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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.09.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000919028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900091902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900091902
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- LDP: Zeitungen
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- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Die Lage ist noch viel zu unklar, als daß jetzt bereits bindende Abmachungen getroffen werden können, sür welche die Sicherheit bestebt, daß sie später von der chinesischen Regierung gehalten werden. „Den Chinesen", schreibt u. a. die „Mgdb. Ztg.", „muß erst zum vollen Bewußtsein ge- bracht werden, daß die Mächte mit allem Ernste an dem von ihnen aufgestellten Programm festhalten. Dazu gehört in erster Linie die Sühne sür die begangenen Gräueltbaten. Man kann nur Genugtbunng darüber empfinden, daß die deutsche Negierung die Bestrafung der wirklich Schuldigen zur Vorbedingung sür den weiteren diplomatischen Verkehr mit der chinesischen Regierung macht, denn nur auf diese Weise wird dieser beigebracht werden können, daß sie heute ihr altes Spiel nicht sortsetzen kann. Mit dem Rundschreiben hat Gras Bülow unzweifelhaft einen unanfechtbaren Standpunct ein genommen, und die Mächte werden dem Vorschläge nm so eher ihre Zustimmung geben dürfen, als er in keinem Widerspruch zu dem steht, was die sämmtlichen Negierungen als das Ziel ihrer vstasiatiscben Politik hingestellt haben. Wenn die Bezeichnung der Schuldigen den Vertretern der Mächte in Peking überlassen wird, so ist dies die natürliche Folge der Sachlage, Werl sie bis jetzt allein einen Einblick in die Vorgänge haben, die zu den kriegerischen Unter nehmungen Veranlassung gegeben haben. Die Erfahrungen vom Jahre 1860 müssen eine Lehre sein, daß man den chinesischen Machthabern nicht die Ermittelung und Feststellung der Schuldigen überläßt. Wenn Deutschland die Initiative zu einem Erfolg versprechenden weiteren Vor gehen ergriffen hat, so kann eS sein natürliches Recht dazu aus dem Umstande berlcitcn, daß der deutsche Vertreter in Peking daS Opfer des chinesischen Fanatismus geworden ist!" Die „National-Ztg." schreibt: „Diese Kundgebung tcS Auswärtigen Amtes liefert den vollgiltigen Beweis, daß die deutsche Politik keineswegs, wie man ihr unterstellt hat, durch unerfüllbare Forderungen den Abschluß der chinesischen Wirren erschweren oder hinauSziehen will. Was sie in dem Circulartelegramm als Vorbedingung für Verhandlungen mit einer chinesischen Regierung hinstellt, die Aus lieferung der „ersten und eigentlichen Anstifter" der Pekinger Verbrechen gegen daS Völkerrecht, ist insbesondere die einstimmige Forderung der in China lebenden Fremden aller Nationalitäten; diese wissen, daß, wie Graf Bülow treffend sagt, „Gleichgiltigkeit gegen den Gedanken einer gerechten Sübne gleichbedeutend sein würde mit Gleich giltigkeit gegen eine Wiederholung des Verbrechens". Menschen köpfe sind in China sehr wohlfeil; deren würde, wen» man aus die Feststellung der „ersten und eigentlichen Anstifter" verzichtete, jede chinesische Negierung bereitwillig eine so große Anzahl liefern, daß eS „dem civilisirten Gewissen wider sprechen würde". Nach dem englisch-französischen Kriege von 1860 sollen eine Anzahl in Mandarincn-Kleider gesteckte Unterofficiere als Urheber der