Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.09.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190009022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19000902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19000902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-09
- Tag1900-09-02
- Monat1900-09
- Jahr1900
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.09.1900
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis kn brr Hauptexpedition oder den im Etcdd» bezirk und den Vororten errichteten Au»« vaoestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4. SO, kei zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus S.KO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ti.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung r->» Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-Nusgabe erscheint nm '/,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Re-action nnd Lrpedition: Johannisgasse 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 btS Abend- 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Kiemni'S Eortim. Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. Amtsblatt -es Hönigtichen Land- im- Amtsgerichtes Leipzig, -es Natljes im- Notizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Nnzeigen.Pret- ''Altz Htzespak-tN^ Vtß^eile X) Wz. Sieclamea unter demRrdactiansstrich (4a»» spalten) 50/^, vor den Familirnnachrichka (6 gespalten) 40^ Größere Schriften laut unserem Preis« vrrzeichniß. Tabellarischer und Zifs«ujatz nach höherem Tarts. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbesördernng 60.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. . Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morg«n-Au»gab«: Nachmittags -Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eia« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 448. Sedan. als Schlachtenerinnerung ein bas Ueberkomincne zu unter harten Verlusten gezüchtigt der dem bis dahin noch den stolzen Kaiser, auf einem großen Heere in Vaterlande bei Fürsten und Volk die Begeisterung, den durch nichts zu er ¬ schütternden Willen zur Vereinigung der deutschen Stämme hervorgerufen, ohne die ein starkes, im Kriege und im Frieden leistungsfähiges deutsche- Reich nicht zu Stande gekommen wäre. Wenn, das war die Meinung, die aus der Sedan botschaft blitzähnlich und doch fest hervorwuchs, wenn Preußen, Sachsen, Bayern Solches gemeinsam zu verrichten ver mögen, da muß, mag eS an Opfern, an Gewohntem und Lieb gewordenem kosten wa- r» wolle, für alle Zeiten verhütet werden, baß die Bruderstamme sich jemals wieder unver bunden oder gar als Feinde gegenüber stehen könnten. So entstand da- Reich. Die Sedankunde versetzte den PartikulariSmuS in einen tode-ähnlichen Schlaf, der patriotische Stolz führte seine besten Anhänger auf die Seite der Jubelnden, ernster Männer und söhneberaubter Frauen und dennoch jubelnder Menschen. Er ist seitdem wieder erwacht, der PartikulariSmuS, aber dies« brklagenSwerthe Erscheinung zeigte gerade, was wir Sedan, da- ihn im rechten Augenblick in Ohnmacht versenkte, zu danken haben. In Wabrheit Alle-, wa- wir national sind und besitzen, auch Elsaß-Lothringen. Bi- zu jenem Tage erschien der Gedanke an- Zurückverlangen der geraubten Länder den Meisten unter un- zu kühn; ohne Sedan hätten wir auch den Fall von Metz und Pari-, di« Einnahme von Orleans nicht erwartet. Der nie gekannte Sicherheit verleihende Triumph de- 2. September battedas in Jahrhunderten erschlaffte Nationalbewußtsein so gekräftigt, daß e- die Hand nach nie vergessenen aber längst verloren gegebenen Gütern au-zustrecken K Zum dreißigsten Male jährt sich der Tag, an dem nach nächtlich verzogenem Pulverdampfe auf französischem Gefilde die Sonne des deutschen Kaiserreiche- aufging. Drei Jahr zehnte, ein Zeitabschnitt, und so sollte die große Erinnerung heute mit besonderer Feierlichkeit begangen werden. Eö kam nicht so. Statt eines Mehr im Vergleiche zu dem Ge wohnten müssen wir uns an einem Weniger Genüge sein