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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.10.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001003027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900100302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900100302
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- LDP: Zeitungen
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- Parlamentsperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Reklamen unter dem RedactionSstrich (4g» spalten) bO^j, vor den Familiennachrichte» - (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesörderuu» 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Iinnahmeschlnß für Anzeigen: Abrnd'AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen j» ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an di« Vrpetzitto» z» richten. Druck aud vertag von E. Polz in Leipzig 91. Jahrgang. Die Wirren in China. —L>. Der Rath zu den Maßregeln, welche die angeblich friedliche Stimmung des chincfischcn Hofes und sein Entgegenkommen beweisen soll, geht von Li-Hung- Tschang aus. Der beste Diplomat Chinas zeigt, daß er den Augenblick zu nützen versteht, indem er gerade jetzt die chinesi schen Machthaber in „günstigstem" Lichte auftreten läßt und jenen Mächten, welche den officiellen Krieg mit China zu vermeiden wünschen, eine, wenn auch nur scheinbare, Rechtfertigung ihres Verhaltens gegen den deutschen Vorschlag in die Hand spielt. Aber daß sich Deutschland damit zufrieden geben wird, wenn ein chinesischer Würdenträger in Peking und der chinesische Ge sandte in Berlin dem Andenken Ketteler's Todtenopfer bringen, ist nach der Antwort des Kaisers ausgeschlossen, und auch die übrigen Mächte werden nicht umhin können, ihr zuzustimmen. Tas Antworttclcgramm Kaiser Wilhelm s bewegt sich vollständig in den Bahnen, die auch in den vorher gehenden Kundgebungen des deutschen Reiches befolgt worden sind. Es ist von größter Entschiedenheit in der Frage der Sühne, maßvoll aber in der geforderten Ausdehnung der Strafe. „Es lag auf der Hand", schreibt die „Köln. Ztg.", „daß das vom Kaiser von China ausgesprochene Bedauern in Verbindung mit ceremonieller Ehrung der Opfer niemals als ein Aequivalent für die Schandthaten betrachtet werden konnte, die in China be gangen worden sind. Dies hat der Kaiser wieder auf das Ein dringlichste ausgesprochen, und wenn seine Worte von höchster Deutlichkeit waren und Schandthaten als das bezeichneten, was sie sind, nämlich als Schandthaten, so begrüßen wir diese rück haltlose Offenheit als das einzige vielleicht noch wirk same Mittel, um die Chinesen zu einer richtigen Erfassung der Lage zu bringen, die sie sich selbst geschaffen haben. Die kaiser liche Deepsche weist zutreffend darauf hin, daß nur durch eine wirkliche und ausreichende Sühne die Wiederkehr solcher Er eignisse unmöglich gemacht und den Ausländern Sicherheit der Person, der Habe und des Glaubens gewährleistet werden könne. Wenn wir sagten, daß die Depesche des Kaisers sich auch durch Maßhalten auszeichne, so tritt dies in erster Linie dadurch hervor, daß der Kaiser von vornherein darauf verzichtet, den Kaiser von China für das Geschehene verantwortlich zu machen, sondern daß er ganz im Sinne der Bülow'schen Note sich an die Rathgeber hält, die die Verbrechen herbeigeführt haben. Auch in Bezug auf die V e r h a n d l u n g e n zeigt der Kaiser dasselbe Entgegenkommen, indem er dem Herrscher Chinas volle Sicherheit verbürgt und alle seinem Rang entsprechenden Ehrungen, wenn er nach Peking zurllckkehren und dort die Ver bandlungen mit den Vertretern der Mächte' aufnchmen