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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.09.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000904025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900090402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900090402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Bei genauem Zusehen ergiebl sich, daß in dem letzten Puncte der ruisische Vorschlag sich alle Thüren offen behält. Der Hinweis darauf, daß die localen Bedingungen berücksichtigt werden sollen, rechnet mit der Möglichkeit, daß, wenn sich aus militärischen Gründen eine Zurückziehung der Trnppen aus Peking nicht empsieblt, die russischen Truppen schwerlich allein aus Peking abmarschiren werben. Wie gewichtige militärische Gründe dafür sprechen, die Truppen in Peking zu belassen und da durch der chinesischen Regierung weiter zum Bewußtsein zu bringen, daß die Mächte ernsthaft entschlossen sind, sie zur Erfüllung der im Verkehr zwischen cultivirteu Völkern an erkannten Pflichten zu zwingen, gebt daraus hervor, daß sich jede Macht offenbar ausgiebige Zeit nimmt, die endgiltige Antwort auf die russische Note vorznbcreiten. So wird uns u. A., waS die Haltung Englands betrifft, gemeldet: * London, 3. September. Das „Neuter'jche Bureau" erfährt, man fei bei Len Bemühungen, 'sich mit dem englischen Ge sandten in Peking Mac Donald in Verbindung zu setzen, auf große Schwierigkeiten gestoßen. Es sei daher kaum wahrscheinlich, daß die briiijche Regierung wegen ihres künftigen Verhaltens in China irgendwelche definitiven Entschlüsse treffen werde, solange nicht Mac Donald im Stande sei, über die Lage ausführlich zu berichten. Daß die deutsche Auffassung dahin geht, daß die Räu mung Pekings von den Besatzungstruppen sich nicht empfiehlt, dagegen die Verlegung der Gesandtschaften von Peking nach Tientsin recht wohl durchzuführen sei, ohne daß die Eindrücke der bisherigen Thaten aus die Machthaber in Cbina Einbuße erleiven, kann als sicher angenommen werden. Ebenso, wie man annehmen darf, daß die ruisische Negierung sicher von der Auffassung Deutsch lands hinreichend in einer Form unterrichtet ist, die dem Umstande Rechnung trägt, daß die gleichermaßen engagirten andern Mächte sich auch noch nicht endgiltig geäußert haben. Es liegt der denlschen Politik fern, auch nur einen Schritt über das im Programm des Grasen Bülow entwickelte Ziel hinauszudrängen. Je eher unter annehmbaren Verhältnissen geordnete Zustände herbeigeführt werden können, die eine Wiederholung der vorgekommenen Mißachtung des Völkerrechts ausschließen, um so lieber wird es dem deutschen Volke sein. Aber es darf keine Komödie mit den Friedens vorbereitungen getrieben werden. Dies auf die Friedens mission Li-Hung-Tschangs angewandt, besteht auf deutscher Seite keineswegs ein Widerspruch gegen die Wahl dieser Persönlichkeit. Dagegen läßt sich bei dem zweifelhaften Ver halten derer, die man chinesische Regierung nennt, sehr wohl begreifen, daß bestimmt umschriebene und unanfecht bare Vollmachten die unerläßliche Vorbedingung zu so wichtigen Verhandlungen sind. Die „Köln. Ztg." schreibt: So sehr zu wünschen wäre, daß in Bezug auf die Dauer der Besetzung Pekings daö Ein vernehmen der Mächte standgehalten hätte und so schätzcns- wertb die Hilfe der russischen Truppen in der Hauptstadt gewesen wäre, so hätten dock zweifellos auch die übrigen Staaten ohne Mitwirken Rußlands Peking zu halten ver mocht. Indessen es läßt sich, wie aus der amerikanischen Note hervorgeht, auch unter diesen ein Einvernehmen über diesen einen Punct nicht erzielen; eS scheitert an der Haltung Amerikas. Die Bereinigten Staaten halten die Besetzung Pekings so lange für wünschenöwertl., bis dort eine chinesische Negierung wieder hergcstelll ist, mit der die Verhandlungen aufgenommen werden