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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.09.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000918023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900091802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900091802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-09
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Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarts. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de« Morgen-AuSgab«. ohne Postbefördrrung 60.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhe. Marge u«Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Vri den Filialen und Annahmestellen je et» halbe Stunde früher. Anzeige« sind stet- an die Expedtttai » richte«. Druck uud Verlag von E. Polz tu Leipzig Dienstag den 18. September 1900. 9L Jahrgang. Die Wirren in China. -k>. Die Gesandten der Mächte weigern sich fortgesetzt, mit Prinz Tsching in Srirdcnsverhandlungen einzutreten. Der Sekretär der deutschen Gesandtschaft in Peking, Legationsrath von Below, erklärte dem „Berl. Loc.- Anz." zufolge, daß nur der neuernannte Gesandte Ör. Mu in m von Schwarzenstein, der sich zur Zeit noch in Shanghai aushält, für Deutschland zu unterhandeln ermächtigt sei. Die „Polit. Corresp." meldet aus Paris, obwohl die chinesischen Friedensunterhandlungen durch Hinterhältigkeit der chinesischen Machthaber sich beträchtlich verzögern können, scheine der Meinungsaustausch über die von den Mächten bereit zu haltende» gemeinsamen Forderungen in ein entscheidendes Stadium getreten zu sein. lieber die Not h Wendigkeit einer Genugthuung imVer» bältniß zur Unbill und über ernste Bürgschaften für die Zukunft seien im Allgemeinen keine auSeinander- gebenden Auffassungen zu Tage getreten. Bei Erwägung der heiklen Frage der Bürgschaften konnte man in der letzten Zeit das Gesländniß nicht unterdrücken, daß allen Anzeichen nach die zeitweilige Besetzung gewisser chinesischer Gebiets theile den Mächten, so gern sie einer solchen Aclion auch ausweichen möchten, durch die Lage der Dinge aufgezwungen werden dürfte. Die „Times" berichten ans Shanghai vom 13. dss.: In seiner Unterredung mit Sckeng sagte Mumm v. Schwarzen- stein, die Mächte wollten zwar keine Auftheilung ChinaS; jede Verzögerung der Unterhandlungen könne aber eine solche zur Folge haben. Jedenfalls würden zahlreiche deutsche Truppen chinesisches Gebiet besetzt halten, bis die Berhandlungen zu einem Ergebniß geführt hätten. Li-Hung-Tschang hat an den General Uunglu telegraphier, daß er Alles aufbieten möchte, um Audienz bei der Kaiserin zu erkalten, den Kaiser selbst zu bereden, nach Peking zu- riickzukehren und den Prinzen Tuan aus der Umgebung des Kaii-rs zu entfernen. Tie eingeborene Presse veröffentlicht den Wortlaut eines kaiserlichen Erlasses vom 8. ds., in dem der große Rath als Antwort auf die Denkschrift Li-Hung-Tschang'S und seiner beiden College» erklärt, er billige die Vorschläge der drei Vicekönige. Der Erlaß fordert Li-Hung-Tschang auf, sich schleunigst nach Tientsin zu begeben, die Siegel des Vice» königthums mitzubringen und die Friedensunterhandlungen gemeinsam mit den Prinzen Tsching und Aunglu einzuleiten. Der letztere kaiserliche Erlaß ist insofern von Bedeutung, als er die Verantwortlichkeit deS Thrones zuläßt und die Ereig nisse und die Flucht des Hofes aus Peking bedauert. Tsching und Li. Reuter's Agentur veröffentlicht zwei Interviews mit den