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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.08.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-08-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000831023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900083102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900083102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-08
- Tag1900-08-31
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Ämtsvlatt des Lönigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Matizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. «Az»i«eM-Prer- die -gespaltene Petitzeile SO Pfg, «rclamrn ««ter de« htedaüienSftrich (»M- spaltea) bO^, vor den Fumitteuuachnchien (Sgrspoltra) 40^. chröhere Schrift«» laut aus««» Amts- ver^ichuch. Tabellarischer und Atprrnfatz aach höherem Laris. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morarn-Ausgabe, ohne Postbrförderuag SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmrfchluß fir Änzeize«: Ib«ud-Ausgab«: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» »Uhr. Bei de« Filiale« «ud Annahmestelle« j» et» halb« Stund« früher. Anzeise« sind ft«» a» di« Expedit»« Ul richte«. DniS und Verlag von E. Pol» dl LeipziA -143 Freitag den 31. August 19 )0. 94. Jahrgang. Die Wirren in China. - Nachgerade wirkt daS gänzliche Ausbleiben der Nachrichten von der Front etwas beunruhigend. Die telegraphische Verbindung bat noch nicht wieterhergestcllt werden können und auch Boten sind nicht in Taku eingetroffen, ein Zeichen, daß über Tientsin nach Peking hinauf die Cbinesen noch durchaus nicht weg gefegt sind, wie eS in den Depeschen englischer Blätter über einen großen japanischen Sieg hieß. Man weiß nicht iin entferntesten, was seit der Einnahme Peking- geschehen, es können sich große chinesische Streitkräfte concentrirl haben und eS kann zu neuen Kämpfen gekommen sei», über deren Ausgang tiefes Dunkel herrscht. Unterdessen kommen weiter nicht minder besorguißerregende Nachrichten über Zwiespältigkeiten unter den Mächten. Man berichtet unS: * Washington» 30. August. (Reuter's Bureau.) Während amtlicherseitS nichts über die lange gestrige Sitzung des Cabinets verlautet, gewinnt die Anschauung an Boden, daß es sich bei der Berathung um den Vorschlag des russischen Ge schäftsträgers Wollant handelte, der dahin ging, daß die Truppen der Verbündeten sich von Peking zurück ziehen sollten, sobald die Sicherheit für dieFremden gewährleistet worden sei. Man nimmt in diplomatischen Kreisen an, daß Amerika diesem Vorschläge zustimmen und die Mächte hiervon verständigen, in derselben Note aber auch um weitere Erklärungen über die Absichten der Mächte bezüglich der Wiederherstellung der Ordnung in China ersuchen werde. TaS Cabinct ist der Ansicht, daß sich dieses Ziel leichter würde er reichen laßen, wenn dem chinesischen Kaiserhof« die Rück kehr nach Peking gestattet würde. Auch der Londoner „Daily Croniclc" läßt sich auS Washington ein Telegramm über die Sitzung dcS Cabinets senden. Auch nach dieser Quelle soll ter Zweck derselbe gewesen sein, durch eine gemeinsame Action der Mächte den Frieden in China zu sichern. Die Vereinigten Staaten hätten dafür Rußlands Mitwirkung zugesichert erhalten, dessen Erklärungen, daß es eine schnelle friedliche Lösung wünsche, als aufrichtig acceptirt worden seien. Die amerikanische Negierung beeile sich darum, schnell zu einer Lösung zu kommen, weil eS Deutschlands Programm weiterer Feind seligkeiten matt setzen wolle. Mac