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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.10.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001004029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900100402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900100402
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- LDP: Zeitungen
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- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. (Vptra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesörderuug VO.—, mit Pvslbeförderung 70.—. ?.nnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen j» ei» halbe Stunde froher. Anzeigen sind stets an die Erpebitia» »« richten. Drink and Verlag von L. Polz in Leipzig 508. Donnerstag den 4. October 1900. 81. Jahrgang. Die Wirren in China. Ter Tepeschenwechsel zwischen Kaiser Wilhelm und Kaiser Kwangsü. Soweit man aus den bisher eingegangenen ausländischen Depeschen ersehen kann, hat das Telegramm des deutschen Kaisers an den Kaiser von China den besten Eindruck gemacht, und es wird mit großer Uebereinstimmuug ausgesührt, daß durch Einschlagung des vom Kaiser empfohlenen Weges die schnellste Beilegung der chinesischen Wirren erzielt werden könne. Auch die deutsche Presse verhält sich zustimmend, nur findet man in einzelnen Blättern die Meinung ausgesprochen, daß zwischen dem kaiserlichen Schreiben und der letzten Note des Staatssekretärs Grafen Bülow ein schwer zu überbrückender Widerspruch bestehe. „Wir glauben", so wird der „Köln. Ztg." hierzu officivs aus Berlin depeschirt, daß dieser Widerspruch nur gefunden werden kann, wenn man ihn mit der Lupe sucht und ihn finden will. Die Sühnung des begangenen Unrechts „in vollem Umfang und nach jeder Richtung" ist der springende Punct sowohl im kaiserlichen Telegramm wie auch im Rundschreiben des Staatssekretärs. Daß der Kaiser nicht in Einzelheiten eingebt und nicht die Frage erörtert, wie die Procedur der Sühnung vor sich gehen soll, ist nur erklärlich, denn das ist die Aufgabe ver deutschen Diplomatie, die sich hierüber mit den anderen Mächten und mit China zu einigen haben wird. Ganz von selbst versteht es sich, daß man die Bestrafung nicht ausschließlich chinesischen Gutdünken und chine sischer Willkür überläßt, und das ist auch in dem kaiserlichen Telegramm hinreichend an jener Stelle an- gedenlet, wo von der Unterstützung durch die Mächte die Rede ist. Wenn man China die alleinige Be strafung der Schuldigen nicht überlassen zu können glaubt, so ist es eben begründet in dem Miß trauen gegenüber der chinesischen Rechtspflege und Liebe zur Gerechtigkeit. Wir glauben nicht, daß die hier über herrschenden Zweifel sich werden beseitigen lassen. Wie aber Alles in der Welt, so wäre es schließlich ja auch möglich, daß die Chinesen, ihr inneres Wesen ver leugnend, aus freien Stücken ein Beispiel strenger und ge reckter Strafjustiz gäben. Wir können uns nicht zu der Hoffnung erheben, daß dem so sein werde, aber.durchaus ausgeschlossen ist eZ doch nicht. Nehmen wir z. B. an, daß in einigen Tagen die Nachricht einträfe, der Kaiser von China habe unter dem Eindruck des erhaltenen Telegramms sich auf gerafft, kurzen Proceß gemacht und einem halben oder ganzen Dutzend von Grvßwürdenträgern, und zwar solchen, die auch nach Auffassung der Gesandten die wirklichen Schuldigen sind, die Köpfe vor die Füße legen lassen, ohne jedwede Rücksicht auf Rang,Geburt