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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.09.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000914026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900091402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900091402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Correspondent" übermittelten Shanghaier Telegramm der Ostasiatischen Nachrichten-Expedition deS deutschen Flotten vereins— Rußland der Stein deS Anstoßes sür China ist, Rußland, daß eben noch durch seinen Räumungsvorschlag dem chinesischen Hofe und der Pekinger Regierung goldene Brücken bauen wollte. Das Telegramm besagt: Li-Hung-Tschang hat heute (13. September) Margen nachstrhcnveS Telegramm ver russischen Regierung erhalten: Tie russische Regierung stellt folgendes Ultimatnm: Ter Kaiser von Ehina soll dteRcgiernng wieder selbst übernehmen, seinerseits sofort für die Bcr- haftnng des Prinzen Tuan nnd der übrigen Ruhestörer Sorge tragen nnd Sen (rinflni; der Kaiscrin-Wtttwc ans Sie Regierung a ns sch lies; en. Li hat antzcr der erste» Bedingnng diese Borschläge als unannehmbar erklärt und seine Abreise von Shanghai nach dem Norden anfgegeben. UnS selbst wurde gemeldet, Li babe die Verhandlungen eingestellt, weil Prinz Tu an Einspruch dagegen erhoben habe. DaS ist auch nur natürlich, da es ihm zu allererst an den Kragen gehen soll. Ist das Telegramm des Flotteuvereius, wie man wohl annehmen darf, richtig, so ist die Meldung in doppelter Hinsicht von größter Bedeutung. Einmal zeigt sie, daß man sich in Petersburg, zweifellos aus Grund der Berichte des russischen Consuls in Peking, davon überzeugt hat, daß Prinz Tuan der Hauptschuldige, die treibende Kraft der ganzen Boxererhebung ist, und daß die Kaiserin-Wittwe ihn dabei — nicht gezwungen, sondern frei willig — wesentlich unterstützt hat. Andererseits darf man wobl annehmcn, daß die russische Regierung auf Grund dieser Erkenntniß ihren Räumungsvorschlag, von dem in den letzten Tagen anch gar nicht mehr die Rede war, während immer mehr russische Truppen gelandet werden, endgiltig fallen lassen wird. Das wäre eine sehr erfreuliche Klärung der Lage, denn nun konnte nicht mehr von deutsch-russischen Differenzen die Rede sein, da Deutschland in seinen sür die Aufnahme der Fricdensverhandlungen zu stellenden Bedingungen schwerlich weiter geben wird als deS russischen Ultimatum es lhul. Mittlerweile ist der Mörver SeS vcutschcn Gesandten gefaßt, ein nicht minder erfreuliches Factum, das auf den Entschluß des Prinzen Tuan, sich gegen die Friekcnsverhandlungen zu stemmen, nicht ohne Einfluß gewesen sein dürste. Man meldet unS: * Berlin, 13. September. Ter Generalmajor von Höpfner telegraphirt aus Tat» unter Som 11. September: Ter Mürber Scs deutschen Ge sausten ist Snrch Vic Japaner gefangen nnv mir übergeben worden. Tas bisherige Verhör hat rrgcbcn, daß ei» höherer Befehl für Vie That vorlag. tWvhlt.) Unter höherem Befehl kann nur die Kaiserin-Wittwe oder der Prinz Tuan oder die unter dem Einfluß Beider stehende Regierung verstanden werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist der Befehl von Prinz Tuan ausgegangen, dem Allesmacher in den furchtbaren Wirren. Er mußte sich natürlich sagen, daß das Geständniß deS Mörders bei den Berhandlungeu die erste Nolle spielen und er selbst als der moralische Urheber des Mordes corrrm mundo bloßgestellt werden würde, Grund genug sür ihn, die FriedeuSconferenz überhaupt unmöglich zu machen und die Entscheidung auf die Fortführung des Krieges ankommen zu lassen, den China formell zu erklären die Mächte jetzt deshalb nicht mehr zögern sollten, weil es keinem Zweifel mehr unterliegt, daß die chinesische Militärpartei die sactische Macht in Händen bat und die kaiserliche Gewalt nur noch ein leeres Nomen, ein