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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.10.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001005020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900100502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900100502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Zifferusatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbesörderuug 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Marge »-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. v»! den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedttta» »u richten. Druck and Verlag von L. Polz in Leipzig 508. Freitag den 5. Octobcr 1900. 94. Jahrgang. Die Wirren in China. Ter „Umschwung". Wie der chinesische Gesandte in Paris bestätigt, isi die radikale Aenderung in der Gesinnung der Kaiserin-Regentin ausschließlich Li-H ung-Tschan g zuzuschreiben, der in einer besonderen Denkschrift an die Kaiserin auf die Gefahren eines weiteren Widerstandes hinwieS und die Absicht der Mächte, einen Feldzug in der Provinz Schansi zu unternehmen, an kündigte. Daraufhin ordnete die Kaiserin die Degradirung Tuan'S und seiner Anhänger au. Tuan wird am Hoflager gefangen gehalten, da seine Flucht befürchtet wird. Wie wir schon in einem Tbeile der Auflage unseres heutigen Morgenblattes nach einer Reutermcldung auS Tientsin, 1. October, mittheilen konnten, wird aus authen tischer chinesischer Quelle berichtet, die Kaiserin habe den höchsten Beamten des Reiches mit dem Auftrage entsandt, alle nothwendigen Anordnungen zu den höchsten Ehren erweisungen für die Leiche deS Gesandten Frhrn. v. Ketteler zu treffen. Ferner sei von der Kaiserin bestimmt worden, daß in der Hauptstadt ein würdiger Tempel zum Gedächtnisse des Ermordeten errichtet werde, und daß, wenn die Leiche Tientsin und die chinesischen Haseuorte Passire, der Oberaufseher des Handelsverkehrs in Tientsin, und die höchsten Beamten der Hafenplätze ihr die höchsten Ehren erweisen. Die Prinzen Tuan und Lanji und drei andere, sowie Kangji wurden aller ihrer Würden und Aemler für verlustig erklärt. Tungfuhsiang und alle an der Borer bewegung Betheiligten sollen noch degradirt werden. Wie wenig diese „Degradirungen" zu bedeuten haben, zeigt neuerdings ein kaiserliches Decret, welches Luchuanlin, den früheren Erzieher deS Kaisers, zum Präsidenten deS Großen RatbeS ernennt; er ist ein Werkzeug Tuan'S. Vom 28. September meldet der Berichterstatter der „Times": Der Prinz Tsching hat den Doyen des diploma tischen CorpS davon in Kenntniß gesetzt, daß Hunglu und die Vicekönige in Nanking und Wulffchang mit Li-Hung-Tschang zu Friedensunterhändlern er nannt seien. Die beiden Vicekönige in Nanking und Wutschang werden jedoch auf ihrem Posten bleiben und sich telegraphisch an den Verhandlungen berheiligen. Aunglu, der sich beim Angriff gegen die Gesandtschaften ausgezeichnet bat, kann von den Mächten keinesfalls als Unterhändler anerkannt werden. Daß man ihnen denselben jetzt noch anzubieten wagt, zeigt, wie aufrichtig die Sinnesänderung am chinesischen Hof gemeint ist. PrinzTsching bat den Gesandten eine Klage überreicht über die häufigen Verhaftungen der amtlichen chinesischen Boten zwischen Paotingfu und Tientsin. Er verlangt, daß diese Boten in Zukunft frei verkehren dürfen. Diese