undStellung. Dannmüßteman allerdings sagen, daß der Kaiser von China cs verstanden hätte, das Prävenire zu spielen und daS Verlangen nach einer Strafjustiz der Mächte in seinen wesentlichen Theilen gegenstandslos zu machen. Wir geben uns in dieser Beziehung gar keinen Täuschungen bin, aber wir wollen mit diesem Beispiel nur zeigen, daß cö Lagen geben kann, wo das Perbarren auf dem Wortlaut gewisser Forderungen dem eigentlichen Ziel direct entgegen arbeiten könnte. Wir glauben auch beute noch, daß die Be- sorgniß vor dem bösen Willen Chinas berechtigt ist. Sollte sich diese Meinung wider Erwarten als unzutreffend Heraus stellen, so würden wir das keineswegs beklagen, sondern es als eine durchaus berechtigte Politik betrachten, wenn man der veränderten Lage durch veränderte Mittel Rechnung trüge. So wie die Dinge heute liegen, muß man nun ab warten, wie der Kaiser von China sich äußern und welche Maßnahmen er ergreifen wird. Es kann das eine Geduld probe werden von einer Woche und mehr, aber Geduld ge hört zu denjenigen Eigenschaften, mit denen man bei den chinesischen Wirren gerüstet sein muß." AuS dieser Auslastung geht hervor, daß die Antwort Kaiser Wilhelm'S keineswegs als ein „eclatanter Rückzug", als Verzicht auf Auslieferung und Bestrafung durch die Executive der Mächte aufzufassen ist. Wie wir gleich an- nabmen, sind die in Frage kommenden Ausdrücke in der deutschen Antwortdcpcsche absichtlich unbestimmt gehalten, um auch für die von der „Köln. Ztg." ««gedeutete Möglichkeit Raum zu lassen. Täuscht man sich deutscherseits in Kaiser Kwungsü, thut er nichts oder nichts Genügendes zur Be strafung der Schuldigen, dann bleibt die alte Forderung aus recht und Deutschland ergreift selbst Mittel, sich Sühne zu verschaffen. UebrigenS beweist der Brief Kwangsü's, an dessen Echtheit man trotz mancher Täuschungen, die in dieser Hinsicht vor kamen, Wohl kaum zu zweifeln braucht, doch soviel, daß der Kaiser oder wenigstens jene einflußreichen Berather, auf die die Absendung des Schreibens zuriickzufübren ist, sich endlich des ganzen Ernstes der Lage bewußt geworden und ein zulenken Willens sind. Auch der Umstand, daß für die Uebcrmittelung deö Schreibens an Kaiser Wilhelm der officiclle Weg durch die Berliner chinesische Gesandtschaft gewählt wurde, beweist, daß man auf chinesischer Seite dem Schritt des Kaisers Kwangsü einen möglichst feierlichen Charakter verleihen wollte, der auch von Li-Hung-Tschang und dem Prinzen Tsching, die beide vorher davon in Kcuntniß gesetzt waren, betont wurde. Bekanntlich sind die ofsiciellen diplomatischen Beziehungen mit China und damit auch der ossicielle Verkehr zwischen dem Berliner Auswärtigen Amt und der chinesischen Gesandtschaft zur Zeit aufgehoben. Trotzdem bestehen aber inofficielle Be ziehungen, die auch bei dem kaiserlichen Briefwechsel sich dadurch betbätigten, daß der Brief des Kaisers Kwangsü durch den seit vielen Jahren hier accrcditirten ersten Sekretär der Gesandtschaft Kingin-tbai überreicht wurde. Die Antwort Kaiser Wilhelm'S wurde an vr. Mumm v. Schwarzenstein zur Weiterbeförderung an ihre Adresse übersandt. Dieser Briefwechsel und die Art seiner lleber- mittelnng bedeutet aber nicht die Wiederaufnahme des regulären diplomatischen Verkehrs zwischen Deutschland und China, kenn selbst wenn zwei Staaten — wie eS hier nicht der Fall ist — sich in officiellem Kriegszustand befinden, bleibt der persönliche Verkehr der