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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.09.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000920021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900092002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900092002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-09
- Tag1900-09-20
- Monat1900-09
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Größere Schriften laut unserem Preis- vcrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Vxtra-Veikugcn (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgeu-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Vei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anreise« sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag vo» E. Polz tu Leipzig Jahrgang. Donnerstag den 20. September 1900. Die Wirren in China. —k>- Zweierlei läßt sich aus dem jüngsten Rundschreiben des Grafe« Bülow entnehmen: einmal, daß man die Kaiserin-Regentin von China nicht direkt, d. h. etwa durch Gefangennahme oder gar Hinrichtung strafen will, zweitens aber, daß man die außer ihr noch an den Missethalen schuldigen hohen Persön lichkeiten zur Verantwortung zu ziehen beabsichtigt. Daß die Kaiserin-Regentin an sich mit die Hauptschuld an den Blutthaten trägt, gebt schon auS der Art hervor, wie sie in dem Jahre vor dem Ausbruche der Unruhen die Regierung führte. So hieß es schon in einem Berichte der „Welt-Correspondenz" vom 22. Februar: „Daß der ultra-reactionäre und selbst mörderische Curs der Regierung auch fernerhin bei bebalten wird, geht aus einem kürzlich erlassenen Ukas bervor, durch den allen mit cer Abbaltung von Staatsprüfungen betrauten Beamten bei Androhung unnachsichtlicher Be strafung anbefohlen wird, nur solche Candidaten be stehen zu lassen, die sich von dem Giste europäischer Lehren freizuhalten wissen." Die Kaiserin-Regentin hatte aber auch schon für den Fall, daß sie die Augen schließen würde, vorgesehen, daß auch der künftige Regent das von ihr begonnene Regime des Fremdenhasses fort setz en sollte. In dieser Hinsicht hieß es bereits in einem Bericht der „Welt-Correspondenz" vom 8. Februar: „Durch die Wahl des Mentors, der dem neuen Thron erben beigegeben worden ist, hat die Kaiserin dafür gesorgt, daß ihm Fremdcnhaß und Abneigung gegen Reformen eingeimpft werden." Schon seit Jahr und Tag hat ferner die Kaiserin - Regentin fremden feindliche Beamte befördert, fremdenfreundliche in Ungnade entlassen. So ist, selbst wenn nicht bis zur Evidenz nach gewiesen werden könnte, daß die Kaiserin die Blutthaten direkt veranlaßt hat, so viel jedenfalls unzweifelhaft, baß sie der intellectuelle Urheber der schaudervollen Vorgänge ist, und daß sie auch mit Sicherheit in Zukunft all ihren Einfluß darauf verwenden würbe, die fremdenfeind» lichen Elemente zu stärken. Will man daher aus allerdings recht naheliegenden Gründen von einer directen Bestrafung der Kaiserin-Tante absehcn, so muß voch in jedemFalle dafür gesorgt werden, daß sie nicht nur nicht wieder zu der von ihr vor den Unruhen inne gehabten regierenden Stellung gelangt, sondern daß sie überhaupt nicht mehr Einfluß auf die an der Negierung befindlichen Persönlichkeiten nehmen darf. Aus diesem Grunde wird man sie dazu zwingen müssen, ihren Wohnsitz außerhalb Chinas zu