Kinley und das Cabinet glaubten, daß, wenn alle anderen Mächte für den Frieden sind, dann Deutschland nickt allein handeln werde. Sollte die Hoffnung auf eine Einigung der Mächte in dieser Richtung sich nicht erfüllen, so würde Amerika eine Per sönlichkeit ernennen, die seine Interessen in China zu ver treten hätte, und dann seine Truppen zurückziehen. Vorläufig ist darauf zu achten, daß beide Meldungen englischer Provenienz sind, denn auch daS „Reuter'sche Bureau" steht bekanntlich in englischem Dienste. Zur Charakterisirung der Londoner Strebungen führe» wir an, was unser dortiger Correspondent uns unter,» 29. August schreibt: Dieselben Blätter, die gestern noch mit Behagen die albernen und unverschämten Expectorationen des Fürsten Uchtomski abdruckten, müssen beule von der Aenderung, die die Odessaer „Rossija", deren Beziehungen man hier wohl zu schätzen weiß, in ihrer Beurlheilung der deutsch-russischen Beziehungen macht, Notiz nehmen. Die „Rossija", die vor einiger Zeit noch Deutschland als einen Parvenü in Ostasien bezeicknele, und die Entseudung eines deutschen Oberbefehls habers mißbilligte, hat jetzt ihre Gefühle revidirt und, ver- muthlich Dank einer kleinen politischen Belehrung aus Peters burg, gefunden, daß der Kaiser unzweifelhaft Hand in Hand mit Rußland zu geben wünscht. Daran knüpft daS russische Blatt dann einige Bemerkungen, über die kommende Grup- pirung der Mäckte, und meint, cs würden sich zwei Lager bilden, im einen Deutschland mit der Tual-Alianz, im andern England allein. Ties Bild, das sich die „Rossija" mit oder ohne Belehrung gemacht hat, hat eine merkwürdige Ähnlichkeit mit dem, das man in England jetzt von der Lage zu erhalten scheint. In englischen diplomatischen Kreisen ist mau der Ent wickelung der Dinge in Ostasien mit einer Nervosität gefolgt, die als der Ausdruck steigender Besorgr.iß erscheint: Man sieht die Gefahr einer völligen Jsolirnng nahe. Amerika hat bereits gezeigt, daß cs seine eigenen Wege gebt, als cs jene Initiative ergriff, die erst zur Zurückziehung der anglo indischen Truppen vor Shanghai und daun zu der England äußerst unsympathischen Coalitious-Occupatio» der Stadt und der Nangtscmündung führte, und nun besetzt Japan, plötzlich Amoy, ohne auch nur England davon zu arnsiren, geschweige denn es um Rath oder seine Meinung zu fragen, und legt damit den ersten Schachzug seines eigenen Spieles auf — wenn dieses nicht gar, so meint man hier auch, in zwischen heimlich mit Rußland abgekartet ist. Bezeichnend ist, daß der „Standard" sich an die an gesichts der russischen Prcßoerhältuisse etwas vage Hoffnung bält, daß die Combinationen der „Rossija" lediglich das Werk eines Sommcr-Nedacteurs sind, und daß das ossicielle englische Organ plötzlich sein Her; für japanische Wünsche in Bezug aus Korea entdeckt. Jedenfalls tbut der „Standard" besser, mit feiner Kritik über die Unmöglichkeit einer Isola tion, die es selbst früher noch so „splcndit" fand, zurückzu halten, bis seine Fühlung mit den Facloren, die heute aus schlaggebend sind, sich gebessert hat. Dieselben sind allerdings nicht englische. Missionare auf der Flucht Die Reuter'sche Agentur veröffentlicht folgenden Bericht über die Art und Weise, wie einige englische und amerika nische Missionare, nachdem sie knapp den Boxerborden in Tschili entkommen waren, unter unglaublichen Schwierigkeiten durch Schantung nach Tschifu reisten. Von da fuhren sie nach Japan. Der Brief stammt aus der Feder vr. Mcfar- lane'S, dcS Arztes der Hsiao Cbang-Station der Londoner