Haltung deS Prinzen beweist den geringen Eindruck, den die militärische Besetzung von Peking auf die Chinesen auSgeübt hat. Ter Tclegrammwechscl. Von dem Telegramm des Kaisers von China au den deutschen Kaiser hat die Berliner chinesische Gesandt- schäft, wie dem Berliner Correspondenten der „di. Fr. Pr." mitgetheilt wird, eine Uebersetzung angefertigt, deren Wortlaut etwas abweickt von dem durch die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" veröffentlichten Texte. Nach der Ueber setzung der chinesischen Gesandtschaft lautet die Einleitung folgendermaßen: „Die Veränderungen der Verhältnisse find in China urplötzlich eingetreten. Eurer Majestät Gesandter v. Ketteler ist ein Opfer dieser Unruhen geworden. ES ist aus unsere schlechte Er ziehung zurückzusühren, daß die guten Beziehungen zwischen Deutschland und China dadurch ins Schwanken gerathen sind. Je mehr wir darüber Nachdenken, um so größer ist die Empfindung unseres tiefsten Bedauerns." Ernst ist diese Selbsterkenntnis; offenbar nicht gemeint. Tie Antwort des deutschen Kaisers. In einer Besprechung deS Telegramms deS deutschen Kaisers an den Kaiser von China weist der Pariser „TempS" auf die Art hin, in welcher das Anerbieten der Trankopfer behandelt wird; dieselbe habe etwas Heilsames für China selbst, das sich um keinen Preis einbildcn dürse, Straf losigkeit genießen und ungefährdet die Attentate des Sommers wieder beginnen zu können. Das Blatt fährt dann fort: Die chinesischen Diplomaten sind vollendete Tacliker; wir werden unserer ganzen Kraft und Aufmerksamkeit bedürscn. Die leichteste Mißbelligkeit droht die schwersten Consequenzen heraufzubeschwören. Von diesem Gesichlspuncte aus muß die Ueberstürzung bedauert werben, mit welcher gewisse Cabinettc Maßnahmen zur Räumung Pekings trafen, ohne sich um deren Wirkung auf die Chinesen und um die Absichten der übrigen Mächte zu kümmern. DaS ist direct gegen das Verhalten Rußlands und der Vereinigten Staaten gerichtet. Im Uebrigcn wird über die Stellungnahme Les Washingtoner EabinetS durch das „Reuter'sche Bureau" gemeldet: * Washington, 4. Lctober. Von dem Staatssekretär Hat; wurde heute dem deutschen Geschäftsträger Frei Herrn Speck von Ster u bürg eine Note zugestellt, welche sich günstig über den Vorschlag Deutschlands, betreffend die Bestrafung der Chinesen, ausspricht, und erklärt, daß der amerikanische Gesandte in Peking, Conger, die Weisung erhalten habe, sich über die Namen derjenigen Chinesen zu vergewissern, welche zu bestrafen seien, und zu untersuchen, ob die Strafe, der diese Chinesen unter liegen sollten, ausreichend sei, und ob irgend welche Bestrafung auch thatsächlich erfolgt sei. (Wiederholt.) DaS ist, wie wir nochmals betonen wollen, nur ein for melles Einverständniß. Es kommt alles darauf an, wen und wie die Vereinigten Staaten zu strafen gedenken. Durch besondere Strenge dürften sich ihre noch zu erwartenden Vor schläge nicht auSzeichnen. Chincsisch-nordamcriknnisch-cuglischcS Vinvcrständnist. Aus London wird unS berichtet: An unterrichteter Stelle versichert man, daß die jüngsten Strafedicte des chinesischen Kaisers Kwangsü daö gemeinsame Werk der chinesischen Gesandten in Washington und Loudon seien. Der Washingtoner Vertreter Chinas hatte Mac Kinley ver sprochener werde einen Schritt veranlassen, welcher den