wesenloses tzschcuieu ist, mit dem Niemand mehr rechnen kann und deshalb nicht mehr zu rechnen braucht. Tie Haltung Ser Bereinigte» Staaten ist nach wie vor eine unzuverlässige So wird unS heute aus Washington telegraphirt: Man glaubt hier, daß die Mächte in der chinesischen Frage zu einer Verständigung kommen und durch Commissare auf gemeinsamer Grund lage C o m p e n sa tio n e n sür gewisse Arten der be gangenen Freveltbaten festsetzen können, und daß so zur schließlichen Regelung der Angelegenheit ein guter Schritt vorwärts gethan Werken kann. Wenn indessen der Versuch, die Einigkeit der Mächte in einer Action zu fiibren, nicht erfolgreicher ist, als jener betreffs der Räumung Pekings, so werden die Vereinigten Staaten ihre eigenen Inter essen wahrnehm en und ihre eigenen Commissare ernennen, die direct mit den chinesiswen C o >n in i ssare n sich in Verbindung setzen. General Chaffee hält fick bereit und erwartet Instructionen von Washington, um den Marsch nach der Küste anzutreten. Man sieht die Vereinigten Staaten also wieder bestrebt, ihre eigenen Wege zu gehen. Nun, da Prinz Tuan die Karten so offen aufgedeckt hat, Werren aber wohl auch die Washingtoner Diplomaten einseben, daß nur eine Einigung aller Mächte aus das russische Ultimatum zum Ziele sichren kann. Sie werden von Ernennung einer eigenen Commission und von der Zurückbeorderung ihrer Truppen aus Peking Abstand nehmen, da der Abbruch der Friedensverbandlungen doch taktisch nichts anderes bedeutet alö die Wetterführung des Krieges, die Lage ohnehin gegenwärtig wieder viel kriegerischer aussieht und militärische Actionen von größerem Belang gemeldet werden. Sogar in der nächsten Umgebung von Peking treten aufs Neue Boxer banden aus und treiben sengend und brennend ihr Unwesen. So meldete Lassan vom 29. August aus Peking, in Tunglschou, der Hafenstadt Pekings am Peiho, hätten Boxer Häuser in Brand gesteckt, die männlichen Insassen ermordet und den Telegraphendraht zwischen Tunglschou und Matou durch schnitten. Flüchtlinge, die nach Peking zurückkehrten, erzählten, die Dörfer um Peking wimmeln von Boxern. Daß somit „die Umstände noch nicht gestatten", die Truppen zurückzuziehen (diese Formel haben sich fast alle Mächte angecignet), beweisen ferner die von uns mitgetheilten Neulermeltungen vom 5. September, nach denen amerikaiiische Cavallerie bei Schah» bei Peking und russische Truppen bei Mackiopn, dem Endpunct der Babn von Tientsin vor den Thoren Pekings mit chinesischen Soldaten und Boxern in Kämpfe verwickelt wurden. Außerdem berichtet die „Agenzia Stefani" aus Taku vom 7. d. M.: ES bestätigt sich, daß in Tientsin ein gemischtes Operationscorps gebildet wird, welches auf Tscheng-Hai-Hsien zu marschiren soll, wo eine große Menge Boxer mir Artillerie den Verkehr der mit Lebensmitteln beladenen Barken auf dem Kaisercanal be hindert. Das OperalionScorpS soll sich zusammensetzen aus zwei Bataillonen Italiener nebst einer Seesoldaten- Abtheilung, je einem Bataillon Engländer und Japaner und anderen kleinen Abtheilungen. In Tientsin werden eine Brodsabrik und ein Hospital für die italienischen T> uppen errichtet. Der „Messagers" meldet auS Taku vom 10. d. M.: Die italienischen Truppen, welche am 8. d. M. in Nan-tsai-tsun eintrafen, wurden von Boxern an gegriffen, welche jedoch, nachdem auf beiden Seiten Gewehrschüsse gewechselt waren, zurückgetrieben wurden. Weitere MelSungen. * Paris, 13. September. Die Regierung ließ sich, wie die Blätter melden, durch Staat-k-rathsdecrct einen Nachtragscredit von 30 Millionen Francs für die Expedition nach China eröffnen. Von de» durch das Parlament für diese Expedition bewilligten 20 Millionen Francs sind sür Transportkosten allein lO Millionen verausgabt. * Paris, 13. September. Ter französische Consnl in Shanghai telegraphirt unter