damaligen Gesandtenmorde hingerichtet worden sein. Auf derartige Komödien, über die später in dem ganzen weiten chinesischen Reiche gelacht wirb, will die deutsche Regierung sich mit Recht nicht ein lassen, und wir hoffen, daß sich ihre Zuversicht als begründet erweisen werde, wenn sie in diesem Punkte „auf die Ein stimmigkeit aller Cabinete zählen zu können glaubt"; keines derselben kann wünschen, die civilisirten Mächte zum Gespött der Chinesen und die Stellung der Ausländer in China für die Zukunst zu einer noch unsichereren zu machen, als sie eS bis zum Anfang dieses Jahres war. Indem daS Circulartelegramm sagt, eS liege „in den Verhältnissen, daß selbst die Gruppe der Leiter nicht vollständig wird ermittelt werden können", deutet eS wohl an, daß man auf Auslieferung der Kaiser in- Wittwe nicht bestehen werde^ doch im klebrigen muß daran festgebalten werden, daß Chinesen-Köpfe nicht zu den „fungiblen Sacken" gehören, bei denen es, weil sie gleich- werthig wären, nur auf die Anzahl ankäme. Mit Recht weist daS Circulartelegramm darauf hin, baß die Vertreter der Mächte in Peking im Stande sein werden, die als Anstifter zweifellos schuldigen Personen zu bezeichnen. Wird der Vor schlag der deutschen Regierung angenommen, so dürfte der AuSgangspunct für Verhandlungen zur Wiederherstellung der Ordnung in China gewonnen sein." In weiterem Bezug auf die einzuleitenden, aber Wohl so bald noch nicht zu Stande kommenden FricdcnSvcrhanölungcu schreibt der Londoner „Dailh Graphic": Während der letzten Tage haben die Vorbereitungen zur Einleitung von Friedens- Unterhandlungen zwischen den Mächten und China erhebliche Fortschritte gemacht. Der Meinungsaustausch zwischen den Mächten bat keineswegs durch die Differenz, welche in Betreff der Räumung Pekings entstanden ist, gelitten und die Cordialität des ConcerlS ist ungestört. Bis jetzt bat man sich über folgende Puncte geeinigt: 1) Li- Hung-Tschang ist von allen Mächten als Unterhändler Chinas angenommen worden, und eS ist wahrscheinlich, baß auch Prinz Tsching angenommen werden wird. Die Annahme derselben geschieht natürlich nnter der Voraus setzung, daß beide Persönlichkeiten genügende Vollmachten vorweisen. 2) Eine die Mächte befriedigende Central regierung muß in Cbina errichtet werden. 3) Für die Angriffe auf die Gesandtschaften und Niedermetzelungen der Ausländer wird vollste Sühne le istung gefordert werden. In Bezug aus diesen letzteren Puuct soll sich, wie daS englische Blatt hinzufügt, die russische Regierung gerade so ernst gezeigt haben, wie England. Gegenwärtig werde darüber unterhandelt, wo die Verhandlungen geführt werden sollen. Bezüglich der Entschädigungen seien noch keine Mei nungen zwischen den Mächten auSgctauscht worden. Hoffentlich bestätigt sich, was „Daily Graphic" bezüglich der Haltung Rußlands, denen sich natürlich sein Schallen, Frankreich, ohne weiteres «»schließen würde, zu berichten weiß. UnS fehlt noch der rechte Glaube daran. Zweifelhaft ist auch, ob gerade die Hauptschuldigen ge faßt werden können. So lenkt schon die „Köln. Zig." in einem Artikel, den man wohl für osficiös ansehen muß, in auffallender Weise ein, indem sie schreibt: „Als Grundsatz bei der Bc- urtheilung der Schuldfrage wird man vor Allem daran fest- zubalten haben, daß eS zwar, wie stets, zwecklos und selbst gefährlich ist, der Wahrheit ein Mäntelchen umzuhängen, daß aber die Entscheidung darüber vor Allem aus der politischen