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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.08.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-08-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000827020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900082702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900082702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-08
- Tag1900-08-27
- Monat1900-08
- Jahr1900
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr, die Abrnd-AuSgabe Wochentags am b Uhr. Redaktion und Expedition: IobanniSgafse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn norm. O. Klemmt Lorti». UniyerfitStsstrabe 3 (Paulinnm^ kaut» LSfche. Nachmchmn-r. In, Port. n»d KvuigSplatz B. Vezn^S-PrekS der Hauptrxpedition oder den i« -Mdt» dezirk und den Bororten errichteten Au»« «bestellen ab geholt: vierteljährlich ^14.50, ve« zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche KreuzbanLiendung in» Ausland: monatlich 7.50. 435. Abend-Ausgabe. MlMcr TllMaü Anzeiger. Ämtsvkatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes «nd Malizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigerr-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 g» spalten) bO^Z, vor den Familiennachricht«» (6 gespalten) 40/H. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz uach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Au»gabe, ohne Postbeförderung 60.—» mit Postbeförderung 70.—. .'Xnnahmeschlllß für Änzeizen: Ab end-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morge».Ausgabe: Nachmittag» »Uhr. Ket den Filialen und Annahmestelle» je et» halbe Stunde früher. Anzeige» siud stet» au die Er-editto zu richte». Druck und Verlag von L. Polz ta Leipzig Montag den 27. August 1900. 94. Jahrgang. Die Wirren in China. Peking. * Ein Telegramm de» russischen Generals Lenewitsch aus Taku vom 23. August besagt: „Ain 16. August be freiten die vereinigten russischen und französischen Truppen in Peking französische Missionare und ihr seit zwei Monaten von Boxern belagertes Kloster. Dann wurden die Boxer von den russischen und französischen Truppen aus der kaiserlichen Stadt hinaus gedrängt, daS west liche Thor von den Russen und Franzosen eingenommen, und auf dem Tbore die russische und die französische Fahne gehißt. Auf der anderen Seite des kaiserlichen Palastes wurden Wachtposten anderer Nationen aufgestellt, die sich zu den Thoren durchkämpfen mußten. Die Kaiserin, der ganze Hof und die Negierung flohen nach der Provinz Schensi, ebenso der Kaiser und der Thronfolger. Die Russen hatten 5 Verwundete, die Franzosen 5 Todte und 25 Verwundete. Seit diesem Tage giebt es in Peking keine Boxer mehr. Aus Peking selbst wird dem „Reuter'schen Bureau" unterm 19. August berichtet: Heute wurden RecognoScirungen vorgenommen. Es wird berichtet, daß bewaffnete Chinesen im Süden und im Westen plündern. Bengalische Lanzenreiter entdeckten in Housi, einer vier Meilen südwestlich liegenden Ortschaft, eine gut verschanzte Streitmacht. Man glaubt, diese werde von ven besten chinesischen Führern befehligt. Tientsin. General Dorward telegraphirt aus Tientsin nach London unter dem 23. d. M.: „Ich habe am 19. August 8 Meilen südwestlich von Tientsin mit ungefähr 1000 Amerikanern, Japanern, Oesterreichen und Engländern eine starke chinesische Truppenabtheilung an gegriffen; nach einem zweistündigen Kampfe flohen die Chinesen, nachdem 300 von ihnen gefallen und 60 gefangen genommen worden waren. Ungefähr 800 Mann