lassen. Wenn die Kameraden der in China Schulter an Schulter mit französischen Truppen kämpfenden deutschen Krieger in diesem Jahre auf eine Feier verzichten zu sollen glauben, so ist das verständlich. Die von anderer Seite geltend gemachten Beweggründe zur halben Verzicht leistung, die leider hier und dort eine ganze sein wird, waren und sind dagegen für uns ebensowenig überzeugend, wie für den größten Tbeil der nationalgesinnten deutschen Presse, aber gegen die Methode ihrer Geltendmachung ist nicht wirksam anzukämpfen gewesen. Mit der Beschränkung der diesmaligen Feier kann nur die Versicherung versöhnen, daß sie als eine vorübergehenden außerordentlichen Umständen angepaßte gelten und nicht wiederholt werden soll. Wir dürfen in der That auf das Sedanfest nicht dauernd verzichten. Denn mag auch das Weihe gefühl Derer, die die große deutsche Zeit miterleben durften, keiner äußerlichen Belebung bedürfen: das nachzewacksene und mehr noch das nachwachsende Geschlecht vermag ohne Belehrung die Bedeutung des 2. September 1870 nicht mehr völlig zu erfassen. Sie kennen die Weite und Tiefe deS deutschen Elends, das an diesem Tage sein Ende fand, nicht und wissen nichts von den vergeblichen Mühen der Vor fahren, eS besser werden zu lasten im Vaterlande, in Wahr heit ein Vaterland erst zu schaffen. Auch sie sind reiche Erben und laufen darum Gefabr, in Unkenntniß der Opfer und Plagen der Erwerbung schätzen und dafür mit zu werden. Das Sekanfcst ist nicht gesetzt und niemals als eine solche begangen worden. Die ungesunde Dclicatesse freilich, die sich der Austheilung deutscher Schläge durch freventlich aus ibrem friedlichen Leben aufgestörte deutsche Helden zu freuen scheut, sie ist eine Errungenschaft der jüngsten Wochen. Aber Sedan, daS auch nicht am Tage eines blutigen Ringens gefeiert wird, galt und gilt der Er innerung an die Wiederaufrichtung von Kaiser und Reich. DaS ist seine Bedeutung, seine unbestrittene Bedeutung. Ueber die militärische Bewertbung der Schlacht deS 1. Sep tember mag Meinungsverschiedenheit bestehen und gewiß ist, daß auch an anderen Tagen des großen IahreS deutsche Feldberrngröße, Tapferkeit, Ausdauer und Manneszucht un sterbliche Triumphe errungen bähen. Aber Sedan, der 2. September, ist ein Einzigartiges; kein Geringerer als Otto von Bismarck, der Meister des Werke-, hat ihn den Geburts tag des geeinten, deS so geeinten Deutschland- genannt. Möge es die Zukunft nie vergessen: der König von Preußen, der aus General Neille'S Händen das Schreiben Napoleon's entgezennahm und Bismarck nnd Moltke zu den CapitulationSverhandlungen abordnete, er ist cs, der deutscher Kaiser geworden, nicht der Bezwinger von Metz und Paris. DaS Wunderbare des Erfolges, immer mißachteten Deutschland den eine Welt horcht, mit die Hand gab, er hat im Jahrgang Sonntag den 2. September 1900. wagte. Der Glanz, der Sedan in den deutschen Gemüthern umspiegelte, gab Bismarck den stärksten Rückhalt in jenen Verhandlungen mit Frankreich, und ohne jenes märchenhafte Ereigniß hätte sich Deutschland vielleicht trotz aller anderen Siege und trotz der eisernen Willenskraft deS Bundeskanzlers mit einem „ehrenvollen Frieden" zufrieden geben müssen. Eine Weltpolitik, die uns die Erinnerung an diesen Tag dauernd gering achten ließe, wäre eine Politik deS Unheils und der Vernichtung, und schon der diesjährige einmalige Verzicht auf die herkömmlich ohnehin stets in bescheidenen Grenzen gehaltene Feier beruht auf mißverständlichen Folge rungen aus einer an sich noch verständlichen Weltpolitik. Wir müssen und werden diese Feier behalten. Wir schulden sie den Kämpfern, die für einen Kaiser und ein Reich geblutet, wir schulden sie den großen Lenkern und Leitern des großen Jahres und wir schulden sie vor Allem der deutschen Jugend, auf daß sie am Vergangenen die Pflichten der Zukunft erkennen möge. Die Wacht am Rhein ist ein Gelöbniß-Sang, kein Lied prahlenden Selbstgenügens. DaS mögen die Alten behalten und die Jungen sollen dessen inne werden I Ans der Woche. Es ist eine