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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.09.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000901011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900090101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900090101
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- Ausgabe
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- Wahlperiode
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- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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94. Jahrgang. Sonnabend den 1. September 1900. DK Wirren in China. —p. Heute wird un- au« Dokohama eine Nachricht au» PeNu« übermittelt, es ist au< ihr aber da- Datum leider nicht genau zu ersehen, unter welchem sie abgeschickt ist, sie beweist also nicht- in der Krage, ob der Telegraph von dort «ach der Küste wieder sunctionirt oder nicht. Die Meldung besagt: * v-k»hama, 'It. Angnst. (Telegramm.) Geaeralleutaant Yamaguchi wlegraphirt au- Peking: Ja einer am letzte» Sonnabend abgehalteuen verathuug der fremden Gesandten »ad Truppeub«fehl-hab«r ist beschloffr» Word«», dah die Thor« der Kaiserliche» Stadt weiter bewacht werbe» solle», die südliche» von de» Amerika,mi, di« «»deren von de» Japanern. Ferner ist be schlossen worden, die Eimnchnw Peking« am 28. August diirch »inen Marsch der verbündeten Trnppen dnrch di« Kaiserlich» Stabt feierlich zu begeh«», viel« Eaauche» kamen au« dem Palast« Hera»-, mn sich z» ergeben. Li« Insassen de« Palaste« erhielten bi« Versicherung, hast st« rückstcht«voll behandelt werd«» würden. Friedtnsveihan-lungen. Nach einer schon iu einem Tbeile der Auflage des gestrigen Abendblattes mitgetbeilcen Washingtoner Depesche deS „Reuter'schen BureauS* sollen den amerikanischen Vertretern im AüSlande Instructionen übersandt worden sein, nach denen die Vereinigten Staaten bereit sind, ihre Truppen aus Peking zurückzuziehen und dem kaiserlichen Hofe zu gestatten, nach Peking zurückzukehren, um die Friedens verhandlungen einleiten zu können. Es heißt, eine russis che Note, auf die sich diese Instructionen gründeten, verlange, daß die Kaiserin-Wittwe und der Kaiser Sicherheit dafür gäben, daß die chinesische Regierung bereit sei, die Aus breitung der Unruhen und die Wiederkehr solcher Vorkomm nisse wie der jetzigen zu verhindern. Wie man der „Wiener Pol. Corr." meldet, betrachtet man eS auck in Londoner diplomatischen Kreisen als eine dringende Notbwendigkeit, daß eine Verbindung mit der Kaiserin-Regentin von China hergestellt werde. So lange dies nicht der Fall sei, könne an die Einteilung eines Meinungsaustausches mit einem chinesischen Unterhändler nicht gedacht werden, da eS doch nicht anginge, die Zahl der Anomalien der chinesischen Vorgänge um die weitere zu vermehren, daß mit Vertretern einer souveränen Macht, deren Bestand zur Zeit in Nebel gebüllt ist, Ver handlungen geführt würden. Ucberhaupt möchte man im Interesse der Erhaltung alles politisch Lebensfähigen im Reiche der Mitte selbst den Schein eines Interregnum vermeiden, in welchem nicht die Kaiserin die oberste Gewalt dieses Staates reprä- sentirt. Die Cabinette seien in dem Wunsche einig, dynastische Umwälzungen in China zu ver meiden, die eine Revolution von unabsehbarer und unbe rechenbarer Tragweite zur Wirkung haben könnten. Von diesem Grundsätze auS sei die europäische Diplomatie zur Erkenntniß gelangt, daß die früher von mancher Seite ver tretene Forderung, nach welcher die Kaiserin in erster Linie dir ungeheuere, den Mächten angetbane Unbill büßen müsse, zumindest zu vertagen sei. Die Möglichkeit, mit der Bei legung der chinesischen Kris« in diplomatischer Hinsicht zu beginnen, könne nur dann gewonnen werden, wenn