dem Il.d. M., daß auf sei» Ersuchen Li-Hung- Tschang und der Vicckünig von Nanking Anordnungen zum Schutze der belgischen und anderer Missionare in den Provinzen Schansi und Tschili getroffen hätten. * Berlin, 13. September. Ter zweite Admiral deS Kreuzer geschwaders meldet aus Taku unter dem 10. September: Nach einer Miltheilnug des Generalmajors von Hopfner aus Pe king vom 7. September ist am Thatorte der Ermordung des deutschen Gesandten eine Gedacht nißfeier abgehalten worden. (Wiederholt.) Landon, 13. September. Tas „Bureau Laffan" meldet aus Peking vom 3. September: Franzosen und Russen begingen furchtbare Grausamkeiten in Tungtschau. Sie entehrten und tödtcten Frauen und Kinder. Der japanische General Fukushima erhob dagegen persönlich beim russischen und beim französischen General Beschwerde unversuchte den General Chaffee, das Gleiche zu thun. (Frlf. Ztg.) * Wien, 13. September. Ein Petersburger Brief der „Pol. Corresp." bezeichnet als Grund des Unterbleibens jeder Reise des Zaren in das Ausland sein außerordentliches Interesse an der chinesischen Frage. In Folge dessen begleitet Graf Lamsdorff den Kaiser nach Livadia. Ebenso werde diesmal von Spala aus eine viel regere und engere Fühlung als sonst mit dem Ministerium des Auswärtigen in Petersburg unterhalten werden. (Wdrhlt.) Oer Krieg in Südafrika. —?. Die englische Presse zeigt sich anläßlich der „Flucht Krügels" auf ihrem aller'.iessteu Niveau. Abgesehen von einigen Blättern („Standard", „Morning Post", „Chronicle"), welche vornehme Worte für den Ex-Präsidenten finden und offenbar in seiner Abreise eine ungeheuere Erleichterung erblicken, begeifert sie den unterlegenen Feind mit einem geradezu widerwärtigen, ekelerregenden Wetteifer. Hier einige Proben: „Daily Mail": „Seit dem Tage, an welchem er von Pretoria mit all' dem Baargeld, das ihm unter die Hände kam, dnrcbgina, während er seine Beamten mit Assignaten be zahlte und sich in einem Eisenbahnwagen, dessen Locomotive stets unter Dampf lag, etallirte, war eS klar, daß damit sein Ende gekommen sei. Nachdem er sein Land dem Ruine entgegengeführt hat, plant er jetzt, mit einigen intimen Freunden sich in den Ruhestand zuriickzuzichen und die Beute zu verzehren, die er während seiner Amtszeit den Uitländern abgepreßt hat. DaS ist nickt sehr würdig und stimmt auch nicht ganz mit den Bibeltexten, die er seinen BurgherS so gern unter die Nase hielt, aber es ist ganz und gar Krüger. Der Ex-Präsident hatte niemals Sinn für Würde und Ehre, seine Bürger sind vielleicht froh, ihn los zu sein." „Daily Graphic": „Hätte Ohm Paul seine Feinde in der Hauptstadt erwartet und sich in stiller Würde der über wältigenden Macht ergeben, so würde er als tragische und pathetische Figur der Nachwelt überliefert bleiben. Aber, die Kästen von Gold, die er klugerweise vorausschickte, das Psalm singen im Eisenbahnwagen und die schließliche Flucht in ein fremdes Territorium, lassen ihn eher als einen pietistischen Schwindler, denn als einen patriotischen König erscheinen". (Das „Toryblatt" erinnert sich offenbar nicht mehr, daß cs selbst warm befürwortete, daß man Krüger schleunigst hängen möge, sowie man ihn gefangen habe.) „Telegraph": „Herr Krüger tritt von der Scene ab, conscgucnt bis zuletzt läßt er die Burghers, die er getäuscht hat, jetzt im Stich und empfiehlt ibuen mit cyuischer Kälte, Frieden zu machen, den Frieden, den seine törichte Hart näckigkeit so lange hinausgeschoben hat. ... Paul Krüger war ein hausbackener Held, ein ignoranter Bauer, ein holländischer Farmer, den das Schicksal daS zweifelhafte Glück erwicS, ihn TeSpot werden zu lassen. . . . Niemals ist England von einem merkwürdigeren Feind angegriffen worden als diesem Boer, der auf unsere Sorglosigkeit baute, auf unsere Großmuth spcculirte, in jeder Kanzlei Europas gegen unS