können, glauben aber, daß diese Maßregel nur dann wirksam sein kann, wenn alle Mächte an der Besetzung theilnehmen, und sind entschlossen, ihre Truppen zuriickzuziehen, falls einer der andern Staaten mit einem solchen Schritt voraugekt. Die Begründung dieses Entschlusses faßt die amerikaiusche Note in dem einen Satz zusammen, worin sie sagt, daß die Macht, die Peking räume, fortan nothwendiger Weise den Schutz ihrer Interessen selbst in die Hand nehmen werde, und daß ein solches einseitiges Vorgehen eS auch für die übrigen Mächte rathsam mache, ihre Trnppen zurückzuziehen. Diese Begründung ist nichts weniger als klar; sie scheint andeuten zu wollen, daß das Einvernehmen der Mächte der oberste Leitsatz der Politik in China sein müsse, daß man es daher keiner Macht gestatten könne, ihre Interessen auf eigene Faust zu verfolgen und daß die übrigen sich einem Staate, der versuche, das zu lhun, gewissermaßen als Polizisten und Späher an die Fersen besten müßten. Nur soerklcut sich der Widerspruch in der Haltung der Vereinigten Staaten, die eine Fortdauer der Besetzung Pekings für richtig halten, zugleich aber verkünden, sie würden die Stadt verlassen, falls eine ankere Macht ihre Truppen zuriicknrhme. Diese die Einigkeit nnter den Mächten in den Vordergrund schiebende Politik Amerikas wäre, so wenig schmeichelhaft sie in dem Lichte jener Auslegung für Nußianv erscheinen mag, rückhaltlos zu billigen, falls dadurch nicht jedem einzelnen Staate die Möglichkeit gegeben würde, den Dirigentenstab zu ergreifen und das Coucert der Mächte nach seinem Willen zu lenken, während ein harmonischer Klang, der Allen gefällt, in diesem Concert doch »ur dann zu erzielen sein wird, wenn die Mehrheit und nicht der Emzelwille darüber eniickeidet, welches Stück jeweilig gespielt werden soll. Die Vereinigten Staaten lassen die Möglichkeit offen, daß durck die ein- müthige Erklärung der übrigen Mächte, sie würden bis ;ur Wiederherstellung der chinesischen Regierung in Peking bleiben, Rußland veranlaßt werden könnte, seinen Entschluß rück gängig zu macken. Es wäre zu wünschen, daß sie nach der Richtung ihre Tbäligkeit einsetzten, zumal da auch die ameri kanische Regierung mit allen Kennern der Verhältnisse offen bar der Ueberzeugung ist, daß die Räumung Pekings unter den gegenwärtigen Umständen ein Fehler wäre, dessen üble Folgen kaum wieder wett gemacht werden könnten. UebrigenS liegen, wie wir schon andeuteten, der Haltung der Vereinigten Staaten offenbar parteipolitische Rück sichten und Bestrebungen zu Grunde. Der „New Aork Herald' behauptet, schon einige Tage vor dem Eingang der russischen Ankündigung sei dem General Chaffee die Weisung zu gegangen, Alles für die Zurückziehung der amerikanischen Truppen aus Peking vorzulereiten. Tie russische Note kam daher der republikanischen Parteipolitik angesichts der bevor stehenden Präsidentenwahl als eine willkommene Unterlage für die eigene Politik und wurde nach Kräften zn diesem Zwecke auSgenutzt. Die amerikanische Note wird denn auch laut einer Meldung auS Washington, in Amerika allgemein „als eine geschickte Darlegung der Politik der republikanischen Verwaltung auszeiaßt, die darauf berechnet sei, das Ohr der Wähler zu gewinnen" und daS Journal sagt kurz aber bezeichnend: „Die Regierung stellt einfach fest, daß in zwei Monaten die Wahlen stattfindcn, und sie glaubt, daß sie dabei besser auf dem Wege über Rußland als über England zum Ziele kommt." Tic übrigen Mächte haben jetzt, wie der „Köln. Ztg." ans Berlin gemeldet wird, die einzige maßgebende Junanz, nämlich ihre Ge sandten in China an gerufen und ihr Urtheil darüber eingefordert, ob ein so folgenschwerer Schritt, wie die Räumung Pekings, rathsam sei oder nicht. Ihre vorAllem in Betracht kommende Meinung wird daher abzuwa rten sein, bevor weitere Entscheidungen fallen