Souveräne von dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen unberührt. vlne französische Stimme. Das „Journal des DvbatS" urtheilt über das Telegramm des Kaisers: Die stolzen und mystischen Worte des deutschen Kaisers sind immer interessant, aber manchmal auch beunruhigend. Die Worte, die er dem Kaiser von China gegenüber ge brauchte, werden intercssircn, ohne zu beunruhigen. Sie beweisen den festen Willen des Kaisers, mit der übrigen gesitteten Welt die notbwendige Genuglhuung zu fordern, und , zwar auf einem Gebiete, wo auch die Mächte, die bisher I schüchtern zögerten, sich verständigen können. Die Rüge, die I der deutsche Kaiser ertheilt, ist die einzig geziemende Sprache I von dem Augenblicke an, wo man den Kaiser Kwangsü nicht persönlich für die begangenen Verbrechen verantwortlich macht. Wilhelm II. stellt die Frage auf ein Gebiet, das alle Aussicht auf die Nachfolge der Verbündeten bietet. Er nimmt die Bestrafung der Schuldigen durch China selbst an und macht daraus keine Bedingung, deren Verwirklichung der Eröffnung der Unterhandlungen vorangehen niüßte. Massregelungen. Der chinesische Gesandte übermittelte dem französischen Minister des Acußern Delcassö die Abschrift eines Tele gramms, welches ihm von Shanghai zngegangen ist. Das Telegramm enthält den Wortlaut eines kaiserlichen Decrets vom 2. October, durch welches Maßregeln gegen Prinzen und hohe Beamte angekündigt werden, die schuldig sind, die Boxer unterstützt und die Feindseligkeiten gegen die Ausländer begonnen zu haben. Warten wir ab, ob diese Maßregeln auch durchgesührt werden und welcher Art sie sind. Darauf wird Alles an kommen. Von einer mit der Stimmung in den amtlichen chinesischen Kreisen gut vertrauten Seite wird dem „Ostasiatischen Lloyd" ge schrieben: „Es unterliegt Wohl keinem Zweifel, daß schon im Frühjahr von den mächtigsten und einflußreichsten Vertretern der chinesischen Negierung, nämlich dem Minister Kang-yih und Ge nossen, für dieses Jahr ein allgemeiner Vor stoß gegen die Fremden geplant war. Wenn wir die Verhältnisse jetzt überschauen, so hatte der durch Kang-yih erwirkte kaiserliche Befehl, daß die Vicekönige ihre besten Truppen Ente Juli nach Peking schicken sollten, um dort angeblich Manöver abzuhalten, nur den Zweck, bei Peking eine starke, vorzüglich ausgerüstete und relativ gut ausgebildete Armee zu concentriren, auf die man sich in jedem Falle ver lassen könnte. Gleichzeitig wurden die Truppen des Nordens, soweit sie es noch nicht waren, modern bewaffnet und aus gebildet. Hand in Hand hiermit sollte eine Volkserhebung geben, von der man durch Begünstigung der Borerbcwegung die weiteste Ausbreitung und einen starken Erfolg erhoffte. Der erste Tbeil dieses Planes scheiterte theils an dem Mißtrauen und dem Widerstande der Gene ralgouvernen re, welche sich wobl hüteten, ihre unter großen Aufwendungen geschaffenen Gardetruppcn, wahr scheinlich auf Nimmerwiedersehen, nach Peking zu senden, tbeils auch daran, daß die Boxer, die ihrer Be wegung einen nationalen Anstrich gaben,) indem sie gegen die Uebergriffe der Fremden — Kiautsckau rc. — infolge ihrer Begünstigung von oben und weil sie unter allen Ständen des chinesischen Volkes große Sympathien genossen, sich schon genügend stark glaubten und zu früh losschlugen. Unter diesen dürfte hierbei das größte Verdienst Tschang Tschi- tung zn beanspruchen haben, welcher in der kritischen Zeit tagelang das Telezraphenamt