will. Indem der Kaiser die Rückkehr nach Peking anregi, hat er ein praktisches Mittel gezeigt, wodurch die Friedcnsverhandlungen ungemein beschleunigt und auf eine nützliche Grundlage gestellt werden können. Mit der kaiserlichen Depesche ist den Chinesen, soweit bei ihnen das überhaupt möglich ist, jede Ausflucht ge nommen worden, und sie werden nun Farbe bekennen müssen, ob es ihnen ernst ist mit ihren Erklärungen der Reue und ihrer Bereitwilligkeit, Sühne zu gewähren, oder ob wir es abermals nur mit einer jener verlogenen Spiegelfechtereien zu thun haben, in denen die Chinesen Meister sind. Als eine weitere Folge der kaiserlichen Depesche betrachten wir es auch, daß nunmehr auch für alle anderen Mächte vollste Klarheit geschaffen werden wird über die Absichten, die China wirklich beseelen. Denn wenn der kaiserliche Brief ausweichend beantwortet wird, oder wenn den Versprechungen die Thaten nicht nachfolgen, so werden auch diejenigen Mächte, die bisher noch ein gewisses Vertrauen in den guten Willen und die Ehr lichkeit der Chinesen setzten, von dieser Auffassung nothgedrungen zurllckkommen müssen. In dieser Beziehung scheint uns die kaiserliche Depesche durchaus geeignet, die jetzt noch manchmal vermißte Klarheit und Uebereinstimmung herzustellen. Auch insoweit erwirbt diese Kundgebung des deutschen Kaisers sich ein Verdienst, als sie laut und deutlich einen Standpunct betont, den man mehrfach zu verwischen gesucht hat. Nicht nur um die Ermordung des Frhrn. v. Kettcler handelt es sich, sondern auch ganz abgesehen von der Hinschlachtung Tausender von chinesischen Christen um den Tod und die Marterung von — man darf wohl sagen — Hunderten von Ausländern, die allen Nationen angehören und deren Andenken um Sühne schreit. Nicht nur enge deutsche Interessen vertritt somit der Kaiser, sondern die Interessen aller civ^lisirter Nationen, die durch die chinesischen Greuelthaten verletzt worden sind. Der Telegraph hat in diesem Augenblicke die De pesche allen Erdtheilen übermittelt. Wir können uns nicht denken, daß im Auslande die kaiserlichen Darlegungen anders als mit Zustimmung ausgenommen werden können." Unser Berliner Mitarbeiter schreibt: „Wenn Kaiser Wil helm mit Recht Trankopfer als Sühne für das Begangene nicht annimmt, so trägt doch sein Gegenvorschlag durchaus den Stem pel der Mäßigung und Versöhnlichkeit: die schul digen Rathgebcr des Kaisers von China, der selbst von Kaiser Wilhelm für alle Unbill nicht verantwortlich gemacht wird, sollen vom chinesischen Herrscher bestraft werden — dann hält Kaiser Wilhelm eine genügende Sühne für erbracht. Hat hierauf die Circular-Depesche des Grafen Bülow vom 18. September vorbereitet, so fordert im Sinne dieser Circular- Depesche Kaiser Wilhelm die Mitwirkung der Gesandten zur Bezeichnung der Schuldigen. Daß eine solche Mit wirkung unerläßlich ist, will man nicht gemäß früheren Erfah rungen eine Straf - Komödie in Kauf nehmen, bedarf keiner langen Auseinandersetzung. In dem Verlangen nach Be strafung der schuldigen chinesischen Würdenträger treffen das Telegramm Kaiser Wilhelm's und die Circular-Depesche des Grafen Bülow mit unserem früheren Gesandten in China, Herrn von Brandt, überein. Eben jetzt schreibt Letzterer in der Londoner „Finanzchronit": „Alle Beamten werden zu be strafen sein, die die Nicdermetzelung von/ Missionaren und ein geborenen Christen angeordnet oder ... in verrätherischcr Weise herbeigeführt haben." — Die Durchführung des Strafverfahrens gegen die schuldigen chinesischen Würdenträger durch den Kaiser von China selbst würde mit der Rückkehr des Kaisers nach Peking erheblich erleichtert werden. Diese Rückkehr