flohen nach SLden,das bedeutend stärkercHauptcorpS nachWcsten.Auf unserer Seite wurden elf Mann verwundet. Die Verbindungs linien in der Umgegend von Tientsin sind jetzt außer Gefahr. In den Dörfern wurden von den Chinesen Grausamkeiten verübt; mehrere Leichen wurden auf gesunden, denen die Köpfe abgescknitten waren. Aus den umliegenden Dörfern kommen täglich ungefähr 1000 Dorf bewohner nach Tientsin, wo wir nur noch für einen Monat Lebensmittel für die Bevölkerung haben, so daß in Kurzem Mangel an Nahrungsmitteln zu erwarten ist. Tas deutsche kontingent. (D Kiel, 26. August. Jetzt wehen auch die deutschen Fahnen in Peking. An der Befreiung der Gesandten konnten die geringen deutschen Seestreitkräfte sich zwar nicht beiheiligen, sie mußten sich darauf beschränken, den größeren Truppenkörpern der übrigen Mächte zu folgen. Der an der Erstürmung der Takuforts hervorragend betheiligt gewesene Capitän zur See Pohl, Comnjandant der „Hansa", rückte am 9. August mit 4 Officieren und 107 Mann von Tientsiu ab, während Capitänleutnant Hecht, erster Officier der „Hertha", am Tage darauf mit 2 Officieren und 150 Marinemannschaften folgte. Starke Regengüsse hielten den Vormarsch beider Detachements auf, so daß Capitän zur See Pohl erst nach neuntägigem Marsch am 18. August in Peking, daS am 14./15. August von den übrigen Truppen genommen war, eintresfen konnte. Capitän leutnant Hecht langte mit dem Proviant, Wasser und Troß 2 Tage später, am 20., vor Peking an. Inzwischen wird aber auch Generalmajor von Hopfner mit seiner 2532 Mann starken Truppe Marine-Infanterie dort angekommen sein. Die unter seinem Befehl stehenden beiden Seedataillone waren am 16. in Taku auSgeschifft und trotz der großen Schwierigkeiten, welche die Beschaffung von Pferden und Kulis verursachten, hatte der Vormarsch auf Peking am folgenden Tage begonnen. Jetzt hält auch eine beträchtliche deutsche Truppeumackt die Stadt besetzt. Kaiser Wilhelm hat nachstebendeS Telegramm an den zweiten Admiral des Kreuzergeschwaders zur Weiter beförderung nach Peking gerichtet: „An den Leutnant Graf Soden, Peking. Ich spreche Ihnen und Ihren Mannschaften Meine herzlichsten Glückwünsche, sowie diejenigen der Armee und der Marine zu dem guten Erfolge Ihrer heldenhaften Ausdauer aus. Ihre deutsche Treue und Tapferkeit gereichen Ihnen zur höchsten Ehre. Ich verleihe Ihnen gleichzeitig den Rothen Adlerordcn vierter Classe mit Schwertern und er warte Vorschläge zur Dekoration Ihrer Mannschaft." Ucbcr die Trnppen-TranSportöainpfcr nach China liegen folgende letzte Meldungen vor: „Köln" (N.-D. Lloyd) 16. August von Tschifu. „Frankfurt" (N.-D. Lloyd) 14. August von Tsingtau. „Wittekind" (N.-D. Lloyd) 22. August in Tsingtau. „Dresden" (N.-D. Lloyd) 20. August in Colombo. „Halle" (N.-D. Lloyd) 20. August in Colombo. „Batavia" (Hamb.-A.-L.) 10. August in Suez. „Gera" (N.-D. Lloyd) 22. August von Suez. „Sardinia" (Hamb.-A.-L.) 14. August in Suez. „Straßburg" (N.-D. Lloyd) 15. August in Suez. „Aachen" (N.-D. Lloyd) 14. August in Suez. „Rhein" (N.-D. Lloyd) 15. August in Suez. „Adria" (Hamb.-A.-L.) 17. August in Suez. „H. H. Meier" (N.-D. Lloyd) 17. August in Suez. „Phönicia" (Hamb.-A.