die Kaiserin, obgleich sie sich durch ihre Flucht von Peking noch mehr inS Unrrcbt gesetzt und eigentlich einen Kriegszustand zwischen ihrem Reiche und den Verbündeten offenkundig ge macht hat, nichtsdestoweniger auch weiterhin im Besitze der Macht verbleibe. Da- ist nack unserem Dafürhalten ein recht fragwürdiger Standpunct. Wir bezweifeln, daß auch die deutsche Regierung denselben tbeilt und würden eS bedauern, wenn Rußland sich in dieser Hinsicht an die Seite Englands und der Vereinigten Staaten gestellt hätte. Aber vielleicht ist die Sache noch gar nicht so weit gediehen. Haben doch erst kürzlich englische Minister, unter ihnen Salisbury, eS sehr bestimmt aus gesprochen, daß die Kaiserin und der Kaiser al- abgethan zu gelten haben. „Daily Telegraph* will aus Washington erfahren haben, der deutsche Geschäftsträger Sternburg habe dem StaalSaml gestern zwei Besuche abgestattet. Dem Vernehmen nach habe Slernburg dem Staatssekretär versichert, Deutsch land wünsche in der Herbeiführung einer freundschaftlichen Beilegung der Schwierigkeiten Hand in Hand mit den übrigen zu geben; die deutsche Negierung habe China nicht den Krieg erklärt, sondern würde sich sicher den anderen Mächten anschließen in dem Bestreben, eine ansehn liche Entschädigung für alle Unbill, die den deutschen Inter essen in China zugefügt wurde, zu erlangen; die Politik der deutschen Regierung stände im Einklänge mit den in Hay'S Note aufgestellten Forderungen. Andererseits aber sagt die New Yorker „Evening Sun*, Deutschland stehe dem russischen Vorschlag betreffs Zurück ziehung der Truppen au- Peking im Wege. — Wir wieder holen hier noch da- folgende Telegramm: * Washington, 30. August. (Telegramm.) s„R«uter's Bureau.") Die amerikanische Regierung hat ihre Vertreter im AüSlande davon in Kenntniß gesetzt, daß sie von dem russi- scheu Geschäftsträger ein« Note erhalten habe, die daraus Hinweis«, daß di« Admirale beschlossen hätten, Li-Hung- Lschang zu verhindern, sich mit den chinesischen Bc. Hörden in Verbindung zu setzen, so lange der Doyen des diplomatischen CorvS in Peking noch keinerlei Instructionen rrtheilt habe, und di« die Ueberraschung Rußland- über diese Maßnahme zum Au-druck bringe. Amerika stimme mit dieser Ansicht Rußland- überein und mache mit allem Nachdrucke geltend» daß Li-Hung-Tschang der einzige Vertreter der chinesischen Regierung sei, der zu erreichen wär«, und daß er d«-halb vollständige Freiheit habe» müsse, sich mit seiner Regierung u»d mit dem Lommandeur der chinesischen Truppe« i» Verbindung zu setzen. Die amrrikanischrn Vertreter in China seien in diesem Sinne tnstruirt, die amerikanischen Ver treter i» Europa seien aber angewiesen worden, sich über die Au- schauungen der Regierungen, bet denen sie beglaubigt seien, zu vergewissern. Wenn di« Admirale zögern, Li mit den chinesischen Be hörden in Verbindung treten zu lasten, so werden sie dazu ihre guten Grüude haben. Bor allen Dingen weiß man za noch gar nicht, wer jetzt eigentlich Herr in China, ob die alte NeAirruag noch am Ruder, ob die Kaiserin nicht sammt dem Kaster adgesetzt ist und Prinz Tuan di« Macht an sich ge rissen hat. Vor allen Dingen sollt« dock aber auf Grund der Berichte der fremden Gesandten in Peking erst festgestellt werden, wer di« Schuld an den unerhörten Geschehnissen trägt. Stellt e« sich heraus, daß di« Kaiserin, die bisherige Macht haberin, den Aufstand gegen die Fremden geschürt hat, so muß vor alle» Dingen deren Bestrafung erfolgen. Auf keinen Fall kann mit ihr über den Frieden verbandelt werden, al« ob nicht« geschehen sei. Der Gesandte Deutsckland«, Herr v. Ketteler, ist, meuchlings von chinesischen Soldaten auf offener Straße, al- er um Verhandlungen zu pflegen nach dem Tsung li Damen ging, ermordet