zu ermöglichen, sichert Kaiser Wilhelm dem chinesischen Herrscher ehrenvollen militärischen Schutz zu. Daß ein solcher Schutz von deutscher Seite nur in der loyalsten Weise gewährt werden würde, darüber besteht nicht der geringste Zweifel. An dem Kaiser von China ist es jetzt, auf den maßvollen und friedliebenden Vorschlag des deutschen Kaisers zu antworten; lehnt er ihn ab, so trifft die Verantwortung dafür auch nicht im geringsten Grade den deutschen Kaiser, der Alles gethan hat, um einen raschen Frieden hcrbeizuführen." Ueber die Stelle der kaiserlichen Antwort: „Wenn Eure Majestät sie (die Schuldigen) der verdienten Strafe zuführen, so will ich dies als Sühne betrachten, die den christlichen Nationen genügt; wollen Eure Majestät Ihren kaiserlichen Arm dazu leihen und hierbei die Unterstützung der Vertreter aller beleidigten Nationen genehmigen, so erkläre ich mich meinerseits damit einverstanden" wird verschieden interpretirt und u. A., wie von unserem Berliner Correspondenten, so aufgcfaßt, als halte der Kaiser die Ausliefe rung der Schuldigen nicht mehr für nöthig. Die „Frkf. Ztg." hält es sogar für wahrscheinlich, als ob die deutsche Note, nach welcher die Vertreter der Mächte in Peking die Schuldigen nam haft machen sollen, fallen gelassen worden sei. Dem sei nun wie ihm wolle, jedenfalls ist die Antwort des Kaisers so gemeint, daß die Bestrafung der Verbrecher unter den Augen und unter der Controle der Mächte erfolgt. Eine officiöse Interpretation der strittigen Worte wird ja nicht auf sich warten lassen. CKua und Vas Völkerrecht. Man schreibt uns: Wenn jetzt von Professor Jellinek in der „Deutschen Juristenztg." die Ansicht ausgesprochen wird, daß das Völkerrecht der europäischen christlichen Staa te n w e lt n i ch t f ü r C h i n a g e l t e, so ist damit ein Stand punct eingenommen, betreffs dessen die Staatsrechtslehrer ver schiedener Meinung sind. Professor Gareis z. B. vertritt in seinen „Institutionen des Völkerrechts" nicht die Anschauung, daß das Völkerrecht lediglich für die christlichen Staaten gelte und daß die Bezeichnung „europäisches" Völkerrecht zutreffend sei. Was insbesondere Asien angeht, so folgert Gareis aus dem Abschluß der Verkehrsverträge europäischer Staaten mit China, Japan, Korea und Siam, sowie aus der sich daran an schließenden Neception des Gesandtschaftsrcchts, Consülatsrechts von Seiten der asiatischen Staaten die Ausdehnung des Völker rechts über ganz Asien. Mißverständnisse kann von den Ausfüh rungen Jellinek's, dem sonst in den meisten Punctest, speciell in Bezug auf die Verwerfung barbarischer Thaten der verbündeten Truppen, zugestimmt werden muß, die Aeußerung Hervorrufen: ein Angriff auf einen Gesandten bedeute für China „blos" einen Vertragsbruch, nicht eine Verletzung einer grundsätzlich aner kannten Norm des Völkerrechts. Offenbar ist die Verletzung eines Vertrages, der zwischen den Contrahenten klar und be stimmt formulirt wurde, noch schwerer wiegend, als die Ver letzung eines völkerrechtlichen Grundsatzes. Denn das Völker recht gilt, wie auch Jellinek hervorhebt, selbst in der europäischen Staaienwelt nur insoweit, als jeder Staat es anerkannt hat; der vertragsmäßige Schutz der Gesandten muß daher noch als gesicherter gelten, als der völkerrechtliche, obwohl die Heilig keit der Gesandten seit alten Zeiten auch außerhalb der christlichen Staaienwelt völkerrechtlicher Brauch gewesen ist. In der Presse sind an die Ausführungen Jellinek's Betrachtungen in der Rich tung angcknüpst worden, daß Unthaten, die in China verübt werden, nicht so ausgefaßt werden müßten, wie wenn sie von einem der völkerrechtlichen Gemeinschaft