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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.08.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-08-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000809025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900080902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900080902
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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«338 vernetz««» «ach wird tz«t» nachdrücklich erklärt, h»h ,la vor. gehr» unverzüglich erforderlich fei. Diese Mitthriluug spricht nicht direkt von einem Ultimatum, (siehe die folgende Meldung d. Red,) ist aber sehr bestimmt gehalten. Die Beamten in Washington erachten di« Lage des Gesandten Conger und der anderen für sehr gefährlich. Die Regierung er» mahnte den Gesandten Conger, guten MuthS zu sein, und theilt ihm mit, daß Entsatz bevorstrhe. (Wiederholt.) * Washington, 8. August. (Meldung des „Reuter'schen Bureau-".) Es wird nunmehr zugegeben, daß die Depesche von dem Consul Goodnow thatsächlich ein Ultimatum darstelle, da die Lage unerträglich sei. Es sind Borkehrungen getroffen worden, um, falls es nothwendig werden sollte, sofort weitere Truppen von Luzon nach China zu senden. Nutzen wird das Ultimatum natürlich ebenso wenig haben wie die freundlichen Borstellungen der russischen Negierung. Durch den thatsächlich angetretenen Bormarsch auf Peking ist es ja auch vollständig erledigt. ES ist offenbar unbeantwortet geblieben unv nun ist der Stein im Rollen, der hoffentlich nicht nur die Mauern Pekings über den Haufen wirft, sondern auch die dortigen Machthaber hinwegfegt, die an dem ebenso grauenhaften wie unnützen Blutvergießen allein die Schuld tragen. In den südlichen Provinzen verschlimmert sich die Lage zusehends, wie solgende Nach richten erkennen lassen: * Shanghai, 8. August. (Neuter's Bureau.) Aus amtlicher Quelle verlautet, Admiral Seymour habe mit dem Viceköuige Vorbereitungen hinsichtlich der Besetzung der Fremdennieder- lassung in Shanghai durch die Engländer getrosten. * Hongkong, 8. August. (Reutrr'S Bureau.) Zwei indische Bataillone haben Befehl erhalten, sich bereit zu halten, um nach Shanghai zu gehen. — 3000 Echwarzflaggen haben heute Canton verlasse», augenscheinlich um nach Peking zu gehen. Zu hoffen bleibt vor allen Dingeu, daß die Engländer nicht, wie eS den Anschein hat, hier, wo eS sich in erster Linie um ihre Interessensphäre handelt, allein auftreten, sondern, wie im Norden, mit den übrigen Mächten covperiren. Das lag von vornherein im Plan. Weichen die Engländer jetzt davon ab, so legen sie damit den Keim zu unabsehbaren Differenzen. Weitere Meldungen: * Nom, 8. August. Tie „Agenzia Stefani" berichtigt die Nachricht über das chiffrirte Telegramm, das Las Ministerium des Aeußcren von dem italienischen Gesandten in Peking erhalten hat, dahin, daß diese Depesche nicht durch das Telegraphen-Bureau des Tschung li Namen in Peking, sondern durch Las Telegraphen-Bureau des Tsing Namen übermittelt worden sei. (Wiederholt.) * Wir», 8. August. Nach der „Wiener Abendpost" ist zur weiteren Verstärkung des österreichisch-ungarischen Geschwaders in Ostasie» der Torpedokreuzer „Leopard" in Aussicht genommen, der jedoch zuerst eine Mission in der Südsee zu vollsühren hat. — Zum CommanLanten Les „Zenta" ist an Stelle des in Peking gefallenen Fregatteiicapitäus Thomanu der Fregattenkapitän Skala desig- uirt. (Wiederholt.) * Paris, 9. August. (Telegramm.) Präsident Loubet wird sich am Sonnabend nach Marseille begeben, um die Truppen zu begrüßen, die nach China