nehmen. Was die außer der Kaiserin-Regentin an den Unruhen schuldigen leitenden Persönlichkeiten anbelangt, so enthält ein Bericht der „Welt-Correspondenz" vom 9. Juli eine Reihe von Anhaltspuucten. Dieser Bericht rührt von einem Manne her, der seit N/, Jahrzehnten in der chinesischen Hauptstadt lebt und die Machthaber und deren Wirksamkeit genau kennt. Danach sind die Hauptschuldigen: Prinz Tuan, Großsekretär Kang-yi, Großsekretär Hsu-tung, Director des Reichseisenbahn- und Minenamtes Chao-shu-chiao, Li-ping-heng und Aüh-sie n. Selbst verständlich dürften außer diesen Personen noch eine ganze Reihe anderer Persönlichkeiten als Leiter der fremdenfeind lichen Unruhen anzusehen sein, aber wenn man auch eine Reihe der erwähnten Persönlichkeiten festgenommen hat, so ist es keineswegs ausgeschlossen, daß sie ihre Mit schuldigen angeben. Denn Edclmuth und Treue gegen Freunde und Gesinnungsgenossen gehört nicht zu den hervor stechenden Eigenthümlichkeiten des chinesischen Charakters. Daß man nicht aller Führer der Missethäter wird habhaft werden können, liegt auf der Hand. Wenn aber überhaupt nur einige hochgestellte Persönlichkeiten vom Leben zum Tode befördert werden, so wird den übrigen Mandarinen ein heil samer Schreck eingeslößt werden. Bülow's Rundschreiben sinket auch, wie schon kurz hervor gehoben, in der englischen Presse durchweg vollste Zustimmung und entschiedensten Beifall. Die „Times" beglückwünschten Deutschland herzlich, weil eS zuerst die darin angekündigte, einer großen Nation würdige Politik eingeschlagen, und bedauert nur, daß England ge zögert habe, sich die Ehre des Vortritts zur Wahrung der Rechte der Gesittung zu sichern. Im Weitern zweifelt das Blatt nicht, daß die in dem Rundschreiben fest und klar niedergelegte Richtschnur sich allen den Mächten empfehlen werde, die im chinesischen Reiche nur geschäftliche und Missionszwecke verfolgen. Daß der gemachte Vorschlag von der jenigen Macht auSgebe, deren Gesandter wirklich ermordet wurde, während bei den übrigen ter Mord nur geplant war, gebe dem Vorgeben Deutschlands den Charakter des besonders Passenden. Wenn ans irgend welchem Grunde eine oder andere der Handelsmächte Anstand nehmen sollte, Deutschland zu unterstützen, so würden sie nicht nur ihre Ehre, sondern auf die Dauer auch ihre materiellen Interessen schädigen. Deutschland nehme mit Recht eine unbedingt richterliche Haltung ein; es fordere nur eine echte gründliche Untersuchung und Strafe ohne An sehen der Person und des Ranges. Diese Forderung sei ebenso gerecht wie politisch, und es stehe ernstlich zu hoffen, daß sie nickt nur die schnelle und herzliche Unterstützung Englands, sondern auch der übrigen verbündeten Mächte finden werde. Auch „Daily Telegraph" begrüßt den deutschen Vorschlag als einen, der alle Spitzfindigkeiten bei seite schiebe und direkt sich auf die Hauptsache richte, aufs Wärmste und erklärt es als moralisch sicher, daß er die Zu stimmung Englands und der Mehrheit der Mächte erhallen werde. Diejenigen, die Einwendungen erheben sollten, würden entweder überzeugend die Unausführbarkcit darzu- tbun haben oder sich dem Argwöhne auSsctzen, daß sie selbstsüchtige Ziele verfolgten. Glücklicherweise sei Grund zu der Annahme, daß England und Deutschland in vollem Einklänge vorgeben, daß ihre Ziele dieselben und beide