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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.08.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-08-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000815011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900081501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900081501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-08
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412 Tie Morgen-AuSgabr erscheint um '/,? Uhr, die Abend-AuSgabe Wochentags um b Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm'» E-rti». Universitätsslrabe 3 (Paulinum), Lonis Lösche, Latharinenstr. 14, Hart, und König-Platz?. Nedaction und LrpeLitiou: JohanniSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen grösfnet von früh 8 bi» Abends 7 Uhr. Bezugs-Preis t» der Hanptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten SluS^ gabestrllen ab geholt: vierteljährlich./l4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS '-.SO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 8.—. Directe tüultch: Kreuzbandiendung iuS Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ansgave. Anzeiger. Ämtsvlatt des königlichen Land- nnd Ämtsgerichles Leipzig, des Rathes nnd Nottzei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-PrsiS dle 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstriL (4 g» spalten) bO^j, vor den Familiennachkichtru (6 gespalten) 40/L- Größere Schriften laut unserem Preis- vcrzeichniß. Tabellarischer und Zist'ernsatz nach höherem Tarif. Extra-Veilaarn (gefalzt), nur mit der Morgen«Au-gabe, ohne Postbeförderuug 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß fir Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Bormittag- 10 UhL. Morgr n-AuSgabe: Nachmittag- 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestelle» je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die ErpedUtan zu richte». Druck und Verlag von L Pol» t» Leipzig Mittwoch den 15. August 1900, 94. Jahrgang. KrenMgs-Politik? Die Provinzialversammlung des rheinischen Hauptvereins des Evangelischen Bundes hat vor einigen Wochen eine Reso lution angenommen, an deren Schluß gesagt wird: „Die Pro vinzialversammlung protestirt noch vom evangelischen Stand punkte gegen den Grundsatz, daß das Blut der christlichen Missionare durch staatliche Machtmittel zu rächen sei und macht alle nationalen Kreise auf die Gefahr aufmerksam, daß die von dem deutschen Reiche eröffnete, an sich berechtigte und noth- wendige Weltpolitik in das Fahrwasser der Kreuzzüge cinlenken könnte. Das Reich Gottes wird weder durch das Schwert ge baut, noch durch das Schwert geschützt." Der leitende Gedanke dieser Sätze hat in einem großen Theil der Presse die Zustimmung gefunden, die er verdient. Und wenn jetzt die „Kreuzzeitung" in ihrer letzten Wochenschau, betreffs des Kriegszuges gegen die Chinesen, politische und kirchliche Gesichts punkte in bedenklicher Weise vermischt, so kann das nur die Folge haben, daß die Unzulässigkeit solcher Vermengung mit Nachdruck betont wind. Wohl darf man di« Hoff nung Hagen, der gegenwärtige Strc'itzug gegen die Chinesen werde der Verbreitung christlicher Ideen und christlicher Civili- sation in China dienen. Aber als direktes Ziel des Kampfes gegen Vie Chinesen die Verbreitung des Choistenthums h'in- zustcllen, wie es die „Kreuzzeitung" durch die Proclamirung des Grundsatzes „Wir kämpfen für unsere Religion, unseren Heiland", thut —, w^verspricht ebenso den Anschauungen der Zeit, wie