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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.07.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-07-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010730013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901073001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901073001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-07
- Tag1901-07-30
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Li« Moe-«»U»»-«r« «rsch«t»t » ÜBtz tzst Nb«»»U»st-ab« Wocheuts-st WM H sz»^ Re-artti« »«L LrpedUtztzr -»ßOMttVtff« >» FlUaleur Tkfteh S«V» von» v. K!«n»H Eorib». UvkerMtSpnch« 3 (PaulvumX Louis Lösche, Molharknlftr. 14» purt. «L Lst»t-stpl«tz 7. 383. Morgen-Ausgabe. MpMkrTaMatt Anzeiger. ÄmLsvlM des LSnigkche« Land- und Äintsgerichtes Leipzig, des NaLhes u«d Voüzei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Dienstag den 30. Juli 1901. Anzekgerr-Pret- die 6 gespaltene Pctitzeilo SS Neel»»o» «Lttk de« »<daM0u»flNq (»-«spaln») 73 d« tz«»Mauun> richt« («-«spalte») SO H. Lab«ll«tscher >wd Ziffrrusatz «tkprech«d HSHn. — GebÜvr« für Nachweisung« «ed Offwliuanuaym« SS H («xct» Porto). Trtra-Beilagen (gefalzt), nur mit de, Morgen-AuSgab«, oyn« -ostbesürdenm- VS.—, mit PopbesSrdenutg 70^-. AoaahMschluß ftr Aiyrtgru: Ab«»d-A»st-ab4: Vormittags 13 Ühr. M»rg«»-A»st-ab«: Nachmittags 4 Uhr. Bst d« Filiale» «d Amiahmest«ll« 1« «du halb« Gt«da früher. Nazet-«» fis» stets « di« Expedition »» richt«. Dis Erpedttio» ist Wochentags »umürrbrochea geöffnet oo» früh 3 bis Meads 7 Uhr. Druck »ad Verla- do» E> Pol- in Leip-itz» 95. Jahrgang, Vie Polen in Rheinland nnd Westfalen. In welchem Umfange sich die Polen im Osten unseres Vater« landest austbreiten und eine ursprünglich rein deutsche Stadt nach der anderen, einen bürgerlichen Beruf nach dem anderen in Besitz nehmen und für ihre nationalen Zwecke dienstbar machen, ist zur Genüge bekannt. Weniger dürfte rst in da- all gemeine Bewußtsein übergegangen sein, daß die Polen nicht nur Pommern, Brandenburg und Sachsen mit ihren Arbeiter* schaaren überschwemmen und bei dem jährlichen Zurückebben der „Sachsengänger"-Fluth immer reichliche Reste von ständig gewordenen Polen zurücklaflen, sondern daß in den zwei preu- zischen Westprovinzen ganze polnische Arbeitercolonien enl- ianden sind, die in einzelnen Kreisen und Revieren der großen rheinisch-westfälischen Steinkohlenbezirke bereitst 57—58 Proe. der ansässigen Bevölkerung austMachen. Ist est doch schon so weit gekommen, daß die Polen in den genannten Bezirken einen eigenen Reichsttagstcandidaten aufftellen konnten. ES liegt auf der Hand, daß mit dieser Ueberfluthung der Steinkohlenbezirke durch Polen politische, nationale, sociale und religiöse Gefahren erwachsen, welche wobl die allgemeine Aufmerksamkeit erregen sollten. Der Gau „Ruhr und Lippe" dest Alldeutschen Ver bandest hat im Verlage von I. F. Lehmann in München «in überaus lehrreiche- Buch erscheinen lassen, welche» diese ganze Polenfrage mit ihrem Einfluß auf das rheinisch-westfälische Industriegebiet eingehend erörtert. Danach ist di« Zahl der- jenigrn Polen, welchen der Bergbau Rheinland-Westfalens un mittelbar Unterhalt