eigentbümliche Erscheinung, daß unS am heutigen Tage kriegerische Ereignisse die Erinnerung an die Früchte älterer kriegerischer Ereignisse verkümmern. Das Umgekehrte wäre das Naiürlichere. Vielleicht hören wir gar nichts mehr vom Kriegsgeichrci ans China. Freilich ist nach wie vor der Ansicht, daß das Militärische in Nordchina in der Hauptsache geldan sei, große Vorsicht entgegenzubringcn. Der Umstand, daß Graf v. Bülow seine früherer Absicht, zu längerem Aufenthalte ins Ausland zu reisen, aufgegeben bat, leistet einer freundlicheren Auffassung der Lage um so weniger Vorschub, je wahrscheinlicher es ist, daß der Verzicht des Staatssekretärs auf die Nachricht von der Absicht Ruß lands, Peking zu räumen, zurückzuführen ist. Jedenfalls ist eS wiinschenswertb, daß Graf Bülow in der zweiten Hälfte dieses Monats, wenn Graf Waldersee China erreicht, sich in Deutschland befindet; doppelt wiinschenswertb, wenn an der Darstellung einer ossiciösen Correspondenz etwas Wahres sein sollte, wonach die Mission des Grafen Waldersee in Deutsch land als eine „hervorragend diplomatische" gedacht wäre und der Generalfeldmarschall „gewissermaßen als diplomatischer Obercommandant" angesehen werden könnte. Daß die Con- tingente der fremden Mächte sich gegebenen Falles von dem deutschen General cominandiren lassen würden, daß aber die europäischen Negierungen nebst Amerika und Japan dem Deutschen als Diplomaten keine andere Stellung als die eines deutschen Unterhändlers zuerkennen würden, ist hier schon auSgeführt worden. Besondere deutsche Interessen sind jedoch in China nicht zu vertreten, abgesehen von der Sühne für die Ermordung des deutschen Gesandten, über deren nähere Umstände der deutsche amtliche Nachrichtendienst sich immer noch vollständig ausschweigt. Die bereits vor zehn Tagen eingetroffene Privatmeldung, Freiherr v. Ketteler habe sich nicht zu Pferde, sondern in üblicher Weise mittels einer Sänfte nach dem Tsung li Damen begeben und sei auf dem Wege dahin durch Polizisten ge- tödtet worden, diese politisch so wichtigen Behauptungen werden zwar anscheinend durch eine neuere Meldung des Reuter'schen BureauS widerlegt, sind aber bis heute von der deutschen Regierung weder bestätigt noch bestritten worden. Blätter, wie die „Kreuzztg." und die „Allg. Ztg.", glauben diese Unterlassung als eine Versäumniß in scharfen Ausdrücken tadeln zu sollen. Vielleicht aber ist ein Diener oder sind auch mehrere Boten des deutschen Geschäftsträger« in Peking auf dem Wege zum Telegraphen aus irgend eine Weise verunglückt, eine Möglichkeit, mit der man auch in Frankreich die spärliche Berichterstattung des eigenen Gesandten zu erklären versucht bat. Wenn die Auslassung, die englische Kriegsleitung in Südafrika sei nervös geworden und scheine das Maß deS durch die kriegerischen AuSnahme-Zustände Entschuldbaren überschritten zu haben, wirklich, wie gesagt wird, auf die I deutsche Regierung zurückzusühren ist, so dürfen die in I Transvaal geschäftlich schwer geschädigten und hierauf brutal mißhandelten Deutschen auf eine energische Verwendung hoffen. An Großbritannien, seiner Regie rung, seinem Volke und seiner Armee wird unter allen Umständen der Makel unnützer Grausamkeit haften bleiben, den die Erschießung de- armen, selbst in England nicht all gemein für zurechnungsfähig gehaltenen und jedenfalls das Opfer eine- Lockspitzel- gewordenen Cordua bis zur Schmach steigert. DaS ist da- Volk, da- e- sich Jahrzehnte hindurch zur Specialität gewählt, bei anderen Völkern „Gräuel" zu entdecken und zu rächen! Professor Kahl in Berlin hat in den „Preußischen Jahr büchern" zu einigen durch die SchreckenSthat von Monza wieder auf die Tagesordnung gesetzten Fragen das Wort ge nommen. Wir haben die beachten-werthen Darlegungen deS ausgezeichneten RechtSlchrerS nn Wesentlichen wiedergegeben und stimmen seinem VerdammungSurtheil über die ange sichts anarchistischer Bubenstücke von einer gewissen Presse betriebene „Rcclamewirthschaft" aus vollem Herzen zu. Auch sein Vorschlag ist diskutabel, hin