chinesischen Unterhändlern Prinz Tsching und Li- Hung-Tschang. Prinz Tsching sagte, er hoffe bestimmt, daß in der allernächsten Zukunft Alles zufriedenstellend geordnet werden würde. Er meinte, die Mächte hätten Peking unnöthig grausam behandelt, besonders in Be zug auf Privaleigcntbum. Er sei aber dankbar dafür, daß die Heilige Stadt geschont worden sei. Er sei nach Peking mit der Vollmacht des Kaisers gekommen, Frieden zu schließen, selbst wenn es Opfer kosten sollte, aber er habe das Vertrauen zu den Mächten, daß sie nichts verlangen würden, was China beleidigen oder zerstückeln könnte. Er hoffe, daß innerhalb eines Monats die Chinesen den Erntearbeiten nachgehen und ihre Häuser wieder ausbauen würden. Der Handel habe sehr gelitten, er glaube aber nicht, daß der Schaden uner- etzlich sei. — Li-Hung-Tschang suchte allerhand Infor mationen von dem Reuter'schen Correspondenten zu erhalten, insbesondere fragte er eingehend, wie die chinesischen Soldaten gekämpft hätten. Auf die Bemerkung, daß der amerikanische Gesandte Cong er während der Belagerung 70 Pfund an Gewicht verloren habe, bemerkte er cynisch, das sei keine gute Neclamc für Pferdefleisch. Daß die Japaner 50 Millionen Taels in Peking mit Beschlag belegt hätten, wollte er nicht glauben. Er glaubte, da müßten mindestens zwei Nullen angehängt worden sein. Li-Hung-Tschang erklärte dann, daß er auS Verhandlungen mit mehreren Mächten den Eindruck ge wonnen habe, daß dieselben es nicht auf Gebietserweiterung ab gesehen hätten. Ueber die Kaiserin sagte er, sie sei schlecht berathen gewesen. Sie habe erst an übernatürliche Kräfte der Boxer geglaubt und es mit diesen gebalten. Dann, als sie ein gesehen, daß daS nicht so war, so habe sie wieder umgeschweuki. Es sei uncorrect, zu sagen, die Kaiserin sei zu irgend etwas gezwungen worden. Sie sei eine absolute Despolin. Als der Interviewer sich zum Geben anschickte, sagte der Dol metscher: „Der Vicekönig hofft, daß sie kein ungünstiges Bild von ihm veröffentlichen werden. Er sagt, er wäre ein sehr alter Mann; er habe viel Erfahrung und sei der Einzige, der in dieser Angelegenheit sowohl den fremden Nationen, als auch China helfen könne. Er will versuchen, eine Einigung zu Stande zu bringen, die alle Betheiligten zu- sriedenstellen solle." Tie Räumung Pekings. „Standard" berichtet aus Washington unter dem 17. d.: Der russische und der französische Geschäftsträger, die heute Besuche im Staatsdepartement abstatteten, erklärten dort, die Absichten ihrer Negierungen bezüglich der Räu mung von Peking hätten keine Aenderung erfahren. Beide Mächte werden also den größten Tbeil ihrer Truppen zurückzieben. Zugleich fragten die Geschäftsträger, was die Vereinigten Staaten zu tbun gedächten. Man erwiderte, der Momentsei nicht geeignet, um eine E n t s ch e i d u n g zu treffen. Tie Stadt Liang, welche unsere deutschen Seesoldaten erobert haben, ist, da genauere Angaben in den beiden von uns veröffent lichten Telegrammen fehlen, nicht mit Sicherheit ihrer Lage nach zu bestimmen. Ein Liang (Liang tsching tsi) findet sich an der Siidgrenze unseres Kiantschaugebietes nahe der Meeresküste, eines (Liang Hsiang) noch Weiler südlich an an der Grenze der deutschen Einflußsphäre, etwa 600 km landeinwärts und ein drittes (ebenfalls Liang Hsiang ge schrieben), 25—30 km südwestlich von Peking an der Eisen bahn nach Poatingfu. Weitere Meldungen. * Washington, 17. September. General Chaffee telegra- phlrte aus Peking unter dem 13. September: Der russische Commandant habe ihm versichert, daß er von Port Arthur und Wladiwostok aus in den Vereinigten Staaten Material zur Wiederherstellung der Bahnlinie be stellt habe. Der russische Commandant habe die Ueberzeugung ge habt, daß die Linie Tientsin-Peking in zwei Monaten wieder hergestellt sein werde * London, 17. September. Der Osficier, welcher die von Takn ausgehenden Transportwege überwacht, berichtet über einen schweren Unfall, der sich in Tung-tschou ereignete, als eine Abtheilung Arbeitssoldaten dort Pulvervorräthe vernichtete. Zwei Eingeborene wurden getödtet, ein weißer Osficier und 10 weiße, sowie 24 eingeborene Soldaten verwundet. Der Krieg in Südafrika. Tie (tzcntlcmctt. „Es muß ein bitterer Augenblick für den ehemaligen Präsi denten gewesen sein, als er die Grenze überschritt, um niemals zurückzukehren, es sei denn mit Erlaubniß Englands." So schrieb bekanntlich die „Times" an dem Tage, an dem die Abreise Krüger's aus der südafrikanischen Republik bekannt wurde. Das Blatt hat mit diesem Satze den Seelenzustand des alten Helden sicherlich richtig gewürdigt. Denn man kann sich wohl kaum vor stellen, welch' ein Abgrund von Bitterkeit die Seele dieses Mannes, der mehr als zwei Menschenalter hindurch Tag und Nacht für sein Vaterland gearbeitet hat, erfüllen mußte, als er zur Flucht aus dem geliebten Vaterlande gezwungen wurde. Man sollte nun meinen, daß, wenn die englische Presse ein Verständniß für die schweren seelischen Leiden des großen Gegners Englands besitzt, sie ihm trotz aller Feindschaft nicht ein Wort des Bedauerns vorenthalten hätte. Aber weit gefehlt. Statt den am Boden liegenden Gegner anständig zu behandeln, versetzt man ihm Fußtritte. Einige Blätter gestatten sich ge meine Schimpfworte, wie „pietistischer Schwindler", „ignoranter Bauer", „Eyniker" u. s. w., andere behaupten, er, der doch ein Muster schlichter und ruhiger Würde war, hätte niemals Sinn für Würde und Ehre gehabt, die meisten sprechen die Meinung aus, die wenig dramatische und heldenhafte Art des Ausscheidens Krüger's aus dem politischen Leben sei geeignet, die „Krüger- Legende" zu zerstören. Wir wissen nicht recht, wie sich nach der Meinung der eng lischen Blätter Krüger eigentlich hätte verhalten sollen. Daß er kein Feigling ist, sollten doch gerade die Engländer, denen er in dem für sie so wenig rühmlichen Kriege von 1880/81 seinen per sönlichen Muth sattsam bewiesen hat, wohl wissen. Wenn der 75jährige Greis sich diesmal nicht an die Spitze seiner Truppen stellte, so hat man das ursprünglich auch in England als durchaus richtig befunden. Hätte er jetzt am Ausgange des Krieges etwa ein Theaterstück aufführen und sich an die Spitze einer Reiter attacke L la Gallifet stellen sollen? Oder hätte er den britischen Oberbefehlshaber zu einer Boxerpartie herausfordern sollen? Oder hätte er sich, wie ein bankerotter Börsenspieler, eine Kugel durch den Kopf schießen sollen? Oder hätte er zum Mindeste» abwarten sollen, bis ihn die Engländer gefangen nahmen? Das aber ist wohl der Grund, weshalb ein Theil der eng lischen Presse in so würdeloser Weise den besiegten Gegner schmäht: diese Leute hätten den Präsidenten gar zu gerne als Gefangenen gesehen, damit er hinter dem Einzuge von Lord Roberts einhertäme, wie die germanischen Gefangenen hinter dem Triumphwagen der römischen Cäsaren. Der „ignorante Bauer", wie ein englisches Blatt so geschmackvoll den greisen Staatsmann nennt, besaß aber vielleicht trotz seiner angeblichen