gewährt, gegenwärtig 242 800; rechnet man dazu di« noch in anderem Industrien beschäftigten Arbeiter aust den östlichen Grenzprovinzen, so gelangt man zu der erstaunlich hohen Ziffer von mindestens 254940 Köpfen! Diese Viertel million Polen ist größtentheilst vortrefflich organisirl; die zahl losen Vereine haben ihre Satzungen, Sitzungen, Festlichkeiten, Unterstützungstcassen, Bibliotheken, Agitationstcomitßst u. s. w. Ein großer Verband hält sie mit dem Polenthum dest Ostenst in dauernder Verbindung, und polnisch-nationale Wühlarbeit wie die Hilfsleistung der römisch-katholischen Geistlichkeit setzt Alles daran, dre Polen auch im Westen gesellig und wirthschaftlich von den Deutschen zu trennen und die allmähliche Eindeutschung der Eingewanderten zu verhindern. Dennoch giebt der Gau „Ruhr und Lippe" auf Grund der sorgfältig angestellten Erwägungen sein Gutachten dahin ab, daß sich die Eindeutschung der Polen im Jndustriebezirk« vollziehen, und zwar mit aller Wahrscheinlichkeit wesentlich rascher vollziehen könnte, als im Osten. Nur müßten dabei Maßregeln ergriffen und streng beobachtet werden, welch« Auswüchse und unliebsam« Nebenerscheinungen dieser Poleneinwanderung beseitigen. Elf Puncte werden dabei genannt, von denen wir die bedeutsamsten hier hervorheben. Vor allen Dingen ist eine gute Aufnahme der deutsch-freundlichen Elemente auS den preußischen Ma suren- und schlesischen Polenstämmen in deutsche Kreis«, sowie in Verein« deutscher Gesinnung (z. B. Turn- und Kriegervrrein«) nach Kräften zu unterstützen. Dem vorhandenen Bestreben mancher Polen auf Verdeutschung ihrer Namen ist auf das Weitestgehende entgegenzukommen; z. B. Uebersetzung des polnischen Namen- in den entsprechenden deutschen, wie „Piekarz" in „Bäcker" Umwandlung einer polnischen Namensendung in «ine deutsch«, wie „Kowalski" in „Kowaler", oder Beides zu sammen, wie „LwowSki" in „Lemberger". Kostenlos müßte dies« Verdeutschung durch bloße Anmeldung beim Amtsgericht zu be wirken sein. Behörden und Arbeitgeber sollten nach Kräften auf Benutzung diese» erleichterten Rechte» hinwirken. Di« Einwande rung darf nur reichSdeutschen Polen gestattet werden. Die polnische Presse im Jndustriebezirk ist streng zu beaufsichtigen, in allen polnischen Blättern neben dem polnischen Text die deutsche Uebersetzung zu fordern. Alle Versamm lungen müssen in der Landessprache abgehalten »werden; eventuell ist die entgegenstehende Rechtspraxis dest Oberverwal tungsgericht«» durch «in Gesetz abzuändern. Die polnischen Vereine bedürfen genauer Beaufsichtigung; Aufzüge in pol nischer Tracht, Demonstrationen, z. B. polnische Schilder aller Art, sind zu verbieten. Fremdsprachige Arbeiter, die dest Deutschen nicht mächtig sind, dürfen nicht zu ge fährlicher Arbeit und an gefährlichen Punkten, solche, die gar kein Deutsch derstehen, überhaupt nicht im Bergbau beschäftigt werden. Wenn Fremdsprachige vor Gericht u. s. w. di« Kenntmß der deutschen Spracht ableugnen, sind sie sofort bei der Aufsichts behörde anzuzeigen. Unter keinen Umständen darf die polnische Sprache in Schulen, Fortbildungsschulen, Confirmandrn- stunden u. s. w. zugelassen werden. Endlich ist vom nationalen Standpunkte