werden. Tie tSrnnSc NusjlanöS. Wenn Rußland trotzdem, und obschon cs auch selbst das Einvernehmen der Mächte als seinen vornehmsten Programm- puuct anfzählt, seinen Entschluß, sich aus Peking zurückziehen zn wollen, ankündigt, so müssen cs zu diescm Schritt also wobt andere Beweggründe bestimmt haben. Die immer wieder auftanchendeBehauptuug.die länderzennalmenke russische Walze schicke sich au, eine neue Umdrehung zu machen, das einzige Streben Rußlands sei, sich neue chinesische Gebietslheile anzugliedern, ist angesichts der erneuten feierlichen Ver sicherung Rußlands, daß es keine Gcbiclöerwerbunz bezwecke, unhaltbar geworden. Es mag sein, daß Rußland, welches nach dem Mobilmacbnngserlaß vom 23. August demnächst über die stattliche Streitmacht von 187 000 Mann inOsl- asien verfügen wirb, daran denkt, sein Pulver für etwaige Möglichkeiten in Korea trocken zu halten, im Allgemeinen aber wird man nicht fehl gehen, wenn man in dem neuesten Schritte Rußlands in erster Linie das Bestreben erkennt, seine Jahrhunderte alte, auf historisch-nachbarliche Be ziehungen gegründete Politik Cbina gegenüber sortzusetzen und sich von ihr selbst dann nicht abdrängen zu lassen, wenn sein eister Programinpuuct, das Einvernehmen der Mächte, darüber geopfert werden müßte. Die russische Negierung bat bisher in allen ihren Kund gebungen an der Anschauung festgebalten, daß die chinesische Regierung als solche mit den Angriffen auf die Gesandten und die Fremden nichts gemein habe und daß sich das Vor geben ter Mächte ausschließlich gegen Rebellen zu richten habe. Diese Anschauung kehrt, obschon sie in offen kundigem Gegensatz zu allen privaten und amtlichen Berichten über die thalsächlichen Vorgänge steht, auch in der neuesten russischen Note wieder. Dai ans gebt aufö Deutlichste hervor, daß Rußland, wie die Darstellung der Ereignisse seihst sich nach den Berichten der Gesandten ge stalten mag, auch sür den weitern Verlauf seiner Politik an jener Anschauung fostbalteu, daß es sichCbina durch Dank barkeit verpflichten will und hofft, mit einem dankbaren China in der alten Form besser ausznkommen, als mit einem neuen, aus dem Chaos herausgewachsenen China, das es nicht kennt und daS ihm vielleicht mit Mißtrauen begegnet. Schon in der Mitte vorigen MonatS bat ein französischer Forscher, Marcel Monnier, dessen Beobachtungen sich durch feines politisches Verstäntniß anszeichnen, auf Grund der historischen Beziehungen Chinas zu Rußland die weitere Entwicklung dieser Beziehungen voraus erkannt, und der erste Schritt dazu, den Rußland jetzt getban, hat ihm Recht gegeben. Damals schrieb Monnier im „TempS": „Die Ge schichte wird uns wahrscheinlich lehren, daß das große Geheimniß der Politik Rußlands auf ihrem siegreichen Marsche zum Stillen Ocean darin bestand, ohne unüber legten Eifer, aber auch ohne kopflosen Rückzug den Weg langsam und allmählich abzustecken. Sie hat eö seit Alters her verstanden, den gelben Mann nicht zu umschmeicheln, aber zu streicheln. Oberflächliche Beobachter mögen glauben, daß das Ergcbniß dieser Politik gering war und daß China jin seinem Fremdenbaß Rußland nicht besser behandelt als die andern. Eine nahe Zukunft wird jedoch nach meiner Ansicht ein solches allzu summarisches Urtheil widerlegen. Von allen europäischen Nationen, die an der chinesischen Verwicklung bethellizt sind, hat Rußland allein Aussicht, daraus vergrößert hervorzugehen. Zu dieser selbst halbasiatischen Macht werden die Asiaten in der Stunde der unvermeidlichen Züchtigung ats zu ihrem Schützer aufblicken, dessen Gegenwart allein verhindern wird, daß die Strafe schlimmer auöfalle als daö Verbrechen selbst. Rußland aber wird dann trotz allem thätigen Antheil an dem Straswerk genommen, es wird seine Todten genugsam gerächt haben. Nichtsdestoweniger wird in China der Eindruck zurückbleiben, daß ohne cs, ohne seine guten Dienste als Verwandter und Freund die Strafe, so bart sie sein mag, noch schwerer aus gefallen wäre. Ich wäre daher nicht sonderlich überrascht, wenn die unmittelbare Folge der traurigen Ereignisse eine Festigung des russischen Einflusses in China wäre." Weitere Mcldnngc»: * London, 3. September. „Rcuter's Bureau" berichtet aus Pekiug unter dem 20. August: Eine englische Abtheilung, bestehend aus 3 Schwadronen Lancers, 2 Geschützen, 2 Maximgeschützen und 300 Infanteristen, die heute früh im kaiserlichen Jagd park eine Erkundigung vorgenommen hatte, stieß aus den Feind, der in den Ortschaften innerhalb Les Parke- lag. Der Feind bestand theilweise ans chinesischen Truppen und theilweise aus Boxern, die mit Gewehren, Speeren und Schwertern bewaffnet waren Die Artillerie feuerte aus den Feind, der sich zurückzog. Nachdem fünf Ortschaften verbrannt worden waren, ging die britische Abtheilung wieder zurück. Ter Verlust des Feinde- betrug 30 Todte. Die Engländer halten einen Leichtverwundeten. Der Feind wurde auf 1000 Mann geschätzt. (Wiederholt.) * Frankfurt, 3. September. Wie die „Franks. Ztg." aus Shangba, berichtet, wird sich die „Batavia" auf Wunsch des Con- sularcorps von Shanghai nach Wusuug begeben und dort die deutschen Truppen landen, die die Engländer und Franzosen in der Aufrechterhaltung der Ordnung unterstützen werden. (Wdrht.) * Washington» 3. September. Nach einem bei dem General arzt aus Taka eingegangenen Berichte sind von den amerikani schen Truppen 120 Mann bei der Front und 200 Mann in Tientsin krank. * London, 3. September. Der „Standard" melket vom 25. August: Unter den Chinesen in Peking ist eine Selbst mordepidemie ausgcbrochen. Ganze Familien suchen den Tod, meist durch Erhängen. * London, 4. September. (Telegramm.) „Reuter's Bureau" berichtet aus Peking unter dem 24. August: Prinz Ching Ver sucht Verhandlungen mit den Verbündeten zu eröffnen. — Der Gouverneur von Schanei, Du, hat eine Denkschrift an den Thron gerichtet, in der er mittheilt, er habe die Ausländer in seiner Lenilletsn. Jlonka. 11j Noman von C. Deutsch. Nachtruck verboten. „Dort in fernem, fremden Lande war ich ihm ein treuer Diener und that Alles, um ihm sein Loos zu erleichtern; denn er war arm und ohne jede Mittel in die Berbannung gegangen, da ihm alle Güter confiscirt worden waren und seine Familie daheim im Elend zurückgeblieben war. So lebten wir kümmer lich vier Jahre, meist auf die Arbeit meiner Hände angewiesen, bis diesen Winter, kurz vor Ostern, mein alter Herr plötzlich starb. Mit den letzten Grüßen von ihm an seine Familie kam ich nach.Pest zurück. „Seine Frau und Kinder hätten, um sich dankbar zu zeigen, alles Mögliche für mich gethan, ich aber lehnte jede Belohnung ab; denn sie sind selber arm und leben nur von der Unterstützung ihrer Verwandten; so nahm ich denn wieder mein Ränzel auf und kehrte nach Hause, die Fremde und die Jahre hatten mich ruhig gemacht; alle bitteren Gefühle waren verschwunden, wie weggewischt. Ich war so ruhig geworden, daß ich dacht' ohne Gemüthsbewegung Alles wieder zu sehen, was ich so lang ver laßen; als ich aber vor dem Dorf stand, den Thurm, die Kirch', die Häuser wieder erblickte, als das ganze liebe Bild vor meine Augen trat, da war's mir, als stund' mein Herz still vor lauter Freude, Jubel und Rührung, es trieb mir das Helle Wasser in die Augen, und mir ward zu Muth, als müßte ich niederknien wie in der Kirche und Gott danken, daß ich wieder daheim war, daheim! . . XXI. Wochen waren vergangen, der Juli kam und mit ihm die Ernte. Das Feld ertönte vom Gesang der Schnitter und Schnitterinnen, und die garbenbeladenen Wagen schwankten auf der Landstraße, dem Dorfe und den Scheuern zu, die vereinzelt auf der Ebene standen. Es war ein wonniger Morgen, als Jlonka, die Eimer über die Schulter