worden. Ist die' Kaiserin, wie eS doch wahrscheinlich ist, auch hierfür mit ver antwortlich zu machen, so kann Deutschland nicht anders, als auf deren Beseitigung zu bestehen. Nachträgliche- au- Peking. Der Petersburger „RegierungSbote* meldet: Wie ein Telegramm deS Vice-Admiral- au- Taku vom 25. August an dcn KriegSminister meldet, tbeilte unter dem IS. August General Neewitsch mit, daß nach einer Vereinbarung der fremdländischen Truppenfübrer untereinander die Trappen keiner einzigen Macht bi-h«r den kaiserlichen Palast betreten haben. An den Tboren de» Palaste- sind Wachtposten der Verbündeten ausgestellt. Die kaiserliche Re gierung ist gestoben, man weiß nicht, wohin. Viele Minister sind vor dem Eintreffen der europäischen Truppen hin gerichtet worden. Nach Mittheilungen von Kundschaftern stehen im südlichen Park Boxer. Unsere Truppen haben eine Rei-niederlage, ungefähr 1,000,000 Pud, in Besitz genommen. In dem Tsung li Namen wurde «ine Menge Silber gefunden. Die Schutztruppe unserer Gesandt- schast dielt sich während der Belagerung heldeumüthig. Der Führer ded Landungstruppe, Leutnant Rbaden, leitete rie Vertheidigung. Fünf Matrosen wurden getödtet, 20 ver wundet, 2 sind außerdem gestorben. In der Gesandtschaft wurde ein Student getödtet und einer verwundet. — Unter dem 2O.August meldet General Lenewitsch, daß am Tag« zuvor eine kleine Abtheilung russischer Truppen unter der Führung des Oberstleutnant» im Generalstabe IljenSky den kaiser lichen Sommerpalast nordwestlich von Peking ohne Bcr-. luste eingenommen bat. Au demselben Tage fanden unsere Artilleristen in Peking etwa 30 Geschütze und viele Handfeuerwaffen vor. Sur Ermordung de» Herrn v. Ketteler erhält der heute hier eingetroffeue „Ostas. Lloyd" ein vom 2. Juli datirte» Schreiben folgenden Inhalt»: Der britische Consul in Tientsin hat am 30. Juni einen Brief vom eng lischen Gesandten in Peking, Sir Claude Macvonald, er halten, in dem der Tod deS deutschen Gesandten, Freiherrn v. Ketteler'», bestätigt wird und einige Einzelheiten über die Umstände gegeben wurden, unter denen der Meuchelmord verübt wurde. Danach batten die Gesandten am 19. Juli vom Tsung li Damen die Mittbeilung erhalten, der General- Gouverneur von Chihli habe telegrapbirt, der Doyen de» Consularcorp- in Tientsin habe erklärt, daß, wenn die TakufortS nicht bi- 2 Uhr Nachmittag- jenes Tage» über geben seien, sie fortzrnommen werden würden. (Offenbar ist die Mittheilunz diese» am 16. überreichten Ultimatum» mit drei Tagen Verspätung in Peking eingetroffen.) Da- Tsung li Damen müsse daraus entnehmen, daß die fremden Mächte an die Auftheilung China- gingen. Unter diesen Um ständen hätten die Gesandten in 21 Stunden Peking z lassen; nach dieser Zeit könnte ihnen kein Schutz mehr werden. Die Gesandten antworteten dem Tsung l» daß sie die Sache nicht verständen, daS Consula Tientsin könne eine derartige Forderung nickt stell, zeitig baten sie um eine Unterredung mit den Ching und Tuan. Als auf diesen Brief kc kam, bestand Freiherr v. Ketteler dar Tsung li Damen zu geben. Er nahm se metschcr Cordes mit und wurde dann aus de von den Soldaten nievergcschossen. Wabrscheinli auf der Stelle lobt gewesen. Als auf die Ku dem Vorfall 50 Secsoldaten an den Ort der Tbat sanden sie die Lerche nicht mehr. Corde- wur^ schwer verwundet, konnte aber noch die deutsche Gesandt; erreichen. Man erwartete damals einen Angriff auf Gcsaudtsckaften, von dem Entsatzcorp» war dagegen nih iu Peking bekannt. Es wurden nun alle Frauen und Kind von Ausländern, einige hundert an Zahl, in die britisck Legation gebracht. Die ankeren Gesandtschaften sollten sia, selbst vertheidigen und sich erst im letzten Notbfall auf die britische zurückziehen. rie AuftheilungSidee. Der Admiral