deutschen Antrag auf vorherige Bestrafung der Anstifter gegenstands los machen werde. Dies batte Mac Kinley nach London gemeldet und dadurch die Verzögerung der Antwort Saliö- bury's veranlaßt. Ebenso hatte der hiesige chinesische Gesandte daS bLrmZu Ot'tico bestürmt, cs möge die Entscheidung so lange hinausschieben, bis die in Aussicht gestellten Maß nahmen der chinesischen Negierung gegen die Hauptschuldigen getroffen seien. Wenn demnach Lord Salisbury sein Zögern in Berlin damit entschuldigte, daß er „noch genauere In formationen auS Peking" erwarte, so waren dies die zu gesicherten „Edicte", deren Inhalt jedenfalls in Washington und London vorher vereinbart worden war. Schanhaikwan, das, wie schon gemeldet, von den Verbündeten besetzt wurde, ist die bedeutendste Stadl des nordöstlichen Theiles der Provinz Petschili. Es liegt hart an der Palisadengrenze, welche diese Provinz von der südlichen Mandschurei trennt, und ist sowohl mit Taku, als auch mit Kiautschau telegraphisch verbunden. Tie eigentliche Stadt liegt etwa zehn Kilometer von der Küste entfernt und wird im Norden und Westen von den Pittahügeln, einer niederen Mittelgebirgsketle, umschlossen, welche in der nächsten Nähe der Stadt steil absetzt, die Küsten- Ebcne bis auf 30 Kilometer verengt und der ganzen Gegend den Charakter eines DesileS verleibt, welches von der Karawancnstraße und der von Taku nach der Süd- Mandschurei führenden Eisenbahn durchzogen ist. Der Landungsplatz der Schiffe ist der Hafen von Cbenwantao, welcher durch Strandbatterien gegen Angriffe von der See seite gesichert ist. Stadt und Hafen von Schanhaikwan wurden von der chinesischen Besatzung — nach den Meldungen der letzten Tage sollen cs 20 000 Mann gewesen sein — freiwillig, und zwar lediglich infolge kategorischer Aufforderung von einem englischen Schiffe aus, geräumt. Die aus dem Land- und Seewege dahin begriffenen Truppen anderer Nationen, die zn einem combinirten Angriffe auf die Stadt bestimmt waren, finden bereits die englische Flagge über den FortS. Ueber die Einnahme liegen noch folgende Telegramme vor, deren Wiederholung sich nöthig macht: " Rom, 4. Lctober. Tie „Agenzia Stefani" berichtet aus Schanhaikwan unter dem 2. Octobcr: Infolge einer Auf- forderung der Admirale verließen die Chinesen die Befestigungen mit ihrer Artillerie und KriegSmunition. Heute Vormittag besetzten Berjaglieri in sehr kurzer Zeit mehrere Forts am äußersten Ende dcr Großen Mauer, wobei zahlreiche Chinesen gctödtct und gefangen genommen wurden. Internationale Marine truppen besetzten sechs gut armirte Jnncnsorts. * Wie», 4. Lctober. Wie Las österreichisch-ungarische Ge- schwader-Commando in Ostasien meldet, sind am 2. Lctober laut eines Beschlusses dec Admirale LusSüdfort von Schanhaikwan, der dortige Bahnhof und drei weitere Forts durch die Verbündeten besetzt worden. Au der Besetzung des Bahnhofes und zweier Forts betheiligten sich österreichisch-ungarische Marinesoldatcn. " New Bork, 4. Lctober. („Renter's Bureau.") Hier ist folgende Depesche aus Taku unter dem 1. Lctober eingetroffen: Drei britische Regimenter gehen am 2. Lctober ab, um als Garnison von Schanhaikwan und Tschüngtsotscheng zu dienen und v§n der Eisenbahn Besitz zu ergreifen. Weitere Kämpfe. Aus Tientsin, 3. October, wird dem deutschen Flotten verein tclegraphirt: Tas