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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.08.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-08-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000803016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900080301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900080301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Aus officieUcm Munde erfuhr die Mit welt die erschütternde Thatsache, daß nicht weniger als 49 Mil lionen Menschen in den von der Natur so reich gesegneten Ge filden Ostindiens bitteren Mangel leiden. Der Bicekönig selbst schilderte die Lage der Bewohner als eine überaus furchtbare und verwies im Hinblick auf die Inanspruchnahme Englands und der Engländer durch den südafrikanischen Krieg das hungernde Land auf — sich selbst. Indien müsse seine Aufgabe mit Geduld und Kraft durchführen, so sagte er, in dem Bewußtsein, eine Pflicht zu erfüllen, wenn es Millionen von Menschenleben vor dem Hungertode rette. Ein ausgezeichneter Rath, der von den eng lischen Landsleuten ausgezeichnet befolgt wurde. Während man in reichlichster Weise zu den Sammlungen für die Johannes burger Flüchtlinge und für die Angehörigen der in dem süd afrikanischen Eroberungskriege kämpfenden britischen Soldaten Beiträge spendete, verhallte der Ruf der vielen britischen Unter themen Indiens, unter denen im Gefolge der Pest das Gespenst der Hungersnoth in schrecklicher Gestalt seinen Umzug hielt, in England ungehört. Und doch weiß man dort, wie überall zur Genüge, daß die britische Regierung zum großen Theil an den furchtbaren Verhältnissen die Schuld trägt, weil sie die vor handenen Verwaltungsmißstände nicht abschafft, der Lösung der Frage ausweicht, wie sich Zustände schaffen lassen, die die Mög lichkeit ausschließen, daß in einem so reichen, mit so großartigen Hilfsquellen ausgestatteten Lande, „der kostbarsten Perle in der britischen Krone", nur Wenige mit irdischen Gütern überladen sind, und die große Maste des Volkes elender und verhungerter ist, als in dem ärmsten Lande der Welt, und weil sie obendrein dem Lande auch noch Ausgaben aufbürdet, die nicht im Interesse der Beherrschten, sondern lediglich im Interesse der herrschenden Nasse gemacht sind. Diese Thatsachen eingehend nachzuweisen, und zwar auf Grund zuverlässiger einwandsfreier Quellen aus den Schriften der ersten indischen Schriftsteller, ist das hohe Verdienst des französischen Volkswirthschaftlers Filon, der in den letzten Heften der „Revue des deux Mondes" in mehreren Artikeln die trostlose ökonomische Lage Indiens und den Antheil der Schuld Englands an derselben scharf beleuchtet. Ausgehend von der Behauptung, daß im verflossenen Jahr hundert gegen 80 Millionen Menschen in Indien durch Hunger umkamen, wirft Filon die Frage auf, ob das Land stets so arm gewesen sei. Er kann sie strikte verneinen. Vor 200 Jahren war Indien das reichste und fruchtbarste Land der Welt. Pramatha Nath Bose, der die Bilanz der Hinducivilisation unter der eng lischen Negierung aufgestellt hat und stets die gegenwärtige Epoche mit der der muselmännischen Herrschaft vergleicht, läßt uns in dieser Beziehung keinen Zweifel. In seinem Buche „.4. dir ot8^ ot'IIjncku civiliimtion uuckor Lritisdi ulö" kann man die Zeugnisse spanischer, portugiesischer, norwegischer und chinesischer Reisenden nachlesen. Am Zutreffendsten schildert der Franzose Francois Vernier, der mehrere Jahre am Hofe Aureng Zeb's lebte, die Wunder der indischen Industrie: die herrlichen Stickereien, die Sculpturen in Holz und Elfenbein, Malereien