nur von dem Wunsche geleitet seien, mög lichst bald in China auf fester sicherer Grundlage eine geregelte Regierung und Ordnung berzustellen. „Standard" äußert sich ebenso entschieden: „Der deutsche Vorschlag ruht auf vernünftiger Beurtkeilung der Lage wie auf gerech er Entrüstung und dem Verlangen nach geziemender .Sühne. Darüber sind Deutschland und England einig; ob andere Mächte eine andere Politik einschlagen, kann die unsrige nicht berühren. Wir mögen bedauern, daß die gesittete Welt ibr Ansehen durch Spaltung schädigt, wir können aber die Einheit dadurch nicht erkaufen, daß wir einer Macht gestatten, allen anderen ihren Willen aufzunötbigen. Unser Weg ist klar: wir werden nicht von Peking weichen, bis Gerechtigkeit ge schehen ist; wenn Rußland anderer Ansicht ist und andere Mächte auf seine Seite bringen kann, werden wir das be dauern, aber nicht von dem uns vorgezeichneten Pfade ab weichen." „Daily Mail" erwartet, daß der deutsche Vorschlag die Unterstützung aller Mächte haben werde, weil er verständig und praktisch sei und die Gefahren vermeide, die aus einer Auftbeilung Chinas hervorgehen müßten. Auch „Morning Post" ist in der Sache durchaus einverstanden, vertieft sich aber in pessimistische Spekulationen für den Fall, daß Deutschland mit seiner Ansicht nicht durchdringe. Sogar die Oppositionsblätter „Daily News" nnd „Daily Chronicle" bekunden ihre Uebereinstimmung, wenn auch mit der üblichen Zurückhaltung und mit gelegentlichen Hin weisen auf Rußland, durch vollständigen Mangel an kritischen Einwendungen. Ein frnuzöfischcS Urthcil. Paris, 19. September. Bei der Besprechung der Circular- Note Les Staatssekretärs Grasen Bülow sagt der „Temps", es sei dies eine energische und weise Sprache. Die Haltung, die Graf Bülow Vorschläge, sei jene, welche Frankreich und Rußland vor zwei Monaten eingenommen hätten. Man könne nur beglück wünschen, Laß Deutschland sich in derselben Weise ausdrücke. — Das „Journal des Töbats" erklärt, die deutsche Note werde zweifel los von allen Mächten günstig ausgenommen werden; es sei um so sicherer, daß die Ideen, von denen die Note sich leiten lasse, die Zustimmung Frankreichs finden, als letzteres sich seit Langem in demselben Sinne in klarster und officiellster Weise geäußert habe. (Wiederholt.) Weitere Meldungen. * Köln, 19. September. Der „Kölnischen Zeitung" wird aus Berlin unter dem 18. d. Mts. gemeldet: Nach einer Meldung aus Shanghai hat der deutsche Generalconsul vr. Knappe die maßgebenden deutschen Geschäftsleute ersucht, ihm ihre Ansichten über die zukünftige Gestaltung der Lage mitzutheilen. Dieses Bersahreu Les Generalconsuls wird dankbare Anerkennung finden. Ein besonderes Gewicht wird der Meinung der Kaufleute über die Art und Weise, wie die Kriegs ko st en aufzubringen seien, beizulegen sein. (Wiederholt.) * Loudon, 20. September. (Telegramm) „Standard" be- richtet aus Shanghai unter dem l8. d. M.: Ein hoher Mandschu- Beamter der Provinz Hunan Namens Hsi-Liang kam am 9. Sep tember mit 8000 Mann Truppen der Provinz Hunan in Ta- lung-fu in der Provinz Schanoi an und theilte der Kaiserin- Wittwe mit, daß noch größere Truppenmassen sich unter wegs befinden. Die Kaiserin gab ihrem Danke Ausdruck für die ihr von den Vicekönigen und Gouverneuren bewiesene Lotwlität. Die „Times" berichten aus Shanghai unter dem 18. d. M.: Admiral Seymour begiebt sich nach Taku. Man glaubt, er werde mit dem englischen Gesandten Macdonald in Tientsin Zusammentreffen. — Einer aus glaubwürdiger chinesischer Quelle entstammenden Meldung aus Nanking zufolge gewinnt dort die fremdenseindliche Partei im Gegensätze zum Vice könig Liu-Kunyi an Einfluß. — Der britische Gesandte in Tokio, Satow, geht an Stelle Macdonald'S nach Peking; Macdonald geht an Stelle Satow's nach Tokio. Oer Krieg in Südafrika. —r>. Unaufhaltsam werden die Boeren von der Ueber- macht der Engländer entlang der Tclagoabah» zurückgedrängt. Einen Platz nach denr anderen gaben sie auf, zuletzt Kaapmuiden, wo sie eine stark befestigte Stellung hielten, und nun soll eö zwischen diesem Orte und Hcktorspruit zu einer Schlacht gekommen sein, über deren Ausgang aber noch nichts Bestimmtes verlautet. Die letzte Station ist Komaati- Poort an der Grenze der Portugal - Colonie. Vor und bei Komaati - Poort liegen Dynamit - Minen in Bereit schaft, um das gleiche ZerslörungSwerk in Scene zu setzen, sobald die Engländer ins dabin vorrücken, und die Stadt selbst ist bereits von der Bevölkerung fast gänzlich verlassen, da daS Heranschasfen der schweren Geschütze der Boeren aus einen besonders hartnäckigen Widerstand schließen läßt. Präsident Steijn befindet sich mit einem Commando von 1500 Mann bei Hektor-Spruit, wo er den eng lischen Vormarsch ans Komati - Poort zum Stillstand bringen will, nm gleichzeitig, wie es heißt, persönlich einen letzten VerzweislungSkampf zu wagen. Lord Roberts wird definitiv am 3. Oktober Prätoria verlassen, um über Capstadt nack England zurückzukehren, wo seine Anwesenheit unbedingt erforderlich ist. um die Wähler des Landes in die der Regierung für die Neuwahlen erwünschte Hurrab- oder Kbaki-Stimmung bringen zu helfen. Nach einer anderen Version wird Roberts durch Natal nach Durban reisen, um bei Colenso mit seiner Gattin und seinen beiden Töchtern das Grab seines einzigen Sohnes aufzusuchen, der dort pen Heldentod aus dem Schlachtfelde fand. Politische Tagesschau. * Leipzig, 20. Se ptember. Als jüngst aus Schillingsfürst berichtet wurde, der Reichskanzler Fürst Hohenlohe werde, kaum von feinen russischen Besitzungen in Berlin wieder angelangt, die Reichs hauptstadt bald wieder verlassen, um in einem süddeutschen Bade Erholung zu suchen, war vorauSzusehen, daß an diese Meldung neue Gerüchte über die ÄmtSmüdigkeit des greisen Staatsmannes sich knüpfen würden. DaS erste dieser Gerüchte wird denn auch heute von der „Deutschen Warte" colportirt, die sich von „wohlunterrichteter" Seile schreiben läßt: „Fürst Hohenlohe ist amtsmüde, aber nicht, weil er sich den Pflichten seiner hohen Stellung nicht mehr gewachsen fühlt, sondern weil die jüngsten Verschiebungen in der Weltlage ihn ver wirren und beunruhigen. In seinen Jahren findet man sich nicht mehr so leicht in Neues hinein. Jin Grunde datirt seine Amtsmüdigkeit bereits seit Lein Tode seiner unvergeßlichen Gattin. Er wollte zurücktreten, aber man ließ ihn nicht gehen, und zwar ans zwei sehr gewichtigen Gründen: Der Fürst stellt ein wichtiges Verbindungsglied zwischen der Reichsregierung und der Linken dar, und er steht auch am Draht, der von Berlin nach Fenilleton. sj Oer neue Tag. Roman von Klara Zahn. Nachdruck verboten. Anny schwieg. Sie wollte nicht lügen, und nur ein hilf loser Blick antwortete den forschenden Augen ihres Vaters. Ja so, dachte dieser, da ist wieder ihre vertrackte ideale An schauung von dem Bruderstreite. Na, einmal wollt' er sich auch nachgiebig zeigen. So konnte er den Bruder zufriedenstellen und seinem Mädel eine besonders günstige Auffassung seiner noblen Gesinnung beibringen. Er sagte daher: „Natürlich wollen wir den jungen Mann aufs Beste aufnehmen. Er scheint ja doch solider zu sein, als sein Bruder mich glauben ließ. Der Oberförster schreibt von seiner bedeutenden Einnahme für eines seiner letzten Bilder und redet von Staatsaufträgen, die er in Aussicht haben sollt Wie alt ist er denn eigentlich?" „So nahe an dreißig Jahre, denke ich", sagte Anny, „oder vielmehr achtundzwanzig Jahre, fällt mir ein", verbesserte sie sich. „So jung? Also fast gleichaltrig mit Dir", warf der Rechts anwalt scheinbar gleichgiltig hin, beobachtete aber scharf Anny's Mienen, die kein Schatten der Kränkung trübte. Er schien be friedigt. „Nun also", sagte er, Abschied nehmend, „sollte der junge Mann schon heut' eintreffen, so behalte ihn nur zu Tisch da." — — Mit welchen Gefühlen ging Anny heute an ihre Toilette! Aber lange hielt sie es doch nicht aus, über die Kleiderfrage nachzudenken, und die Locken erhielten weniger Sorgfalt als sonst wohl, über Allem stand der einzige, wunder bare Gedanke: „Er kommt." — War es denn nur möglich, das Glück! das Glück! — Und endlich — endlich ein scharfer Klingelzug! — So läutet liebende Ungeduld. Und sie durfte ihm nicht entgegen! Sie hörte mit stockendem Herzschlag, wie Resi ihn ausforderte, in den Salon zu treten, sie wolle das gnädige Fräulein rufen. — Und endlich stand sie vor ihm, zitternd, kaum eines Wortes mächtig. — Das war auch überflüssig. Seine Arme hatten sie um schlungen, seine Lippen die ihren gefunden im seligen Kuß. — — Und als der Sturm der Wiedersehensfreude ein wenig sich beschwichtigte, als da« staunende Entzücken des Wiederbesitzes in glückselige Befriedigung überging, da war es das Erste, daß Fred ausrief: „Aber sagen muß ich's, Anny — gleich auf der Stelle, sonst drückt es mir das Herz ab! — Ich kann doch nimmer Deinem Vater grab' in die Augen schauen und neben Dir dahingehen, als ob ich Dir ein Fremder sei! — Na, na — das geht nicht! — Der Onkel hat ja Recht mit seiner Klugheit und seinem guten Rath zur Vorsicht, aber weißt, Liebling, ich mein' halt, in solchem Fall, wie wir sind, muß man auf gar nichts hören, als auf die Forderung des eigenen Herzens, — gelt?" „Du Stürmer, Du Lieber", lachte Anny zärtlich, „aber an schauen mußt Du Dich doch wenigstens erst lasten, eh' Du zu einem Vater gehst und ihn um die Hand der Tochter bittest! Laß' nur Papa ein klein wenig Zeit, Dich lieb zu gewinnen, das mußt Du schon über Dich gewinnen, damit unserer Liebe nicht Gefahr droht", fügte sie mit verhaltener Angst hinzu. „Und überdies, Fremdheit brauchen wir nicht zu heucheln, das wäre arg, nur nicht gleich verrathen, wie's um unsere Herzen steht!" meinte sie. „Na, weißt, das wird mir schon schwer genug — Du, Du! Wie hab' ich Dich entbehrt!" „Du auch?" flüsterte sie. „Weißt Du, ich hab' es tausend Mal bereut, daß ich nur eine Stunde von Dir ging. Arbeiten könnt' ich so nicht recht. Das heißt, mein Bild ist bald vollendet. Das wird etwas! Das wird groß