-L.) 18. August in Suez. Rußland und China Erkundigungen, die die Wiener „Pol. Corr." an mehreren diplomatischen Stellen bezüglich der Nachricht eines ameri kanischen Blattes, daß Rußland an China den Krieg erklärt haben soll, einzogen, ergaben, daß nirgends eine Mittheilung vorliegt, aus der eine Aufklärung über das Entstehen einer solchen Nachricht, geschweige denn eine Be stätigung gewonnen werden könnte. Bon russischer Seite wird betont, es sei völlig ausgeschlossen, daß Rußland einseitig einen solchen Schritt, der für die fernere Behandlung der chinesischen Frage von großer Tragweite wäre, unternehmen könnte, ebenso wie auch keine der anderen Mächte daran denke» kann, ohne Rücksicht auf die Bundesgesiofsen mit einer Kriegs erklärung hervorzutreten. Die Frage, ob etwa der Zeitpunkt gekommen sei, die Action in China nickt länger als Unter drückung eines Aufruhrs, sondern als einen Krieg mit dem Reiche der Mitte anzusehen und zu kennzeichnen, habe in der letzten Zeit nickt den Gegenstand eines Meinungsaustausches zwischen den Cabineten gebildet. Und selbst wenn man einen gemeinsamen Beschluß in diesem Sinne gefaßt hätte, so gäbe es keinen weniger geeigneten Zeitpunkt für die Verwirk lichung einer solchen Absicht, als den gegenwärtigen, wo die Kriegserklärung wegen Unauffindbarkeit des Adressaten un bestellbar wäre. Der Krieg in Südafrika. Lord Kitchener und Lord Roberts. Die Entschlüpfung De Wet's, der nun tatsächlich wieder auf dem Wege nach dem Oranje-Freistaat ist, bat, wie uns aus London berichtet wird, zu einem völligen Bruch zwischen Lord Kitchener und Lord Roberts geführt. Letzterer beschul digt Kitchener, die ihm ertheilten Weisungen bezüglich der vorzunebmenden Operationen absichtlich mangelhaft befolgt zu haben, während Kitchener erklärt, Lord Roberts habe ihn monatelang unthätig gelassen und ihm jedes größere Coin- mando vorenthalten, dann aber im letzten Augenblick ihm eine ganz unausführbare Aufgabe gestellt. — Voraussichtlich wird Kitchener vom Kriegsamt verlangen, ihn aus der ihm höchst unbehaglichen Stellung als Untergebener des Lord Roberts abzuberufen. Ter „hochvcrrätherische" Briefwechsel. Aus London, 24. August wird der „Franks. Ztg." berichtet: Nachdem gestern die „Times" und mit ihr alle anderen hiesigen Blätter die ersten Proben der in Bloemfontein und Pretoria aufgefundenen „staatsverrätherischen" Correspondenz englischer Parlaments-Mitglieder aus der „Truth" abgedruckt hatten, hat sich das Colonialamt beeilt, nun seinerseits den amtlichen Abdruck der ganzen in Beschlag genommenen Corre spondenz zu veröffentlichen, und dieser liegt jetzt vor in Gestalt einer parlamentarischen Veröffentlichung mit dem Titel: „Correspondenz, betreffend die jüngste politische Lage in Süd afrika." Die eine der neuen Thatsachen, welche man aus diesem Briefwechsel erfährt, ist, daß sich der Abgeordnete John Ellis unter den angeblichen Staatsverräthern befindet. Herr John Ellis ist ein liberaler Abgeordneter, der sich im Parlamente ganz besonderen Ansehens erfreut. Er ist einer der Stellvertreter desjenigen Vorsitzenden im Unterhause, der dann seines Amtes waltet, wenn der Sprecher seinen Sitz verläßt und das Unter haus sich als Comits constituirt. Herr Ellis ist außerdem in allen seinen Handlungen beinahe übertrieben korrekt, so daß die ersten Andeutungen über seine Theilnahme an der „staatsver rätherischen" Correspondenz beinahe komisch wirkten. Hier folgen nun die den Abgeordneten Ellis betreffenden Aktenstücke: „Downing Street, 6. August 1900. Mein Herr! Ich erlaube mir, Ihre Aufmerksamkeit auf beifolgende Abschrift eines Briefes zu lenken, der einen angeb lichen Auszug aus einen Briefe, den Sie geschrieben haben, enthält, und zu fragen, ob Sie irgendwelche Erklärungen darüber abzugeben oder Bemerkungen zu machen wünschen. Ich bin u. s. w. I. Chamberlain." (Abschrift eines Briefes von Frau Solly an den Reverend D. Roß, Ladygrey, Aliwal North.) Villa Flora, Newlands, 5 .Juni 1900. Sehr geehrter Herr! Obwohl ich Ihnen persönlich fremd bin, wage ich es, in einer Angelegenheit, an der wir Beide inter-- essirt find, an Sie zu schreiben. Herr Ellis, eines der Mit glieder des Parlamentes, dem sehr darum zu thun ist, der südafrikanischen Sache zu helfen, schreibt an mich folgendermaßen: „Wir brauchen einen Haufen von Thatsachen betreffs Unter-- drückung von Telegrammen, Oeffnung von Briefen, willkürliche Verhaftungen, ungerechte Proceßverfahren, ungerechtfertigte Ein kerkerung, Behinderung des freien Wortes auf Versammlungen. Vielen Informationen, die wir darüber erhalten haben, fehlt es aber an Ausführlichkeit, an Einzelheiten und an Genauigkeit, was für parlamentarische Zwecke unerläßlich ist. Die Namen der Informanten werden als vertraulich behandelt werden. Ich habe in den „South African News" Artikel gelesen, in denen Ihr Name vorkam, ich nehme darum an, daß Sie über ver schiedene dieser Punkte Information aus erster Hand geben können, und ich bin überzeugt, daß ich Sie nicht darum zu drängen brauche. Wollen Sie mir mit einer Zeile mittheilen, daß Sie diesen Brief erhalten haben? Die Adresse des erwähnten Parlamentsmitgliedes ist John E. Ellis Esq. M. P. 40 Pond Street S. W. oder Haus der Gemeinen, Westminster. Hhre ergebene Frau Iulia F. Solly." Ueber diese Veröffentlichung kann man nur sein Erstaunen ausdriicken. Daß ein Mitglied des englischen Parlaments von einem Cabinetsminister darum zur Rede gestellt werden kann, weil er sich mit der nöthigcn Information versieht, die er braucht, um das ihm von seinen Wählern übertragene Amt ausüben zu können, hätte man bisher nicht für möglich gehalten. Ein Interesse etwas andere Art beanspruchen die mitgetheilten Briefe des Abgeordneten vr. 'Clark an Präsident Krüger und General Joubert. Or. Clark ist ein schottischer Abgeord neter und Arzt, der in früheren Jahren das Amt eines trans- vaalschen Generalkonsuls in London bekleidet hat und der seit dem die freundschaftlichsten Beziehungen zur Regierung in Pretoria unterhält. Es folgt hier sein Brief an Präsident Krüger: „Transvaal-Comitß, St. Ermin's Mansions, Westminster, London 8^., d. 29. Sept. 1899. Mein lieber Präsident Krüger. Ich habe eine lange Unterredung mit Chamberlain gehabt und habe einige der zwischen beiden Regierungen schwebenden Streitfragen discutirt, da ich hoffte, von ihm nne Zustimmung zu dem Vorschläge zu erhalten, daß, wenn Sie das fünfjährige Stimmmrecht gewähren, dann er das Schiedsgericht annimmt, welches alle weiteren Streitfragen, die zwischen beiden Regie rungen schweben, entscheiden soll. Ich fragte ihn, ob er darin einwilligen würde, daß die vierOberrichter von Süd afrika das Schiedsgericht bilden, während der Lord Oberrichter von England die letzte Ent scheidung trifft, falls die Anderen sich nicht einigen können. Herr Chamberlain weigerte sich absolut, diesen Vor schlag anzunehemen. Er sagte von vier Oberrichtern in Süd afrika würden drei auf Ihrer Seite sein, und nur Einer, der Lord Richter von Natal, würde auf der britischen Seite sein. Er lehnte auch den Lord Oberrichter von England ab, da er einer von unseren Freunden sei. Er sagte jedoch, er habe gegen ein Schiedsgericht nichts einzuwcnden, wenn er seine eigenen zwei Schiedsrichter ernenne und Sie die Ihrigen, er könne aber die Oberrichter nicht acceptiren, denn das bedeute so viel, als wenn zwei Personen einen Streit haben und eine der