Nützlichkeit, aus der Rücksicht aus die zukünftige Gestaltung der Dinge im Interesse der Ausländer zu fußen hat. Sollte z. B. eine genaue Prüfung ergeben, daß die Kaiserin-Rcgcnti» in erster Linie schuldig, daß aber ohne sie eine feste und starke Regierung unmöglich sei, so müßte das die Zukunft verbürgende Interesse den Aus schlag geben, mau müßte sich noch einmal, so gut oder schlecht eS geht, mit dieser Frau abfinden, um nickt Schlimmeres als das bisher Erlebte heraufzubeschwöre». So wirb man sich besonders vor einer zu weit gehenden Be günstigung der chinesischen Reformpartei zu hüten haben. Diese Leute sind gerade so chinesisch, das heißt gerade so fremdcnfeindlich wie die Mandschu — die vielen Schriften ihres Führers Kangyuwei beweisen es —, nur sind sie klüger als diese, denn sie haben die Nützlichkeit der Machtmittel der westlichen Civilisation erkannt und möchten sie sich nach dem Vorbilde Japans aneignen, um dann mit ihnen, wenn sie sich genügsam gewappnet und gestärkt glauben, den Fremden ent- gegenzutrctcn. lieber diese Reformer aber gehen die An sichten in den verschiedenen Ländern auseinander. Amerikaner, Engländer und Japaner sind ihnen zum Tbeil nicht ab geneigt und besonders in Japan bat die chinesische Reform bewegung auch in amtlichen Kreisen Rückhalt gefunden. Man darf dabei nicht vergessen, daß Japan mit allen seinen Fasern in der chinesischen Cultur wurzelt und auf sie nur die Errungenschaften beS Abendlandes als fremdes Reis ausgepfropst hat. Schon veshalb ist nach japanischer Auffassung die chinesische Kaiserfamilie unverletzlich, und auch bei der Frage, ob in Peking durch die Zerstörung geheiligter Baudenkmäler ein sichtbares Zeiäien der strafenden Macht der Verbündeten auf- gericktet werden solle, fällt die Anschauung der Japaner in die Waage. Mit Recht macht im „Dailh Chronicle" Jemand daraus aufmerksam, daß die Japaner China mit ähnlichen Empfindungen betrachten, wie die Abendländer Griechenland und Italien, daS Land der alten Römer, daß die Paläste und Heiligthümer Pekings für sie denselben Werth haben, wie für uns die Akropolis und die Denkmäler NomS. Auch diese, an sich zweifellos acktungswerthen Gefühle werden im Concert der Mächte neben all Len auSeinandergehenden Er wägungen der einzelnen Staaten zu berücksichtigen sein. Er freulicher Weise aber ist festzuslellen, daß gegenüber solchen und vielen andern Schwierigkeiten alle Mächte an ihrem gemeinsamen Programm: „Sühne und Bürgschaften für die Zukunft" unabänderlich festhalten, und daß die Erkenntniß ter Nothwendigkeit, eS durchzusetzen, nach wie vor stark genug ist, um jene Formfragen, denn daS sind sie lediglich, zu überwinden." Daß selbst daS Circular v. Bülow'S möglicherweise mit der Freigabe der Kaiserin-Regentin rechnet, wurde schon in der Auslassung der „Nat.-Ztg." angedeutet, während die übrigen uns beute morgen vorliegenden Berliner Blätter aus diesen Punct nickt einzehen. Li und Genossen sind übrigens schon eifrig daran, die Kaiserin so weiß wie möglich zu waschen, je mehr Belastungs momente gegen sie zum Vorschein kommen. Li selbst bat zu geben müssen, daß die Kaiserin die Boxer unterstützt bat und ihm hat sich in ciner Unterredung mit dem Vertreter Lassans in Shanghai auch der Taotai Scheng angeschlcssen. Er sagte: „Die Zeit, wo die Boxer kaiserliche Unterstützung erfuhren, war kurz. Tie Kaiserin sah ihren Jrrthum (!) bald ein und thatsächlich stand sie auch unter