de« englischen Mittelmeergeschwaders, Lord Beresford, der Verfasser des Buches „Tbo Ilrealr — up ok ^binn", der als Aertreter sämmtticher englischer Handel»- tammern China bereist hat, hat die folgenden beherzigenswerthen Worte ausgesprochen: „Was die Politik der Einflußsphären kosten würde, durch Verluste in Folge von feindlichen Tarifen und durch Ausgaben an Blut und Geld zu Bertheidigungszwecken, ist unmöglich, zu sagen. Denn wer kann die Schwierigkeiten und Kosten er messen, die den europäischen Mächten erwachsen würden aus der Sicherung und Verwaltung ungeheurer Thrile eines Landes, das mit schlechten Wegen auSgcstattet und überfüllt ist mit einer Be völkerung, die Fremden und einer fremden Beherrschung absolut feindlich gegenüberstrht? Die Chinesen sind konservativ. Sie haben hinter sich die Traditionen von 4000 Jahren und tragen in sich die Vorurtheile, die mit einer Jsolirung natürlich ver knüpft sind. Die Politik der Einflußsphären wurde sicherlich die Autorität der Centralregierung im chinesischen Reiche schwächen und würde die Verantwortung für Recht und Ordnung einer un zusammenhängenden und vielfach sich widerstreitenden Gruppe fremder Ansiedler übertragen, die die Aufgabe friedlicher Ver waltung nahezu unlösbar finden würden.* Hieran knüpft Hermann Schumacher in der „Allg. Marine- Corresp" folgende Ausführungen: Nominelle Einflußsphären, wie die Deutschlands in Schantung und die Rußland« in der Mandschurei, mögen so lange bestehen, al» ein Schein chinesischer Autorität verbleibt; wenn aber das Volk einmal einsieht, daß di« Regierung machtlos ist, bann müssen Anarchie, Aufruhr und Blutvergießen folgen. Die Aufbröckelung China» tn Einfluß sphären würde außerdem sicherlich auch zu einem Kriege unter den europäischen Nationen führen. SS ist erstaunlich, daß man Leut« finden kann, die ruhig von der Zerbröckelung eine» Reiche« von 400 Millionen Einwohnern reden, al« ob eine so aiaantisch« Revolution durch einen Federstrich sich bewerkstelligen ließe. Solche Leute sind aber keine-weg- selten. Jntbesondere in England fehlt e« nicht an phantasievollen Chauvinisten, di« tilg- lich unbedenklich «ine Theilung de« chinesischen Rirsrnrriche« vor» Professor Kohl über Änarchisten-Neclame. In den „Preuß. Jahrb.* äußert sich Professor Kahl u. A. auch ausführlich über daS Treiben von Blättern wie „Woche* und „Berl. Loc.-Anz. *, welche für Bresci in Wort und Bild Reklame machten. Professor Kahl unter sucht, ob sich gegen derartige Ausschreitungen deS Erwerbs triebe« nicht« thun lasse; er schreibt: „Hier liegt die eigentliche Gefahr, hier der wahre Nähr boden für die Befriedigung der anarchistisch- herostratischen Gelüste. In welcher Weise Bildnisse und Nachrichten von Anarchisten zu Neclamezwecken verwendet werden, ist geradezu schamlos und wahrhaft ekelerregend. Wo nicht die eigene Empfindung von dem vorausgesetzt werden darf, waS öffentlich wohlanständig und nützlich ist, muß der Zwang de« Gesetze« nachhelfen. . . . Nichts als spaltenlange Berichte über den Verbrecher, seine Familie, sein Vorleben, sein Benehmen vor, während und nach der That, jede Einzelheit seiner frechen Aeußerung, wie er ißt, was er trinkt, ob er raucht, wie er schläft. Wie müssen sich seine Blutgenossen an diesen Be richten ergötzen und laben. Wie können alle sorgfältig zu- ammengetragenen Nachrichten dazu dienen, planmäßig zur Ver- Der Aufmarsch Les Llerikalismus. §s vergeht kaum ein Tag, den nicht die klerikale Presse zu Angriffen auf die preußische Cultusverwaltung benutzte, An griffen, die ebenso maßlo«, wie sie anmaßend und unbegründet sind. Die Musterleistung in dieser Beziehung war der Vorstoß wegen der sachlich und formell einwandSsreien und gerecht fertigten Einführung der deutschen Sprache im katholischen