für sich in Anspruch nahm und durch steten Depeschcuauslausch mit den übrigen General gouverneuren diese zu einem Bündniß gegen die Boxer und die Politik Pekings vereinte. Auch die Rüstungen des Generalgouverneurs Liu Kun- yih am unteren Jangtse, die vielfach in der Presse besprochen werden, haben einen absolut defensiven Charakter. Wer will aber nach den Vorgängen der letzten Jahre es dem alten Herrn verdenken, wenn er vorsichtig ist? Nur in folgenden Fällen dürften die General gouverneure zu den Waffe» greifen: 1) wenn die Dynastie anzetastet wird; 2) wenn große Gebietsabtretungen gefordert werden; 3) wenn die Vicekönige einschneidenden Veränderungen in ihren Machtbefugnissen unterworfen werden sollten, wie z. B. der Abgabe der Truppen u. s. w. Die Folgen eines solchen Krieges lassen sich aber noch gar nicht übersehen. Die Chinesen würden verzweifelt bis aufs Messer kämpfen, und daß sie keine zn verachtenden Gegner sein würden, haben die deutschen Jnstructeure stets bervorgcbvbcn und die Kämpfe im Norden deutlich gezeigt. Für größere fremde Truppenkörper wird aber bei der Art des Geländes in Mittel- und Südchina, den engen, wenigen Wegen, Len vielen Canälen, Flüssen, Reisfeldern, Seen und Lachen ein Eindringen ins Innere des Landes sebr schwierig, wenn nickt eine Unmöglichkeit sein. Man müßte Europa fast ganz von Truppen entblößen, um die langen Etappenlinien in diesem Niesenreiche zu sichern, auf denen Munitiion und Lebensmittel inS Innere geschafft werden müssen, und sollte eS gelingen, endlich das ganze China zu unterwerfen, so müßten stets enorme Truppenmassen im Lande bleiben, nm die Erfolge zu sichern." Tic Russen in der Mandschurei. AnS Petersburg, 3. October, wird uns berichtet: Der Generalstab meldet unten» heutigen Datum: General Grodekow erhielt am 19. September vom Verweser des Ministeriums des Aeußer» ein Telegramm des Prinzen Tsching mit dem Auftrage, dasselbe dem Gouverneur der Mandschurei zuzustellen. Zn dem Telegramm erklärt Prinz Tsching, daß er bevollmächtigt sei, in Gemeinschaft mit dem Kanzler Tschun - Aschac Unterhandlungen mit den Mächten eiiiznleiten, und befiehlt dem Gouverneur, zur Erleichterung dieser Unterhandlungen die Feindseligkeiten einzuslellen uud für den Schutz des Eisenbahn materials Sorge zu tragen. Das Telegramm wurde dem Gouverneur am 24. September durch den Körnet Vasilicw überreicht. An demselben Tage besetzte General Ncnnenkampf ohne Widerstand Kirin. Die chinesischen Soldaten legten die Waffen nieder, so daß man in der Mandschurei keine Kriegsereignisse mehr erwartet. Dodnne ergab sich am 30. September, ohne Widerstand zn leisten, 1500 Chinesen, welche die Waffen streckten, werden zn Arbeiten in Charbin erwartet. — Betreffend die Colonne des Generals Fleischer wird gemeldet: Tie Colonne, bestehend aus sechs Bataillonen, zehn Geschützen und zwei Sotnien, verdrängte nach hartnäckigem Kampfe die Truppen des Generals Schuji, <>000 Mann mit Artillerie aus der ganzen Reihe der befestigten Ortschaften und nahm das alte Niutschwang ein. Die Chinesen stehen nordwärts. Auf russischer Seite wurden zwei Ossiciere und l8 Mann ver wundet. Die Chinesen hatten starke Verluste, eine Fahne, deren Träger getödtet und eine Kanone wurden erbeutet. An demselben Tage unternahm Oberst Artamonow auf Befehl deö Generals Subbotitsch mit zwei Schwadronen Cavallerie eine Recognoscirung vor dem allgemeinen Vor rücken gegen die chinesische