und stark, wie unsere Liebe." „Du kamst zu mir und ließest es unvollendet?" Anny fragte es mit bebender Seligkeit. Der Gedanke, daß sie ihm noch höher stehen könne, als seine Kunst, berauschte sie. „Ja, Lieb, ich kam zu Dir", sagte er einfach, voller Hin gabe in Blick und Ton. „Weißt, es ist auch bester so", fuhr er fort, die eigene Rührung über der Geliebten Dankesblick ver bergend, „man gewinnt für die letzte Hand am Werke einen besseren Ueberblick, wenn man es eine Zeit lang ganz bei Seite stellt. — Hier ist es fertig", lachte er, auf seine Stirn weisend, „und das ist die Hauptsache!" „So trägst Du Deinen ganzen Reichthum mit Dir herum!" neckte Anny. „Ja, wirklich, und schwer ist der nicht. Aber weißt, hübsch habt Ihr es hier, sehr hübsch! — Weißt Du auch, daß ich ein Bild verkauft habe zu gutem Preise und jetzt Rentier bin?" „An wen denn?" fragte Anny, die nicht recht wußte, ob sie ihre Kenntniß durch den Onkel verrathen durfte. „Weiß selbst nicht", sagte er gleichgiltig, „eigentlich war's ein Schmarren, ein Versuch aus einer Entwickelungsperiode meines Talents. Na, es findet eben Manches seinen Liebhaber, und am Ende, schlechter war's auch nicht, als tausend andere Bilder, die für sehr viel Geld erstanden werden." Anny kam eine leise Ahnung, als müsse der Onkel seine Hand bei diesem Ankauf im Spiele haben. Sie sagte natürlich nichts davon. — Wie rasch verging die Stunde des Alleinseins! Dann stürmten die Knaben herein, die aus der Schule ge kommen waren, und schlossen ihre Bekanntschaft mit Fred. Be kanntschaft! Schon nach kurzer Zeit saßen dir Drei bei ein ander. Fred hatte seine Arme fest um die Buben geschlungen, als wären sie sein liebes Eigenthum. „Es sind ja Deine Brüder", sagten seine Augen der Ge liebten. Ach Gott, diese blitzenden, glücktrunkenen Augen, sie plau derten ja Alles aus, was der Mund verschweigen wollte! Anny sah es mit heimlichem Jubel und heimlichem Bangen. Ihr Herz schlug zum Zerspringen, als endlich des Vaters Schritt sich dem Zimmer näherte und der Augenblick der ersten Be gegnung da war. Mit freundlichem Gruße reichte Folgers dem Besuch die Hand, er mußte ein wenig aufschauen, um in Fred's Züge zu blicken, die er mit scharfem Auge musterte. „Welch' ein kind licher Mensch!" das war dec erste, ihn befriedigende Eindruck, den er empfing. — Fred war ein wenig befangen, aber seine natürliche Treuherzigkeit durchbrach bald die mühsam beherrschte Form seiner Rede. Er durfte ja von Onkel Folgers erzählen, vom Oberförsterhause und all' der unvergeßlich schönen Zeit, die er dort verlebt. — Man hatte sich längst zu Tisch gesetzt. Der Rechtsanwalt war der liebenswürdigste Gastgeber, aber ec beobachtete Alles, und seine scheinbar so harmlos hingeworfenen Fragen hatten einen ganz bestimmten Zweck. So wußte er binnen einer Stunde genau Bescheid um Fred's Lebens stellung, um all' seine Hoffnungen und all' seine bisher noch fehlenden Erfolge. Fred war rückhaltlos ehrlich und beschönigte oder verbarg auch nicht das Mindeste, was den Leuten, die nur nach der baaren Anerkennung Verdienste abschätzen, als trost lose Unfähigkeit erscheinen mußte. So nebenher fragte Folgers auch nach dem in Aussicht stehenden Staatsauftrage. „Ach, gehen's", lachte Fred, „das ist ein Scherz vom Onkel Oberförster. Das giebi's doch nicht, ehe man nicht seine