der Verantwortlichen amtlichen Politik des Reiches und ist vollkommen undurchführbar. Das Zeitalter der Religionskriege liegt Gott sei Dank hinter uns. Wollte Deutschland, trotz der bitteren Erfah rungen, die es mit den Kreuzzügen gemacht hat, jenes Zeitalter erneuern, so würde es zunächst das Einverständniß der Ver bündeten Mächte zerstören. Von Letzteren denkt keine einzige daran, den Chinesen mit dem Schwerte in der Hand das Christenihum zu bringen. Und falls irgend eine Macht daran gedacht hätte, so wäre nicht nur die Cooperation mit Japan ausgeschlossen gewesen, sondern es wäre auch Japan auf den Anschluß an China, den letzteres so sehr angestrebt hat, hin gedrängt worden. Dadurch aber wäre der Verbreitung christ licher Ideen ein neues Hinderniß entgegengethllrmt. Will man im Ernste Deutschland zumuthcn, allein von allen Mächten den Religionskricg gegen die Chinesen, beziehungsweise gegen die vereinigten Chinesen und Japaner, zu beginnen? Ein derartiges Unternehmen würde das nutzlose Opfer von Hundertausenden deutscher Kämpfer bedeuten, die als bewaffnete Missionare immer nur winzige Erfolge davontragen könnten. Dabei ist noch vor ausgesetzt, daß die übrigen Mächte einem deutsch-chinesischen Religionskriege als Neutrale zuschauten. Grund zur Ein mischung in den deutsch-chinesischen Religionskrieg würden aber sämmtliche Staaten haben, die an der Herstellung friedlicher Verhältnisse in China interessirt sind, also mindestens Rußland, England, Frankreich und die Vereinigten Staaten! Wer ist Optimist genug, es für ausgeschlossen zu halten, daß keine dieser Mächte ein unter den gedachten Umständen eingetretenes Engage ment Deutschlands in China zu dem Versuch benutzte, die schwarz-weiß-rothen Grenzpfähle in Europa zu verrücken. In der That, wer den Gedanken eines Religionskrieges gegen China schärfer erwogen hat, muß einräumen: Deutsch land darf ihm nitz und nimmer beginnen. Wie weit aber der (i. W. des Reichskanzlers) verantwortliche Leiter der auswärtigen Politik des Reiches von Plänen entfernt ist, die auch nur An klänge an den Gedanken eines Religionskrieges enthalten, läßt das bekannte Rundschreiben »des Grafen von Bülow an die deutschen Bundesregierungen klar erkennen. Darin wird als das Ziel der deutschen Politik in China bezeichnet: „Die Wieder herstellung der Sicherheit von Person, Eigenthum und Thätigkeit der Reichsangehörigen in China, Rettung der in Peking ein geschlossenen Fremden, Wiederherstellung und Sicherstellung ge regelter Zustände unter einer geordneten, chinesischen Regierung, Sühnung und Genugthuung für die verübten Unrhaten. . . . Die kaiserliche Regierung ist von der Ueberzeugung durchdrungen, daß die Aufrechterhaltung des Einverständnisses unter den Mächten Vie Vorbedingung für Vie Wiederherstellung von Frieden und Ordnung in China ist, und wird ihrerseits in ihrer Politik diesem Gesichtspunkte auch ferner in erster Stelle Rech nung tragen." Die hier dargelegten Gesichtspunkte schließen einen Religions krieg gegen China oder etwas einem solchen entfernt ähnlich Sehendes vollkommen aus. Diese Gesichtspunkte aber sind es, welche die Zustimmung des Bundesrathsausschusses für aus wärtige Angelegenheiten gefunden haben. Bekanntlich ist nach Artikel 11 der Reichsverfassung die Zustimmung des Bundes raths zur Kriegserklärung erforderlich, es sei denn, daß ein Angriff auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt. So einmüthig der Bundesrathsausschuß für auswärtige Angelegen heiten die Stellungnahme der kaiserlichen Regierung