geworfen, aus dem Hause trat, um Wasser vom Brunnen zu holen, der gerade gegenüber am anderen Ende der Straße stand. Das Haus des Richters lag von der Straße ein wenig zurückgedrängt. Ein Garten trennte es von ihr. Die Straße lief dann in weitem Bogen weiter mit dichtem Gebüsch und hohen Bäumen besetzt; sie führte nach Fllred. Die Welt war so lachend um Jlonka, so hell schien die Sonne, so durchsichtig war das Blau des Himmels, so glänzend das Grün der Bäume, daß unwillkürlich eine leichte Melodie auf ihre Lippen trat, da fielen als Begleitung zwei kräftige Stimmen ein und sangen die Strophe zu Ende; überrascht blickte sie auf; aus der Biegung der Äraßen traten zwei Herren auf sie zu. „Das war ein schönes Lied und ein noch schönerer Mund, der es gesungen", sprach der eine, stehen bleibend. „Wie heißt dies Dorf, mein schönes Kind?" „Tyhany", versetzte sie. Bei dem Namen, den das Mädchen aussprach, trat der andere Herr betroffen zurück und blickte um sich. „Wohnt Ihr in diesem Hause, mein Kind?" fragte der erste wieder. Sie bejahte. „Habt Ihr ein Helles, freundliches Zimmer zu vermiethen? Das Haus gefällt uns und noch mehr seine Bewohne-in." „Wir Haven weder ein freundliches, noch ein unfreundliches", versetzte sie kurz und wollte an ihnen vorüber auf die andere Seite der Straße, wo der Brunnen stand. „Wer wird Fremde so schnöde abseitigen, oder — bes>r gesagt — wer wird sich von einem solch' schönen Mädchen s- schnöde abfertigen lassen?" rief jetzt der andere Herr und ver trat ihr lachend den Weg. Bei dem Tone dieser Stimme fuhr Jlonka zusammen, ein jäher Schreck kam über sie, eine tödtliche Bestürzung. Sie sah auf und dem Mann« ins Gesicht. Es war ein Herr in den dreißiger Jahren, wenigstens sah er so alt aus. Das Gesicht mochte früher schön gewesen sein, das bewies der Schnitt des selben und das Ebenmaß der Züge; was jetzt die Schönheit be einträchtigte, war das Matte, Abgelebte, Kränkliche darin. Spu ren heftiger Leidenschaften lagen auf diesen Zügen und sprachen aus den früh entstandenen Linien um den Mund und Augen. Jlonka wußte, wer der Mann vor ihr war; sie hatte ihn trotz der Veränderung erkannt, erkannt bei dem ersten Tone seiner Stimme. Sie wendete sich ab, den tiefen Schreck zu verbergen, den dies unerwartete Wiedersehen in ihr hervorrief. Sie wurde nicht erkannt. Der Mann vor ihr hatte ein zu be wegtes Leben geführt, zu oft hatten die Eindrücke gewechselt, als daß sein Gedächtniß Raum gehabt hätte für eine Erscheinung, die so weit ab von ihm lag. Er hatte in Paris gelebt, wo ihm von einem Verwandten ein reiches Erbe zugefallen war, und hatte, leichsinnig und ver schwenderisch, wie er war, ein wildes und wüstes Leben geführt. Nach einigen Jahren war die Lebenskraft halb und das Ver mögen ganz aufgezehrt, auch die Kunst war untergegangen in diesem wilden Strudel. Er kehrte nach Pest zurück. Die Aerzte riethen ihm zur Erholung und Kräftigung die Bäder von Fiired an. Er war mit einem Freunde dahin gegangen, da er aber einige Zeit allein leben und jedem Geräusch und Gewühl, die das Badeleben mit sich bringen, sich entziehen wollte, beschloß er, in einem der nahe gelegenen Dörfer zu wohnen. Heute war er auf gut Glück, ohne ein vorher bestimmtes Ziel, aufge brochen, und der Zufall hatte ihn nach Tyhany geführt. Henri Lion vertrat dem Mädchen lachend den Weg, ohne zu ahnen, wen er vor sich hatte, sie aber wendete sich schweigend ab und trat rasch über die Straße. Sie machte sich ziemlich lange am Brunnen zu schaffen, und doch hatte sie schon längst die Eimer gefüllt und noch immer standen die Beiden, an den Zaun des Gartens gelehnt, und blickten zu dem Hause hinauf. Sie war in der peinlichsten Verlegenheit. Sollte sie wieder an ihm vorbei und sich seinen Blicken aussetzen? — — Wenn er sie erkannte! „Das ist wirklich ein bildschönes Mädchen, und ich