Stellung südlich von Anscha ri sch an, erkundete mit Erfolg die Flanken und das Cenlrum der Position und näherte sich auf 300 Schritt dem Feinde, welcher ihn mit Gewehr- und Geschützseuer empfing. Es zeigte sich hierauf, raß die Chinesen mit 14 000 Mann dis- ciplinirter Truppen und 30 Geschützen eine starke Position einnabmcn. Ferner wurde bestätigt, daß die Eisenbahn überall zerstört und die Schwellen weggebracht, die Schienen aber geblieben seien. Feuilletsn i8j Der neue Tag. Roman von Klara Zahn. Nachdruck vcrkottn Der Geist der Fröhlichkeit war aber mit einem Male aus dem kleinen Kreise entschwunden. — Anny war nachdenklich und Fred verrieth sich selbst diesen harmlosen Menschen gegen über allzu sehr durch sein dumpfes Hinbriiien. — Die Augen des gutmtithigen Ehepaares ruhten forschend auf den Beiden, und Anny, die jedem Verdacht Vorbeugen wollte, rief nun in etwas forcirter Laune: „Ja Fred, Dir taugt wohl die „Damen gesellschaft" nicht auf die Dauer? Sieh zu, daß Du wieder unter Deine lustigen Kollegen kommst und der „lustige Fred" wirst, der Du ja sonst immer warst!" — „Hei freili", rief Fred bitter, Ort und Umgebung völlig über sehend, „mir ist auch gräd 'danach zu Sinne! Am liebsten möcht' halt daS ganze sakrische Leben von mir werfen, wie eine Zwangsjacke, die man mir wider Willen aufgedrängt hat." „Das müßt Ihr ihm nicht etwa glauben", warf Anny schnell dazwischen. „Das ist eine Künftlerstimmung. Solchen Salto- mortale vom Frohsinn zum Trübsinn kennen wir andere Menschen nur nicht!" „Sie haben gut reden, von Künstlerlaunen, — die Anderen! — Wer weiß denn, wie's in Einem aussieht, es wird mehr Freude geheuchelt in der Welt als Schmerz." Anny nickte still. Der Consul aber wollte das durchaus nicht gelten lassen und ereiferte sich über das Thema, so daß der son derbare Anlaß dazu bald vergessen war. — Und als Anny am anderen Morgen erwachte, da hatten die Mächte, die wir nicht kennen und die doch so sichtbar und fühlbar hineinragen in unser Leben, schon vorgearbeitet an Anny's künftigem Schicksal. Die Morgenpost brachte dem Mädchen einen Brief des Vaters Anny empfing ihn beim Frühstück, und die umfangreichen Seiten, die ihr aus dem geöffneten Couvert entgegenfielen, be reiteten sie auf schwerwiegende Eröffnungen vor. Sie bat die Verwandten um die Erlaubniß, den Brief gleich lesen zu dürfen, und vertiefte sich in die Lectüre. Lange nachdem sie den Brief zu Ende gelesen, blieb sie regungslos, bleich bis in die Lippen, und die todesdunklen Augen schienen in's Nichts zu blicken. Tief erschrocken ließ das Ehepaar sie gewähren, endlich fragte der Consul theilnahmvoll: „Schlechte Nachrichten? Sprich doch nur, Kind!" „Mein Vater ist fort, über's Meer, das letzte Heimatheckchen, das mir blieb, ist abgebrochen" — sie sprach es ganz ruhig, fast klaglos, cs war kein Hoffen, kein Fürchten mehr in ihrer Seele. — Der Brief erklärte Alles. — Schon lange hatte der Rechts anwalt heimlichen Briefwechsel geführt mit einem vor Jahren nach Amerika ausgcwanderten Advocaten. Er konnte es nicht aushalten in den gedrückten Verhältnissen und hatte den Muth der Verzweiflung, seiner Jahre nicht zu denken bei dem Ent schluß, im neuen Welttherle ein neues Leben zu beginnen. Die Bande der Liebe zu seinen Kindern hatten sich immer mehr und mehr gelöst, seit er sich dem Spiel immer widerstandsloser er geben hatte, das Unglück zerbrach die letzten edlern Gefühle in ihm. Nun stand er in der