gebilligt hat, so sicher ist es, daß der Gedanke eines Neligionskrieges im Bundesrathe keinen Boden findet. Vom Reichstage darf das Gleiche angenommen werden. Und die Gesinnungsgenossen der „Kreuzzeitung" dürften mit ihrer nüchternen Abwägung der Realitäten des Völkerlebens die Letzten sein, die für die ge fährliche Romantik moderner Kreuzzugspolitik gewonnen werden könnten. Die Wirren in China. —p. Der Vormarsch der Entsatztruppen gestaltet sich jetzt zu einem förmlichen Wettlauf um das Leben der Gesandten in Peking. Nach dem „Daily Expreß" waren die Ver bündeten am Sonnabend, 11. August, noch 20 Meilen von der Hauptstadt entfernt. Nicht minder günstig lautet die folgende Meldung: * Paris, 14. August. Ter Minister des Aeußern Telcasfv thetlte im Ministerrathe eine heute Morgen ans Taku (vom 8. Angnst) eingctroffcne Depesche mit, die be sagt: In einer nach den letzten militärischen Operationen abgchaltcnen verathnng der Trnppenbefchlöhabcr wurde beschlossen, den Vormarsch ans Peking fort- znsctzcn. Schließlich legte Telcassv eine Depesche des Gouverneurs von Jndochina vor, in Ser es heißt, daß nach einer Nachricht ans englischer Quelle das Ent- satzcorps sich jetzt 25 km vou Peking be finden soll. Das entspräche unserer Vermutbung, daß die Chinesen jeden Widerstand bis unter die Mauern Pekings aufgegeben haben. Aber nun erhebt sich wieder die große Frage: wird der Entsatz rechtzeitig kommen? Aus Peking ist dem russischen Obersten Woyczak eine Meldung zuzezangen, nach welcher in der Nacht vom 31. Juli zum 1. August die Beschießung der Gesandtschaften aus Geschützen von den Chinesen wieder ausgenommen, der europäische Kirchhof geschändet worden ist und die Fremden nur bis zum 8. August Porräthc haben. Macdonald meldete unterm 6. August nach Washington, daß die Lebensmittel noch 10 Tage reichen würden, also bis zum 16. Nehmen wir an, die letztere Meldung entspräche den Thatsachen, so ist es immerhin möglich, daß das Entsatzcorps bereits am Sonntag oder Montag vor Peking angelangt ist, also am 12. oder 13. August. Für die Einnahme deS bekanntlich sehr stark befestigten Peking blieben also nur etwa drei bis vier Tage. In dieser kurzen Spanne Zeit also müßte sich das Schicksal der schwer geprüften Männer und Frauen entscheiden. Die Regierung in Peking wird ihr Leben so viel wie möglich zu erhalten suchen, aber dem Fanatismus der militärischen Führer ist das Schlimmste zuzutrauen. Zudem sind, wie wir erwarteten, starke chinesische Truppenabtheilungen — 8000 und 10 000 Mann stark — von Süden her gegen Peking in Anmarsch. Es kann somit noch ein furchtbares Ringen vor den Thoren der Stadt geben. Wolff s Telegraphen-Bureau berichtet auS Tientsin unter dem 8. d. M.: Bei vangtsnn batten dieChinesen nurdenEisenbahnda mm besetzt. Nach kurzem Widerstande zogen sie sich nach Hohsiwu zurück. Dorthin war direct von Peitsang die chinesische Hauptmacht mit dein General Ma und dem General gouverneur von Tschili gestoben. Vielleicht hat die wilde Flucht des chinesischen Heeres die weitere Folge, daß die Besatzung Pekings, durch dieselbe demoralisirt, sich gleichfalls zur Flucht wendet, aber die chinesischen Strategen dürften dafür gesorgt haben, daß die Verstärkungen aus dem Süden rechtzeitig vor Peking ein- trcffen. Hangen und Bangen zwischen Hoffen nnd Verzweifeln, daS ist die Signatur des Augenblicks! Shanghai. Ans Paris meldet uns der Draht: In einem im Elysöe abgehaltenen Ministerrathe theilte der Minister deS Aus wärtigen Delcasss ein Telegramm des französischen ConsulS in