erste und zweite deutsche See bataillon haben am l. October die Boxer südlich Peking auf dcr Linie nack Paotingfu angegriffen und zurück geschlagen. Die Verluste auf deutscher Seite betrugen zwei Todte und vier Verwundete, auf der Seite des Feindes 300 Tvdte und Verwundete. Die mandschurische Stadt Mulden ist von den Russen besetzt. — Die Arbeiten zur Herstellung der telegraphischen Verbindung zwischen Peking und Tientsin haben unter mili tärischem Schutz begonnen. Die Eisenbahn zwischen Shin-wan-tau und Shan-hai-kwa wird von gemischten deutschen Truppen bewacht. Ans Petersburg, 4. October, wird berichtet: Nachrichten des Generalstabs von beute besagen: Nack eingegangcnen Meldungen sammelten sich bei der Stadt Tungint schirr, 40 Werst südlich von Ninguta, Banden von Tungusen mit aus Ninguta und Tschung-tschun geflohenen chinesischen Soldaten, gegen welche General Tschitschagow und der Gencralstabscapitän Malgunow mit einer Colonne In fanterie und Cavallerie auSrückten. Am 22. September kam es zum Kampfe mit 600 Chinesen, die sich hartnäckig in ihren Verschanzungen vertheidigten, so daß jedes Haus im Sturm genommen werden mußte. Der Commandeur mußte aus Ninguta Verstärkungen verlangen; inzwischen wurde das Feuer erneuert, bis die Chinesen endlich flohen. Kosaken verfolgten die Fliehenden und rieben den Feind auf. Die Stadt Tungintsckin wurde von Len Chinesen gesäubert. Auf russischer Seite betrug der Verlust sieben Soldaten todt, ein Ofsicier, 15 Mann verwundet. Die Verstärkung aus Ninguta kam am nächsten Tage an und batte einige Zusammen stöße mit den Tungusen, welche noch übrig geblieben waren. Mehrere derselben wurden niedergemacht. Die Tungusen in Bassein, Mudandsian, Mureni und Ssiaosunfun, die dort in Friedenszeiten ihre Schlupfwinkel hatten, schlossen sich den chinesischen Marodeuren an. Um das dortige Räuberunwesen auszurotten, wurde den Generalen Kaulbars und Tschitschagow befohlen, entsprechende Maßregeln zu er greifen. Daraufhin wurde daS ganze Tungusengebiet in kleinere Bezirke getheilt und einzelnen Chefs untergeordnet, die für die Ruhe und Ordnung verantwortlich sind. Jeder Bezirkschcf bat eine Soldatenabtheilung zu seiner Verfügung, die stets Streifzüge zu machen hat, und dies wird bis zum Eintritt starker Fröste fortgesetzt, wo die Tungusen gewöhnlich ibr räuberisches Handwerk einstellen müssen. Nach weiteren Be richten des Generalstabs wurde der Eisenbahnverkehr nordwestwärts vom Sungari auf eine Strecke von 60 Werst, gegen Osten auf eine Strecke von 65 Werst, nach Süden auf eine Strecke von 12 Werst eröffnet. In Wladiwostok ist daö 18. Schützenreziment, in BlagowestschenSk die erste Ab- theilung der Gardebatterie angekommen. Der General Grodekow begab sich mit seinem Gefolge nach dcr Mandschurei zu den operirenden Truppen. Graf Waldcrsee. An der großen internationalen Parade, die bei der An kunft deS Grafen Waldcrsee in Taku stattfand, nahmen die Amerikaner nicht Tbeil; sie fühlen sich ein wenig darüber ge kränkt, daß sie ihre Niederlassung räumen mußten, um für die deutschen Truppen Platz zu schaffen. * Peking, 29. September. (Reuter's Bureau.) Die hiesigen Truppeiicommandanten bereiten einen ofsiciellen Empfang Les Generalseldmarschalls Grasen Waldcrsee durch die verschiedenen fremden Truppenkörper vor. Eine combinirte Cavallerietruppe