sichtlich der Berichterstattung über anarchistische Verbrechen die Presse gesetzlich zu beschränken, etwa in der Weis«, daß der Reichskanzler befugt würde, angesichts einer bestimmten anarchistischen Tbat bekannt zu geben, daß hierüber nur amtliche Mitthrilungen veröffentlicht werden dürften. Die Verwirklichung de« Gedankens allerdings würde schwer sein und, wenn sie möglich wäre, in Deutschland vielleicht schon des- halb nicht zum Ziele führen, weil in unserer amtlichen Nach- richtenwirtdschafl die ärgste Unordnung herrscht. ES könnte Herrn Professor Kahl widerfahren, daß er in seiner Morgen zeitung, die gewiß sorgfältig gewählt ist, eine Sensations ¬ nachricht als amtliche Mittbeilunz vorfände, die vorsichtige und taktvolle ausländische Blätter unterdrückt haben; denn das versteht sich von selbst: ist die Berichterstattung auf amtliche Nachrichten beschränkt, so kann sich keine Redaktion der Weiterverbreitung dieser Nachrichten, mögen sie ihr auch verdächtig Vorkommen, entziehen. Der Berliner Ge lehrte beleuchtet den Uebelstand nur von einer -Seite; für die „Ausschreitungen des ErwerbSbetriebcS" in der Presse sind nicht nur die Inhaber solcher Betriebe verantwortlich zu machen. Die Blätter, die Herr Professor Kahl im Auge hat, sind Sumpfpflanzen, ihr Entstehen nnd Wuchern weist also auf Sumpfboden bin, dessen Entwässerung neben straf rechtlicher Repression ins Auge zu fassen wäre. Das Moralische beim Publicum spielt keine große Nolle und die Anwendung der Regel mail nmres, dcmao wgoZ hat doch immerhin nur eine beschränkte praktische Bedeutung. Es ist möglich, daß die SensationS- und Scandalsucht der großen Massen nur durch behördliche Beschränkung der Gefahr von Sensation und Skandal eingedämmt werden kann. Aber zwischen ihr und der geistig-sittlichen Elite,die ohneWeitereSAerzerniß an Sensations meldungen über Bresci und Seinesgleichen nimmt, liegt eine breite Schicht, die das Schleckte einer schlechten Reportage nimmt, weil ihr neben schlechten Leistungen Gutes geboten wirv. Herr Professor Kahl beklagt eS, daß es vorkommt, daß auf einer und derselben Seite eines Blattes die Bilder eines Neuvermählten fürstlichen Paares und das Conterfei eines Mörders zu sehen sind. Nun, daS neuvermählte Paar ist daran unschuldig; eS bat sich, wie Jedermann thut, pboto- graphiren lassen, und die Bildnisse gelangen, schon aus Rück sicht auf die Uuterthanen, in den Handel. Durch diesen beziehen sie die volksvergiftenden Blätter, waS nicht zu verhindern ist. Aber wieder andere Personen lassen sich für eben diese Blätter eigens photographiren, hochgestellte Per sonen, Spitzen des Staats, und nicht nur sich selbst, auch ihre Frauen, Kinder und — Hauskatzen. Und dies, obwohl diese Herren unvDamen immer damit rechnen müssen, daß neben ihren Bildnissen und Interieurs die Fratze eines Mörders prangt. Weiter: Gelehrte von hervorragender Bedeutung weihen solchen Blättern ihre Mitarbeiterschaft, sie scheinen durch ihre er lauchten Namen das daneben gebotene Gemeine zu adeln, sie erhöhen jedenfalls den geistigen und moralischen Credit der volksvcrderberiscken Presse. Ist es da zu verwundern, wenn Zehntausende, die au sich auch keinen Geschmack am Skandal finden, sich sagen: „Ein Blatt, für das Ministergattinnen sich in sechs Stellungen pbctographiren lassen und in dem be rühmte Forscher und tadellose Ehrenmänner ihre Geistes erzeugnisse darbietcn, ein solches Blatt darfst Du Dir und Deiner Familie auch zugänglich machen?" Herr Professor Kahl spricht von der „anständigen Presse". Aber die beiden Blätter, die er vor allen anderen meinen muß, sind kürzlich ausdrücklich von den heute am häufigsten genannten deutschen Persönlichkeiten der „anständigen Presse" zugerechnet worden und vier, fünf oder mehr „Vertreter" dieser beiden Blätter treiben sich auf deutschen Schiffen, die militärischen Commandos unterstehen, als Berichterstatter umher. Eine dieser Zeitungen ist notorisch bei der Zugänglichmachung von Kaiserreben vor der ge- sammten deutschen Presse privilegirt worden, und wenn eine Ivx wie die vorgeschlagene an den Reichstag käme, kein RegieruugSmann könnte sie umfassend befürworten, ohne an Stellen anzustoßen, wo nun einmal ein RegierungSmann nicht anstoßen soll und darf. Die Wirren in China. 