Ignoranz historische Kenntnisse genug, um zu wissen, wie wenig es sich empfiehlt, ein Gefangener Englands zu werden. Er dachte viel leicht an die unglückliche Maria Stuart, die von der Königin Elisabeth, Englands „großer" Königin, in sehr unköniglicher Haft gehalten und schließlich um einen Kopf kürzer gemacht wurde. Er erinnerte, sich vielleicht an Napoleon I., der unkluger Weise sich der Groß'muth seiner englischen Gegner überliefert hatte, und der auf St. Helena von dem Gouverneur Hudson Lowe auf eine ganz würdelose Weise maltretirt und drangsalirt wurde. Er hatte vielleicht auch davon gehört, in wie schimpflicher Weise seine im gegenwärtigen Kriege von den Engländern ge fangen genommenen Landsleute andauernd von diesen behandelt werden. So konnte er ziemlich sicher sein, daß die Milde, mit der er den vr. Jameson und dessen Complizen behandelt hatte, nicht erwivert werden würde. Die Engländer sollten doch ein wenig vorsichtig sein. Die Art, in der sie diesen unglückseligen Krieg angezettelt haben, hat die ohnehin recht geringen Sympathien für sie sehr vermindert; die brutale Art, in der sie alsdann den Krieg ge führt haben, hat den letzten Rest von Sympathien hinweg geschwemmt. Die würdelose und großmäulige Art, in der sie jetzt als Sieger über den niedergeworfenen Gegner triumphiren, muß die Mißstimmung gegen England bei allen Nationen ganz ge waltig steigern. Zwar stellen sich die Engländer in ihrem Hoch- muthe an, als seien ihnen die Sympathien oder Antipathien der anderen Völker völlig gleichgiltig, aber sie werden vielleicht doch noch einmal die Erfahrung machen, daß die Achtung und die Zu neigung, die man genießt oder nicht genießt, auch im politischen Leben sehr wichtige Imponderabilien sind. Fürst Bismarck hat einmal gesagt, daß jeder Engländer für sich genommen ein Gentleman sei, wenn sie aber einen Haufen bildeten, seien sie die unausstehlichste, am wenigsten gentle- männische Rasse. Das gegenwärtige Verhalten der englischen öffentlichen Meinung rechtfertigt diesen Ausspruch vollkommen. * Lonrcn«?o Mlirqucs, 17. September. Die Boeren haben die Brücke bei Kaapmuiden zerstört. Die Portugiesischen Eisenbahnbehorden nehmen keine Güter zur Beförderung über die Grenze an. (Wiederholt.) * Lourcnyo MarqneS, 17. September. Tie Boeren haben die Krokodilpoort-Brücke zerstört und 300 Lowries verbrannt. * London, 18. September. (Telegramm.) „Daily Mail" berichtet aus Pietermaritzburg unter dem 17. d. M.: ES wird ver sichert, Feldmarschall Roberts reise gegen den 3. October von Pretoria nach England ab. — „Daily Mail" meldet aus Lou- renyo Marques vom 17. d. M.: Komatipoort ist gestern durch ausländische Söldner geplündert und in Brand ge steckt worden, da man die demnächstige Besetzung der Stadt durch die Engländer voraussah. Die Boeren ziehen sich in der Rich tung auf die Zoutpansberge zurück. Politische Tagesschau. * Leipzig, 18. September. Vor wenigen Tagen deutete bekanntlich ein polnische» Blatt an, die Pole» würden bei Reickstagswahlen dem Ccntrum nicht mehr gefällig sein. Dies konnte sich im Wesentlichen nur auf die Wahlkreise Lissa und Mesc ritz beziehen, wo im Jahre 1898 an Stelle der polnischen Candi- daten Bewerber ans den Reiben deS CentrumS aufgestellt worben waren. Schneller als man gedacht hat, kann nun die Probe aus das Exempel gemacht werden, denn in Folge des Todes des reichsparteilichen Abgeordneten von Dziembowski (dieser und nicht der polnische Abgeordnete v. Dziembowski-Pomian ist nach neueren Nachrichten gestorben) ist der Reichslagswahlkreis Meseritz- Bomst erledigt. Es ist auS zwei Gründen anzunehmen, daß diesmal wieder ein polnischer Bewerber auf den Plan treten wird, einmal nämlich wegen der Verstimmung zwischen Centrum und Polen, zweitens und hauptsächlich aber, weil die Polen begierig sein müssen, zu erproben, ob der bekannte Erlaß des preußischen CultuSministcrS bezüglich des Feuilleton. 