wird den Grafen Waldersee von Tungtschou nach Peking ge leiten. (Wiederholt.) Sonstige Meldungen. * Tientsin, 2. Lctober. Ter russische und der belgische Gesandte sind gestern hier cingetroffen. Sir Robert Harr wird für die Zeit des Winters wahrscheinlich zum Zollinspektor in Shanghai ernannt werden. * Hongkong, 3. Lctober. (Telegramm des „Reuter'schen Bureau".) Nach hier eingegangenen Meldungen soll im Tung- Fettilleton. isi Der neue Tag. Roman von Klara Zahn. Nachdruck verboten Anny schaute mit stummer Frage in Evchens Augen. Dann ging es wie ein Leuchten über ihre Züge, und sie verstand die reuige Sprache dieses zuckenden Gesichtchens und sagte gütig: „Komm, Evchen — das ist gut, daß ich auch Dir noch Lebewohl sagen kann." „Du gehst fort von hier, — auf lange?" „Auf lange, — vielleicht auf immer, ich weiß das heute noch nicht." Die Beiden hatten sich zum Gehen gewandt und schritten, wie in guter alter Zeit, Arm in Arm, dahin. Evchen, ganz hin genommen von der unerwarteten Kunde, sagte hastig: „Du weißt es nicht? — Dein Bater trennt Euch doch nun nicht mehr, wirst Du denn jetzt nicht glücklich fein dürfen, Den zu heirathen, den Du liebst?" Anny schüttelte leise das Haupt. „Das werd' ich nun nie. Es ist Alles vorüber, auch der Abschied von Fred." Evchen drohte in Schluchzen auszubrechen, und Anny fuhr be ruhigend fort: „Du siehst, es hat mich nicht umgeworfen, Kind. Sei nur ganz still. Wir Menschen können viel mehr tragen, als wir glauben. Da, schau mir in die Augen. Traurig bin ich frei lich, und wchmüthig stimmt solch ein Fortmüssen von Allem, was uns theuer war — unglücklich aber bin ich nicht." Evchen war ganz wirr zu Sinn. Wie war denn das möglich? Sie hatte selbst gemeint, vergehen zu muffen vor ihrem doch eigentlich nur eingebildeten Leide; ihre Leidenschaft hatte sie hin gerissen, sie völlig aus ihrer Bahn geworfen, so daß sie böse, schlecht und hinterlistig handeln konnte und Haffen muhte, die sie einst geliebt. — Und wenn es einen Trost für sie gegeben hatte in all der letzten reuevollen Zeit, so war es der Gedanke: „Das war ich ja nicht. Das war eben meine unglückliche Liebe. Und die ist viel stärker als Menschenmacht und Wille, sie zwingt eben Alle, nur sie hat mich so feig gemacht." — Und Anny stand da wie «in Baum nach heftigem Gewitter. — Blitz- zuckten noch um seine Krone, Thiäncn hingen noch in seinem Gezweig«, er aber stand frisch uns blühens, in unge brochener Kraft. Ist denn das einem Weibe «möglich? Was war es denn nur eigentlich, was die Schwache aufrecht hielt im Sturme? Evchen hätte das Alles gern auf einmal gefragt, aber erst — erst mußte sis doch gebeichtet haben, eher konnte sie doch Freundschaftsrechte nicht geltend machen. Ganz zag und schüch tern kam es von ihren Lippen: „Kommst Du ein Stünschen zu mir? Da sind wir ganz allein und ich muß Dir noch so Vieles sagen." Anny lächelte ernst. „Ein Stündchen oder zwei, die hab' ich noch, damit wollen wir Haus halten, denn der Abend gehört meinen Brüdern, und morgen früh reise ich." Nun saßen sie bei einander in Evchens trautem Zimmer, die jungs Frau hatte sich Alles, Alles vom Herzen gesprochen und Anny's lächelnde Verzeihung mit warmen Schwesterküffen be siegeln lassen. Nun war ihr so leicht und frei um's Herz, wie noch nie seit jenen „Schicksalstagen", sie wurde wieder die alte in Lust und Laune Uebersprudelnde, als sie nun von ihrem Zu kunftsschatze sprach, — von ihrem Kinde. „Weißt Du, mir wär's ja gleich, ob Bube oder Mädel, — nur wenn's ein Bub' ist, fürcht' ich mich etwas vor Latein und Griechisch!" Anny lachte: „Hältst Du das für unerläßlich zur Knaben erziehung?" „Natürlich", eiferte Eva ganz ernsthaft. „Franz rieth mir ja, für mich selber zu studiren. — Na, — es war vielleicht nur Scherz, damit mir die Langeweile verginge. Aber für meinen Sohn krieg' ich Alles fertig, Du wirst ja sehen! Ja, sieh mal, so ein Kind, das man im ersten Jahre der Ehe geschenkt kriegt, das ist gewissermaßen ein „Muß-Kind", gar nichts Besonderes. Aber nach sechs Ehejahren, wo man sich längst hineingefunden hat, zu den „Unerwählten" zu gehören, — kommt dann das Glück, Du, das ist doch ganz etwas Anderes, und dann hat es auch «ine viel höhere Bedeutung." So plauderte Eva glückselig von dem eigenen Glücke und dachte der verrinnenden Zeit nicht, dachte nicht, daß es die letzte, kostbare Stunde war, in der die Freundin ihr gehörte. Auch Anny war das ganz zufrieden. — Sie sog die köstliche Frische und Heiterkeit dieses sonnigen Menschenkindes in sich ein wie einen Lieblingsduft der Heimath und nahm ihn unvergessen mit hinüber in das fremde Land. Als Anny zum Aufbruch rüstete, fiel es Evchen schwer aufs Herz, was Alles sie noch hatte sagen und fragen wollen. Nun war's zu spät, Anny konnte sich nicht länger halten lassen. So hing sic, zärtlich, schluchzend, an der Freundin Halse mit tausend Dankes- und guten Abschiedswortcn. Immer wiederholte sie: „Du hast mir von je nur Gutes gethan, was gabst Du mir heute durch diese Stunden des Friedens zwischen uns! Wie hätte das werden sollen, wenn Du fort von hier gegangen wärest, ohne daß ich Dich wiederfand? Ich kann's nicht ausdenken. Anny, das ist das Erste, was ich meinem Kinde erzählen werde, daß es auf der Welt so gute, gute Menschen giebt, wie Du einer bist." Hans und Ernst waren ja nun tapfere, „selbstständige" Männer, wie sie sich in stolzen Stunden heimlich sagten, aber sie schämten sich der Thränen nicht, die ihnen unaufhaltsam über die Wangen rannen, als sie am anderen Morgen zum letzten Male für lange Zeit in ihrer Anny treue Augen blickten. „Wir bleiben uns ja, und wir sind Eins, meine lieben, lieben Buben!" Das war Anny's letztes A'bschiedswort zu ihren „Kindern". Nachdem Evchen sich müde geweint und müde gescholten hatte, wie sehr ihr „Egoismus" sie wieder um so viel Wichtiges undWissens- werthes gebracht hatte, das sie von Anny hätte hören können, kam ihr plötzlich eine Idee, die ihr ganzes Wesen in Gluth ver setzte. O, über den glücklichen Einfall! Das traf sich ja herrlich, und einmal konnte sie nun doch vielleicht auch etwas Gutes stiften und freundliche Vergeltung üben. Noch an demselben Abend ging ein Brief an den Architekten Franz Paulsen ab (der zur Zeit in London sich befand), der viele, viele Seiten zählte und von dem Evchen später keine Silbe mehr wußte, außer natürlich dem „Jdeeninhalt", den sie ihrem Schreiben s-hr durchsichtig unterge legt hatte. Dieser Brief an den Vetter schloß mit der wunder lichen Phrase: „Nun zeig' einmal, ob Du ein rechter Bau meister bist!" Als Anny Folgers im Pensionate des Fräuleins Adelmann zu London auf einige Tage Rast machte, wie es in ihrem