Zwang, als sie alle die den Boxern freundlichen Erlasse veröffentlichte." Diele kaiserlichen Erlasse bilden offenbar den hauptsächlichsten Schuldbeweis gegen die Kaiserin, sie sind vorhanden, sind zweifellos auch in den Händen der Vertreter der Mächte, und da sie nicht weggelcugnel werden können, so suchen jetzt Li und Scheng ihre Bedeutung abzuschwächen. Scheng theilte auch mit, Li-Hung-Tschang und Auantschikai hätten der Kaiserin angeboten, mit einem Heer gegen die Boxer zu marsckiren, hätten die Ermächtigung durch kaiserlichen Erlaß dazu jedoch nicht erhalten können. Als der Hof die Boxer unterstützte, sagt Scheng, sei eben ganz China auf der Seite der Boxer gewesen; jetzt sei nur ein neuer kaiserlicher Erlast erforderlich, der ihre Ausrottung anbefehle, und die Unruhen würden aufhören. Dieser Erlaß soll nun, datirt vom 7. d. MtS., bereits erschienen sein und allen chinesischen Generalen bei Todesstrafe befehlen, jede Feindseligkeit zu ver meiden, und allen hohen Beamten und Würdenträgern, auf ihre Posten in Peking zurückzukehren, bei Wiederherstellung der Ordnung und des Friedens und bei Unterdrückung der Boxerrevolte Hilfe zu leisten und die Führer der Rebellen einzufangen. Es wird außerdem ein weiteres Edict, das eine grundlegende Form der gesammten Verwaltung Chinas anbctrifft, erwartet. Die Verbündeten sollen dem Prinzen Tsching mitgetheilt haben, sie bestünden darauf, daß der Kaiser Kwangsu nach Peking zurllckkehre; Prinz Tuan, Kangyi und andere Führer dcr Erhebung würden von ihnen verfolgt werden, wenn sie nicht ausgeliefert würden. Eine Bestätigung der Nachricht von diesem kaiserlichen Decret bleibt abzuwarten. Vorläufig entspricht die militärische Lage durchaus nicht den in dem Edict ausgesprochenen fried lichen Gesinnungen. Von allen Seiten meldete in den letzten Tagen der Telegraph, daß Gefechte statt gefunden haben, und daß solche noch möglich sind, ist allein schon ein Beweis dafür, daß die Herstellung der Ordnung noch lange nicht gelungen ist. Unsere Seebataillone unter General von Hopfner hatten südlich von Peking (bei Liang, welches hier und nicht, wie anfänglich an genommen, im Kiautschaugebiet liegt) einen Kampf mit den Boxern zu bestehen, bei dem diese 5,00 Todte verloren; eben falls in der Nähe von Peking wurde amerikanische Cavallerie von Boxern angegriffen, die sie aber zerstreute; amerikanisch- Infanterie stand bei Matou im Kampfe mit übermächtigen Boxermassen, der durch daS Eingreifen englischer Cavallerie siegreich endete. AuS diesen Nachrichten ergiebt sich, daß nickt nur in der Näbe von Peking noch gekämpft werden muß, sondern daß die Chinesen sich auch allem Anschein »ach mit der Absicht tragen, unsere Verbindungslinie auf Tientsin zu bedrohen, den» nur so erklärt sich der Vorstoß der Boxer gegen Matou, wo man Wohl die Schiffsverbindung abschneiden wollte. Ferner wurde berichtet, daß ein wieder holter Angriff der Russen auf die Peitangforts abgeschlagen wurde, die ganz in der Nähe von Taku liegen und bisher noch im Besitz der Chinesen gelassen worden waren. Endlik kam vor einigen Tagen die Nachricht, daß die Russen gegen Peitang vorrückten. Wie aus diesen Kampfberichten hervor- gebt, regen sich überall noch die Widerstandsgelüste dcr Chinesen, und daS trotz der Friedensmission, die den Prinzen Tsching nach Peking geführt hat, und trotz der See fahrt Li-Hung-Tschang's, die nachgerade anfängt, legendarisch zu werden. Eine eigene