'S- Das ganze Interesse concentrirt sich augenblicklich auf den Riiumungsvorschlaa Rußlands, der in den nächsten Tagen im Mittelpunkte der öffentlichen wie der diplomatischen Diskussion flehen wird. Die amtliche Antwort der Vereinigten Staaten liegt bereits vor. „Reuter'S Bureau" meldet aus Washington, 1. September: DaS Staatsdepartement veröffentlicht folgende vom 29. August datirte Mittheilung: Der russische Geschäftsträger gab gestern hier mündliche Erklärungen über di« Absichten Ruß lands in China ab. Er erklärte, Rußland habe nicht die Absicht, in China Gebiet zu erwerben, es habe seiner Gesandtschaft Helsen wollen und Niutschwang nur au- strategischen Gründen besetzt. Sobald die Ordnungl wieder hergestellt worden sei, werde es seine! Truppen au- dieser Stadt zurückziehen, es sei denn, daß sich die Mächte widersetzten. Rußland habe den Gesandten und da» Personal der russischen Gesandtschaft in Peking angewiesen, Peking zu verlassen. Ebenso würden di« russischen Truppen nach Tientsin zurückgezogen und Rußland werde, wenn die chinesische Regierung die Zügel der Macht wieder an sich genommen habe, sobald sie ferner Bevollmächtigte ernannt habe, mit denen die übrigen Mächte verhandeln könnte» und sobald sie den Wunsch ausgedrückt habe, in solche Verhandlungen einzutretrn, auch seinerseits Vertreter ernennen. In der Antwort auf diese Erklärung bemerkt di« amerika nische Regierung, daß die offenen Erklärungen Rußlands mit denjenigen der übrigen Mächte übereinstimmen. Alle Mächte hätten die Absicht, irgend »inen Theil des chinesischen Gebiets zu erwerben, weit von sich gewiesen. Dir Ziele der Mächte würden sich nach Ansicht der Vereinigten Slaaten besser durch dir gemeinschaftliche Besetzung Pekings auf Grund eine» internationalen Uebereinkommen» erreichen lassen, dir so lang» dauern müsse, bi» die chinesische Regierung wieder hergestellt und wirklich imStande sei, neue Verträge abzuschließen, die dir Wiederher- stellung und die Garantien d»S Schutze- für di» Zu kunft gewährleisteten. Wenn die Autorität wieder her- gestellt sei, hätten die Amerikaner, wie bekannt, den Wunsch, ihre Truppen au» Peking zurückz uziehen und in Friedens verhandlungen «Inzutreten, um auf diesem Wege di» Genuz- thunug für die gerechten Ansprüche zu erlangen. Dir Vereinigten Staaten seien der Ansicht, daß die weitere Fortdauer der Besetzung Peking» nicht da» letztgenannte Er- gebniß haben werde. Die Vereinigten Staaten hielten es für das Beste, die einzelnen Befehlshaber der Truppen in Peking anzuweisen, sich über die Räumung der Stadt mit einander zu verständigen, die dann in Ueber« einstimmung erfolgen werde. AuS allen diesen Erwägungen gehe hervor, daß, wenn sich die Mächte nicht all gemein für die Verlängerung der Okkupation Pekings aussprechen und nicht eine allgemeine Ueberein- stimmung über diesen Punkt erzielen würden, die Vereinigten Staaten ihren Befehlshaber in Peking anweijen würden, die amerikanischen Truppen aus Peking zurückzuziehen, aber erst, nachdem er sich mit den übrigen Befehlshabern über den Zeitpunkt der Räu mung und das weitere Verhalten verständigt habe. Frankreich soll diesen Vorschlägen bereits zu gestimmt haben. Demnach wird voraussichtlich die Suppe, die Petersburg den Mächten eingcbrockt bat, nicht so beiß gegessen werden, wie sie gekocht ist. Zunächst knüpft Rußland den Rückzug seiner Truppen an die Bedingung nicht bloS, daß die Ordnung wiederhergestellt ist — allerdings ein etwas vager Begriff — sondern auch an die andere, daß die übrigen Mächte sich nicht widersetzen, d. h. doch Wohl, nicht zustimmen. Es fragt sich nur, ob Rußland die Gesammtheit der übrigen Mächte meint, oder ob eS auch dann von der Räumung Pekings abschen wird, wenn mehrere Mächte oder nur eine nicht niilthun wollen. Auf Deutschland