4) Der neue Tag. Roman von Klara Zahn. Nachdruck verbot«!. „Na, also, Freisein, da sein mer halt! Haben Sie a a Tröpferl Kaffee für mi übrig?" — Fred bayerte immer am ärgsten, wenn's ihm nicht ganz frei ums Herz war. „Aber natürlich! Nun setzen Sie sich nur, machen Sie sich's bequem, so —" Bald war man im lustigsten Geplauder. Anny war so eigen fröhlich zu Muthe. Nicht die beklommen selige Stimmung der Scheidestunde, die war rasch aufgestiegen und rasch verrauscht in ihrer Seele; wie etwas unendlich Schönes, lange Gewußtes, nun aber wirklich Gewordenes war ihr dies liebe, trauliche Zusammensein. Ein Stündchen später führte der Oberförster Fred durch sein Haus, und auf ein Zimmer im Seitengebäude deutend, sagte er: „Hier mache Sie sich's bequem, 's ist unser Gaststübel, Sie sehen, es wartete schon des lieben Gastes!" „Aber — nein!" rief Fred in wirklicher Verlegenheit, „das kann ich unmöglich annehmen, Sie werden mich doch für so dreist nicht halten!" „Daß Sie ein paar Wochen bei uns bleiben? — Aber lieber Freund, ich werd' Sie doch nicht den Gastwirthen hier über lassen? — Auf dem Lande ist man nicht so skrupulös mit der Gastfreundschaft, da gelten noch die guten alten Menschenrechte. Wen ich gerne sehe, der soll mir als Gastfreund hoch willkommen sein. Also schlagen Sie ein, lieber Freund!" „Ich thu's von Herzen gerne", sagte Fred gerührt. So war nun Fred Hehl Gast im Försterhause und gern gesehen, wie ein lieber, lang gekannter Angehöriger, obwohl er von sich und seinen persönlichen Verhältnissen gar wenig sprach. Anny sowohl, als der Onkel scheuten eine direkte Frage nach seinen Angehörigen, sie fürchteten die Harmonie des schönen Zusammenseins zu stören durch eine dann nothwendige Aus sprache und waren doch im Stillen fest überzeugt, den Bruder Fritz Heyl's aus Nürnberg in Fred zu sehen. Der Verkehr unter den Familienmitgliedern war ein völlig zwangloser. Oft stieg Fred mit seinem Skizzenbuche in die Berge und blieb einige Tage fort; er schlief dann irgendwo in einer Bauernhlltte, dem Landschaftsbilde nahe, das er mitnehmen wollte, und kam dann strahlend fröhlich mit seiner Beute heim, um einige Tage völligen Mchtsthuns zu genießen, mit Onkel und Nichte herumzu spazieren oder den Oberförster zu begleiten. — Anny wußte es schon, wenn er mit solch' ernster, entschlossener Miene am Früh stückstisch erschien, weggerüstet und das Skizzenbuch unterm Arm, dann hieß es für sie, daheim bleiben. All' ihr Bitten half nichts, zum „Arbeiten" nahm er sie nicht mit, da verstand er keinen Spaß, und um alles Gold hätte er sich nicht über die Schulter zusehen lassen, wenn er arbeitete. Es herrschte ein geschwisterliches Verhältniß zwischen den beiden jungen Menschen, und der Onkel dachte oft kopfschüttelnd bei sich, was doch die mo derne Jugend seltsam sei. Er hätte nicht mit 28 Jahren solch' liebreizendem Mädchen Tag für Tag ungestraft in die Augen sehen dürfen! Er hatte doch scharfe Augen, aber nicht das leiseste Zeichen war zu beobachten, daß andere als freundschaft liche Zuneigung zwischen Fred und