Trahtmeldung dcr ostasiatischen Nachrichten- Expedition des Deutschen Flotten-Vereinö aus Shanghai, 19. September, besagt: Shanghaier Zeitungen berichten, daß die Boxer die auf dem Wege von Peking nack Pao- tinzfu ca. 50 km von der Hauptstadt entfernte Ortschaft Tschutschou niedergebrannt haben. Ein weitererVor- Feuilleton. bi Der neue Tag. Roman von Klara Zahn. Nachdruck vcrtvie«. „Nein, Herz, ganz Ernsthaftes mußt Du von mir hören." „Jetzt, Anny?" „Jetzt, Lieber! Nie könnte ich Dir's leichter sagen. Mir scheint, wenn ich all' das Traurige, das mich oft so schwer be drückte, in dieser Hellen Stunde sage, dann muß es selber leicht und fröhlich werden." „So komm'!" Fred zog sein Mädchen neben sich auf die Bank, die sie er reicht hatten, hielt ihre Hände in den seinen und schaute sie erwartungsvoll an. Da war es rasch gesagt, all' das trübe Vergangene und lange verweilt auf dem hellschimmernden Zukunftsbilde, das sie für sich und den Geliebten wob. — Freilich, ein Tröpfchen Wermuth war doch in Fred's bangen Worten: „Du bietest mir zu viel." Nie war ihm der Gedanke gekommen, das schlichte, so herzig einfache Mädchen könne eine „reiche Partie" sein. — Und er so arm, so bettelarm! — Nein, nein, — da- war er doch nicht. Er hatte ja seine Kunst. Und nun begann er zu roden, feurig und zirkunftsbewußt. — Die Liebste sollte sich seiner nicht zu schämen brauchen, sein neues Bild, das war ein „Schlager", selbst seine Feinde würden's zugeben müssen. Bald war es vollendet, dann sollte es nach Wien zur Ausstellung kommen —: „und dann, Liebste, dann werb' ich um Dich!" „So willst Du uns nicht ^nnen, eine Schuld zu sühnen?" „Ach geh', Annerl! Eine Schuld! Das hast Du Dir so in Deinem lieben Köpferl zusammengedacht. — Mein Bruder, — ja, der ist schuldig gegen mich, — sonst Keiner. — Dein Vater kannte mich ja gar nicht, wer weiß, waS man ihm von mir be richtet hat, er handelte im Amt und nach seinem besten Ge wissen, — damit basta! — Schau, Kind, ich will doch Deinen lieben Vater auch so recht von Herzen lieb gewinnen, da darf gar keine Red' davon sein, ob er vorher, eh' wir Zwei uns kannten, hätt' so oder so handeln sollen, gelt?" „Du Guter, Einziger!" Und dann, als seine Arme sie freiließen aus dcr rasche», feurigen Umarmung, fragte sie schüchtern: „Der Onkel?" „Na versteht sich, Kind! Wir werden'S doch dem nicht ver schweigen. Und weißt', was der uns zu thun räth, das will ich gern befolgen, er ist ein so prächtiger, lieber Mensch." Der Onkel Oberförster! Der hatte sein Lebtag noch keine Brille gebraucht, wie er nun aber das junge Paar sich entgegen kommen sah, dem das neue Glück mit Siegesfahnen voranzu schreiten schien, da zweifelte er doch sekundenlang an seiner „Sch-Tüchtigkeit". Sein staunender, überstürzender Ausruf überhob die Liebenden jeder Erklärung: „Ja Kinder, — was ist denn das? — Wie habt Ahr das angestellt? — Ihr! — Ihr Erz schelme, Ihr Gaukler, Ihr Geliebten!" Wem von den Dreien sich die Augen zuerst feuchteten, wer zuerst in die weit geöffneten Arme des lieben Alten stürzte, sie wußten es nicht. Natürlich aber verleugneten die Männer, so bald sie sie erst beherrschten, die „unmännliche" Rührung. Lachend und lustig trug man die gute Kunde zur Mama Ober förster, die ihrem Herzen gebührend freien Lauf ließ, indem sie aus Küche und Keller alle erdenklichen Genüsse auftragen ließ. Nun folgten selig süße Tage für die Liebenden, mit ganzer Hingabe an daS wunderreiche Glück