selben vorschlägt, daß die Sache durch Schiedsgericht entschieden werden soll und dann seine eigenen Freunde zu Schiedsrichtern ernennt. Aus meiner Unterredung mit ihm schließe ich, daß Herr Chamberlain den Curs, den er eingeschlagen hat, etwas bedauert, und in Bezug auf den auf die Convention von 1881 gegrllndteten Anspruch auf Suzerä- netät schien er einen Rückzug zu machen. Ich glaube nicht, daß er noch einmal die Dreistigkeit haben wird, den unsinnigen An spruch geltend zu machen . . . Wir forderten letzten Sonntag zu einer Friedensdemon stration auf Trafalgar-Square auf. Die Kriegsblätter reizten Feuilleton. Jlonka. 4s Roman von C. Deutsch. - Nachdruck vrrbotkn. „Wohin?" rief ihm Dator nach, der sich in diesem Augenblicke umwandte, niedersetzte und tüchtige Rauchwolken aus seiner Pfeife blies. „Ich komme bald", tönte Juran's Antwort zurück. Die Entfernung dämpfte die Aufregung in der Stimme. Jetzt stand er draußen vor der Hausthür, im milden Abend lichte, und griff mit beiden Händen nach dem Kopf. War es ein böser Traum? Er schüttelte sich, wie um zu erwachen, aber nein, es war ja Wahnsinn; was wollte er denn von ihr? Die Sache kam ihm plötzlich so ungeheuerlich vor, seiner tiefen, gesunden Natur so widersinnig, daß ein plötz licher Rückschlag eintrat und sein Zorn gegen sich selbst sich wendete. Sie war erröthet, und was weiter? Gewiß doch nur, weil der Herr auf eine solche Weise mit ihr scherzte. Daß sie dem Fremden Aufmerksamkeit erwies, ihn bediente, ihm sogar freundliche Blicke gab, war ja nur natürlich, er war der Gast und sie die Wärterin und Pflegerin. So beruhigte sich Juran selber und war glücklich, als der stechende Schmerz in seinem Herzen nachließ. Aber cher Ring, der Ring! Warum trug sie den nicht? Er mußte es wissen; denn wiederum beschlichen Zweifel seine Seele; er trat zur Thür und rief das Mädchen. Jlonka that, als höre sie nicht; als er aber noch einmal rief und laut und befehlend, ging sie hinaus. Juran machte die Thür zu, damit man das Gespräch drinnen nicht höre, führte sie abseits und sagte: „Jlonka, sieh mich einmal an." Sie versuchte eS, aber ihr Auge senkte sich bald vor seinem festen, forschenden Blick. „Ich weiß nit, was Du willst", rief sie dann verwirrt und versuchte ihm die Hand zu entreißen. „Jlonka, warum trägst Du meinen Ring nicht und — wo ist er?" „Den Ring? ... den Ring? . . ." Sie erblaßte, „den habe ich vom Finger gezogen, al» Dein Vater kam, damit er ihn nit sieht." „Du lügst, ich seh'» an Deinen Augen, Du lügst!" rief er, und Zorn und Schmerz traten in sein Gesicht. „Warum solltest Du Dich auch so widersprechen? Du willst ja, ich soll Deinetwegen mit dem Vater in Streit liegen, und je heißer rS zugeht, desto lieber ist'» Dir. Du müßtest ihm ja mit Fleiß den Ring zeigen, damit er sieht, wie die Sache steht. Soll ich Dir sagen, warum Du ihn abgelegt hast?" Er sah sie durchdringend an. „Damit der schöne Herr da drinnen nit immer vor Augen hat, daß Du schon verlobt bist und einem Andern angehörst." Jlonka stand sprachlos da. War ihre Seele von Glas, daß er in die tiefste Tiefe sehen konnte, die sich ihr selbst noch nicht ganz enthüllt, und von der nur Gott allein wissen konnte? In dem dumpfen Gefühle, sich vor ihm zu retten, in ihrer Verwirrung, Bestürzung wußte sie sich nicht anders zu helfen, als — daß sie weinte, und das that sie so bitterlich und so von ganzem Herzen, daß es einen Stein hätte erweichen und den Ungläubigsten von ihrer Unschuld überzeugen müssen. Und Juran war nicht von Stein, er hatte