abgehen. Er wird von dem Ministerpräsidenten, dem Kriegsminister und dem Marine minister begleitet werden. König Humbert -j-. Gestern Nachmittag nach 4 Uhr ging der Zug mit der Leiche des Königs Humbert von dem Herzog von Aosta, dem Grafen von Turin, dem Prinzen Victor Napoleon, dem Herzog von Oporto, den Präsidenten des Senats und der Kammer, dem Kriegs minister, dem Zustizminister und dem LandwirthsckaflS- Minister begleitet, von Monza ab. Auf dem ganzen Wege von der königlichen Villa bis zum Bahnhöfe hatte sick eine überaus große Menschenmenge eingefunden, die entblößten Hauptes den Trauerzug vorüberziehen ließ. Telegramme aus den Stationen, durch die der Zug mit der Leiche ge kommen ist, berichten, daß die Behörden, Vereine und die übrige Bevölkerung auf den Bahnhöfen erschienen waren und ihre Trauer um den Hingeschiedenen auSdrückten. Die Trauerausschmückung der Stadt Rom ist fast vollendet. Eine große Anzahl Kränze ist bereits im Quirinal eingetroffen. Etwa 900 italienische Städte haben Vertreter zur Leichen feier entsandt. Der Erzbischof von Genua, Reggio, welcher morgen bei den Leichenfeierlichkciten für König Humbnrt pontificiren wird, wurde gestern von dem Cardinal Rampolla empfangen. Bei den Leichenfeierlichkeiten wird sich der König an der Spitze der italienischen Prinzen und der auswärtigen Fürstlichkeiten befinden, welch« die Leiche de» König« Humbert vom Bahnhof« nach dem Pantheon'begleiten. Der König empfing DieuStag Nachmittag die fremden Fürstlichkeiten, die zur Leichenfeier eingetroffen sind. Wie e« heißt, wird derselbe Sonnabend Vormittag den Eid aus dir Verfass» n g leisten. Sonntag wird er die Minister zur ersten Unterzeichnung von Dekreten empfangen. — Der Fürst von Montenegro empfing gestern im Quirinal sämmtliche fremden Missionen. Die Königinnen Margherita und Maria Pia sind mit den Prinzen und Prinzessinnen um 9 Uhr Abends eingetroffen. Auf den Wunsch der Königin Margherita war Niemand zur Begrüßung auf dem Bahnhöfe erschienen. Die Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen bestiegen Wagen, von Kürassireu geleitet. Die auf den Straßen bis zum Quirinal angesammelte Menge begrüßte die Angekommeuen ehrfurchtsvoll. Ter Kampf gegen den Anarchismus. Wegen Vertheidigung des KönigSmordeS wurde Giovanni Turnoin Jvrea zu sechs Monaten Gefängniß, und Filippo Ricci in Pesaro, der den Bürgermeister be leidigt und gerufen hatte: „Es lebe die Anarchie!", zu zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt. Der Krieg in Südafrika. —p Es ist nur eine einzige Nachricht, die heute vom Kriegsschauplätze vorliegt, aber sie ist von erheblicher Bedeutung. Man berichtet unS: * London, 8. August. Fcldmarschall Roberts meldet aus Pretoria unter dem 7. August: Ich fürchte, die Garnison von Viauds River unter Oberstleutnant Hoare ist nach einem zetzntägigcu Widerstande grsanaeu genommen worden. Als Delarey ersnhr, General Hamilton rücke aus Nuftenburg vor und er, Delareh, habe daher keine Aussicht, General Baden-Powell gefangen zu nehmen, wandte er sich in aller Eile nach Viauds River. Hamilton meldet, das Feuer, das offen bar in der Richtung ans ElandS River zu höre» ge wesen, habe gestern nachgelassen, Hoare sei gefangen genommen worden. Hamilton verlies; heute früh Nu st en bürg, Sie Truppen Bade n-Powell'S mit führend. — Tewet begann gestern den Baal zu überschreiten. General Kitchcncr befindet sich aus dem Marsche, um General Methuen aufzusuchen, der am rechte» Ufer des Baal-Flusses offenbar mit Dcwet's Vorhut z u s a m m c n g e st o tz c n i st, da Lord Kitchcncr heute früh Mctbncn's Geschütze