genossen, da sie ihnen knapp zugezählt waren. Zwischenein ernste Familienberathungen. Der Oberförster empfand es im Stillen als ein Unrecht an dem Bruder, daß er dessen Vaterrechte scheinbar an sich riß. Da er indessen seines Bruders Charakter sehr viel besser zu beurtheilen verstand, als Anny, so rieth ihm die Klugheit und die Liebe zu dem jungen Paare zu vorsichtigem Handeln. Sein Rath ging dahin: Anny solle nun ungesäumt dem Rufe des VaterS folgen, in sein Haus zurückkehren und mit verdoppelter Liebe die innere Kluft zu überbrücken suchen, die ihr Zwist mit dem Vater und Fred's Bruder gerissen habe. Fred solle sein begonnenes Werk vollenden, nichd aber dessen Erfolg abwarten — darüber könne im günstigsten Falle ein Jahr nutzlosen Wartens vergehen — und dann nach Nürnberg eilen. Er solle sich Anny's Vater dann eröffnen und von ihm seine Tochter erbitten. Um jeder Mög lichkeit vorzubcugen, daß durch fremden Einfluß der Vater Vor- urtheile fassen könne, sei eS rathsam, bis dahin völliges Schweigen über ihre inneren Beziehungen zu einander zu be wahren. — Nun, und wenn dennoch Schwierigkeiten sich ihrem Bund entgegenstellen sollten, dann soll« Anny ihn, den Onkel, benachrichtigen. Er wolle dann selbst mit dem Bruder sprechen und gern für die Liebenden eintreten. Bei sich war der Oberförster keineswegs so sicher, daß „seiner Kinder" Glück ganz so ohne Kampf zu erringen sein werde, er rechnete aber stark mit dem großen Eindrücke, den Fred's un gemein sympathische Persönlichkeit aulzuüben pflegte. Und er traute seinen Schützlingen die Kraft zu, durch Ausdauer und Treue sich allen Hindernissen zum Trotz ihr Lebensglück zu er kämpfen. So kam der Tag des Abschieds für die Gliickvereinten. Fred war es, der zuerst aufbrechen mußte aus dem lieben Heim, das ihm zum ersten Male seit seiner frühesten Kinderzeit eine wirk liche Heimath geboten hatte, in der er ein unermeßliches Lebens gut fand, die Liebe eines edlen Weibes. — Sohnesgefühle waren in seinem Herzen und sprachen aus seinen Augen zu den guten Menschen, die ihm ihr Haus und ihr Herz so liebeweit geöffnet hatten. Seine Abschiedsworte fielen karg und mit leiser Scheu, wie es seine Art war, wenn seine Seele am tiefsten bewegt war. Anny's Augen schimmerten in Thränen. Ein seltsames Brausen und Klingen in ihr schien alle Gedanken übertönen zu wollen, sie hörte nicht, wie die Thür sich leise hinter den beiden Alten schloß. Fest von Fred's Armen umschlungen, schaute sie zum letzten Male auf in seine geliebten Augen. Und wie beim ersten Kusse neigte er sich scheu und leise über ihre Lippen und küßte sie. „Sei tapfer, mein Mädchen, wir sehen uns ja wieder", flüsterte er innig. — Sie nickte nur. „Bald, bald", sagt: er zärtlich. Da hob sie sich ein wenig auf die Zehen, daß sie des Liebsten Antlitz erreichte, nahm es in ihre beiden Hände und bedeckte ihm Augen und Wangen mit zitternden Küssen. Der Mann erbebte bei dieser ersten freiwilligen Liebkosung. — Er hätte sie unlösbar an sich reißen, sie mit sich nehmen mögen, um sie nie wieder von sich zu lassen. Seine ganze Ver nunft mußte er aufbieten, sich diesem elementaren Verlangen zu widersetzen. In innerem Kampfe fuhr seine Hand zerwühlend durch sein lockiges Blondhaar, von seinen Lippen klang wieder nur das eine Wort: „O Du!" — Aber eS sprach sich eine Welt der Liebe und Leidenschaft darin auS. II. Die ersten Tage nach Anny's Heimkehr ins Vaterhaus waren vorüber, vorbei