Religionsunterricht an den Posener Stadtschulen, so weit in diesen bisher der Religionsunterricht in deutscher und polnischer Sprache ertheilt worden war. Besonders kennzeichnend war, daß die gegen die CultuS- derwaltuna gerichteten Drohungen durch den Hinweis auf die Fuldaer BischofSconferenz unterstützt wurden, von der man er wartete, daß sie wegen der in Posen getroffenen Maßnahme gegen die preußische Regierung Front machen werde. Die BischofSconferenz hat inzwischen stattgefunden, aber e« ist nicht» darüber bekannt geworden, daß eS die Bischöfe gelüstet hätte, an den Dornsträuchen, die ihnen die klerikale Presse hingehajten, Feigen zu suchen. Dagegen ist auffallend, daß unmittelbar nach der Conferenz die Angriffe auf die preußische StaatSregierung in ihrer Gesammtheit aufaenommen werden und unter dem durchsichtigen Vorgeben, daß der CultuSminister in Posen auf eigene Faust vorgegangen sei und al« „politischer Franktireur* einen Krieg vom Zaune gebrochen habe, dem Ministerpräsidenten, Fürsten zu Hohenlohe, und dem Vicepräsidenten des Staats ministeriums, vr. von Miquel, angesonnen wird, sobald al- möglich ihre Mißbilligung mit dem Vorgehen deS CultuS- ministers zu erkennen zu geben, oder sich auf die Bekämpfung durch „alle preußischen Katholiken* gefaßt zu machen. DaS zweite Nachspiel der Fuldaer Conferenz ist eine Rede, die der Erzbischof N ö r b e r, der als Haupt der „oberrheinischen Kirchenprovinz" an den Berathungen der preußischen Bischöfe theilaenommen, in voriger Woche in Freiburg i. B. gehalten, de» Inhalt», daß da» Centrum im Reich»tag und in den Land tagen den richtigen Weg gegangen und im Geist« der Kirche da» erlahmende Streben, Ordnung zu schaffen, immer wieder neu belebt und zu neuer Thätigkeit angespornt habe — wobei, beiläufig bemerkt, völlig di« klerikalen Lartell« mit der Social demokratie in Bayern und Baden ignorirt sind. Jener erz bischöflichen B«rquickung von Centrum und KatholiciSmu» gingen Andeutungen Vorau», die auf eine gemeinsame Action der preußischen Bischöfe schließen lassen und deren Niederschlag mög licher Weise in der Andeutung der klerikalen.Presse zu sehen ist: daß die preußische StaatSregierung sich im kommenden Winter, wenn wirklich das Gesetz zur Regelung der Schulunter- haltungSpflicht vorlirat und kirchlichen Machtbrdürfnissen nicht genügt, auf «inen Vorstoß einzurickten hat, dessen Ziel die Klerikalisirung der Volksschule ist uno von dem die jetzt geführte Sprach« nur einen schwachen Vorgeschmack giebt. Die klerikalen Ausfälle wären als „hohle» Getrommel* zu ignoriren, wenn nicht da» Centrum da» Bewußtsein haben dürfte, daß im Reiche gerade jetzt bei den au»wärtigen Ver wickelungen auf seine Mitwirkung die ReichSregierung angewiesen ist, und wenn nicht bei der wohlwollenden Neutralität, mit der die größte Partei deS preußischen Landtages, die Conser- vatiden, ori Seite steht, darauf zu rechnen wäre, daß im preußi schen Abgeordnetenhause auch die preußische StaatSregierung mit Erfolg unter Feuer genommen werden kann. Au» diesem Grunde sind die weiteren Sturmvögel zu beachten, die in der klerikalen Presse jetzt aufflattern und vielleicht auch den Con- servativen ein« Warnung sein werden. E» ist da« Schreiben, da» der Papst wegen der protestantischen Propa ganda in Rom an den Genrralvikar von Rom, Cardinal Respighi, gerichtet hat, da» aber von der „Germania" mit der Einleitung versehen wird, daß der heilige Vater in diesem Schreiben den Prot«stantt»mu» überhaupt im Auge habe. Da» Schreiben bezeichnet, wie schon er wähnt worden ist, drn Protestantismus al» „Haeresie* und spricht von au»wLrts gekommenen Secten, die unter dem Schutze der Staat»gesetze in die gläubigen Seelen da« Gift de» Jrrthum« träufeln und die Fahnen der religiösen