Shanghai mit, in welchem dieser neuerdings seiner Besorgniß bezüglich der Aufrechterhaltung der Ruhe in der Stadt und ihrer Umgebung Ausdruck giebt und hinzufügt, daß Maßregeln getroffen werden, um nötbigenfalls die französischen Niederlassungen zu schützen. Weitere Meldungen: * Shanghai, 13. August. („Reuter'S Bureau.") Die Explo sion, die am Sonnabend in dem hiesigen chinesischen Pulver magazine sich ereignete, war, wie sich jetzt herausstrllt, unbe deutend. Menschen sind nicht ums Leben gekommen. * Paris, 14. August. (Telegramm.) Ter rechtzeitige Ab gang weiterer Truppensendungeu nach China erscheint durch den zunehmenden Ausstand der Schiffsmannschaften in den Mittelmeerhäsen ernstlich in Frage gestellt. (Boss. Ztg.) In der eben eingetroffenen Ausgabe deS „Ostasiatischen Lloyd" findet sich folgender Nachruf: Bei der in der Nacht vom 16. zum 17. Juni erfolgten Niederkämpfung und Besetzung der Befestigungen von Taku sind von der Besatzung S. M. Kanonenboot „JltiS" gefallen: Oberleutnant zur See Hellmann, Büchsenmachermaat Baestlein, Ober matrosen Sokopf, Bothe, Maaß (Johannes), Matrose Lebnhoff, Oberheizer Holm. Tapfer und standhaft im sechsstündigen siegreichen Gefecht starben sie den Heldentod auf dem Felde der Ehre, treu ihrer Pflicht gegen Kaiser und Reich. Ihr Andenken wird in den Herzen ihrer Kameraden weiterlebcn. An Bord S. M. S. „Hertha". Taku-Rhede, den 17. Juni 1900. Der Chef des Kreuzer-Geschwader-, Ben demann, Vice-Admiral. Reue Jntrignen Li-Hung-Tschana'S. Li-Hung-Tschang setzt sein Jntriguen-Spiel unbeirrt durch alle seine bisherigen Mißerfolge mit dem Zielbewußtsein eines Mannes fort, der überzeugt ist, daß irgend ein Erfolg seinen Bemühungen schließlich nicht versagt bleiben könne. Methode und Mittel bleiben dabei dieselben, wie er alle seine Karten auf Grund seiner alten Erfahrungen mischt, ohne daß er dabei ein besseres Verständniß für die Macht der Thatsachen zeigt, welche die neue Konstellation der Mächte geschaffen hat, und aus sich selbst heraus und trotz aller widerstrebenden Tendenzen durch die Logik der Dinge selbst immer mehr festigt. Er macht jetzt durch seine ersten Handlanger, die Gesandten in Washington und London, einen letzten Versuch, den Vormarsch auf Peking fast - vor dessen Thoren zum Stillstand zu bringen — ein Versuch, den er selbst als einen verlorenen betrachtet —, und gleichzeitig wsnigstons Mittel- und Südchina vor der „Inversion der Fremden" zu schützen. Die AmtSreliquie. Skizze von Arthur Achleitner (München). Ä.aüitiua vttvo!:». Die k. k. Bezirkshauptmannschaft zu N. in Tirol hatte einen neuen Amtschef erhalten, der in aller Stille die neue Dienststelle ang«rreten und zu seiner nicht geringen Verwunderung in der Amtslanzlei «in geschriebenes Placat auf dem Schreibtisch vor gefunden hatte, das lediglich die Worte enthielt: „Wir werden schon sehen!" Der neue Bezirkshauptmann wollte nicht frag«n, was dieses Placat bedeute, und beschloß, diese zweifellos vom Amtsvor gänger hinterlassene Reliquie auf demselben Platz zu belassen und zu warten, bis sich eine Deutung von selber im Laufe der Zeit ergeben werde. Wie üblich, muhte sich der neue Amtschef der Qual eines Festessens zum Regierungsantritt unterziehen, sich anhochen und mit Böllern anschießen lassen, es geht nicht anders im «Gebirge. Ebenso unvermeidlich ist dann eine Jnspectionsreis«, um den Bezirk und hauptsächlich die Gemeindevorsteher kennen zu lernen. Also ging der neue Bezirkshauptmann auf Reisen, gewappnet gegen Böllerknall, derbe Ansprachen, Feuerwehrspaliere, Hochrufe