allein würde e- wobl keine Rücksicht nehmen, wobl aber dann seinen Vor schlag fallen lassen, wenn auch England oder Japan oder beide zusammen dagegen wären. Es kommt daher Alles darauf an, wie diese Mächte sich entscheiden werden. Die englische Regierung hat — wenn auch die Wiener „Pol. Corr." von einer Frontänderung wissen will — be kanntlich sehr scharfe Aeußerungen gegen die Regierung der Kaiserin-Wittwe gethan und die Londoner Presse verwirft, soweit eS sich jetzt übersehen läßt, den russischen Vorschlag direkt als vollständig verfehlt. Hierüber wird un- berichtet: * London, 1. September. (Telegramm.) Mit allriuiger Ausnahme deS „Daily Telegraph", der die Verständigung mit der Kaiserin von China für unvermeidlich hält, sprechen sich alle anderen Zeitungen gegen die Zurückziehung der Truppen aus Peking aus wegen der nicht wieder gut zu machenden moralischen Wirkung, die ein solcher Rückzug auf die Chinesen ausüben würde. „Daily News" sagen: Welche» weitere Ziel auch der Kaiser von Rußland verfolgen möge, so scheint seine nächste Absicht die zu sein, so viel wie möglich die frühere Regierung von China wieder herzustel'le«. Graf Waldersee ist aber nicht nach China gesandt worden, um dabei behilflich zu sein, die Kaiserin wieder ein zusetzen. Die Einigkeit der Mächte ist oberflächlich. — „Morning Post" erklärt: Das amerikanische Memorandum enthält diele fromme Hoffnungen; eS kann nicht ernster genommen werden. — „Standard" bezweifelt, daß der russische Vorschlag praktischen Werth habe. Es fragt sich, ob e- leicht ist, mit dem Tsung li Namen zu verhandeln, wenn die Truppen zurückgezogen worden sein, da» Blatt sieht voraus, daß die Besetzung eines Theile» de» chinesischen Gebiete» durch die verbündeten Truppen eine Zeit lang nöthig sein werde, um die von China zu leistende Kriegsentschädigung sicher zu stellen. Auch eine Anzahl französischer Blätter ist nicht erbaut von dem Vorschlag der russischen Diplomaten. Man meldet unS aus * Pari», 1. September. (Telegramm.) Der „Eclair" spricht sich unverholen gegen den Vorschlag der Räumung Pekings au». „Wir wünschen lebhaft", sagt daS Blatt, „daß die Maßnahme, fall- sie getroffen werden sollte, die Wiederherstellung friedlicher Zustände be schleunigen möge, fürchten aber sehr, daß di» Diplomatie einen großen Fehler begehen würde". — „Echo de Pari»" sagt, Präsident Mac Kinley sei offenbar durch die Campagne sür die Präsidentenwahl ge zwungen, sich der Fortsetzung der Expansionspolitik feindselig zu zeigen; «S sei zu befürchten, daß gewisse Mächte di» Haltung Amerika- mitmachen könnten, um daS internationale Ein vernehmen und die gemeinsame Actiou zu stören. — Im „Figaro" schreibt Whist, er sei trotz mancherlei Anzeichen überzeugt, daß vor der Ankunft de» Grasen Waldersee keinerlei ernst« Verhandlungen mit Ehina beginnen könnten. Viel ist allerdings auf diese erste Aussprache der Pariser öffentlichen Meinung nicht zu geben. Wenn eS zum Klappen kommt, geht Frankreich doch vorsichtig und folgsam in den Fußstapfen der Alliirten. Wa- die Antwort der Bereinigten Staaten an langt, so ist sie auch keine unbedingt zustimmende und ziem lich verclausulirte. Daß die Washingtoner Regierung nicht blos als Bedingung die Wiederherstellung der Ordnung, sondern auch Garantien für di« Zukunft verlangt, ist nicht zu übersehen. Rußland fordert nur, daß die chinesische Regierung bereit sei, die Wiederkehr der jetzigen Un ruhen zu verhindern, Amerika dagegen, daß es dazu im Stande sei. Weitrrbin heißt e- in der Washing toner Note bestimmter al- in der russischen, daß nur ein allgemeines gegentbrilige» Votum der übrigen Mächte die Rückberusung der amerikanischen Truppen verhindern kante, aber sie knüpft die Räumung letzten Ende- doch au da- Ein- vernehmen der Befehlshaber über den Zeitpunkt der Räumung. Ebe hierüber eine Einigung erzielt werden wird, dürfte noch viel Wasser den Peiho hinunter ins Geld« Meer fließen. Die Sache liegt also augenblicklich so, daß di« Aufgabe
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite