Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.08.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-08-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000830014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900083001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900083001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-08
- Tag1900-08-30
- Monat1900-08
- Jahr1900
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
M TI» Morgen-Au-gabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentag« um k Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. v. Klemm'» esrti». Universitätsstraße 3 (Paulinum), - Louis Lösche, Katharinenstr. 1«. »art. und KünIgSplatz7. Ledaction und Expedition r —. -ohanni-sasse 8. Die Expedition ist Wochentag« anunterbroche» geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. BezugS'PreiS Kt der Hauptexpedttion oder den l« Ltadä» beztrk und den Vororten errichteten Au«? aabrstrven ab geholt: vtrrteljährltch^lS.SO, vei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau« b.vO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich -ck 6.—. Direkte tätliche Kreuzbandlendung in« Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. WpMer TagcblM Anzeiger. Ämtsölatt des Hönigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes nnd Noüzei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-PE die 6 gespaltene Petitzeile SO Pf-, Reclameu unter dem Rrdaction«strich (4ga- spalten) 50^, vor den yamiltennachrtchke» (6 gespalten) 40-4. Größere Schriften laut unserem Vrais- verzeichnitz. Tabellarischer und Ztffrrnsgtz noch höherem Tarif. Extrarveilaacu lgefalzt), »ar mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördrrauz 60.—, mit Postbefürderun- ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abrud-Ausgabe: vormittag« 10 Uh«. Morgen-Au-gab«: Nachmittag« «Uhr. vei den Filialen und Annahmestelle» je et»» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« a» di« Expeottioa ,. zu richte». Truck und Verlag vo» E. Pol» io Leipzig Donnerstag den 30. August 1900. Jahrgang. Anarchismus und Zocialdemokratie. -2- Die kriegerischen Ereignisse in Ostasien und in Süd afrika mit ihren spannenden und wechselvollen Nachrichten und Vorgängen haben die anarchistische Mordthat in Monza schneller in den Hintergrund treten lassen, als das sonst der Fall gewesen wäre. Auch die Erörterungen über das Wesen des Anarchismus, über seinen Zusammenhang mit der Social demokratie und über etwaige Abwehrmaßnahmen der civilifirten Staaten fließen spärlicher als sonst. Immerhin lassen Mel dungen der letzten Tage erkennen, daß ein Meinungsaustausch zwischen den Mächten im Gange ist und mehr Aussicht auf Er folg hat, als nach der auf Anregung Italiens aus Anlaß der Ermordung der Kaiserin Elisabeth von Oesterreich ein berufenen, aber ergebnißlos verlaufenen Conferenz anzunehmen war. Die Aussicht auf Erfolg darf nicht allein geschlossen werden aus den sehr kräftig für allgemeine Maßnahmen gegen die Anar chisten sich äußernden öffentlichen Meinung in Frankreich, der Schweiz und anderen Ländern, sondern auch aus der auffälligen Schweigsamkeit der socialdemokratischen Presse, der offenbar bei dem, was kommen könnte, nicht ganz wohl ist. Wenn die So cialdemokratie sich auch beeilt hat, den Mörder Bresci wie seine verabscheuungswürdigen Vorgänger von sich abzuschütteln, die innere Gemeinschaft mit dem Anarchismus wird sie nie und nimmer beweiskräftig ablehnen können. Denn der Anar chismus entspringt dem schroffen Gegensätze zur gegenwärtigen gesellschaftlichen und wirthschaftlichen Ordnung. Diesen Gegen satz hat er, wie Prof. vr. Georg Adler in Berlin im Hand wörterbuch der Staatswissenschaften ausführlich darlegt, mit der Socialdemokratie gemeinsam. Beide sind Früchte vom Baume der nämlichen Lehren, Folgewirkungen einer vollendet pessimistischen Beurtheilung der historisch gewordenen social- wirthschaftlichen Zustände. Insbesondere ist auch die princi- pielle Schroffheit des Gegensatzes den beiden Richtungen ge meinsam. Die Socialdemokratie so wenig wie der Anarchismus halten diesen gegebenen Zustand für verbesserungsfähig, beiden erscheint er so durch und durch faul und verderbt, daß er bis auf die Wurzeln ausgerottet werden müsse, — je früher und je gründlicher, desto besser für die proletarischen Massen. Doch nicht nur darin gleichen Anarchismus und Socialdemokratie einander, daß sie auf denselben Ton der Verzweiflung am Bestehenden gestimmt sind, daß sie den „besitzenden" Classen jede Fähigkeit zu einer befriedigenden Behandlung des socialen Problems ab sprechen, den „unterdrückten" Classen jede Möglichkeit einer wirk lichen Verbesserung ihres Looses im Rahmen der heutigen Ge- sellschafts- und Erwerbsordnung aus dem Sinne reden; auch darin gleichen sie einander, daß sie übereinstimmend für das Proletariat, für die zu revolutionirenden Massen den Beruf zum Zertrümmern der überlieferten und zum Schaffen einer neuen Ordnung in Anspruch nehmen, sich demgemäß ausschließlich als Interessenvertretung des Proletariats geberden und nur in ihm ihren eigenen Lebensboden finden wollen. Der heutige Anarchismus ist genau ebenso wie die Social demokratie nichts weiter, als ein Stück vom modernen So- cialismus. Sie haben denselben Ausgangspunct: die ausschließ liche Beschäftigund mit dem socialen Problem der Gegenwart. Sie berühren sich m allen wesentlichen Ergebnissen der zersetzen den Kritik, die sie am Bau und Leben des socialen Körpers üben. Sie stimmen hauptsächlich in der Behandlung überein, daß nur eine Cur L la Doctor Eisenbart, d. h. die grund stürzende sociale Umwälzung, die Bahn für eine wirkliche Lösung der socialen Frage freimachen könne. Es entspricht lediglich dieser Uebereinstimmung, daß beide zu Anbeginn in derselben Organisation sich vereinigt hatten. Im Communistenbunde der vierziger Jahre kannte man überhaupt noch keinen anderen Unterschied, als den zwischen dem „Proletarier aller Länder" und der in der ökonomischen Entwickelung „herrschenden" Classe. Nach dem „tollen Jahre" erstickte diese kommunistische Organisation. Als sie zu Beginn der sechziger Jahre wieder hergestellt wurde, verstand es sich für den neuen Bund, für die „Internationale Arbeiter-Associa tion", ganz von selbst, daß sie alle Kreise vereinigen müsse, die sich in der schroffen Kritik der ökonomischen Entwickelung einig wüßten. Tatsächlich beherbergte die „Internationale" ein Jahrzehnt lang deutsche Socialisten und englische Gewerk- vereinler, friedfertige Proudhonisten und „blanquistische" Terro risten, Anarchisten der schärfsten Tonart und liberale Philan- tropen und russische Nihilisten. Dabei blieb es jeder Gruppe überlassen, die letzten Ziele der Bewegung sich so phantasiereich wie möglich auszumalen. Nichts wäre auch widersinniger ge wesen, als sich hierin gegenseitig im Wege zu sein. Was nach der bezweckten großen Umwälzung einzurichten sein würde, brauchte ja den Zusammenhalt der Socialisten um so weniger zu geniren, als nach übereinstimmender Ansicht die allgemeine Umwälzung doch erst nach Jahrzehnten gemeinsamer Vorwärts bewegung zu erreichen sein würde. — So finden sich nament lich Marx und Bakunin ein volles Jahrzehnt hindurch in der „Internationale" treulich verbunden. Mittlerweile war aber ein weltgeschichtliches Ereigniß eingetreten, mit dem sie beide vorher nicht gerechnet hatten: die Aufrichtung de» deutschen Reicher. Bis dahin konnten Meinungsverschiedenheiten über die Taktik deshalb nicht aufkommen, weil man sich dem alten deut schen Staatenbunde gar nicht feindselig genug gegenüberstellen konnte. Jetzt aber aalt eS, die agitatorische Methode zu revidiren, denn im neuen Deutschland war das allgemeine Wahlrecht aufgerichtet worden und zunächst eröffnete es wenigstens für demokratische Bestrebungen gute Aussichten. Die socialdemokratische Partei durfte e» nicht verschmähen, mit diesem Mittel einen Versuch zu machen. Sie verfolgt, wie es ihr Name schon besagt, da» Ziel der socialen Revolution auch auf politischen Wegen; sie will den Staat erobern, um ihn zu zertrümmern. Von diesem Gesichtspunkt« geleitet, war sie be reit» bei der BegründunadeS norddeutschen Reichstages auf den Boden des allgemeinen Wahlrechts getreten und hatte die par lamentarische Bethätiaung begonnen. Der Anarchismus dagegen hat mit politischer Ordnung überhaupt nicht» zu thun, er verwirft jeden Gedanken an Be herrschung und Beherrschte, er läßt überhaupt keine politische Ordnung gelten. Demgemäß war ihm jede Berührung mit den politischen Einichtungen de» GegenwartSstaateS zuwider und er verlangte auch von den Genossen in der „Internationale", von der Arbeiterklasse, daß sie jeder politischen Thätigkeit entsage, daß sie ihre Kräfte ausschließlich auf das Gebiet des unmittel bar ökonomischen Kampfe» um Lohn und Arbeitzeit concen- trire. Am sichersten werde die ganze moderne Staats- und Ge sellschaftsordnung zusammenbrechen, wenn man sie durch öko nomische Krisen von unter her zerstöre. Ueber die taktischen Meinungsverschiedenheiten kam es zur Auseinandersetzung. Die Socialdemokratie traf Anstalten, der stürmisch draufgängerischen Bundesgenossen sich zu entledigen. Der äußere Anlaß dazu wurde gefunden, als die Anarchisten verlangten, daß die weit gehende Autorität des Gencralrathes der „Internationale" ein gedämmt werde. Auf dem Congreß im Haag (1873) wurde die Kraftprobe veranstaltet, Bakunin und Genossen wurden aus geschlossen und damit die bisherige gemeinsame Organisation aufgelöst. Von da ab ist allerdings die Unterscheidung äußerlich her beigeführt und man darf den Socialdemokraten gerne ein räumen, daß sie es an Eifer nicht haben fehlen lassen, um nach außen hin den Schein zu wecken, als sei das Tafeltuch zwischen ihnen und den Anarchisten vollständig zerschnitten. Am wenigsten aber leuchtet dies denselben „Proletariern" ein, denen man sich bis dahin als Interessenvertretung mit gemeinsamer Firma empfohlen hatte. Es ist in der That eitel Spiegel fechterei, wenn die socialdemokratische Presse immer wieder be hauptet, daß nur die nichtsnutzige Bourgeoisie verläumderischer Weise den Anarchismus und die Socialdemokratie als Ab kömmlinge einer und derselben Art darzustellen suchen. Nein, sie stellen sich als solche verwandte Richtungen zuerst und hauptsächlich dem „Proletariat" selbst dar. Die Grenzen zwischen Socialisten und Anarchisten sind allezeit flüssig geblieben. Das Wechseln auf den Grenzen herüber und hinüber hat noch zu keiner Zeit aufgehört. Gestern noch waren die Wildegger, Werner, Landauer und Genossen im socialdemo kratischen Lager; als die Gruppe der „Jungen" vertraten auch sie nur die Forderung, daß die Berührung mit dem Parlamen tarismus aufgegeben werde, weil dadurch jede ehrliche revolutio näre Bewegung gehindert, jede revolutionäre Partei corrumpirt würde. Als unbequeme Gäste an die Luft gesetzt, wurden sie — Anarchisten. Das ist den Führern der Socialdemokratie recht unbequem, aber es bleibt deswegen doch Thatsache, an die zu erinnern im Augenblicke doch geboten erscheint. Die Wirren in China. Zur Lage ist eine Reihe von Telegrammen zu wiederholen, auö denen hervorgeht, daß die letzte Pekinger Meldung vom 21. August datirt, von da ab die telegraphische Verbindung mit der Küste also unterbrochen zu sein scheint, des Weiteren, daß der Vormarsch der Verbündeten von Peking aus in südlicher Richtung begonnen hat und — leider — daß es wieder einmal an Einigkeit unter den Truppenführern mangelt. Die Telegramme lauten: * Berlin, 29. August. (Telegramm.) Der zweite Admiral des Kreuzergeschwaders meldet aus Taku vom 26. dieses Monats: Capitän Pohl meldet aus Peking vom 22. dieses Monats: Die Compagnie Hecht ist mit 94 Mann und Proviant heute hier ringetroffen. — Generalmajor von Höpsner meldet vom 24. dieses MonatS aus Tientsin: Das 1. Seebataillon muß in Peking sein. Die Meldung steht noch aus. Die Bahn Tientsill-Pangtsun ist in Betrieb, die Bahn Pangtsun-Pekinq wird in absehbarer Zeit in Betrieb sein. Ich trete den Vormarsch auf Peking am 24. dieses Monats an; bi« Uangtsun benutze ich zum Theil die Bahn. * Berlin, 29. August. (Telegramm.) „Wolfs's Telegra phische« Bureau" meldet aus Tientsin vom 26. d. MtS.: Bon japanischer Seite wird gemeldet, daß die Besetzung von Pau kt ngfu durch japanische Truppen in Aussicht steht. Von Taku aus sollen japanische Streitkräfte direct nach Pautingsu unter wegs sein. * London» 29. August. (Telegramm.) „Daily New»" melden au« Hongkong: Da« amerikanische Aviso-Kanonenboot „Costine" erhielt Befehl, nach Amoy zu gehen. — Die „Times' melden au» Hongkong: Der englische Kreuzer „Isis" ging gestern Nacht plötzlich nach Amoy. * London, 29. August. (Telegramm.) „Neuter's Bureau" meldet aus Peking vom 21. d. M.: 3 russische, 2 japanische, 1 englische« und 1 amerikanisches Bataillon durchsuchten den kaiserlichen Park südlich von Peking auf 5 Meilen nach Boxern. E« wurde keine bewaffnete Macht aufgefunden. Der kaiserliche Sommrrpalast wird heute von den Japanern besetzt. Der Winterpalast wird noch besetzt gehalten. Die Russen wollen ihn zerstören, während die Japaner ihn er halten wollen. Der Vormarsch der verbündeten Tr uppen nach Süden hat begonnen, doch bleiben einige Mannschaften zurück, um die christlichen Chinesen zu schützen. Die Lndprovinzc». Au« Hongkong, 29. August, meldet „Neuter's Bureau": Der österreichisch-ungarische Kreuzer „KaiserinElis ab et h" und „Aspern" sind nach Shanghai weiter gegangen. — Für die dritte indische Brigade sind Befehle einge- gangen, bier anzubalten. — Viele chinesische Handelshäuser stellten die Verschiffungen nach Amoy mit Rücksicht auf die Besetzung Amoy« durch die Japaner rin. — Nach Berichten vom Westslusse bewegen sich chinesische Truppen auf 15 Dschunken in der Richtung auf Wutschou. Korea. Der commandirende Ofsicier de« japanischen Kreuzer« „Suma" telegraphirt aus Gensan nach Jokohama, daß die Unruhen in Soengtschin durch rein local« Angelegen- heilen hervorgerufen worden seien. — Spätere Nachrichten au« Soengtschin besagen, japanische« Eigenthum sei schon beschädigt nnd eS seien neue Unruhen zu erwarten, wenn nicht die geflüchteten koreanischen Beamten mit einer starken Truppenabtheilung zuriickkehren würden. * Varl«, 29. Augnst. (Telegramm.) Admiral Bourrec» solle« telegraphirt, er schicke rin Kanonenboot nach Shanghai, ba den Pangtsekiang hinaussahren soll. Was nun? vr. C. C. Stuhlmann, der lange Jahre Beamter des chinesischen Seezolldienstes und zuletzt sieben Jahre Lehrer an dem chinesischen Universitätsinstitut Tungwenkuan in Peking war, schreibt der „Köln. Ztg.": Worauf es nach Niederwerfung der jetzigen Bewegung in China nach meiner Ansicht vor Allem ankommt, ist, dort Zu stände zu schaffen, die dauernd Garantien bieten, daß solche bedauerlichen Ereignisse, wie die der letzten Monate, nicht wieder stattfinden können. Dazu ist in erster Linie eine exemplarische Bestrafung Derjenigen erforderlich, die dafür verantwortlich sind, daß die Regierung sich auf Seiten der fremdenfeindlichen Bewegung gestellt hat. Sollte sich ergeben, daß die Kaiserin nicht dazu gezwungen ward, sondern aus eigener Initiative, wie es nach den letzten Nachrichten den Anschein gewinnt, den Kampf gegen die Ausländer begünstigte, so müßten sie und alle ihr nahestehenden Mitglieder des kaiserlichen Hauses von der Regie rung ausgeschlossen werden. Vor Allem aber wäre der Prinz Tuan zur Rechenschaft zu ziehen. Derselbe ist den in Peking ansässigen Europäern seit lange als ein fanatischer Fremden hasser bekannt. Außerdem ist er ein roher und gewaltthätiger Mensch, von dem behauptet wird, daß er dem Trünke ergeben sei. Auf der andern Seite gilt Prinz Tsching für human und ist mit europäischen Verhältnissen genügend vertraut, daß man ihm die Führung des Reiches, soweit Ausländer dabei interessirt sind, wenigstens vorläufig ohne großes Bedenken an vertrauen könnte. Die Untersuchung, wer die Schuldigen sind, müßte jedoch selbstverständlich nur an Ort und Stelle durch die Gesandtschaften in Peking erfolgen, und es sollte — um es noch mals zu wiederholen — die schärfste Bestrafung Diejenigen treffen, auf deren Urheberschaft die beklagenswerthen Ereignisse zurückzuführen sind. Mit einer allgemeinen Niederreißung von öffentlichen Gebäuden der Hauptstadt, sowie der Vertreibung ihrer Einwohner en inagse wäre nach meinem Dafürhalten nichts gewonnen. Es würde den Chinesen durchaus nicht den Eindruck hinterlassen, daß wir eine höherstehende Civilisation besitzen, als die ihrige. Außerdem würden dadurch die Schul- oigcn nur zum geringsten Theil betroffen werden. Das Volk hätte somit fast allein zu büßen für das, was seine Machthaber verbrochen haben. Hier möchte ich einschalten, daß in den letzten Jahren von den Ausländern, und nicht zum Wenigsten von Missionaren, das, was man mit chinesischer nmour propre bezeichnen könnte, nicht beachtet worden ist. Dies hat in manchen Fällen dazu beigetragen, den Fremdenhaß unter den Beamten zu schüren. Dem Chinesen kommt es vor Allem darauf an, den Schein zu