der Schuljugend und so weiter. Im Herzen trug der neue Chef aufrichtiges Wohlwollen für die Bevölkerung des seiner Verwal tung unterstellten Bezirkes und den Entschluß, solches Wohl wollen auf jede Weise zu bethätigen. Die erste Dienstreise führte in di« festlich geschmückte Ge meinde A., der Chef wurde feierlich eingeholt, warmherzig empfangen und begrüßt. Im größten Zimmer des kleinen Gast hauses zum „Lamm" mußte der Bezirkshauptmann nun die Honoratioren des Dorfes empfangen, zuerst natürlich den Gemeindevorsteher, dessen äußer« Erscheinung «inen schwer zu definirenden Eindruck hervorrief. Eine gewisse Gutmüthigkeit scheint mit einer großen Portion Schlauheit gepaart zu sein, dabei macht der derbknochige Mann aber doch wieder «in Gesicht, als hätte er die Dummheit in Erbpacht. Tiefste Unterwürfig keit wechselt mit ausdringlicher Keckheit ab, mancher Blick kündet geradezu Frechheit, und scheint sagen zu wollen: „Freunder!, mit Dir weiden wir kicht fertig", oder „uns bist Du nicht pfiffig genug". Einen dieser geringschätzigen Blicke fing der neue Chef auf, und diesen Blick ließ er sich zur Warnung und Mahnung dienen, mit dem herzlichen Wohlwollen vorsichtig zu s«in und die Ding« an sich herankommen zu lasten. So sehr sonst die Gemeindevorsteher darauf halten, daß sie gebührendermaßen an erster Stelle mit einer Ansprache beehrt weiden, 'der Capitano d«s OrteS bat auf hochdeutsch, war immer verdächtig ist, eS wolle der Herr Bezirkshauptmann gütigst zuerst di« Gemeinderäthe und den Feuerwehr-Commandanten vor nehmen. Der AmtSchef stutzte und meinte: „Die erste Ansprache gebührt aber doch immer dem Vorsteher?!* „Schön, Herr Hauptmann! Wir wollen aber «in« Ausnahme machen; mit Verlaub bin ich zum Reden heut' der Letzte!" So fügte sich denn der Chef, sprach mit den Leuten, die so dann unter Kratzfüßen abtraten. Jetzt kam der allein noch im Zimmer befindliche Vorsteher an die Reihe, der also anhub: „Mit Verlaub, Herr Hauptmann! Wenn S' nichts dagegen haben, sind wir zwei jetzt alleinig, und das ist recht. Wissen S', Herr Hauptmann, w«nn man so discurirt, kommt Manches vor, was die Anderen von der Gemeinde nicht zu hör«n brauchen." „Eigentümlich! Wirklich sonderbar! Ist mir noch nicht vorgekommen!" „Sell glaub' ich gern, Herr Bezirkshauptmann! Sind auch so viel eigene Sachen gerat)' in unserer Gemeinde! Drum möcht' ich schon recht schön bitten, daß Sie ein« Nachsicht hab«n und eine Gnad' mit uns! Sie schauen schon darnach aus, als wenn Sie «in gemeiner*) Mann sein thäten. Und sellen Mann thäten wir in der Gemeinde recht nothwendig brauchen von wegen der eigenartig«» Verhältnisse!" Hier wußte der Hauptmann nicht, was er zu solcher Ein leitung sagen sollte; unwillkürlich fragt« er: „Was sind Sie im bürgerlichen Leben, Herr Vorsteher?" „Wenn S' nichts dagegen haben bin ich Beamter, Bürger und Bauer!" „Wieso?" „Na, sehen S', Herr Bezirkshauptmann! Bauer bin ich, das versteht sich von selber, weil ich Grund und Boden und zwei Küh' habe. Als Bäcker im Dorf bin ich Bürger. Beamter bin ich auch, und das doppelt. „WaS?" „Freilich, Herr Bezirkshauptmann! Ich bin Gemeindevor steher und zugleich versehe ich das Amt deS Gemeindewaldauf sehers, also bin ich doppelter Beamter!" „Nicht möglich! Vorsteher und zugleich Waldauischer? DaS ist ja unbedingt unzulässig! Hat denn mein Amlsvorgänger diesen Unfug nicht abgestellt?" Eifrig erwiderte der Vorsteher: „Freilich, freilich! Freilich abgestellt, aber wissen S', Herr Bezirkshauptmann, eS ist soviel schwer in unserer