auf Metall und Glimmer, fein geschliffenes und colorirtes Glas, Töpferarbeiten, Jncrustationen, Mosaike, Damascenerwaffen, und vor Allem die glänzenden und wunderbar feinen Gewebe, die im ganzen Orient mit schwerem Golde bezahlt wurden. Versailles und sein großer König sind klein, erbärmlich, fast Barbaren im Vergleich zu dem Glanze, der den Großmogul umgab. Indien erschien Bernier „als ein Abgrund von Reichthum, in dem sich, um niemals zu- riickzukehren, die kostbarsten Metalle der ganzen Welt verloren". Und diese gewaltige Pracht war nicht etwa in den Händen ein zelner Grandseigneurs concentrirt. Die Constitution der Kasten und die collectivistischeOrganisation desHindudorfes verhinderten die Anhäufung der Erträgnisse des Ackerbaues und der Industrie zum Nutzen einer Classe. Man fand dort nichts, was irgendwie nach „Gutsherr" oder „Capitalist" aussah. Alle Bewohner lebten in behaglichen Verhältnissen. Bei einer um die Hälfte geringeren Bevölkerung lieferte Indien seiner Regierung eine Abgabe gleich derjenigen des heutigen Indien, das heißt etwa 750 Millionen Francs, von denen nicht der geringste Bruchtheil aus dem Lande ging. Mit der Ankunft der Engländer auf der Halbinsel änderte sich das Alles. Von dem Tage an, daß sic den Fuß in Bengalen setzten, datirt die Ausbeutung zu Gunsten einer fremden Nation. Während der ersten 20 Jahre fand ein erschreckender Beutezug, ein fast wahnsinniger Wettlauf nach den Millionen statt. Nichts kommt der Niederträchtigkeit jenes Haufens von Abenteurern gleich, die sich auf Bengalen stürzten und sich, wenn nicht grau samer, so sicher raubgieriger zeigten, als die Spanier in der neuen Welt. Wenigstens hatten die Spanier die Absicht, in den Ländern jenseits des Meeres längere Zeit zu verweilen ode, sich dort definitiv niederzulasien; die Engländer aber belegten Alles, was zu fassen war, mit Beschlag, und flohen dann auf» Schnellste mit ihrem Raub von dannen, um einer neuen, wo möglich noch schlimmeren Invasion ausgehungerter Eindringling» Platz zu machen. Die Ankunft de» Lord Cornvallis im Jahre 1786, des ersten von der Krone ernannten Generalgouverneurs, inaugurirte die zweite Periode der englischen Occupatio«, die bis 1858 gedauert. Man führte Regelmäßigkeit, Methode und etwas Anstand in der Ausbeutung Indiens ein; die Gentlemen traten an Stelle der Abenteurer. Im Grunde blieb da» System dasselbe und die Resultate begannen langsam zu erscheinen. Im Jahre 1838 stieß Montgomery Martin einen Alarmschrei au» und berechnete, daß durch die fortwährende Zurückziehung de» nach England geschickten Geldes mehr als 700 Millionen Pfund Sterling dem Reichthum Indien» entzogen worden seien. 1858 begann mit dem Aufhören der indischen Gesellschaft die dritte Epoche der englischen Okkupation. Hat sie die progressive Beraubung Indiens durch seine fremden Herren aufhalten können? Nein! Sie ist nur schneller vor sich gegangen. Die jährlich nach der Hauptstadt London gesandte Summe, die drei Millionen Pfund 1838 und 5 Millionen im Jahre 1859 betrug, war im Jahre 1883 auf 18^/2 Millionen Pfund gestiegen; sie erreicht jetzt nach Hyndman „Iks Luolcrupte^ ok luäia" die Ziffer von 30 Millionen Pfund. Nicht den geringsten Antheil an dem Außenhandel haben die Eingeborenen Indiens, wenn man einige reiche Parsen Bombays ausnimmt. Es fehlten ihnen der Unternehmungsgeist und die Capitalien. Die eingeborenen Schriftsteller haben mit ihrer Behauptung recht, daß gegen Ende des 18. Jahrhunderts Indien und England in industrieller Beziehung sich gleichstanden und Indien in manchen Artikeln sogar einen Vorsprung hatte. Die plötzliche Umwandlung des Handwerksgeräthes traf Indien unvorbereitet. Während in Europa die Aera der Maschinen begann und eine neue Classe, die der Fabriksherren, entstand und sich schnell vergrößerte, war Indien, durch sein unbewegliches sociales System paralysirt, Zuschauer dieser Bewegung und mußte ihren Gegenstoß erleiden, ohne sie nachahmen zu können. Man hätte dieser veralteten Gesellschaft Zeit lassen müssen, sich mit den Forderungen eines neuen Zeitalters zu befreunden, man hätte sie während der Periode des Lernens und des Versuches gegen eine nur zu gut bewaffnete Concurrenz schützen sollen. Man that es nicht, und der Freihandel versetzte dieser capitallosen Industrie, die sich ganz auf das Genie, die persönliche Kraft stützte und rein individualistisch war, den letzten Stoß. Sie starb langsam, und die letzten Zweige des Handwerks, das so wunder bare Dinge geschaffen, verschwanden einer nach dem andern. Eine neue Industrie ist endlich entstanden, aber Fremde haben sie geschaffen. Sie allein konnten die Kosten des Stu diums und der ersten Einrichtung, die gesetzmäßigen Ausgaben, die theuren Versuche, kurz, alle Kosten, die ein großes Unter nehmen im Anfänge fordert, tragen. Nur die Baumwollindustrie gehört zur Hälfte den Eingeborenen. Als zur Zeit des Seces- sionskrieges die Baumwolle der Vereinigten Staaten zu fehlen anfing, ließ sich Indien auch diese günstige Gelegenheit entgehen. Zwei Jahre hindurch ergab die Baumwollproduction gute Resul tate; aber nach dem Kriege wandte sich die englische Industrie, die weder großmiithig noch sentimental ist, wieder der amerika nischen Baumwolle zu, die für besser gilt als die indische. China, der einzige Kunde, den die indische Baumwolle bis in die letzten Jahre behalten hatte, schließt ihr nach und nach seinen Markt. Durch eine Bewegung, die völlig der im Occident beobachteten entgegengesetzt ist, wirft sich so Alles, was ehemals von der In dustrie lebte, auf den Ackerbau und sucht in ihm seinen Unter halt. Man berechnet, daß 90 von 100 der Bevölkerung die Erde bebauen. Um die Wichtigkeit dieses von Tag zu Tag energischeren Zuströmens zu den productiven Hilfsmitteln des Bodens zu be greifen, muß man sich vergegenwärtigen, daß die Zahl der Be wohner sich nach einem nicht genügend bekannten Verhältniß unaufhörlich vermehrt, das geradezu schreckenerregend genannt werden muß in diesem Lande der frühzeitigen und obligatorischen Ehe, wo die Religion unbarmherzig Jedem den Himmel ver schließt, der keine männlichen Nachkommen hinterläßt. In dem Maße aber, wie die Zahl der zu ernährenden Bewohner wächst, nehmen die Fruchtbarkeit des Bodens und bie Mittel, ihn wieder in guten Zustand zu versehen, ab. Es ist wahr, daß Sümpfe ausgetrocknet worden sind, daß an gewissen Punkten neue, viel nutzbringendere Culturen, als die alten, unter Anwendung neuer Methoden und vervollkommneter Instrumente eingeführt sind, daß Musterfarmen angelegt wurden, um die Eingebore nen mit dem Gebrauch dieser Methoden und dieser Instrumente bekannt zu machen. Aber das Gute, daß diese Palliativmittel geschaffen haben, bemerkt man kaum angesichts des von Tag zu Tag wachsenden Nothstandes. Er ist viel geringer in den Theilen Indiens, die unter der direkten Verwaltung des Rajahs geblieben sind. Dort besteuert man nicht Wiesen und Brachfeld, oder doch nur dem Namen nach. Man bewilligt dem Raia Fristen zu Zeiten der Hungersnoth, oft läßt man ihm sogar die ganze Abgabe nach. Von dem englischen Gesetze, das immer straff und strikt ist und erst menschlich wird, nachdem es Gehorsam gefunden hat, ist