wahren, und so wenig Mancher unter ihnen sich etwas daraus machen würde, Handlungen zu begehen, die in unseren Augen unstatthaft erscheinen, so würde er dennoch unter gewissen Umständen lieber sein Leben einbllßen, als daß er, wie es im Chinesischen heißt, „Gesicht verlöre". So wären z. B. in den letzten Jahren die Verhandlungen betreffs Abtretung von Gebietstheilen an europäische Mächte viel größerem Widerstande bei der chinesischen Regierung begegnet, wenn es der Diplomatie nicht geglückt wäre, dafür die Bezeichnung Pachtung einzuführen. Auf diese Weise wurde vor der Welt wenigstens der Schein auf recht erhalten, daß die betreffenden Länder immerhin noch chine sisches Eigenthum geblieben seien und im Grunde genommen ein Aufgeben derselben nicht stattgefunden habe. Daß der Fremdenhaß unter den Beamten weit verbreitet ist, weiß Jeder, der Gelegenheit hatte, mit Leuten dieser Classe zu verkehren. Er setzt sich fort unter den gebildeten Ständen, d. h. dem Heer derer, die in China auf Staatsanstellung reflectiren, und ist in letzter Zeit bedeutend genährt worden durch den fortwährenden Hinweis der Ausländer auf die Hinfälligkeit des chinesischen Regierungssystems und die Unhaltbarkeit bestehender Einrich tungen. Dadurch wurde ein allgemeines Unbehagen in diesen Kreisen erzeugt und das Gefühl erweckt, daß die Zeiten un sicher geworden seien. Denn wenn erst Kenntnisse europäischer Wissenschaften, wie Geographie, Nationalökonomie, Völkerrecht u. s. w., von einem Beamten verlangt würden, so wäre ja der größte Theil der im Amte befindlichen und derjenigen, die sich Hoffnung auf Anstellung machen, unfähig gewesen, einen Posten zu bekleiden. Deshalb der Haß gegen alles Fremde und die Aufstachelung des niederen und ungebildeten Volkes gegen die Eindringlinge. Daß dieses an und für sich Fremden feindlich gesinnt sei, ist nach meinen Erfahrungen durchaus nicht der Fall. Im Gegentheil, ich habe stets gefunden, daß, so lange keine Gefahr aus dem Verkehr mit Fremden für sie zu befürchten war, die unteren Classen durchaus keine Ab neigung zeigten, mit diesen in Beziehung zu treten. Wie oft ist mir auf Reisen von Leuten aus dem Volke angeboten worden, an ihren Mahlzeiten theilzunehmcn oder wenigstens einen Zug auS ihrer Pfeife zu thun. Wenn nun auch in manchen Fällen der Wunsch, den „fremden Teufel" einmal ganz in der Nähe zu betrachten, der Hauptbeweggrund war, so blieb doch häufig die Absicht, eine Freundlichkeit zu erweisen, unverkennbar. Was vor Allem wünschenswerth ist, wäre eine Aufklärung dcS Volkes durch die Regierung über das, waS die Ausländer in China erstreben, sowie eine energische Bekämpfung der im Lande vielfach verbreiteten falschen Ansichten über unser Thun und Treiben. Was ist von Menschen zu hoffen, die, wie dies in Peking und auch anderwärts der Fall ist, glauben, daß condensirte Milch von den Fremden auS dem Weißen von Kinderaugen bereitet wird! Diese Ansicht ist, wie ich nicht einmal, sondern häufig zu hören Gelegenheit hatte, nicht nur im Volke, sondern auch unter den Gebildeten allgemein verbreitet. Ein mir bekannter Chinese, der wagte, dagegen Einspruch zu erheben, wurde daraufhin von seinen besten Freunden auf lange Zeit gemieden und für einen mit den Fabrikanten solcher Scheuß lichkeiten im Bunde stehenden Unmenschen gehalten. Er hat sich später sehr gehütet, dergleichen Aufklärungsversuche zu wiederholen. Daß sich solche