die polnische Seelsorge im Industrie bezirk durchaus zu beanstanden. ES ist daher grundsätzlich seitens der Kirchenbrhörden den immer gesteigerten Ansprüchen der Polen nicht weiter stattzugeben, vielmehr die polnische Seelsorge ein zuschränken und mit der Zeit ganz zu Unterlasten. Möchte es gelingen, auf diesem Wege mit eiserner Energie daS fremdartige Element der deutschen Nation einzugliedern und vaterländischen Interessen dienstbar zu machen! Vie Wirren in China. Ueber den blutigen Zusammenstoß zwischen «-lisch« und frauzSstschcn Soldaten bei Tientsin zu Anfang Juni liegt nunmehr die Correspondenz vor, die diesechalb zwischen den Generalen Boyron und Champ- bellS ausgetauscht wurde. Der englische General suchte di« Ver antwortung ganz auf die Franzosen abzuwälzen und führte aus: „Ich habe die Ehre, Sie in Kenntmß zu s«tz«n, daß in der vergangenen Nacht ein ernsthafter Angriff gegen die dienst- thuenden englischen Polizeisoldaten in den Grenzen der englischen Concession von einer großen Zahl französischer Soldaten unter nommen wurde, die mit Säbeln, Bajonetten und Ziegelsteinen gegen sie anstllrmten. Die Polizei, die an Zahl weit unterlegen war, war gezwungen, sich zurllckzuziehen, und so kam «S, daß sie, von der Menge umzingelt, von ihren Bajonetten und Flinten zur Selbstvertheidigung Gebrauch machen mußte." General Boyron antwortete darauf sehr fest, daß die Brutali täten der englischen Polizisten und Soldaten allein den ganzen Krawall heraufbeschworen hätten. Einige französische Sol daten hätten sich in die englische Concession begeben und dort aller dings in einer Schänke äwa» Lärm gemacht; daraufhin sei «in englischer Unterofficier herbeigeeilt und balbe die Franzosen sofort beschimpft und gemißhandelt. „Wenn der Unterofficier NicholSson nach den weisen und ver nünftigen Regeln, an die Sie in Ihrem Briefe mit Recht er innern, angesichts der Zahl der Lärmmacher zu den französischen Dienstabtheilungen in Taku Road s«in« Zuflucht genommen hätte, so würden die Ruhestörer sich zweifellos schnell gefügt haben. Die Gendarmen waren nicht weit entfernt und es wäre leicht gewesen, schnell welche herb«izuholen. L«id«r glaubt« der Unterofficier NicholSson selbst mit dem einzigen Soldaten, der ihm zur Verfügung stand, «inschreiten zu müssen. Er befahl diesem, seine Waffe zu laden, um die Ruhestörer einzu schüchtern. DaS hatte keinen Erfolg, weshalb NicholSson an ordnete, einen blinden Schuß abzugeben. DaS war daS Signal zur allgemeinen Verwirrung; di« Ruhestörer, die sich bis dahin begnügt hatten, Schrei« auSzustoßen und zu heul««, wurden aggressiver; ferner strömten auf den Knall hin französische und fremde Soldaten, di« in den umliegenden Kneipen gesessen hatten, massenhaft heraus." So entspann sich ein blutiger Kampf, dessen bedauerliche Er gebnisse bekannt sind. Fünf englische Soldaten wurden ver wundet, drei französisch« getödtet und außerdem mehrer« fran zösische und deutsche verletzt. G-««s-ai, 28. Juli. (Privattelegramm.) Die angeblich bevorstehende gänzliche Räumung Chinas von den fremden Truppen wird hier stricte dementirt und «i»e mehrjährige Occupatio» al- sicher betrachtet. Echo» wegen der begonnenen Er- richtnng permanenter massiver deutscher und französischer Cascrnen tu Shanghai wachsen di« Unruhen im Innern allseitig an. Ver Krieg in Südafrika. AuS Kroonstad meldet der Reuter'sche Korrespondent folgende Einzelheiten über die Flucht Stetjn's aus Reitz, al» General Broadwood'S Detachement diesen Ort angriff: „ES scheint, daß General Broadwood in der Nacht vor dem Angriff «inen Eilmarsch unternahm, um daS Dorf, das zwischen Hügeln und Klippen liegt, vor Tagesanbruch zu umzingeln. In folge der Schuld eines Führers jedoch befand sich di« Colonne b«i Tagesanbruch erst drei Meilen von Reitz entfernt. Die 7. Garde-Dragoner, welche di« britische Avantgarde bildeten, galoppirten, als sie sich dem Dorfe näherten, plötzlich in den Ort hinein, und als sie einige Zelte sahen, ritten sie auf dieselben zu. Hier und in den benachbarten Häusern nahmen die Dragoner 28 Beamte der Oranje-Freistaat-Regierung gefangen. Einer der Gefangenen nahm gerade ein Bad in einem Hause, als er ergriffen wurde. Einen anderen Mann in Hemdsärmeln und barfuß sah man aus einem Wohnhaus in ein Nebenhaus eilen, aus dem er unmittelbar darauf auftauchte, auf ein leicht gesatteltes Pony sprang und über Berg und Thal im Negligee davongaloppirte. Ein Dragoner-Sergeant, der beste Schütze seines Regiments, versuchte, auf 50 Meter auf den Davonreitenden zu schießen, aber das Oel im Abzugsmechanismus seines Carabrners war gefroren und di« Waffe versagte dreimal. So von den Umständen begünstigt, entkam Steijn; denn der Flüchtige war Niemand anders, als der Expräsident." Deutsches Reich. -4- Leipzig, 29. Juli. Man schreibt unS: Am 29. Juli sind zwanzig Jahre seit der Gründung des Verbandes Deutscher Handlungsgehilfen vergangen. Ueber die socialpolitische Thätiakeit dieses Verbandes in dem genannten Zeitraum wird eine im Druck befindliche Uebersicht der Öffent lichkeit Aufschluß geben; die sonstige praktische Arbeit des Ver bandes aber wird durch die Gegenüberstellung folgender, in der „Kaufmännischen Reform" mitgetheilten Zahlen in das vor- theilhafteste Licht gerückt. Betreffs der Stellenver mittelung ist zu erwähnen, das 1881—1891 6727 Stellen durch den Verband besetzt wurden, in dem Jahrzehnt 1891/1901 dagegen 31 005. Bei Stellenlosigkeit wurden in den Jahren 1884—1891 an 219 Mitglieder 9455 -/( gezahlt, in dem Jahrzehnt 1891—1901 an 810 Mitglieder 45 805 Von der Kranken- und Begräbnißcasse wurden 1883/1891 356600Krankengelder und 13170^ Begräbniß- gelder bei einem Mitgliederbestände von 7860 und einem Ver mögen von 122187 bezahlt; im Jahrzehnt 1891—1901 dagegen wurden an Krankengeld 3 042 750 und an Be- gräbnihgeld 104180 verausgabt, während das Vermögen 480 910 c/t betrug, bei einem Bestand von 21270 Mitgliedern. Die Wittwen- und Waisencasse hatte 1891 bei 316 Mitgliedern ein Vermögen von 114 825 <-^, und die Rentenzahlung betrug 15 c/k; im Jahre 1901 hatte die Caste bei 1042 Mitgliedern 527182 Vermögen und die jährliche Rentenzahlung belief sich auf 8254 Die Altersver- sorgungs- und Jnvaliditätscasse hatte 1891 200 Mitglieder und rund 55 000 Vermögen, Renten zahlungen fanden nicht statt; im Jahre 1901 hatte die Caste 837 Mitglieder, 418 834 Vermögen und zahlte jährlich 1482 Renten. Das