Anny aufblühen wollte. Die Augen, die sich so hell und fröhlich grüßten, senkten sich niemals in leiser, banger Scheu, und Anny, die bei jeder leisesten Ge- müthsbewegung zu erröthen pflegte, hatte Fred gegenüber noch niemals diese Purpurfahne der Empfindung gehißt. — Warum das so war, darüber hätte Fred wohl Auskunft geben können. In seinem Herzen war es keineswegs so friedlich, wie er seine Umgebung glauben machte. Oft lief er tagelang in die Berge, nicht um zu zeichnen, sondern um der Gefahr zu entfliehen, die ihm in Anny's Nähe drohte, und er kehrte doch immer wieder zu dem Gegenstände seines heimlichen Kampfes zurück. — Er hatte es sich als ein Gebot der Pflicht aufgestellt, des lieben Mädchens Frieden nicht zu stören, dem Hause, das ihm so viel Gutes er wiesen hatte, nicht durch voraussichtliche Kämpfe und Leiden zu lohnen. Er war ein ehrlicher Bursche. Ohne eigene feste Exi stenz, noch völlig ungewiß der Gestaltung seiner Zukunft gegen über, wollte er nicht an sein Schicksal ein Weib fesseln, dem er auch das bescheidenste Heim vielleicht noch Jahre lang nicht zu bieten hatte. Anny überließ sich in aller Unschuld der beglückenden Em pfindung, die ihr Fred's Nähe gewährte. Sie dachte nicht darüber nach, sie war eben noch völlig ungeweckt. So wie es war, schien ihr es einzig richtig, die Tage und Stunden brachten so viel des Schönen, Niegekannten für sie, daß sie es gar nicht wahrnahm, wie sie selbst sich dem Zauber völlig hingab, der sie unsichtbar umstrickte. Fred hütete sein« Blicke so gut wie seine Worte; nie wieder hatte sie ein solch' zündender Strahl getroffen wie damals in der Abschiedsstunde, und wenn sie auch jenes selt same Gefühl nicht vergessen, das sie damals durchschauert hatte, so legte sie kein Gewicht darauf, über ein Unverstandenes nach- zugrubeln, wo so viel Neues und Schönes sich ihrem Verständniß erschloß. DaS war's ja, wonach sie gelechzt, so lange sie denken konnte. Eine verstehende Seele, ein Echo ihres eigenen Em pfinden fand sie in dem Freunde und einen Einklang in ihren Anschauungen von Welt und Leben, wie nie zuvor. Und mehr noch, weit mehr erhielt sie als Gegengabe ihres eigensten, seelischen Selbst, das sie zum ersten Male einem Menschen rück haltlos bekannte. Eine Erweiterung und Vertiefung der eigenen Ideen, die sie kaum ahnend gestreift hatten, wurde ihr aus Fred's beredtem Munde und ein Einblick in das Wunderland der Kunst, daß ihre Seele in Entzücken erbebte. Wenn sie so dahinschritten auf Wiesenwegen oder schmalen Felspfaden und sie stockend und zögernd aus der anfänglich harmlosen Plauderei hinübergriff in seine besonderen Vorstellungen von den Dingen in und um uns, wenn sie mit zagem Finger anpochte an sein Seelenihor, es sich plötzlich weit aufthat vor ihren Blicken und sie hineinschaute in eine Künstlerseele, so rein, so groß und stark, kraftbcwußt.und kampfesmuthig für seine Ziele — dann hätte sie die Hände küssen mögen, die mit weitausgreifenden Be wegungen die Welt plastisch hinzuzaubern schienen, die ihrem Verständniß sich öffnete. Aber nicht vor dem Manne — vor dem Künstler kniete ihre Seele. Sie hatte noch keines seiner Gemälde gesehen und doch war sie dessen sicher, daß es geniale Werke sein müßten. Sie sprach das einmal rückhaltlos aus, sie wußte so gut, daß ihm der Gedanke gar nicht kommen könne, daß sie ihm damit eine leere Schmeichelei sagen wollte. Darin täuschte sie sich auch keineswegs. Nur solch' kleines, liebes Lachen ging durch seine Züge, als er