aberwitzige Ansichten nicht durch Niederreißen von Mauern aus der Welt schaffen lassen, ist selbstverständlich. So lange hier nicht Besserung geschaffen wird und dergleichen unsinnige Märchen im Volke Glauben finden, ist für die Zukunft wenig zu hoffen. Wem bekannt ist, wie leicht der Ungebildete in China von den höher stehenden Classen beeinflußt wird, der begreift, daß im Lande allmählich eine allgemeine Bewegung gegen die Fremden Platz greifen mußte. Der in Folge häufiger Mißernten und sonstiger Kalamitäten im Norden deS Reiches hervorgerufene Nothstand war seit einiger Zelt schon die Ursache großer Unzufriedenheit unter der dortigen Bevölkerung. Es war ein Leichtes, der dadurch entstandenen Bewegung eine den chinesischen Christen feindliche Richtung zu geben, die sich später dann gegen die Missionare und schließlich gegen alle Ausländer wandte und unter dem Namen des Boxer aufstandes bekannt geworden ist. Daß dieser einen Umfang erreichte, wie es sonst unmöglich gewesen wäre, ist in erster Linie der Unterstützung durch die Beamten zuzuschreiben. Sie sollte somit die Strafe treffen und nicht die große Menge des irregeleiteten Volkes, das systematisch von jenen gegen die Fremden aufgehetzt wurde. Deutsches Reich. 6. II. Berlin, 29. August. (Die „organisirten". Arbeiterinnen.) In dem Berichte der Hamburger General commission über die deutsche Gewerkschaftsbewegung im Jahre 1899 kehrt das alte Klagelied wieder, daß die deutschen Frauen von der Socialdemokratie und den ihr so verwandten Gewerk-, schaftsorganisationen nichts wissen wollen. Erst 2,35 Proc.; von den industriellen Arbeiterinnen im Alter von 18 bis 60 Jahren sind „organisirt", eine Thatsache, die Herrn Legien folgende Klage entlockt: „In vielen Ge werben wird ein Kampf um bessere Lohn- und Arbeits bedingungen heute ohne Antheilnahme der Arbeiterinnen nicht mehr geführt werden können. So wenig aber, als man bei einem Streik mit Sicherheit auf das Ausharren der betheiligten nicht- organisirten Arbeiter rechnen kann, so wenig zuverlässig werden auch unorganisirte Arbeiterinnen im Lohnkampfe sein. Des wegen muß danach getrachtet werden, auch die Arbeiterinnen durch die Organisation zu zuverlässigen Mitkämpferinnen zu erziehen." Danach trachten aber bekanntlich die Gewerkschafts führer schon seit vielen Jahren vergebens. Die Gewerkschafts führer weisen nun freilich darauf hin, daß im Jahre 1899 dir Zahl der organisirten Arbeiterinnen bedeutend zugenommen habe; 1899 habe man ihrer 19 280 gezählt gegen 13 481 im Vorjahre. Aber diesem Zuwachse sichen beträchtliche Abnahmen gegenüber. Im Jahre 1898 gab es 3071 organisirte Fabrikarbeiterinnen, 1899 nur noch 2499, d. h. 572 weniger; es haben also 20 Proc. der Fabrikarbeiterinnen der Organisation den Rücken gekehrt. Ferner hatte die Organisation 1898 415 Porzellanarbeiterinnen aufzuweisen, 1899 nur noch 260; von ihnen sind also 155, d. h. bald 40 Proc., abgefallen. Die allgemeine Zunahme ist haupt sächlich darauf zurückzuführcn, daß man durch geschickte Agitation 4504 Textilarbeiterinnen der Organisation neu zugeführt hat; es ist überdies sehr fraglich, ob diese Arbeiterinnen lange in der Organisation aushalten und ob sie überhaupt Beiträge zahlen. Das Zahlen ist von jeher die schwächste Seite der weiblichen Mitglieder gewesen; so zählte die Orga nisation der Schneiderinnen bei dem Streik der Con- fectionsarbeiterinnen in Berlin allein Tausende von Mitgliedern, aber als es an das Bezahlen gehen sollte, fiel der stattliche Verein ganz auseinander und jetzt giebt es in ganz Deutschland nur noch 482 organisirte Schneiderinnen. Die Klagen des Herrn Legien sind also berechtigter, als die Be rufung der Gewerkschaftsführer auf die Zunahme der Zahl der organisirten Arbeiterinnen. 