ge hört hat. Wir finden den Ort Elauds River, der hier in Betracht kommen kann — eS giebt verschiedene Plätze dieses Namen» — auf der Karte nicht; er muß aber nördlich vou Rusten- burg an dem gleichnamigen Flusse liegen. Es ist also Hamilton nur gelungen, Nuftenburg zu entsetzen und die Besatzung, welche unter Wochenlager Belagerung schwer gelitten hatte, in Sicherheit zu bringen. Dagegen vermochte er die sich zurückziehenden Belagerer nicht zu verfolgen, mußte eS vielmehr ruhig geschehen lassen, daß diese sich gegen ElandS Niver wandten und die dortige Besatzung zur Capitulation brachte. Dieser Erfolg wird belebend aus die BurgherS einwirken und die Reihen der Combattanteu wieder vermehren. Noch wichtiger ist, daß Dewet, welcher bisher südlich des Vaal im Oranjestaat stand, den Fluß überschritten hat, um nunmehr seine Operationen unmittelbar im Nucken des Lord Roberts zu beginnen, wo diesem schon andere BoerencommandoS das Leben sauer machen und seine Aclionskraft läbmen. Es wurde gemeldet, daß Roberts einen erneuten Vorstoß gegen Lydenberg begonnen habe und gegen Machadodorp vorrücke. Zunächst ist auS dieser Nachricht der sehr erfreuliche Schluß zu ziehen, daß Machadodorp, welches bekanntlich von den Engländern genommen sein sollte, entweder nie in ihren Händen gewesen ist oder vou ihnen hat geräumt werden müssen, ein Mißerfolg, über den dann der englischen Sänger Höf lichkeit geschwiegen haben müßte. Es hieß, der Vormarsch gehe langsam von statten — wenn eS Dewet gelingt, im Rücken der englischen Operationöarmee eine größere Tätig keit zu entfallen, dürfte er bald wiederum ins Stocken gerathen. Daß Dewet den Fangarmen seiner Gegner im Freistaat, die ihn schon völlig umzingelt zu haben glaubten, noch ent schlüpft ist, zeugt wieder einerseits vou der großen strategischen Begabung dieses ausgezeichneten BocrensührerS, andererseits aber von Neuem von der täppische» Pfote des englischen Löwen, die wieder einmal mit aller Wucht — neben die MauS gehauen hat. Hoffentlich glückt eS Dewet nun auch noch dem General Methuen zu entgehen. Kilsckener „sucht" diese», wie Roberts meldet, ein netter Beweis für den gänz lichen Mangel an Communicatio» zwischen den englischen Heerführern. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. August. Am S. August sind zehn Jahre vergangen, seit Helgolnnd dem Deutschen Reiche eiirverlorbt worden ist. Es geschah das auf Grund des Abkommens mit England, welches letzterem sehr be deutende deutsche Besitzungen und Anrechte in Ostafrika über lieferte. Am 9. Juki 1890 übergab der englische Gouverneur die Insel dem Staatsminister von Bötticher, am 10. traf der Kaiser, festlich empfangen, auf Helgoland ein. In seiner Ansprache hob der Kaiser hervor, daß dieser Felsen, der ohne Kampf und Blut zurückgewonnen sei, ein Bollwerk für die deutsche Flotte und ein Schutz und Hort sein solle, wenn Feinde in die Nordsee ein drängen. Wegen der strategisch wichtigen Lage sind an Stelle der früheren englischen Batterie auf dem Oberlande mächtige, mit Geschützen schwersten Calibers armirte Panzerthürme und Mörserbatterien mit unterirdischen Lassematten errichtet worden. Doch stören sie und die geringe Besatzung von etwa 100 Seesol daten das Baldelebon in keiner Weise, im Gegentheil hat dieses wie die ganzen bürgerlichen Zustände aus der Insel und ihre Wider standsfähigkeit gegen die Elementargewalten durch verschieden artige fürsorgliche und großartige Anlagen sehr gedeihliche För derung erfahren. In dem letzten Jahre der englischen Herrschaft wurde Helgoland, von den Passanten abgesehen, von 12 40^ Fremden, im