Missionsgesellschaft in Tschili. Es heißt in dem Briefe u. A.: „Tie Unruhen im vorigen Winter waren bereits der An fang der jetzigen Revolte. Von da ab hatten wir keine Nube mehr, und von allen Seiten trafen Drohbriefe ein. So lange wir unsere Cavalleriewache von 50 Mann hatten, wagten uns die Boxer nichts zu thun. Am 20. Juni wurde die Wache abgerusen, weil die Forts von Taku von den Fremden genommen worden seien, nnd die Soldaten ge braucht würden, um gegen die Ausländer zu kämpfen. Als Alles zum Abmarsch fertig war, kam ein anderer Eilbote, der der Wache den Befehl brachte, zu bleiben. Wir hielten Abends einen Dankgottesdienst ab, weil wir wußten, daß die Abberufung der Wache unseren Untergang bedeutete. Am folgenden Tage kamen dringende Tele gramme von dem amerikanischen und dem britischen Consul, mit dem Wortlaut: „Fliehet sofort und trefft in Pang Chuang (eine Station 40 Meilen von Schantung entfernt) die Amerikaner und fliehet mit ihnen südwärts." Wir Über gaben darauf dem Magistrat unser Eigenthum und erklärten, daß wir auf Anweisung der Cousuln sortgingen. Er weigerte sich, irgend etwas mit der Station zu thun zu haben und sagte, er könne die Mission nicht schützen. Er rieth uns ebenfalls dringend, sofort abzureisen, da die Boxer einen An griff vorbereiteten und er uns nicht schützen könne. Wir baten ihn, Wagen zu beschaffen, aber ohne Erfolg. Wir hatten unS so eingerichtet, daß Jeder einen Koffer für seine Kleidungsstücke und Werthsachcu hatte und waren am 2l. Juni Abends zur Abreise bereit, sobald Wagen beschafft wären. An demselben Abend uni 7 Uhr kam ein Eilboote mit dem Befehl, daß die Truppen sofort abmarschiren sollten, und in weniger als einer Stunde waren sie fort. Alles verließ uns, selbst die Beamten, die bisher unsere Freunde gewesen waren. Am nächsten Morgen begann bas eigentliche Unglück. Während der Nacht hatten die Boxer in Erfahrung gebracht, baß unsere Wachen entfernt worden waren und daß jetzt der geeignete Moment zum Losschlagen gekommen sei. Das Erste, was wir erfuhren, war, baß unsere neue Capelle in Kelsun, sechs Meilen von unS entfernt, verbrannt sei und daß derselbe Mob, aus ungefähr 300 Köpfen bestehend, auf der» Wege sei, auch unsere Station zu zerstören. Nirgends waren Wagen zu bekommen. Wir warteten bis 5 Uhr Nachmittags, mußten aber dann flüchten. Wir besaßen zwei zur Mission gehörende Wagen und einer der Prediger hatte einen Wagen, aber keine Zugthiere. Als wir den Ort aus dem südlichen Thore verließen, brach der Mob zum nörd lichen herein. Da kein Platz in den Wagen war, mußten alle Männer gehen. Einige zwanzig bewaffnete eingeborene Christen begleiteten uns. Am nächsten Abend kamen wir nach Panty Chang; wir sanden unsere amerikanischen Freunde auf uns wartend und bereit, auszubrechen. Der Gouverneur von Schantung, Aua», stellte uns eine Eöcorte. Wir brachen in dreizehn Wagen nach Tsi-nan-fu auf. Hier kam ein Bote von Hsiaockang, der die Nachricht brachte, daß gleich nach unserer Flucht der Mob Alles zerstörte und verbrannte. Die Leute jin der Stadt, denen wir unendlich viel Gutes gelhan, waren die Ersten, mit der Plünderung zu be ginnen. Nach Uebcrstchuug vieler Gefahren kamen wir nach Tsckifu. Hier wurden wir wieder hinauSgetrieben, weil die Consulu erklärten, baß sie keine Mittel hätten, uns zu schützen. Ma» verbot unS, nördlich nach Tientsin oder Wci-hai-wei oder südlich nach Shanghai zu geben; der einzige Rettungsweg, der uns übrig blieb, war nach Japan. Im Nebel rannten wir an der koreanischen Küste mit einem