Gesammtvermögen der Ver bandskassen betrug am 30. Juni 1891 333 579 -A; jetzt beträgt es 1671 927 * Berlin, 29. Juli. (Theodor Fontane über Hohenlohe.) „Stechlin", ein Roman des feinsinnigen Theodor Fontane, enthält ein kleines, eigenartig herausciselirteS Denkmal für den Fürsten Chlodwig Hohenlohe, auf das die „Köln. Ztg." aufmerksam macht. Zwei Herren, ein streberhaft veranlagter Assessor v. Rex und ein Garde-Hauptmann v. Czoko, reiten durch Brandenburger Land wo bei Cremmen ein Hohen lohe-Denkmal steht. Und dabei entspinnt sich zwischen ihnen folgendes Zwiegespräch: „Gott, Rex, wie Sie sich wieder irren. Ich habe nichts gegen die Einen, und ich habe nichts gegen die Andern. Alles, was ich von Wallfahrten gelesen habe, hat mich immer nur wünschen lassen, mal mit dabei zu sein. Und aä vocern der Hohenlohe'», so kann Ihnen nur sagen, für die hab' ich sogar was übrig, in meinem Herzen, viel, viel mehr als für unser eigentliches Landesgewächs. Oder wenn Sie wollen, für unsere Autochthonen." „Und das meinen Sie ganz ernsthaft?" „Ganz ernsthaft. Und wir wollen mal fünf Minuten wie vernünftige Leute darüber reden. Wenn ich sage „wir", so meine ich natürlich mich. Denn sie sprechen immer vernünftig. Vielleicht ein bischen zu sehr." Rex lächelte: „Nun gut; ich will's Ihnen glauben." „Also die Hohenlohe'S", fuhr Czako fort. „Ja, wie steht es damit? Wie liegt da die Sache? Da kommt hier so anno cionüni ein Buragraf ins Land, und das Land will ihn nicht, und er muß sich Alles erst erobern, die Städte beinah und die Schlösser gewiß. Und die Heizen natürlich erst recht. Und der Kaiser sitzt mal wieder weitab und kann ihm nicht helfen. Und da hat nun dieser Nürnberger Burggraf, Wenns hoch kommt, ein Dutzend Menschen um sich, schwäbische Leute, die mit ihm in diese Mördergrube hinabstcigen. Denn ein bischen so was war es. Und geht auch gleich los, und die Quitzow's und die, die es sein wollen, rufen die Pommern ins Land, und hier, auf diesem alten Cremmer Damm, stoßen sie zusammen, und die paar, die da fallen, das sind eben die Schwaben, die es gewagt hatten und mit in den Kahn gestiegen waren. Allen vorauf aber ein Graf, so ein Herr in mittleren Jahren. Der fiel zuerst und versank in den Sumpf, und da liegt er. Das heißt, sie haben ihn rausgcholt, und nun liegt er in der Klosterkirche. Und dieser Eine, der da voran fiel, der hieß Hohenlohe." „Ja, Czako, das weiß ich ja Alles. Das steht ja schon im Brandenburgschen Kinderfreund. Sie denken aber immer, Sie haben so waS allein gepachtet." „Immer vorsichtig, Rex; im Kinderfreund steht es. Gewiß. Aber was steht nicht alles — von Kinder freund gar nicht zu reden — in Bibel und Katechismus, und die Leute wissen es doch nicht. Ich zum Beispiel. Und ob es nun drin steht oder nicht drin steht, ich sage nur: so hat es angefangen und so läuft der Hase noch. Oder glauben Sie, daß der alte Fürst, der jetzt dran ist, daß der zu seinem Special vergnügen in unser sogenanntes Reichskanzlerpalais gezogen ist, drin die Bismarck'schen Nachfolger, die sich wahrhaftig nicht danach drängten, ihre Tage vertrauern? Ein Opfer ist es, nicht mehr und nicht weniger, und ein Opfer bringt auch der alte Fürst, grade wie der, der