Un ordnung und Rebellion aufpflanzen, nachdem diese Secten al» vielgestalteter Au«fluß de« ProtestantiSmu« in den betreffenden Heimathländern in die Gemüther ihrer Anhänger den eisigen Hauch des Zweifels, der Trennung und des Unglaubens gelegt und damit ein ungeheure- Berwllstungswerk angerichtet haben. „AIS ob Herz und Geist de- Volke« zu verderben, der Strom ungesunder und entsittlichender Lehren nicht genügte, der Tag für Tag ungestraft sich ergießt au» den Büchern, von den Lehrstühlen herab und den Zeitungen, mußte zu all' diesen Ursachen de« Verderbnisse« noch da» unheimliche Treiben häretischer Leute kommen, um au« dem Herzen de« Volke« jene Religion zu reißen, die doch zur Staat-religion erklärt ist und die den Hauptgegenstand ihrer Lieb« und Verehrung bildet." Da« wird, wie gesagt, von derselben klerikalen Presse, die in Preußen auf di« Unterstützung d«r Lonservativrn rechnet, an den Protestantismus überhaupt adressirt, genau wie di« vor drei Jahren vom Papste erlassene Canisiui-Encyklika, die der „lutherischen Rebellion* drn „völligen Untergang der Sitten* zuschrirb und sich darüber auiließ, baß da» „schlimme Gift* sich in fast allen deutschen Provinzen verbreite und alle Stande durchdringe. Da« deutsche Volk würde sich ein be- klagen»werthe» Armuth»z«ugntß ausstellen, Venn e» außer dem chinesischen Engagement und den Sorgen um die künftigen Handel«vertrSgr nicht auch noch beachten könnte, wa» ihm hier von Seiten einer Gegnerschaft droht, di« in ihrem ganzen Der- halten jederzeit bekundet hat, wie wenig Werth sie auf dir Er haltung der Schöpfung Kaiser Wilhelm'« l. und de« großen Kanzler» Werth legt, sobald dir dadurch geschaffenen Macht- vrrhaltntffe dem nicht von heut« auf morgen, sondern mit Generationen rechnenden Plane entgeaenstehen, die alte Beherr schung de» geistigen Leben« tm deutschen Volke wieder zu ge- Winnen, di« »ar dein «ichtrrstubl d«r ««schichte al« da» Haupt unglück der deutschen Nation ,«brandmarkt worden ist. »unkelung in der weiteren Verfolgung der Spuren behilflich zu ein. Welche werthvollen Anweisungen und Fingerzeige lassen ich au» den durch die Reporter ausgeschnüffelten amtlichen Maß regeln entnehmen. Wie Mancher hat dabei den Kitzel em pfangen, auch ein so berühmter und vielgelesener Mann zu werden. . . . Neuvermählte fürstliche Ehepaare erscheinen auf derselben Bildfläche, wie die scheußlichste Verbrecherphysiognomie. Aber e» gehen doch vielleicht hundert Nummern mehr ab! Hier muß Wandel geschafft werden. ES bedarf keines Wortes darüber, daß mir jeder Vorwurf fernliegt gegen die anständige Presse, welche im Gebrauche der bestehenden Freiheit ihr Leser- publicum so vollständig al» möglich von den tatsächlichen Vor gängen durch beglaubigte oder glaubwürdige Mittheilungen unterrichtet. Aber da» eben ist die Frage, ob nicht das höher stehende Interesse der Sache selbst eine Beschränkung der.Preß freiheit überhaupt erfordere. Und diese Frage muß unbedingt bejaht werden. ES genügt nicht, daß die da» öffentliche Sitt- lichkeitsbewußtsein verletzende Reclamewirthschaft beseitigt werde. Es ist auch erforderlich, daß Veröffentlichungen über anarchistische Verbrecher und verbrechen überhaupt auf da» unbedingt unent behrliche Maß beschränkt bleiben. Im Grundsätze muß der Anarchist für die Öffentlichkeit ein todter Mann sein. Sein Name, seine Vergangenheit, sein gegenwärtige- Schicksal, seine Zukunft, seine Frechheit, sein Heldenmuth, seine MaSke, ge hören d«m Fluche de» Dunkel» und der Vergessenheit. Im Grundsätze muß es dazu kommen, daß nichts, außer dem kurzen, wahrheitsgemäß objektiven Lhatbestande des anarchi stischen Verbrech«»» durch die Presst veröffentlicht werden darf. So absolut wird sich diese Forderung freilich nicht immer durch