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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.09.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190009230
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19000923
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19000923
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-09
- Tag1900-09-23
- Monat1900-09
- Jahr1900
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.09.1900
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Anzeigen-PretS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. gleclamen unter dem Redactionsstrich (4ad- spalten) 50^, vor den Familiennachrichie» (6 gespalten) 404- Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernlatz nach höherem Tarir. Srtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. —»o»e>— Ännahmelchluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morge n-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen »nd Annahmestellen je eia» halbe Stunde früher. Anzeiger» sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig "185. Sonntag den 23. September 1900. 94. Jahrgang. Ranftsche Gasse 6 Herr Krierlr. Ziselier, Colonicllwaarenhcmdluncf, Ranstädter Steinweg 1 Herr 0. Knxeliuann, Colonialwaarenhandlung, Schützenstra^e 5 Herr 6u1. 86liüillii Iwn, Colonialwaarenhandlung, Westplatz 3Ä Herr ü. Olttrioli, Cigarrenhandlung, Aorkstratze 32 (Ecke Berliner Straße) Herr K. ^V. Liotr, Colonialwaarenhandlung, Zeitzer Straße 35 Herr V. Küster, Cigarrenhandlung, in Plagwitz Herr 0. 6rüt2iimim, Zschochersche Straße 7 a, - Reudnitz Herr Marschallstraße 1, « - Herr 0. 8eümiüt, Kohlgartenstraße 67, - - Herr Lernli. Hetzer, Ärützengeschäst, Gabelsbergerstraße 11, -> Thonberg Herr K. üüntseü, Reitzenhainer Straße 58, - Volkmarsdorf Herr VeorK Alemann. Conradstr. 55 (Ecke Elisabethstr.). die Filialen: Katharinen sowie nachfolgende Ausgabestellen: Arndtstraße 35 Herr L. 0. Kittel, Colonialwaarenhandlung, Beethovenstrasze 1 Herr ^lteod. Keter, Colonialwaarenhandlung, Brühl 53 t). K. 86Üul)6rt'8 XaeUfolKvr, Colonialwaarenhandlung, Frankfurter Straße (Thomasiusstr.-Ecke) Herr Otto Llautsedktz,Colonialwaarenhandlung, Löhrstraße 15 Herr Muarü Uet/er, Colonialwaarenhandlung, Nürnberger Straße 45 Herr LI. L. ^.Idreeüt, Colonialwaarenhandlung, in Slnger-Grottendors Herr Ködert (»reiner, Zweinaundorser Straße 18, - Connewitz Frau Kisvüer, Hermannstraße 23, - Eutritzsch Herr Ködert Bitner, Buchhandlung, Delitzscher Straße 5, - Gohlis Herr Ködert 41tner, Buchhandlung, Lindenthaler Straße 5, - Lindenan Herr 4ldert Kinüner, Wettiner Str. 51, Ecke Waldstr., Buchbinderei, - Neustadt Herr Knut Luek, 4nnoneen-Lxpeüition, Eisenbalmstraße 1, Im Interesse rechtzeitiger und vollständiger Lieferung des Leipziger Tageblattes wollen die geehrten Leser die Bestellung für das IV. Vierteljahr 1900 baldgefälligst veranlassen. Der Bezugspreis beträgt wie bisher vierteljährlich für Leipzig 4 50 mit Bringerlohn für zweimaliges tägliches Zutragen S 50 durch die Post bezogen für das Deutsche Reich und Oesterreich-Ungarn 6 In Leipzig nehmen Bestellungen entgegen sämmtliche Zeitungsspediteure, die Hauptexpedition: Johannisgasse 8, die Filialen: Katharinenstratze 14, Königsplatz V und Universitätsstratze 3, Aus der Woche. Woche um Woche verrinnt, ohne daß die auffällig berauf- besckworene Frage der Räumung Pekings aus der Welt ge schafft wurde. Sckon aus diesem Gruude kann man nicht sagen, die letzte Note des Grafen von Bülow sei ver früht. Es wäre Zeitverlust gewesen, mit dem zweiten nolh- wendigen Schritte zu warten, bis ein sehr unnöthig herbei geführter Zwischenfall erledigt war. Zudem: was Graf Bülow will, ist jedenfalls leichter zu erreichen, wenn in der chinesischen Haupistadt eine achtunggebietend« Truppenmacht siebt, als wenn eine solche einmal da gewesen ist. Möglich freilich, daß nicht alle Mächte eine angemessene Sühne des Geschehenen anstreben und für irgend welche Vortheile einen Gesandtenmord und Hunderte von gemeuchelten Europäern nicht ungern in den Kauf nebmen. Dieser Stand punkt würde und könnte derjenige Deutschlands auck dann nicht sein, wenn — was übrigens einem reinen Zufall zuzu schreiben — der erschlagene Gesandte nicht der seinize ge wesen wäre. Das Rundschreiben des Staatssekretärs des Auswärtigen hat in Deutschland einen ausgezeichneten Ein druck gemacht. Einerseits wegen der Entschiedenheit, mit der er die Unumgänglichkeit einer Bestrafung von Anstiftern der chinesischen Wirren und Unthaten darthut, andererseits wegen der Mäßigung im Verlangen, dessen er sich befleißigt. Wegen dieses letzteren Vorzugs wird der Schritt des deutschen Aus wärtigen Amtes einen praktischen Werth behalten, auch wenn er die diplomatische Action nickt beschleunigen sollte. Er zeigt, daß keine maßgebende Stelle in Deutschland durch eine wärmer gefärbte, bilderreichere Sprache, als sie Bülow'S Note führt, sich in der Richtung exorbitanter Nacheforderung festlegen wollte. Wie vorauSzusehen war: der Lärm über die „beschämende" Inanspruchnahme des amerikanischen Geldmarktes — ob durch die deutsche Regierung oder die Berliner DiS- contogesellschaft, ist in diesem Falle ziemlich einerlei — ver hallt rasch wieder. Wie sich jetzt herausstellt, verdankt er sein Entstehen dem Aerger gewisser Börscngruppen, deren „Dupe" — Tank dem blindwüthigen Haß gegen den Reichs bankpräsidenten — etliche sonst sehr börscnfeindliche Agrarier gewesen sind. Der Verdruß unbetheiligt gebliebener heimi scher Finanzmänncr besitzt die Bedeutung einer Bestätigung der Richtigkeit der Auffassung, daß die Negierung, wenn sie gewollt hätte, die benöthigten 80 Millionen Mark und einen viel größeren Betrag in Deutschland hätte erlangen können; die verratbene Gemülhöbcwegung einiger Bankiers und Banken beweist aber noch lapge nicht, daß man gut gethan hätte, dem zur Zeit stark belasteten deutschen Markte eine weitere große Leistung zuznmntben. Freilich, wenn man der „Franks. Ztg." Glauben schenken dürfte, wäre die, wie das Blatt anerkennt, den Verhältnissen angemessene Rücksichtnahme auf den augenblicklichen Zustand der deutschen VoikSwirth- schaft ausschließlich durch das — Börsengesctz nothwendig oder wenigstens wünschenswertb gemacht worden. Es ist überhaupt Mode geworden, alles Uebel diesem Gesetze in die Schube zu schieben, natürlich auch die Geldverluste des jenigen Speculanten, der, von seiner Berliner Bank zur Ab wickelung überspannter Transactionen gemahnt, zurücktele- graphirte: „Halten Sie mich nicht in meinem Siegesläufe aus!" Die Mode wird vorübergehen. Während einer Börsen- krisiS, und wir haben eine solche, wird immer nach Sünden böcken gesucht. Früher waren gewöhnlich die Bank- und HaudelS- kreise die Angeklagten, die dann niemals verfehlten, den vom Katzenjammer Heimgesuchten die eigene Völlerei als Ursache des Unbehagens zu bezeichnen. Consequent ist eS nicht und wahr scheinlich auch nicht klug, wenn jetzt dieselben Kreise sich als Ankläger aufspielen. DaS Börsengesctz ist nicht vollkommen und kann vielleicht in dem einen oder dem anderen Puncte verbessert werden; aber e» dürfte nicht gelingen, die üble Lage der Börse als Sturmbock gegen das Ganze erfolgreich zu verwenden, um so weniger, als gerade die Börsenkreise be haupten, die gegenwärtige Krisis sei im AuSlande entstanden und dann nach Deutschland verschleppt worden. Wäre dies richtig, so wäre auch von dieser Seite der Beweis erbracht, daß Börsengesetz und Krisis nicht im ursächlichen Zusammen hänge stehen. Denn in keinem Lande besteht ein mit dem deutschen identisches Börsengesetz. Der „Goetbebund", der nicht hätte entstehen sollen, jeden falls »ur Hinwegräumung der lex Heinze nicht hätte entstehen muffen, hat Professor Mommsen Anlaß zu sehr barten Urtbeilen über Mangel an Bürgersinn und politischer Selbst bestimmung im deutschen Volke gegeben. Es ist daS ein sehr „weitschichtiges" Capitel. Schroffen Widerspruch hat der Ge lehrte im Allgemeinen wohl nicht zu befürchten, wobl aber dürfte ihm an mehr als einer Stelle gesagt werden, daß er sich in parteipolitischen Traditionen und Vorurtheilen bewegt, wenn er „Militarismus" und „Bismärckerei" für das verantwortlich macht, waS ihm nickt gefällt. DaS deutsche Bürgerthum, daS eS politisch mit Mommsen hielt, hat sich im Gegenkbeil gerade im unklugen Kampfe gegen notb- wendige Maßnahmen der tzandeSvertbeidigung die Kröne anfgerieben, die eS jetzt gegen autokratilche Erlasse >/-d bureaukratische Uebergriffe sehr gut gebrauchen könnte. Den Ausbau der allgemeinen Wehrpflicht „Militarismus" zu schelten, ist ebenso Geschmackssache wie der Gebrauch des Ausdrucks „ViSmärckerei". Herr Professor Mommsen hat den ersten Kanzler nie geliebt, das Wort soll also wobl etwas recht Unfreundliches bedeuten; WaS aber, wissen wir und weiß selbst ein freisinniges Blatt nicht zu sagen. Mag aber der Sinn welcher immer sein: der Ber liner Freisinn, der nicht gratulirende, war und ist jedenfalls keiner Bismärckerei verfallen. Ist aber Herr Mommsen mit dem von diesem Elemente gezeigten Grade von Bürgersinn zu frieden? Der Gelehrte nimmt zum AuSgangSpuncte seiner Strafrede den Verzicht deS GoethebundcS auf Proteste wider Theatercensurverbote, die sich, wie wir schon erwähnt, neuer dings in Berlin gehäuft. Um diesen Vorwurf eines Ver säumnisses nähren zu können, müßte man die beanstandeten Stücke und Stellen kennen. Die Namen der Autoren — eS be finden sich darunter die Herren Blumenthal und Kadelburg — lassen eS gerade nicht sehr wahrscheinlich erscheinen, daß hier der Goethebuud den Dienst im Tempel der Göttin der Kunst vernachlässigt hat. Grundsätzlicher Widerspruch gegen das Bestehen einer Theatercensur überhaupt ist in Deutschland stets nur von radicaler Seite erhoben worden und hier meist nicht sehr ernsthaft. Die lei Heinze ist auch von sehr liberaler Seite mit billigenden Hinweisen auf daS Bestehen einer solchen Controle bekämpft worden. Der socialdemokratische Parteitag, der in Mainz abgehalten wurde, findet wenig Beachtung in der bürgerlichen Presse, aber immer noch mehr als er verdient. Mil einer einzigen Ausnahme boten die Verhandlungen kein Interesse. Der „Sturm" auf die Weltpolitik, die Expedition nach China rc. war schon lan^e angeblasen, ohne etwas Anderes cinzureißen als Kartenhäuser. Die Agitation der Social demokratie gegen eine besonnene überseeische Politik, daS zeigte die Stimmung der Arbeiterwelt nach der Flotten bewegung, ist ungefährlich. Di« Verhandlungen über die Tbeilnahme an den preußischen Landtagswahlen, die be schlossen wurde, aber selten praktische Bedeutung ge winnen wird, und die über Kräftigung des Dictatur- SystemS in der Partei, sowie über Neuorganisation des „HinauSfliegrnS" „gehen" unS wirklich „nichts an". Be achtenswerth waren ausschließlich die Handels- und ver- kehrSpolitischen Meinungsverschiedenheiten, die, und zwar schon recht ausgewachsen, zu Tage traten und die einmal dahin führen können, daß die Socialdemokratie sich daS Heidelberger Programm der Nationallibcralen leihweise auS- bittet. „Wir stimmen natürlich alle gegen Getreide zölle". Natürlich, aber eS will doch sehr viel sagen, wenn der Referent eines socialdemokratischen Parteitages, nicht ein gewöhnlicher Delegirter, den Werth der Meistbegünsti gung für sehr zweifelhaft halt und die Möglichkeit und Zulässigkeit eines „kleinen Zollkrieges" mit Amerika sehr ernsthaft diScutirt. Herr v. Vollmar, daS konnten seine geschickten dialektischen Kunstgriffe nicht verschleiern, ist solchen Ketzereien durchaus nicht avholt und er hat im Süden wie im Norden Anhänger. Es ist merkwürdig: in dem Augen blicke, wo die bürgerlichen Freihändler, unterstützt von dem Müncher Professor Lotz, der sich seinerseits die eigene Autorität von der der „Woche" firmiren läßt, wegen eines bischen Kohlennoth die Schutzzollpolitik in allen Fugen krachen hören, in demselben Augenblicke wird ans einem socialvemo- kratischen Parteitage Verwahrung dagegen eingelegt, daß der Arbeiter nur als Verbraucher anzusehen sei, als der NichtSalS- verbraucher, der nach Professor Lotz und den Berliner FreibandelSblättern bereit« im Begriffe steht, den über- müthig gewordenen Produceaten den GarauS zu machen. Die Dcctrinäre in der socialdemokratischen Partei sind für da« Neue noch nicht gewonnen. Zwischen Bebel und Vollmar that sich in Mainz eine breite handels politische Kluft auf. Die gleiche Gegensätzlichkeit machte sich in Fragen der Verkehrspolitik geltend. Nur daß hier Herr von Vollmar das Alte ver trat und Bebel die Zukunftsmusik machte. Der bayerische Socialist freilich war in der Verkehrsfrage ganz Politiker, purer Particularist, und mit Bebel's von der Mehrheit der Versammlung getheilten Wunsche nach Ueber- nabme der Eisenbahnen auf das Reick bat eS gute Wege, unsympathischer als die Preußenhetzerei Vollmar's ist es aber jedenfalls auch für den nicht, der in Eisenbahnsachen an Preußen sehr viel auszusetzen hat, also z. B. für einen sächsischen nationalen Politiker. / Die bevorstehenden Parlamentswahlen in England. LS Etwa zu gleicher Zeit werden in den beiden „angelsächsischen Schwesternationen", in Großbritannien und den Vereinigten Staaten, Wahlen stattfinden, die für eine längere Zeit für die innere Politik und in gewisser Weise auch für die auswärtige Politik von entscheidender Bedeutung sein werden. In den beiden letzten Jahrzehnten zeigt sich bei den Wahlen in den beiden Staaten eine merkwürdige correspondirende Er scheinung: ein regelmäßiger Wechsel der concurrirenden Parteien in der Herrschaft. In Amerika wechseln unausgesetzt republi kanische und demokratische Präsidenten ab, in England siegte im Jahre 1880 die liberale Partei, 1886 die conservative, 1892 wieder die liberale, 1895 wieder die conservative. Ginge es nach diesem Schema weiter, so müßte bei den bevorstehenden Wahlen in Amerika die demokratische Partei siezen, in England die liberale Partei. Aller Wahrscheinlichkeit nach aber werden auch diesmal beide Länder wiederum correspondiren, und zwar darin, daß diesmal die gegenwärtig herrschenden Parteien, in Amerika also die republikanische, in England die conservative, am Ruder bleiben werden. Bloibt in beiden Ländern äußerlich Alles beim Alten, so ist auch der innere Grund für diese Stabilität ein und derselbe; in den Vereinigten Staaten sowohl, wie in England trägt in erster Reihe das gewaltige Anschwellen des imperiali stischen Gedankens zu dem Siege bei. In England hat man auch gar kein Hehl daraus gemacht, daß man die imperialistische Strömung als Hebel für die Wahlbewegung benützen will. Denn indem die Auflösung des gegenwärtigen Parlaments gerade in dem Augenblicke erfolgt ist, in welchem durch die Abreise Krüger's aus dem Transvaal der südafrikanische Krieg im Wesentlichen als beendet erscheint, zeigt die Regierung, daß sie den erfolg reichen AuSgang des Krieges zur Stimmungsmache für die Wahlen benutzen will. >Und es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß die Re gierung sich bei dieser Speculation nicht täuschen wird. Gewiß kann die liberale Partei gerade in Bezug auf den Krieg eine ganze Reihe von Vorwürfen gegen die Regierung erheben; und sie wird natürlich nicht ermangeln, diese Vorwürfe auch im Wahlkampfe zu benutzen. Es wird daran erinnert werden, daß, obgleich die Regierung auf den Krieg mit den südafrikanischen Republiken hinstllrmte, sie nichts dazu gethan hatte, um den Krieg in umfassender Weise vorzubereiten; es wird weiter daran er innert werden, daß in Folge dieser mangelnden Vorbereitungen die Engländer in den ersten Monaten deS Krieges Schlappen erlitten haben, ine für ein« im Kampfe mit zwei Zwergstaaten befindlich« Großmacht ersten Ranges sehr beschämend waren; eS wird auch daran erinnert werden, daß selbst zu der Zeit, wo der bedeutend« Umfang deS Kriege? richtig erkannt wurde, die Vorkehrungen für daS Sanitätswesen so jammervoll waren, wie eS «ine» angeblich an der Spitze der kulturellen Entwickelung marschirenden Staates sicherlich nicht würdig war. An all' dies und noch manches Andere, waS auf das negative Conto der Regierung zu setz«n ist, wird erinnert werden — aber es wird nichts nützen. Die große Masse — und darauf kommt es ja bei allgemeinen Wahlen viel mehr an, als auf das Urtheil der oberen Zehntausend des Geistes — hält sich an die Schlußziffer einer Rechnung. Der Enderfolg, die Nieder werfung der beiden Republiken, ist erreicht, und ob er unter geringeren Opfern und in glänzenderer Weise hätte erreicht werden können, darauf legt die leicht vergeßliche große Maste keinen Werth. Wer denkt in England an die Schlappen von Colenso und MagerSfontein? Man denkt eben nur noch an die Gefangennahme Cronje'S, an die Entsetzung von Ladysmith uud Mafeking, an den Einzug in Bloemfontein und Pretoria und endlich an die Flucht Krüger's aus seiner Heimath. So bürgt also der Ausgang deS Krieges für einen glänzenden Sieg der Regierung. Sollte man einen anderen Ausgang der Wahlen herbeiwünschen? Man wird da unwillkürlich an ein Gedicht erinnert, das der „Kladderadatsch" am Beginn des spanisch-amerikanischen Krieges brachte und dessen Inhalt etwa war, daß weder dem Spanier, noch dem Amerikaner der Sieg zu gönnen sei. Daß wir Herrn Chamberlain den Triumph, den er bei den Wahlen zweifellos davontragen wird, nicht gönnen, darüber brauchen wir kein Wort zu verlieren. Aber verdient denn etwa die liberale Partei den Sieg? Sie hat sich in diesem Kriege von Anfang bis zu Ende jämmerlich benommen. Ein Vierteljahr vor dem Ausbruche des Krieges wäre «s vielleicht noch denkbar gewesen, eine starke Volksbewegung gegen den Krieg hervorzurufen. Dazu war man aber entweder zu feige oder zu lau. Die Stimmen der Wenigen, die Muth hatten, ver hallten, wie die des Predigers in der Wüste. Auch während der Pavlamentssession im vorigen Winter waren die Angriffe gegen die Regierung sehr schwächlicher Natur, und was der eine liberale Redner etwa zu sagen wagte, nahm der andere wieder zurück. Ueberhaupt läßt sich nicht verkennen, daß der Krieg die Spaltung in der liberalen Partei noch verschärft hat. Während die Conservativen und die Unionisten geschloffen in den Kampf ziehen, liegen sich die Liberalen in den Haaren. Auch dieser Zwist im liberalen Lager spricht dafür, daß die Niederlage der liberalen Partei eine zerschmetternde sein wird. Die Iren sind wohl der einzige Theil der Opposition, der un geschwächt aus dem Wahlkampfe hervorgehen dürfte. Sie werden voraussichtlich ihre 80 Mandate behalten. Die Liberalen aber, die bei den Wahlen von 1895 gegenüber denen von 1892 nahezu 100 Mandate verloren hatten.werden diesmal vielleicht noch weitere 60 bis 70 Mandate einbüßen und damit zu einer Be deutungslosigkeit herabsinken, zu der die Conservativen als Oppositionspartei niemals verurtheilt gewesen sind, Die Wirren in China. Russland und die Kaiserin-Wtttwe. Die osficiöse Wiener „Pol. Corr." schreibt: Eine unS aus Paris zugebcnde Mitteilung vertritt neuerdings die Auf fassung, daß die Kaiserin-Regentin von Cbina, Tsu- Hsi, ihre hervorragende Mitschuld an dem Geschehenen mit dem Verluste ihrer Stellung büßen dürfte, und weist aber mals darauf hin, daß man in dortigen politischen Kreisen annebmen zu können glaube, „Rußland werde die Kaiserin dem gereckten Zorne Deutschlands preis geben." Von russischer Seite haben wir über diesen Gegenstand folgende Andeutungen erhalten: ES scheine, daß man die Stellung Rußlands zu diesem Puncte der chinesischen Frage, wie dies schon mehrfach g-sck hen, unter einem schiefen Gesichtswinkel betrachte. Das Bediirsuiß, an die russische Negie rung einen besonderen Appell wegen der Kaiserin zu richten, ent springe offenbar der Meinung, daß das Petersburger Cabinet eine treue Neigung für Tsu-Hsi Kege und, möge sie wie viel immer gesündigt haben, geneigt wäre, seine schützende Hand über sie zu halten. Damit mulhe man aber den russischen Staatslenkern ungeachtet ihrer in der chinesischen Angelegen heit durchaus bewiesenen realpolitiscken Denkungsart einen kleinlichen Maßstab zu. Es sei daher nochmals zu be tonen, daß man in Petersburg, frei von jedem Interesse für irgend ein persönliches Moment, auch die Frage der Behandlung der Kaiserin ausschließlich nach den Erforder nissen der Zweckmäßigkeit und Möglichkeit beurtbeilen wird. Worauf eS Rußland ankomme, das sei die Verhütung deS Experiments, den Chinesen strafweise ein Oberhaupt von anderer Mächte Gnaden aufzu zwingen. An einen solchen Versuch könne überhaupt keine Regierung denken, die nickt Cbina zu einem perenniren den Gährungsherd zu macken, sondern eine Consoli- dirung der Zustände in diesem Reiche zu bewirken wünscht. Dies sei die einzige Richtschnur Rußlands, und sollte sich die Fernbaltung der Kaiserin von jedem Antheil an der Staats gewalt als opportun, sowie ein Dauer versprechender Re gierungswechsel als erreichbar erweisen, so werden die Ent schlüsse der russischen Regierung nicht im Geringsten durch irgendwelche Rücksichten auf die Person Tsu-Hsi's beeinflußt werden.
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