gehe nicht von hier, bis sie freundlicher geworden ist", sagte Lion zu seinem Begleiter. „Sie macht mir einen ganz besonderen Appetit durch ihre Sprödigkeit." „Das thut jedes neue Gesicht, wenn es schön ist", versetzte dieser lachend. „Sei ein bischen freundlicher, liebes Kind", sagte Lion, als das junge Mädchen wieder zur Gartenthllr trat. „Wir sind ganz harmlose, friedliche Leute, und würden ein Zimmer recht gut bezahlen." So sprechend, legte er den Arm um sie. Sie trat so jäh zurück, daß die wassergefllllten Gefäße ins Schwanken geriethen. „Ich hab' den Herren schon gesagt, wir haben keine Zimmer", versetzte sie, ganz bleich vor Erregung. „Und jetzt lasten Sie mich durch; ich hab' etwas Anderes zu thun, als hier auf der Straß' zu stehn und müßige Reden anzuhören." „Wir verlangen doch nur eine Gefälligkeit, mein Kind", sprach der Andere begütigend. „Ihr sollt uns sagen, wo wir ein Zimmer bekommen können." „Das weiß ich nicht", versetzte sie mit sanfterem Tone, wenn auch nicht minder hastig. Der Boden brannte unter ihr, und sie glaubte sich nicht geborgen, bis sie im Hause war. „Das Dorf ist nicht groß, und die Herren können Nachfrag' halten. Sie haben nur eine schlechte Zeit gewählt; es ist Erntetag, und Alles auf den Feldern draußen." „Wo wohnt der Richter?" „Hier, er ist aber nicht daheim und wird vor Abend nicht nach Hause kommen." „Weißt Du was?" rief Lion plötzlich, wie von einer Er innerung berührt. „In dieser Gegend habe ich vor Jahren ein mal ein kleines Abenteuer bestanden. Tyhany, ganz recht, so hieß auch das Gebirge, wo der alte Fischer wohnte, der mich aus dem See gerettet und dann wochenlang in seiner Wohnung ge pflegt. Wir schieden zwar nicht im Frieden. Der Mann hatte ein bildschönes Töchterlein, fast noch ein Kind, ich verliebte mich in sie, oder, glaubte es wenigstens; Du weißt ja, wie ich bin, daß ich ungestraft kein schönes Gesicht sehen kann. Das Mädchen war verlobt, und das nahm der Alte gewaltig übel; denn ich hatte das junge Ding ganz berückt, und es wäre mir in die weite Welt gefolgt, wenn ich es gewollt. Wie gesagt, der Alte war außer sich und gab mir den Laufpaß. In den langen Jahren, denke ich, wird er wohl seinen Groll vergessen haben und freut sich viel leicht, wenn er mich wiedersieht. Ich bin wirklich neugierig, wie es dem Alten und dem Mädchen geht, ob sie wohl den unge schlachten Bengel geheirathet-hat, mit dem sie damals verlobt war. Kannst Du uns nicht sagen, welches der Weg nach dem Gebirge ist?" wandte er sich an Jlonka. Ein tiefes Erbleichen ging über ihr Gesicht, und ihre Stimme zitterte, als sie erwiderte: „Wenn Sir den Fischer Bator meinen, so müssen Sie nach dem Friedhof; denn dort liegt er seit fünf Jahren begraben." Damit trat sie rasch an ihm vorbei in den Garten, dessen Thüre sie hinter sich verschloß. Sie war so aufgeregt, daß sie, kaum in die Stube getreten, sich niedersehen mußte. Als sie dann nach einiger Zeit aus dem Fenster blickte, sah sie die beiden jungen Leute die Dorf straße hinaufgehen. Sie verschloß das Haus und ging aufs Feld. Ferencz war zu klug und schenkte dem Mädchen zu viel Aufmerksamkeit, um nicht gleich die Veränderung in ihrem Wesen, das Unruhige, Aufgeregte, das ihrer ernsten, stilldenkenden Natur so fremd war, zu bemerken. „Jlonka, Dir ist was paffirt", sagte er zu ihr. Sie erzählte ihm das Begegniß. „Jst's auch wahr? Hast Du recht gesehen?" fragte der Richter erstaunt. „Ich hab' ihn gleich an der Stimm' erkannt." „Und er Dich auch?" „Ich glaub' es nicht, wenigstens hat er sich nichts merken lassen." Ferencz verharrte eine Weile schweigend, dann sagte er und sah ihr forschend ins Gesicht, „wenn Du weiter kein Unheil von ihm zu fürchten hast, was kann er Dich kümmern?" „O, Vater Ferencz, wie könnt Ihr so etwa» von mir denken.
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