führen lassen. E» kann Fälle geben, in welchen eS eben im Interesse oer Sache gelegen sein wird, die Controlr und Mit wirkung der Öffentlichkeit ,n Anspruch zu nehmen. Diesem Bedürfniß läßt sich aber unter voller Wahrung de» Grundsätze» Rechnung tragen. ES kann durch die gesetzliche Bestimmung geschehen, daß über anarchistische Verbrecher und Verbrechen nur amtliche Mittheilungen veröffentlicht werden dürfen. So lange man nicht den Muth haben wird, diese Maß regel durchzuführen, wird man da» Herostratenthum nicht an der Wurzel fassen können. Die empfohlene Maßregel hat ihre völlige Analogie tn der schon jetzt dem ReichSkanUer zustehenden Befugntß, in Zeiten von Krieg und Kriegsgefahr Veröffent lichungen über militärische Bewegungen tn der Presse zu ver bieten. 8» tst nur eine andere Seite desselben StaatSintereffeS. Hier die äußere, dort die innere Sicherheit. Und e» steht noch mehr auf dem Spiele, al» diese allein. ES handelt sich um die Grundlagen der menschlichen Gemeinschaftsordnung, um die Fundamente der Sittlichkeit und der Autorität. Die unent behrlichen formellen Garantien für die zweckent sprechende Durchführung einer solchen Preßbeschränkung würden unschwer zu beschaffen sein. ES versieht sich von selbst, daß Voraussetzungen und Zuständigkeiten auch hier genau begrenzt werden müssen. Man ermächtige den Reichskanzler, in jedem einzelnen Falle ein Verbot über den Umfang der Beschränkung ergehen zu lassen. Mit diesem Verbot beginnt der Zeitpunkt der preßrechtlichen Verantwortlichkeit. Man versuche auf diesem Gebiete sobald al» möglich eine internationale Ver ständigung herbeiruflibren. Und wenn Engländer, Franzosen und Italiener nicht mitthun wollen, so beschränke man sich auf die Staaten deutscher Zunge oder aus da» deutsche Reich." Professor Kahl deutet, wie man sieht, selbst die Schwierig keiten an, welche bei der Durchführung seiner Vorschläge» über wunden werden müssen. Sie sind jedenfalls kein Grund gegen eine ernstliche Prüfung desselben. Inzwischen kann man nur wiederholt darauf dringen, daß nicht die Spitzen unseres Staats leben», unserer Kunst und Wissenschaft sich tn erschreckend ge schmackloser Weise weitrr dazu hergeben, an der Reklame für Blätter, wie die gekennzeichneten, mitzuhelfen, um etwa» Reclam« für sich selbst rmzuheimsra. Die Morgen-Au-gabe erscheint nm '/,? Uhr, di« Abrnd-Au-gab« Dochrntag» m» L Uhr. Filiale»: Alfred Hahn vor«, v. Klemm'- Garti«. Uaivrrsitüt-straße S (PaulinuuH Laut« Lösche, Katharinens». 14. »art. mV a-nig-platz 7. Redaktion und Expedition: 2ohan»t--affe 8. Di« Expedition ist Wochentag« u» unterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Ab«ud- 7 Uhr. . Ganpvxpedition oder den im Gtadtz» d-tzirk nuh d«n Vorort«» errichtet«» An-' »»vestrkirn »»geholt: vierteljährlich^l4H- »ei zweimaliaer täglicher Zustellung in« Lau« -* bckO. Durch di« Post b«zogrn für Deutschland und Oesterreich: virrteliäbrlich ^l 8.—. Direkte tü„Uchr Kr«uzbandsendu»g in« Ausland: monatlich 7ckO. Morgen-Ausgabe Druck uud Verlag von E. Polz i» Leipzig. A«zeigeAaPr»ßO die 8 gespaltene Pktitzeile KO Pfß. R«elam«» Meter demRrdactiouSstrich («am Größer« Schriften laut unserem Pett-- verzeichniß. Tabellarischer und Ztffernsatz nach höherem Tarif. Zinnahmeschinß fir Iikyeige«: Abeud-Au-gab«: vormittag- 10 Uhr. Margea-Au-gab«: Nachmittag- - Uhr. Vei den Filialen und Annahmestelle» je ein halbe Stund« früher. x. Anzeige» sind stet« an di« Gxpedttta» zu richte». leipMer TaMM Anzeiger. Nmksvkatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, . des Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Ertta-Veilaae» (gesalzt), »»r mit der Morgen-Au-gabe, ohu« Postbefördrnag 60.—, mit PostbefSrdenmg ^ll 70.—.
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