Gemeinde! Man hat di« Leut' nicht für so einen wichtigen Posten! ES ist nicht so bei un« wie in anderen Gemeinden! Und der Waldaufseher kriegt b<: uns keinen Lohn! Ohne Lohn findet sich halt Niemand! Mir ist die- aber gleich — ich hab' eine Freud' am Wald und verinter«ssir' mich dafür! Darum hab' ich halt den Aufseherposten selber übernommen!" „Eine schlimme Sache! Ohne Lohn wird man natürlich keinen geeigneten Mann finden, zudem nicht für diesen schweren und verantwortungsvollen Dienst, aber unzulässig bleibt diese Dienstvereinigung trotzdem und —" „Mit Verlaub!" fiel d«r Vorsteher In die Rede, „s«ll möcht' ich schon noch sagen: für meine Mühe hat mir die Gemeinde vertretung den freien Holzbezug aus dem Communalwald be willigt, so viel ich brauche, kann ich mir selber auszriqen!" „Wie ist mir denn? Hat er nicht gesagt, er sei Bäcker?" Der Vorsteher grinste bejahend. *), „Gemein" hat hier die Bedeutung wie jovial, herab lassend, leutselig „Na, jetzt begreife ich! Sie werden da nicht zu kurz kommen mit dem Holz! Eine sonderbare Wirthschaft! Werde die Sache untersuchen und amtlichen Bescheid schicken!" „Bitt' schön, Herr Bezirkshauptmann, seien S' halt a bißl gnädig mit uns armen Bauern! Wenn ich das bißl Holz nicht hätt', müßt' ich die Bäckerei aufgeben! Denken S' nur, was das Holz kostet, und di« meisten Leut' bleiben mir's Brod eh' (ohnehin) schuldig! Sie, Herr Hauptmann, ha^en ja keinen Schaden und 's Amt auch nicht, und mir ist's «ine Wohlthat, für di« ich den schweren Aufseherdienst leisten muß!" Das klang so beweglich rührend und war so treuherzig vor gebracht, daß dem Amtschef das Wohlwollen auf die Zunge kam. Doch plötzlich erinnerte er sich an das Placat auf dem Schreib tisch im Amt, und halblaut sprach er dessen Worte: „Wir werden schon sehen!" „Ja, haben S' die Gnad'!" erwiderte hoffnungsreich der Vorsteher und bat, es möge der Hauptmann nun auch das Schulhaus besichtigen. Weit zu gehen hatte man nicht, und das klein« Gebäude hatte nur ein einziges Unterrichtslocal, dessen Fenster angelweit offen standen. „Das ist recht! Schulzimmer müssen viel gelüftet werden! Ist übrigens ein sonderbarer Geruch hier!" meinte der Amtschef. „Das bilden S'Jhnen nur ein, Herr Bezirkshauptmann! Der frühere Herr Hauptmann hat auch eine so viel feine Nase gehabt und deswegen sind wir mit den Anständen nimmer fertig worden!" „Wieso Anstände?" „Eigentlich zum Lachen! Aber feine Herren habön halt so viel «ine feine Nase und riechen was, wo wir nichts schmecken. Wissen S', Herr Hauptmann: Unter dem Schulzimmer ist ein lichtes, gutes Local, und das haben wir meinem Schwager billig vermiethet, so profitirt mein Schwager und die Gemeinde hat auch etwas Nutzen!" „Wozu benützt der Schwager das Local?" „Gleich nur als Käs'-Magazin!" Der Beamte fuhr betroffen zurück und rief: „In einem Schulhaus «in — Käsemagazin?" „Da ist doch weiter nichts dabei! Freilich, die ganzgescheidte Schulaufsicht, Vie ist daraufgrkommen, daß der Käs' riechen thät' und zu den Schulkindern hineinkäm'. Ist rein zum Lachen — aus einem Käs'magazin soll es riechen!! Und die Fenster sind so schier alleweil offen!" „Hat sich denn der Lehrer noch nicht beschwert?" „Der soll's probiren! Ein Lehrer muß froh sein, wenn er den Käs' umensunst schmecken darf!" „Ich rieche den Käse auch!" „Freilich, kein Wunder, jetzt, wo ich schon «ine Viertelstund' davon rede! Sie müßten den Käs' jetzt schmecken, wenn auch gar keiner da wär'! Aber ich hoff', Herr Bezirkshauptmann, Sie werden uns keine Anständ' machen!" Dieser Bitte