all die frohe Unruhe, die der Wiedereintritt eines lang entbehrten Familienmitgliedes in den Lebenskreis der Seinen mit sich bringt. Anny begann mit Hellen, durch keinen rosigen Gefühlsschimmer mehr geblendeten Augen um sich zu schauen und mußte so manche betrübende Wahrnehmung machen, die ihr Herz bedrückte. WaS war das nur mit ihrem lieben Vater? Hatte ihre Auflehnung gegen ihn doch tiefere Wunden gerissen, als er es sich damals hatte merken lassen wollen? — Er schien seit den kurzen Wochen ihrer Trennung um Jahre gealtert; müder lind nervöser als je ruvor war ffitt Wesen'und^dazwischeN wieder von einer sprunghaften Lustigkeit, die sie früher nicht an jhm bemerkt hatte. Er war fast ängstlich bemüht, ihre leisesten Wünsche zu erfüllen, seine Stimme hatte einen weicheren und stellenweise oft gedrückten Klang, wenn er sich im Gespräche an sie wandte, und dennoch wich er ihren herzlichen Annähe ¬ rungsversuchen in ihr empfindbarer Weise aus. Je sehnsüchtiger sie begehrte, ihr Kindesrecht geltend zu machen und alle Fremd heit zu bannen, die sich unsichtbar aufthürmte zwischen ihres Vaters Herzen und dem ihrigen, um so ängstlicher vermied der Rechtsanwalt jede Möglichkeit einer vertraulichen Aussprache. So ward es Anny völlig unmöglich gemacht, dem Vorsatz der Klugheit untreu zu werden — wie ihr Herz sie trieb — und dem Vater zu bekennen, welche Wendung ihr Leben genommen hatte. Sie beobachtete mit sorgenden Augen sein Verhalten zu seinen Knaben. Die lieben Buben, ganz Frische und Natürlich keit im Verkehr mit der Schwester, waren in des Vaters Gegen wart scheuer und verschlossener als einst. Was konnte denn nur der Grund all dieser seltsamen, kaum sichtbaren und doch so fühlbaren Veränderungen sein? Um sich Klarheit zu verschaffen, befragte Anny die Knaben nach ihrem Leben während ihrer Abwesenheit vom Hause. Die Arglosen wußten ihr keine Aufklärung zu geben. „Es war oft schrecklich langweilig", meinten sie, „Papa hatte so viel Geschäfte, er aß sehr oft außer dem Hause." Sonst war er immer sehr gut zu ihnen, gab ihnen häufig Geld und ließ sie kleine Ausflüge mit anderen Knaben machen, das war lustig! Anny srllt« sich wundern, wie „selbstständig" sie schon geworden wären. „Nur einmal —" die Knaben stockten und sahen einander an. „Nun, was war denn?" forschte Anny. „Papa muß wohl viel Aerger gehabt haben", sagte HanS, „er kam ganz roth im Gesicht nach Hause und sah so — so böse aus. Ernst machte einen dummen Witz und da — Du, Anny, das war schrecklich!" „Was denn, um Gottes willen?" „Geschlagen hat er den Ernst, daß ich dachte, er müßte sterben, und laut nach Hilfe schrie. Da kam die Resi herein und sagte: „Wenn's der gnädige Herr so treibt, da schreib' ich a» Fräulein Anny!" Da hat Papa erst furchtbar gescholten, und dann ist er fortgegangen, — und dann hat er am anderen Tage Ernst einen Pony kaufen wollen. Ernst mochte aber nicht, e» konnte ein paar Tage nicht in die Schule gehen, aber dann war Alles wieder aut, und Papa hat uns nie mehr etwa! gethan." Anny stockte der Herzschlag vor Entsetzen. Während sie ei» höchste« Glück genoß, war hier rin schutzloses Kind, ihr liebe- Brüderchen, in ernster Gefahr gewesen. Und keine Möglichkeit. >zu ergründen, warum? Lag auch Heftigkeit in des'Vater- Charakter, so doch nicht Jähzorn, der sich zum Todtschlag steigern konnte. Eine Ursache mußte vorhanden sein, aber welche? Sie
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