russischen TranSportdampfer zusammen, glücklicherweise ohne schwere Folgen, der Zusammenstoß war aber trotzdem schreck lich. Bei unserer Landung in Nagasaki fanden wir Alles mit Flüchtigen besetzt. Jetzt sind wir in Kobe. Der Schreiber dieses Briefes spricht schließlich die Mei nung aus, eS werde mindestens ein Jahr dauern, bis Alles wieder ruhig sei und für lange Zeit werde man im Innern Chinas nichts thun können. * Petersburg, 30. August. Bei dein Generalstabe sind am 30. August folgende Nachrichten eiugelaufen: Die Truppenabtheilung des Generals Rennenkampf rückt rasch vorwärts und ist am 26. August in Ninnianitsch, 70 Werst von Tsitsikar, angekommen. Der Telegraph ist von Aigun bis Merzen sertiggestellt worden. 3 Ossiciere und 22 Soldaten sind getödtet, 5 Osficiere und 79 Sol daten verwundet worden. Erbeutet wurden 2 Mitraillcusen und 33 Geschütze. (WLrhlt.) Der Krieg in Südafrika. —k>. Auch bis zur Stunde schweigt der Telegraph über neue kriegerische Ereignisse bei Machadodorp, über das hinaus die Engländer bekanntlich nur wenige Kilo meter in nördlicher Richtung vorgedcungen sind. Hier haben sie die Boeren von ihren unsichtbaren Positionen auf steilen Höhen und in verwachsenen Schluchten vorläufig zum Stehen gebracht. ttebcr Vic Tcrraiilvcrhiiltnissc des Gebietes, in dem gegenwärtig die Kämpfe stattfinden, wird der „Voss. Ztg." aus Amsterdam geschrieben: „Seit einer Woche überziehen sich die Felder, nachdem der Winter in Südafrika abgelaufcn ist, wieder mit einem leichten Graswuchs, worüber Lord Roberts in einem besonderen Telegramm seine Freude ausdrückte, aber diese dauerte nur sehr kurz, denn die Boeren haben das Gras angezündet und verbrannt, so daß sich die eng lischen Pferde und Zugthiere bis auf Weiteres mit dem aus Britisch-Jndien eingcführten Heu und dem harten getrockneten australischen Gras begnügen müssen, so weit nämlich stets ein Lorrath des letzteren verfügbar ist. Die Boeren behielten aber hinter ihren Stellungen ihr grünes Weidefeld für ihre Pferve und Ochsen. Ein solcher Grasbrand erschwert natürlich den Aufmarsch der Engländer sehr bedeutend, denn nicht nur Menschen und Thiere laufen Gefahr, umzukommen, sondern auch die Munitionswagen und die mit leicht entzündbaren Stossen, wie Zelten u. s. w. beladenen Fuhrwerke sind raschem Verderben ausgesetzt, und die für die eigene Sicherheit zu er greifenden Maßregeln verhindern die Fortsetzung der Ver folgung der Boeren. Es gicbt für Letztere kein besseres Mittel, nm ihren Rückzug zu decken, wie sie dieses bei der Räumung der Pässe im Drachengebirge (Bothaspaß, Van Neenenspaß Und Laingsnek) auch angewendet haben, um ihr schweres Geschütz von den hohen Bergen herabzuschaffen und in Sicherheit zu bringen. Endlich trägt ein Grasbrand auch dazu bei, die Eng länder bereits aus weiter Ferner heranrücken zu sehen. Wie man weiß, hat die Kleidung der englischen Soldaten eine so wenig auffallende Farbe, daß man sie erst bei verhältniß- mäßig sehr kurzer Entfernung gewahr wird; die graugelbe Farbe des Khakistoffes schmilzt vor dem grauen Hintergrund und dem grauen Vordergründe beinahe vollständig weg. Ist aber das Feld schwarz gebrannt, dann hebt sich das Khaki wie weiß von dem dunklen Boden ab, und der ohnedies mit scharfem Gesicht ausgerüstete Boer kann den englischen Soldaten schon in weiter Ferne erkennen. Uebrigens hat man die Bemerkung gemacht, daß das Gras durch Bomben, namentlich die Lydditbomben, sehr leicht angezündet werden kann, so daß ein solcher Gras brand durch die Engländer selbst