conspirirte und uns mit dem bittersten Eifer haßte, wie ein Mann sonst nur einen persönlichen Feind haßt." „Expreß" meint: „Unverschämtheit, Lüge, Ver leumdung, Queruliren und Großmäuligkeit waren seine Waffen. Wir erinnern an seine arroganten Tele gramme an England, seinen Feldzug der Lüge und Bestechung, um europäische Sympathie zu gewinnen, nnv die unmenschliche Behandlung, die er den englischen Kriegs gefangenen zu Theil werden ließ." ES soll richtig sein, daß Krüger große Mengen Geldes nach Europa geschasst hat. Sein Privatvermögen sucht er natürlich zu retten, aber dies soll erst gestern in Lourentzv MargueS eingetroffen sein. WaS bis jetzt verschifft ist, ist der »riegsschat; der Bacrenrcpublilen. Daran, diesen in Sicherhat zu bringen, hat Krüger, klug nnv vorsichtig wie er ist, nur recht gethan, und Nie mand wird ärgerlicher als die Engländer sein, daß sie ihm die goldene Last nicht rechtzeitig abgenommcn haben. In seiner Geldcasse hat Krüger die Mittel, den Krieg fort zuführen, und *as wird denn auch noch eine Weile geschehen. Sonst wird unS berichtet: * London, 14. September.' (Telegramm.) „Daily Telegr." berichtet aus Loureii<;o Marques unter dem 13. September, Feuilleton. i) Der neue Tug. Roman von Klara Zahn. Nachdruck verboten. I. Anny ging noch einmal durch das Schlafzimmer ihrer jungen Brüder, um zu sehen, ob die Knaben schliefen und die Lampe ver löscht sei. „Ich hab' was vergessen, Anny", flüsterte Hans, der Vier zehnjährige, von seinem Bette aus. „WaS, Kind?" „Mein Schulgeld, wir müssen's morgen bringen, sonst be komm' ich einen Tadel." „Aber Hans, das ist arg, wie kann man so nachlässig sein!" sagte das junge Mädchen ärgerlich. „Ich hab's doch gestern schon Papa gesagt", vertheidigte sich der Knabe, „er versprach cs mir heute zurecht zu legen, dann vergaß ich's." „Nun, so schlaf nur, ich will es Dir besorgen." „Du wirst wohl lange aufbleiben müssen, bis Papa nach Hause kommt?" fragte Hans bekümmert. „Kann sein", lachte Anny, „aber nun sorg' Dich nicht darum und schlaf." „Wie gut Du bist, Anny!" Leise strich das Mädchen dem Bruder das braune Gelock aus der Stirn- und gab ihm noch einen Gutenachtkuß. „Mir auch!" rief halb schlaftrunken der jüngere Bruder, empfing seinen Tribut an der Schwester Zärtlichkeit und schlief gleich darauf wieder ein. Anny verließ leise das Schlafzimmer der Knaben. Es war ihr verdrießlich, daß gerade heute ihr Hausgeld schon zu Ende war. Sie hatte Rechnungen bezahlt, die schon zum zweiten Male gebracht wurden. Es wäre ihr peinlich gewesen, sie noch mals zurückgehen zu lassen. Sie bebriff eigentlich gar nicht, daß in einem so reichen Haushalte, wie der ihrige cs war, der gleichen Vorkommen konnte, sie buchte doch genau und ermög lichte dem Vater die leichteste Uebersicht über die offenstehenden Posten, seit sie nach dem Tode der Stiefmutter seinem Haus wesen leitend Vorstand. Papa hatte wenig Sinn für solche Bagatellen, zuweilen auch gerade kein Geld im Haus. — Gut, daß sie zufällig gesehen hatte, daß der Geldbote heute eine große Summe in Gold gebracht hatte, Hundertmarkschein« hätte man den Knaben nicht mitgeben können. Nun hieß es warten, denn im Morgenschlummer durfte sie den Vater nicht stören. Es war 10 Uhr vorüber. Anny ging in ihr Zimmer und vertauschte das feste Hauskleid mit einem losen, weichen Morgen gewände. Sie löste die schweren Flechten, die im breiten Kranze ihren feinen Kopf umgaben, und flocht die reichen, welligen Haarmassen zu einem schweren Zopfe zusammen, der ihr ein fast kindliches Aussehen gab, obgleich die edlen Züge des Mäd chens eine seelische Reife verriethen, die sie über das zwanzigste Lebensjahr hinaus erscheinen ließen. Anny mußte sich auf ei» vielleicht langes Warten vorbereiten. Der Vater kam oft erst sehr spät heim. Früher, nach dem Tode der Stiefmutter, hatte