Reise plan gelegen hatte, ehe sie die Weiterreise nach Dowcstvwn in Irland antrat, traf es sich, daß sie bei der Besichtigung der West- minster-Abtci dem Architekten Paulsen begegnete, der sie mit dem gleichen Erstaunen, das sie selbst empfand, aber mit ungleich größerem Entzücken begrüßte. Das Frohgefühl, auf fremder Erde noch einmal Heimathlaute zu vernehmen, machte auch Anny zutraulicher als daheim. Sie ließ es geschehen, daß „Evchens Freund", wie er sich selber sehr pathetisch nannte, für die wenigen Tage ihres Londoner Aufenthaltes Beschlag auf sie legte und sie in die Museen und zu den Sehenswürdigkeiten der Riesenstadt be gleitete. die in so kurzer Frist zu besichtigen waren. Dabei geschah cs natürlich, daß in das lebhafte Kunstgespräch der Beiden auch manches persönliche Wort gesprochen wurde, und Anny fühlte es mit Bangen, wie diese Mannesseele sich ihr werbend entgegen neigte. — Kein Zaudern war in ihr über ihren eigenen Ent schluß. Sie hatte keine neue Liebe zu verschenken. — Aber dies treue Werben rührte sie sehr, und es war doch ein seltsames Freuen in ihr, daß sie einem edlen Manne so begehrenswert)) jchien. — So beschloß sie, ihm mit dem Besten zu danken, das sie zu geben hatte, — mit freundschaftlichem Vertrauen, soweit sie es geben konnte und soweit es ihre eigene Person betraf. — Sie ließ es nicht dahin kommen, daß er über eine Zurückweisung Beschämung hätte empfinden können. Frei und rückhaitlos sprach sie zu ihm über ihr Gefühlsleben, wie zu einem erprobten Freunde, und hatte die Genugthuung, zu sehen, daß er sie rcchc verstand und das Gebotene zu würdigen wußte. Nie hatte Fran; Paulsen das Mädchen höher geschätzt als nun, da ihm tieferer Einblick ward in ihre Gesinnung, und da er selbst begreifen mußte, daß sie ihm nie gehören könne. Ihre Achtung und Freund schaft empfing er wie ein unverdientes Geschenk und wußte nicht, daß er sie im Grunde auch Frau Evchen dankte, deren freimüchige Bekenntnisse Anny auch Einblick in den Charakter Franz Paul sen's gewährt hatten. Als Anny ihm die Hand zum Abschied reichte, zog er sie ehrfurchtsvoll an seine Lippen, als sei's einer Fürstin Hand. — Anny selbst aber fühlte sich keineswegs so er haben, als sie, nun doch mit einem ieisen Weh im Herzen, dem neuen, ungekannten Ziele entgegenging. „Ein seltsames Schicksal, das mich zwingt, mit dürstender Lippe stets vorüberzugehen am vollen Kelch des Lebens." — Und wie sie sann und sann, da formten die Gedanken sich zum Liede, und sie schrieb es im einsamen Coupo auf die erste Seite ihres neuen Reisctagebuches: „Es soll Dein Bildniß langsam mir verblassen, Wie Traumgliick, leise wandelnd, uns entrinnt, Doch meine Seele kann Dich nimmer lassen, Sie fühlt Dein Schnsuchtsleid, das mich umspinnt. Es ruft dcr Tag mit heißen Ledensgluthen, Ich löse Dich auS Deiner Schwermuth Nacht, Komm, tauche Dich in gold'ne Sonncnfluthen, Und nimm, was Dein ist, von der Erde Pracht. Du sollst ein reiches Leben nicht verschwenden. Das Ehre Dir und Glück und Liebe beut; Kannst Du den Blick nicht muthig vorwärts wenden Vom tovten Gestern zum belebten Heut? Kannst Du denn jener Stunde nie vergessen? Ein Tropfen Seligkeit im Lebensfluß, ' Dir lächelns einst vom Schicksal zugcmeffen, Dem sich Dein trotz'ges Fordern beugen muß?
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