Jahre 1899 von 19 296 Fremden besucht. Ueber die Ursachen der Jude»-Auswanderung aus Ru mänien wird uns aus Bukarest geschrieben: Die jetzig- Ne gierung ist bemüht, dir schlimme Lage der Juden nach Möglich keit zu lindern, indem sie dieselben (wie gemeldet) unentgeltlich nach ihren früheren Wohnorten zurück befördert und ihnen da selbst für mehrere Wochen Lebensmittel zugesichert hat. Doch damit werden schwerlich die Ursachen der Nothlage behoben wer den; dieselben liegen vielmehr in zwei schwer zu mildernden Uebelständen. Die Zahl der Juden in Rumänien, die besonders in der Moldau vielfach die Mehrheit in der städtischen Bevölke rung ausmachen, wurde vor zehn Jahren auf eine halbe Million geschätzt. Inzwischen aber ist die Zuwanderung von Juden aus Südrußland so stark gewesen, daß heute die Gesammtzahl auf über700000 gestiegen ist, während die eingeborenen Rumänen im ganzen Königreich nur fünf Millionen zählen. Die verschiedenen Regierungen waren daher stets bemüht, jede weitere Zuwande rung von Inden fernzuhalten; aber die unteren Beamten scheinen gegen geringes Entgelt die Einwanderer unerlaubter Weise ins Land gelassen zu haben. Auch gegen einzelne Präfecten werden in Vieser Hinsicht schwere Anklagen erhoben. Selbstverständlich haben sich die Eingewanderten jeder Control« entzogen, was bei dem Mangel einer geordneten Bevölkerungsstatistik sehr leicht ist. Sehr schwer zu beantworten ist nun aber die Frage, mit was 'diese große Zahl von Inden sich ihren Lebensunterhalt schaffen soll. Würden sie Industrie schaffen, so wäre ihnen und dem Lande geholfen; aber dazu fehlt ihnen die Vorbildung und das Capital. Der Handel in den kleinen Städten hängt ganz von der Kaufkraft der Bauern ab, und da in den beiden letzten Jähren die Mehrzahl der Bauern in Folz« der schlechten Ernten kaum das Leben fristen konnte, so liegt der Handel auf dem Land- ganz brach. Und würde heute die Ne gierung ein Gesetz erlassen, daß auch nicht naturalistische Einwohner Rumäniens (b. h. die Juden, Griechen, Deutsche, Armenier u. s. w.) ländlichen Grundbesitz erwerben können, so Würden sicher binnen sechs Monaten zwei Drittel aller kleinen und mittleren Güter durch Zwangsverkauf in die Hände der Ersteren gelangt sein. Das aber wäre für Rumänien das Zeichen zum Ausbruch eines verzweifelten Bauernkrieges, weshalb keine Regierung einen solchsn Schritt wagen würde. Also die ganze Streitfrage ist eine sehr schwierige, und es wird Jahre größter Müh- kosten, bis nur einigermaßen ein Ausweg aus der jetzigen Krisis gefunden. Deutsches Reich. Berlin, 8. August. (Staatliche Arbeiter wohnungen.) Nachdem jüngst der Staatsanzeiger das neue Creditgesetz für die Errichtung von Wohnungen für Arbeiter und Beamte der preußischen Staatsverwaltungen veröffentlicht hat, wird es wieder möglich werden, neue Summen für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen. Drei Mal hatte die Negierung 'bereits früher Summen für Arbeiterwohnungszwecke vom Landtage gefordert, und zwar jedes Mal in Höhe von 5 Mill. Mark, so daß also 15 Millionen zur Verfügung waren, und dieser Betrag sich nunmehr auf 20 Millionen Mark erhöht. Es ist selbstverständlich, daß die Vorbereitungen für die Veraus gabung dieser Mittel längere Zeit in Anspruch nehmen; eS müssen die Stellen, an denen die Errichtung von Wohnungen am nöthigsten ist, ausgesucht, es müssen die Bau-Anschläge gemacht werden u. 's. w. So vergehen ein bis zwei Jahre, «he die be willigten Summen ihrem Zwecke zugeführt werden. 