angehörenden Staate begangen wären, daß darum ein anderer Ehrbegriff angewandt werden dürfe und weniger von „Sühne" für die begangenen Unthaten, als von „Strafe" gesprochen werden solle. Für die praktische Politik scheinen uns solche Unterscheidungen nicht wesentlich zu sein. Ob „Sühne" oder „Strafe" gefordert wird: in beiden Fällen muß gerade dem wenig civilisirten Volke die Macht des verletzten Staates und die nachtheilige Folge jeder dir völkerrechtliche Interessengemeinschaft verletzenden Handlung nachdrücklich zum Bewußtsein gebracht werden. Drucksehlerberichtig iing. Im heuti'aen Morgenblatt ist unter der Rubrik „neuer französischer Vorschlag" in der Bemerkung zu der Londoner Depesche in Zeile vier, wie schon Sinn und Zusammenhang ergeben, anstatt Blutglänbigen zu lesen Blut- gläubiger. Der Krieg in Südafrika. Ncil-Conccntration der Bocrenstrcitkräste. Die englische Garde ist auf dem Rückwege von Komatipoort nach Pretoria, um von dort die Rückreise nach England anzu treten, die Volunteer-Regimenter in Südafrika werden eines nach dem anderen aufgelöst und nach Hause geschickt, und schließlich hat die Königin Victoria ihre Zustimmung zu der Ernennung des Feldmarschalls Lord Roberts zum Eommunäer in Llüof ver eng lischen Armee gegeben, so daß also die Rückkehr desselben in Bälde erfolgen dürfte. So lange Roberts noch in Südafrika zurückgehalten wird, behält Lord Wolseley interimistisch das Obercommando bei. — Aus allen diesen Anzeichen schließt man natürlich in England, daß der Krieg als solcher nun vorbei ist, und daß die in Afrika noch verbleibende Arbeit durch die neue Polizei-Truppe unter dem General-Major Baden - Powell wird gethan werden müssen, sobald nur die jetzt noch im Felds stehenden Boeren-Commandos unschädlich gemacht worden sind. In dieser Beziehung befindet man sich auf englischer Seite vielleicht noch sehr im Jrrthum. Ueber Pretoria und Delagoa-Bai kommt die Nachricht, daß General Louis Botha über 3000 Mann noch unter seinem Commando hat und mit diesen auf dem Marsche über die Berge nach Pietersburg ist, wo er sich mit dem Kommandanten Barend Vor st er vereinigen will, wel cher noch der alten Volksraad-Partei angehört und in dem Zoutpansberg - Di stritt bereits eine neue Re publik gegründet haben soll, mit der Absicht, dort nach Mög lichkeit alle noch im Felde stehenden oder noch kampfeslustigen Boeren zu weiterem geschlossenen Widerstande zu vereinigen. -- Pietersburg ist der Endpunct der Eisenbahnlinie, welche von Pretoria nach dem Norden führt, und so weit bekannt ist, befindet sich General Viljoenmit dem Reste der Boeren-Armee, welche Komatipoort räumte, bereits in der östlichen Nachbarschaft dieses Platzes; er hat natürlich die Absicht, sich mit Botha und Vorster zu vereinigen. Diese Operationen sehen nicht danach aus, als wenn die Ansicht der Engländer, daß der Krieg zu Ende sei, stich haltig wäre. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. October. Die halbamtliche „Berliner Correspondenz" be schäftigt sich heute mit dem internationalen Soctaliften- congrctz in Paris, cirirt folgenden Satz, in dem der „Vor wärts" die Ergebnisse deS Eongrefseö zusammenfaßt: „Die Internationale ist einig, nicht nur im Endziel, nicht nur in ihren Kämpfen gegen alle Formen des kapitalistischen Systems, gegen Militarismus, Colonial« und Weltraubpolitik, sie wendet auch überall die gleichen Mittel an, die zur Erringung von Vortheilen sür das Proletariat, zur Eroberung der politischen Macht und letzten Endes zur Umgestaltung der Gesellschaft von Grund aus tauglich sind." und knüpft daran folgende Auslassung: „Die vom Socialismus im Widerspruch mit der grsammten