damals am Cremmer Damm al» Erster fiel. Und ich sage Ihnen, Rex, das ist das, was mir imponirt; immer da sein, wenn Noth am Mann ist. Die Kleinen von hier, trotz der „Loyalität bis auf die Knochen", die mucken immer blos auf, aber die wirklich Vornehmen, dir gehorchen, nicht einem Machthaber, sondern dem Gefühl ihrer Pflicht." * Berlin, 29. Juli. Ueter die Wiederaufnahme verfahren sind der amtlichen „Deutschen Äustizstatistik" folgende Angaben zu entnehmen: Tie Zahl der Wiederaufnahmen eine- durch rechtskräftige» Urtheil geschlossenen Verfahrens betrug in Deutschland im Jahre 1899 617 gegen 558 i. I. 1898, 599 i. I. 1897, 548 i. I. 1896, 470 i. I. 1891 bis 1895, 404 t. I. 1886 bis 1890 und 405 t. I. 1881 bis 1885. Die Zunahme zeigt sich also deut lich; sie betrug im Jahre 1899, LaS die höchste Ziffer zeigt, gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 1881 bis 1885 52,3 v. H. Von den Wiederaufnahmen entfallen auf die schöffengericht- lichrn Sachen i. I. 1899 141 gegen 123 i. 1.1898, 145 i. 1.1897 und 165 i. I. 1881 bis 1885, auch die land« und schwurgericht lichen Sachen i. 1.1899 476 gegen 435 i. I. 1898, 454 i. 1.1897, 429 i. I. 1896 und 240 i. I. 1881 bis 1885, so daß seit 1881/85 die Wiederaufnahme in schöffengerichtlicheu Sachen um 14,5 v. H. abgenommen, in land- und schwurgerichtlichen Sachen dagegen um 98,3 v. H. zugenommen haben. Die Wiederaufnahmeverfahren zu Ungunsten deS Angeklagten er reichten i. I. 1899 die Zahl von 119 und sind gegenüber 1881/85 um 32,2 v. H. gestiegen, während die zu Gunsten des Berur- theilten 476 betrugen und um 58,1 v. H. gestiegen sind. Bon den Feuilleton. Auf deutschen Pfaden im Grient. Reisebrief« von Paul Lindenberg. XIV. »iachdruck verHotr» Jconimn, das heutige Koma. — Früher« Zeiten. — Ankunft. — Besuch beim General-Gouverneur. — WaS Ferid-Pafcha für seine Provinz gethan. — Beim Lschelebi, dem Großmeister der tanzenden Derwisch«. — Im Kloster d«r Letzter««. — Allerhand Strrifzüge. — Steinerne Erinnerungen. — Diner beim General- Gouverneur. „Jconium!" — jubelnd mag häufig der Ruf von den Heer- schaaren erklungen fit«, die nach Ueberwindung ungeheurer An strengungen die Stadt tm blühenden Kranze ihrer Fruchtbarkeit vor sich liegen fachen. Lenophon, aust dem Innern Asien» kommend, rastete hier mit seinen Zehntausend, Alexander, auf seinem Zuge gegen Dariust, gönnte seinen erschöpften Truppen hier kurze Ruhe, Römer, Griechen, Perser, Mongolen besetzten und besaßen den Ort, de» Cicero als Proconsul verwaltet und in welchem Paulu» gepredigt, die Seldschukten, «in ehemals nomadistrender türkischer Völkerstamm, eroberten di« Stadt in der ersten Hälfte dest H. Jahrhundert», und ihr« kampffrohen Herrschrr dehnten vo« hier ihr Reich weithin au», und Mitte Mai 1190 zog Kaiser Barbarossa mit de« -roßen Troß seiner Gewappneten, den er in ritterlicher Zucht und Ordnung gehalten, heran, einen raschen Sieg erringend — die letzte Waffrnthat de» greisen kaiserlichen Helden, der wenigt Woche» später feinen Tod im Kalykadno» fand. Auch in der Folge wurde der am großen Heerwrgr gelegen« Platz, welcher al» feste» »Sollwerk gegen die vordringende christ liche Abendwrli galt, nicht vo« wildem Kriegstgetünnnel