'Beispiels weise waren im Frühlinge des laufenden Jahres die im Jahre 1899 bewilligten 5 Millionen Mark noch nicht ausgegeben, ob schon sic vollständig auf Bau-Anschläge zur Verrechnung ge kommen waren. Mit den jetzt neu zur Verfügung stehenden 5 Millionen wird es nicht anders sein, sie werden erst im nächsten oder gar übernächsten Jahre völlig aufgebrau'cht sei». Nach veß bisherigen Erfahrungen ist anzunehmen, daß mit den bewilligte» 20 Millionen Mark etwa 5000 Wohnungen hevzustellen sein werden. Der Haupttheil der Gumme entfällt auf die Eifenbahn- verwaltung, während Bergverwaltung und allgemein« 'Bauver waltung nur mit kleineren Beträgen betheiligt sind. 6. H. Berlin, 8. August. (Die verbotene An archistenversammlung.) Heut« früh wurde Berlin durch Placake an den Säulen davon benachrichtigt, daß eine A n ar chi st e nverf a m mku n g sbattfinden solle. Sie war nach demselben Local einberufen, in dem vor zwei Jahren nach der Ermordung der Kaiserin Elisabeth von Oesterreich die An archisten sich ein Rendezvous gegeben hatten. Das Cohn'sche Looal in der Beuthstraße liegt im Herzen der Stadt. Laut Mitthsilung an den Säulen waren zu der Ver sammlung, in welcher, wie gemeldet, der be kannte Agitator Dempwolf über Attentat und Anarchismus sprechen sollte, die Vertreter der bürgerlichen Presse ganz besonders geladen. Der An drang zur Versammlung i»ar außerordentlich stark, gewiß waren auch zahlreiche Neugierige erschienen, aber wir sahen doch viele von den bekannten unheimlichen Gestalten wieder, welche einst den Worten Landauer's, Pacolawitsch's „Juden-Paul" unter den Genossen genannt) getauscht. Vor dem Eingang zum Local war eine Reihe von Geheimpolizisten postirt; auf dem Hof war eine starke Patrouille von uniformirten Schutzleuten unter Führung eines Leutnants versammelt; der Eingang zum Ver- fammtungslocal war polizeilich geschloffen, mehrere kräftige, stämmige Geheimpolizisten bewachten denselben; die Polizei machte natürlich nicht viel Federlesens mit den Ankommenden, meistens jüngere Bursche, di« Mütze tief in den Nacken gedrückt, den „Glimmstengel" im Munde. Es wurde ihnen eröffnet, daß die Versammlung nicht stattfinde, verboten sei; Ansammlungen kitt die Polizei nicht; die Burschen wurden veranlaßt, den Hof sofort zu verlassen; sie thaten es an scheinend sehr ungern, Vir hörten verschiedene Rufe, wie „Ver sammlungsfreiheit!" „Das ist doch toll!" „Wir haben doch das selbe Recht wie die Anderen!" Die Rufe und Bemerkungen wur den in lautem Tone nicht gemacht, so daß ein Einschreiten der Polizei nicht nothwendig war und Verhaftungen unse res Wissens nicht vorkamen. Um 8s^ Uhr bot der Eingang zum Local das gewöhnliche Bild wie sonst. Eine An zahl Weiber, mit hem schwarzen Umschlagetuch bekleidet, das uns in Anarchistenversammlungon so häufig be gegnete (die Anarchisten haben als -hre Liebl'ingscouleur die schwarze Farbe gewählt, ihre Kränze im Friedrichshain am 18. März tragen nur schwarze Schleifen), rückten um diese Zeit an, entfernten sich aber stillschweigend wieder, als sie von dem Versammlungsverbot Kenntniß erhielten. Von bekannten Anarchistensahen wirNirmand. Wie es heißt, woll ten außer Dempwolf noch ein« ganze AnzahlandererAn- archi st «»sprechen; es verdient nur vollste Anerkennung, daß die Polizei di« Welt davor bewahrt hat, daß von einem Haufen unreifer Burschen ein Loblied auf den A n a r ch i s m u s gesungen wurde. LI. 6. Berlin, 8. August. (Die Ausreise der Nachrichten-Expedition.) Die ostasiatische Nachrichten- Expedition deö Deutschen Flotten-Vereins unter Führung deö Oberleutnant Weither hat gestern von Genua die Ausreise nach China angetreten, nachdem, wie schon mitgetheilt, bereits vor acht Tagen zwei