verursacht werden kann. Aber noch viel verheerender und gefährlicher ist der sogenannte große Feldbrand. Um nämlich junges Gras zu bekommen, wird das alte, von der Sonne verbrannte, oft mannshohe Gras bei wind stillem Wetter angezündet, und das Feuer wird dann leicht im Zaume gehalten, bis cs sich bei irgend einem Fluß „todtbrennt", oder durch den Nachtthau gelöscht wird. Erhebt sich aber plötz lich ein Wind, dann wird die ganze Ebene in ein Feuermeer ver wandelt, die Flammen verbreiten sich mit rasender Geschwindig keit, umzingeln die hohen Berge und überspringen Flüsse und Klüfte. Das Feld, über das ein solcher Feuersturm hingebraust ist, gleicht dann einer Wüste, und ehe wieder Regen gefallen ist, wächst auch kein neues Gras nach. Da das Gelände, in dem sich die demnächst zu erwartenden Kämpfe zwischen Engländern und Boeren abspielen werden, auf lange Strecken mit solchem manns hohen Gras bewachsen ist, entsteht für die Engländer eine neue Gefahr, die sicher nicht zu unterschätzen ist." Feuilleton. Jlonka.' 8s Roman von T. Deutsch. Nachdruck vkr-oten. XVI. Fünf Jahre waren vergangen, seitdem Juran den Tod in den Wellen gefunden, der alte Fischer auf dem Friedhof zu Tyhany schlummerte. Es war wieder Frühling geworden, die Felder vor dem Dorfe grünten, die Weinberge bekleidet:» sich mit dem jungen Blätter schmucke, die Ebene trug wieder ihr hellgrünes Gewand, das mit gluihäugigen Blümchen übersät war, die ganze Welt blühte und duftete in alter Pracht und Herrlichkeit. Ferencz Huszar stand vor dem angespannten Wagen, um nach Veszprim zu fahren. Seitdem er Richter war, und er war kurz nach der Erblindung Molnar's dazu gewählt worden, führte ihn seine Amtspflicht häufig nach dieser Stadt, woselbst sich das Comitatsgericht befand. Es war schwer für den aben teuerlich gesinnten Mann, sich an ein ruhiges Zuhaustsein zu ge wöhnen. Die Nothwendigkeit hatte ihn dazu gezwungen; sein Fuhiibel, das von einem Beinbruche herrührte, verschlimmerte sich derartig, daß ihm der Arzt das Reisen auf's Strengste untersagte, und so nahm er mit Freuden die Stelle an, die ihm eine andere Thätigkeit eröffnete, als nur seine Feldet zu be bauen und den Angelegenheiten seines Hauses zu leben. Und da er ein ehrenwerther, pflichttreuer Mann war, der sich mit allen Kräften einer einmal unternotnmenen Sache weihte, so söhnte er sich bald mit seinem Berufe auS, und daS Dorf hatte alle Ursache, Mit seiner Wahl zufrieden zu sein. Ferencz hatte damals sein Wort gehalten und Jlonka zu einer befreundeten Familie nach Veszprim gebracht, denn Betka war nicht zu bewegen gewesen, das Mädchen für immer bei sich zu behalten; sie hatte es in der Krankheit gepflegt und ihck fast eine mütterliche Sorgfalt bewiesen, als sie aber genesen war, ihr in kurzen Worten angedeutet, sich anderswo eine Unterkunft zu suchen, sie dulde keine fremden Leute um sich, am wenigsten junge Frauenzimmer. Und da Ferencz von jeher wußte, daß, wenn Betka einmal nein gesagt, eS dabei blieb, so machte er auch keinen Versuch, sie umzustimmen. Er nahm das Mädchen und brachte ei zu einer Kaufmannsfamilie nach Veszprim, mit der er s«tt Jahren in Verbindung stand und bet der er ein besonderes Wohlwollen genoß. Sein einziges Vergnügen blieb, so oft als möglich nach der Stadt zu fahren, um das Mädchen zu besuchen. An dem von uns beschriebenen Tage führte ihn ein anderer Zweck hin. Es mochte elf Uhr sein, als der Richter vor dem Jstvanischen Hause in Veszprim hielt und in den Laden trat, wo eben die Frau des Hauses beschäftigt war. „Gott