verschont wie von dem schnellen Wechsel astatischer Regierungen und dem damit verbunden«» Hin- und Herfiuthen von «Witze «rd v«r. fall, bi» 1466 Mohamed I. da» ganz« Sultanat endgiltig dem OSmanenreiche, dessen Oberhoheit schon früher verkündet und dann wieder bekämpft worden war, «inverleibte. Von der Bahn bereit» macht da» jetzt etwa 50000 Ein wohner zählend« Koma einen freundlichen und stattlichen Ein druck; überall zwischen de« niedrigen Häusern sproßt üppiges Grün hervor, und dehnen sich Gärten au», deren Bäume und Gebüsche in voller Blüthe standen, hochgeschwungen« Moscheen- Ikuppeln und schlanke Minaretst verleihen dem anmuthigen Bilde sein eigenartig-orientalisches Gepräge, während an die einstigen Zeiten der Gefahr trotziae Mauern erinnern, die jedoch nur noch den nächst dem Bahnhofe gelegenen Stadttheil begrenzen. Der Zug halt, militärische Signale und Befehle ertönen, draußen wogt e» von buntscheckigem Volk und scharr«« die Pferde der Kavallerie-Begleitung, auf dem Bahnsteige ist mit prüfen- tirtem Gewehr ein« Ehrenwache aufgestellt und harren unserer zur Begrüßung der Vertreter dest Wali, der Kommandeur der Garnison mrd mehrere Offieiere. „Bitte, rocht officiell, mein Lieber", ruft man sich selbst zu. Vorstellung, langsilbige Namen, Verbeugungen, Händeschütteln, dann vorbei an dm ihr« Flinten etwa» krumm haltenden Infanteristen und hinau» vor dm Bahn hof, wo die vom Wali — ver den Rang unserer Oberpräsidenten einnimmt — geschickt«, sehr bequemen Wagen warten, ein TheU der Reiter setzt sich an die Spitze, ein anderer schließt dm Zug, die vfftciere sprengen nebenher, so geht'» an der Menge vorüber und vorüber an der vräsentirmden Stadtwache, hinein nach Konia, um zunächst dem Wali unseren feierlichen Krux zu machen. ' > von diesem Wali, Namen» Ferid-Pascha, hatte ich schon viel unterwegs vernommen und ausschließlich Gut*»; seit dm drei Jabn», während welcher er sei» wer 103000 Quadratkilometer umfassend«», sowie 1120000 Einwohner zählend«» Wilajet verwaltet, haben sich die Einnahmen feiner Provinz um da» Drei fach« gehobe», di« Gehälter an die Beamten mW Soldaten werde» pünktlich bezahlt, dststuige» sei«, «»teogchmmtz Welche sich durch m<tnll«nr Händedrücke bestachen lassen, werdm ohne Gnade fortgejagt, die Unterrichtsanstalten wurden erheblich verbessert, eine Kunstschule und rin Museum wurden begründet, eine von allen Seiten reich beschickte Ausstellung von Teppichen veranstaltet, viel war wie wir uns überzeugen konnten, für den Wegebau ge schehen, und sogar an einem neu angelegten Stadtpark fuhren wir vorbei. Der Konak — der Sitz der Regierung — ist rin schlichtes Palm» mit großem Hof«, auf welchem wiederum ein« präsen- tirend« Ehrenwache aufgestellt war. Civilbeamde und Officiere führten uns auf langen Gängen zum ersten Stockwerk, wo uns in einem geräumigen Vorsaale Frrtd-Pascha empfing, nach der Vorstellung und liebenswürdigsten Begrüßung unS in den be nachbarten rothgestrichenen und mit rothen Seidenmöbeln auS- gestatteten Salon geleitend, in welchem wir un» nie verließen und wo alsbald Cigaretten wie Thee gereicht wurden. Schnell gerieth ein lebhafte» Gespräch in Gang, unwillkürlich muht« ich der einstigen