trotz seiner festen, strengen Außenseite ein zugängliches, fast weiches Herz, und dieses hing an dem Mädchen mit der innigsten Liebe. Er hatte noch nie einen Streit mit ihr gehabt, und es waren die ersten Thränen, die er sie je weinen sah. Natürlich schmolzen vor ihnen sein Zorn, seine Zweifel hinweg, wie Schnee vor der Märzsonne. Er führte sie hinaus, damit man ihr Weinen nicht sehen sollte, und beruhigte sie mit solch' weichen und milden Worten, wie man sie dieser tiefen Stimme und dem harten Gesichte gar nicht zugetraut hätte. IX. Der Fremde hatte sich vorgenommen, in Füred seine weitere Genesung abzuwarten; er hatte es in dem Gedanken gethan, dem alten Fischer, der nichts von Wiedervergeltuntz wissen wollte, nicht lange zur Last zu fallen. Der Weg war nicht weit, keine Stunde, und er hätte es schon ganz gut zu Stande bringen können, aber er schien sein Vorhaben schon gänzlich vergessen zu haben, und der Grund hiervon war — die Tochter seines Wirthes. Henri Lion, von Geburt ein Franzose, war in Pest all Künstler thätig gewesen. Sein leicht erregbares Herz war für Eindrücke sehr empfänglich, namentlich für Schönheit. Er hatte in den ersten Tagen seiner Krankheit oft den Namen Clara genannt, dos war seine letzte Liebe in Pest gewesen, deren er überhaupt nicht wenige gehabt hatte. Jetzt, als er die Tochter Bator's sah, das frische, liebreizende Geschöpf, das halb Kind, halb Jungfrau war, glaubte er, noch nie ein solches Ge fühl für ein Mädchen empfunden zu haben; denn, leichtsinnig und leichtempfänglich, wie er war, hatte er in diesen Dingen rin zu kurze» Gedächtniß und dabei die Fähigkeit, jeden frisch herrinbrechenden Eindruck mit der alten Kraft und in dem alten Feuer zu genießen. Die letzte Begebenheit war auch ganz eigrnthümlichcr Art und mußte auf ein Gemüth wie da» srinige von großer Wirkung sein. Die Geschichte des bleichen Fischerkindes hatte ihn so auf geregt, daß die Gestalt desselben während seiner Krankheit sein ganzes Seelenleben ausfüllte und beherrschte und dann wunder barer Weise mit den Gesichtszügen des Mädchens zusammen schmolz, das an seinem Lager wachte . . . Dann kam das Er wachen und mit ihm die Verkörperung des Traumbildes. Es war kein Uebergang vom Traumleben zur Wirklichkeit, kein Auf hören alter und Empfangen neuer Eindrücke, sondern das Fort setzen der ersteren, durchdrungen und umflossen von dem Reize des fühlbaren, des wirklichen Lebens. Er gab sich anfangs ganz diesen süßen, traumseligen Ge fühlen hin, die seinen geschwächten Sinnen so wohl thaten. Mit seiner Kräftigung wuchs dies Gefühl, aber leise regte sich auch das Bewußtsein, daß seine Handlungsweise unedel und unredlich sei, ein Unrecht gegen den Mann, der sein Lebensretter war und ihn vertrauensvoll in sein Haus genommen, ein Unrecht gegen da» Mädchen, welches er seinen Pflichten abwendig machte und aus dem stillen Frieden ihres Hauses riß. Ein redlicher Mann, ein Mann von Charakter hätte sich beherrscht, oder, wenn er dies nicht vermocht, das Haus bei Zeiten verlassen, um sich und Andere vor Zwiespalt zu retten. Er wußte ja, daß dies nur ein frevles Spiel mit dem Glücke eines Menschenherzens war, das er in Mitleidenschaft zog. Er wußte, daß er, der durch Geburt, Stand und Bildung den höheren Kreisen angehörte, unmöglich ein Bauernmädchen zur Lebensgefährtin wählen werde, und wenn diese von der Natur noch so sehr mit Reizen ausgestattet erschien. Und Jlonka! ... Bei dem etwas schwärmerischen Charakter des Mädchens war es nichts Wunderbares, daß der