sich ein wenig zu ihr niederneigte und sagte: „Ja, schaun's, das macht nun Ihre Phantasie, wie wollten Sie es sonst begründen?" Anny wurde ganz eifrig: „Das ist doch ganz sicher, daß die Gedanken der Ewigkeitsgehalt künstlerischer Werke sind. Wer nun denkt und empfindet, wie Sie, und sein eigenes Schauen In der Sprache seiner Kamst verkündet, der muß doch Vollendetes schaffen!" „Wer sagt Ihnen aber, daß ich das Können besitze, das, was ich empfinde, Anderen zur Anschauung zu bringen?" „Wer mir das sagt?" fragte Anny gedankenvoll, „je nun, Sie glauben doch an sich selber? — Das ist mir Autorität genug." „Jedenfalls wünschte ich meiner Kunst immer solche Kri tiker", lachte er. „Aber wissen's, — von meinem Erstlingswerke hab' ich noch eine Photographie, eine einzige nur, das Bild wurde in Paris ausgestellt und dort verkauft, — das sollen Sie haben, wenn Sie's mögen!" O, war das schön! War das schön! — Keine noch so glänzende Auszeichnung hätte Anny in dem Grade vor sich selbst erhöhen, sie in gleicher Weise beglücken können, als dieser Freund schaftsbeweis Fred's. — Und dann fiel cs plötzlich wie graue Schatten auf ihr Herz. Wenn er nun doch erfuhr, wer sie war und in welcher Weise das Schicksal sie mit einer so niedrigen Handlungsweise, die gegen ihn angewendet wurde, verknüpft hatte? — Sie wurde ganz still und in sich gekehrt. Fred schlug das Herz zum Zerspringen. Er hätte die Hände des lieben Mädchens fassen, das gesenkte Köpfchen zu sich aufrichten mögen und fragen: „Was fehlt Dir, Liebling?" Und er durfte, durfte es doch nicht! — Mit einer hastigen Ge berde strich er die tief in die Stirn gesunkenen Haare zurück und lachte ein halblautes, grimmes Lachen. Anny schaute ganz verwundert auf: „Worüber freuen Sie sich denn jetzt?" „Freuen?" „Nun, ja, Sie lachten doch!" „Ja, meinen's, daß man immer nur aus Freude lacht?" „Nun, freilich mein' ich das!" „O, na, na! Na schaun's, das is halt so — das is halt —" In diesem kritischen Augenblicke sprang Cäsar mit mäch tigem Freudengebell den Heimkehrenden entgegen und ersparte dem jungen Künstler die etwas schwierige Darlegung seiner Gemüthsverfassung. Anny hatte oft mit Staunen die Bemerkung gemacht, wie weit entfernt Fred's Umgangston von dem war, der in ihren Kreisen daheim als der einzig gütige herrschte. Manches Mal war sie erschrocken vor einem geraden Worte, das Dinge einfach beim Namen nannte, statt ihnen ein Mäntelchen umzuhängen. Unb dennoch mußte sie bei sich feststellen, daß noch nie eine ihr Feingefühl verletzende Bemerkung von Fred's Lippen gekommen war. Ungewohnt nur war ihr der Freimuth seiner Rede zu weilen, aber erfrischend wie Quellwasser, das von den freien Höhen strömt. Anny hatte die üble Gewohnheit, im eifrigen Geplauder des Weges nicht zu achten, auf dem sie ging. Nun war daS bei Bergpartien mißlich. Zwar mochte es Fred von Herzen gerne, wenn seine Ideen das Mädchen so gewaltig fesselten, daß all' ihr Leben sich in Auge und Ohr zu concentriren schien; sie schritt dann neben ihm her, ihre Augen in die seinen geheftet, oder wie in unabsehbare Weiten gerichtet; ganz beschäftigt mit dem, was sie geistig zu verarbeiten hatte, ließ sie die Füße ihren Weg mechanisch suchen, wie sie konnten. Rollte nun plötzlich ein Steinchen auf abschüssigem Wege unter ihrem Fuße fort, dann schrak das Mädchen heftig zusammen und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Fred hatte ihr schon wiederholt die
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