kein Entgegenkommen, kein Gefühl für die Noth zu erwarten. Die Last, die in Gestalt von Abgaben oder Pacht auf den mageren Schultern des indischen Bauern lastet, ist zu schwer. Der Raia der englischen Territorien kann seinem Acker weder die absolute Ruhe des Brachfeldes, noch die relative Ruhe der Koppelwirthschaft geben. Sein Pflug durchkratzt nur die Ober fläche des Bodens; er gräbt nicht diese tiefe Furche, in die das Korn versenkt werden muß, um die nährenden Elemente der tieferen Lagen zu suchen. Der Dünger derThiere, der dazu dienen sollte, den Reichthum des Bodens wieder herzustellen, wird als Brennmaterial benutzt. Die Thiere selbst gehen wegen des Mangels an Weiden zu Grunde. Die Viehseuchen raffen jährlich eine Änzahl hinweg, deren Werth auf 7^ Millionen Pfund geschätzt wird. Die Raffe wird minderwerthiger, schwächer: sie wird bald außer Stande sein, irgend eine Arbeit zu verrichten. Mensch und Thier leiden an demselben Uebel: sie sterben vor Hunger. Man betrachte einmal daS erbärmliche Budget des Raia. Nach den zu Grunde gelegten Statistiken betrug vor 20 Jahren die gesammte Production des Penjab 35 350000 Pfund Sterling bei einer Bevölkerung von 17 600 000 Menschen; das macht pro Kopf im Durchschnitt 2 Pfund Sterling. Um sich die Gering fügigkeit dieser Mittel klar zu machen, sei daran erinnert, daß das mittlere Einkommen in England pro Kopf 33 Pfund Ster ling beträgt. Bose schätzt sogar neuerdings das jährliche Ein kommen des Raia auf 33 Schilling. Von diesen 33 Schilling erhält der Staat 5. Mit diesen von den armen Ausgehungerten erpreßten 5 Schilling werden die enormen Gehälter des DicekönigS, deS Obercommandanten, de» Lord Oberrichter», der Mitglieder des Rathes und der Beamten des „Civil-Service" bezahlt. Der Raia bezahlt ihren Cham pagner, ihr Landhaus, den Schmuck ihrer Frauen, di» Gehälter ihrer muselmännischen Kellermeister und ihre Hindu-Kammer diener. Dieser Mann, der seine Kinder nicht ernähren kann, unterhält eine fremd« Okkupationsarmee von 75 000 Mann. In dem letzten Jahr der Compagnie beliefen sich die Kosten deS Unterhalter für jeden Soldaten auf 19 Pfund pro Jahr. Die unsinnige Verschwendung»sucht, die ein charakteristisches Zeichen der englischen Verwaltung ist, hat diese Ziffer in 20 Jahren auf die wahnwitzige Summe von 79 Pfund hinaufge schraubt, die heute zweifellos schon überschritten ist. Indien be zahlt die Kosten der oft wegen ihrer Ungerechtigkeit und Grau samkeit berüchtigten Kleinkriege, welche England an seiner Nord westküste führt, Indien mußte 1882 zu den Ausgaben für den Krieg in Egypten beisteuern, Indien wurde neuerdings wieder mit den Kosten belastet, die durch den Transport britischer Trup pen von Indien nach dem südafrikanischen Kriegsschauplätze verursacht worden sind. Wie kommt der arme indische Bauer, für den jetzt der Klingelbeutel umhergeht, dazu, die Unkosten eines Krieges tragen zu helfen, durch den für die südafrikanischen Spe kulanten die Goldfelder der Boeren-Republik erobert werden sollen! — Um die Wiederkehr einer Hungersnoth zu verhindern, hatte man einen „kamiue I'unck" geschaffen. Als man 1897 nach dieser Quelle suchte, fand man sie trocken, die Casse leer. Das Geld, dazu bestimmt, dem hungernden Inder Brod zu kaufen, hatte zur Niedermetzelung der Afridis gedient. Indien eudich ist es, das mit Behagen und Luxus das Alter seiner ehe maligen Administratoren umgiebt, die sich in die Metropole zu rückgezogen haben. Derselbe Lord Salisbury, der heute noch Minister ist, rief vor 20 Jahren aus: „Wir lassen Indien zur Ader!" In der That, sie lassen Indien zur Ader, schlimmer wie die Spanier auf Cuba oder die Türken in Armenien. In den Augen eines Hindu- Schriftstellers ist die englische Verwaltung in Indien schlimmer, als alleSysteme primitiverEroberungen,mitEinschlußdesjenigen, das darin bestand, alle männlichen Wesen der unterjochten Nationen zu erdrosseln, die Frauen zu Concubinen und die Kinder zu Sklaven zu machen. Der Sieger richtete sich in der Häuslichkeit des Besiegten ein; nach und nach machte sich der Ein fluß der Umgebung und der Rasse geltend; er erstattete der Cir- culation und dem allgemeinen Reichthum alles zurück, was er den Eigenthümern genommen hatte, wie die Regenwolke der Erde das von den Strahlen der Sonne absorbirte Wasser zurückgiebt. Aber bei den Engländern in Indien trifft das nicht zu. An Stelle einer kurzen Plünderung — 150 Jahre methodischen, fortschreitenden Raubes! An Stelle des Massacres nach der Schlacht — ein Volk, verurtheilt, eines langsamen Todes zu sterben, eingeschlossen in den Hungerthurm und sich dort leider vermehrend! Eine erschreckende Sterblichkeit, eine noch mehr er schreckende Steigerung der Geburten! Wann wird diesem armen gedrückten Volke der Erlöser vom Joche der Engländer kommen, die man uns als das Ron ping ultr« der Colonisatoren in ge wissen Kreisen hinstellen möchte?! ... Der polnische Sprachunterricht und die klerikale presse. Die polnischen Beschwerden über die durch und durch gerecht fertigte Beseitigung des polnischen Sprachunterrichts an den Schulen der Stadt Posen finden in der klerikalen Presse fortgesetzt in der Weise eifrige Unterstützung, daß unbesehen die Ausfälle der großpolnischen Presse wiödergegeben werden. Diese gipfeln darin, daß nun zu Hause mit verdoppeltem Eifer die Muttersprache gepflegt werden solle und „das polnische Haus jetzt in seine Rechte treten und eine Festung werde, an der alle Anschläge der Gegner zerschellen würden." Wenn das der Erfolg ist, dann ist nicht zu verstehen, warum sich national-politisch die polnische Presse über die zweckmäßige Anordnung der Schul verwaltung ereifert. Ebensowenig ist klar, was die klerikale Presse der deutschen Bevölkerung mit dem drohenden Hinweis auf die polnische Hausfestung sagen will. Dieser „Festungs krieg" besteht schon seit langen Jahren und braucht nicht erst neu angekündigt zu werden. Schon seit vielen Jahren hat sich die polnische Hetze hinter die polnischen Hausstände gemacht und von der Familie aus eine systematische Bekämpfung der deutschen Sprache und des deutschen Volksschulunterrichtes organisirt. Un zählige Male ist festgestellt worden, daß den polnischen Schulkindern zu Hause die deutsche Sprache verächtlich gemacht und jedes deutsche Wort untersagt wird; daß ihnen zu Hause die Schulfibel aus der Hand genommen und ihnen eine polnische dafür gegeben wird, die für die nationale Propaganda die erste Vorbereitung enthält. Katholische Blätter haben sich weiter bitter darüber beschwert, daß auf diesem Umweg den polnisch sprechenden Schulkindern beigebracht worden, das deutsche Gebet sei eine Sünde. Und in der letzten Landtagssession hat man sich im Ccntrum dagegen auflehnen müssen, daß die großpolnische Agitation deutsch-katholische Lehrer der Provinz Posen vor dem Lande verdächtigte, sie überschritten systematisch aus nationalen Gründen ihr Züchtigungsrecht. Freilich, darüber entrüstet man sich eine Weile und nachher wird man wieder das willfährige Vollstreckungsorgan der großpolnischen Hetzer, sobald diese mit einer geschickten Seitenbewegung die Streitfrage religiös mas- kirt und mit dem „Martyrium der gerechten und heiligen Sache" den erprobten Appell an deutsche Sentimentalität unternimmt. Im vorliegenden Fall handelt es sich um nichts Anderes, als daß innerhalb der deutschen Grenzen den Zielen der preußischen Volksschulen gemäß preußische Unterkhanen ordentlich Deutsch lernen, damit sie mit ihren übrigen Volksgenossen sich ordentlich verständigen und ordnungsgemäß ihren staatsbürgerlichen Pflichten nachkommen können. Darauf besteht die Regierung mit Recht, weil es ihre Pflicht ist, und in den Ostmarken ist man daher über diese Haltung der Regierung eben so erfreut, wie darüber, daß man jetzt einen Cultusminister hat, der di« östlichen Verhältnisse aus eigener Erfahrung kennt und geschickt die oft recht schwierige Unterscheidung zu treffen weiß, wo der Katholi- ciSmus aufhört und nur von großpolnischen Agitatoren noch die Rede ist. Die Wirren in China. —g Die kriegerischen Ereignisse in China Haien nach langer Pause wieder begonnen. Die »ntsatzaettan ist in vollem Gange und e» kommen bereit- Nachrichten, die im Ganzen «rmuthigend klingen. So meldet man au-: * Re» -ar». ». «»au«. (Telegramm.) Der „Rew «art Herat»" veröffentlich» ein Telegramm aus Tientsin, »em zufolge die javanische Avantgarde geschlagen worden ist und IKOTodtc und Verwundete »erlare» hat. Tie Nüssen s«tlen die tu der Richtung aus Peking gelegenen, zehn Meilen von Tientsin befind lichen Korts genommen haben. Tie Besatzung von 10600 Chinesen hat die Flucht ergriffen. Eine Bestätigung dieser Nachrichten bleibt freilich noch abzuwarten. Wie die Londoner „Morning Post" aus Washington unterm 1. dS. MtS. berichtete, beauftragte da- amerikanische KriegSamt den General Chaffee, gemeinsam mit den chinesischen Truppen zu operiren, wenn diese ernstlich versuchten, die Boxerbewegung zu unterdrücken. General Gaselee ist nach einem vom 27. Juli datirten Telegramm in Ticnisin eingetroffen und hat den Oberbefehl über die britischen Truppen übernommen. Ob man sich über die Person eines Oberstcommandirenden der gesammte» Entsatzarmee geeinigt hat, ist noch immer ungewiß; wahr scheinlich ist eS leider nicht. * Shanghai, 1. August. („Neuter's Bureau".) Admiral Seymour ist heute auf dem englischen Kriegsschiff „Alacrity" in See gegangen, um sich mit dem Vicekönig Ltu in Nanking z» berathcn. — Es verlautet, daß in Schansi 50 Missionare er mordet worden sind. * Hongkong, 2. August. (Telegramm.) In den Bogus- Forts ist man mit Schießübungen beschäftigt. * Canto», 2. August. (Telegramm.) Die Behörden nehmen Recruten zu einem Monatslohn von 9 Dollars, dem doppelten Betrag der bisherigen Löhnung, an. Es wurde ein Tagesbefehl erlassen, durch den die Officiere mit Strafe bedroht werden, die sich einen Theil der Löhnung der Truppen aiicignen. * Loudon, 2. August. (Telegramm.) Wie der „Standard" aus Tientsin vom 22. Juli meldet, geht aus Schriftstücken, die man im Tsunz li Namen sand, hervor, daß der Bicekönig von Tschili den Boxern in jeder Weise Unterstützung zu Tkcil werden ließ. — Der „Standard" meldet aus Shangkai vom 22. Juli: Li-Hung-Tschang richtete an den Thron ein« Denkschrift, in der er erklärt, seine Bemühungen, den Frieden wieder herzustellen, seien fruchtlos, so lange dir Regierung nicht ernstlich anfange, die Boxer zu unterdrücken. * Petersburg, 2. August. (Telegramm.) Ein Telegramm des Generals Grodckow an den Kriegsminister vom 1. d. Mts. berichtet: Um die von einer starken chinesischen Garnison gehaltene Festung Hunschun zu nehmen, bewerkstelligte das Saveloka- Detachement unter General Aigustow am 29. Juli den Vormarsch. Ter Kampf wurde eröffnet. Die Chinesen widerstanden