ausgestreute Same so bald keimte und in Blüthe schoß. Bis jetzt war ihr Leben so ruhig und gleichmäßig dahingegangen. Sie war eine gute und zärtliche Tochter, da ihr der Vater Alles galt. Sie war Juran aus Gewohnheit zugethan; kein außerordentliches Ereigniß hatte noch an die Eigenartigkeit, an den geheimen Zug ihres Wesens gerührt und ihn zum Bewußtsein gebracht; jetzt war es gekommen. Schon der Anblick des fremden, bewußtlosen Mannes in ihrer stillen, einfachen Hütte hatte in ihrem gingen Herzen neue Eindrücke hervorgerufen, dann kam da» Mitleid und die Pflege des Schwererkrankten. Doch waren diese Eindrücke nur unbestimmt und oberflächlich und wären von keiner nach haltigen Wirkung gewesen, wenn der Verkehr damit den Ab schluß gefunden hätte. Das Mädchen würde gewiß noch oft an den schönen Fremden gedacht haben, aber es wäre nur für sie eine angenehme Erinnerung gewesen, wie etwa ein schönes Bild, das sie einmal gesehen, wenn nicht der fremde Mann, kaum zum Bewußtsein gelangt, durch seine Blicke und Worte, durch sein Benehmen eine neue — unbekannte Welt in ihrem Innern erweckt hätte. Sie hatte als erwachsenes Mädchen oft kindische Wünsche und Träume gehabt. Sie wollte geraubt, entführt werden, es sollte etwas Außerordentliches mit ihr geschehen, etwas, worüber alle Mädchen und Burschen des Dorfes erstaunt wären. Doch war in ihrer Vorstellung immer Juran Derjenige, der das Unerwartete ausführen sollte. Jetzt mit einem Male wendete sich ihr Geschick. Ein Herr fand Wohlgefallen an ihr, sprach Worte zu ihr, wie sie sie bis jetzt noch nicht gehört, liebte sie, ging in ihrem Anblick auf, wie er ihr täglich und stündlich wiederholte, und konnte sich sein Leben ohne sie gar nicht denken. Der Sturm, der ihre junge Seele erfüllte, übertönte jetzt plötzlich die ihr bis jetzt lieb gewesenen, trauten Stimmen, und wenn sie jetzt an Juran dachte, fühlte sie nur Unruhe, Angst und Furcht. X. Pfingsten war gekommen. Jlonka ging Nachmittags ins Dorf, um beim Krämer einzukaufen. Die Straße war eben und breit, so daß man den Marktplatz, der in der Mitte lag, und das entgegengesetzte Ende derselben sehen konnte. Auf der linken Seite der Kirche, nur wenige Häuser vom Richter entfernt, wohnte Ferko Kiraly, nach Molnar der reichste Bauer des Dorfes. Der Mann war jedoch seit Jahren gelähmt und bett lägerig und wurde, wie die Leute sagten, von Frau und Tochter schlecht behandelt. Der letzteren, der schönen Marie, verargte man es nicht so sehr, denn sie war nur die Stieftochter, um so mehr aber der Frau, die auch wegen ihres bösen Naturells gehaßt war. An diesem Hause, das wie die anderen von einem Gärtchen umfriedet war und vor dem ein Ziehbrunnen stand, mußte Jlonka vorbei. Vor dem Brunnen stand ein junges Mädchen und wand mit vollen, kräftigen Armen das Rad, daß der Eimer an der Kette rasselnd und polternd in die Tiefe fuhr. Das Mädchen, groß und .üppig, mit einem hübschen, blühenden Gesichte, in dem ein Paar kohlschwarze Augen fun kelten, war die schöne Marie Kiraly, da» gefeiertste Mädchen des Dorfes. „Gott grüß Dich, Jlonka!" sagte Marie lebhaft und ließ das Rad ein wenig ruhen. „Bist schon lang' nit im Dorf zewesen, weder in der Kirch', noch bei der Musik. M-» ist das?" „Du weißt ja, daß der fremde Herr bei unS ist", erwiderte Jlonka. Sie wäre so gern weiter gegangen, denn sie kannte die lose Zunge Mariens, die ihr besonders nie sehr gut gesinnt war, — aber sie durfte nicht so rasch und ohne allen Grund fortgehen.
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