sie den lieben Vater oft erwartet, hatte oft mit ihm noch ein Stündchen in der Nacht so ganz allein verplaudert. Er war dann so weich und mittheilsam gewesen, hatte ihr von seinem Leben erzählt, von seinen Enttäuschungen und Errungenschaften, von ihrer lieben Mutter, und daß sie doch das einzige, wahre Glück bedeutet habe in seinem Leben. Es war eine so kluge, starke und milde Frau gewesen, die nur ihn geliebt habe auf der Welt, ihn und ihr Kind, von denen sie so früh scheiden mußte, daß Anny kaum noch eine lebendige Erinnerung an die eigene Mutter hatte. — — Die Stiefmutter hatte ihr nie von ihr erzählt. Sonst aber war sie ihr kaum eine Stiefmutter gewesen. Freilich auch keine rechte Mutter. Sie hatte ihre Knaben, ihren Mann und vor allen Dingen sich selber, und sie war sich eine so gewichtige Person, daß sie so leicht nicht über sich hinauskam. Kränklich und nervös, hatte sie immer nur Aufmerksamkeit und Besorgniß für sich gefordert und es kaum gewahr werden wollen, daß Anny in die Maienzeit des Mädchenlcbens eingetreten war und Ansprüche an Jugendlust und fröhliche Geselligkeit machen durfte. Damals hatte sich der immer lebenslustige Vater seiner Pflichten gegen die „Aelteste" erinnert und hatte Anny zu Bällen und Festlichkeiten begleitet, denen die kranke Frau fern bleiben mußte. Anny fand wenig Vergnügen daran, und die schlecht verhehlte Bitterkeit, mit der die Stiefmutter das Mädchen gesund und rosig Freuden entgegengehen sah, auf die sie selbst verzichten mußte, verstimmte auch Anny's Feingefühl. Wohl empfand sie die väterliche Theilnahme mit frohem Danke, aber das ihr bereitete Vergnügen wog die Stunden der Unzu friedenheit nicht auf, die es im elterlichen Hause hervorrief. — Zudem kam, daß sie eines Tages aus dem Wortwechsel der Eltern erfuhr, daß sie eine „reiche Erbin" sei, deren Muttertheil ge sichert ihrer Volljährigkeit harre, während die jüngeren Brüder leer ausaingcn. Anny begriff das gar nicht. Sie hatte doch gesetzmäßig nur einen Theil des großen mütterlichen Vermögens beerbt, der größere Antheil blieb dem Vater und somit auch einst ihren Stiefbrüdern. — Den Vater zu befragen, scheute sich Anny, und die Mutter, die ihre rasche Aeußerung wohl bereute, gab nur die ausweichende Erklärung, daß des Vaters Vermögen schlechter als das ihrige angelegt zu sein scheine und er bereits große Einbuße daran erlitten habe. Auf Anny hatte das Wort „reiche Erbin" einen stark erkältenden Eindruck gemacht. Es schien ihr, als ob es sie wie mit unsichtbarer Scheidewand von den kleinen Brüderchen trennte, die sie doch so herzlich lieb hatte. Gern hätte sie schon jetzt der sorgenden Mutter versprochen, Alles, was ihr eigen sei, einst redlich mit den Knaben zu thcilen, aber eine dahin zielende Bemerkung hatte die Stiefmutter mit un gläubigem Lächeln ausgenommen und mit bitterem Scherze ge sagt: „Heute ja, gutes Kind! Wenn Du's erst in der Hand hast, das viele, schöne Geld, dann wirst Du nichts davon ver missen mögen, das kenne ich!" So verschloß Anny ihre Gedanken darüber und hoffte, später die Mutter durch ihre That zu überzeugen. Dazu sollte es nicht kommen. Kaum hatte Anny ihr 20. Lebensjahr zurückgelegt, als ihre Stiefmutter starb und Anny die Führung des Haushalts und die Erziehung der beiden kaum acht- und zehnjährigen Knaben übernehmen mußte. Das war nun fast fünf Jahre her, fünf Jahre treuer Pflichterfüllunb für die Ihrigen. — Des Vaters stets bereite Anerkennung ihrer Thätigkeit, der lieben Buben unbegrenzte Liebe waren ihr wohl ein schöner Lohn, — aber ihre Jugend, wo blieb ihre Jugend? Anny dachte das heute nicht zum ersten Malec Es lag so viel Unverstandenes, Lebcnwollendes in ihrem tiefsten Sein, das so oft ungestüm an die Decke pochte, die es verschloß. Im ruhigen Gleichschritt des Alltags verstummten die mahnenden, fordernden