Mitglieder der Expedition von Marseille aus sich nach Singapore begeben hatten, um dort malayische Arbeiter und Bataka-Pferve anzuwerben. Zn Shanghai werden sich der Expedition drei von den Philippinen kommende Operateure der Deutschen Biograph- und Mutoskop-Gesell- schast mit den zugehörigen mutographischen Apparaten an schließen zwecks Aufnahme von Neihenphotographien. Nach An kunft der Expedition in Tsingtau tritt dieselbe unter den Befehl des ObercommandoS der Expeditionsarmee und übernimmt die alleinige Berichterstattung vom Obercommando aus nach Deutschland. Die zahlreichen mitgeführten telegraphischen Apparate und Leitungen, die, in geeigneter Weise zusammen gesetzt, eine ununterbrochene Verbindung von 200 km Her stellen können, werden mit dem Telegraphenmaterial der Expeditionsarmee dazu verwandt, um dauernd eine sichere Verbindung zwischen Tsingtau und der Front der deutschen Truppen aufrecht zu erhalten. Der Kaiser hat der Expe dition gestattet, das von ihm selbst entworfene neue Abzeichen des deutschen Flotten-VereinS als Standarte und außerdem um die Kopfbedeckung schwarze Bänder mit der silbernen Aufschrift „Deutscher Flotten-Verein" zu führen. — Den Regimentern des deutschen Expeditions corps für Ostasien sollten nach ursprünglicher Absicht Fahnen mitgegeben werden, und es war bereits ein Termin für die feierliche Weihe der Feldzeichen in Aussicht genommen worden (3. August). Die Weihe ist aber unterblieben. Nack der einen Meldung haben nun die Truppen die Reise nach Ostasien ohne Fahnen angetreten, weil man sich gesagt habe, durch die Verleihung von Fahnen bekomme das Corps den Charakter einer ständigen Truppe, das sei sie aber nicht, venn sie sei nur nä doe gebildet und Niemand wisse, wie lange sie bestehen werde. Nach einer Meldung von anderer Hüter Israels schläft noch schlummert. Der Herr behütet Dich, der Herr ist Dein Schatten über Deiner rechten Hand, daß Dich des Tages die Sonne nicht steche, noch der Mond des Nachts. Der Herr behüte Dich vor allem Uebel! Er behüte Deine Seele! Der Herr behüte Deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit — Amen — Amen — Amen ...." Weithin erschallte das Amen über das blutgedüngte Schlacht feld hinweg über die gebeugten Häupter der Sieger in dem blutigen Ringen, hinweg über die bleichen Leidensgestalten der Verwundeten, hinweg über die starren, blutigen, zerrissenen Körper der Gefallenen. — Dieser einfache, stille Gottesdienst im Lager, angesichts des Schlachtfeldes und der blutigen Leichen — er war ergreifender als der prunkvollste Gottesdienst in hoher, säulengeschmückter Kathedrale. — Kein Laut regte sich — keine Orgel klang — keine Trommelwirbel — kein Posaunengedröhn. — Und nirgends sah man Glanz und Prunk — nirgends gold- und silbergestickte Uniformen — nirgends prunkende, schimmernde Waffen oder Ordenssterne — nur eine schweigende, demüthig betende Menge rauher Männergestalten, die Blut und Leben einsetzten für die Vertheidigung ihrer heiligsten Güter. Und Hans von Ehrenstein faltete auch die Hände zum Gebet, in seine Augen stieg eine heiße Thräne, aber in sein Herz sank eine heilige Stille. Er wußte, er kämpfte einen guten Kampf. 10. Capitel. „WaS streifen denn die Halunken von schwarzen Viehdieben seit einigen Tagen um die Farm, Wedekind?" fragte Herr Walter eines Morgens seinen Verwalter als er mit diesem durch die Felder ritt. „Da kriechen wieder einige von ihnen in den Busch! Und die Kerle sind noch «dazu in voller KriegSrüstung." „Ich weiß auch nicht, Herr Walter, WaS die Schwarzen wollen," entgegnete Wedekind nachdenklich. „Vieh haben sie unS noch nicht gestohlen und auch sonst keinen Unfug angerichtet. Viel leicht machen sich die Burschen die unruhigen Zeiten zu Nutze und plündern die verlassenen Farmen aus. Es sollen ja weiter nach den Bergen zu unid im Thale deS Tugela viele Farmen leer stehen." * „Gott sei'S geklagt — die Herren Burghers räumen ordentlich auf." „Na, Herr Walter," lachte Wedekind, „die Engländer geben ihnen nichts nach ...." „Sie belegen nur die Farmen der Afrikander mit Beschlag, welch« sich als Unterthanen der Königin nicht gescheut haben, sich den Burghers anzuschließen. Die Rebellen haben es nicht besser verdient." Er blickte finster in die Ferne, Wedekind schwieg, er wußte, daß sein Herr sehr heftig werden konnte, wenn man ihm in diesem Puncte widersprach. Nach einer Weile fragte Herr Walter: „Und von meinem Boy, dem Panda, haben Sie noch nichts wieder gesehen und ge hört?" „Nein, Herr Walter. Er ist spurlos verschwunden. Wenn er sich nur nicht zu seinen heidnischen Stammesbrüdern begeben hat." „Dummes Zeug. Panda war ja Christ geworden und mir treu ergeben." „Das wohl, Herr Walter, aber die ursprüngliche Wildheit brach bei ihm doch noch öfter wieder durch. Wenn er sich un- Leobachtet glaubte, sang er die Kriegslieder seines Stammes. Wenn solche halbwilden Burschen Blut sehen, dann überkommt sie die alte Grausamkeit und Wildheit wieder. Das hab' ich oft erlebt." „Vielleicht haben Sie Recht, Wedekind. Der Panda konnte zuweilen Augen machen, wie ein wüthender Panther. — Na, mag er meinetwegen zu dem Kraal seines Stammes zurückkehren — in Deutschland kann ich ihn doch nicht gebrauchen." „In Deutschland?" „Ja — wenn dieser Krieg vorüber ist, will ich nach Deutsch land zurückkehren. ES gefällt mir hier nicht mehr — ich will mein« Besitzungen verkaufen. Na, alter Freund, Ihr braucht kein solch' jämmerliches Gesicht zu machen. Für Euch werde ich schon sorgen." Wedekind schwieg. Eigenthümliche Gedanken bewegten daS Herz deS alten Mannes; die Sehnsucht nach der Heimath seiner Jugend schlich sich in seine Seele. Man ritt zur Farm zurück. Auf der Veranda deS Wohn hauses saßen Mary und der Capitän William Campbell, der schwerverwundet auf Georgsfarm zurückgeblieben war und sich jetzt auf dem Wege der Besserung befand. Der Boeren-Posten lag noch immer in der Farm, obgleich die Mannschaften öfter abgelöst wurden. Der Posten sollte die Verbindung zwischen dem bei Ladysmith stehenden Heere und dem Van-Reenen-Paß in den Drakensbergen aufrecht erhalten und dm südwärts über den Tugelafluß führenden Landweg be obachten. Er versah zugleich den Dienst eines Etappen« commandoS, denn häufig kamen Verwundeten- oder Grfangrn- Transport« hier auf dem Wege nach Bloemfontein oder Johannesburg durch. „Sollte Capitän Campbell mit Ihrer Uebersiedelung nach Deutschland einverstanden sein, Herr Walter?" fragte Wede kind mit schlauem Lächeln. „WaS geht den Capitän meine Uebersiedelung nach Deutsch land an?" „Hm — Herr Walter — der Capitän scheint sich sehr für Fräulein Mary zu interessiren. . . ." „Meint Ihr wirklich?" „Na, ein Wunder wär's nicht. Fräulein Mary hat ihn ja gepflegt, wie einen Bruder. Ohne ihre Pflege wäre er wohl nicht davongekommen." „Wahrhaftig, Wedekind, Ihr könnt Recht haben! Nun, ich bin's zufrieden — der Capitän ist ein braver Mann und tapferer Officier." „Das ist er, Herr Walter. Aber Fräulein Mary hält ihn verdammt kurz ... ." „Das ist so Mädchenart, Wedekind. Sie thun Alle zuerst spröde und zimperlich. Doch da sind wir ja angekommen." Er stieg vom Pferde, daS er einem herbeieilenden schwarzen Diener übergab. Dann begrüßte er den Capitän