grüß' Euch, Richter Ferencz. Ich freue mich immer, wenn ich Euch sehe", sagte die Dame freundlich und reichte ihm die Hand. „Ob Sie sich diesmal freuen werden, ist noch die Frage", erwiderte Ferencz. „Warum denn?" „Weil ich mir die Jlonka hole." „Was?!" rief die Dame erschrocken und trat einen Schritt zurück. „Liebe Nagy asszony!" sprach Ferencz, und sein sonst heiteres Gesicht hatte einen schmerzlich-traurigen Ausdruck, „mein Weib ist seit fünf Wochen todt, ich bin ein alter, vereinsamter Mann und muß Jemand um mich haben. Soll ich mir fremde Leute ins Haus nehmen, die mich auf jede Weise bestehlen und be trügen? Ich habe mich vor fünf Jahren des Mädels ange nommen, und will auch ferner für sie sorgen. Sie soll von jetzt ab bei mir sein und nach meinem Tode Alles erben." „Auf diese Weise kann ich natürlich nichts mehr sagen", ver setzte die Dame, „aber Ihr wißt nicht, was Ihr thut, Richter, ich hätte lieber, ich weiß nicht waS, verloren, als sie zu missen. Damals that ich es blos Euch zu Gefallen, daß ich sie zu mir nahm, sie hat es mir aber reichlich vergolten: sie war ein guter Geist in meinem Hause, die Kinder hängen mit ganzer Seele an ihr, und ich weiß nicht, was ich ohne sie beginnen werde. Ich sage Euch, Ftrencz, mir wird sein, als ginge mein eigenes Kind." „Sie haben ein goldenes Herz, liebe, gnädige Frau, und ich wußte, was ich thai, als ich sie gerade zu Ihnen brachte, aber Sie wissen ja: Jeder ist sich selbst der Nächste, ich müßt' zu Grunde geheit, wenn ich so allein bleiben sollte." „Euer Unglück berührt mich tief. Wann ist Euer Weib gestorben?" „Vor fünf Wochen, und so plötzlich, so unvorbereitet, wie wenn ein Halm auSgertssen wird." „Und wann wollt Jssr die Jlonka mitnehmen?" „Gleich; ich bin eigens darum hierher gefahren. Sie wissen nit, wie eS bei mir auSsteht, wie in einer Mördergrube. — Halten Sie sie Nit zurück, liebe gnädige Frau —" fügte er bittend hinzu. „Ich hab« nicht daß Recht dazu, und wenn ich il auch hätte, Euch gegenüber, Richter, würde ich es nicht gebrauchen", ant wortete die Dame wohlwollend. „Kommt mit mir ins Wohn haus, dort könnt Ihr sie sprechen." Frau Jstvani führte Ferencz durch einen Gang in ein Zimmer und ließ ihn warten, sie wollte Jlonka zu ihm schicken. Nach einiger Zeit öffnete sich die Thür und ein Mädchen trat in die Stube. In der hohen, kräftigen Gestalt hätte Niemand die Jlonka von früher erkannt, das liebliche Mädchen mit den schlanke», zarten Formen, dem süßen, kindlichen Gesicht. Alles hatte sich an und in ihr geklärt und gefestigt. Die Gestalt war höher und voller geworden, die Formen fest und kräftig, das Gesicht hatte sich zu einer ernsten, ruhigen Schönheit entwickelt, auch die großen, dunklen Augen hatten den alten Glanz nicht mehr, es sprach jetzt ein Ausdruck sanfter Schwermuth aus ihnen, der sie aber um so schöner machte. Sie war schön, die Jlonka Batvr, schöner wie früher; es war aber eine andere Schönheit, die sie jetzt schmückte, eine tiefe Innerlichkeit, eine stille, sanfte Har monie, die ihr ganzes Wesen durchdrang und sich jedem Zug, jeder Linie mittheilte. „Gott grüß' Euch, Vater Ferencz!" sagte sie mit ihrer alten, lieben Stimme, und reichte ihm voll herzlicher Freude beide Hände hin. Er ergriff sie und hielt sie fest. „Die Frau hat mir von Eurem Unglück erzählt, Vater Ferencz, und das hat mich tief erschüttert. — Wann hat es sich zugetragen?" „Vor fünf Wochen." „Und Ihr kommt erst heute?" „Ich könnt nit früher, mein Kind; ich war ganz herunter gekommen. Es kam so plötzlich, sie