Jugend-Vorstellungen von einem Pascha gedenken: furchtbar dick in bunten Seidenyewändern, einen gewaltigen Turban auf dem Haupt, mit untergeschlagenen Beinen auf einem niedrigen Divan sitzend, in der einen Hand die ungeheure Meer schaumpfeiße mit Bernsteinspitze, in der andern «in Knut«, vor ihm, in sklavischer Haltung, zitternd und seiner Befehl« gewärtig ei« Reihe von Dienern später wurde daS Bild vervoll ¬ ständigt durch ei« Zahl sehr schöner, halbverschlei«rt«r Damen und ein Taschentuch! — und nun dieser Pascha hier al» General- Gouverneur einer blühenden Provinz: in der Mitt« der 40er stehend, sehr intelligente» Gesicht mit kurzem dunklen Vollbart, die schmächtige Erscheinung m schwarzem Gehrock elegant nud ganz nach Pariser Schnitt, wozu da» vorzügliche Französisch paßt« wie die schnellen Bewegungen und die lebhafte Unter haltung, die mit einer Einladung zum Diner für den nächsten Abend schloß. Mit diesem ersten Besuch« war der offictelle Lheil unseres Ausenthaktst in Konia noch nicht erledigt, wir mutzten unser« Auf Wartung auch noch dem Tschelebi (gnädigen Herrn) machen, dem Scheikh sämmtlicher tanzenden Derwische der islamitischen Welt, der ein« dem Papst ähnliche Stellung rinnimmt, von seinen Gläubigen mit „Allerhciligste Gnaden" angeredet wird, während ihm der Sultan den Titel „Hoheit" zugcstand und ihm ein Jahresgehalt von 50 000 bezahlt. Es ist, wi« man sieht, ein großer Herr, dieser Tschelebi, der einen bebrütenden Einfluß auS- übt, da der Orden der tanzenden Derwische sehr verbreitet ist und sich tiefen Ansehens erfreut. Begründet wurde di«s« seltsam« religiöse Genossenschaft von den im Jahve 1221 nach Konia ge kommenen persischen Dichter Dschelal-Eddin, der mit hohen Ehrrn seitens des Seldschukken-Sultans Ala-Eddin ausgenommen ward und der ein« Reihe von Schülern und Freunden um sich ver sammelt«, die in poetischer Art durch ftierliche Tänz« (wir haben etwa» AebnlicheS in den Ostertänzen der Knaben vor dem Aller heiligsten der Kathedrale SedillaS) Allah ihre Verehrung be zeugen wollten. Die Nachkommen de» Dschelal-Eddin waren stet» Großmeister deS Ordens und wurden von den Sultanen mit be sonder«« Auszeichnungen bedacht, unter Anderm, daß sie allein berechtigt waren, die neurn Khcrlifen in der Mosch« zu Eyub mit dem Schwerte deS Propheten zu umgürten; andererseits wieder hatten di« Großherren vor der Macht und dem Einfluß der Ordensgroßmeifier eine solche Furcht, daß jene sich nicht weiter wie sechs Wegstunden von Konia entfernen, und nur ihre Ver treter die Schwertumgürtung vornehmen durften, welche Ver fügungen noch heut« in Kraft bestehen. Die Würde deS Groß meister» ist in der Familie de» Begründer» erblich, und da stet direkt Nachkommen vor Hand an waren, kann der heutige Tschelebi s«in« unmittelbare Abstammung von Dschelal-Eddin nachweis«!«, noch seltener aber ist, daß von dem Begründer an sanrmtliche Großmeister im Mausoleum de» Kloster» z» Kottia den letzten Schlaf schlummern. Zu dem Tschelebi also ging unser« Fahrt, begleitet von der berittenen Ehrenwache, di« vor einem ziemlich verwahrlost aust- schaurndrn größeren Gebäude Halt machte. Seine Heiligkeit
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