Welt, ein harter, nur sich selbst leben der Mann, mit der einzigen unverlöschten Leidenschaft, die ihm die Heimath nicht mehr befriedigen half. — Er log sich selber vor, sein Vatcrgefiihl triebe ihn an, in wenigen glücklichen Jahren vielleicht zurUckzugewinnen, was er verloren hatte. Es sei die einzige Möglichkeit, seine verarmten Kinder entschädigen zu kön nen, wollte er Anny glauben machen. Sobald er Fuß gefaßt habe in der neuen Welt, wolle er von sich hören lassen und auch an Geld senden, was ihm irgend möglich sei. Bis dahin solle Anny sich gedulden, und ihr hübsches Talent schütze sie ja vor augenblicklicher Noth. — Zum Glück seien ja auch die Knaben für die nächsten zwei Jahre gut untergebracht und ihre Existenz, in guter Aufsicht, gesichert. Später aber hoffe er wieder für die Seinen sorgen zu können. — Ein paar schwermüthige Phrasen, denen die Erlogenheit allzu stark anhaftete, waren der schlimme Schluß der schlimmen Botschaft. Das Ehepaar sagte nicht viel, nachdem sie von dem Inhalte des Briefes Kenntniß genommen hatten. Sie wollten ihrem Grimm und Groll nicht vor dem unglücklichen Kind: Worte geben. Nur einen Blick des Einverständnisses tauschten sie aus, dann sagte Frau Eichberg, das Mädchen mit mütterlicher Liebe an sich ziehend: „Was hast Du schon erduldet, Du Arme, bleibe bei uns und gieb uns das Recht, Dich alles Schwere vergessen zu lehren!" Auch der Consul bat herzlich und streckte Anny die Hand zum Einschlagen entgegen: „Sei unser Kind!" Da löste sich Anny's Schmerz in schluchzenden Thränen. Hingebend schloß sie sich an das Herz der guten, hilfsbereiten Menschen und dankte ihnen mit Blicken und gestammelten Wor ten. Als sie sich aber «in tvenig beruhigt hatte, bat sie mit dem ganzen Ton der Inbrunst: „Verzeiht mir, zürnt mir nicht, Ihr Lieben, einzig Guten, aber hier bleiben kann ich nicht, kann Eure Güte nicht annchmen und kann Euer Kind nicht sein. Ich muß mich selbst erst wieder finden, ehe ich mich verschenken kann. Begreift Ihr das auch nicht, so glaubt mir doch, ich habe keine Wahl, ich muß — ich muß von Euch fort." „Gewiß, Du hast recht, in solcher Stunde faßt man keine entscheidenden Entschlüsse. Sei also unser Gast vorerst. Wir meinten wohl, meine Frau und ich, daß wir Dich lieben wollten wie unser Kind, nicht aber, daß wir schon jetzt Kindesliebe von Dir fordern wollten." Ganz langsam, wie im Traum, sprach Anny: „Ich habe einst eine liebe Heimath gefunden, drunten im Gebirgsdorf, in Parten kirchen, im Försterhause. Ich liebte den herrlichen Mann, den guten Onkel Oberförster, wie einen Vater und die sorgliche Tante wie ein gutes Mütterchen. Sie gaben mir viel, gaben mir Alles, was sie hatten, an sorgender Liebe und Treue. Tie wollten di: Hände über mich breiten, mich schützend führen in mein Land des Glücks. — Und ich mußte ihre Hände von mir weisen, mußte alle Liebe und Theilnahme, die sie mir zeigten, von mir stoßen. WaS mich von Jenen scheidet, scheidet mich auch von Euch. Ich bin die Fremde, Heimathlose, die vorüber muß am Heimathherde. Ich bin es ohne meine Schuld. — Das Leben hat seltsame Ein fälle mit feinen Geschöpfen, — mir hat es Vie Lippen versiegelt mit seinem heiligsten Gebote. — So laßt mich gehen und zürnt mir nicht." Erschüttert bis in's Herz von dem bangen, unbegreiflichen Wesen des Mädchens, schwiegen die Alten. Endlich sagte Frau Eichberg leise: „Kannst Du Dich auch Deinem Freunde Fred Heyl nicht anvertrauen?" Anny antwortete trübe: „Er weiß um mein Geschick." „So soll er uns rathen, wie Dir zu helfen wäre. Wir wollen nicht an Dein Geheimniß tasten, nur sagen soll er uns, was nun zu beginnen sei", meinte der Consul, Anny's erschreckte Abwehr nicht beachtend. „Nur das nicht", bat Anny flehentlich, „ich bitte Euch, nur daS nicht. Er darf nichts erfahren von dem letzten Beginnen meines Vaters, das ertrüg' ich nicht. Ich bin ja stark und selbst ständig genug, ich werde schon etwas finden, was für mich taugt, und wenn Ihr mir helfen wollt, so dank ich es Euch von ganzem Herzen." Der Gedanke, Fred könne, durch das Geschehniß in «ine Zwangslage gebracht, nun vielleicht aus Mitleid beschließen, wozu seine Liebe den Muth nicht fand, weckte in Anny alle Kräfte stolzer Gegenwehr. Da belebte ein neuer Gedanke das Gesicht der gütigen Frau. „Möchtest Du auf zwei Jahre inS Ausland?" fragte sie Anny. Anny dachte an ihre Brüder, aber in Nürnberg war ihres Bleibens nun doch nimmermehr. Dann also war es gleichviel, wo sie war. Sie fragte: „Als was und wohin?" „Ich correspondire noch immer mit einer Schulfreundin, die in Irland sehr glänzend verheirathet ist. Sie bat mich, ihr ein liebes, vornehmes deutsches Mädchen als Gesellschafterin ihrer erwachsenen Tochter zu empfehlen, wenn ich Gelegenheit dazu fände. — Ich wollte dies Ansuchen als ein allzu verantwortliches ablehnen, habe aber zum Glück noch nicht geschrieben!" „Bin ich dazu nicht schon zu alt?" Jetzt lachte Frau Eichbcrg trotz allen Kummers herzlich auf: „Du alt! Du? — Nein, Anny, es ist nur gut, daß Du noch scherzen kannst!" „Wie sollte ich scherzen? Ein junges, wohl 18- bis LOjähriges Mädchen im stillen Frieden des Elternhauses, und ich — da liegen nicht nur die Jahre, da liegt «ine Welt dazwischen! — Werd' ich ihren Frohsinn theilen, ihren Launen gerecht werden können?" „Das fragst Tu, die Du doch selbst trotz allen Mißgeschicks so sonnig heiter bist, Du, die gute Kameradin Deiner Brü der, willst Dein junges Empfinden leugnen?" „Ja, Ihr habt wohl recht. Ich vergaß es in dieser Stunde, daß ich immer und immer wieder, trotz aller Lebens finsternisse, so froh sein konnte. Nun ruft ein neuer Lebenstag — ich will ihm entgegengehen!" Nun wurden alle nothwendigen Schritte verabredet. Anny, die ihrer eigenen Fassung nun doch nicht recht traute unb die Brüder dieser Schicksalswendung gegenüber vorerst nicht allein lassen wollte, beharrte darauf, schon am nächsten Morgen nach Nürnberg zu reisen, um dort ihre Angelegenheiten zu ordnen und ein paar letzte Tage in der Nähe der Brüder zu sein. — Dorthin sollte ihr die Nachricht gesandt werden, ob und wann sie bie Reise antreten könne. Da die Irländerin außer dem Reise- gelde Sin Gehalt von jährlich 1200 Mark für die zu «ngagirende Dame bestimmt hatte, so hoffte Anny in die angenehme Lage zu kommen, ihren Brüdern eine verläßliche Stütze zu sein — falls der Vater seine Ziele nicht erreichen sollte. Diese Aussicht be ruhigte Anny sehr. — Als sie am Abend mit Fred zusammen traf, bemerkte er keine Spuren der großen Aufregung mehr an ihr. Er war auch an diesem Abend ein schlechter Beobachter. — Anny's ausgesprochenem Entschlüsse, nun doch am nächsten Mor gen abzurcijen, setzte er kein Wort, keinen bittenden Blick ent- gegen. Es mußte ja sein. Und seine Seele war in einer Spannung zwischen Pflichten, die er sich selbst auferlezte, und heißem Be-
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