und Mary. Auf der F«rm war wohl wieder die Ruhe eingekehrt, aber nicht der Frieden und das Glück- Der alte Walter verfolgte mit stillem Ingrimm die Vortheile, welche die Boeren auf dem Kriegsschauplätze im Osten und Westen errangen; nach jeder Nachricht von einem neuen Erfolge der Boeren verschlechterte sich seine Stimmung; er hätte am liebsten nichts mehr von dem Kriege gehört. Dazu kam, daß er täglich die verhaßten Boeren sehen mußte, lagen doch zwanzig Mann auf seiner Farm, die er verpflegen und unterhalten mußte. Lieber hätte er eine ganze Compagnie Soldaten der Königin unterhalten! — Auch daß gar keine Nachricht von seinem Sohne rintraf, schmerzte ihn. Er wußte nicht, ob Henry noch lebte, ob er verwundet oder gefangen war — ja nicht einmal auf welchem Kriegsschauplätze er sich befand. Viel leicht war er in Ladysmith mit eingeschloffen, vielleicht deckte seine Gebeine schon der grüne Rasen des Grabhügels. Schon oft hatte Walter daran gedacht, sich nach Durban oder Capstadt zu begeben, wo man wenigstens Nachrichten von der englischen Armeeleitung erhalten konnte. Aber er hatte ja sein Ehrenwort gegeben, GeorgSfarm nicht zu verlassen, und der Boerencommandant wollte ihn von diesem Ehrenwort nicht entbinden. „Wenn Ihr Georgsfarm verlassen wollt, Baas Walter", sagte er lachend, „dann müßt Ihr Euch nach Bloemfontein in die Gefangenschaft begeben. Wir trauen Euch nicht." Aergcrlich fügte sich Walter und blieb auf seiner einsamen Farm. Der Capitän, der sich in gleicher Lage befand, da er eben falls sein Ehrenwort gegeben, Georgsfarm nicht zu verlassen, versuchte ihn zu trösten. „Warten Sie nur noch kurze Zeit, Mister Walter", sagte er. „Wenn erst Lord Roberts und General Kitchener das Ober commando übernommen haben, wendet sich das Blatt, und ich wette, wir ziehen dann bald in Bloemfontein ein und hissen dort den Union Jack." „Wird noch gute Weile haben", brummte der Alte. „Ihr Engländer habt diese Boeren unterschätzt und aus Eurer Nieder lage am Majuba-Berge nichts gelernt. Geht wie die Büffel geradewegs auf die Schanzen der Boeren los, die Euch ganz ge- müthlich niederknallen. Euch fehlt ein Moltke." Der Capitän lachte. „Da haben Sie Recht, Mister Walter. Aber Lord Roberts weiß hier zu Lande Bescheid, und der General Kitchener, der den Sudan unterworfen hat, wird auch wohl mit den Burghers fertig werden." „Abwarten, Capitän. Die Boeren sind keine tanzenden, heulenden Derwische." Auch Mary befand sich in einer gedrückten Stimmung. Sie empfand die Niederlage der englischen Truppen schmerz lich, aber sie vermochte sich auch nicht der Bewunderung des Heldenvolkrs der Boeren zu verschließen, die so mannhaft ihre Freiheit vertheidigten. Ihre Gedanken weilten oft in dem Lager der Boeren, für die sich mehr und mehr warme Sympa thie in ihrem Herzen regte. Und dann dachte sie auch an den Mann, der ihr einst Liebe und Treue geschworen, und der sie um äußerer Verhältnisse willen verlassen, sie dachte seiner letzten Worte sie dachte an den todeStraurigen Blick seiner Augen, als sie ihn mit harten Worten verletzt, sie dachte daran, ob er wohl noch unter den Lebenden weilte, und ein unsäglicher Schmerz krampfte ihr Herz bei den Gedanken zusammen, daß er todt sein könnte. Hatte sie ihn auch nicht zu hart beurtheilt? Sein Blick, seine Worte sagten ihr, daß er schwer für seine Jrrthümer gebüßt, daß er ein anderer, besserer und weiserer Mensch geworden, und sie erbebte freudig in dem Gedanken, daß sie ihn Wiedersehen, und daß er ihr ihre harten Worte verzeihen würde. (Fortsetzung folgt.)
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