4t Berlin, 29. August. (Zur Neuregelunz de« Ap o- thcken wesens.) Bekanntlich wird schon seit einer Reihe von Jahren an einer einheitlichen Neuregelung des Apotheken wesens gearbeitet. Die Apotheker selbst haben sich, wie au« dem letzten Geschäftsberichte des Deutschen Apotheker-Verein« bervorgeht, in ihrer großen Mehrheit für die Beachtung folgender Grundsätze ausgesprochen: „Jede neu zu vergebende Apothekenconcession wird öffentlich ausgeschrieben, nachdem da- örtliche Bedürfniß, sowie die LebenS- sähigkeit der neu zu errichtenden Apotheke und der betheiligten Nachbaravotheken unter Mitwirkung einer au« freier Wahl de- Apolhekcrstandes hervorgegangencn Sachverständigen-Commission ge prüft und anerkannt worden ist. Diejenigen Apothekenbesitzer, welche durch die Neuerrichtung der Apotheke geschädigt werden, sind vorher mit ihren Einwendungen zu hören. Die Verleihung erfolgt in der Regel an denjenigen Bewerber, der am frühesten die Approbation als Apotheker erlangt hat. Sind mehrere gleichalterige Bewerber vorhanden, so entscheidet die bessere Note in der Staatsprüfung. Wer nach erlangter Approbation das Fach einige Zeit verlassen hat, darf sich ebenfalls bewerben, doch zählt die in einem anderen Berufe zugebrachtr Zeit bei der Be- rechnung des Dienstalters nicht mit. Wer länger al« 5 Jahre da» Fach verlassen oder bereit« eine Apotheke besessen und dieselbe verkauft hat, darf sich nur unter besonderen Umständen nach ein geholter Erlaubniß der Lande« - Centralbehörde mitbewrrben. Apothekenbesitzer, die ihre Concession dem Staate zur Verfügung stellen, sind zur Bewerbung zugelassen. Jeder, der eine Concession zur Errichtung einer neuen Apotheke erhalten hat, ist verpflichtet, eine ordnungsmäßige Buchführung auf Erfordern der Sachverständigenkommission vorzulegrn. Nach dreijährigem Besitz hat der Nruconcessionar von dem jeweiligen buchmäßigen Reingewinn eine entsprechende progressiv zu steigernde Iahre-abgabe zu zahlen, di« nach dreijährigem Durchschnitt scstzustellen ist. Die Höhe der Abgabe und di« Dauer der ZahlungSpflicht sind gesetzlich festzulegen. Nruconcessionen dürfen erst nach 10 Jahren frei veräußert und vererbt werden. Bestehende Personalconcessionen können durch Zahlung, bezw. Nachzahlung der Abgabe bi« zum tzöchstbetrag von 10 Jahre-raten in vererbliche und veräußerliche Apotheken umgrwandelt werden. Ererbte und käuflich erworbene Personalconcessionen, wie sie in einzelne» Bunde-staaten bestehen, werden ohne Weitere« wie frei vererbliche und veräußerliche behandelt. Di« vor dem 80. Juni 1894 in Preußen errichteten Apotheken werden nach Ablauf der zehn jährigen Unverküuslichkeit abgabenfrei vererblich und veräußerlich. Der Fortbetrieb einer verkäuflichen Apotheke muh jedem Er werber derselben genehmigt werden, sofern er im Besitze der Appro- bation, der Neich-angehörigkeit und dar bürgerlichen Ehrenrechte ist. Die Genehmigung zum Fortbetrieb» einer Apotheke darf jedoch demselben Apotheker nur dreimal »«heilt werden. In besonderen
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite