späterhin wieder recht oberflächlichen, leichtsinnigen Empfindungen Platz. Andererseits, wenn ein Weib sich auf verstockte» Leugnen seiner Schuld oder sonstige falsche Darstellungen verlegt, kann man auch nur zu oft in einen solchen Abgrund frechster und ver schlagenster Lüge schauen, daß einem schaudern möchte. So ist denn die Stellung de» Geistlichen einem verstockten und mit un glaublicher Gewandtheit sich lügnerisch vertheidigendem Weibe gegenüber sicherlich noch schwieriger al» im Angesichte de» auf AuLflüchte sinnenden Manne», Die rege weibliche Phantasie bringt jeden Augenblick neue Truggebilde und neue Entschuldi gungsmomente zum Vorschein, bis es nöthig wird, auch einmal mit einem energischen Worte diesem Lügenstrome Halt zu gebieten. Stade theilt ein drastisches Beispiel weiblicher Verstellungs kunst mit, und zwar betrifft der Fall ein dreizehnjähriges Mädchen, das hinter Schloß und Riegel gekommen war, weil es verschiedene schwere Brandstiftungen auf dem Gewissen hatte. Es beiheuerte stets seine Unschuld und blieb bei der Behauptung, seine Mutter hätte es dazu angestiftet. Es war, erzählt Stade, ein kleines Mädchen vom Lande, mit dickem, braunem Lockenhaar und einem Paar prächtigen Augen, die so unschuldsvoll und mit solch kindlicher Reinheit schmerzlich um sich schauten, als liege stets die Frage drin: Ach, wie konntet Ihr mich an diesen Ort des Jammers schicken. Dazu besaß das Kind eine Stimme mit einem solchen unschuldsvollen Schmelz, einer solchen melodischen Weichheit, daß das kleine Wesen unwill kürlich Jedermann günstig stimmen mußte. Zu alledem war noch sein Betragen von tadelloser Musterhaftigkeit, keine Klage wurde über dasselbe laut, im Unterricht saß es so bescheiden, so still und dabei mit solcher lebendiger Antheilnahme an seinem Platz, gab es seine Antworten stets mit solchem, den Gedanken gängen des Lehrers nachgehendrm Verständniß, daß es den übrigen Schülen wiederholt als ein Muster und Vorbild hin gestellt werden konnte. Die Aussage des Kindes hatte die Mutter auf Jahre ins Zuchthaus gebracht, aber bei seiner un erschütterlichen Unschuldsbetheuerung und dem musterhaften Benehmen des kleinen „Engels" mußte man auf den Gedanken kommen, daß die Hauptschuld auf Seite der Mutter lag, und daß das Opfer der Sünde seiner Mutter das Gefängnih betreten hatte. Da mit einem Male wird in der Mädchenabtheilung eine Correspondenz entdeckt, und zwar ist der Inhalt derselben ein so gemeiner, daß die Gefängnißbeamten, denen doch in dieser Be ziehung schon Manches unter die Hände kommt, über die Ver worfenheit der zotigen Ergüsse verblüfft die Köpfe schütteln, umsomehr al» in dem Schriftstücke verschiedenen Gefängniß- beamten die nichtswürdigsten Schcindlichkeiten und Gemeinheiten nachgesagt werden. Man hielt sich überzeugt, daß nur in einem der am tiefsten in Gemeinheit und Unsittlichkeit versunkenen Mädchen die Briefschreiberin zu vermuthen sei und der Verdacht lenkte sich auf «ine bestimmte lüderliche Dirne. Bewiesen konnte ihr freilich nichts werden, da auch Schriftvergleiche keine Resul tate ergaben. Da erweckt ein in dem Brief enthaltener Provinzialismus den Gedanken an die Heimath des kleinen braunlockigen Muster kinde», an da» natürlich Niemand diesem Unflath von aus gesuchten Zoten gegenüber auch nur im Entferntesten gedacht hatte. Und wirklich, die vorgenommene Schriftprobe, die bis auf das kleinste Häkchen und die orthographischen Fehler das ge naueste Gegenstück des oorpus civlioti war, ergiebt seine Ur heberschaft auf das Zweifelloseste. Nach geschicktem Leugnen mußte die Sünderin sich zu einem Geständniß bequemen. So war der kleine „Engel" entlarvt als eine vollendete Schauspielerin, als eine Virtuosin der Verstellung und der Heuchelei, als tief ge sunken und verdorben. Aber während man im Gefängniß hinsichtlich des Charakters der gefangenen Weiber oft recht unliebsame Erfahrungen macht und in ihm manche ungeahnte finstere Tiefe entdecken muß, die in ihrer Ausprägung selbst bei dem verbrecherischen Manne nicht Vorkommen, sprechen die Einblicke, die man vom Gefängniß aus in das Frauenherz d r a u ß e n, in der Heimath der Gefangenen zu thun Gelegenheit findet, entschieden für das Weib. Man lernt diese eigenartige Seite des Weibes in den Briefen kennen, welche die Gattin und die Mutter an die Ihrigen im Gefängniß richtet, und in diesen offenbart sich nun, Ausnahmen natürlich abgerechnet, eine solche Fülle vergebender nachsichtiger Liebe, einer Liebe, die wahrhaft Alles trägt, duldet und hofft, daß man nur mit bewundernder Hochachtung zu ihr empor schauen kann. Und was bei solcher Liebe noch am meisten Be achtung verdient: sie war nicht etwa von Haus aus aus menschlicher, bezw. weiblicher Schwäche und Nachsicht geboren, sondern sie hat zuerst im natürlich bitteren Gefühle der er fahrenen Schmach und Kränkung gezürnt, ja wohl gar aufs Tiefste gegrollt, aber sie hat diesen Zorn und Groll überwunden in der Macht eben jener Selbstverleugnung, Selbsthingabe und Selbstaufopferung, die der innerste Kern aller wahren Liebe ist. Stade führt für viele Andere ein Beispiel an. Ein blut junges schönes Bauernmädchen wird das Opfer der Verführung und des Weitern zur Kindesmörderin. Der Jammer des ehr baren Elternhauses über die doppelt große Schande ist namenlos. Der erste Brief, den die Mutter an die ins Gefängniß ein gelieferte Tochter richtet, bestand aus ein paar in ihrer Kürze und Kälte unsagbar ergreifend wirkenden Zeilen mit der Unter schrift: „Deine gewesene Mutter." Jedoch die Zeit verstreicht. Immer inniger und reuiger dringen die Bitten der Tochter zu dem zürnenden Mutterherzcn und immer mehr gewinnt in diesem die verzeihende Liebe zu dem unglücklichen Kinde die Oberhand. Und als endlich nach Jahr und Tag die Stunde der Heimkehr herannaht, da zieht durch den letzten Brief, den die Tochter vor ihrer Entlassung erhält, wie mit göttlicher All gewalt in vollen Jubeltönen hoffender seliger Freude und Er wartung das hohe Lied der Liebe, und die Unterschrift lautet diesmal: — Deine Dich liebende Mutter. Und zur verzeihenden Mutterliebe gesellt sich die der Gattin. Zuerst wohl auch das Zürnen und die weinende Klage des Frauenherzens, daß der Gatte das Glück seines Hauses so leichtfertig aufs Spiel setzen und das dem Weibe in heiliger Stunde gegebene Versprechen, „eS nicht zu verlassen, bis der Tod sie scheide", so schnöde in den Wind schlagen konnte, dann aber bricht durch all' diese Trennungswolken' siegreich wieder die verzeihende Liebe hindurch, die Liebe zum Gatten der Jugend und zum Vater der Kinder, um mit dem sehnsuchtsvollen Rufe zu schließen: „Komm bald wieder zu uns zurück; es soll Alle» vergeben sein." «
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