kleine „Goldene" zum Mindesten in der Tasche hat. Ich hab' was angefangen für eine Preisconcurrenz, aber Aussichten mach' ich mir davon nicht. Da ist so viel Glück und Zufall im Spiele bei der Vertheilung der Preise, — wenn nicht noch Anderes. Ich mach's halt einmal mit. Aber auf mein Bild, das ich im Früh jahr nach Wien sende, darauf rechne ich, das soll mir über den Berg helfen, und das wird's auch, ich war meiner Sach' noch nie so gewiß." „Nun ja, den Muth mögen Sie nöthia haben", sagt« Folgers mit unmerklichem, skeptischem Lächeln. Fred nahm es für völligen Ernst und sagte eifrig: „Mehr als Alles brauchen wir Künstler den Muth. — So schwer war wohl zu keiner Zeit der Kampf, den man für seine Kunst durch- zufechtcn hat. Es ist kein hoher, gemeinsamer Zug in dem künstlerischen Streben der Gegenwart, der den Einzelnen mit fortreißt zu immer höheren Zielen. Anfeindungen in der zer splitterten Zahl der verschiedenen „Richtungen" und, was schlimmer ist, grenzenlose Gleichgiltigkeit von Seiten des ge jammten Volkes, macht den ernsthaft strebenden Künstler fast zum Märtyrer, wenn er nicht einen Geldsack hinter sich hat." „Ja, warum ergreift man denn nicht einen anderen Beruf?" fragte Folgers lakonucy und mit wirklicher Naivetät. „Einen anderen Beruf?" fragte Fred ganz fassungslos. „Ja, wie meinen dasHerrRechtsanwalt? Es liegt ja schon in dem Worte „Beruf", daß man das nicht wählen kann, sondern von einer höheren inneren Macht „berufen", d. h. gezwungen ist!" „Ganz recht, ich meine auch nicht, daß Sie Schneider oder Schlosser werden könnten, seine Anlagen muß der Mensch richtig ausnützen. Heute bietet aber gerade das Kunsthandwerk jeder Beanlagung die Hand zu nutzbringender Thätigkeit. — Wozu Bilder malen, die das Volk nicht begehrt und die es also weder fördern, noch befriedigen können, und dabei verhungern, während zum Beispiel ein geschickter Tapetenzcichner für eine minimale Leistung große Summen verdient?" „Darauf kommt es aber gar nicht an, was man verdient", rief Fred eifrig. „Die Kunst ist um ihrer selbst willen da, und der ihr dienen darf, ist ein Auserwählter. Der rechte Künstler schafft doch auch nicht nur für seine Zeit, über die hinaus sollen seine Werke dauern, giltig und werthvoll noch für ferne Ge schlechter, die wieder sehen und fühlen gelernt haben mit der Kunst. — Ich frag' auch den Kuckuck danach, ob ich arm oder reich dabei werde, nur halt leben will man können, um schaffen zu können/ „Und wenn seine Kunst den Künstler auch nicht mehr das Leben fristen läßt?" „Nun, dann stirbt er eben für seine Kunst. Das ist nicht an ders, wie der Soldat im Felde. Auch er kann Ruhm und Ehren ernten, oder von der feindlichen Kugel zerschmettert werden, das liegt nicht in seiner Hand, aber der Gedanke an Fahnenflucht kommt sicher keinem ehrlichen Soldaten in den Sinn." „Die Sache liegt doch wohl etwas anders", meinte der Rechts anwalt. „Der Soldat weiß, wofür er kämpft, und findet in allen Fällen Lohn und Befriedigung; und stirbt er für sein Vaterland, so bat er einem großen Ziele gedient und ist des Dankes seiner Nation würdig." „Freilich. Nur hat die Kunst höhere Ziele, als der Streit der Nationen. Nur sind die Sieger in der Kunst größere Herren, als alle Kämpfer der Welt sie aufzuweisen haben. Und zu
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