hartnäckig. Am 30. Juli wurde Hunschun bezwungen. Unsere Verluste be. trugen an Todten 2 Osficiere und 6 Mann, und 4 Verwundete. Erbeutet wurden vier Geschütze. Die Einnahme der Festung Hunschun ist von großer Bedeutung für den gejammten Gang der militärischen Operationen auf dem nördlichen mandschurischen Schau platz. Der General lobt die Bravour der Truppen und der Obersten Zaitschewski und Lissowski. Tie „hilflose", „«nschnldige" Pekinger Regierung. * Der Petersburger „Regierungsbote" schreibt: Die Nach richten über den Gang der Ereignisse in China beweisen voll kommen die Machtlosigkeit der Pekinger Regierung gegenüber der rebellischen Bewegung einiger NcichSprovinzen und die Schwierigkeit der Herstellung der Ordnung. Diese Lage hat den Vogdochan, den einzigen legalen Herrscher in China, bewogen, den Kaiser Nikolaus um die Vermittelung zu bitten. Das Tele gramm, datirt vom 3. Juli und unterzeichnet von dem Kaiser Kwangsü an den Kaiser von Rußland, schreibt alle Unordnung den böswilligen Agitationen und dem Haß gegen die Christen zu. Als die Meuterei aus brach, war es für Rußland zu spät, Repressivmaßregeln zu ergreifen, und die Belksaufregung für ein energisches Ein schreiten bereits zu groß. Es war für die Gesandtschaften und für die Europäer in den Freihäfen Gefahr im Verzug und der Aufstand allgemein geworden. Die europäischen Negierungen glaubten, hierin ein Gewäbrenlassen der Rebellion durch die Regierung Bogdochan'S sehen zn müssen, weshalb Europa gegen Cbina rüstete. Der Kaiser Kwangsü bittet unter Berufung auf die 200jäbrige Freundschaft Rußland» und Chinas den Kaiser Nikolaus, ihm Maßregeln zur Ret tung Chinas anzugeben und gleichzeitig die Initiative zu der richtigen Anwendung der Maßregeln zu ergreifen. Am 3. Juli wurde das Telegramm durch dir chinesische Gesandt schaft folgendermaßen beantwortet: „Der Kaiser von Ruß- lanv sicht mit Bedauern die Ereignisse im himmlischen Reiche wegen ihrer schweren Folgen. Die vollkommene Unkenntniß über die Lage in Peking und die Abwesenheit der Nach richten über daS Schicksal der kaiserlichen und der anderen Missionen, sowie der russischen und der anderen europäischen U^tertbanen erschweren jede Vermittelung zu Gunsten Chinas. Die Bestrebungen Rußland- sind auf «in Ziel ge richtet: auf die Mitwirkung zur Herstellung der Ordnung und Ruhe in dem chinesischen Reiche. Die russische Regie rung, die sich durch stete Freundschaft leiten läßt, wünscht, daß Cbina die ihm drobcnde Gefabr und die Complicationen abwcnde. In dieser Hinsicht ist Rußland stet- bereit, zur Unterdrückung ter auSgebreiteten Bewegung jede Hilfe der legalen chinesischen Regierung angedeihen zu lassen. Der Kaiser bösst, der Bogdochan werde in dem vollen Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit als oberster Chef der Gewalt die energischsten Maßregeln zur Herstellung der Ruhe in seinem Reiche und zur Sicherung dr» Lebens und Eigenthum» nickt nur den russischen, sondern auch allen europäischen, in China lebenden Unterthanen ergreifen. Also auch den Zaren hat der chinesische Kaiser anlamentirt. Er allein kann Helsen, ebenso wie nach seinen an die Re- gierul?ben der anderen betbeiligten Mächte gerichteten Jeremiaden nur der deutsche Kaiser, die Königin von Eng land, der Präsident der vereinigten Staaten und da» heilige Frankreich den Karren au- dem Morast bringen können. Von deutscher Seite bat diese- unehrliche Heuchelspiel die ge bührende scharfe Abfertigung erfahren. Don Rußland kann man da» Gleiche nicht sagen, nur daß der Zar da» Ansinnen,
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