starb so jäh. Die Leute, unvernünftig, wie sie sind, meinten, ich müßte mich freuen, von der bösen Ehe erlöst zu sein. Es ist nit wahr, meine Betka war nit bös, ich hab' sie besser gekannt, und wen» sie auch Fehler gehabt, so hatte ich mich an sie gewöhnt; wenn sie Fehler ge habt, so hatte ich sie nur bei ihren Lebzeiten gesehen, nach ihrem Tode gewiß nit; der Tod löscht alles Böse aus. Es ist mit einem Menschen wie mit einem Berg, mein Kind, so lang wir vor ihm stehen, sehen wir alle Risse, alle Sprünge, alle Ein schnitte und böse Stellen, die er hat, sind wir von ihm entfernt, kommt er unS vor glatt, wie eine geschliffene Sens', wie auS einem Stück . . . Doch kommen wir jetzt zu dem, was mich her führt, mein Kind. Hat Dir die gnädige Frau gesagt, daß ich Dich mit mir nehmen will?" „Ja" „Und gehst Du gern." „Wie könnt' Ihr fragen? Ihr braucht mich doch!" „Hab' Dank für das Wort, mein Kind. Ich brauch' Dir nit zu sagen, daß Du es gut bei mir haben wirst, Du weißt, daß ich Dich in meinem Herzen wie eine Tochter halt." „O, Ferencz, Ihr wart mir wie ein Vater in meinem Un glücke!" sagte das Mädchen mit tiefer Bewegung und Thronen in den Augen. „Was aus mir geworden wär, wenn Ihr Euch meiner nicht angenommen, ich weiß es nicht. Und nicht dadurch, daß Ihr mich mit Euch genommen und in der schweren Krank heit gepflegt; leiblich sterben ist oft nit das Schlimmste. Eure Worte von damals haben mich gerettet. O, Vater Ferencz, wie mir damals zu Muthe war, so muß einem verirrten Wanderer in einer Wildniß, wo er weder Weg noch Steg kennt, »ms Herz sein, wenn plötzlich ein Licht neben ihm aufgeht. Es giebt keinen Menschen auf Erden, dem ich so dankbar bin, und darum dürft Ihr Alles von mir verlangen, auch das Schwerste." „Ich kann mir denken, was Du unter schwer verstehst; denn daß Du mich nit damit meinst, weiß ich. Du kannst den Ab schied aus Tyhany nit vergessen, und scheust Dich, Dich den Leuten zu zeigen. Hast nichts mehr zu fürchten, Jlonka! Mit der Zeit wischt sich Alles ab, und nit umsonst ist so viel Gras über diese Sach' gewachsen." „Ich fürcht' und scheu die Leut' nicht", versetzte das Mäd chen. „Ich kann nit soviel in ihren Augen und Gesichtern lesen, wie ich mir selber täglich sag' und wiederhol'." „Du wirst im Ort so Manches verändert finden. Die alte Kyraly ist arm geworden, der stolze Janos Molnar ein blinder, kranker Mann, Lajos hat Marie geheirathet, und sie führe» eine Ehe, daß sich nit die Engel im Himmel, aber die Teufel in her Höll' freuen. Na, die Tyhanyer werden Augen machen, wenn ich Dich bring; es weiß Niemand was davon. Doch Mach' Dich bereit, mein Kind, ich geh' jetzt aufs Gtricht, in zwei Stunden bin ich hier, dann fahren wir." Zur bestimmten Stunde hielt der Wagen vor dein Hause, aber der wackere Richter mußte noch ziemlich lange warten. Jlonka konnte sich schwer von dem Hause trenne», t» deM sie so lange Jahre gelebt, und wo sie wie ein eigenes Kind gehalten war und so viel Liebes und Gutes empfangen hatte. ES mochte vier Uhr fein, als der Wagen endlich auS den Thoren VeSzprimS fuhr und die Landstraße einschlug. Wie vor fünf Jahren, als sie diesen Weg fuhr, blübten die Kirschen- und Pfirsichbäume und bedeckten Mit ihten flockigen, rosig angehauchten Büscheln den Boden; wie damals war die Luft von Wohlgerüchen erfüllt, prangten Felder und Wiesen im reichsten Schmucke, und wie damal» hatte daS Mädchen kein Auge dafür, war ihr äußerster Sinn geschlossen für die Schön heit der Welt um sie.
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