historischen Entwickelung der Menschheit und den thatsächlichen Verhältnissen der Gegenwart aufrecht erhaltene Fiction, daß die Proletarier aller Länder einander näher stehen als die Arbeit nehmer und Arbeitgeber innerhalb derselben nationalen und staatlichen Gemeinschaft, daß die willkürlich errichteten inter nationalen Organisationen der Arbeiter in Zukunft ein festeres Einigungsbanv darstellen würden als die nationalen staatlichen Organismen, ist auf den: Pariser Congreß mit besonderer Schärfe zum Ausdruck gelangt. Die deutschen Optimisten, welche auf den friedlichen socialreformatorischen Charakter des Socialismus, wenigstens insoweit die deutsche Socialdemokratie in Betracht kommt, vertrauen, müssen, falls sie überhaupt belehrbar sind, anderen Sinnes werden, wenn sie von der unumwundenen grundsätzlichen Fenilletsn. i?j Der neue Tag. Roman von Klara Zahn. Nachdruck verboten Anny's Widerstandskraft drohte fast zu zerbrechen all «diesen unentwirrbaren Verhältnissen gegenüber. — Des Vaters Situation hatte sich noch nicht geklärt, die Brüder waren unter gebracht im praktischen Leben, Hans, dank seines Einjährigen- Zeugnisses, konnte «dem Beruf des Elektrotechnikers, für den er Sympathie empfand, folgen; Ernst war in den Kaufmanns stand «ingetreten, dem er vorerst noch seufzend seine jungen Kräfte weihte. Beide Knaben lebten nicht mehr im Hause, Anny war allein bei dem Vater, — fast allein in der Welt, denn den mürrischen Alten sah sie nur sehr selten, oft genug mußte sie das mühsam mit wenig Groschen hergerichtete Mahl allein verzehren, weil der Rechtsanwalt einfach vergaß, daß daheim Anny einsam seiner harrte. So überflüssig erschien sich A-nny hier, so losgelöst von jeder ernsteren Pflicht, daß sie beschloß, zu versuchen, ob nicht ein muthiger Entschluß im Stande sei, ihrem Leben wieder Sinn und Inhalt zu geben. — Sie begriff es wohl, daß Fred, der Stolze, Feinempfindende, sich scheute, ihr zu sagen: „Komm' zu mir und theile mein Hungerloos!" — Und doch, war sie nicht jung, gesund und arbeitsfähig, sollte es ihr nicht möglich sein, das Nöthigste für die leiblichen Bedürfnisse zu erwerben, damit auch ihre Seele leben konnte? — Sie sann nach über ihre etwa für den Erwerb zu verwerthenden Kenntnisse. — Ach — an wie viel nutzlose Spielereien hatte sie Fleiß und Mühe verwendet! Brandmalerei, Kerbschnitzerei, all' diese modernen Kleinkünste waren ihr geläufig, ob sie wohl genügen konnten, ihr ein be scheidenes Einkommen zu verschaffen? — Sie wollte es versuchen. — Und der Versuch gelang ihr weit über Erwarten. Ein Luxus geschäft versorgte sie mit reichlicher Arbeit, und da sie geschickt und fleißig loar, befand sich schon nach kurzer Zeit ein kleines Sümmchen in ihrem Besitze. — Nun wuchsen ihrem Wollen die Flügel. — Sie wollte Fred Wiedersehen, wollte mit eigenen Augen sich überzeugen, ob es dem rechten Willen und unermüdlicher Thattraft nicht gelingen sollte, das feindliche Schicksal zu be siegen. — Anny besaß Verwandte in Innsbruck. Sie meldete sich bei ihnen aus furzen Besuch an. Der Rechtsanwalt war sehr zu frieden. — Er empfand die Anwesenheit der Tochter nun, da die Söhne aus dem Hause waren, nur zu oft als eine lästige Auf sicht, der er gern einmal aus dem Wege ging. Er ahnte es wohl, was eigentlich Anny nach Innsbruck lockte, und da ihm nun die einst so sehr verhaßte Verbindung nicht mehr zuwider war, so ließ er sie schweigend gewähren. Freilich, mit wenig Glauben varan, daß sie ihr Ziel erreichen würde. Anny aber hatte zu nächst keineswegs die Absicht, gestützt auf ihren fragwürdigen Er werb, den Geliebten zu einer übereilten Handlung zu veranlassen. Nur nach innerster Nothwendigkeit sollte ihr Herzensschicksal sich gestalten, und wenn ihre Nähe dem Geliebten Trost und Lebens freude zu bringen vermochte, so wollte sie, wie ein muthiger Lebenskamerad, Seite an Seite mit ihm kämpfen um ihr ge meinsames Glück. — In solchen Gedanken trat Anny die Reise nach Innsbruck an. — Die lange Fahrt ermüdete sie nicht. Frühling war es, und überall auf den Wegrainen, die scheinbar an ihr vorllberhuschten, blühten in dichten Büschen hochstenglige, goldgelbe Blüthen, die wie Freudenverheißungen dem Mädchen zuzunicken schienen, lieber München ging der Weg weit hinein in die bayerischen Alpen, Kuf stein war erreicht, und ein Tirolerbübchen bot den Reisenden Alpenrosensträuße dar. — Vergnügt griff Anny danach, be schenkte den kleinen Händler reichlich. — Dann löste sie das festgezogene Band, das die zarten Blüthenstenglein in eine teller förmige Masse zusammcnpreßte, band sich einen luftigen Strauß und steckte ein paar Zweiglein in ihre Helle Sommerjacke. Wie reizend sie auSsah! So jung, so frisch und maienschön, wie die blühende, junge Welt, die im Abendsonnenscheinc vor ihr lag. Die Hoffnung und der starke Lebenswille hatten hinweggewischt, was Schmerz und Noth an leidvollen Zeichen in ihr Antlitz ge prägt. Man näherte sich Innsbruck. Der Abend war hereingebrochcn, und die Finsterniß ließ nichts mehr erkennen von der gewaltig schönen Landschaft; nur hier und da glänzte ein weißer Streif am dunklen Horizont, die schneebedeckten Bergeshäupter. So hatte auch Anny's Hoffnungsfreudigkeit sich unwillkürlich gewandelt in bange Unsicherheit. Drei lange Jahre hatte sie Fred nicht mehr gesehen, würde er noch derselbe sein wie einst, würde sie ihm noch dieselbe sein, die er einst so heiß begehrte? Des Menschen Sinn ist wandelbar und eine Künstlerseele eindrucksfähiger als andere Menschen seelen. Daß er sie mit seiner Seele liebte, wußte sie wohl, ohne diese Bürgschaft hätte sic den Schritt niemals gewagt, ob sie aber seinem Künstlerauge noch genügte? Und nun Hielt der Zug. Anny sprang aus dem Wagen, ihr leichtes Köfferchen in der Hand. Sie schaute um sich. Da grüßten und winkten die Verwandten ihr zu, und ein großer, stattlicher Mann schritt an ihrer Seite und rief Anny ein herz liches „Grüß Gott!" entgegen. Aber seine Stimme war nicht ganz frei, sein Auge blickte so seltsam ungewiß. Anny begriff sofort. So begegnet nicht sehnende Liebe der langentbehrten Braut. Wie ein Schwert streich ging es durch ihr Herz. Ihres Lebens letztes Glück war gestorben. Zugleich aber richtete sich der Stolz in ihr auf, der Stolz einer Königin, die eher verhungerte, ehe sie betteln würde. Leicht und fröhlich klang ihr Lachen, mit dem sie die Verwandten begrüßte und ihren Fred als ihren lieben Freund den nahen Angehörigen des Försterhauses vorstellte. Natürlich mußte der Künstler Anny begleiten in der Verwandten Haus, reicher Kaufleute, die von des Rechtsanwalts veränderter Lebenslage noch wenig wußten. Ein reichliches Mahl und funkelnder Wein empfing die gern gesehenen Gäste, und es gab diel zu plaudern und zu erzählen. Fred war sehr schweigsam. Nur wie gewaltsam riß er sich zu weilen auf und warf ein paar Bemerkungen hin. Anny's Wesen begriff er nicht recht. Sie kam ihm so seltsam fremd vor. Diese Sicherheit des Auftretens ihm gegenüber, dieses ganz selbstver ständliche Vermeiden jeder Erinnerung an innigere Beziehungen, die zwischen ihnen bestanden hatten, verblüfften ihn geradezu. Zwar entging ihm ja eine heimliche Aufregung nicht, die durch all ihr Plaudern und Scherzen fühlbar war, aber die war doch sehr vielfach zu erklären bei solchem Wiedersehen. Was er als eine so unsägliche Schwierigkeit angesehen, wovor sein Herz in Angst gezittert, es dem lieben Mädchen begreiflich zu machen, daß er bei ihrer beidcrsei"gen Vermögenslosigkeit seine ganze Künstler existenz opfern mußte — und sich dessen nicht fähig fühlte, — wollte er an eine Verbindung mit ihr denken, das Alles, die- namenlos Schwere, Lastende, das seit dem Augenblick, da Anny ihre Ankunft angemeldet hatte, athemraubend ihn bedrückte, das strich dies Mädchen mit einer leichten Handbewegung aus ihrem Leben und konnte lachen und fröhlich sein. — Wie war das möglich? — Eine Last, die eine Mannesscele zittern ließ, sollte ein Weib heben können wie einen Ball? — Was giebt ihr solche Kraft? War ihre Liebe so klein oder so un ¬ ermeßlich groß? — Diesem heimlichen Forschen und Grübeln konnte sich Fred nicht entziehen, und dabei klang die liebe Stimme in sein Ohr, und die Wärme ihres Wesens schmiegte sich schmeichelnd an seine Sinne. Er hätte aufspringen, sie an sich reißen mögen, trotz Allem und Allem, aber sie selbst hatte ja die Scheidewand^ aufgerichtet, die ihn Auf immer von ihr trennen sollte. — Was ihn doch hätte beruhigen müssen, daß die Aufgabe, die er sich gestellt, so rasch und mühelos sich löste, das ward ihm nun zur bittern Qual. Ein Wink der Hausfrau erinnerte ihn daran, daß es Zeit sei, aufzubrechen. In dumpfem Brüten ging er heim. Er verbrachte die Nacht schlaflos, ge foltert von den widersprechendsten Gefühlen und hadernd mit dem Geschick, das dem schaffenden Künstler nicht Raum gewährt auf der Erde, die doch alle ihre Wesen nährt. Anny war nach dem anstrengenden Tage rasch entschlafen und hatte fest und traumlos geruht bis zum Morgen. — Wie sonderbar! Das war ihr erster Gedanke beim Erwachen. Sie, die wochenlang in verzehrender Sehnsucht der Schlaf gemieden hatte, die die Schmerzen der Liebe kannte, wie keine Andere, sie konnte schlafen, nun, da alle Hoffnungen zerbrochen vor ihr lagen, sie athmete ruhig und frei, wie ein Sieger nach schwerem Kampfe. Woher die Wandlung? Sie hatte die Gottheit in einem Menschen angebetet und hatte jahrelang mystische Schleier ihrer unerschöpflichen Liebes- gluth um diesen Einen, Einzigen gewoben. Nun hatte sie sein irdisches Antlitz gesehen, der Uebergroße war ihr zag und klein erschienen, und in der gewaltigen Enttäuschung hatte sic sich selber wiedergefunden, — nicht mehr beherrscht von einem Wahn gebilde. Und darum Jahre der Qual und Selbstaufopferung! Ein wenig Bitterkeit rann doch bei diesen Gedanken durch Anny's Herz. — Sie zwang es nieder. — Der arme Fred, dachte sie bei sich, was kann denn er dafür, daß ich bin, wie ich bin! Er soll mir nicht leiden unter dem Höhenrausche, der meine Seele erfaßt hatte. — Was am vergangenen Abend eine Kraftan strengung ihres Willens war, das floß nun ganz natürlich auS ihrem innersten Wesen, die Unbefangenheit, mit der sie Fred begegnete, als er sie nun zu einem Gange durch die Stadt abholte. „Erst in die Kunstausstellung", bat sie, „dort ist doch Dem neues Bild, nicht wahr?" „Ja, — erst seit wenigen Tagen, es wurde nicht rechtzeitig fertig, die Jury nahm es aber noch nachträglich an-" „Das glaub' ich!" — lachte Anny freundlich. Wenn Anny nur gewußt hätte, wie sic dem Freunde diese unsichere, befangene Stimmung nehmen konnte. Ihr Wesen gab ihm wohl die Richtschnur, aber nicht die innere Festigkeit. Eine Zwischenempfindung von Schuldbewußtsein und gekränkter Diebe sprach sich in seinem Wesen aus. — Das ging so nicht. Sie konnte es nicht mit ansehen, wie er sich heimlich quälte. Eine offene Aussprache gleich schien ihr daS Be^e. Zrelossp-tt Axhn.
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