gegenüber benutzte der Amtschef um so lieber den Spruch seine- Vorgängers, als er den Werth der unverbind lichen Redensart in solcher Lage hoch zu schätzen begann. „Und weil wir gerad' da sind," fuhr dieses Juwel eines Vor stehers fort, „möcht' ich noch etwas sagen: Schauen S' rundum, Herr Bezirkshauptmann, so werden Sie sehen, daß Alles wun'ver- schön aufgeräumt ist, Alles in bester Ordnung im Schulzimmer. Und decht haben wir bereits auch in dieser Beziehung Anstände mit der Bezirkshauptmannschaft gehabt. Ich hoff' aber, Sie, Herr Neuhauptmann, sind gnädiger, wie der alte Vorfahrer, war sonst ein rarer Herr, aber grab' a bißl streng, gar zu streng für uns arme Bauern!" Ungeduldig fragte der Chef nach diesen Anständen. Erst musterte der Vorsteher den Beamten mit einem scheuen Blick, dann begann er zu reden: „Ja, sehen S', Herr Bezirks hauptmann, wir haben im Dorf eine Bande, eine Musikbande —- a Musik ist so viel etwa? Schönes — Sie mögen's gewiß auch gern. Jetzt fehlt aber das Local, wo die Musikanten ihre Proben abhalten können, und da haben wir ihnen halt bewilligt, das Schulzimmer zu die Proben zu benutzen. Ist ja nichts da hinter, Kinder sein keine da, wenn etwas zwanzig Leut' alle Wochen ein bis zwei Mal in der Schul' Zusammenkommen und blasen, und wenn sie ein Fahl Bier mitbringen und trinken und die Instrumente! dann an die Wänd' umadum aufhängen — sein ja Nägel genug da! Haben w i r gemeint! Aber der Schul- inspector, der ganzgescheidte, hat herausgefunden, daß die Musi kanten durch das Tabakrauchen und Biertrinken den Boden und die Schulbänk' verunreinigen und «ine schlichte Luft in der Schul zurllcklassen. Grad' zum Lachen — als wenn das Tabak rauchen eine schlecht« Luft machen könnt', wo der Tobak eh' so theuer ist! D'rum haben wir Alles und das bessere Vertrauen zu Ihnen, Herr kaiserlicher Adler, und ich thät' schön bitten, werden S' uns keine Anständ machen, wir sind ja so viel arm d'ran, wir arme Bauern!" Der Vorsteher hielt inne, um die Wirkung seiner Rede zu beobachten, fing aber dann so dringlich zu betteln an, daß der Beamte wohl oder übel eine Antwort geben mußte. Und in abermaliger Erinnerung an die Reliquie sprach der Hauptmann die goldenen Worte: „Wir werden schon sehen!" Für diesmal hatte der Amtschef genug und fuhr nach Hause, um sofort in den Kanzleiacton nachzustöbern, was «s mit dem fa mosen Vorsteher des Ortes für eine Bewandtniß habe. Und ein dickes Actenbündel erzählte dem erstaunten Leser, daß in allen drei von dem Dorsteh«r so beweglich und riihrsam vorge brachten Fällen endgiltige Entscheidungen der Obrrbehörde erfolgt waren. Es hatte die Statthalterei definitiv entschieden, daß jener Vorsteher den Dienst eines WaldaufseherS nicht ver sehen dürfe, daß im Schulhause das Käsemagazin nicht ge duldet werde, und daß das Schulzimmer zu den Musikproben nicht benutzt werden dürfe. Gleichwohl hatte «S somit der pfiffige Vorsteher versucht, den neuen Amtschef hinter's Licht zu führen, wohl in der Hoffnung, daß der neue Bezirkshauptmann di« Mühe scheuen werde, alte Acten durchzulesen. Der Chef war daher nicht wenig froh, sich nur ganz unver bindlich geäußert zu haben, und ein scharfer Bescheid erging sofort an den renitenten, dummpfiffigen Borsteher in A. Fortan hielt der Chef aber die werthvolle AmtSreliquie seines Vorgängers in allen Ehren, wie er auch bei all«n mündlichen Be schwerden stets den Bescheid gab: „Wir werden schon sehen!" DaS ist die wahre Geschichte von der AmtSreliquie.
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