Stimmen ihrer Brust, aber wenn sic wie heute, an einem warmen Sommerabende, draußen saß auf dem Altane und die Blicke bald aufwärts sich richteten zu dem funkelnden Sternenheer, bald hinabspähten auf die stillen Straßen Nürnbergs, ob des Vaters Gestalt noch nicht zu erblicken sei, dann klang cs immer angst, voller durch ihre Seele: „Wird das immer so dahingehen? Kein Weckruf mir tönen, keine Hand mich erfassen, die mich hinein führt in das wache, vollpulsirendc Leben?" — Grenzenlose Sehnsucht nach ungekanntem Glücke erfüllte ihre Seele. — Wollte sie heirathcn? — Nein, heirathen, wie ihre Freundinnen das gethan hatten, wollte sie nicht. — Die saßen jetzt wohl auch, wie sie selber, ausspähend auf ihrem Balcon, hatten liebe Kinder zur Ruhe begleitet, die Tagesgeschäfte erledigt und schauten, ob der Hausherr käme, nur daß es dort der Gatte und nicht, wie in ihrem Falle, der Vater war. Sonst kaum ein Unter schied. WaS sie phantasirt hatten in einer lustigen, kurzen Brautzeit, das war längst vergessen und begraben. Der Alltag hatte sie Alle ganz und gar; Existenzfragen, Küche, Kinder und Hausstand, das war ihre Welt, so gut, wie es ihre eigene war. Und die Liebe? Ja, die Liebe, von der sie einst phantasirten, die gab cs ja gar nicht! Wie oft hatten ihr das die Freundinnen lachend versichert und waren doch ganz zufrieden und froh dabei geworden. Und nur in ihr selber dieser glühende, unverlier bare Glaube daran. Und doch! Keinen der ihr bekannten Männer hätte sie mit dem Ideal ihrer Liebe in Verbindung bringen können. Keinen! — Wie manches Mal hatte sie sich selbst dec Kälte, des Hochmuths bezichtigt, wenn ernst gemeinte Werbungen um ihre Gunst so gar keinen Widerhall in ihr weckten! — Sie konnte sich nicht überwinden; sie konnte nicht hinüber zu Jenen, die ihr Liebe boten, ein Strom der innersten Fremdheit trennte sie, über den keine Brücken führten. Erschreckt fuhr Anny empor. Zwölf volle Schläge ver kündeten Mitternacht. Drunten klang ein rascher, schwerer Schlitt. Gott Lob, es ist der Vater. Anny eilt hinüber ins Eßzimmer, entzündet rasch die Gasflamme der Tischlampe, be grüßt freundlich den Eintretenden. — Ein wenig verwundert blickt der Rechtsanwalt Folgers auf seine Tochter und sagt: „Mein Kind, noch auf? Was giebt es denn so Besonderes?' „Nichts von Bedeutung, Papa, ich wollte Dich nur morgen früh nicht stören und das Schulgeld der Kinder noch heute zurechtlegen." „Aber Mädchen, und darum bleibst Du wach? Konntest Du es denn nicht auslegen? So knapp bist Du doch nicht gestellt!" lachte der Alte gemächlich. „Diesmal doch!" gab Anny ebenso zurück, „ich habe Rech nungen bezahlt, die schon zum zweiten Male da waren." „Erlaube, Anny, Du weißt, das ist ein für allemal meine Sache!" siel der Rechtsanwalt ärgerlich ein. „Tas fehlte mir, die Leute so zu verwöhnen. Sie verdienen wahrhaftig genug, was schadct's denn, wenn sie zum dritten Male kommen, he?" Anny schwieg. Der Rechtsanwalt ging ein paar Mal im Zimmer hin und her nnd sagte dann ruhiger: „Nun geh' nur zu Bett, ich werd's den Jungen morgen geben!" „Papa", bat Anny leise, „ich habe cs Hans versprochen! Das Kind ängstigt sich, er bekommt einen Tadel, wenn er's nicht morgen früh mitbringt, und Dir macht es doch keine Mühe weiter, mir das Geld bald hcrauszugeben! —" „Zum Kuckuck, ich hab's jetzt nicht! — Ihr denkt auch nur immer geben! geben! Was solch ein Haushalt verschlingt, wiro nie berechnet, da kann auch der straffste Beutel einmal leer werden." Jetzt kam Anny ein rettender Gedanke. Natürlich. Papa hatte das Geld vergessen, das heute Nachmittag einge gangen war. Daß er immer ärgerlich war, wenn's gerade einmal traf, daß er zahlen sollte und nichts im Hause war, wußte si- schon, sie trug's ihm nicht weiter nach, daß er dann über den
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